Heute gerne vermischt, sind “Vernunft” und “Rationalität” (und speziell die heutige Form einer wert- und zweckfreien, formalen Rationalität) durchaus nicht dasselbe. Die fundamentalen Unterschiede haben Vertreter der Kritischen Theorie, v.a. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse, klar gemacht.
Max Horkheimers Kritik der instrumentellen Vernunft
Max Horkheimer unterscheidet in seiner Kritik der instrumentellen Vernunft eine „objektive Vernunft“ als umfassendes System alles Seienden (einschließlich des Menschen und seiner Zwecke) einerseits und andererseits eine „subjektive Vernunft“, als Fähigkeit der Klassifikation, des Schließens, der Deduktion, also des Abstrakten Funktionierens des Denkmechanismus. Nicht die Vernünftigkeit der Ziele, sondern die Angemessenheit von Verfahrensweisen sei deren Gegenstand. Er beschreibt in seinen Werken, v.a. in der Kritik, die instrumentelle Vernunft als Logik der Naturbeherrschung. (Diese wird abgeleitet aus dem Arbeitsprozess und damit aus dem Wertverhältnis. Arbeit gilt als Beherrschung der Natur, und Arbeit gründet im Kapitalismus – als einer Warenwirtschaft – auf der Wertform. Diese bestimmt als Imperativ gesellschaftliche Verkehrsformen wie die Arbeitsteilung und die Klassenverhältnisse.) Diese hat darüber hinaus auch Auswirkungen auf das Denken und die Psyche des Menschen: durch abstraktes Denken werden Herrschaft und Knechtschaft verinnerlicht. Die losgelassene Naturbeherrschung diene als Mittel zur Verewigung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse.
Die Krise der Vernunft sieht Horkheimer darin, dass heute eine objektive Vernunft nicht konzipiert oder sogar als Wahn bestritten werde – dagegen erleben wir eine Subjektivierung und Formalisierung der Vernunft. Er plädiert für eine inhaltliche statt nur eine rein formale Logik. Wirklicher Rationalismus sei mehr als eine bloße Form, sondern müsse auch inhaltliche Momente mit einschließen. Wenn keine bestimmte Gesellschaftstheorie im Hintergund sei, bleibe auch jede Erkenntnistheorie formalistisch und abstrakt. Formale Logik (als Analogie zur Mathematik begriffen) sei nur eine Reihe von Tautologien ohne konkrete Bedeutung in der geschichtlichen Wirklichkeit. Durch Trennung von Fakten und Werten werde immer der Status Quo legitimiert. Vernunft ist für Horkheimer, in Tradition von Hegel und Marx, die Fähigkeit, über die bloße Erscheinung hinaus die dialektischen Zusammenhänge als tiefere Wirklichkeit zu erfassen. Da Vernunft auch immer die Versöhnung von Widersprüchen bedeute, möchte Horkeimer eine Versöhnung von objektiver und subjektiver (instrumenteller) Vernunft.
Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung
Für Theodor Adorno haben formale Logik und mathematisches Denken ein immanentes mystisches Element. Sie seien gekennzeichnet durch eine Ablehnung alles Nichtidentischen. Ihr Dualismus von Form und Inhalt sei falsch. Gemeinsam haben Horkheimer und Adorno ihre Kritik im vielleicht bekanntesten Werk der Kritischen Theorie, der Dialektik der Aufklärung, geschildert. In Dialektik der Aufklärung ist mit „Dialektik“ gemeint, dass die Entwicklung des Kapitalismus zu einer alle Glieder der Gesellschaft ergreifenden Tauschrationalität führt. Die Denkweise der “Aufklärung” sei verwurzelt in Naturbeherrschung, die die Beherschung des Menschen zur Konsequenz habe. Die gesamte logische Ordnung und Organisation der Begriffe (Herrschaft in der Sphäre des Begriffs, die sie analysieren, sei das Fundament der Herrschaft in der Wirklichkeit; allgemeine Begriffe seien Zeichen verfestigter Herrschaft) gründe in der Arbeitsteilung als entsprechenden Verhältnissen der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Arbeitsteilung (und damit die Unterwerfung unter Herrschaft) diene den Beherrschten zu ihrer Selbsterhaltung. Herrschaft trete Einzelnem als das Allgemeine, die Vernunft in der Wirklichkeit gegenüber.
