Von Stefan Sasse
Die schwarz-gelbe Regierung hat endlich ihr Sparpaket vorgelegt, das unbedingt bis zur Steuerschätzung im Mai (lies: Landtagswahl in NRW) warten musste. Bereits im September wurde in der einschlägigen Bloggerszene prophezeit, dass Schwarz-Gelb bis zu dieser Wahl stillhalten und die großen Grausamkeiten erst danach in der relativen Ruhe bis zur nächsten Landtagswahl 2011 anbringen würde. Auch, dass es dabei vor allem der Mittelschicht und den Armen an den Kragen gehen würde, war von vornherein klar. Erschreckend ist deshalb weniger das Sparpaket selbst, als vielmehr wie wenig überraschend jeder einzelne Vorschlag eigentlich ist. Aber gehen wir analog zu einer halbwegs informativen Bilderstrecke in der SZ die elf großen Bereiche durch, in denen die Regierung den Rotstift angesetzt hat – oder korrekter den Schwarzstift, denn es handelt sich fast nirgends um Sparvorschläge, sondern eigentlich immer um Einnahmeerhöhungen.
1) Arbeitslosengeld
Das Arbeitslosengeld I soll gekürzt werden. Wie genau, steht noch nicht fest, aber Merkel sieht da großes Potential. Es ist anzunehmen, dass die Regierung vor allem die Änderungen im Blick hat, die die SPD unter der kurzen Ägide Beck durchgeboxt hat und ungefähr auf den Kostenstand vor dieser Reform zurückkommen will. Viel mehr ist kaum möglich. Interessanter ist das Orakeln von einer Umstrukturierung des Arbeitslosengeldes, das man aus Regierungskreisen vernimmt. Vermutlich wird hier eine weitere kosmetische Korrektur auf uns zukommen, die vor allem eines bewirkt: Geld zu kosten und neue Forderungen an die Bezieher von Leistungen zu stellen. Es heißt, dass die Agenturen “sich darauf konzentrieren sollen, Jobs zu vermitteln”. Das allerdings ist natürlich geradezu erschreckend innovativ und in etwa so zielführend wie das Wasserschöpfen mit einem Sieb. Noch immer wird so getan, als ob es fünf Millionen offene Stellen gibt, die die Unternehmen händeringend zu vergeben suchen. Diese Reform dürfte also bestenfalls aufkommensneutral sein, aber in Wahrheit wohl eher Geld kosten. Sie ist allerdings für das schwarz-gelbe Selbstverständnis von zentraler Bedeutung; besonders nach Westerwelles Poltereien ist es unvorstellbar, dass nicht zumindest symbolisch bei den Arbeitslosen “gespart” wird.Gering- und Normalverdiener werden allerdings an dieser Stelle ebenfalls zur Kasse gebeten: der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll kurzfristig von 2,8% auf 3% und mittelfristig noch weiter steigen.
2) Elterngeld
Das Elterngeld, erst 2007 von Ursula von der Leyen eingeführt, soll ab einer Bezugshöhe von 1.240 Euro von 67% des letzten Nettogehalts auf 65% des letzten Nettogehalts gekürzt werden; die Obergrenze von 1.800 Euro bleibt unangetastet. Wer vorher viel verdient hat, wird also nichts spüren, wer vorher schon wenig hatte, hat künftig noch weniger. Diese Maßnahme dürfte tatsächlich Geld einsparen, aber sie ist für die selbst gesteckten Ziele der Koalition vollkommen widersinnig, will man doch für eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf und höhere Geburtenzahlen sorgen. Das Signal, dass das Elterngeld prinzipiell zur Disposition steht und jederzeit gekürzt werden kann animiert natürlich nicht unbedingt zur Familiengründung.
Viel schlimmer ist die Elterngeldstreichung für Hartz-IV-Empfänger. Sie sollen ab sofort überhaupt kein Elterngeld mehr beziehen, da der Grundbedarf durch Hartz-IV bereits abgesichert sei. Dies ist ein weiterer Schritt in Richtung einer härteren Linie gegen Arbeitslose im Westerwelle’schen Sinne, aber sie dürfte ebenfalls größtenteils Symbolik zu Lasten der Schwächeren sein. Gerade vor dem Hintergrund des BVerfG-Urteils und der bestehenden Gesetzeslage können die Arbeitslosen durch die Streichung andere Leistungen einfordern. Dies ist aber für die Koalition irrelevant, da sie eine große Einsparung im Bereich des Elterngelds verkünden und die Summe ihren Sparzielen hinzufügen kann, während die dann steigenden Ausgaben im Arbeitsministeriums-Etat gewissermaßen “unvorhergesehen” hinzukommen werden und das Saldo auf diese Art wieder ausgleichen.
