Das Menschenbild der Neokonservativen

Roland Koch fordert eine Arbeitspflicht für Arbeitslose, zur Not auch in Billig-Jobs (siehe auch). Er fordert also Zwangsarbeit. Die Rhetorik, die Koch hier benutzt,  verdeutlicht aber auch noch ganz exemplarisch, welches Menschenbild hinter der neokonservativen Workfare-Ideologie steht, die Koch (und damit ist er leider bei weitem nicht alleine) hier propagiert.

Jedes Sozialsystem brauche ein Element der Abschreckung, so Koch. Anders sei “das für die regulär Erwerbstätigen, die ihr verfügbares Einkommen mit den Unterstützungssätzen vergleichen, unerträglich”. Deshalb müsse man Druck ausüben, niemand solle das Leben mit Hartz IV als “angenehme Variante” ansehen. Die Politik müsse Härte zeigen. Dass sich aber die Rede vom “angenehmes Leben” mit Hartz IV als billiger Trick erweist, zeigt sich beinahe im selben Atemzug. Denn Roland Koch ist dabei völlig klar, was Hartz IV bedeutet:

Wir haben ja zwei Gruppen: jene, die durch die Unbilden des Lebens, völlig ohne eigene Schuld, in Not geraten sind. Denen möchte man Hartz IV eigentlich nicht zumuten. Und wir haben Menschen, die mit dem System spielen und Nischen ausnutzen. Wenn man das nicht beschränkt, wird das System auf Dauer illegitim. (Roland Koch zur Wirtschaftswoche)

Das ist mal wieder die übliche Propagada der Neokonservativen und Neoliberalen. Die meisten Arbeitslosen seien ja selber schuld, sie wollten ja nur nicht arbeiten. Zahlen o.ä. legen sie dabei nie vor. Und selbst, wenn wir einmal davon ausgehen würden, dass es ein paar Leute gibt, die nicht arbeiten wollen, hat das Bild vom Menschen und der Gesellschaft, das hier zum Vorschein kommt, weder etwas mit Sozialstaatlichkeit und Solidarität, noch überhaupt etwas mit Humanismus oder Ethik zu tun. Hier geht es nicht darum, dass wer mehr arbeitet auch mehr verdienen soll; dem kann man zweifellos zustimmen, ohne die Workfare-Prinzipien oder gar Zwangsarbeit gutzuheißen – und nicht nur bei der Forderung nach Zwangsarbeit kann man mit gutem Recht davon sprechen, dass Koch und Co. hier tatsächlich in voraufklärerische Zeiten zurück wollen. Aber es geht auch nicht primär um Roland Koch, der sich mal wieder eine neue Gruppe ausgesucht hat, die man für die Probleme unserer Gesellschaft verantwortlich machen kann.

Hier geht es um Fundamentaleres. Hartz IV möchte man “Unschuldigen” eigentlich nicht zumuten, so Koch. Ja, Hatz IV ist unmenschlich, es ermöglicht eben kein angenehmes, kein menschenwürdiges Leben. Diejenigen aber, die “uns” nur ausnutzen, diese ganzen Parasiten, sollen “unsere” ganze Härte zu spüren kriegen.  Sie sollen gezwungen werden, zu arbeiten, hart zu arbeiten, für einen niedrigen oder keinen Lohn, um des Arbeitens willen. Für sie soll das Leben nicht angenehm sein.

Härte, Unbarmherzigkeit, Menschen das Leben so unangenehm wie möglich machen, und all das von einem Politiker einer Partei, die sich “christlich” nennt. Dies ist aber die Gesellschaft, die hinter der neokonservativen Politik steht, wo ein angenehmes Leben nur für die “Leistungsträger” ermöglicht werden soll. Diese müssen sich aber auch immer anstrengen in einem nie enden und nie nachlassenden wollenden Kampf um Geld und Status und Karriere, damit sie nicht abrutschen zu denen, die sie verachten, gegenüber denen sie “Härte zeigen”, die Härte der Leistungsträger, die es einfach nicht ertragen können, wenn Menschen, die sich ihrem pervertierten Leistungsdrucksystem nicht stellen wollen oder können, ein Leben führen, das auch nur halbwegs menschenwürdig ist. Dass unsere Gesellschaft durch den technischen Fortschritt es ermöglichen würde, dass alle Bürger ein Leben führen könnten, welches frei ist von materieller Not, dass sie die unmittelbaren menschlichen Bedürfnisse für alle in einer nie gekannten Art befriedigen könnte und die Voraussetzung für ein angenehmes Leben für alle bieten könnte, ist für sie eine abwegige Vorstellung.

Nein, der Mensch soll immer in Angst leben, und sei es nicht die Angst vor irrealen Gefahren, dann die Angst, in ein abschreckendes System sozialer Kälte einer gnadenlosen Gesellschaft abzustürzen. Druck muss überall spürbar sein. Jeder muss sich behaupten, jeder muss immer und überall kämpfen, und der Feind muss besiegt werden. Der Feind, das ist nicht nur “der Terrorist”, das ist auch der Konkurrent um den Arbeitsplatz, und das sind die “Arbeitsunwilligen”, sind die Hilfsbedürftigen, sind die Schwächeren, gegen die man triumphieren muss und gegenenüber denen man keine Gnade oder Menschlichkeit kennen darf.  Nur der Stärkere setzt sich durch.

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Keine politische Justiz?

Von den Palmer Raids der Zwanziger Jahre bis zu den Fällen Peltier und Abu-Jamal durchzieht ein roter Faden die amerikanische Rechtsgeschichte – der der politischen Justiz (Text: Frank Benedikt unter der Lizenz CC BY NC 3.0)

Mumia Abu-Jamal (*)

Zwei mal drei Meter – das sind die Abmessungen der Zelle, in der der wohl bekannteste Todeskandidat der Welt seit 1995 eingekerkert ist. Seit 1982, als er wegen Polizistenmordes in einem fragwürdigen Verfahren zum Tode verurteilt wurde, hat der Journalist und Aktivist Mumia Abu-Jamal stets den Tod vor Augen. An seiner Schuld bestehen seit langem erhebliche Zweifel, dennoch droht ihm weiter die Hinrichtung. Das Todesurteil, das im März 2008 vorläufig aufgehoben wurde, wird in den kommenden Tagen vom Obersten Gerichtshof der USA entweder bestätigt oder in lebenslange Haft umgewandelt werden, ungeachtet weltweiter Initiativen, die seit langem eine Freilassung Abu-Jamals oder zumindest eine Wiederaufnahme des Verfahrens fordern. Dass es bei dem Verfahren gegen das ehemalige Black Panther- und MOVE-Mitglied zu eklatanten Verstössen gegen rechtsstaatliche Standards kam, heben auch internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch hervor. Gerade letztere Organisation betont auch nicht zuletzt die politische Komponente in diesem Fall, die bei der Urteilsbemessung eingeflossen sei. Ein „militanter“ Afroamerikaner – eine doppelte Herausforderung für das überwiegend weiße und konservative Justizsystem der USA, das auf emanzipatorische und „linke“ Bestrebungen schon früher mit staatlicher Härte reagiert hat.

