Keine politische Justiz?

Von den Palmer Raids der Zwanziger Jahre bis zu den Fällen Peltier und Abu-Jamal durchzieht ein roter Faden die amerikanische Rechtsgeschichte – der der politischen Justiz (Text: Frank Benedikt unter der Lizenz CC BY NC 3.0)

Mumia Abu-Jamal (*)

Zwei mal drei Meter – das sind die Abmessungen der Zelle, in der der wohl bekannteste Todeskandidat der Welt seit 1995 eingekerkert ist. Seit 1982, als er wegen Polizistenmordes in einem fragwürdigen Verfahren zum Tode verurteilt wurde, hat der Journalist und Aktivist Mumia Abu-Jamal stets den Tod vor Augen. An seiner Schuld bestehen seit langem erhebliche Zweifel, dennoch droht ihm weiter die Hinrichtung. Das Todesurteil, das im März 2008 vorläufig aufgehoben wurde, wird in den kommenden Tagen vom Obersten Gerichtshof der USA entweder bestätigt oder in lebenslange Haft umgewandelt werden, ungeachtet weltweiter Initiativen, die seit langem eine Freilassung Abu-Jamals oder zumindest eine Wiederaufnahme des Verfahrens fordern. Dass es bei dem Verfahren gegen das ehemalige Black Panther- und MOVE-Mitglied zu eklatanten Verstössen gegen rechtsstaatliche Standards kam, heben auch internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch hervor. Gerade letztere Organisation betont auch nicht zuletzt die politische Komponente in diesem Fall, die bei der Urteilsbemessung eingeflossen sei. Ein „militanter“ Afroamerikaner – eine doppelte Herausforderung für das überwiegend weiße und konservative Justizsystem der USA, das auf emanzipatorische und „linke“ Bestrebungen schon früher mit staatlicher Härte reagiert hat.

„Red Scare“ und die Palmer-Raids

Schon mit dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg breitete sich in den Vereinigten Staaten Angst vor Fremden und Spionage aus. Ein erstes Resultat war die Verabschiedung des Espionage Acts im Juni 1917, der unter anderem dazu führte, dass der dreimalige Präsidentschaftskandidat der Sozialistischen Partei, Eugene V. Debs, verhaftet und zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Auch der bekannte Schriftsteller E. E. Cummings wurde wegen „Spionage“, die sich darin erschöpfte, dass er keinen Hass gegen die Deutschen zu empfinden vermochte, zu dreieinhalb Monaten in einem Militärlager verurteilt. Der Sedition Act, der 1918 als Zusatz dem Espionage Act hinzugefügt wurde, stellte auch generell Kritik an der Regierung unter Strafe und markierte den einstweiligen Höhepunkt in der legislativen Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten in den USA.

Mit dem Ausbruch der Russischen Revolution wuchs nicht allein in den europäischen Ländern die Furcht vor einem Übergreifen der revolutionären Dynamik: in den Vereinigten Staaten existierte eine vielfältige Arbeiterkultur, zusammengesetzt aus Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten aus aller Herren Länder. Die Anarchisten waren schon gelegentlich durch Attentate aufgefallen und Gewerkschaften wie die Wobblies (IWW – Industrial Workers of the World) waren nicht nur gut organisiert, sondern auch „internationalistisch“ eingestellt. Der offene Konflikt zwischen Arbeiterschaft und Kapital hatte bereits lange vor dem Krieg begonnen, denn schon im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es blutige Auseinandersetzungen zwischen den Molly Maguires und den Kohlenbergwerksbetreibern Pennsylvanias. Andere massive Arbeitskämpfe sollten folgen und die gesellschaftlichen Verhältnisse waren bereits zu Beginn des Krieges angespannt.

Weitere große Streiks, staatliche Repression aufgrund der neuen Gesetze, und eine Serie von Bombenanschlägen, die den Galleanisten, einer anarchistischen Gruppierung zugeschrieben wurden, verschärften die Situation und der neue Generalstaatsanwalt, Alexander Mitchell Palmer, ließ – zusammen mit dem jungen J. Edgar Hoover – zwischen 1919 und 1920 die sogenannten „Palmer Raids“ durchführen. Bei Massenfestnahmen ohne offizielle Anklage wurden ca. 10.000 Personen landesweit festgenommen, unter ihnen auch die bekannten Anarchisten Alexander Berkman und Emma Goldman, die, zusammen mit rund 500 anderen „ausländischen Anarchisten und Kommunisten“, kurzerhand nach Russland abgeschoben wurden, welches sich zu dieser Zeit noch im Bürgerkrieg befand. Der Höhepunkt der ersten „Rotenfurcht“ sollte damit aber auch überschritten sein, da Palmer die Unterstützung der Bevölkerung einbüßte, nachdem sich seine Prognose, „die Roten“ würden für den 1. Mai 1920 eine Revolution in den USA planen, als völlig haltlos erwies. Bereits im Juni desselben Jahres beendete der Bundesrichter George W. Anderson die größte Massenverhaftung der US-Geschichte, aber zu diesem Zeitpunkt waren bereits viele Menschen grundlos inhaftiert oder gar deportiert worden.

