Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts

Wenn er einmal etwas anderes hören wolle, als was 90% der Ökonomen in Deutschland erzählen, solle er Heiner Flassbeck einladen – dann könne man sich selbst ein Bild davon machen, wer Recht hat. So leitete Felix Hofmann vom AStA der Universität Trier einen Vortrag von Heiner Flassbeck zum Thema “Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts” ein. In einem prall gefüllten Hörsaal sprach dieser am Montag über die Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert, über internationale Krisen der Wirtschaft und der Umwelt, und über Maßnahmen jenseits des neoliberalen Mainstreams in den deutschen Wirtschaftswissenschaften. Eine Aufzeichnung des Vortrages (MP3) ist hier zu finden.

Jahrhundert der Krisen

Flassbeck erläuterte zunächst, dass die Welt zurzeit mehrere ernste Krisen durchlaufe, so beispielsweise eine Umwelt-, eine Schulden-, eine Handels-, eine Arbeitsmarkt- und eine Finanzkrise. Die Finanzkrise habe eine der schlimmsten weltweiten Krisen überhaupt dargestellt. Dennoch, so merkte er an, habe es in Folge der Finanzkrise, anders als bei anderen vergleichbaren Ereignissen, nicht etwa Untersuchungskommissionen gegeben, und noch nicht einmal Diskussionen über die Ursachen oder etwa über die “Systemrelevanz“ von Banken. Vor zweit Jahren seien alle auf einmal Keynesianer gewesen. Heute wollen viele davon nicht mehr wissen und vertrauen wieder der neoliberalen Lehre.

Ein zentrales Thema des Vortrages waren die internationalen Finanzmärkte. Die meisten internationalen Rohstoffpreise sind nicht von realem Angebot und realer Nachfrage bestimmt, sondern “financialized”, werden auf Finanzmärkten bestimmt, und sind damit auch für Spekulationen anfällig. Die Spekulation auf Nahrungsmittel hatte im Jahr 2008 zu einer weltweiten Hungerkrise und zu Toten geführt. Anders, als es die Finanzinstitute ursprünglich vorhatten, als sie sich auf den Rohstoffmarkt ausbreiteten, diversifizierten sie nicht das Risiko, sondern potenzierten es im Gegenteil. Ob Rohstoffpreise, Devisen, Staatsanleihen, Aktien: Sie alle werden auf Finanzmärkten gehandelt – und sie alle folgen in ihrem Trend fast haargenau den gleichen Zyklen. Gibt es auf einem Markt eine Krise, geht die mit Krisen auf allen anderen einher, gibt es einen Aufschwung ebenso. Seit März 2009 geht es auf ihnen allen wieder bergauf – die Frage ist jedoch, wie lange, bis dass die nächste Spekulationsblase platzen wird. (more…)

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Neoliberale Glaubenskrieger

Nirgendwo wurde seit dem Paradigmenwechsel in den 70er-Jahren vom Keynesianismus zum Angebotsdogma mit so deutscher Konsequenz auf die neue Heilslehre gesetzt, so radikal zwischen Gut und Böse getrennt und alles andere verteufelt. Nirgendwo werden ökonomische Vorstellungen mit derart quasireligiösem Eifer verkämpft und wird eine einzige ökonomische Vernunft postuliert – was jeden Widerspruch praktischerweise als Mangel an Einsicht aussehen lässt. Und während US-Wissenschaftler ganz sportlich das Etablierte infrage stellen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, leben und sterben deutsche Kollegen mit dem Problem, die große Wahrheit bei den Ungläubigen endlich unterzukriegen.

(Thomas Fricke über die deutsche Mainstream-Ökonomie, die sich, während sonst weltweit in der Ökonomie langsam ein Umdenken einsetzt,  immer noch an veraltete Dogmen klammert, die immer noch davon ausgeht, dass die Finanzkrise nur durch böse Politiker und Fehler Einzelner entstanden ist und dass die größten wirtschaftlichen Gefahren in Deutschland Schulden und Inflation seien.)

In der Tat ist es auch immer wieder erstaunlich, wie die Vertreter des Neoliberalismus, die normalerweise so etwas wie Werte und moralische Überzeugungen ablehnen und eine bloße Zweckrationalität fordern, die bei Begriffen wie “Gerechtigkeit” oder “Solidarität” in verächtlichen Zynismus übergehen, wie sie, wenn sie allein das Wort “Markt” benutzen, in eine Verzückung überzugehen scheinen, als sei ihnen der heilige Geist erschienen. Wie Religiöse von ihrem Gott, so sprechen sie von den Marktmechanismen, wie Erstere an eine göttliche Gerechtigkeit als letzte Instanz glauben, so glauben sie an eine, nun, man kann es wohl kaum Gerechtigkeit nennen, aber an eine Endlegitimation, an einen Endzweck im Markt. Die Ergebnisse des Marktes sind unfehlbar für die einen wie Gottes Wort für die anderen.