„Red Scare“ und die Palmer-Raids

Schon mit dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg breitete sich in den Vereinigten Staaten Angst vor Fremden und Spionage aus. Ein erstes Resultat war die Verabschiedung des Espionage Acts im Juni 1917, der unter anderem dazu führte, dass der dreimalige Präsidentschaftskandidat der Sozialistischen Partei, Eugene V. Debs, verhaftet und zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Auch der bekannte Schriftsteller E. E. Cummings wurde wegen „Spionage“, die sich darin erschöpfte, dass er keinen Hass gegen die Deutschen zu empfinden vermochte, zu dreieinhalb Monaten in einem Militärlager verurteilt. Der Sedition Act, der 1918 als Zusatz dem Espionage Act hinzugefügt wurde, stellte auch generell Kritik an der Regierung unter Strafe und markierte den einstweiligen Höhepunkt in der legislativen Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten in den USA.

Mit dem Ausbruch der Russischen Revolution wuchs nicht allein in den europäischen Ländern die Furcht vor einem Übergreifen der revolutionären Dynamik: in den Vereinigten Staaten existierte eine vielfältige Arbeiterkultur, zusammengesetzt aus Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten aus aller Herren Länder. Die Anarchisten waren schon gelegentlich durch Attentate aufgefallen und Gewerkschaften wie die Wobblies (IWW – Industrial Workers of the World) waren nicht nur gut organisiert, sondern auch „internationalistisch“ eingestellt. Der offene Konflikt zwischen Arbeiterschaft und Kapital hatte bereits lange vor dem Krieg begonnen, denn schon im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es blutige Auseinandersetzungen zwischen den Molly Maguires und den Kohlenbergwerksbetreibern Pennsylvanias. Andere massive Arbeitskämpfe sollten folgen und die gesellschaftlichen Verhältnisse waren bereits zu Beginn des Krieges angespannt.

Weitere große Streiks, staatliche Repression aufgrund der neuen Gesetze, und eine Serie von Bombenanschlägen, die den Galleanisten, einer anarchistischen Gruppierung zugeschrieben wurden, verschärften die Situation und der neue Generalstaatsanwalt, Alexander Mitchell Palmer, ließ – zusammen mit dem jungen J. Edgar Hoover – zwischen 1919 und 1920 die sogenannten „Palmer Raids“ durchführen. Bei Massenfestnahmen ohne offizielle Anklage wurden ca. 10.000 Personen landesweit festgenommen, unter ihnen auch die bekannten Anarchisten Alexander Berkman und Emma Goldman, die, zusammen mit rund 500 anderen „ausländischen Anarchisten und Kommunisten“, kurzerhand nach Russland abgeschoben wurden, welches sich zu dieser Zeit noch im Bürgerkrieg befand. Der Höhepunkt der ersten „Rotenfurcht“ sollte damit aber auch überschritten sein, da Palmer die Unterstützung der Bevölkerung einbüßte, nachdem sich seine Prognose, „die Roten“ würden für den 1. Mai 1920 eine Revolution in den USA planen, als völlig haltlos erwies. Bereits im Juni desselben Jahres beendete der Bundesrichter George W. Anderson die größte Massenverhaftung der US-Geschichte, aber zu diesem Zeitpunkt waren bereits viele Menschen grundlos inhaftiert oder gar deportiert worden.

Die Mörder sind unter uns

In der Zeit der „Palmer Raids“ und der ersten „Roten Angst“ ereignete sich auch der bekannte Fall der italienischstämmigen Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti, der in Kunst und Literatur seinen Niederschlag gefunden hat. Die beiden Arbeiter, die sich dem Kriegsdienst verweigert bzw. entzogen hatten, hatten sich der Bewegung um Luigi Galleani angeschlossen und sollen im April 1920 bei einem Raub in South Braintree, Mass., zwei Menschen erschossen haben. Trotz zweifelhafter Zeugenaussagen und weltweiter Proteste wurden Sacco und Vanzetti 1927 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ihre Schuld gilt bis heute als nicht erwiesen und anläßlich des 50. Jahrestages ihrer Hinrichtung hat sie der damalige Gouverneur von Massachusetts, Michael Dukakis, postum rehabilitiert.

Leonard Peltier – der letzte der Lakota?

Im selben Jahr, als Mike Dukakis Sacco und Vanzetti rehabilitierte, wurde Leonhard Peltier, ein Mitglied von AIM, des American Indian Movement zur Befreiung von der Unterdrückung durch die weiße Mehrheit, zu zweimal lebenslänglich verurteilt, da er für die Ermordung von zwei Bundesagenten des FBI verantwortlich sein soll. Bürgerkriegsähnliche Zustände in der Pine Ridge Reservation in South Dakota hatten ihn und andere AIM-Mitglieder dazu veranlaßt, das Reservat aufzusuchen, um ihren Stammesbrüdern beizustehen.

Der indigene Aktivist, der sich bereits in jungen Jahren für die Interessen der unterdrückten Ureinwohner einsetzte, dürfte inzwischen wohl der dauerhafteste „Politische“ in den USA sein: seit Dezember 1976 ist Peltier bereits inhaftiert, wiewohl auch hier die Indizien und Zeugenaussagen dürftig genug schienen, um ihm beispielsweise die Unterstützung von Amnesty International und seitens des Dalai Lama einzutragen. Nachdem 2009 ein Gnadengesuch von der Parole Commission abgelehnt wurde, besteht die nächste Möglichkeit für ein Gnadengesuch erst wieder 2024 – Leonhard Peltier wird dann 79 Jahre alt sein und seine Strafe läuft voraussichtlich noch bis 2040.