Die Mörder sind unter uns

In der Zeit der „Palmer Raids“ und der ersten „Roten Angst“ ereignete sich auch der bekannte Fall der italienischstämmigen Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti, der in Kunst und Literatur seinen Niederschlag gefunden hat. Die beiden Arbeiter, die sich dem Kriegsdienst verweigert bzw. entzogen hatten, hatten sich der Bewegung um Luigi Galleani angeschlossen und sollen im April 1920 bei einem Raub in South Braintree, Mass., zwei Menschen erschossen haben. Trotz zweifelhafter Zeugenaussagen und weltweiter Proteste wurden Sacco und Vanzetti 1927 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ihre Schuld gilt bis heute als nicht erwiesen und anläßlich des 50. Jahrestages ihrer Hinrichtung hat sie der damalige Gouverneur von Massachusetts, Michael Dukakis, postum rehabilitiert.

Leonard Peltier – der letzte der Lakota?

Im selben Jahr, als Mike Dukakis Sacco und Vanzetti rehabilitierte, wurde Leonhard Peltier, ein Mitglied von AIM, des American Indian Movement zur Befreiung von der Unterdrückung durch die weiße Mehrheit, zu zweimal lebenslänglich verurteilt, da er für die Ermordung von zwei Bundesagenten des FBI verantwortlich sein soll. Bürgerkriegsähnliche Zustände in der Pine Ridge Reservation in South Dakota hatten ihn und andere AIM-Mitglieder dazu veranlaßt, das Reservat aufzusuchen, um ihren Stammesbrüdern beizustehen.

Der indigene Aktivist, der sich bereits in jungen Jahren für die Interessen der unterdrückten Ureinwohner einsetzte, dürfte inzwischen wohl der dauerhafteste „Politische“ in den USA sein: seit Dezember 1976 ist Peltier bereits inhaftiert, wiewohl auch hier die Indizien und Zeugenaussagen dürftig genug schienen, um ihm beispielsweise die Unterstützung von Amnesty International und seitens des Dalai Lama einzutragen. Nachdem 2009 ein Gnadengesuch von der Parole Commission abgelehnt wurde, besteht die nächste Möglichkeit für ein Gnadengesuch erst wieder 2024 – Leonhard Peltier wird dann 79 Jahre alt sein und seine Strafe läuft voraussichtlich noch bis 2040.

Zusammen mit Mumia Abu-Jamal gilt Leonhard Peltier heute als der bekannteste politische Gefangene in den USA und ist auch – gerade hinsichtlich der zweifelhaften Beweislage – das doppelte Sinnbild für einen unschuldig und politisch Verurteilten.

Keine politische Justiz?

Die Wertung kann nur der Leser vornehmen, wenn es auch danach „riecht“ und renommierte Menschenrechtsorganisationen dies unumwunden so bezeichnen. Ein System, welches Menschen – schuldig oder unschuldig – ohne die Möglichkeit zu einer Rehabilitation dauerhaft „wegsperrt“ oder gar tötet, kann nach mitteleuropäischen Maßstäben und Ansicht des Autors kein humanes und gerechtes sein. Zwischen „Rache“ und „Gerechtigkeit“ wird es stets einen normativen Unterschied geben.

Freiheit oder Tod?

Fast scheint es so, wenn man sich Mumia Abu-Jamals akute Lage vor Augen ruft. Die „Freiheit“ wird er wohl, dem Rechtssystem in den USA geschuldet, kaum erlangen können, aber Freiheit von ständiger Bedrohung mit dem Tod wäre schon sehr viel. Da tritt spätestens dann auch die Schuldfrage in den Hintergrund, denn dieser Mensch hat in über 28 Jahren „alle seine Sünden gebüßt“ – es wäre an der Zeit, ihn zu begnadigen!
P.p.s.: Ein nachgereichter Link, den ich im Text nicht mehr anzubringen wußte, der mir aber für das Verständnis eines Herrn Palmer hilfreich scheint.

(Originalpost beim binsenbrenner.de)

*: Bild: http://www.flickr.com/photos/dubdem/ / CC BY 2.0

Die Lage um Mumia Abu-Jamal ist derzeit äußerst dringend. Deshalb sind zahlreiche Aktionen in Vorbereitung. Hier ein paar Aufrufe und weitere Informationen:

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Zur Zukunft Europas

Eigentlich wollte ich ja heute zum Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages einen Blogpost schreiben über diesen Vertrag und dessen negative Seiten, die in der Mainstream-Presse gerne verschwiegen werden, noch einmal näher beleuchten. Und ich wollte schreiben über den erstarkenden Konservatismus in Europa, der sich, um ein paar ganz aktuelle Besispiele zu nennen, etwa im Volksentscheid der Schweizer gegen Minarette (und einigen Reaktionen darauf), in der Zustimmung zum SWIFT-Abkommen, einer Datenbank in Deutschland, die künftig zentral erfasst, wer an einem Streik teilgenommen hat, oder in Italien, wo Berlusconi Anti-Mafia-Autoren erwürgen will, ausdrückt.

Aber da sehe ich, dass Roberto J. De Lapuente bei ad sinistram bereits einen Beitrag geschrieben hat, wie man ihn besser wohl kaum formulieren könnte: Europa geht schwanger.