Dabei dürfen wir aber nicht den Fehler machen, den Markt nur als einen Mechanismus zu verstehen, durch den Angebot und Nachfrage in Einklang gebracht werden. Nein, der Markt steht bei ihnen als die Plattform der ungezügelten Konkurrenz, auf dem sich der Mensch als Homo Oeconomicus gegen den anderen Menschen durchsetzen muss – am besten immer und überall. Und natürlich gibt es dort Gewinner und Verlierer. Das Ergebnis des Marktes beruht also nicht, wie bei Anhängern religiöser Bewegungen, auf einer umfassenden Vernunft oder ähnlichem, sondern auf den Ergebnissen des Wettbewerbes, auf dem sich der klügste, schnelleste, stärkste, was auch immer, durchsetzt. Und der Verlierer ist nicht der, der gesündigt hat o.ä., also der, der bestimmte, bekannte Regeln gebrochen hat, sondern einfach der, der auf dem Markt verliert. Hier wie dort trägt aber der Verlierer selber an seinem Schicksal selbst die Schuld (natürlich immer aus der Sicht derer, die sich selbst als Gewinner, als Leistungsträger oder Erleuchtete oder Auserwählte sehen).

Und das, denke ich, ist der Grundsatz der Ideologie, die sie verehren, die sie predigen (ein Grundsatz, der in der Form, wie man an ihm festhält, zwar religionsartige Züge trägt, inhaltlich in gewisser Weise aber auch als Gegenstück zu Religionen oder philosophischen Richtungen  gesehen werden kann): die Wirtschaft wie die Gesellschaft sollen nicht durch Werte, nicht durch eine wie auch immer festzustellende oder zu bildende Vernunft, nicht durch Demokratie oder durch Planung, geregelt werden, sondern durch Wettbewerb und Konkurrenz, die blind sind für Zwecke und Werte, auf denen die, die sich durchsetzen, die Gewinner sind nicht durch bestimmte Qualifikationen und nicht legitimiert durch Werte, sondern nur durch den Vorgang selbst legitimiert, dass sie sich durchgesetzt, dass sie gewonnen haben. Dass Bestehende ist nicht vernünftig, es ist das Ergebnis der Erfolgreichen im Konkurrenzkampf, es soll aber auch nicht vernünftig sein, es soll nicht zur Vernunft gebracht werden. Denn der Markt ersetzt die Vernunft. Wer eine religiöse oder quasi-religiöse Überzeugung hat, auf dem alles, was ein Gott angeblich sagt, oder das, was sich aus dem Marktgeschehen ergibt, das Letzte, das Endgültige, das nicht zu Hinterfragende ist, braucht diese nicht mehr.

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Neoliberalismus, Agenda 2010 und Hartz IV: was würden Marx und Engels sagen?

Kann man moderne Erscheinungen auf Grundlage einer marxistischen Theorie, v.a. der Marxschen Werttheorie, deuten? Mal ein Gedankenspiel: wie würden Karl Marx und Friedrich Engels z.B. den Wandel des Kapitalismus hin zu einer neoliberalen Variante erklären? Was würden sie, um etwas noch Aktuelleres zu nehmen, zur Agenda 2010 und zu Hartz IV sagen?

Beispiel 1: Neoliberalismus

Marx und Engels beklagten das Denken in Tauschverhältnissen. In den kapitalistischen Systemen herrscht aufgrund der die gesellschaftlichen Beziehungen dominierenden Wertstrukturen eine Tauschrationalität, der nur Gleichwertiges gilt, die von konkreten Eigenschaften abstrahiert.

Heute werden immer mehr gesellschaftliche Bereiche unter Marktmechanismen (als Kapitalverwertungsprozesse) unterworfen; der Ökonomisierungsprozess, den bereits Marx prognostiziert hat, nimmt immer weitere Ausmaße an. Der Spätkapitalismus hat sich vom Wohlfahrtsstaat und organisierten Kapitalismus gewandelt und mehr Züge eines liberalen, finanzmarktgesteuerten, marktbasierten Kapitalismus angenommen. Es gibt kaum einen Bereich mehr, in dem nicht die Kategorien des Marktes und der Konkurrenz gelten. Die Beschäftigten sind nicht mehr nur für den Gebrauchswert-, sondern auch für den Verwertungsapekt ihrer Arbeit zuständig. Die Subsumtion der Arbeit unter das Kapital ist eher noch stärker geworden. Wie Arbeit (und zwar für Kapitalisten wie Arbeiter) immer öfter nur noch Mittel zur Produktion von mehr Geld – als mehr Tauschwert – ist, so werden auch die Beziehungen der Menschen immer mehr von einer Tauschrationalität erfasst. Die Marktbeziehungen und ihre Rationalität weiten sich auf immer mehr gesellschaftliche eaus. Die Grundstrukturen des Kapitalismus sind nicht auf Produktion und Distribution beschränkt.

