Die Südamerikareise von Dirk Niebel verdeutlicht den Strategiewandel in der Lateinamerikapolitik Deutschlands wie in seiner gesamten Entwicklungspolitik: Statt um Armutsbekämpfung und Entwicklungschancen geht es vor allem um die wirtschaftlichen Interessen der deutschen Industrie. Dabei arbeitet Deutschland vor allem in Lateinamerika verstärkt mit neoliberal ausgerichteten Staaten zusammen – und dies unabhängig davon, ob diese rechtsstaatliche Grundsätze erfüllen, und selbst davon, ob dort schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden.
Mauerstücke für Bolivien, Millionengelder für Peru
Das neue Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung hatte es eigentlich schon hinreichend beschrieben: Im Vordergrund der Aktivitäten Deutschlands in Lateinamerika und in der Karibik sollen künftig Rohstoffsicherung, Exportförderung und die Absicherung der Interessen deutscher Unternehmen stehen. Hinzu kommen jedoch auch ideologische Gesichtspunkte: Unter Schwarz-Gelb erhalten Staaten mit einer wirtschaftsliberalen Ausrichtung deutlich mehr Gelder als andere. Länder mit einer sozialdemokratischen oder demokratisch-sozialistischen Regierung bekommen in vielen Fällen weniger Mittel.
So wurden etwa die Gelder für Bolivien gekürzt. Doch dabei blieb es nicht: Auf seiner Südamerika-Reise hatte Entwicklungsminister Dirk Niebel ein ganz besonderes Geschenk für Boliviens Präsident Evo Morales im Gepäck: ein Original-Bruchstück der Berliner Mauer. Er überreichte es ihm, so wörtlich, “in Erinnerung an die Überwindung von 40 Jahren sozialistischer Diktatur”. Morales ist zwar demokratisch gewählt, jedoch ist seine Politik eher links ausgerichtet – es gab sogar Verstaatlichungen (worüber Niebel auch gleich seine Besorgnis äußerte). Das ist natürlich zu viel für den überzeugten Neoliberalen Niebel, so dass er offenbar gar eine offene Beleidigung und Brüskierung für gerechtfertigt hielt. In Bolivien traf sich die deutsche Delegation dann auch noch mit zahlreichen Vertretern der rechten Oppositionsparteien.
In Peru dagegen traf man sich nicht mit der Opposition. Kein Wunder, handelt die Regierung dort doch auch getreu dem marktradikalen Dogma und ist ein treuer Verbündeter der EU und der USA. Folglich hat Deutschland ihr bis Ende 2011 bis zu 200 Millionen Euro zugesagt. Schwerpunktthemen der beiden Besuche waren laut Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Bolivien die Verstaatlichung von Unternehmen, gegen die sich Deutschland wendet, in Peru, “dem Schwerpunktland deutscher Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika”, war es die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft.
Kolumbien: Beteiligung an einem Aufstandsbekämpfungsprogramm der Regierung
Noch deutlich weiter geht die neue Ausrichtung der Entwicklungspolitik unter Niebel in Kolumbien. Dort ist geplant, deutsche Entwicklungsexperten an einem Programm zur Aufstandsbekämpfung zu beteiligen. Es geht um ein umstrittenes Sicherheits- und Entwicklungsprogramm der rechten kolumbianischen Führung in der Krisenregion Macarena, einem Nationalpark in Zentralkolumbien. Dies ist eine Region, in der es seit Jahren zu schweren Kämpfen zwischen Guerillaorganisationen gegen Armee und Paramilitärs kommt. Der so bezeichnete „Raum-/ Umweltordnungsplan“ ist Teil eines von Kolumbien in Kooperation mit dem US-amerikanischen Militär entwickelten und 2007 begonnen Aufstandsbekämpfungsprogramms. Es ist deutlich militärisch geprägt, gilt als ein Teil der Militärpolitik im Kampf gegen die Rebellen. Und auch das BMZ selbst offenbart auch ziemlich unmissverständlich den wirklichen Charakter dieses Projekts, wenn es von einer zukünftigen “Ausweitung der bisherigen Zusammenarbeit im Bereich Friedensentwicklung und Krisenprävention auf den Bereich Umwelt- und Naturressourcenschutz” spricht.