Der ökonomische Apparat statte (selbsttätig) Waren mit Werten aus, die über das Verhalten der Menschen entschieden. Es komme zu einer Versachlichung des Geistes, der Fetischcharakter breite sich über alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus; die Massenproduktion und ihre Kultur prägten dem Einzelnen genormte Verhaltensweisen als allein vernünftige auf (was die Versachlichung des Menschen und die Angleichung an seine Funktion verstärkt). Es komme auch geradezu zu einer Selbstentäußerung, zu einem Formen des Denkens des Menschen nach dem technischen Apparat: das Subjekt versachliche sich zu technischem Prozess, die Vernunft selbst wurde zum Hilfsmittel der allumfassenden Wirtschaftsapparatur und agiert starr zweckgerichtet; dies bedeute Beschränkung des Denkens auf Organisation und Verwaltung, die Verwendung des Geistes als Apparat von (Selbst-)Herrschaft. Herrschaft habe sich in der Warenwirtschaft zu Gesetz und Organisation verdinglicht, Gewalt wurde durch Vermittlung des Marktes vervielfacht (in Gestalt der Maschinen trete den Arbeitern eine entfremdete Rationalität gegenüber.) Das Tauschprinzip entspreche der Atomisierung des modernen Menschen, die instrumentelle Manipulation der Natur der von Menschen untereinander. Der Zusammenhang von Herrschaft und Arbeit sei gegründet in der Herrschaft des Menschen über die Natur: die Natur werde in der Aufklärung als bloßes Objekt, und Stoff von Einteilung, als qualitätslos und abstrakt angesehen; sie solle durch Arbeit beherrscht werden.
“[D]ie Macht ist auf der einen, der Gehorsam auf der anderen Seite. Die wieder- kehrenden, ewig gleichen Naturprozesse werden den Unterworfenen (…) als Rhythmus der Arbeit nach dem Takt von Keule und Prügel eingebläut, der in jeder barbarischen Trommel, in jedem monotonen Ritual widerhallt. Die Symbole nehmen den Ausdruck des Fetischs an. Die Wiederholung der Natur, die sie bedeuten, erweist s im Fortgang stets sich als die von ihnen repräsentierte Permanenz des gesellschaftlichen Zwangs..“ (Horkheimer, Max/ Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung – Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main 1969, S. 27)
Die formale Logik beinhalte eine Vereinheitlichung, eine Berechenbarkeit der Welt durch Zahl, kurz eine Quantifizierung. Dieselben Gleichungen sind für Horkheimer und Adorno beim Warenaustausch die vorherrschenden und prägenden. Die bürgerliche Gesellschaft sei beherrscht vom Äquivalent, von der Reduzierung auf abstrakte Größen, wodurch Ungleiches vergleichbar gemacht und Qualitäten zerstört würden. Die Funktionalisierung, die Eliminierung der Qualitäten und Umrechnung in Funktionen gehe von Wissenschaft durch rationalisierte Arbeit über auf den Alltag, auf den einzelne Menschen. Außerdem liefern sie eine Kritik der formalen Logik, die sehr ähnlich zu der der instrumentellen Vernunft ist. Natur sei nur in der Epoche Aufklärung ausschließlich mathematisch zu Erfassendes. Begriffe würden durch Formeln verdrängt. Indem Denken und Mathematik gleichgesetzt werden, würde das Denken verdinglicht, mechanisiert, Denken fungiere als Sache, als Herrschaft. Die Unterordnung alles Seienden unter einen abstrakten, logischen, mathematischen Formalismus führe zur Unterordnung der Vernunft unter unmittelbar Vorfindliches, unter die Tatsachen (als bloße abstrakte raumzeitliche Beziehungen), ohne jede Hoffnung. Gesellschaftliches Unrecht gilt dann als unveränderlich. Die instrumentelle, subjektive, manipulative Vernunft und die durch sie bewirkte Eliminierung der Negation aus der Sprache gilt als Erfüllungsgehilfe technologischer Herrschaft, da sie ohne Zwecke ist und nur durch Machtbeziehungen gekennzeichnet; sie führe, logisch zu Ende gedacht, zu den barbarischen Gräueln des 20 Jahrhunderts.