Zusammen mit Mumia Abu-Jamal gilt Leonhard Peltier heute als der bekannteste politische Gefangene in den USA und ist auch – gerade hinsichtlich der zweifelhaften Beweislage – das doppelte Sinnbild für einen unschuldig und politisch Verurteilten.

Keine politische Justiz?

Die Wertung kann nur der Leser vornehmen, wenn es auch danach „riecht“ und renommierte Menschenrechtsorganisationen dies unumwunden so bezeichnen. Ein System, welches Menschen – schuldig oder unschuldig – ohne die Möglichkeit zu einer Rehabilitation dauerhaft „wegsperrt“ oder gar tötet, kann nach mitteleuropäischen Maßstäben und Ansicht des Autors kein humanes und gerechtes sein. Zwischen „Rache“ und „Gerechtigkeit“ wird es stets einen normativen Unterschied geben.

Freiheit oder Tod?

Fast scheint es so, wenn man sich Mumia Abu-Jamals akute Lage vor Augen ruft. Die „Freiheit“ wird er wohl, dem Rechtssystem in den USA geschuldet, kaum erlangen können, aber Freiheit von ständiger Bedrohung mit dem Tod wäre schon sehr viel. Da tritt spätestens dann auch die Schuldfrage in den Hintergrund, denn dieser Mensch hat in über 28 Jahren „alle seine Sünden gebüßt“ – es wäre an der Zeit, ihn zu begnadigen!
P.p.s.: Ein nachgereichter Link, den ich im Text nicht mehr anzubringen wußte, der mir aber für das Verständnis eines Herrn Palmer hilfreich scheint.

(Originalpost beim binsenbrenner.de)

*: Bild: http://www.flickr.com/photos/dubdem/ / CC BY 2.0

Die Lage um Mumia Abu-Jamal ist derzeit äußerst dringend. Deshalb sind zahlreiche Aktionen in Vorbereitung. Hier ein paar Aufrufe und weitere Informationen:

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Update zu "Das Kabinett der Frau Dr. Merkel": die alte und die neue Zensursula

Ach ja, habe ich ganz vergessen zu posten: das Kabinett der Frau Dr. Merkel hat ja bereits etwas Zuwachs bekommen:

Zensursula von der Leyen ist für die Kurzzeitvertretung (und mal ehrlich, wer hätte sich mehr erwartet?) Franz Josef Jung ins Ministerium für Arbeit und Soziales nachgerückt. Besondere Qualifikationen auf ihrem Fachgebiet kann sie nicht vorweisen – doch damit ist sie im ja Bundeskabinett nicht allein.

Dass sie aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse das Arbeitsleben nie so richtig kennen gelernt hat, sei mal dahingestellt. Auch, dass gerade sie nie wird nachvollziehen können, was es heißt, von Hartz IV leben und eine Familie ernähren zu müssen. Doch nein, das Problem ist ja nicht, so führt auch sie aus, dass es zu wenig Arbeitsplätze gibt – nein, dieser faule Pöbel will ja nur nicht arbeiten! Also beabsichtigt sie als einzige Veränderungen zu Hartz IV erst einmal die Erhöhung von Sanktionen gegen angeblich “arbeitsunwillige” Hartz IV- Empfänger – und führt damit die bisherige Workfare-Politik konsequent weiter.  Sie sollte vielleicht lieber Stopp-Schilder vor Arbeitsämter hängen. Oder solche Aktionen starten:

Nachfolgerin von Zensursula als Familienministerin wird Kristina Köhler. Die Qualifikation der Jüngerin von Roland Koch, die sich als “Expertin für Islam, Integration und Terrorismus” (sic!) bezeichnet und mit 14 Jahren laut eigener Aussage für Helmut Kohl schwärmte,  besteht darin, dass sie Hessin ist. Sehr aufschlussreich sind auch die Berichte über das Zustandekommen und den Charakter ihrer Doktorarbeit. Sie hat zwar weder Kinder noch ist sie verheiratet, hat aber eindeutig das Potential zur Miss Bundeskabinett. Doch von Äußerem soll man sich ja nicht täuschen lassen. Blickt man also einmal hinter die Fassade, so offenbart sich dort schnell das Gesicht der CDU Alfred Dreggers und Manfred Kanthers. Sie bezeichnet sich nicht nur selbst als neoliberal – ihre politischen Hintergründe sind sehr gut auf F!XMBR: Dr. Kristina Köhler – eine “Neue Rechte” im Kabinett Merkel? zusammengefasst. Ob Behauptungen über angebliche deutschenfeindliche Gewalt von Ausländern gegenüber Deutschen (siehe das Video), Links von ihrer Internetseite zu PI oder die geplante Ausweitung von Programmen gegen Rechtsextremismus auf Linksextremismus und Islamismus: die Stoßrichtung ist klar.

Direktlink: http://www.youtube.com/watch?v=nvJs_TkrYo0 (Ein Bericht des NDR-Politmagazins Panorama über Ausländerfeindlichkeit in Reihen der CDU. Ab  Miute 5:25 geht es um Kristina Köhler.)

Einziger Trostpunkt: ob Kristina Köhler von der Leyens Lieblingsprojekt, die Internetsperren, wird durchführen können, scheint eher unwahrscheinlich. Doch man soll sich ja nicht zu früh freuen. Auch in Frau Dr. Merkels Kabinett werden uns sicherlich noch einige “Überraschungen” erwarten …

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Zensursula im Ministerium für Arbeit und Soziales: das fängt ja schon mal gut an …

Was die neue Bundesregierung unter “Veränderungen von Hartz IV” wirklich versteht, zeigt die neue Arbeitsministerin Zensursula von der Leyen jetzt ganz deutlich. Und dabei ist von den angeblich angedachten “Verbesserungen” außer Floskeln nichts zu sehen – im Gegenteil. Auf Artikel in der Springer-Presse zu verlinken ist natürlich immer so ne Sache, aber dieser zeigt ganz deutlich, was die Bundesregierung und ihre medialen Unterstützer wirklich wollen: Wer nicht arbeiten will, soll härter bestraft werden (BILD) (via).

