Nachdem Stefan Sasse im vorigen Post ein paar populäre Irrtümer über das Mittelalter aufgeklärt hat, sollen auch einige falsche Ansichten über das antike Rom aufgegriffen und berichtigt werden. (Das Folgende ist eine eher lose und recht knappe Zusammenstellung, die eher zum eigenen Nachlesen anregen soll, als dass sie die Themen wirklich erschöpfend behandeln kann. Möglicherweise werde ich das eine oder andere Thema in einem eigenen Beitrag noch etwas ausführlicher behandeln.)
Lautes und leises Lesen
Im Lateinunterricht wird gelehrt, dass die Römer ausschließlich laut lasen. Eine duchaus belustigende und auch Vorstellung, scheint es. Selbst wenn jemand allein zu Hause sitzt und etwas liest, soll er es sich laut vorgelesen haben, etwas anderes habe man in Rom nicht gekannt (und gekonnt). Doch diese Vorstellung beruht in Wahrheit lediglich auf der falschen Interpretationen einiger Textstellen, vor allem einer bei Augustinus. In diesen wunderte er sich, das jemand leise las, was schwubs falsch gedeutet wurde. Man hätte sich nur den Zusammenhang anschauen müssen: In diesem erkennt man, dass dieser Betreffende leise für sich las, obwohl er eine Gruppe Schüler hätte unterichten und ihnen also Z.B. vorlesen sollte – was dann also auch heutzutage ein merkwürdiges Verhalten wäre.
Im antiken Rom war lautes Vorlesen sehr üblich, an vielen Stellen gab es Vorleser. Reichere Römer hatten nicht selten gebildete (oft griechische) Sklaven, die ihnen Texte vorlasen, das Hörbuch der Antike quasi. Jedoch konnten die Römer selbstverständlich für sich allein auch leise lesen, und dies war auch üblich, wie mehrere überlieferte Textstellen belegen. Für weitere Informationen siehe: Wen hörte Philippus? Leises Lesen und lautes Vorlesen in der Antike (pdf)
Der Tyrann Caesar
Gajus Iulius Caesar, der übrigens im Lateinischen “Kaisar” ausgesprochen wurde, gilt gemeinhin als machtbessener Tyrann, der die gesamte Herrschaft Roms allein auf seine Person konzentrieren wollte und der Römischen Republik letztendlich den Todesstoß versetzte. Dabei ist seine Rolle durchaus ambivalenter und keinesfalls einseitig zu sehen.
Es gerät oft in den Hintergrund, dass Caesar auch der Machthaber war, der wie wenige andere die Interessen der Plebejer vertreten hat, der der “Mann des Volkes” war. Sicher geschah dies vor allem auch aus Machtgründen. Dennoch ging es der großen Mehrheit Roms in den Jahren, in denen Caesar die Macht innehatte, so gut wie selten sonst im römischen Imperium. Es gab großzügige Spenden Caesars an das Volk, die Nahrungsmittelversorgung war stets auch für die Ärmsten sichergestellt. Dabei verstand er es, das Volk für einen nicht einmal in der Zeit der Könige gekannten Personenkult zu instrumentalisieren. Die Perspektive, dass der Machthaber Roms allein aus der Gunst des Volkes bestimmt wurde, erschreckte indes viele Adelsvertreter. Denn die Senatoren Roms waren auch nicht alle die selbstlosen, hehren Vertreter der Republik wie etwa Cicero, den meisten ging es nur um den Erhalt ihrer Privilegien, wofür Caesar eine Bedrohung darstellte.
Nero und der Brand Roms
Selbst einer der meistgehassten Personen der Römischen Kaiserzeit, Nero, kann nicht ausnahmslos als der vollkommen verrückte Schurke gelten, wie ihn etwa Peter Ustinov in Quo Vadis darstellte. Der Beginn von Neros Regierungszeit, in dem sein Erzieher, der römische Philosoph Seneca, die Regierungsgeschäfte führte, gilt als eine der glücklichsten Zeiten Roms. Leider entfernte sich Nero jedoch immer mehr von dessen Lehren, bis er Seneca, unter der Annahme, er sei an einer Verschwörung gegen ihn beteiligt gewesen, sogar den Selbstmord befahl. Neros Persönlichkeit war höchst fragil. Er zerbrach auch teilweise an den Anforderungen, die an ihn gestellt wurden. Er wollte von Anfang und auch später an kein Kaiser sein. Er sah sich tatsächlich als großen Künstler und trat auch in Theateraufführungen auf oder auf Sportveranstaltungen an.
In vielem waren seine späten Jahre aber auch von großer Grausamkeit und Willkür geprägt. Ob er jedoch das bekannteste Verbrechen, mit dem er im kolelktiven Gedächtnis verankert ist, der Brand von Rom, wirklich begangen hat, ist unklar und ziemlich umstritten. Es gibt durchaus gute Belege, dass es sich tatsächlich um einen Unfall handelte, und selbst der damalige Vorwurf, die Christen hätten Rom angezündet, ist zwar äußerst unwahrscheinlich, aber nicht vollkommen auszuschließen. Jedoch eignete sich die Persönlichkeit Neros gut für die Vorwürfe, und die anschließende Christenverfolgung tat ihr übriges, dass Nero, auch wenn er vielleicht nicht die Schuld am Brande Roms tragen sollte, dennoch als einer der schlimmsten Kaiser Roms in die Geschichte einging.
