Christian Wulff ist im dritten Wahlgang zum neuen Bundespräsidenten gewählt worden. Doch so schön die “Klatsche” für die Regierung durch die Nichtwahl im ersten und zweiten Wahlgang sein mag: in Wirklichkeit hat die Opposition kaum etwas gewonnen. Die Ereignisse um die Wahl werden schon bald wieder in Vergessenheit geraten. Dafür aber haben die rechten Flügel von SPD und Grünen die Möglichkeit zu einer gemeinsamen Opposition von links schwerer gemacht, wenn nicht unmöglich – und das durchaus gezielt. Die Partei Die Linke hat (zumindest in den Augen der Öffentlichkeit) die Chance versäumt, Wulff als Bundespräsidenten zu verhindern und sich klar von der DDR zu distanzieren. Die Vorgänge um die Bundespräsidentenwahl bedeuten also 1. den Sieg der Parteitaktierer und 2. einen Erfolg der wirtschaftsliberalen Kräfte bei SPD und Grünen gegen diejenigen, die für eine soziale Politik eintreten.
Von den Unions- und FDP-Abgeordneten stimmten durhaus überraschend viele Delegierte nicht für Christian Wulff. Diese “Abweichler” sind aber wohl nur zu einem geringen Teil der klägliche Rest von Politikern, die Überzeugungen vor Parteitaktik stellen. Der größere Teil werden solche gewesen sein, die mit der Bundesregierung aus den unterschiedlichsten Gründen unzufrieden waren und ihr einen Denkzettel verpassen wollten. Dieser sollte aber nicht so weit gehen, ihr wirklichen Schaden zuzufügen, und so haben sie sich dann anscheinend doch recht bereitwillig “disziplinieren” lassen und die Zahl der Stimmen für Wulff kontinuierlich zugenommen. Die Parteipolitik hat wieder einmal gesiegt.
Gesiegt haben ebenso die rechten, d.h. vor allem konserativen und wirtschaftsliberalen Politiker bei SPD und Grünen. Diese haben ihr Hauptziel, das ihnen noch wichtiger war als die Destabilisierung der Regierungskoalition, erreicht: die Diffamierung der Partei Die Linke und die Schmälerung der Chancen auf Rot-Rot-Grün. Ihnen ist es gelungen, denen, für die sie Politik machen, zu signalisieren, dass sie an “Bürgerlichkeit” der Union und der FDP in nichts nachstehen und dass sie v.a. nicht gewillt sind, einen fundamentalen Politikwechsel vorzunehmen. Der Wegweiser ist derselbe, und er zeigt klar in Richtung Wirtschaftsliberalismus, Deregulierung und Sozialabbau. Eine linke Politik soll mit allen Mitteln verhindert werden, und dafür wird sogar die Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten verwendet. Und sie haben es sogar geschafft, dass andere Teile ihrer Parteien in der Öffentlichkeit mitziehen. Denn wenn SPD und Grüne nun pauschal der Linken die Schuld an Gaucks Nichtwahl zuweisen, ist der nur allzu offensichtliche Plan der Konservativen und Neoliberalen außerhalb von Union und FDP aufgegangen. Ein wirklich linker Politikwechsel wäre nur mit rot-rot-grün möglich gewesen, und das ist nun zumindest für die absehbare Zeit kaum durchführbar. Diese Chance wurde gezielt verbaut.
- Können sich freuen: eine linke Politik ist in der nächsten Zeit kaum möglich.
Dabei wurden von ihnen gezielt Gruppendynamik und Parteikadavergehorsam instrumentalisiert: Denn die selben Parteipolitiker, die Gauck in den letzten Wochen so hochjubelten, hätten ihn als Kandidaten von Schwarz-Gelb natürlich ebenso entschieden abgelehnt. Die gespielte emotionale Empörung angesichts dessen, dass ihn die Partei Die Linke nicht wählte, ist nicht sehr überzeugend. Gauck war nie ein politisch linker Kandidat und seine Äußerungen zur Linken nach seiner Nominierung erweckten nicht den Eindruck, dass man die Stimmen dieser Partei auch nur irgendwie haben wollte. Im Gegenteil: SPD und Grüne hätten wohl kaum einen Kandidaten finden können, der weniger für eine linke Politik steht und den die Partei Die Linke eher angelehnt hätte.