Zensursula will, so sagt sie in einem Interview mit diesem Blatt, eine umfangreichere und härtere Anwendung von Sanktionen gegen “arbeitsunwillige” Hartz IV-Empfänger. Sozialleistungen soll es nur gegen Arbeitszwang geben.

– Genau, das Problem ist nicht, dass es zu wenige Arbeitsplätze gibt, nein, diese faulen Schmarotzer wollen ja alle nur nicht arbeiten!! Dann muss man sie eben zwingen! Und notfalls sollen sie auch für 1 Euro oder sogar weniger arbeiten, schließlich soll man doch auch nichts geschenkt bekommen! Es gibt noch nicht genug Sanktionen – die Leistungen komplett, zu 100%, streichen, reicht noch nicht! Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!!1!! –

Und Zensursula zeigt außerdem, dass sie nicht nur nichts von Arbeitsmarkt-, sondern auch nichts von Wirtschaftspolitik versteht:  “Da wir so viel exportieren, muss die weggebrochene Nachfrage aus dem Ausland wieder steigen”, wird sie in dem Artikel zitiert.

Klar. Und wie sollen wir das machen? Sollten wir nicht stattdessen eher die Binnennachfrage steigern, dafür sorgen, dass eben durch höhere Sozialleistungen, höhere Löhne und weniger Arbeitslosigkeit der Konsum steigt? Aber nein, das würde nicht ins Konzept einer neoliberalen Politik passen. Auch wenn es sinnvoll wär, egal.

Welche Vorstellungen und welches Gesellschaftsbild diesen Vorstellungen zugrunde liegt, erläutert derweil das Zeit-Essay “Armutsdebatte: Ab in die Dienerschule”:

Die Allianz der Leistungsträger träumt von einer neuen Gesellschaft, in der die Schwachen sich selbst überlassen bleiben

Und es zeigt, was von den Vorstellungen Sloterdijks und Co. zu halten ist,, warum in Wirklichkeit eine Umverteilung von unten nach oben stattfindet und wie wir derzeit einen Klassenkampf von oben erleben, was vom angeblichen “Leistungsprinzip” zu halten ist und warum Gerechtigkeit und Chancengleichheit wichtig sind.

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Die deutsche Wirtschaft im Teufelskreis?

Schleche Aussichten für die  Wirtschaft und die Beschäftigung in Deutschland dieses Jahr. Noch schlechter, wenn die Politik nicht (und danach sieht es leider aus) auf sinnvolle Vorschläge, wie die des IMK, hören sollte:

Die deutsche Wirtschaft könnte im neuen Jahr in einen Teufelskreis der Konjunktur geraten. Das befürchten zahlreiche Experten. Steigende Arbeitslosigkeit führe zu sinkender Kaufkraft und zusätzlich zu einem “Angst-Sparen”. Dies wiederum lasse die Umsätze von Handel und Herstellern schrumpfen und beschleunige den Jobabbau.

Aus diesem Grund muss nach Einschätzung des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Aufschwung weiterhin “dringend” mit einer expansiven Geld- und Finanzpolitik unterstützt werden. “Sonst ist das Risiko groß, dass die konjunkturelle Belebung in diesem Jahr eine Episode bleibt”, warnt der Chef des Instituts, Gustav Horn. (…)

Die politischen Weichenstellungen der vergangenen Monate weisen aus IMK-Sicht in die falsche Richtung. “Geld, das in gesamtwirtschaftlich wenig sinnvolle Steuersenkungen fließen soll, fehlt für Maßnahmen, die wirklich Wachstum bringen”, betonte Horn. Stattdessen sollte die Politik den langjährigen Stau bei den öffentlichen Investitionen auflösen und sowohl in Infrastruktur als auch in Bildung investieren. (…)

Warnsignale kommen aus den anderen Staaten der Euro-Zone. Im Oktober waren die Industrieaufträge in der europäischen Industrie um 2,2 Prozent gesunken – und damit ähnlich stark wie in Deutschland. Für die Konjunkturentwicklung besonders prekär: Am stärksten schrumpften die Investitionsgüterbranchen, also vor allem der Maschinenbau.

Frankfurter Rundschau: Teufelskreis der Konjunktur (via NachDenkSeiten)

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Wo ist die Opposition?

Angesichts des massiven Fehlstarts der schwarz-gelben Bundesregierung erscheint es erstaunlich, wie wenig bisher aus den Oppositionsparteien im Bundestag zu hören ist. Die Zerstrittenheit der Koalition, die Kundus-Affäre, der Bundesverband der Vertriebenen, aber v. a. solche Themen wie die Kopfpauschale, die Steuersenkungen und die Bürgerrechte würden eine Chance bieten, sich als klare Alternative zur derzeitigen Politiklinie zu profilieren. Doch bleibt diese weitgehend ungenutzt.

Die schwarz-gelbe Koalition wirkt zur Zeit in vielem wie ein unbeausichtigter Kindergarten: CSU und NRW-CDU wollen den Sozialstaat wenigstens noch etwas am Leben halten, die FDP will auf großen Raubzug gehen. Die Kopfpauschale bedeutet das Ende der solidarischen Krankenversicherung. Die Pläne der Koalition für Steuersenkungen und einen Stufentarif sind wirtschaftlich völlig kontraproduktiv. Die Verfolgung von Steuerhinterziehern wird ganz nebenbei einmal faktisch außer Kraft gesetzt.

Die FDP ist ihrem Umfaller-Prinzip treu geblieben. Ob Überwachungsstaat, Bürgerrechte oder Netzpolitik: von ursprünglichen liberalen Forderungen ist inzwischen nicht mehr viel übriggeblieben. Beim Streit um den Vertriebenenbund könnte sich leider ebenfalls ein Umfallen ankündigen, falls man auf dessen maßlos anmaßende Forderungen eingeht. Nur beim Thema Steuern bleibt sie hart – doch die Einsicht der Union, derlei abenteuerliche Vorstellungen nicht auf Deutschland loslassen zu können, hat zu weiteren Verstimmungen innerhalb der Koalition geführt.