„Zweckrationales“, manipulatives Denken, Atomisierung und Egoismus kennzeichnen die Industriegesellschaften nach der geistig-moralischen Wende zum Neoliberalismus, die sich als alternativlose darstellen wollen. Angesichts dieser Entwicklungen bieten sich an die Marxsche Analyse der Wertform anlehnenden Konzepte (etwa der Kritischen Theorie) wertvolle Hilfen zur Deutung dieser Vorgänge, auch wenn die Gegenmittel, die sie bieten kann, aufgrund ihrer Radikalität immer schwieriger durchsetzungsfähig erscheinen.

Beispiel 2: Agenda 2010 und Hartz IV

Nach der neoklassischen Wirthschaftslehre, der die Konstrukteure und Befürworter von Maßnahmen wie der Agenda 2010 und Hartz IV folgen, entsteht Arbeitslosigkeit, wenn die Lohnhöhe über der Grenzproduktiität der Arbeit liegt. Durch Hartz IV wurde gezielt das Lohnniveau gedrückt, im Niedriglohnbereich auf eben das gesunkene Niveau der Sozialleistungen, aber auch in den anderen Bereichen kam es oft zu Reallohnsenkungen. Der Niedriglohnsektor ist massiv expandiert. Und selbst auf einem Niveau, das kaum über dem von Hartz IV liegt, werden die Menschen nun gezwungen, jede Arbeit anzunehmen. Und da nun die Löhne, wie beabsichtigt, so stark gesenkt wurden, dass sie oft auf Hartz IV-Niveau liegen, sollen wiederum die Sozialleistungen gesenkt werden. Begründet wird dies dann mit dem “Lohnabstandsgebot”. Doch gerade so ein Vorgehen wurde auch mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe plus der Senkung verfolgt. “Arbeit muss sich wieder lohnen”. Doch wenn die Löhne fallen, ist die Folge für die marktradikalen Agitatoren und die Mietmäuler der Arbeitgeber-Lobbys nicht eine (wie auch immer zu erreichende) Erhöhung der Löhne, sondern wiederum eine nochmalige Senkung der Sozialleistungen. Ein Teufelskreis in den Abgrund.

Quelle: http://www.flickr.com/photos/dunechaser/104968057/ unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

Die Politik folgte bei Hartz IV altbekannten Mustern des Kapitalismus, zumal seiner neoliberalen, marktradikalen Ausprägung. Marx hatte erkannt, dass der Arbeitsmarkt ein besonderer Markt ist, da die Arbeiter, da nicht im Besitz von Produktionsmitteln, nur ihre Arbeit zu verkaufen hätten:

Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner
Arbeitskraft nötigen Sachen.
(Das Kapital Band I, Erstes Buch, Viertes Kapitel)

Marx sagte, dass das Kapital dazu tendieren wird, der Arbeit nur das zu bezahlen, was sie zu ihrer Erhaltung und Reproduktion (sprich: zum Überleben und sich Vermehren) benötigt (den übrigen Wert, den die Arbeiter schaffen, eignen sich die Kapitalisten als Mehrwert an und schaffen dadurch Kapital). In Zeiten, in denen das Reserveheer der Arbeitslosen im Millionenbereich liegt, tritt selbst dieser Minimalaspekt in den Hintergrund. Der Wert, den das Kapital der Arbeit zu zahlen bereit ist, hat laut Marx immer ein historisches und moralisches Element. In den letzten Jahrzehnten sind in Deutschland trotz kontinuierlichem Wirtschaftswachstums die Löhne real gesunken (von 2000 bis 2007 etwa als dem einzigen EU-Land), hat die Lohnquote massiv abgenommen. Das Kapital hat es geschafft, seine Gewinneinkünfte massiv zu steigern. Diese Gewinne aber werden zu einem sogar abnehmenden Teil für Investitionen verwendet, sondern gehen immer mehr in Spareinkommen und suchen sich Betätigungfelder auf den Finanzmärkten. Auf diesen nun ist der Tauschwert (das Geld) vollkommen vom Gebrauchswert (der Nützlichkeit der Verwendung von Gütern) entkoppelt, der Fetischismus des Geldes zur höchsten Stufe erklommen.

Auch die Bezahlung der Arbeit ist von ihrem Gebauchswert, von ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit entkoppelt. Der Arbeitslohn resultiert aus Knappheit, dass ist richtig. Doch alle Knappheit ist nebensächlich, wenn die daher hochbezahlte Arbeit tatsächlich gesellschaftlich nicht nützlich, sogar schädlich ist, und die ganze Irrationalität dieser kapitalistischen Struktur zeigt sich, wenn Studien beweisen, dass niedrig bezahlte Tätigkeiten wie KRankenschwester oder Müllmann deutlich wertvoller für die Gemeinschaft sind, als etwa Steuerberater oder Börsenmakler (die nicht nur keine Gebrauchswerte, keine nützlichen Dinge schaffen, sondern sogar insgesamt Geld, also Tauschwerte, vernichten. Die größten Vertreter des Kapitalismus zerstören gesamtgesellschaftlich also das, worauf der Kapitalismus aufbaut – es wäre ja lustig, wenn die Folgen nicht die Gemeinschaft zu tragen hätte).