3) Öffentlicher Dienst
Im Öffentlichen Dienst sollen bis zu 10.000 Stellen gestrichen werden. Nun sind dort aber bereits seit 1998 fast die Hälfte aller Vollzeitstellen weggefallen; eine weitere Ausdünnung des Dienstes, dessen Beschäftigungsniveau inzwischen unter das Großbritanniens gefallen ist, ist rein technisch kaum mehr möglich. Davon abgesehen wurden im Öffentlichen Dienst schon in mehreren Großreformen zuvor, etwa unter Eichel und Waigel, Stellen abgebaut, indem man schlicht verfügte, dass sie nicht neu besetzt werden, wenn der bisherige Inhaber in Rente geht. Das bedeutet, dass auch diese Einsparungen kosmetisch sind, da sie – wenn überhaupt – erst in vielen Jahren und über Jahrzehnte gestreckt wirksam werden. Davon einmal abgesehen ist eine Stellenstreichung im Öffentlichen Dienst ohnehin stark kontraproduktiv; der Spareffekt dürfte also gleich null sein.
4) Bundeswehr
Bis zu 40.000 Stellen will die Bundeswehr abbauen, dazu mehrere Standorte schließen. Guttenberg stellte sogar offiziell die Wehrpflicht selbst zur Disposition, auch wenn dies ein rein polittaktisches Manöver war. Tatsächlich wäre das Einsparpotential hier beträchtlich, wenn man endlich davon absehen würde, sich in außenpolitische Abenteuer in bester wilhelminischer Kolonialtradition zu stürzen. Alleine Afghanistan kostet jedes Jahr einen Milliardenbetrag, und auch diverse immer noch laufende Rüstungsverträge aus der Zeit des Ost-West-Konflikts (Stichwort Eurofighter) wären überdenkenswert. Generell ist das Einsparpotential im Wehrdienstbereich, der kaum als Hülle übrig bleiben wird, hoch – zugunsten einer Berufsarmee. Dazu kommt, dass der Vertrag von Lissabon ohnehin ein Aufrüstungsgebot enthält, auf das Guttenberg möglicherweise spekuliert – seine große Sparbereitschaft, öffentlichkeitswirksam verkündet, könnte also bequemerweise von Brüssel gestoppt werden.
5) Deutsche Bahn
Angeblich soll die DB dazu verpflichtet werden, eine jährliche Dividende von 500 Millionen Euro zu überweisen. Dieser Schritt kommt überraschend und ist absolut vernünftig. Unter der Ägide Mehdorn hat die Bahn gigantische Gewinne auf Kosten der Substanz eingefahren, eine Politik, die sich auch unter Grube nicht wesentlich geändert hat. Da es im Zweifel ohnehin der Bund ist, der das marode Schienennetz ersetzen muss, ist die Einforderung dieser Dividende nur konsequent. Man fragt sich, wo der Haken liegt. Wahrscheinlich erhöht die Bahn bald die Preise mit der Begründung dieser Dividende.
6) Atomenergie
Die Regierung will sich die Verlängerung der Laufzeiten etwas kosten lassen (also außerhalb der Bestechungsgelder). Zu diesem Zweck soll eine Brennelementesteuer in Höhe von etwa 2,3 Milliarden jährlich erhoben werden. Schwarz-Gelb geht damit ungewohnt hart an die Töpfe der Energiebranche, aber erstens hat man denen all die Jahrzehnte zuvor das Geld wirklich mit vollen Händen hinterhergeworfen, seit der Privatisierung ohnehin, und zum Zweiten ist das immer noch nur ein echter Bruchteil der Gewinne. Trotzdem ist es eine positive Überraschung, dass die Energiewirtschaft wenigstens ein bisschen was zurückgeben muss. Zu befürchten ist allerdings, dass e.on und Co wie auch die Bahn einfach ihre Preise erhöhen werden.
7) Subventionsabbau
Über diesen “Sparvorschlag” kann man nur müde lächeln. Zum Einen verspricht jede Bundesregierung, Subventionen abzubauen, und zweitens steht zu befürchten, dass damit “Subventionen” wie der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel gemeint sind und nicht der für Hotels. Die SZ nennt die Abschaffung der Befreiung des Flugverkehr von der Ökosteuer, die für die Unternehmen bisher 24 Milliarden sparte. Man darf allerdings skeptisch sein, ob tatsächlich solche Subventionen angegangen werden – eine Parteispende an die FDP, und schwupps erkennt die, wie wichtig diese oder jene Subvention ist.