Er beschreibt darin den kleinbürgerlich-spießerischen Konservatismus, der in Europa vorherrscht, den Lissabon-Vertrag, der Demokratie nur vorgaukelt, die Bürgerrechte einschränkt, Militarismus stärt und die Lage der Entwicklungsländer noch schlechter werden lässt. Und er entwirft ein Zukuftsszenario von einem Europa, das geprägt ist vom Hass gegen Arbeitslose und “Sozialschmarotzer”, Muslime und Ausländer, einem Europa der Kleinkariertheit, der Disziplin. Dem Euopa der Konservativen.

Wie soll in einem Europa, das keinen klassischen Liberalismus mehr kennt, Toleranz mehr und mehr verliert, das immer tiefer in den (sozial-)rassistischen Sumpf gerät, wie soll in einem solchen spießigen und kurzsichtigen Europa, in dem die Einfältigkeit täglich heimischer wird, Auflehnung gegen Sozialabbau, Demokratiedefizit und Lissaboner Vertrag stattfinden? Es entspricht zuletzt dem Zeitgeist, all das hinzunehmen, auch wenn es wehtut, wenn es einem selbst Schaden zufügt; es dient doch letztlich nur der guten Sache, dient dazu, unnütze Esser und sonstiges Gesocks in die Schranken zu weisen. Dieses Europa nimmt alles hin, nimmt selbst die Unmenschlichkeit hin, um sich selbst im Wohlstand zu halten.

Aber lest selbst.

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Der Jesuitenschüler und die Baroness

Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU haben in gewohnt intransparenter Weise hinter verschlossenen Türen die durch den Vertrag von Lissabon geschaffenen neuen Posten ausgeschachert, mit zwei durchaus überraschenden Besetzungen.

Der belgische Premierminister Hermann Van Rompuy wird der erste Präsident des Europäischen Rates. Der als “tiefgläubiger Christ” beschriebene ehemalige Jesuitenschüler und Absolvent einer katholischen Universität stellt dabei den Vertreter der konservativen Parteien. Aufgrund eines üblichen Proporzes  hätte eigentlich ein Vertreter der linken das zweite Amt übernehmen sollen. Doch Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik soll die britische Baroness und Mitglied auf Lebenszeit des House of Lords Catherine Ashton  übernehmen. Sie als Mitglied der Labour Party als Sozialistin zu bezeichnen kann aber nur als mäßig gelungener Scherz betrachtet werden. Schließlich hat New Labour mit der konsequenten Fortsetzung der Wirtschafts- und Sozialpolitik Thatchers mit Maßnahmen wie grenzenlosen Privatisierungen, einem gnadenlosen Aufbau von Workfare-Politiken oder der Einführung von Studiengebühren eine am treffendsten als neoliberal zu charakterisierende Politik betrieben, die sich schließlich auch im Programm der Partei mit einem Abschied vom Ziel der sozialen Gerechtigkeit und eines umverteilenden Sozialstaates ausdrückte. Und mit dem Aufbau eines umfassenden Überwachungsstaates hat Labour eine Innenpolitik zu verantworten, wie sie etwa eine CSU nie durchführen würde. Nein, die Labour Party hat außer ihrer Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Europas kaum noch Gemeinsamkeiten zu einer sozialdemokratischen oder demokratisch sozialistischen Politik. Ein etablierter Außenpolitiker einer linken Partei wie bspw. Massimo D’Alema war offensichtlich vielen in Europa zu gefährlich.

Konservatismus und Neoliberalismus, Katholizismus und Adel, mit diesen beiden Personen wird nur die Politik fortgesetzt, die auch für die Entstehung des Lissabonvertrages kennzeichnend gewesen ist. Denn dieser Vertrag kann als ein Projekt der konservativen Eliten Europas charakterisiert werden. Er sorgt nicht für eine Beseitigung der demokratischen Defizite der EU (und schafft neue, z.B. dadurch, dass nur die Bürger Irlands über diese umbenannte EU-Verfassung abstimmen durften), er schafft Machtkonzentrationen, schreibt eine marktradikale  Wirtschafts- und Sozialpolitik mit weiteren Privatisierungen und Deregulierungen sowie eine Militarisierung und Aufrüstung fest und, schränkt Bürgerrechte ein.

Beide Personen haben aber noch etwas gemeinsam: sie gelten als weitgehend unbekannte und wenig profilierte Gesichter. Ashton hat zudem – auch nach eigener Bekundung – kaum Erfahrung auf dem Gebiet der Außenpolitik. Es kommt also die Frage auf, inwiefern sie sich gegen gestandene und einflussreiche Vertreter der EU-Staaten durchsetzen könnten. Tatsächlich wird es auch offen geäußert, dass die beiden sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner und die Kandidaten waren, die am wenigsten Konflikte zwischen den Regierungschefs auslösten. Man scheint Kandidaten gesucht zu haben, die den Vertretern der Nationalstaaten nicht die Show stehlen.