Die Beteiligung der deutschen Entwicklungspolitik an diesem Programm ist ein vorläufiger Höhepunkt der von Niebel betriebenen Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit. Zweifelsohne sind dabei die meisten der Rebellengruppen, insbesondere die FARC, kaum als links ausgerichtete politische oder revolutionäre Kraft zu betrachten, sondern eher als gewöhnliche Verbrecherbanden. Die Militärpolitik der kolumbianischen Regierung ist jedoch höchst umstritten. Ihr werden regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Kolumbien ist das Land mit den meisten Morden an Gewerkschaftern weltweit. Auch bei den Morden an Oppositionspolitikern liegen sie im Spitzenbereich. Fehlenden Rechten für Gewerkschaften, unhaltbare Arbeitszustände und Massenvertreibungen sind jedoch Zustände, von denen auch deutsche Firmen profitieren. Dies mag der Grund sein, warum Deutschland die kolumbianische Regierung, die einen großen Teil der Verantwortung dafür trägt, unter Schwarz-Gelb so direkt unterstützt.
Honduras: Unterstützung der rechten Putschisten
Der Abteilungsleiter für Asien und Lateinamerika im BMZ, der Niebel-Vertraute Harald Klein, war bereits 2009 in seiner Rolle als Auslandschef der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung einer der lautesten Propagandisten des Militärputsches in Honduras. Wir erinnern uns: Die Friedrich-Naumann-Stiftung (das ist übrigens die, die gerade einen Preis an die “Islamkritikerin” und Sarrazin-Verteidigerin Necla Kelek vergeben hat) hatte den rechten Putsch in Honduras offen gutgeheißen und unterstützt. Sie lobte den Militärputsch, sprach, ungeachtet politischer Morde, von einer “Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen” und unterstützte die rechtsgerichtete Putschistenregierung trotz zahlreicher Menschenrechtsverletzungen.
Und dies ist kein Einzelfall. Eigene Mitarbeiter werfen der “Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit”, so heißt sie vollständig, vor, sie arbeite in Lateinamerika mit Organisationen der extremen Rechten zusammen. All das ist für die deutschen “Liberalen” wohl gerechtfertigt, wenn es darum geht, eine Politik der Armutsbekämpfung zu verhindern, wenn diese gegen die Interessen der Wirtschaftselite steht.
Politik wie im Kalten Krieg
Dirk Niebel wird vorgeworfen, in Südamerika Gelder für politische Gesinnungsfreunde zu vergeben. Diesen Vorwurf kann man kaum bestreiten. Nein, daran, dass es sich um eine gezielte Strategie der Förderung neoliberaler und rechtsgerichteter Staaten in Lateinamerika handelt, kann kein Zweifel bestehen. Peru und Kolumbien gelten nicht zu Unrecht als “Brückenkopf der USA” in Südamerika und als Partner der NATO, nicht zuletzt wegen ihrer Gegnerschaft zur Bolivarianischen Allianz für Amerika (ALBA). Nicht zu unterschätzen, und vielleicht inzwischen noch bedeutsamer, ist ihre Loyalität gegenüber der EU. In dieser ist Deutschland das Land, das am meisten von den südamerikanischen Rohstoffen profitiert. Ob deren Förderung unter den unmenschlichsten Zuständen zustande kommt, ob die Länder von Militär-Juntas oder Despoten regiert werden, ob sie auch nur die elementarsten Menschenrechte achten, spielt inzwischen nicht einmal mehr eine Nebenrolle.
Die deutsche Bundesregierung bedient sich teils offener Diktaturen, teils korrupter Regime und neoliberaler Brüder im Geiste in den lateinamerikanischen Regierungen, die bereit sind, die Ausbeutung der eigenen Bevölkerung zugunsten der Industriestaaten fortzusetzen – wenn sie als mächtige Elite im Lande ebenfalls profitieren. Deutschland wie die EU und die USA betrachten viele Regionen der Welt immer noch als Quasi-Kolonien, die ihrer Wirtschaft zu dienen haben. Die Entwicklungspolitik unter Niebel erinnert stark an das Verhalten der USA während des Kalten Krieges: Staaten, die die freie Marktwirtschaft unterstützen, und seien es noch so schlimme Diktaturen, erfahren Unterstützung. Alle anderen können ruhig in Armut verbleiben.