Die Enthüllungen über Kundus werden von mal zu mal schlimmer, für Afghanistan liegt weiterhin kein Konzept vor, und Dirk Niebel hat einen Fehlstart sondergleichen hingelegt. Aber auch die anderen Minister sind mit ihrem Ämtern oft völlig überfordert. Langsam scheint sich im Kabinett zudem ein Rotationsprinzip anzubahnen. Und die Kanzlerin betreibt weiterhin die Politik des “wenn ich mich rechtzeitig verdrücke, kann mir auch niemand was”. Wohin man auch schaut: es ist wohl nicht übertrieben, diesen Auftakt als rundum misslungen zu bezeichnen.

Doch die Opposition? In der SPD erweist sich, wie zu erwarten war, Frank-Walter Steinmeier als schwere Hypothek. Ob Kundus-Affäre, Hartz IV und die Agenda 2010 oder die Innenpolitik und die Bürgerrechte – überall scheint auf der SPD die Last der Agenda-Zeiten und der Großen Koalition zu liegen. Könnte sie sich von diesen Lasten befreien, wäre schon viel getan. Das Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen – warum haben die Grünen dies nicht genutzt, nicht explizit die Demonstrationen unterstützt, die fatalen “Ergebnisse” nicht als das dargestellt, was sie sind? Im wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich machen sie sich gegenwärtig sehr rar. Die Linke ist zur Zeit leider v. a. dabei, sich gegenseitig zu zerfleischen. Dies kann ihr jedoch nur schaden, v. a., wenn es nicht um inhaltliche Fragen geht. Nicht Personalien, ihre Ideen und Konzepte sollten in den Vordergrund rücken.

Eine stärkere  Zusammenarbeit der Oppositionsparteien ist indes bisher leider größtenteils ausgeblieben. Warum? Gerade jetzt besteht die Chance, klarzumachen und dafür zu sorgen, dass diese Hornissenkoalition – von Anfang an – auf wackligen Beinen steht, und ihr die Konzepte der Oppositionsparteien entgegenzuhalten. Diese Konzepte sollten eine klare und gemeinsame Alternative zur Politik des Sozialabbaus, der Klientelpolitik zugunsten von Besserverdienenden und diversen Lobbys, der verantwortungslosen Finanzpolitik und des Abbaus der Bürgerrechte darstellen. Sie sollten es – und ich denke, dass sie es auch können.

Gerade im sozialpolitischen Bereich besteht die Chance, die Bürger und die Öffentlichkeit zu überzeugen. Die vollkommen unsoziale, unsolidarische und sinnlose Kopfpauschale wäre ein wichtiger Punkt, an dem die Opposition der Regierung das Konzept der Bürgerversicherung entgegenhalten könnte. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz von Schwarz-Gelb stellt v. a. eine Klientelpolitik dar und wird kaum Erfolge vorweisen können (mit Entlastungen für Hoteliers, die schon zugesichert haben, diese nicht an die Kunden weiterzugeben, eine Volkswirtschaft zu beleben, könnte vielleicht in Mallorca klappen. Hier aber sollte man, v. a. in der Wirtschaftspolitik, doch etwas mehr Nüchternheit bewahren). Die SPD hatte vor der Wahl mit dem Deutschlandplan ein durchaus sinnvolles Programm zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und zur Belebung der Wirtschaft geliefert. Staatliche Beschäftigungsprogramme, hohe Lohnabschlüsse, Erhöhung der Sozialleistungen, das sind die Mittel, um die Nachfrage anzukurbeln und Beschäftigung zu schaffen. Der Finanzmarkt bräuchte entgegen der leeren Versprechungen auch eine tatsächliche Regulierung, und die Kreditvergabe an die Unternehmen muss erleichtert werden.

Die Opposition sollte außerdem das Bündnis suchen mit den Gewerkschaften, mit sozialen und mit Umweltgruppen, mit Bürgerrechtlern und Datenschützern. Wenn es einer vereinigten linken Kraft gelingt, der Regierungspolitik gemeinsame und konsistente Alternativen klar und konsequent entgegenzusetzen – und ich denke nicht, dass dem inhaltlich viele Punkte entgegenstehen würden – so könnte der schwarz-gelbe Spuk vielleicht spätestens im Jahr 2013 beendet sein.

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Deutschland nicht mehr Exportweltmeister? Katastrophe!!1!!

China hat Deutschland nach chinesischen Angaben als Exportweltmeister überholt. Nach jüngsten Handelszahlen der chinesischen Zollverwaltung erreichten die Ausfuhren Chinas trotz der weltweiten Wirtschaftskrise bis November ein Volumen von 1071 Milliarden Dollar (derzeit rund 746 Milliarden Euro). Damit dürfte China den Deutschen bereits im Oktober den prestigeträchtigen Rang des Exportweltmeisters abgelaufen haben, wie Experten berichteten. (Tagesschau.de)

“Katastrophe!” werden wohl bald wieder die üblichen Verdächtigen in den Wirtschaftsforschungsinstituten schreien. Doch was ist nun wirklich los? Was besagt der “prestigeträchtige Rang” des Exportweltmeisters denn überhaupt? Zunächst einmal ist es natürlich für ein bestimmtest Land völlig unerheblich, welchen “Rang” es nun einnimmt. Dass China mit seiner Milliardenbevölkerung Deutschland überholen wird, war vorherzusehen. Und selbst ein das wirtschaftlich wohlhabendste Land Luxemburg oder stark exportierende Länder wie Singapur werden nie “Exportweltmeister” werden können. Man muss die Größe der Volkswirtschaft beachten. Die Exportquote wäre dort ein interessanter Faktor. Oder wenigstens sollte man die absoluten Gesamteinnahmen durch Exporte betrachten, nicht die relative Position: schwächelt der gesamte Welthandel, kann ein Land relativ steigen, die Einnahmen aber tatsächlich fallen. Schauen wir uns die absoluten Zahlen also einmal an:

Einem Bericht des “Wall Street Journal” zufolge exportierte China in den ersten zehn Monaten des Jahres 2009 Waren im Wert von 957 Milliarden Dollar, während Deutschland auf 917 Milliarden Dollar kam. Das Blatt berief sich auf Angaben der Genfer Global Trade Information Services. In der Krise seien die chinesischen Exporte in den ersten zehn Monaten zwar um 20,4 Prozent gesunken, aber damit weniger stark als die deutschen Ausfuhren mit einem Minus von 27,4 Prozent. (Tagesschau.de)

Was sehen wir also? China hat Deutschland zwar überholt, aber insgesamt auch weniger exportiert, nur nicht so viel weniger wie Deutschland. Ok. Aber was sehen wir hier noch ganz exemplarisch? Dass der Welthandel extrem instabil ist. Globaler Ausstausch von Waren und Dienstleistungen ist eine tolle Sache, und kein Land, dass sich dem entzieht, ist auf die Dauer wirtschaftlich erfolgreich. Aber die starke Unstetigkeit dieser Handelsbeziehungen – der Wert von 27,4% ist ein Rekordeinbruch, der durch die starke Abhängigkeit von Exporten auf die deutsche Wirtschaft fatal wirkt – setzt einer sinvollen Exportquote für eine Volkswirtschaft, zumal eine, die wie Deutschland, über eine ausbaufähige Binnennachfrage verfügt, auch Grenzen.

