Kommentar zur WTO-Ministerkonferenz: Ein Scheitern wäre fatal

Logo der WTO-Ministerkonferenz in Nairobi 2015

„Wir werden ernsthaft kämpfen müssen um ein Resultat zu erreichen“, hatte WTO- Generaldirektor Azevedo vor der 10. WTO-Ministerkonferenz befürchtet. Tatsächlich ist eine Abschlusserklärung des Treffens, das seit Dienstag in Nairobi stattfindet, stark gefährdet.

Die USA und die EU sind bemüht, den schwarzen Peter den Entwicklungsländern zuzuschieben: Diese setzten in der Agrarpolitik auf Protektionismus, so ihr Vorwurf. Tatsächlich geht es um die öffentliche Lagerung von Nahrungsmitteln. Diese hat etwa in Indien dazu beigetragen, die Zahl der Hungernden zu senken. Gleichzeitig sind es immer noch die EU und die USA, die ihre heimische Landwirtschaft am stärksten fördern. Und sie haben viele Zusagen der Doha-Runde, die sie den Entwicklungsländern gegeben haben, nach 14 Jahren immer noch nicht eingelöst.

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Wenn sich Inkompetenz und Wahlkampfmanöver paaren

Der durch einseitige Ausrichtung auf Wahlkampfinteressen bestimmte und von hetzerischen Kampagnen der Boulevardpresse begleitete zögerliche Schlingerkurs der deutschen Bundesregierung in der Griechenlandfrage hat schon jetzt zu erheblichen wirtschaftlichen und politischen Schäden geführt. Die weiteren Folgen könnten noch verheerender sein.

Die Berichterstattung der deutschen Medien zur Griechenland-Krise ist von einer selbst für diese fast beispiellosen Inkompetenz geprägt, oft besteht sie nur im Nachplappern der von Wahlkampfmanövern bestimmten Positionen der Bundesregierung bis zu offener Hetze, Diffamierungen und niederste Beleidigungen seitens des Rechts-Boulevards. Positiv ragen in der Berichterstattung fast nur Onlineveröffentlichungen, etwa bei Weissgarnix (z.B. “Drohendes Desaster”), beim Herdentrieb (Zeit Online), auf Telepolis oder vom Spiegelfechter hervor.

Statemens von (ernstzunehmenden) Ökonomen sind in den Mainstream-Medien zudem selten zu finden. Aus gutem Grund, denn deren Analysen unterscheiden sich stark von dem populistischen Griechen-Bashing des Politik-Medien-Konglomerats. Heiner Flassbeck bezeichnet in einem Interview mit tagesschau.de das Krisenmanagement der deutschen Bundesregierung zu Griechenland als katastrophal, u.a. da sie “dem Irrsinn, der im Moment an den Märkten herrscht, nicht Einhalt gebietet”, der “das Resultat von Zockerei und Panikmache” sei. Europa habe es leider versäumt, Maßnahmen zur Reform der Finanzmärkte wie die aktuell von Obama geplanten zu treffen. Finanzhilfen für Griechenland seien im Grunde richtig, aber in einer solchen Krise würden Sparmaßnahmen in Griechenland, die v.a. bei Löhnen und Sozialleistungen erfolgen, dessen wirtschaftliche und soziale Schieflage weiter verschärfen. Außerdem, so ein weiterer Punkt, solle die verzerrte Wettbewerbsfähigkeit in Europa aufhören: in Deutschland müssten höhere Löhne gezahlt werden.

tagesschau. de: Andere Stimmen sagen: Wir haben die Stabilitätskriterien eingehalten durch eine zurückhaltende Lohnpolitik und gut gewirtschaftet, und jetzt sollen wir für die einspringen, die das nicht getan haben. Ist das nicht ein berechtigter Einwand?