Die Flexibilierung des Arbeitsmarktes, die Erleichterung der Leiharbeit, die Senkungen der Sozialleistungen und die anderen Maßnahmen der Agenda 2010 verstärkten den Arbeitsmarkt als einen “nicht perfekten Markt”. Man hat nicht mehr die Möglichkeit, über die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit frei zu entscheiden, wenn man andernfalls mit Sanktionen bedroht ist. Die Subsumtion der Arbeit unter das Kapital wurde nur vertieft.

Aufgabe einer progressiven Politik und Aufgabe der “Arbeit” (also all derjenigen, die nicht im Besitz der Produktionsmittel sind) ist der Kampf um die Steigerung der Entlohnung der Arbeit, um die gesellschaftliche Aneignung des Mehrwerts. Das Mittel dazu ist in diesem Fall klar: eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze. Und auch Mindestlöhne können ein Weg sein. Der historische und moralische Kampf um ein menschenwürdiges Existenzminimum wurde vor Gericht nicht entschieden – er ist also um so mehr ein Kampf gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse.

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Die Finanzkrise und die VWL: ist die Ökonomie doch noch lernfähig?

Immer mehr Volkswirtschaftler kommen offenbar endlich zu der Erkenntnis, dass die Theorien und Modelle des bisherigen neoklassischen Mainstreams wenig mit der Realität zu tun haben. Auf der Jahrestagung der American Economic Association (AEA), der weltweit wichtigsten von Ökonomen, wurde deutlich wie nie eine grundsätzliche Neuorientierung der VWL gefordert: Fundamentalkritik: Wie die Finanzkrise die VWL auf den Kopf stellt (Handelsblatt) (via).

Die Finanzkrise etwa konnte mit den gängigen Theorien der Mainstream-Ökonomen nicht vorausgesagt und auch nicht erklärt werden. So wurde selbst für viele überzeugte Anhänger dieser Richtung innerhalb kurzer Zeit klar, wie eingeengt ihr Blick bisher war. Die Bedeutung der Kreditvergabe durch Banken für die Realwirtschaft wurde viel zu wenig untersucht. Die Theorien der rationalen Entscheidungen, der Homo oeconomicus und die effiziente Informationsverarbeitung durch die Finanzmärkte sind Modelle, die während der Finanzkrise, aber auch sonst nicht zutrafen. “Viele beschäftigen sich nicht mit der Welt, in der wir leben, sondern mit der Welt, in der sie gerne leben würden“, so der Harvard-Professor Benjamin Friedman. Die Irrationalität von vielen Entscheidungen oder die Instabilität und Krisenanfälligkeit völlig freier Märkte aber können nun kaum mehr bestritten werden.

Zudem konnten die neoliberalen Talkshow-Ökonomen die Krise nicht nur nicht erklären, sondern haben mit ihren ständigen Deregulierungsforderungen auch maßgeblich zu dieser beigetragen, wie Joseph Stiglitz ausführt. Und noch ein sehr schönes Zitat von ihm: „Vielleicht ist die unsichtbare Hand auf vielen Märkten deshalb unsichtbar, weil sie gar nicht da ist.“

Ein gutes Zeichen jedenfalls, wenn bei vielen Ökonomen – wenn auch erst jetzt – endlich einmal etwas Umdenken einkehrt. Wenn die Neoklassik dann konsequent ihre Modelle und Theorien mit der Wirklichkeit abgleichen würde, müsste den meisten klar werden, als wie wenig aussagekräftig, ja wie schädlich diese Richtung der Ökonomie sich erwiesen hat – und dann könnte ihre in den letzten 30 Jahren erfolgte Ausbreitung vielleicht endlich mal umgekehrt werden – den Wirtschaftswissenschaften, der Wirtschaft und der Gesellschaft wäre damit viel geholfen. Und sinnvollere ökonomische Ansätze mit einem realistischen Menschenbild und der Einsicht, dass unbegrenzt freie Märkte nicht unbegrenzte Freiheit bedeuten,oder mit den Einsichten, dass ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung schädlich sindund  dass der Staat durchaus wohlfahrtsfördernd in die Wirtschaft eingreifen kann und auch sollte, gibt es genug.

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Der freie Markt als Ideologie

[D]ie Gedanken der Ökonomen und Staatsphilosophen [sind aber], sowohl wenn sie im Recht, als auch wenn sie im Unrecht sind, einflußreicher, als gemeinhin angenommen wird. Die Welt wird in der Tat durch nicht viel anderes regiert. Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen. Verrückte in hoher Stellung, die Stimmen in der Luft hören, zapfen ihren wilden Irrsinn aus dem, was irgendein akademischer Scheiberling ein paar Jahre vorher verfaßte. Ich bin überzeugt, daß die Macht eworbener Rechte im Vergleich zum allmählichen Durchdringen von Ideen stark übertrieben wird. Diese wirken zwar nicht immer sofort, sondern nach einem gewissen Zeitraum; denn im Bereich der Wirtschaftslehre und der Staatsphilosophie gibt es nicht viele, die nach ihrem fünfundzwanzigsten oder dreißigsten Jahr durch neue Theorien beeinflußt werden, so daß die Ideen, die Staatsbeamte und Politiker und selbst Agitatoren auf die laufenden Ereignisse anwenden, wahrscheinlich nicht die neuesten sind. Aber früher oder später sind es Ideen, und nicht eigennützige (Gruppen-)Interessen, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen.