Das Verhalten der Partei Die Linke ist also teilweise durchaus nachvollziehbar, wenn auch nicht taktisch das Klügste. Man hätte hier die Chance gehabt, alles Stasi-Gerede der Mainstream-Journaille Lügen zu strafen und Schwarz-Gelb empfindlicher zu treffen, als es jetzt der Fall ist. Den ganzen Wahltag über waren folglich, und es wird die nächsten Tage sicher zunehmen, die vorhersagbaren und sicher gut eingeübten Statements zu hören, die die Presse natürlich nur um so lieber verstärkt: Die Linke ist nicht in der Demokratie angekommen, sie ist nicht regierungsfähig. Dieser Eindruck wird sich natürlich durch die mediale Indoktrination auch auf die Bevölkerung ausbreiten und die Zustimmung zu der Linken als auch zu rot-rot-grünen Koalitionen senken – auch wenn inhaltlich immer noch viele Ziele von einer Mehrheit geteilt werden mögen.
Und daran ist die Linke auch nicht ganz unschuldig, das muss man wohl festhalten. Zumindest im letzten Wahlgang wäre Gauck sicher das “geringere Übel” als Wulff gewesen: Wulff verkörpert die CDU an sich: er ist konservativ, erz-christlich, neoliberal. Gauck ist das sicher auch alles – aber in einer deutlich gemäßigteren Ausprägung, z.B. ist er ein Schröder-Anhänger. Zudem ist Gauck unabhängig, Wulff ist ein reiner Parteipolitiker, und er tritt entschieden für gesellschaftliche Freiheit und Bürgerrechte ein, was Wulff nicht tut (siehe bspw. Uwe Schünemann). Dies hätte alles dafür gesprochen, Gauck im dritten Wahlgang zu wählen.
Andererseits hätten, sieht man sich den zweiten Wahlgang an, die Stimmen für Gauck auch nicht einmal gereicht, wenn SPD, Grüne und Linke alle Gauck gewählt hätten und die Gauck-Wähler von Union und FDP bei ihrer Stimme geblieben wären. Der Vorwurf, Wulff an die Macht geholfen zu haben, ist also nicht tragbar. Außerdem hätten damit viele Linke ihre Überzeugung verraten und sich unglaubwürdig gemacht.
So oder so: durch eine recht geschickt durchgeführte Taktik der anti-linken (und damit ist nicht die Partei gemeint) Kräfte in SPD, Grünen und Medien konnte die Partei Die Linke nur verlieren, so wie es auch Anhänger von rot-rot-grünen Kooperationen nur konnten. Bei den Seeheimern werden somit nun sicherlich die Korken knallen, trotz der Wiederwahl von Wulff. Die Politik in Deutschland wird weiter in eine neoliberale Richtung gehen, dafür ist nun gesorgt.
Nachtrag:
Am Mittwoch Abend bei Hart sagte Hans-Ulrich Jörges, er hätte aus der Linken gehört, dass diese Gauck gewählt hätte, wenn ihre Stimmen gereicht hätten, durch diese Wulff zu verhindern. Spon berichtet am Donnerstag über Reaktionen aus der Linken und der SPD, u.a.:
Obwohl sich die SPD in der Öffentlichkeit lautstark über das Verhalten der Linken beschwert, sind hinter vorgehaltener Hand auch andere Kommentare zu hören: Viele Sozialdemokraten verbuchen es als taktischen Erfolg, dass sie mit dem Kandidaten Gauck nicht nur Unfrieden in der Koalition geschürt, sondern auch die Linkspartei gezwungen haben, sich von SPD und Grünen zu distanzieren.
Links zum Thema:
Viele Verlierer (Der Freitag)
Die Bundespräsidentenwahl – Ein Lehrstück (Oeffinger Freidenker)
Erosion einer Regierung (binsenbrenner.de)
Bundespräsidentenwahl ohne Gewinner (blogsgesang)
Die Meta-Politik-Show (NachDenkSeiten)
Bildquellen:
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Wikimedia (Gabriel, Kahrs, beide unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/; Scheel, unter http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en)
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