Jedoch muss dies aber – nun kommt die Überraschung – keinesfalls negativ gesehen werden. Den beiden neu geschaffenen Posten mangelt es an demokratischer politischer Legitimität. Die Bürger Europas haben auf sie und ihre Politik so gut wie keinen Einfluss, und auch die Parlamente haben diesen nicht. Ein einziges Treffen der Regierungschefs soll die Legitimation für deutlich umfassendere Kompetenzen und Machtressourcen als bisher darstellen? Dazu kommt, dass die Kompetenzen deutlich in nationale Politiken eingreifen, wie gesagt ohne dafür genügend demokratisch legitimiert zu sein. Die Ausweitung des Mehrheitsprinzips in der EU wird dazu führen, dass wenige vorwiegend konservative Politiker eine Macht über die Bürger und die demokratischen Institutionen sowohl der EU als auch ihrer Mitgliedsstaaten erhalten werden. Insofern sind zwei schwache Vetreter auf den beiden neu geschaffenen Posten das beste, was man sich wünschen kann. Eine Ausweitung der europäischen Integration auf weitere Politikfelder und eine handlungsfähigere Europäische Union sind durchaus wünschenswert – aber nicht, wenn diese derart undemokratisch und intransparent gestaltet ist wie im Vertrag von Lissabon.

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Entwicklungspolitik ohne Entwicklungsministerium?

Bei den Koalitionsverhandlung zur neuen deutschen Bundesregierung steht neben dem Abbau von Steuern, Sozialstaat und Bürgerrechten leider noch ein Punkt auf der Agenda: die FDP fordert die Auflösung des Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Seine Aufgaben soll fortan das Außenministerium mit übernehmen.

Diese Forderung geht durchaus konkruent mit dem neoliberalen Gedankengut und den Äußerungen Westerwelles zur Entwicklungspolitik, dass diese in erster Linie eigenen (in diesem Fall deutschen) Interessen dienen solle. Auch wurde die Auflösung des Entwicklungsministeriums von der FDP vor der Wahl explizit gefordert.

Eine Auflösung des BMZ und eine “Eingliederung” in ein von einem Neoliberalen geführtes Außenministerium wäre aber nicht nur ein falsches Signal, sondern auch politisch ein falscher Schritt. Bei der Außenpolitik geht es in der Tat in erster Linie um nationalstaatliche Interessen. Bei der Entwicklungspolitik sollte das jedoch anders sein. Auch in den Jahren, in denen dass  BMZ von Unions-Ministern geführt wurde, verfolgte es zum Glück nie eine dermaßen egoistische Poltik, wie die Neoliberalen dies sich vorstellen und wünschen. Entwicklungspolitik entspringt aus einer Einsicht für soziale Verantwortung, auch weltweit, für die Bekämpfung von Armut und Hunger, und nicht nur aus dem Interesse, möglichst wenige Flüchtlinge aus Entwicklungsländern zu haben und diese ungestört ausbeuten zu können.

Ein weiterer Punkt: Nicht umsonst trägt das Ministerium “wirtschaftliche Zusammenarbeit” im Titel. Diese macht einen wichtigen Teil der Arbeit aus, wirtschafts- und finanzpolitischer Sachverstand sind gefordert (und ob da die doch eher auf diplomatischem Gebiet liegenden Qualitäten im Auswärtigen Amt ausreichen, möchte ich eher bezweifeln). Gerade eine Verknüpfung von Diplomatie, wirtschaftlichem und technischem Sachverstand stellte jedoch immer eine Stärke des BMZ dar. Die (eigenständige) Struktur des BMZ bietet praktisch gesehen große Vorteile.

Das BMZ muss als eigenständiges Ressort erhalten bleiben. Es ist kein Wunder,  dass Entwicklungspolitik-Experten von CDU, CSU und SPD, der Linken und der Grünen, Entwicklungsorganisationen und Hilfswerke wie VENRO, Misereor, “Brot für die Welt” und der Evangelische Entwicklungsdienst oder die Kirchen in einer Abschaffung verherrende Wirkungen sehen. Und mehr noch: Deutschland muss endlich seine internationale Zusage einhalten, 0.7% des BIP für die Entwicklungspolitik zur Verfügung zu stellen. Für die Besetzung müssen wir in diesem Politikfeld wohl auf einen Unions-Politiker hoffen, und zwar einen mit einem ausgeprägten sozialen Profil – auch wenn es davon immer weniger gibt. Der FDP wäre gut geraten, diesen Politikbereich, der weder ihren Interessen- noch in ihrem Kompetenzschwerpunkt bildet der Union zu überlassen, und sich mehr auf wahre liberale Stärken zu besinnen: den Stop der unsäglichen Überwachungsstaatsmaßnahmen der Union.

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Todesstrafe und Sozialdarwinismus

Bei SWR2 Leben gibt es einen interessanten Podcast: Der Tod als Strafe (MP3) (Alternativlink):

Was tut archaisches Recht in einer Demokratie des 21. Jahrhunderts?

Von Lotta Suter. SWR2Leben vom 01.10.2009.

Die USA haben den alttestamentarischen Rachegedanken “Auge um Auge” ins neue Jahrtausend hinübergenommen. Die öffentliche Meinung zum Thema Todesstrafe ist geteilt. Als 15. US-Bundesstaat hat New Mexico die Todesstrafe aufgehoben. Im Neuenglandstaat New Hampshire jedoch, wo die letzte Exekution 70 Jahre zurückliegt, wird gegenwärtig der Bau einer Exekutionskammer diskutiert, um die “ultimative Strafe” an einem einzigen Täter vollstrecken zu können. An der öffentlichen Anhörung debattieren Befürworter und Gegner die Todesstrafe nach allen Regeln der Demokratie.

Der Podcast dauert etwa 24 Minuten.

Das Manuskript der Sendung gibt es hier als pdf.