Herbert Marcuses Kritik der technologischen Rationalität
Herbert Marcuse beschreibt Vernunft folgendermaßen:
„Die Vernunft ist in ihrem tiefsten Wesen Widerspruch, Opposition, Negation, solange die Vernunft noch nicht möglich ist“ (Marcuse, Herbert: Vernunft und Revolution, Neuwied/ Berlin 1962, S. 370.)
Er differenziert zwischen einem Begriff der Rationalität (dies sei heute meist deine technologische Rationalität) und einem Begriff der Vernunft. Vernunft sei das eigentliches Sein, in dem alle entscheidenden Gegensätze (Subjektz-Objekt, Wesen-Erscheinung, Denken-Sein) vereinigt sind, sie sei Einheit von Faktizität und Wahrheit, Ding und Begriff, Realität und Idee, Existenz und Wesen. Seiendes aber ist nicht unmittelar vernünftig, sondern müsse zur Vernunft gebracht werden. Denn es bestehe eine rationale Alternative als negative Möglichkeit der bestehenden irrationalen Gesellschaft. Vernunft ist das Ziel dieser (idealen) Gesellschaft, für die Kritik an der bestehenden Gesellschaft ist Vernunft der Maßstab.
Von der Vernunft unterscheidet Marcuse (ähnlich wie Horkheimer objektive und subjektive Vernunft) eine wissenschaftliche, formale, „technologische Rationalität“. Die moderne Wissenschaft befreie die Natur von allen Zwecken, die Materie aller Qualitäten. Im Vordergrund stehe Operationalisierbarkeit, praktische Verwertbarkeit. Die wissenschaftliche Rationalität ist wertfrei, sie setzt keine Zwecke fest, ist ihnen gegenüber neutral, ist ihrem Wesen nach bloße Form, die beliebigen Zwecken unterworfen werden kann. „Technologisches Apriori“ bedeutet bei Marcuse, die Natur nur noch als potentielles Mittel, als Stoff für Kontrolle und Organisation, zu sehen. Sie gilt als wertfeie Materie, bloßes Material, Rohmaterial für ausbeuterische Verwaltung, ihr ist kein Sinn, Plan oder Zweck immanent. „Technologische Rationalität“ heißt, Dinge, Natur, und auch Menschen, als Mittel an sich zu betrachten. Die Natur wird dieser auf die Erfordernisse des Kapitalismus zugeschnittenen technologischen, instrumentalistischen Vernunft unterworfen, und diese Auffassung setzt sich jedoch auch im Menschen, in der Natur des Menschen, in den Grundtrieben durch in der Anpassung an Erfordernisse des bestehenden Systems. Die Beherrschung der Natur mit Beherrschung des Menschen verbunden, beide werden zu ersetzbaren Objekten. Es gibt hier eine Analogie zur formalen Rationalität Max Webers als Rationalität der angewendeten Mittel für beliebige Zwecke. Marcuse sagt, bei Weber gehe diese formale Rationalität in eine kapitalistische über. (Formale) wissenschaftliche Rationalität hat einen instrumentalischen Charakter, sie ist das Apriori einer Technologie als Form sozialer Kontrolle und Herrschaft. Sein als Sein als Solches weicht einem Instrumentsein. Das technologische ist auch ein politisches Apriori: die Umgestaltung der Natur hat die des Menschen zur Folge. Vortechnische und technische Vernunft sind verbunden durch die Herrschaft des Menschen über den Menschen als historische Gemeinsamkeit. Technologie bewirkt, dass die Instrumentalisierung der Dinge zur Instrumentalisierung des Menschen wird, Technik dient als Vehikel der Verdinglichung. In der technologischen Wirklichkeit erscheint die Welt der Objekte und Subjekte als eine Welt von Mitteln.