Gestrichen werden sollen auf jeden Fall auch Hilfen für den Wohnungs- und Hausbau, die zu Lasten der Mittelschicht gehen, aber andererseits auch nicht wirklich zu rechtfertigen sind – warum sollten diese Menschen Hilfen für ihren eigenen Wohnraum erhalten, wenn andererseits Hartz-IV-Empfänger alles Mögliche gestrichen bekommen? Der Wohnungsbau auf der grünen Wiese hat außerdem infrastrukturell und ökologisch verheerende Folgen gehabt. Ebenfalls gestrichen werden soll der Heizkostenzuschuss für Geringverdiener, erst 2008 eingeführt, mit der Begründung, dass sich die Energiekosten wieder normalisiert hätten.
8.) Bankensektor
Nicht einmal die FDP ist mehr ernsthaft dagegen, den Banken irgendeine Art von Steuer aufzuerlegen, um sie an den Kosten ihrer eigenen Rettung zu beteiligen. Die Art, wie dies geschehen soll, ist allerdings hochumstritten. Dass etwas passieren muss ist angesichts der Stimmung in der Bevölkerung unumstritten, es ist völlig klar, dass Tatenlosigkeit hier sich äußerst negativ für die Regierungsparteien bemerkbar machen wird. Merkel redet derzeit immer noch von der auf globaler oder zumindest europäischer Ebene einzuführenden Transaktionssteuer, aber das ist vollkommen irreal. Zumindest Großbritannien wird sicher nicht mitmachen, und global ist auch auf die USA nicht wirklich zu bauen. Vermutlich wird sich hier die FDP nach einem politischen Schattengefecht durchsetzen, so dass es nur eine Finanzaktivitätssteuer auf Gewinne geben wird. Diese wird zwar vermutlich auch Geld einbringen, aber erstens nicht so viel und zweitens fehlt ihr der regulierende Effekt.
Zu diesen Vorschlägen kommen weitere kleine Dinge wie die Verschiebung des geplanten 500-Millionen-Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses. Insgesamt aber nimmt sich die Liste nicht besonders beeindruckend aus. Es finden sich diverse kosmetische Änderungen darunter, die lediglich Geld hin und her schichten, dabei jedoch als Einsparungen ausgegeben werden können, und es wird garantiert als Bonbon für die FDP auch noch eine rein kosmetische Steuersenkung im Mittelschichtbereich geben, die durch eine der geplanten Abgabenerhöhungen wie den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ohne Zweifel aufgefressen werden wird.
Die Koalition doktert völlig ideenlos mit veralteten Rezepten herum und schnibbelt planlos an den Etats. Bisweilen blitzt sogar so etwas wie Wille durch, zum Großteil geht es aber lediglich darum, die eigene Wählerschaft ruhig zu stellen. In erstere Kategorie fallen die Abgaben für Bahn und Energiewirtschaft, in letztere die Streichungen im Arbeitslosenbereich. Auf diese Art kann die Regierung nach beiden Seiten hin den Plan rechtfertigen: die Masse des Volkes wird mit dem Verweis auf Einschnitte bei den Krisenverursachern ruhiggestellt, während gleichzeitig der Verdacht aus der Welt geräumt wird, sie könnte zu soft gegenüber den Hartz-IV-Empfängern sein, womit die Westerwelle-Fans beruhigt sind.
Leider wird das alles – abgesehen von einer Beruhigung des stark angeschlagenen schwarz-gelben Koalitionsschiffs – wenig nützen. Die Einnahmesituation des Staates wird sich leicht verbessern, während die Ausgaben ein klein wenig sinken, aber letzten Endes werden sich die tatsächlichen Effekte im niedrigen einstelligen Milliardenbereich finden, da davon auszugehen ist, dass die Kosten für die Arbeitslosen krisenbedingt noch weiter steigen werden und einige Infrastrukturmaßnahmen bereits so lange verschleppt wurden, dass sie irgendwann noch getätigt werden müssen.
In diese Rechnung ist dabei noch nicht einmal die Problematik aufgenommen, dass die Kürzungen, die die Koalition hier vornehmen will, in der aktuellen wirtschaftlichen Gesamtsituation höchst kontraproduktiv sind, da die bisherigen Defizitländer wie die PIIGS-Staaten oder die USA inzwischen ernsthaft zu einer Konsolidierung der Außenhandelsbilanz entschlossen sind. Versucht auch Deutschland, über Kürzungen einen Konsolidierungserfolg zu erreichen, ist dieser Versuch aller Wahrscheinlichkeit nach zum Scheitern verurteilt, wie beispielsweise von Weizsäcker erst in der FAZ feststellte.
Links:
Weißgarnix – Säue und Gurken
Weißgarnix – Berliner Luftschlösser
Weißgarnix – Kein Freibier mehr!
Weißgarnix – Luftbuchungen im Rangierbahnhof
FR – Rechnung ohne die Realität gemacht
SZ – Koalition ohne Idee
Ruhrbarone – Sparen ohne Ideen
FAZ – Das Janusgesicht der Staatsschulden