Flassbeck: Das ist vollkommen falsch. Man hat eine Währungsunion gemacht mit einem Inflationsziel von zwei Prozent. Das ist eine implizite Verpflichtung, die Löhne ungefähr zwei Prozent über der Produktivität zu halten. Deutschland ist massiv darunter geblieben und hat damit sozusagen eine Deflationspolitik betrieben, ohne es den anderen zu sagen. So wurde Deutschland fast zum alleinigen Gewinner, während fast alle anderen darunter leiden. Das hat nichts mit Sparen zu tun: Das war und ist ein klarer Verstoß gegen den Geist der Währungsunion.

Nein, das hört man nicht gerne. Schulden und Inflation vermeiden, das ist dem Deutschen noch heiliger als sein Bier und sein Auto. Dass Deutschland zumindest eine Mitschuld an den europäischen Ungleichgewichten tragen könnte will man nicht einmal in Erwägung ziehen. Und dass die jahrelange Lohndumping-Ökonomie schädlich sein könnte, nein, dass ist ja alles nur sozialromantischer Linksextremismus! In Deutschland lässt man sich von allem, was gegen die neoliberale Ideologie spricht, egal wie gut belegt, egal wie sinnvoll es ist, schon lange keine Ratschläge geben. Flatter von Feynsinn schreibt:

Seit 30 Jahren wird gebetet, Konsum sei schädlich, niedrige Löhne gut und die jährliche Exportweltmeisterschaft pure Glückseligkeit. (…)

Kein Wort war es den gefragten “Experten” wert, wie volkswirtschaftlich – und zwar global – vernünftige Politik gestaltet werden könnte. Im Gegenteil wurde das Wohl und Wehe der Menschen dem “Standortwettbewerb” überantwortet, was nichts anderes heißt, als den manischen Egoismus eines einäugigen Betriebswirtschaftsdenkens der politischen Ökonomie überzustülpen. Werden in der kruden Konkurrenz der Betriebe und Konzerne die Verlierer vom Markt radiert oder ausgeweidet, ist das unschön, aber in Grenzen praktikabel. Dieses Prinzip aber als alternativloses den Staatswirtschaften zu verschreiben, ist ökonomischer Völkermord. Es sollte keine Volkswirtschaft existieren dürfen, die sich nicht den Regeln der profitorientierten freien Märkte unterwarf. Alternativen wurden mit aller Macht unterdrückt.

Die ökonomische Uneinsichtigkeit paart sich zudem mit parteipolitischen Interessen im Vorfeld der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Wäre schnelle Handeln seitens der Bundesregierung erforderlich gewesen, gab es einen wochenlangen Schlingerkurs. Die Rettungsaktion für Griechenland nun dürfte als der unprofessionellste bailout aller Zeiten in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Angela Merkel hat durch ihr Wahlkampfgeschacher und -geplänkel nicht nur Griechenlands Krise verschlimmert und die Kosten in die Höhe getrieben, sondern könnte auch einen Flächenbrand in Europa ausgelöst haben, der bald auch Portugal und Spanien und dann Irland und Italien erfassen und die Eurozone in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte.

Diese Regierung hat hier wie in wohl kaum einem anderen Feld gezeigt, dass sie keinerlei Verantwortung, Solidarität oder auch nur Einsicht besitzt. Für ein paar Wählerstimmen ist man bereit, Milliardenverluste in Kauf zu nehmen, ganze Ökonomien weiter zu destabilisieren und Zinssätze und Spekulationstätigkeiten anzuheizen. Die Kosten dafür wird die Bevölkerung in Europa tragen müssen, in den betroffenen Ländern und bei uns. Die Beteiligung des IWF an den Rettungsaktionen, auf denen Merkel so bestanden hat, wid noch größere soziale Schäden verursachen und mehr Armut schaffen. Und die Kosten für die Zukunft der europäischen Integration sind kaum absehbar. Aber immerhin kann sich jetzt der Stammtisch freuen, dass WIR es diesen faulen, streikenden, schuldenmachenden, nicht sparen wollenden, korrupten, lügenden, im Luxus prassenden Pleite-Griechen mal so richtig gezeigt haben!