Eine Art “Kalter Krieg”, so könnte man es aber auch ausdrücken, geht heute weltweit weiter. Nur geht es diesmal um den Konflikt zwischen einer totalen, zügellosen, von großen internationalen Konzernen vorangetriebenen Globalisierung der Weltwirtschaft, die auf Abbau von sozialen und Umweltstandards, Senkung von Sozialausgaben, Deregulierungen und Privatisierungen drängt, und einer Politik, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit sozialer Verantwortung, Verminderung von Armut und Ungleichheit sowie mit ökologischer Nachhaltigkeit verbinden will. Manche der linken und demokratischen Regierungen, gerade in Südamerika, aber gefährden wegen teilweise beachtlicher sozialer und wirtschaftlicher Erfolge die Dominanz und die Überzeugungskraft der neoliberalen Konzeptionen. Daher wird von den westlichen Regierungen und ihren Medien immer mehr versucht, diese zu delegitimieren und zu destabilisieren. (Man betrachte etwa die überaus einseitige Berichterstattung vor allem zu Venezuela, aber auch zu Bolivien. Selbst in Brasilien versuchten die westlichen Medien aus einer obskuren evangelikalen Kandidaten eine normale Grüne, im Gegensatz zu den angeblich erfolglosen Sozialisten, zu machen). Doch die Erfolge dieser Länder sprechen, jeglichem Agitprops, für sich.
Kritik von allen Seiten
Starke Kritik an Niebels Südamerikareise und der neuen deutschen Linie der Entwicklungszusammenarbeit kommt beispielsweise aus den nicht-neoliberalen Teilen der deutschen und der internationalen Presse, von Attac, aber auch von deutschen entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen. Vor allem wird das Engagement in Kolumbien und dessen militaristische Ausprägung bemängelt. Auch der unter Niebel eingeleitete Strategiewechsel in der Entwicklungspolitik hin zu engerer Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft erfährt deutliche Kritik von Entwicklungsorganisationen, die die Gefahr sehen, dass nur noch zugunsten deutscher Wirtschaftsinteressen gehandelt und wichtige Entwicklungsziele vernachlässigt würden. Diese Befürchtung hat sich aber schon längst bewahrheitet.
Das Verhalten der Deutschen beim Milleniums-Zwischengipfel war ein unrühmlicher Tiefpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit: Deutschland entpuppte bei den Bemühungen, Armut, Hunger oder Krankheit weltweit zu bekämpfen, als Verlangsamer, wenn nicht teilweise als Blockierer. Jetzt erntet die Bundesregierung wegen ihrer eigennützigen und geringen Entwicklungshilfe auch deutliche Kritik von der OECD. Unter anderem wird beanstandet, dass sie ihre Hilfszusagen nicht eingehalten habe. Nicht zuletzt gilt dies für die Gesamthöhe der Entwicklungshilfe: Im Jahr 2009 sank diese gar und lag bei 0,35 statt der versprochenen 0,51% des BIP. Die Regierung, so die OECD weiter, habe keine wirklichen Pläne für die Entwicklungspolitik, und sie richte diese vor allem zugunsten der deutschen Exportwirtschaft aus. Außerdem vergebe sie einen zu großen Teil der Entwicklungshilfe in Schwellenländer und deutlich zu wenig an die ärmsten Regionen, besonders an Afrika.
Während weltweit die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter wächst, wird die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung, eben auch ihre Entwicklungspolitik, diese nicht womöglich verringern, sondern gar vergrößern. Es wird immer wahrscheinlicher, dass Dirk Niebel als schlechtester Bundesminister aller Zeiten in die deutsche Geschichte eingehen wird – so wie die gesamte schwarz-gelbe Regierung als schlechteste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik. Bei aller berechtigten Kritik an ihrer Politik innerhalb Deutschlands sollten wir nicht übersehen, welchen Schaden sie auch international verursacht.
Bilder:
(1) Spiegelfechter (2) Picasa (Hugo) / CC-BY 3.0 (3) Wikimedia (Grundkarte Shadowxfox, Relief Alexrk2) / CC-BY-SA 3.0 (4) Wikimedia (Roberto Breve) / CC-BY-SA 2.0 (5) Wikimedia (Claus-Joachim Dickow) / CC-BY-SA 3.0
“in Erinnerung an die Überwindung von 40 Jahren sozialistischer Diktatur”
Niebel ist eine dermaßen peinliche Pfeife, das man den nirgens hinfahren lassen kann.
Aber vielleicht will er ja auch nur die Abschaffung des Ministeriums, dass er gerade solange für überflüssig hielt, bis es ihm einen Deinstawagen bescherte, vorantreiben.
Ich glaube er hat inzwischen umgeschwänkt: Er hat erkannt, dass er mit dem Ministerium noch mehr in Richtung neoliberaler Politik und auch in seinem Interesse der Ausbeutung (so muss man es nennen) der Entwicklungsländer erreichen kann, als wenn er es abschafft.