Noch einmal möchte ich diese Stelle aus der “Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes” von John Maynard Keynes zitieren. Keynes zeigte als bekanntester Ökonom seiner Zeit die Unzulänglichkeiten und Defizite der neoklassischen Wirtschaftstheorie auf, deren Anhänger er selber lange Zeit gewesen war. Bis gegen Ende der 70er Jahre spielten Ideen von Keynes eine bedeutende Rolle. Die Idee aber, die danach in der wirtschaftspolitischen und wirtschaftswissenschaftlichen Debatte und Praxis dominant wurden, mit denen die meisten der heutigen Entscheidungsträger sozusagen aufgewachsen sind und von denen sie sich kaum lösen können, auch wenn sie sich, auch für sie selbst erkennbar als falsch erwisen haben, haben in vielen Punkten den Charakter von “wildem Irrsinn”, von starren Ideologien.

Es sind dies die Ideen, Theorien und Modelle der Neoklassik und des Neoliberalismus, die die Wirklichkeit ignorieren. So dient das “erste Wohlfahrtstheorem” der Neoklassiker, das besagt,  dass jedes Tauschgleichgewicht bei freiem Wettbewerb pareto-effizient ist, diesen als “schlüssiger Beweis” für die Gültigkeit von Adam Smiths “unsichtbarer Hand des Marktes” (wobei diese Aussage nicht auf Smith zurückzuführen ist). Dieser “Beweis” jedoch ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine Ideologie: die fundamentalen Annahmen sind viel zu sehr an künstlich konstruierte, nicht in der Realität herstellbare Annahmen gebunden, um Gültigkeit oder Anwendbarkeit beanspruchen zu können. Der methodische Individualismus und das Bild des Menschen als Homo Oeconomicus sind wissenschaftlich nicht haltbar. Vielmehr ist es wohl so, dass die Anhänger der Neoklassik diesen ausschließlich egoistischen und in ihrem, im egosistischen, Sinne “rational” handelnden Menschen v. a. so haben wollen. Die von der Neoklassik vorausgesetzte Marktrationalität (Planübereinstimmung) der Wirtschaftssubjekte ist (als nachgeschoben unterstellte Rationalität)  problematisch, wenn sie in die Zukunft gerichtet ist (rationale Erwartung). Diese Vorstellung ist in der Realität nicht zutreffend. Warum wird sie dennoch von der neoklassischen Ökonomie vertreten? Auf ihr beruht ihr “Nachweis”, dass staaliches Eingreifen die Allokation nicht verbessern, sondern nur Störungen verursachen kann. Dieser “Nachweis” war die Intention des (nicht zutreffenden) Modells. Sich aber ein (nicht zuteffendes) Modell zu basteln, um einen politischen Zweck (kein Eingreifen des Staates in die Wirtschaft) scheinbar wissenschaftlich zu legitimieren, ist alles andere als ein wissenschaftliches Vorgehen.

Die Ansätze der Mainstream-Ökonomie können ideologisch gewendet werden. Möchte man nicht den Begriff der “Ideologie” verwenden, könnte man sagen, in ihnen herrscht eine wenig oder gar nicht reflektierte oder gar eine negierte Diskrepanz zwischen Vorstellung und Erfahrungswelt. Stimmen Theorie und Modelle nicht mit der Wirklichkeit überein, stört dies die überzeugten Verteter der orthodoxen Wirtschaftslehre nur in den seltensten Fällen. So wird etwa ein freier Wettbewerbsmarkt von ihnen als ein idealer Zustand angesehen, gleichzeitig aber propagieren sie die unveränderte Anwendung von Modellen, die für diesen (für sie) Idealzustand geschaffen wurden, für die Realität, in der dieser so, in reiner Form kaum existent ist (und dies oft auch nicht sein kann). Sie erleben die Diskrepanz zwischen Wunsch(vortellung) und Wirklichkeit nicht, da sie in einer, in ihrer Utopie leben, z.B. in der Utopie des freien Marktes, in einer konstruierten Wirklichkeit, die ihnen als Orientierungspunkt für Denken und Handeln dient.