Besonders gut fand ich den folgenden Abschnitt:

Die meisten westlichen Demokratien betrachten die Abschaffung der Todesstrafe heute als einen der wichtigsten und wertvollsten Zivilisations- und Kulturalisierungsfortschritte. Die USA sind noch nicht ganz so weit.
Noch hält die Nation an der Idee einer absoluten Gerechtigkeit fest und ist überzeugt, dass man das Böse eindeutig identifizieren, vom Guten trennen und ein für allemal eliminieren kann. Der biblische Rat, man solle das schlechte Glied abhauen, um den gesunden Leib zu retten, bestimmt und korrumpiert die amerikanische Gesellschaft. Im Innern der USA führt diese Haltung zu einer gnadenlosen Sozialpolitik gegenüber den Armen und einer rekordverdächtigen Inhaftierungsrate von unerwünschten Menschen. In der Außenpolitik wird der Feind mit allen Mitteln, auch mit Krieg und Folter, unschädlich gemacht.
Die Todesstrafe dient der Elimination des Bösen. Wobei unverzüglich klar wird, dass dieses Böse stets das ganz Andere ist: Die andere Rasse, die andere soziale Klasse, der krankhafte Psychopath. Es ist kein Zufall, dass die Todesstrafe in Kriegszeiten heute sogar in der EU, im Lissabon Vertrag, wieder zur Debatte steht; denn im Krieg ist die Entmenschlichung des feindlichen Andern am weitesten fortgeschritten. Leider verstehen sich die USA ständig als eine Nation im Ausnahmezustand, wenn nicht gar im akuten Krieg. Die Abschaffung der Todesstrafe wäre in diesem Sinn eine friedenssichernde Maßnahme.

Und auch in Deutschland gibt es Versuche, sozialdarwinistische Auffassungen wieder zu verbreiten: Thilo Sarrazin und der Neuaufguss des Sozialdarwinismus.

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Der Vertrag von Lissabon: Gründe für eine Ablehnung

Gegen Lissabon heißt nicht gegen die EU

Nun haben also die Bürger Irlands sich im einem zweiten Referendum doch für die Annahme des EU-Vertags von Lissabon ausgesprochen. Auch wenn man den europäischen Einigungsprozess und auch ein wirtschaftliches Zusammenwachsen der europäischen Staaten befürwortet, kann man durchaus gegen den Vertrag von Lissabon sein. Man braucht weder ein Nationalist noch ein Kommunist zu sein, der jede Förderung eines marktbasierten Wirtschaftssystems von vornherein ablehnt. Und das nicht nur Vorurteile und Ressentiments, wie es oft dargestellt wird, sondern durchaus auch rationale Gründe gegen den Vertrag von Lissabon sprechen, soll im folgenden Beitrag erläutert werden.

Eine Verfassung für die Bürger ohne die Bürger?

Die ursprünglich geplante Verfassung für Europa wurde in  repräsentativen Umfragen von einer Mehrheit der europäischen Bürger nicht befürwortet – und von den Bürgern Frankreichs und der Niederlande in Volksabstimmungen abgelehnt. In Deutschland wurde eine solche gar nicht erst durchgeführt – obwohl Art. 146 GG ausdrücklich sagt:

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Die EU-Verfassung ist also gescheitert, könnte man denken. Ist sie das? Nein, denn im Umgang der politischen Eliten mit dem Votum des Volkes zeigt sich wieder, was erstere von letzterem halten. Kriegt man keine “EU-Verfassung” auf dem direkten Weg, führt man sie durch die Hintertür ein. Im Grundlagen-Vertrag für die EU von Lissabon sind 96% des Textes derselbe wie in der abgelehnten Verfassung. Nur bietet er den Komfort, nicht erst das Volk darüber abstimmen lassen zu müssen. Nur Irland hat dies getan, nur die Iren durften über eine EU-Verfassung ohne diesen Titel abstimmen. Am 12. Juni 2008 lehnten sie den Lissabon-Vertrag ab.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte für Deutschland, dass der Vertrag von Lissabon zwar mit dem Grundgesetz vereinbar sei, dass es aber Begleitgesetze verfassungswidrig sind, soweit den Gesetzgebungsorganen keine hinreichenden Beteiligungsrechte eingeräumt wurde, es keine demokratisch nicht legitimierte Zustimmung Deutschlands zu EU-Gesetzen geben dürfe, die die nationale Souveränität betreffen, die Kompetenzen der EU erweitern oder die Abstimmungsmodalitäten ändern.

Demokratiedefizite

Europa soll mit einer Stimme sprechen, wird immer wieder gefordert. Doch das dann lieber nicht mittels einer europäischen Demokratie oder wirklichen Beteiligungsrechten des Europäischen Parlamentes (oder gar der Bürger Europas). Auch wenn das Europäische Parlament im Lissabon-Vertrag etwas aufgewertet wird, wirkt es immer noch wie die Simulation einer Volksvertretung in einem autokratischen Staat. Die Kommission ist weiter nur indirekt demokratisch legitimiert, und  sie trifft als Exekutive legislative Entscheidungen.