Eine Wirtschaftspolitik, die für mehr Stabilität sorgt, ohne die Wirtschaft zu schwächen, sollte dabei natürlich nicht so verlaufen, dass man die Exporte gezielt vernachlässigt o. ä. – das wäre natürlich Unsinn. Vielmehr muss der Staat die  inländische Nachfrage gezielt stärken (etwa durch staatliche Beschäftigungsprogramme, hohe Sozialleistungen, Investitionsanreize für Unternehmen. Hohe Löhne tragen ebenfalls dazu bei; aber die Löhne in Deutschland in den letzten 20 Jahren real um nicht einmal 2 Prozent gestiegen, während sich die Einkommen aus Gewinnen und Vermögen vervielfachten – diese gehen jedoch, da sie v. a. den Beziehern hoher Einnahmen zu Gute kommen, nur zu einem kleinen Teil in den Kosum und damit in die Nachfrage, während sie etwa bei steigenden Arbeitslosenleistungen fast vollständig dorthin wandern würden)  Denn die inländische Konsumneigung ist bei weitem stabiler und weniger elastisch als die Einnahmen durch Exporte.

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5 Jahre Hartz IV: 5 Jahre zuviel

Seit dem 1. Januar 2005 besteht das “Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”, mit dem die neoliberalen Workfare-Prinzipien, Menschen ohne Arbeit das Leben so schwer wie möglich zu machen, in Deutschland eingeführt wurden. Mit ihm erreichten in kurzer Zeit Armut und Unsicherheit in Deutschland ein neues Rekordhoch. Die Ensoldidarierung der  Gesellschaft wurde vorangetrieben und, mit tatkräftiger Unterstützung der Medien, geradezu zur Tugend erhoben. Kein Geburtstag also, den man feiern könnte – und auch die deutsche Witschaft kann dies nicht.

Die Folge dieses auch als “Hartz IV” bekannten Gesetzes war für einen großen Teil der Bevölkerung, für Millionen von Menschen, v. a. auch für Frauen und Kindern, ein Abgleiten in die Armut, in eine von Politik und veröffentlichter Meinung geschaffene und zudem stigmatisierte Schicht, aus der es kaum ein Entkommen gibt. Weitere Auswirkungen sind eine wachsende soziale Ungleichheit, der mittlerweile zweitgrößte Niedriglohnsektor aller Industrieländer, die massive Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, soziale Unsicherheit und nicht zuletzt ein Wandel im gesellschaftlichen Klima. Galt es früher eher, Arbeitslosen zu helfen, eine neue Beschäftigung zu finden, auch denen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, die nicht arbeiten können, und auch die wenigen, die wirklich nicht arbeiten wollen, nicht verhungern zu lassen, so sollen heute, ganz wie von den geistigen Vätern und den unmittelbarern Schaffern und Umsetzern der neoliberalen Agenda beabsichtigt, Hart IV- Bezieher leiglich “faulenzende Sozialschmarotzer” darstellen, die der Gemeinschaft nur Geld kosten, die man zwingen muss, zu arbeiten, notfalls auch unbezahlt, denen man noch ein paar Mittel zugesteht, die vielleicht gerade noch das Überleben sichern, mehr aber auch nicht. Die Sanktionen nach §31 SGB ermöglichen es, bis zu 100% der Leistungen nach Hartz IV zu streichen – Leistungen, die ein soziales Existenzminimun darstellen sollen (wenn sie nicht darunter liegen – mit dieser Frage wird sich in Kürze ja das Bundesverfassungsgericht befassen). Erstmals seit vielen Jahrzehnten gibt es daduch wieder Hunger in Deutschland.

Der Arbeitsmarkt wurde ebenfalls nicht belebt. Hartz IV und die ganze Agenda 2010 schaffen werder Flexibilität des Arbeitsmarktes, noch soziale Sicherheit oder höhere Einkommen, und auch keine neue Beschäftigung. Kaum verfolgt die aktive Förderung oder (Weiter-)Qualifizierung von Arbeitslosen oder eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Dabei erscheint gerade die in Deutschland verfolgte neoliberale Politik nach dem Vorbild der angelsächsischen Staaten, die statt auf Förderungsmaßnahmen einseitig auf den Abbau sozialer Leistungen und erhöhten Druck gesetzt hat, deutlich weniger erfolgversprechend, als eine Strategie, die Flexibilität des Arbeitsmarktes und eine hohe soziale Sicherheit sowie eine aktive Arbeitsmarktpolitik, nach dem Vorbild etwa Dänemarks oder Schwedens miteinander kombiniert (siehe dazu: Europäische Lehren für den deutschen Arbeitsmarkt: Flexibilität und Sicherheit sind vereinbar). Statt Flexibilität im Arbeitsmarkt schuf Hartz IV nur Druck, Druck Arbeitsstellen anzunehmen, die nicht da sind. Denn Arbeitsplätze kann diese Maßnahme nicht schaffen, und dafür war sie auch nicht gedacht. Der Konsum der Bevölkerung, die Binnennachfrage, wurde durch die massive Minderung der Kaufkraft der von Hartz IV Betroffen stark geschwächt, während die Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft wuchs, die Exporterlöse aber, v. a. im Zuge der Weltwirtschaftskrise absackten. Und auch die Unternehmen erhalten kaum mehr Anreize, Beschäfigte einzustellen oder ihre Investitionen auszuweiten. So kommt es, dass die Abnahme der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren fast ausschließlich auf konjunkturelle Faktoren zurückzuführen ist, die tatsächlichen Ursachen der Arbeitslosigkeit, v. a. die schwache effektive Nachfrage, aber unberührt bleiben