Woher kommt dieser Mangel an Reflexion? Die Ideologiehaftigkeit der neoliberalen Lehre wird von ihren Anhängern zwar oft bestritten, die sich häufig auf angeblich “objektive Erkenntnisse” berufen und ihre Lehre oft als unwiderlegbar, als die eigentlich einzige überhaupt mögliche verstanden haben wollen. Ab er ab und zu gibt es Aussagen, die einigen Aufschluss erlauben. Alan Greenspan, bis Januar 2006 Vorsitzender der US-amerikanischen Notenbank, gab 2008 in einer Anhörung zur Finanzkrise vor dem US-Kongress zu, dass er, auch in seinen Entscheidungen als Notenbankchef, durchaus eine Ideologie vertreten habe, die Ideologie des freien Marktes. Er sei in Folge der Finanzkrise “geschockt” gewesen, dass die Voraussagen seiner Ideologie nicht zugetroffen habe. Er habe Probleme, die Finanzkrise wirklich zu verstehen (und kommt aber nicht etwa  auf die Idee, vielleicht einmal Minsky zu Rate zu ziehen – dieser würde nicht in seine Ideologie passen). Wohin diese Ideologie und ihr Versagen geführt hat, zeigte in aller Deutlichkeit die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise. Zur Verdeutlichung von Greenspans (ideologischen) Ansichten sollten wir einen Blick auf die Einflüsse, die auf ihn als junger Mann gewirkt haben, werfen. Grennspan war ein Schüler der US-amerikanischen Schriftstellerin ud Philosophin Ayn Rand. Diese und ihre zahlreichen Schüler forderten einen “rationalen Egoismus”. Sie vertaten einen radikalen Laissez-faire-Kapitalismus und wendeten sich gegen jegliche Sozialmaßnahmen. Doch am meisten Aufschluss über ihre Ideologie liefern die Romane Rands. In “Atlas wirft die Welt ab”  etwa gibt es am Ende den feierlichen Schwur “Ich schwöre, dass ich niemals zum Wohl eines Anderen leben werde und niemals von einem Anderen verlangen werde, für mein Wohl zu leben”. Am Ende erscheint, quasi als Zeichen der Erlösung und der zu erwartenden paradiesischen Zustände des grenzenlosen Egoismus, über den Menschen am Himmel ein $-Zeichen.

Von Ideen kommt Gefahr, zum Guten oder zum Bösen. Wenn dise Ideen Ideologien darstellen, die wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, wenn sie eine Ideologie produzieren, die dalle Menschen als ausschließlich egoistisches Wesen sehen will, in der Gerechtigkeit, Solidarität, Mitmenschlichkeit bloße Hindernisse für das Durchsetzen des Einzelnen darstellen, dann fällt es schwer zu erklären, was diese zum Guten verändern sollten.

Dieser Beitrag ist inspiriert  durch und greift Aussagen auf aus dem Vortrag “Die optimale Allokation durch den Markt als Ideologie?” von Prof. Dr. G. M. Ambrosi (VWL) im Rahmen der Vortragsreihe “Zur politischen Kritik der Ökonomie” an der Universität Trier.

NACHTRAG (Links):

Ein guter Beitrag, der zeigt, wie Keynes eine sinkende Kapitalrendite voraussagte und erklärte – eine Annahme, die auch empirisch beobachtbar ist: Der kollektive Wahn der Anleger-Gesellschaft oder der Wunschtraum ewiger risikoloser Rendite (Blog ohne Namen)

Die Talkshow-Ökonomen fordern mal wieder Lohnzurückhaltung, angeblich rein pragmatisch und völlig unideologisch: Frei von Gesinnung (ad sinistram)

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Neues über den Homo oeconomicus

Gerade, wo ich mich in den letzten zwei Artikeln mit dem Menschenbild des Homo oeconomicus befasst habe, stoße ich auf einen Artikel des Spiegel: “Wirtschaftsethik : Warum Egoismus im Geschäftsleben schadet”:

Den Beleg dafür, dass es mit Fairness und Vertrauen besser geht, glaubt Armin Falk liefern zu können. Ihm genügen ein paar einfache Experimente, um den Homo oeconomicus zu widerlegen – oder zumindest als nicht mehr konkurrenzfähig zu entlarven im Wettstreit mit dem modernen Wirtschaftsmenschen.emeinsam mit Psychologen, Genetikern und Neurowissenschaftlern entwickelte Falk Feld- und Laborexperimente, die das Bild des sozialignoranten Egoisten in Frage stellen. An seine Stelle tritt ein Mensch, der Fairness und Gerechtigkeit höher bewertet als die schlichte Maximierung des Eigennutzes – und dies auch von seinem Gegenüber verlangt.

Sehr passend fand ich aber auch den Kommentar dazu beim Erlkoenig (wo ich auch auf den Spiegel-Artikel gestoßen bin):

Das holzschnittartige Menschenbild ist ja nur ein Teil der grauenhaften Simplifizierungen, mit denen die derzeit gängige Wirtschaftswissenschaft arbeitet. Und wenn es der gemeinsamen Anstrengungen von Psychologen, Neurowisenschaftlern und Genetikern bedarf, um herauszufinden, dass der Mensch mehr ist als ein rein zweckrationales Wesen, das nur seinen eigenen Vorteil kennt, lässt das tief blicken und wirft die Frage auf, ob Wissenschaft und Fachidiotie noch zu unterscheiden sind. Ein kurzer Blick in die Geschichte der Religionen, der Philosophie oder auch der Kunst hätte  genügt, um die Frage zu beantworten, ob ein derart simples Menschenbild stimmen kann.