Die formale, positivistische Wissenschaft „transzendiert“ die Realität nicht mehr, qualitativ andere Sichtweisen, neue Beziehungen Mensch-Mensch und Mensch-Natur werden nicht ins Auge gefasst. Da wissenschaftliche Rationalität die Rationalität des Bestehenden ist, Vernunft aber Alternative zum Bestehenden darstellt, ist diese Rationalität unvernünftig. Es handelt sich bei einer nur noch auf bestehendes beschränkten Vernunft um eine Irrationalität, eine Unvernunft, aber im Gewandt der Vernunft und der Rationalität; Vernunft dient als Vehikel der Mystifikation. Wir haben den vollendeten Schein einer rationalen Gesellschaft, der (technologische) Rationalität zur Ideologie werden lässt, denn technologische Rationalität befördert unbemerkt neue Ideologie, die im Produktionsprozess selber steckt. Der Arbeitsprozess wird auf Naturbeherrschung (als Ausdruck der instrumentellen Vernunft) reduziert, dadurch kann Technik eine entscheidende und bestimmende Rolle einnehmen. Es kommt hier bei zu einer Verselbsttändigung des Arbeitsprozesses (und damit des Wertverhältnis) gegenüber den Produzenten. Unfreiheit erscheint als Unterwerfung unter den technischen Apparat, die Menschen werden durch den Produktionsapparat aber in Wiklichkeit regelrecht versklavt.
Da die Technologie indifferent gegenüber jeglichen Produktionszweckenist, werden die gesellschaftliche Produktionsweise die bestimmenden. Der Logos der Technik wird zum Logos der Herrschaft: Technologie dient als Form sozialer Kontrolle und Herrschaft. Die wissenschaftlich-technologische Entwicklung stabilisiert das gesellschaftliche System und legitimiert die dadurch aufrechterhaltenen Herrschaftsbeziehungen, sie ist statisch und konservativ. Es kommt auch immer mehr zu einer Verschmelzung von technologischer und politischer Rationalität (Herrschaft über Natur und über Menschen), der technsiche Apparat bestimmt die Orientierung der Politik, der Maßstab ist die Notwendigkeit seiner Erhaltung. Bürokratie und Technologie werden in der spätkapitalistischen Gesellschaft selbst zu Herrschaftsinstanzen, Herrschaft erweitert sich als Technologie, die Organisation der Gesellschaft erfolgt unter den Erfordernissen der Beherrschung. Zweck ist die Selbsterhaltung des Apparates. Er unterliegt keiner Kontrolle, auch nicht der herrschenden Klasse, mehr. Er erfasst alle Lebensbereich, wirkt totalitär. Sie sind miteinander verflochten und als scheinbar objektives, verdinglichtes System Instrumente zur Beherrschung von Natur und Menschen. Technologie erweckt den Anschein einer obektiven Ordnung der Dinge. Wesen und Entwicklungssstand des Kapitalismus seien vom Stand der Technik bestimmt, er erhält sich dadurch, dass er den technischen Fortschritt im Rahmen von Klassenherrschaft hät. Durch die technische Leistungsfähigkeit und den hohen Lebensstandard helfe er der Integration in das System und der Stabilisierung Kapitalismus. Die heutige Technik sei dem Kapitalismus eigentümlich, aber durch diesen nicht begrenzt. Auch den Nationalsozialismus und den Sowjetmarxmismus sieht Marcuse als eindimensionale Gesellschaft mit einer technologischen Rationalität, in der die Bewahrung von Herrschaft zentral sei.
Die Kritik der technologischen Rationalität dient als theoretischer Ausgangspunkt einer umfassenden Gesellschaftskritik Marcuses. Er analysiert Auswirkungen des technologischen Apriori auf auf Sprache, Kultur, Philosophie, Denken und Bewusstsein. All diese stehen im Spätkapitalismus unter der Prämisse. Erhaltung des Apparates. In Sprache und Denken gibt es nur noch eine empirische Dimension: die transzendentale, oppositionelle, negative Dimension wird ausgeblendet. Widerspruch gegen Bestehendes erscheint irrational. Die Folge ist eindimensionales Denken und Verhalten.
