Don’t feed the troll?
Immer wieder findet man vor allem im Internet das Argument, man solle mit einer Diskussion über ein bestimmtes Thema – über etwa einen aktuellen politischen Vorstoss, der nicht die eigene Meinung repräsentiert – doch nicht “DIE auch noch stärken”, indem man sich überhaupt mit dem jeweiligen Thema beschäftigt. Egal, worum es geht: Man kann sich sicher sein, dass sich irgendwann jemand in einer Diskussion findet, der sich beschwert, dass diese Diskussion überhaupt stattfindet.
Ob da einige das Phänomen der Internet-Trolle zu sehr breittreten, will ich mal stehen lassen. Diese Ansicht ist auf jeden Fall in vielerlei Hinsicht nicht zielführend. Sie ist vielmehr, um es hart auszudrücken, meist genauso sinnentleertes Gerede wie, dass man etwa mit Demonstrationen gegen Nazis “denen dadurch ja nur noch mehr Aufmerksamkeit schenkt”. Zu Recht werden häufig die Konservativen und Liberalen, die sich in vielen Städten nicht an Anti-Nazi-Demonstrationen beteiligen wollen, für diese Einstellung kritisiert. Sollen wir es tolerieren, dass die Feinde der Toleranz und der Freiheit ihre rassistischen und faschistischen Botschaften weiter verbreiten dürfen? Das würden sicherlich viele ablehnen. Und soll man denn andererseits selbst die hetzerischsten und menschenverachtendsten Aussagen einfach stehen lassen egal, wie es die, die überall von Trollen sprechen, wollen – egal, wie schlimm sie sind (es gilt bei manchen offenbar fast: je schlimmer die Aussage eines “Trolls”, desto weniger sollte man drüber reden)? Werden Werte wie Freiheit, Demokratie, Menschenrechte nur auf der Straße verteidigt, oder geht es nicht auch darum, sie als Idee zu verteidigen – gegen alle Anfeindungen, auch wenn etwa sie aus dem Feuilleton einer als seriös angesehen Zeitung kommen?
Sollen wir doch die ganzen Sarrazins, Heinsohns, Westerwelles, die versammelte Springer-Journaille hetzen und Unwahrheiten verbreiten lassen? Genau! Tun wir einfach so, als gäbe es sie nicht, und beschäftigen wir uns mit etwas anderem. Am besten mit irgendwas, was man in der Realität nie wird umsetzen können, vor allem, weil man sich mit Gegenargumenten ja nicht beschäftigt, da man damit ja nur die, die die Gegenargumente vorbringen, stärken würde.
Ich denke, die reflexhafte Verwendung des “sollten wir gar nicht erst drüber reden und ihnen Aufmerksamkeit schenken”-Arguments ist oft begründet in der Unfähigkeit bzw. in dem Unwillen, politische Gegner argumentativ zu widerlegen. Denn auch wenn die Äußerungen, die man “einfach nicht beachten” soll, oft äußerst plump sind – es geht um das Gedankenbild, das dahinter steht. Und das ist durchaus ausgearbeiteter, als ein platter Spruch auf einem FDP-Plakat einen glauben lassen mag (in den meisten Fällen zumindest).
Es ist im öffentlichen Meinungsbildungsprozess nicht immer so einfach wie bei einem Internet-Troll, dass er tatsächlich bald aufgibt, wenn man ihn ignoriert. Und selbst wenn man das tut: viel zu viele tun dies in der öffentlichen Diskussion ohnehin nicht. Also muss man ihnen Contra bieten. Es geht in der politischen Auseinandersetzung ja gerade darum, die besten Argumente zu finden, Argumente der anderen Seite zu widerlegen oder sie eben als falsche Argumente zu entlarven. Viel zu viele Leute glauben diesen Blödsinn, bei dem sich jeder vernünftige Mensch natürlich erst denkt, darüber muss man ja gar nicht sprechen, so dumm ist das, tatsächlich. Will man sie nicht alle gänzlich verloren geben, muss man versuchen, wenigstens einige von ihnen mit der Kraft der Logik und der Vernunft, durch eine sachliche Argumentation zu überzeugen. Man muss darauf aufmerksam machen, wenn jemand rassistische und sozialdarwinistische Einstellungen verbreiten will, und man muss es nicht nur sagen, man muss es auch belegen. Plumpe Propaganda sollten diejenigen, denen es um Emanzipation und Aufklärung der Gesellschaft geht, sich nicht zu eigen machen.
Alles dasselbe!
Wenn diese Leute sich dann doch einmal zu einem Thema äußern – und damit dann eigentlich in ihrer eigenen Logik “die Aufmerksamkeit nur auf DIE” lenken (wo sie in der Realität ohnehin leider oft ist), begegnen wir oft einer anderen verbreiteten Unsitte. Die Argumentation ist dann ähnlich einfach oder vereinfachend, wie die der kritisierten Seite. Ein Beispiel: Marxismus ist entweder das Grundübel an sich oder die unfehlbare Quelle aller Weisheit. Alle wirtschaftlichen Probleme, egal welche, sind nur ein Zeichen des naturgesetzmäßigen Untergangs des Kapitalismus, deshalb muss man sich keine große Mühe machen, sich die Vorgänge mal genau anzuschauen. Die Kapitalisten wollen den Arbeiter ausbeuten, und am besten bringt man dann noch ein Brecht-Zitat. Vulgärmarxismus kann man das auch nennen.
Und natürlich ist ja alles das selbe: alle, alle, alle sind neoliberal (außer der Gruppe, zu der man gerade gehört), zwischen Guido Westerwelle und Dietmar Bartsch gibt es so gut wie keinen Unterschied, Meinhard Miegl, Arnulf Baring oder Hans-Werner Sinn vertreten im Prinzip genau das selbe wie Heiner Flassbeck oder Paul Krugman, und alle sind sie: Kapitalisten!. Und uns würde ja sowieso nur die Revolution helfen, wenn, ja wenn sie endlich alle aufstehen würden, anstatt im Internet andere belehren zu müssen, entweder über ein Thema nicht zu sprechen, da man damit nur die falsche Seite stärkt, oder man versichern muss, dass sowieso fast jeder zu dieser falschen Seite gehört. Dann könnte das noch was werden.
Auf diese Weise mag man in seinem Weltbild schön zu Rande zu kommen. Vor den wirklichen Problemen verschließt man aber die Augen. Und verändern wird man nichts.
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