Nein, man  möchte lieber eine starke Stimme mittels eines “starken Mannes”, mittels einer höheren Konzentration von Macht und Autorität in weniger Händen (auch die Verkleinerung der EU-Kommission und anderer Institutionen wird immer wieder mit der “Handlungsfähigkeit” begründet, stellt aber tatsächlich auch eine Verkleinerung der Entscheidungsbasis dar – so dass manche kleineren Länder in manchen Bereichen sogar gar nicht mehr mitsprechen dürfen). Diese offenbar bei den europäischen Konservativen vorhandene Sehnsucht nach autoritärerer Politik will man mittels der Stärkung des Ratspräsidenten und der Schaffung des Amtes eines Europäischen Außenministers durchsetzen. Auch wenn man ein entschiedener Befürworter eines stärkeren politischen Zusammenwachsens Europas ist: die Außen- und Sicherheitspolitik ist das Kerngebiet staatlicher Selbstbestimmung, und das nicht ohne guten Grund: hier geht es um Krieg und Frieden. Man stelle sich nur vor, Deutschland müsste aufgrund eines Mehrheitsvotums in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg – sagen wir einmal der USA – ziehen.

Dem i das Tüpfelchen setzt noch auf, dass die europäischen Eliten mit dem Vertrag von Lissabon die Demokratisierung der EU als abgeschlossen betrachten wollen. Ein Europa, in dem Entscheidungen auf transparentem Wege über ein demokratisches Parlamentsverfahren und über Volksabstimmungen getroffen werden, mit so einem Europa könnten sich sicherlich deutlich mehr Europäer identifizieren. Doch der Lissabon-Vertrag läuft eher in die entgegengesetzte Richtung.

Aufrüstung und Militarisierung

Der Vertrag von Lissabon verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur Aufrüstung.  Auch dass er die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht anstelle, sondern zusätzlich zu der nationalen fördern will, kann kritisch betrachtet werden. Militärische Mittel werden gegenüber zivilen überbetont. Unbedingt betrachtet werden sollte dabei auch eine Studie des EU Institute for Security Studies: What ambitions for Europeans defence in 2020?, in der ein internationaler, auch militärisch und “mittels des gesamten Spektrums hoch intensiver Kampfmaßnahmen“ geführter Klassenkampf des reichen Nordens gegen die “unterste Milliarde” der Menschen des armen Südens zur Stabilisierung der internationalen Klassengesellschaft gefordert wird (siehe: Krieg gegen die Armen). Menschen, die so denken, darf man nicht die Macht über einen großen Militärapperat übertragen.

Bürger- und Menschenrechte

Die EU-Verfassung erlaubt staatliche Hinrichtungen und Tötungen von Menschen in einem Kriegszustand  oder zur Niederschlagung eines Aufruhrs. Auch wenn diese Regel rechtlich für viele Staaten, u.a. auch für Deutschland nicht gilt, gilt sie doch für andere und zeigt, aus welchem Geist dieser Vertrag gemacht ist. Bei den Menschen- und Bürgerrechten fällt der Vertrag nach Meinungen einiger Kritiker deutlich hinter  das Grundgesetz und sogar hinter die UN-Menschenrechtserklärung zurück.

Problematisch erscheint auch die Rolle der EU im Gebiet der inneren Sicherheit. Verschiedene Maßnahmen  hin zum Überwachungsstaate wurden als Maßnahmen zur Terrorabwehr über Europa eingeführt. Die Vorratsdatenspeicherung etwa wurde über den Umweg über die EU in Deutschland umgesetzt – und als “Sachzwang” verkauft.

Freier Markt über alles

Im Vertrag von Lissabon wird die freie Marktwirtschaft festgeschrieben. Auch wenn sich auch Formulierungen zur “soziale Marktwirtschaft” finden: diese verfolgt nach eigenen Angaben auch die FDP. Was dahinter steckt, ist klar: die Privatisierungs- und Deregulierungswelle, die von der EU in der Vergangenheit angestoßen wurde, soll fortgesetzt werden, die Staaten weiter auf Sozialabbau und Einschränkung von Leistungen der öffentlichen Daseinsfürsorge gedrängt werden.

Und ein weiteres Problem stellt sich: im deutschen Grundgesetz ist bewusst die Frage nach der Wirtschaftsform außen vor gelassen. Diese wollten die “Väter des Grundgesetzes” der demokratischen politischen Auseinandersetzung überlassen. Eine Festschreibung einer Wirtschaftsform in der Verfassung (auch wenn diese nicht so genannt wird) bedeutet ein weniger an Demokratie.

Das Ja Irlands: “Wer für die EU ist, ist für Lissabon”

Die Iren haben den Vertrag von Lissabon beim ersten mal teilweise vielleicht auch aus falschen Gründen abgelehnt. Jedoch spielten auch einige der hier genannten eine Rolle.

Wie kann man die jetzige Zustimmung erklären? Zunächst lief seit der Ablehnung im Juli letzten Jahres eine groß aufgelegte Kampagne über Lobbyisten,  Medien und Parteipolitiker an, die weniger an Argumente, denn an Gefühle, v.a. an Ängste, anknüpfte (wobei ich nicht sagen möchte, dass Kampagnen zur Ablehnung des Vertrages nicht bestanden und diese nur auf Argumenten beruhten – auch dort spielten irrationale Ängste eine Rolle). V.a. die Auswirkungen der Finanzkrise, die durch EU-Hilfsmittel stark abgemildert wurden und das Land vor stärkeren Verwerfungen bewahrten, wirkten sich aber positiv aus. Verbunden mit einer Propaganda nach dem Motto “wenn ihr nicht gegen die EU seid, müsst ihr für den Vertrag stimmen”  oder “eine Stimme gegen den Vertrag ist eine Stimme gegen EU-Hilfen” dürfte diese bei der Zustimmung zum Vertrag die größte Rolle gespielt haben.