Gladiatoren und ihre Kämpfe
Über die Gladiatorenkämpfe gibt es eine Reihe von Irrtümern, die nicht selten durch diverse Spielfilme verbreitet wurden. So waren Kämpfe waren blutig und grausam, doch kam es nicht in der Mehrheit der Kämpfe zu Todesfällen. Schätzungen gehen davon aus, dass bei Zweikampfen in etwa einem von acht Fällen ein Gladiator starb. Nicht selten konnte in der Tat das Publikum entscheiden, ob der im Kampf Unterlegene weiterleben oder (durch einen Schwertstoß ins Herz) getötet werden sollte. Ob es allerdings den Wunsch nach dem Tod des Gladiators mit dem Daumen nach unten anzeigte, ist unklar. Auch für die umgekehrte Richtung oder für ein anderes Zeichen gäbe es Argumente. Überliefert ist es nicht. Ein anderes Beispiel: Der Gruß der Gladiatoren “morituri te salutant” ist nur für einen einzigen Fall, der zudem kein Gladiatorenkampf war, überliefert.
Nicht ausschließlich Sklaven und (Kriegs-)Gefangene kämpften als Gladiatoren, es gab durchaus, und mit der Zeit immer mehr zunehmend, auch freie Bürger, die freiwillig zu Gladiatoren wurden. Gründe mögen in der relativ guten Versorgungslage und der Möglichkeit, einen gewissen Ruhm zu erlangen. Bei einigen Kämpfern kann man wohl von einer Art Starstatus sprechen.
Zuletzt waren die Gladiatorenkämpfe unter den Zeitgenossen, zumindest den Intellektuellen, nicht vollends unumstritten. Insbesondere die Stoa vertrat ein Menschenbild, in das diese nicht passen mochten, und kritisierte sie auch. So sind von Seneca durchaus ablehnende Stellen zu dem Thema überliefert. Der Kaiser und Stoiker Marc Aurel verbot Kämpfe mit scharfen Waffen. Jedoch waren die Kämpfe beim Volk überaus beliebt. Wirksamere Kritik an den Gladiatorenkämpfen, die schließlich zu ihrerr Abschaffung führte, kam jedoch erst mit dem Christentum auf.
Konstantin und das Christentum
Eine enorm wichtige Rolle für die Christianisierung Roms spielte Kaiser Konstantin. Doch ist seine Person, wie kaum eine andere in der Römischen Geschichte, verklärt worden. Seine wahre Persönlichkeit steht in vielem im krassen Gegensatz zum Bild vom gut mütigen christlichen Kaiser. Konstantin war ein äußerst skrupelloser Herrscher. Morde selbst an engsten Verwandten und purer Verrat prägsten sein Handeln, vor allem auf seinem Weg zum alleinigen Kaiser Roms.
Auch seine Hinwendung zum Christentum ist wohl in erster Linie mit dem Interesse eines Machterhalt erklärbar. Konstantin versuchte quasi, auf das richtige Pferd zu setzen, und erkannte im Christentum eine wachsende Religion. Mit seiner Berufung auf göttliche Unterstützung (z.B. der Legende des Sieges unter dem christlichen Kreuz) konnte er seinen Machtanspruch bei einem wachsenden Bevölkerungsanteil untermauern. Auf dem für das Christentum enorm wichtigen ersten Konzil, dem Konzil von Nizäa, konnte er vor allem seine eigenen, oft auch politischen Ziele, direkt durchsetzen. Jedoch ließ Konstantin sich erst auf dem Totenbett christlich taufen. Auch wurde das Christentum nicht unter ihm zur Staatsreligion, sondern erst 43 Jahre nach seinem Tod unter Theodosius I.
Antike und Mittelalter
Das Mittelater gilt gemeinhin als ausnahmesloser Rückschritt gegenüber der Antike. In vielen Bereichen, insbesondere im Geistesleben, ist dies natürlich zutreffend. Allerdings muss man sich auch andere Punkte vor Augen halten, in denen das Mittelalter auch einen Fortschritt bedeutete. Von denen sollen ein paar genannt werden sollen:
Während in der Antike ein erheblicher Bevölkerungsanteil als Sklaven ohne jede Rechte leben musste, gab es im Feudalismus des Mittelalters durchaus Rechte für die Leibeigenen, die nicht gebrochen werden durften. Derart unterdrückt wie die Sklaven der Antike, vor allem die, die auf dem Feld oder im Bergbau o.a. arbeiteten, war im Mittelalter wohl kaum jemand. Und in den freien Städten des Mittelalters herrschten waren die Bürger kaum unfreier, als sie dies die Bürger in der Antike waren.