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Rettet Europa vor Deutschland!

Die Bundesregierung scheint weiter unter einer hartnäckigen Form des Dunning-Kruger-Effekts zu leiden. Trotz der von vielen verschiedenen Seiten zu hörenden und gut begründeten Kritik an Deutschlands einseitiger Lohndumpings- und Exportdopings-Politik und ihren negativen Folgen – für Europa, aber auch für Deutschland selbst – will Wirtschaftsminister Brüderle nun eine Außenhandelsoffensive starten. Natürlich, wie es sich für eine schwarz-gelbe Regierung gehört, will man auch der Rüstungsindustrie bei der Auftragsgewinnung helfen und den Export von Atomtechnologie vorantreiben. Auch wenn die gesamte Initiative dabei nicht besonders durchdacht sei (hätte das denn noch wirklich jemand erwartet?), könne sie schon durch ihr unangemessenes Timing und Brüderles “trotzig-arrogante Reaktion auf Kritik” großen Schaden anrichten, schreibt die Financial Times Deutschland. Als ob Deutschlands Brachial-Position zur Griechenland-Frage nicht reichen würde.

Naja, was soll man schon von einer Regierung erwarten, deren Chefin allen Ernstes als einen großen Erfolg angibt, dass die Regierung einen Haushalt verabschiedet hat? Auf wirkliche Einsicht wird man bei Schwarz-Gelb nicht hoffen können, noch weniger auf sinnvolle Taten, wenn Ignoranz und Arroganz zusammentreffen. Nein, die deutsche Regierung hat offenbar vielmehr vor, auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik der Taktik von George W. Bush nachzueifern: wie dieser sich von Gott berufen sah, der Welt ohne Rüksicht auf Verluste “Frieden” mit dem Schwert zu bringen, so ist die Bundesregierung gewillt, Europa, notfalls auch alleine, die Segnungen einer straffen Haushaltsführung und von hohen Unternehmergewinnen zu bescheren, auch wenn dies eine schwächelnde Gesamtwirtschaft, sinkende Löhne, europaweite Instabilitäten und vielleicht selbst den Staatsbankrott eines Landes zur Folge hat (das einzige, was sie daran stören würde, wäre wohl, dass damit der zweitgröße Importeur deutscher Waffen pleite ginge).

Vielleicht bleibt tatsächlich nur noch ein Mittel, um die Ungleichgewichte in der deutschen und der europäischen Wirtschaft zu reduzieren und die Stabilität in Europa zu gewährleisten: Deutschland aus der Eurozone rauszuschmeißen. 😀

Bildquelle:

Anderson Mancini / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

[Auch erschienen beim binsenbrenner.de]

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Deutschlands Lohndumping-Politik: nicht weiterzuempfehlen!

Was ist von der Kritik Frankreichs an der Ausrichtung der deutschen Wirtschaftspolitik zu halten? Die üblichen Verdächtigen aus der Politik (FDP, CDU), den Wirtschaftslobbys (BDI, Bundesverband für Groß- und Außenhandel) und ihren Mietmäulern (ifo u.a.) sowie der Presse (Springer, Spon, Marc Beise) toben, reden von “Deutschland-Bashing”, meinen, dass die anderen EU-Länder nur “neidisch” wären und “Deutschland ausbremsen” wollten. Wenn sie doch mal den Schaum vorm Mund losgeworden sind, verteidigen sie die deutsche Umverteilungspolitik von unten nach oben als Stärke der deutschen Wirtschaft. Doch was sagen die Fakten?