Aber was schreibe ich, die Erkenntnis, dass Lohnsenkungen und damit Sinken der Nachfrage zu einem Verlust von Arbeitsplätzen führen sind bei den neoliberalen Talkshow-Ökonomen, den Lobbyisten der Arbeitgeberverbände und den Politikern, die ihren Ratschlägen wie die Ratte dem Flötenspieler folgen, nicht angekommen – für sie stellen hohe Löhne nu Kostenfaktoren dar, Sozialleistungen mindern nu den gewünschten Zwang, jede Arbeit annehmen zu müssen. Diese Kuzsichtigkeit lässt seit fast 30 Jahen unsere Arbeitslosigkeit ansteigen, die Löhne stagnieren, die soziale Ungleichheit zunehmen, die Investitionsraten der Unternehmen abnehmen. Staatliche Beschäftigungsprogramme zu guten Löhnen, nicht ein durch staatliche Zuschüsse geschaffener Niedriglohnsektor der “Aufstocker” wären ein Weg zu einer steigenden Nachfrage, sinkenden Sozialkosten, niedrigerer Arbeitslosigkeit und einer Belebung der Wirtschaft.

Die Verantwortliche der Hartz IV-Gesetze unterdessen sind, zwar teilweise vorbestraft, so doch in einträglichen Posten untergekommen. Schröder, Clement, Riester, Müller und wie sie alle heißen, sie vertreten nun auch offiziell die Interessen, für die sie in der Vergangenheit Politik gemacht haben. Für sie zumindest hat sich die Einführung von Hartz IV gelohnt. Und die neue Bundesregierung führt, wie sollte es auch anders sein, die Politik, die sie als (Neo-)Konservative und (Neo-)Liberale kaum “besser” hätten umsetzen können, weiter fort.  Sollten vielleicht wenigstens ein paar Unternehmen irgendwann einsehen, dass sich eine niedrige Nachfrage, durch prekäre und stets unsichere Beschäftigungsverhältnisse demotivierte Arbeitskräfte, ein Klima der Angst und des Misstrauens, der Bevormundung und Überwachung, auch für sie negativ auswirken, so wäre vielleicht aus dieser Richtung etwas zu hoffen. Doch danach sieht es leider nicht aus. Gerade in Zeiten des ungebremsten (und von der Realwirtschaft nahezu vollständig entkoppelten) Finazmarktkapitalismus steht mehr denn je die kurzfristige Rendite denn die langfristige Performance eines Unternehmens oder gar einer Volkswirtschaft im Vordergrund.

Nein, Widerstand gegen die witschaftlich schädliche Politik und gegen die unsozialen, menschenverachtenden Praktiken, die mit der Agenda 2010 und besonders mit Hartz IV  zur vollen Entfaltung kamen, muss aus der Bevölkerung kommen: aus den betroffenen Gruppen, aus den Gewerkschaften, aus sozialen Gruppierungen, von der Straße, aber auch von kritischen Seiten der Wissenschaft und der Medien – und, da diese versagen, aus der Gegenöffentlichkeit zum Mainstream, die die Möglichkeiten des Internets in vollem Umfang nutzen muss. Während die Mainstream-Medien, offenbar verschämt über die offensichtlichen Misserfolge und die durch die Hartz-Gesetze verstärkten oder erst geschaffenen Missstände über das “Gbeurtstagskind” Stillschweigen bewahren, gibt es dort sehr treffende Analysen, die den Geist und die Folgen von Hartz IV beleuchten. Hier eine kleine Auswahl von lesenswerten Beiträgen:

Eine kritische Bilanz von Hartz IV fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1.1.2005 (Christoph Butterwegge auf den NachDenkSeiten):

Es ging dabei nicht bloß um Leistungskürzungen in einem Schlüsselbereich des sozialen Sicherungssystems, vielmehr um einen Paradigmawechsel, anders formuliert: um eine gesellschaftliche Richtungsentscheidung, die das Gesicht der Bundesrepublik seither prägt. (…) Hartz IV markierte nicht bloß eine historische Zäsur für die Entwicklung von Armut bzw. Unterversorgung in Ost- und Westdeutschland, sondern es steht als Symbol für die Transformation des Sozialstaates, für seine Umwandlung in einen Minimalstaat, der Langzeitarbeitslose gemäß dem Motto „Fördern und fordern!“ zu „aktivieren“ vorgibt, sich aber aus der Verantwortung für ihr Schicksal weitgehend verabschiedet. (…) Einerseits zeitigte das Gesetzespaket negative Verteilungseffekte im untersten Einkommensbereich, andererseits wandelten sich durch Hartz IV auch die Struktur des Wohlfahrtsstaates (Abschied vom Prinzip der Lebensstandardsicherung), die politische Kultur und das soziale Klima der Bundesrepublik. (…)

Hartz IV sollte nicht bloß durch Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und Abschiebung der Langzeitarbeitslosen in die Wohlfahrt den Staatshaushalt entlasten, sondern auch durch Einschüchterung der Betroffenen mehr „Beschäftigungsanreize“ im Niedriglohnbereich schaffen. Man zwingt sie mit Hilfe von Leistungskürzungen, schärferen Zumutbarkeitsklauseln und Maßnahmen zur Überprüfung der „Arbeitsbereitschaft“ (vor allem sog. 1-Euro-Jobs), fast jede Stelle anzunehmen und ihre Arbeitskraft zu Dumpingpreisen zu verkaufen. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die (noch) Beschäftigten und die Angst in den Belegschaften vermehrt. Dass heute selbst das Essen von Frikadellen und die Einlösung von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro als Kündigungsgründe herhalten müssen, zeigt zusammen mit der Bespitzelung von Betriebsrät(inn)en in großen Konzernen, wie sich das Arbeitswelt verändert hat. (…) Da trotz des irreführenden Namens „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ auch immer mehr (voll) Erwerbstätige das Alg II als sog. Aufstocker, d.h. im Sinne eines „Kombilohns“ in Anspruch nahmen bzw. nehmen mussten, um leben zu können, etablierte Hartz IV ein Anreizystem zur Senkung des Lohnniveaus durch die Kapitalseite. Ein staatlich subventionierter Niedriglohnsektor vermehrt die Armut, statt auch nur ansatzweise zur Lösung dieses Kardinalproblems beizutragen. Mittlerweile hat die Bundesrepublik unter den entwickelten Industriestaaten den breitesten Niedriglohnkorridor nach den USA. (…)