Auch gab es im Mittelalter durchaus in einigen Bereichen wissenschaftlichen und technische Fortschritte, etwa bei den Medthoden der Landwirtschaft. Gerade diese gewährleistete eine bessere Versorgung mit Nahrungsmitteln und ein Bevölkerungswachstum. Außerdem war der Militäapparat im Mittelalter kleiner als der der der Antike mit ihren riesigen Heeren, wodurch mehr Ressourcen auf produktive wirtschaftliche Bereiche gelenkt werden konnten. Auch das Handwerk des Mittelalters muss sich dabei vor dem der Antikenicht verstecken.
Vor allem in den freien Städten entwickelten sich schließlich durch große Handelsverknüpfungen und später das Aufkommen von Manufakturen die Grundlagen von neueren, fortschrittlicheren Produktionsmethoden und die Grundlagen eines effizienteren Wirtschaftssystems.
Hallo,
ich hätte da ein Bisschen Kritik zum letzten Absatz. 😉
1. Auch im Mittelalter gab es Sklaven (viele wurden in Folge von Kriegen verschleppt, es gab aber auch einen regelrechten Sklavenhandel). Ich weiß nicht, wie viele Sklaven es im Vergleich zur Antike waren, aber prinzipiell scheint mir hier “die” mittelalterliche Gesellschaft nicht fortschrittlicher gewesen zu sein.
Wie es mit den Rechten der Leibeigenen aussah, weiß ich nicht genau – aber das waren sicher kaum festgeschriebene, einklagbare Rechte, sondern allenfalls Gewohnheitsrecht, dessen Realisierung von der Gnade des/der Herren abhing. Das bewegt sich etwa auf dem Niveau antiker Ratgeber für den guten Umgang mit Sklaven – man muss sich eben nicht dran halten. Zumal es im Mittelalter sowieso niemanden gab, der mit Gewaltmonopol die Rechtsverbindlichkeit hätte erzwingen können.
2. Auch was die Produktivität der Landwirtschaft angeht, würde an einem Fortschritt zweifeln. So konnten in der römischen Antike große städtische Zentren wie Rom, Alexandria, Karthago etc. mit genügend Nahrung beliefert werden, während es im Mittelalter jahrhundertelang keine (gar so großen) Städte gab – die Versorgung von ca. 2-3% der Gesellschaft mit Überschüssen (Grundherren usw.) war bereits das maximal Mögliche.
3. Militär. Es war doch wohl eher anders herum: Größere Heere waren im Mittelalter einfach nicht zu versorgen und mangels know how auch gar nicht zu organisieren. Darum massakrierten sich im (zumindest frühen) Mittelalter vor allem mit Knüppeln bewaffnete Haufen von Lehnsleuten, während sich die (römische) Antike organisierte, einheitlich bewaffnete und disziplinierte Legionen leisten konnte (etwas zugespitzt).
Ich denke, dass es einen “Fortschritt” erst wieder ab dem späten Mittelalter gab. Zuvor wird auf diesen (und anderen) Gebieten ein Rückschritt deutlich, bevor sich ab dem 12./13. Jahrhundert dank Klimoptimum eine Art wirtschaftlicher “Aufschwung” ergab, die Städte wuchsen usw. Hier kommen dann einige der Sachen, die du noch erwähnt hast. Aber das war im Prinzip schon die Schwelle zur frühen Neuzeit (in der Literatur wird diese auch manchmal bereits hier angesetzt). Zumindest das frühe Mittelalter wird nicht zu Unrecht oft als “dunkle Zeit” bezeichnet.
Gruß,
daniel.
Zu 1.:
Ok, aber sie spielten zahlenmäßig nicht die Rolle in der Antike. Und so viel ich weiß, gab es in (West-)Europa zumindest keine christlichen Sklaven, sondern “nur Heiden”.
Ein Leben in Sklaverei bedeutete, war es nicht ein gebildeter Haussklave, völlige Rechtlosigkeit und meist Plackerei. Die Leibeigenen des Mittelalters mussten zwar einen Teil ihrer Einkünfte (meist Ernte) an den Grundherren abgeben, waren aber ansonsten in ihrer Lebensführung relativ frei.
Die Rechtssprechung wurde in der Tat erst später (15./16. Jahrhundert) vollends institutionalisiert. Allerdings dürfen wir auch die Bedeutung der Religion im Mittelalter nicht vergessen, die moralische Vorgaben machte, die kaum ein Lehnsherr zu übertreten wagte.
Zu 2. Dabei muss man natürlich das nicht unerhebliche Bevölkerungswachstum zwischen Antike und Mittelalter insgesamt im Auge behalten.
Zu 3: Größere Herre waren auch aufgrund der Aufteilung Adel: Kriegsführung, Leibeigene: Versorgung mit Lebensmitteln in dieser Gesellschaftsordnung nicht vorgesehen. Allerdings waren aber zum Ausgang des Mittelalters auch diejenigen Mächte, die auf größere Streitkräfte mit mehr Infanterie setzten, erfolgreicher.