Jens Berger zeigt, warum die Fixierung der deutschen Wirtschaftspolitik auf Lohndumping zur Exportförderung weder für Deutschland noch für andere europäische Länder zu empfehlen ist. In Deutschland gab es in den letzten 15 Jahren durch Reallohnkürzungen zwar niedrigere Lohnkosten und höhere Exportzahlen, aber auf Kosten des Binnenkonsums. Von den höheren Exporten profitierte ausschließlich das Kapital. Außerdem klappt dieses Konzept natürlich nur, weil die anderen Länder (v.a. in Europa), die keine gezielte Niedriglohnpolitik betrieben haben, deutsche Waren importieren. Wenn alle Länder so wie Deutschland verfahren würden, könnte es nicht funktionieren. Vielmehr wäre es für Deutschland und ganz Europa sinnvoller, wenn Deutschland sich mehr wie seine Nachbarn verhalten und die Niedriglohnpolitik endlich aufgegeben würde.

Laut Heiner Flassbeck hat das systematische deutsche Lohndumping andere EU-Staaten geschwächt und die europäische Geldpolitik destabilisiert. Leistungsbilanzüberschuss und hohe Exporte hätten keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, da die schwache Binnennachfrage dies wieder zunichte mache. Er empfiehlt dagegen Lohnsteigerungen in Deutschland.

Selbst die  EU-Kommission und der IWF forderten, dass Deutschland seine Binnenachfrage (Konsum und Investitionen) stärken soll. Wenn selbst bei den Vorreitern des Neoliberalismus allmählich ein Umdenken , wäre es an der Zeit, dass die deutsche Politik endlich die schädlichen Wirkungen einer Niedriglohn-Ökonomie und einer Abhängigkeit von einem äußerst fragilen Export erkennt. Doch dies wird angesichts der Verpflichtungen der derzeitigen Machthaber gegenüber der Export- und Großindustrie und der Ausrichtung an deren Interessen und wegen dem blinden Anhängen an wirtschaftsliberalen Dogmen kaum wahrscheinlich sein.

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Südkoreas entwicklungslenkender Staat: ein Erfolgsmodell?

Von den neoliberalen Ökonomie wird es oft als bewiesene Tatsache hingestellt, dass nur eine streng marktliberale Politik wirtschaftliche Erfolge zeigen kann. Belege werden meist nicht gegeben – kein Wunder, sind sie doch schwieriger zu finden als inhaltliche Aussagen auf einem FDP-Wahlplakat. Gegenbeispiele jedoch sind ungleich leichter zu finden. V.a. Staaten Ostasiens haben  enorme wirtschaftliche Erfolge durch Strategien vorweise können (wie auch immer man diese Strategien und die Staaten allgemein auch politisch beurteilen mag), bei denen der Staat sich keineswegs aus der Wirtschaft zurückhielt. Japan, Südkorea, Taiwan, in gewisser Weise auch China sind dafür die besten Beispiele.

Südkorea hat fast beispiellose wirtschaftliche Erfolge vorzuweisen. 1960 war es eines der ärmsten Länder der Welt, sein Bruttoinlandsprodukt war niedriger als das von Mosambik, Kongo oder dem Senegal, sein Anteil am Welthandel betrug 0,2%. 1996 hatte es das zwölftgrößte BIP der Welt, war Mitglied der OECD und sein Anteil am Welthandel betrug über 2%. Diese Erfolge sind nach Meinung der Wissenschaft v.a. auf einen entwicklungslenkenden Staat (developmental state) in Südkorea zurückzuführen. Allerdings hatte dieser auch beträchtliche Schattenseiten, die auch betrachtet werden sollen.

Der entwicklungslenkende Staat

Hinter der Idee des entwicklungslenkenden Staates steht die Ansicht, dass ökonomische Entwicklung einen Staat verlangt, der die ökonomischen und die politischen Rahmenbedingungen schaffen kann, die für eine nachhaltige Industrialisierung eines Landes nötig sind. Im Gegensatz dazu vertritt die neoliberale Wissenschaft die Annahme, angenommene egoistische Motive von Individuen müssten auch auf den Staat und die Wirtschaft übertragen werden; der Staat könne im Bereich der Wirtschaft keine positive Rolle spielen. Sie treten daher für eine Liberalisierung und Deregulierung der Wirtschaft ein, in der die unsichtbare Hand des Marktes durch Preismechanismen für die besten Ergebnisse für die Entwicklung eines Staates sorge.