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Die Neoklassik und ihre Mythen

Die Neoklassik ist in Deutschland in den letzten 30 Jahren die dominierende Schule der Volkswirtschaftslehre. Auch wenn weltweit und gerade auch in den USA wieder keynesianische Ansätze deutlich mehr Beachtung erlangen, in Deutschland lässt man sich davon nicht beirren und bleibt weiterhin schön bei der reinen Lehre. Die Stärkung der Binnennachfrage ist vernachlässigbar, staatliche Konjunkturprogramme sind “konjunkturpolitische Strohfeuer” (auch wenn es bei diesem Punkt in Folge der Witschaftskrise dann doch selbst in Deutschland zu ein klein wenig Umdenken gekommen ist), der Staat soll sich aus allem außer vielleicht noch der inneren und äußeren Sicherheit heraushalten. Dies erzählen die neoklassischen Wirtschaftsprofessoren wie eh und je immer wieder tantramäßig in den Sendungen des Mainstream-Journalismus, ohne auch nur die geringste kritische Nachfrage zu erfahren.

Und es ist auch kein Wunder, dass das diesjährige Jahresgutachten des “Sachverständigenrates” mal wieder harte soziale Einschnitte, den weiteren Rückzug des Staates, Arbeitsmarktliberalisierungen und Senkungen der Unternehmenssteuern fordert und ganz in der Tradition ausschließlich den Haushalt saniert sehen will, wobei Konjunkturbelebung und Senkung der Arbeitslosigkeit demgegenüber höchstens sekundär sind. Hat man alles schon oft genug gehört. Wenigstens ist er so konsequent, ebenfalls die Steuersenkungspläne von Schwarz-Gelb zu kritisieren – hier herrscht als über alle Wirtschaftsschulen hinweg Einigkeit, dass diese Unsinn sind. Ebenso ist man sich einig, dass die Investitionen in Bildung und Forschung zu niedrig sind. Wäre die Parteipolitik so weit, wenigstens bei diesen Punkten einmal – ja tatsächlich von niemandem bestrittenen – Empfehlungen der Wissenschaft zu folgen, wäre schon einiges getan. Aber Bildungseinrichtungen haben nun mal keine politische Lobby und keine Lobbyorganisationen, die dermaßen unsere Demokratie und unsere Meinungsvielfalt beschützen (tut mir leid, dieser Seitenhieb musste sein),  wie sie andere haben.

Dies alles fände ich noch nicht einmal so schlimm, dass sie sich als dominante wirtschaftspolitische Schule durchgesetzt haben, wenn ihre Ansichten nicht immer als allein gültige, wissenschaftlich objektive und nicht zu widerlegende Tatsachen verkauft würden, von den genannten Medien, aber auch von vielen  dieser Wissenschaftler selbst. Andere Positionen werden von ihnen oft gar nicht zugelassen, alles, was nicht in den derzeitigen Mainstream passt ist für sie entweder “widerlegt” oder “veraltet”. Man immunisiert sich nicht nur selbst gegen jede Kritik, man lässt diese gar nicht erst zu. Was nicht sein soll, darf auch nicht sein. Tatsächlich ist die Wirtschaftswissenschaft eine der wenigen im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich, in der andere Theorien oft gar nicht erst dargestellt oder auch nur erwähnt werden, die wie gesagt gerade nicht in den Mainstream passen, in denen die eine Richtung ihre Ansichten wie naturwissenschaftlich belegt und gültig verkauft.

Dass ihre Modelle und Theorien dabei oft aber eher mythologisch denn wissenschaftlich sind, zeigt sich aber immer wieder. Weissgarnix z.B. räumt diese Woche mal wieder mit ein paar “Märchen aus dem Gute-Nacht-Geschichtenbuch der Neoklassik” auf. Er schreibt, dass die “homo oeconomicus”-Phantasie die Grundlage der meisten Modellen der Neoklassik ist. Und denen, die von einem Menschenbild ausgehen, in dem jeder Mensch ausschließlich im wahrsten Sinne des Wortes “asozial” als Individuum und ausschließlich den eigenen Nutzen maximierend handelt und für den allein der Markt (wobei er natürlich immer über vollständige Informationen verfügt) noch eine Beziehung zu anderen Menschen generiert, denen sollen wir tatsächlich die alleinige Deutungshoheit überlassen? (Ich weiß nicht mehr genau, wo ich das gehört habe, aber es erscheint mir sehr sinnvoll: “Existierte der homo oeconomicus wirklich, er wäre wohl eher ein Fall für die Psychatrie”).

Und Weissgarnix verdeutlicht, wie die Gleichung “I(nvestitionen”=S(paren)” in der von den Neoklassikern behaupteten Kausalität, dass die Sparquote die Höhe der Investitionen beeinflusse, nicht zutrifft (dass es eine Illusion ist, dass der Konsument mit seiner Spartätigkeit tatsächlich über die Investitionen bestimmen könne) und warum hohe Sparquoten tatsächlich volkswirtschaftlich alles andere als nützlich sind. Ganz lustig dabei ist auch, wie die I=S- Gleichung auch nur mittels eines Kniffs (man könnte es auch als “Trick” bezeichnen) funktioniert und letztlich nur eine Tautologie darstellt.