Sieht Marcuse Alternativen zur technologischen Rationalität?
Marcuse hatte also eine starke Skepsis gegenüber einem Zusammenhang von menschlicher Emanzipation, technologischem Fortschritt und instrumenteller Rationalismus, wie ihn der klassische Marxismus erhofft. Da die technologische Rationalität dazu tendiere, politisch zu werden, müsse man die Marxsche Vorstellung von der Neutralität der Technik aufgeben. Marcuse sieht Technologie an anderen Stellen keineswegs einseitig. Das Verhältnis sei dialektisch: sie biete sowohl Möglichkeit der Befreiung wie Versklavung. (Er schreibt gar, es gebe nichts in der Technologie, dass menschlliche Freiheit notwendig schmälern würde) Marcuse sieht aber immer die Möglichkeit einer qualitativ anderen Technologie (jenseits von Naturbeherrschung und Wertestruktur). Diese neue Technik würde Gerechtigkeit, Freiheit und Humanität als Leitprinzipien der Technikanwendung, Technikfolgenabschätzung im Hinblick auf befriedetes Dasein beinhalten Marcuse will kein Zurück zu einer vortechnischem Zustand, sondern eine andere Anwendung von Technik zur Befreiung von Mensch und Natur, weg von Ausbeutung und Zerstörung. Er will eine „menschliche Aneignung“, die gewaltlos und nicht zerstörerisch ist. Der Natur wird bei ihm eine eigene, ideale Zweckmäßigkeit zugespochen. Unter einem wirklichen Sozialismus wäre auch die menschliche Natur verändert, es würde andere (sozialistische) Rationalität herrschen, keine Rationalität der Ausbeutung, keine instrumentalistische Rationalität des Kapitalismus.
Eine Rationalität für einen transzendenten Entwurf der Gesellschaft habe aber zur Bedingung, dass der Entwurf seine eigene höhere Rationalität belegen muss (etwa indem er die produktiven Errungenschaften der Zivilisation erhalten und verbessern und beine bessere Möglichkeit für eine Verwirklichung der Befriedung des Daseins, ein Leben ohne Angst und eine freie Entfaltung der menschlichen Bedürfnisse bieten würde); eine solche „rationale Phantasie“, für die er plädiert, köne zum gesellschaflichen Apriori werden. Er schreibt aber auch etwa, eine von ausbeuterischen Zügen befreite technologische Rationalität könne als Maßstab und Wegweiser für Planung und Entwicklung der verfügbaren Ressourcen für alle dienen.
Und heute?
Die instrumentelle Vernunft, das Denken der Aufklärung und die technologische Rationalität sind wertfreies, formalistisches, instrumentelles Denken, Rationalität ohne Zwecke, ohne Vernunft. Karl Marx und die Vertreter der ersten Generation der Frankfurter Schule beklagten das Denken in Tauschverhältnissen, man kann vielleicht auch sagen in Marktkategorien. In den kapitalistischen Systemen herrscht aufgrund der die gesellschaftlichen Beziehungen dominierenden Wertstrukturen eine Tauschrationalität, der nur gleichwertiges gilt, die von konkreten Eigenschaften abstrahiert.
Heute werden immer mehr gesellschaftliche Bereiche unter Marktmechanismen unterworfen. Es gibt kaum einen Bereich mehr, in dem nicht die Kategorien des Marktes und der Konkurrenz gelten Wie Arbeit immer öfter nur mehr Mittel zur Produktion von mehr Geld als mehr Tauschwert (und zwar für Kapitalisten wie Arbeiter) ist, so werden auch die Beziehungen der Menschen immer mehr von einer Tauschrationalität erfasst. Die Marktbeziehungen und ihre Rationalität weiten sich auf immer mehr gesellschaftliche Bereich aus. Die Grundstrukturen des Kapitalismus sind nicht auf Produktion und Distribution beschränkt. „Zweckrationales“, manipulatives Denken, Atomisierung und Egoismus kennzeichnen die Industriegesellschaften nach der geistig-moralischen Wende zum Neoliberalismus, die sich als alternativlose darstellen wollen.
(C) Markus Weber