Die Befürworter  aber wenden ein, man brauche einen entwicklungslenkenden Staat, der langfristiges Wachstum und strukturellen Wandel der Wirtschaft ernst nehme und die Wirtschaft politisch steuere. Es bestünde kein Grund von einer Überlegenheit der Marktlösungen über eine Steuerung der Wirtschaft, in der der Staat eine größere Rolle spielt, auszugehen. In der Empirie sei die Annahme widerlegt, dass Staaten mit einer liberalen Wirtschaft und einer minimalistischen Rolle des Staates ein hohes Wirtschaftswachstum hätten, vielmehr seien Staaten mit einer Kombination aus klugen und effektiven Staatsinterventionismus und wirtschaftlicher Offenheit als selektiver Integration in die Weltwirtschaft erfolgreicher. Auch in den internationalen Organisationen wie der Weltbank ist in den letzten Jahren die strikt neoliberale Sichtweise des Washington Consensus unter Beschuss geraten und positive Wirkungen von alternativen Formen der Wirtschaftssteuerung wurden erwähnt und es wurde anerkannt, dass verschiedene Politikform (abhängig von den Institutionen eines Landes) zu Erfolg führen können. Erfolg oder Versagen bei der wirtschaftlichen Entwicklung hänge mehr von der Art als vom Ausmaß der Interventionen des Staates in die Wirtschaft ab.

Südkorea als entwicklungslenkender Staat

Von 1962 bis 1997 war in Südkorea ein entwicklungslenkender Staat der entscheidende Faktor für das enorme Wirtschaftswachstum. Charakteristika wie eine hohe Spar- und Investitionsquote, niedrige Lohnkosten (auch wenn sich die Schwächen später drastisch zeigen sollten) und vielfältige Interventionen des Staates in die Wirtschaft führten neben dem Wirtschaftswachstum auch zu einer Vollbeschäftigung sowie einer relativ egalitären Einkommensverteilung. Der südkoreanische Staat spielte die zentrale Rolle, Ressourcen zu mobilisieren, um eine Industrialisierung und eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum zu erreichen. Man kann beim südkoreanischen entwicklungslenkenden Staat mehrere Phasen unterscheiden:

1962 bis 1979: Entstehung und Erfolge des entwicklungslenkenden Staates

Vor 1962 war die Wirtschaftspolitik Südkoreas die einer klassischen  Importsubstitutionspolitik. Voraussetzungen für den entwicklungslenkenden Staat waren die Möglichkeit einer autonomen Entscheidungsfindung des  Staates, ein wirtschaftlicher Nationalismus  sowie ein aus der konfuzianischen Tradition herrührendes Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung.  Die Machthaber wollten durch die Etablierung eines entwicklungslenkenden Staates die Legitimierung ihrer autoritären Politik durch schnelles Wirtschaftwachstum und schnelle Wohlstandsmehrung  erreichen. Um sich finanzielle Mittel angesichts der abnehmenden Unterstützung der USA nach dem Koreakrieg zu verschaffen und an Auslandsdevisen zu gelangen, verfolgte Südkorea  eine Strategie der exportgeleiteten Industrialisierung.