Der Vertrag von Lissabon als Projekt der konservativen Eliten Europas

Der Vertrag von Lissabon hebt Demokratiedefizite der EU nicht auf, sondern schafft, allein schon durch die fehlende Zustimmung der Bürger Europas, neue. Er lässt Trends zu einer neoliberalen Wirtshhafts- und Sozialpolitik, zur Militarisierung und zum Abbau von Bürgerrechten erkennen. Insgesamt muss er als ein Projekt der konservativen Eliten Europas angesehen werden – seit Samstag zudem als erfolgreiches.

Der konservative und neoliberale Wind aus Europa wird sich verstärken – was jedoch nicht bedeutet, dass man die EU jetzt ablehnen muss. Die EU ist eine großartige Idee, die auch in weiten Teilden sehr positiv verlaufen ist. Heute bedürfen wir jedoch mehr denn je einer kritischen Gegenöffentlichkeit und einer Zivilgesellschaft – und einer Schwächung der Konservativen in Europas Parlamenten und Regierungen. Damit sie die Mittel nicht ausnutzen können, die ihnen der Vertrag von Lissabon bietet.

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Irland!

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Irland ist ein schönes Land. Und das einzige, dass seine Bürger über den Vertrag von Lissabon abstimmen lässt. Am 12. Juni 2008 lehnten die Iren den Vertrag erstmals ab. Nun müssen wir noch einmal unsere Hoffnung auf dieses schöne Land setzen.

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Krieg gegen die Armen

Bei wikileaks gibt es eine Studie des EU Institute for Security Studies: What ambitions for Europeans defence in 2020? Darin wird ein internationaler, auch militärisch geführter Klassenkampf des reichen Nordens gegen die Menschen des armen Südens gefordert:

Um einen Zusammenbruch des globalen Wirtschaftssystems (“global systemic collapse”) zu vermeiden, fordert das Institut, gegen die “untere Milliarde” der Menschheit (“bottom billion”) das “gesamte Spektrum hoch intensiver Kampfmaßnahmen” (“full spectrum of high intensity combat”) in Anschlag zu bringen. (Siehe: Zusammenfassung der Studie bei http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57603)

Die Studie fordert, die Stabilisierung der globalen Klassengesellschaft. Heute gäbe es auf der Welt eine “hierarchische Klassengesellschaft”. In dieser stünden sich eine metropolitane “Elite” aus transnationalen Konzernen, OECD-Ländern und Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien einerseits und 80 % der Weltbevölkerung – darunter die unteren Milliarde armer Menschen, die durch die “Verweigerung” einer “Zusammenarbeit” mit den metropolitanen Ökonomien einen “Kollaps des globalen Wirtschaftssystems” auslösen könnten – andererseits gegenüber.

Die Kampfmaßnahmen gegen die Armen sollen laut den Empfehlungen in der Abwehr von Flüchtlingen, um “den reichen Teil der Welt vor den Spannungen und Problemen der Armen schützen”, und auch z.B. in der Niederschlagung von Aufständen in Entwicklungsländern und der Überwachung der Weltmeere bestehen. Dies solle mittels einer massiven Aufrüstung und Förderung der Überwachungstechnologie der EU-Länder erreicht werden. Außerdem sollten die reichen Länder die  natürliche Ressourcen (z.B. tropische Regenwälder oder Fischgründe) im armen Süden militärisch gegen “unerwünschten Zugriff” absichern. Die Kampfeinsätze zur Durchsetzung europäischer Verwertungsinteressen sollten auch ohne oder gegen NATO und die USA von der EU durchgesetzt werden, so die Forderung des Instituts (vgl.:  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57602).

Das “EU Institute for Security Studies” ist ein sicherheits- und verteidigungspolitischer Think Tank, das dem EU-Ministerrat untersteht (und von ihm gegründet wurde). Er berät Institutionen der EU.

Dieser Bericht offenbart in einer Offenheit, die ich so bisher kaum irgendwo gesehen habe, ein Interesse an der Aufrechterhaltung globaler Ungleichheitsstrukturen und die Bereitschaft, diese auch mit Gewalt durchzusetzen – Gewalt gegen die Verlierer der internationalen Klassengesellschaft, Gewalt gegen die Bedrohung der Privilegien, die auf Ausbeutung beruhen. Und die gewaltsame Ausweitung dieser Ausbeutung auf natürliche Ressourcen des Südens. Und sie zeigt, was wir zu erwarten haben, wenn die Neokonservativen sich noch mehr durchsetzen.