Die Theoreme der Neoklassik sind also nicht unbedingt immer zutreffend, und v. a. sind sie nicht die allein seeligmachende Wahrheit, wie einem dies ihrer Vertreter oft genug weismachen wollen.

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Guttenbergs geheime Agenda: neoliberale Märchenstunde

Oh nein, da ist doch tatsächlich Guttenbergs Geheimplan aufgetaucht. Besonders lustig dabei ist, dass sein Sprecher den Entwurf nach Bekanntwerden scheinbar verzweifelt als veraltet und obsolet bezeichnet hat, obwohl er vom 3. Juli 2009 stammt, von seinen Staatssekretären geschrieben wurde und viel zu umfassend und detailliert, als das man ihm das abkaufen könnte. Bei dem Papier handelt es sich mal wieder um die Neocon-Agendaliste der Industrieverbände und ihres PR-Vollstreckers “INSM” (Fefe). Ein neoliberaler Gegenentwurf zum Deutschlandplan Steinmeiers. Der Markt wird alles richten, der Staat soll nur die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie stärken.

Staatliche Beschäftigungsprogramme soll es natürlich nich geben, dafür eine “Korrigierung” (sprich Abschaffung) der Mindestlohngesetze. Unternehmes- und Einkommenssteuersenkungen will man durch Abschaffung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze (die u.a. für Lebensmittel gelten) erreichen, was fast ausschließlich auf Kosten der Niedrigverdiener, die eben fast ihr gesamtes Geld für den Konsum ausgeben müssen, gehen würde: die ärmsten 50% der Bevölkerung haben im Schnitt gar kein individuelles Nettovermögen (Aufrechnen der Vermögen und Schulden, vgl.  Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht Nr. 4/ 2009, S. 59). Die Befristungen der Beschäftigung sollen “erleichtert” werden. Noch mehr erleichtert? 2002 waren noch 12,2% aller Arbeitnehmer befristet beschäftigt, 2007 waren es 14,6%.

Klimaauflagen für Betriebe will man streichen, die Steuern für die Öl und Gas senken und Firmen, die beim Emissionszertifikate-Handel mitmachen sogar ganz von Energiesteuern befreien. Erinnert sich noch jemand, wie Angela Merkel am Anfang ihrer Regierungszeit als Klimakanzlerin galt? Im Zuge der Finanzkrise wurde dann aber klar, wo die Priorität des Klimaschutzes bei der Union liegt – ganz weit unten.

Die von Wolfgang Clement, der jetzt für eine Zeitarbeitsfirma arbeitet, stark liberalisierte Zeitarbeit (in der Folge stieg der Anteil der Zeitarbeitnehmer an den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten von 1,22% im Jahr 2002 auf 2,7% im Jahr 2007) wird als “Brücke in die reguläre Beschäftigung” angepriesen. Dies ist jedoch wissenschaftlich nicht haltbar. Nur 21% der Zeitarbeitnehmer werden in reguläre Beschäftigung übernommen (12-15% direkt im Entleihbetrieb). 26% bleiben in der Zeitarbeit, 34% werden arbeitslos, 19% werden Nichterwerbspersonen (IAB-Betriebspanel). Fast 80% aller Zeitarbeitnehmer sind in diese prekäre Beschäftigungsform von vorher regulärer Beschäftigung oder nur kurzer Arbeitslosigkeit gewechselt. Selbst der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dem außer Peter Bofinger nur Anhänger der neoklassischen Ökonomie angehören, stellt in seinem Jahresgutachten 2008/ 2009 fest, dass in Deutschland “vormals arbeitslose Leiharbeitnehmer zwar eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, binnen vier Jahren wieder bei einem Verleihunternehmen zu arbeiten, sich aber nicht von Arbeitslosen in der Wahrscheinlichkeit unterscheiden, einer regulären Beschäftigung nachzugehen oder wieder arbeitslos zu sein”.  Kommen wir zum wahren Kern der Sache: Zeitarbeitnehmern werden (je nach Beruf) nur 49 bis 73% des Lohns der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in dem selben Beruf bezahlt (Sozio-oekonomisches Panel 2006). Die Brückenfunktion in reguläre Beschäftigung ist nichts als ein Märchen der neoliberalen Wirtschaftslobby, um billige und kaum abgesicherte Arbeitskräfte zu erhalten.

Steuern senken, prekäre Beschäftigungsformen ausweiten, Klimaschutzmaßnahmen abbauen – die neoliberale Politik der letzten 25 Jahre also, die hier vertreten wird. Gut, dies war kaum anders zu erwarten.

Gut­ten­berg will — noch viel mehr als es aktu­ell schon der Fall ist — das Geld von unten nach oben ver­tei­len (…) Karl-Theodor zu Gut­ten­berg wird nach der Wahl wei­ter für sei­nes­glei­chen sor­gen, auf Kos­ten der Men­schen, der All­ge­mein­heit. (F!XMBRE).

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