In den 1960er Jahren und auch in den 1970ern gab es einen klar entwicklungslenkenden Staates mit einer staatsdominierten Allianz mit den privaten Firmen – gegen die Arbeit. Kennzeichen waren ein vom Staat gelenktes wirtschaftliches Management bei Privatbesitz der Industrie. Es gab extensive Interventionen, um ein schnelles Wirtschaftswachstum durchzusetzen. Das Finanzsystems war verstaatlicht und stark reguliert. Ein Machtmittel des Staates war es, unbegrenzte langfristige internationale Kredite zu niedrigen Zinsen durch regierungskontrollierte Banken an die Firmen zu vergeben, außerdem garantierte er die Rückzahlung von Krediten, die ausländische Finanzinstitutionen an südkoreanische Unternehmen vergeben hatten. Es kam dadurch  zu einer starken Beschleunigung des Zuflusses von Auslandskrediten.  Ausländische Direktinvestitionen jedoch wurden durch den Staat vorsichtig begrenzt und reguliert, der Besitz der industriellen Basis sollte in koreanischer Hand bleiben. Insgesamt kann man von einer staatsgelenkten Allokation nationaler  finanzieller Ressourcen hin zu den privaten Firmen sprechen. Der Staat besaß durch die Kontrolle über die Finanzen die Möglichkeit, die Firmen zu disziplinieren, seinen Strategie zu folgen. Die größte Rolle spielten in Südkorea die chaebol, große, multidimensionale, hierarchisch organisierte, rechtlich unabhängige Unternehmen, deren Besitz jedoch faktisch hoch konzentriert in den Händen einer Familie (durch cross-shareholdings) konzentriert ist. Es handelt sich um die größte Form familien-kontrolierter Business-Gruppen der Welt. Ein wichtiger Faktor für das schnelle Wirtschaftswachstum und die Industrialisierung Südkoreas war die Konzentration auf den Export. Es gab zahlreiche Mitteln der gezielten staatlichen Exportförderung.  Im Zeitraum 1962 bis 2001 wuhsen die Exporte durchschnittlich jährlich um 22%. Zunächst konzentrierte sich der Staat auf die arbeitsintensive Leichtindustrie, die durch billige, aber relativ gut qualifizierte Arbeitskräfte sowie durch eine Unterdrückung von Gewerkschaften sowie eine niedrige soziale Sicherung (die nur 1% des GNP ausmachte) möglich war.

Anfang der 1970er Jahre wurden die (kapitalintensivere) Schwerindustrie und die chemische Industrie vom Staat als industriepolitisch bedeutsam erkannt und besonders gefördert. Man versprach sich ein höheres Wirtschaftswachstum und die bessere Ausnutzung von komparativen Kostenvorteilen. Die staatliche Kontrolle über die Finanzen wuchs weiter: in den 1970er Jahren waren 96,4% der finanziellen Assets des Landes unter staatlicher Kontrolle. In Folge der Weltwirtschaftskrise 1973 war eine extensive staatliche Intervention entscheidend für eine weitere schnelle Kapitalakkumulation und für eine sich auch in dieser Zeit erfolgende Fortsetzung des Wirtschaftswachstums. Von 1965 bis 1980 hatte Südkorea ein jährliches durchschnittliches Wachstum von 10%, was außer den OPEC und den Planwirtschaften in den 1970er und einigen Jahre der 1980er das höchstes BIP-Wachstum weltweit darstellte. Die Sozialausgaben wurden in dieser Zeit aber kaum erhöht. Der Aufbau der Schwerindustrie erfolgte durch die chaebol unter staatlichen Anweisungen. Die Motivation war für sie der Aufbau einer Allianz mit japanischen Firmen, die in Südkorea v. a. für den Exportmarkt produzierten, wodurch beide Länder Zugang zum lukrativen US-Markt erhielten. Vor allem die exportgeleitete Industrialisierung stellte also eine Art Pakt zwischen der Seite des Kapitals und dem Staat dar. Die südkoreanische Niedriglohnökonomie auch bei fortschreitendem Wirtschaftswachstum konnte durchgesetzt werden durch eine Unterdrückung der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung. Diese lief einher mit einer Unterdrückung fast aller Gesellschaftsbewegungen, z.B. Arbeiter-, Bauern-, Gläubigen-, Frauen-, Intellektuellen-, -Studentenbewegungen und einer umfassenden Disziplinierung der  Gesellschaft durch den autoritären Staat.