Das ist mal nicht die Zuckerguss-Wahlkampf-Political-Correctness-Version dessen, wie die alte Weltordnung der Ausbeutung der Vielen durch die Wenigen in Europa (und den USA natürlich) erhalten werden soll, sondern wie sie das wirklich meinen. (Kommentar von Fefe)

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Der Hass der amerikanischen Rechten

Die amerikanische Rechte radikalisiert sich zunehmend in ihrer Ablehnung der Politik und v.a. der Person von Präsident Obama. Immer mehr blanker Hass schlägt ihm entgegen, immer mehr geifernde Wut. Wie tief verbreitet der Rassismus noch (zumindest unterschwellig) wirkt, zeigt sich etwa an der Debatte um Obamas Geburtsort, die von den konservativen Medien verbreitet wird. Ebenso bezeugt sich wiedermal eine verbreitete Islamfeindschaft. Wegen der Konjunkturprogramme (mit denen sich ja sogar George W. Bush zu Ende einer Amtszeit schon den Unmut der marktradikalsten unter den Republikanern zugezogen hatte) und der geplanten Gesundheitsreform wird Obama als “Sozialist” bezeichnet. Die Krone setzen dem Ganzen die Lügen der Neokonservativen über die Gesundheitsreform auf, die bis zum Vorwurf der Euthanasie gehen und selbst von Ex-Vizepräsidentschaftskandidaten Palin dem amerikanischen Volk aufgetischt werden.

Zu den härtesten und hasserfülltesten Gegenern Obamas gehören, wen sollte es wundern, gering gebildete weiße Amerikaner. Erschreckend ist dann aber, wie diese zunehmend Gewaltbereitschaft signalisieren und schon offen auf der Straße ihre Waffen präsentieren (siehe: Konservative in den USA: Obama, der Nazi-Muslim). Dabei erscheint mir immer wieder erstaunlich, wie radikal und unreflektiert gerade auch die viele der Verlierer des amerikanischen Systems, eben die ungebildeten, gering verdienenden Schichten, dieses System verteidigen und sich gegen Vorhaben der Regierung wenden, die ihre Situation massiv verbessern würde.

Man muss es sich immer wieder vor Augen führen: ein uneingeschränktes Recht auf Waffenbesitzt, Einschränkung bürgerlicher Freiheiten, Folter und Todesstrafe, Durchsetzung amerikanischer Interessen mit Gewalt, keine staatliche Umverteilung und eine so geringe Rolle des Staates in der öffentlichen Daseinsfürsorge wie möglich, das ist die Politik, für die die Gegner Obamas stehen; das Nichtvorhandensein des Klimawandels, Kreationismus und christlicher Fundamentalismus sind die Ideen, an die die meisten von ihnen glauben. Und es gilt sich immer wieder klar zu machen, dass “change” vielleicht in erster Linie ein Wahlkampfslogan war, dass dieser aber nichtsdestotrotz für die USA und für die Welt unerlässlich zu sein scheint.

UPDATE: Laut einem Bericht des britischen Observer (übersetzt beim Freitag: Es fehlt nur noch der Funke) steigt die Zahl gewaltbereiter rechtsextremer Milizen und auch die Gefahr eines Anschlagen auf Obama durch diese wächst. Diese Welle des Hasses ist nach Ansicht vieler Experten von der republikanischen Kampagne gegen die Gesundheitsreform sowie durch Nazi-Vergleiche konservativer Medien ausgelöst worde.

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George W. Bush hat es geschafft!

bush2Man kann es kaum glauben, aber bei einem Anliegen der Republikaner hat “W.” tatsächlich Erfolg gehabt. Die Einkommensungleichheit in den USA ist größer denn je. Zwei Drittel des gesamten Einkommenszuwachses gingen  zwischen 2002 und 2007 zu Gunsten des reichsten Hundertstels der Bevölkerung, allein 2007 gab es dort einen Einkommenszuwachs von 65%. Das reichste Zehntel besitzt nun die Hälfte des Einkommens (in den 70ern war es noch ein Drittel), das reichste Zehntausendstel 6 Prozent (70er: unter 1%).

Und zu alledem kamen Senkungen der Steuern für die obersten Einkommensgruppen. Eine fast besipiellose Umverteilung. Dagegen wirkte die Präsidentschaft Reagans fast wie sozialistische “Gleichmacherei”.

Mit der Präsidentschaft Obamas wird wohl wieder eine leichte Angleichung einhergehen, so wird erwartet. Sozialprogramme, Steuerentlastungen für den allergrößten Teil der Bevölkerung, Erhöhungen für die absolute Spitzengruppe: es ist klar, die Neokonservativen fühlen sich bedroht. Und sie schlagen zurück.

Welche Macht siebush3 inzwischen wieder erlangt haben, zeigt sich u.a. bei der derzeitigen Debatte um die Gesungheitsreform. Menschen, die es “böse” finden, wenn man dafür sorgen will, dass über 40 Millionen Bürger endlich eine Krankenversicherung bekommen – wäre es nicht in jedem anderen Land der Welt andersherum? Woran Clinton einst scheiterte, daran droht nun auch Obama zu scheitern, und die Republikaner frohlocken: so leicht kann man ihr Land auch jetzt nicht an die sozialen Standards aller anderen Industriestaaten angleichen.

Präsident Obamas Visionen erweisen sich also als schwieriger umzusetzen als erwartet, die Widerstände als größer, der soziale Zusammenhalt als geringer. Die 8 Jahre Bush-Regierung haben nicht nur weltweit, sondern auch innerhalb des Landes vieles verändert. Und W. wird sich freuen: er hat ja doch noch etwas geschafft!

bushg

NACHTRAG: Einige Ursachen dafür, dass die Einkommensverteilung in den USA sich immer mehr der von Entwicklungsländern annähert, werden bei Zeit Online Herdentrieb aufgezeigt.

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