Da die Zumutbarkeitsregelungen mit Hartz IV erneut verschärft und die Mobilitätsanforderungen gegenüber (Langzeit-)Arbeitslosen noch einmal erhöht wurden, haben sich die Möglichkeiten für Familien, ein geregeltes, nicht durch permanenten Zeitdruck, Stress und/oder räumliche Trennung von Eltern und Kindern beeinträchtigtes Leben zu führen, weiter verschlechtert. (…) Hartz IV trug durch das Abdrängen der Langzeitarbeitslosen samt ihren Familienangehörigen in den Fürsorgebereich dazu bei, dass Kinderarmut „normal“ wurde, was sie schwerer skandalisierbar macht. (…)

Jenseits der Schmerzgrenze (Der Freitag):

Fünf Jahre Hartz IV bringen vor allem eines: mehr Armut. Das entspricht dem Geist, aus dem die „Reform“ entsprang. Betroffene sprechen von “Überlebenstraining” (…)

Beides entspringt einer Vorstellungswelt, die vor fünf Jahren mit Hartz IV ihre bürokratische Entsprechung fand. Danach gibt es gar keine Erwerbslosigkeit, nur der Preis der Ware Arbeitskraft ist zu hoch. Politik aus diesem Geist heraus ist „Räumung des Marktes“, bedeutet Manipulation der Statistik, heißt Ein-Euro-Jobs und nötigt dazu, jede Tätigkeit anzunehmen. Hartz IV hat das Einkommensniveau gedrückt und den Zwang erhöht, sich für Löhne unter dem Existenzminimum zu verkaufen. 1,3 Millionen Erwerbstätige sind mittlerweile auf ergänzende Hartz-Leistungen angewiesen. (…)

Die Grundformel der Arbeitsmarktpolitik heißt „Aktivieren“ – was sich freilich auch mit Bestrafung derjenigen, die mit dieser „Aktivierung“ nicht einverstanden sind, übersetzen lässt. Die Arbeitsagenturen kontrollieren und sanktionieren aber mittlerweile nicht nur das Tun, sondern auch die Haltung, die Einstellung der Langzeiterwerbslosen, wie etwa eine Studie des Siegener Soziologen Olaf Behrend gezeigt hat: Hartz IV wirkt als Mittel zur sozialen Disziplinierung. (…)

5 Jahre Hartz IV – Kein Grund zum Jubeln (Lowestfrequency):

(…) Doch den Betroffenen redete man ein, sie sollten jede Arbeit annehmen, es sei besser, für einen Hungerlohn zu arbeiten, als sich aus dem Lohnerwerb zu verabschieden. Ihnen geht es ja gut. Woanders wäre es schlechter. Schon im alten Griechenland wusste man: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, und dagegen ist es doch wunderbar. (…) Und schauen sie doch, sie bekommen sogar Arbeit, unbezahlt vielleicht, meist nicht ausreichend, um doch ein bisschen weniger Fremder zu sein, aber denen drüben, denen ergeht es noch schlechter, haben die Faulpelze da in der Ferne, jenseits des Stiefels oder des Ural, haben die ein Fahrrad? Urlaubsanspruch? Medizin? Nun sehen Sie doch, es geht immer noch schlechter. Nein, hier ist es gut, solange man den Vergleich gut wählt. (…)

Die ganze Agenda 2010, der Überbau durch das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, ein Sammelsurium aus Angst, Druck und Rückzügen in vorkriegsähnliche Zustände, was die Arbeitslasten an betrifft. Mehr Niedriglohn, warum eigentlich notwendig? Weniger Leistung, nur noch das Allernötigste und dann noch sanktionierend streichen. Arbeit als Pflicht zu jedem Preis, also unter Zwang, um nicht unter das Existenzminimum zu rutschen (…)

Es ist halt nicht zum Nulltarif, immer ein Arbeitsheer haben zu wollen, eine stehende Armee an Hungerleidern, denen eingedroschen wurde, sie sollten, müssten tun, was ihnen gesagt, besser noch als zu fragen, welchen Wert sie haben. (…)

Zwei Geburtstagskinder (binsenbrenner.de) (zur Erklärung: das andere “Geburtstagskind” ist ELENA):

(…) Dass die Zahl der Gratulanten für Hartz IV nicht eben überbordend sein würde, war absolut absehbar, dass die geistigen Väter und derzeitigen Erzieher sich sehr geschmeidig an klaren Stellungnahmen vorbeidrücken würden, erstaunt da schon mehr. Das eine oder andere sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut veröffentlichte „Ja, aber…“-Gutachten zur Wirkung von Hartz IV, die an der Durchführung Beteiligten, also Arbeits- und Sozialverwaltung hielten sich, außer mit einem schmallippigem Bekenntnis, dass man (nach fünf Jahren!) die Kinderkrankheiten ausgemerzt habe, sehr zurück (…)

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Ein frohes 2010!

… Und dass es vielleicht wenigstens etwas besser wird als das letzte Jahr …

Natürlich wäre es dazu etwa notwendig., wenn z.B. von den Politikern eigesehen würde, dass die nach diesem Jahr benannte “Agenda”, die die workfare-Prinzipien in Deutschland eingeführt hat, ihre Verspechungen nicht halten konnte. Dass  fünf Jahre Hartz IV zu einem beispiellosen Anstieg von Armut und Unsicherheit geführt haben. Die Konsequenzen und Effekte von Hartz IV sind beim Freitag sehr gut zusammengefasst. Es wäre schön, wenn man zugibt, dass die Politik des Sozialabbaus, der Umverteilung von unten nach oben, der Privatisierungen, der Deregulierungen, die Politik ausschließlich zugunsten Arbeitgebern und Vermögenden der letzten drei Jahrzehnte versagt hat.

Davon ist zur Zeit natürlich kaum auszugehen. Doch um die schädlichen Auswirkungen des marktradikalen Wirtschaftsliberalismus aufzuziegen, lohnt es sich, zu schreiben. Auch im neuen Jahr.

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