1979-1987: Einschränkung des entwicklungslenkenden Staates

Eine Umorientierung der Rolle des Staates und eine ökonomische Liberalisierung begann 1979/ 80. Es handelte sich dabei um eine graduelle Anpassung an neoliberale internationale Trends. Es kam zu einem relativ fundamentalen Wandel der Art wirtschaftlicher Steuerung des Staates. Seine direkten Interventionen, z.B. seine Rolle beim Identifizieren und Fördern profitabler Wirtschaftsbereiche sowie die Überwachung der privaten Firmen, bei der Festsetzung von Preisen und Mengen usw. wurde zurückgenommen, er legte eine größere Betonung auf die Stärkung marktwirtschaftlicher Mechanismen, auf ein marktorientierteres System der Ressourcenallokation und Ressourcenmobilisierung. Es gab Deregulierungen und Liberalisierungen, der Importschutz wurde liberalisiert und in der Folgezeit fast vollständig aufgehoben.

Der Staat nahm eine selektive Liberalisierung von Handels- und Finanzsektoren vor. Der Verkauf der Anteile an den Banken bedeutete einen Rückzug von der Steuerung des Finanzmarktes. Trotzdem blieben auch in diesem Bereich wichtige Entscheidungen beim Staat. Dieser übte zwar nicht mehr eine direkte, nun aber eine indirekte Einflussnahme auf die Vergabe günstigere Kredite für bevorzugte Betriebe aus und war weiterhin für die Festsetzung der Zinsen zuständig. In Folge der Liberalisierung erhielten aber die zehn größten chaebols 52 % aller Bankenanteile. Die Privatisierungspolitik des Staates führte also zu einer Expansion der chaobol in den Finanzsektor und dadurch zu einer stärkeren Kooperation zwischen Staates und chaebol bei wirtschaftlichen Entscheidungen. Durch den Bankenbesitz und durch ihre steigende Größe, Expansion und Diversifizierung kam es und mehr zu einer Machtverschiebung zu Gunsten der chaebol, von einer Dominanz des Staates zu einer Interdependenz. Seit den 1980er Jahren konnte keine südkoreanische Regierung die chaobol mehr wirklich disziplinieren. Es gab in der Folge immer mehr Konflikte, bei denen immer öfter kurzfristige Profitinteressen und Spekulationsaktivitäten der chaebol den langfristigen Industrialisierungszielen und der strategische Entwicklung, die der Staat verfolgte, gegenüberstanden. Ende der 80er war der entwicklungslenkende Staat als Folge eingeschränkt, aber auch nur und eher eingeschränkt als abgebaut.

1987-1993: Demokratisierung

1987 kam es in Südkorea schließlich zu einem Ende des autoritären Staates und zu einer Demokratisierung. In diesem Zeitraum gab es einen allmählicher Übergang, dessen Ergebnis ein viel schwächerer Staat, ein stärkeres Kapital, und eine unabhängige, relativ mächtige Arbeiterbewegung waren. Einer Anerkennung der Gewerkschaften folgten hohe Lohnzuwächse.  Seit 1988 gibt es in Südkorea zudem einen gering ausgebauten Sozialstaat (größere Sozialversicherungsprogramme waren vorher zuerst in den großen Firmen durch betriebliche Wohlfahrtsprogramme existent gewesen). Die chaebol wollten durch die Steigerung der Löhne und eine implizit lebenslange Beschäftigungsgarantie Frieden mit den Gewerkschaften schließen. 1989 kam es aufgrund ungünstiger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen zú einer Wiederbelebung einer stärker interventionistische Rolle des südkoreanischen Staates.

Ab dem Jahr 1987 gewann der Staat nicht immer die Konflikte mit den in Folge der Demokratisierung erstarkten und mächtiger werdenden privaten Unternehmen und mit den Gewerkschaften. Es kam zu einer Erosion der staatlichen Autonomie. Die seit 1987 demokratische Regierung Südkoreas war v.a. nicht mehr in der Lage, die chaebol zu kontrollieren (ein Grund war auch, dass die politische Elite auf Spenden der chaebol angewiesen war). Außerdem gingen von USA und GATT ein starker Druck zur Öffnung des südkoreanischen Marktes und ein Druck zur Reduktion oder Aufhebung von dessen Handelsschranken gegen US-Produkte und -Dienstleistungen aus. Hinzu kam ein stärkerer Protektionismus der USA und einiger EG-Länder gegen südkoreanische Produkte. Diese Faktoren hemmten den klassischen entwicklungslenkenden Staat Südkoreas und erzwangen Schritt für Schritt dessen Rückzug.

1993-1997 Erosion und Ende des entwicklungslenkenden Staates

1993 erlebte Südkorea die Transformation von einem sich neu industrialisierenden Staat zu einem fortgeschritten Industriestaat. Im Zeitraum 1993 bis 1997 kommt es aber zu einer Erosion – und mit der Asienkrise 1997 zum Untergang – des entwicklungslenkenden Staates in Südkorea. Für die 1993 neu gewählte Regierung fungierte eine sich wandelnde Rolle des Staates in der Wirtschaft unter dem Leitbild der Globalisierung als dominante Idee. An die Stelle der Förderung von wirtschaftlichem Wachstum trat die Förderung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit.  Es kam zu einem Aufschwung von Pro-Markt-Ideologien.  Der Staat verfolgte dabei jedoch eine Balance von Effizienz (durch die wirtschaftliche Liberalisierung) mit den traditionellen Zielen Südkoreas, nämlich Wirtschaftswachstum und sozialer Stabilität. Die neue Regierung unter Kim Young-sam nahm fundamentale Reformen vor. Sie legte, noch stärker als es Anfang der 80er Jahre geschah, Priorität auf eine Stärkung der Konkurrenzfähigkeit, Liberalisierungen, Deregulierungen und ein marktbasiertes Wirtschaftsystem . Der Staat nahm einen Abbau selektiver Industriepolitiken und direkter Interventionen vor. Die Sozialpolitik war unternehmerfreundlich ausgestaltet, die Steuern waren sehr niedrig. Es gab außerdem eine, wie sich nach der Asienkrise zeigte, übereifrige Liberalisierung der Finanzmärkte mit weniger Interventionen des Staates und der Möglichkeit von deutlich mehr ausländischer Teilhabe im südkoreanischen Finanz- und Kapitalmarkt. So betrugen die Portfolie-Investments in Südkorea 1991 noch 2,5 Milliarden Dollar, 1994 bereits 29,7 Milliarden; die Bankverbindlichkeiten im Ausland wuchsen von 1991 bis 1994 um 49%. Das Fehlen einer Aufsichtsregulation und einer Überwachung des Finanzsystems stellte dabei eine große Verwundbarkeit dar.

Bei aller Liberalisierung war die südkoreanische Regierung jedoch nie eine minimalistische, der Staat blieb immer noch ein wichtiger und signifikanter Akteur  in der Wirtschaft. Er fungierte als Marktteilnehmer, bestimmte die Weite und die Geschwindigkeit der Öffnung der südkoreanischen Volkswirtschaft und beeinflusste die Internationalisierungsstrategien der Firmen. Globalisierung bedeutete für Südkorea in diesem Zeitraum weniger Öffnung südkoreanischen Märkte für ausländische Unternehmen, sondern eher eine Expansion der chaebol auf den Weltmarkt. Deren Lobbying-Stärke und ihr Einfluss auf den Staat nahmen als Folge ihres wirtschaftlichen Erfolges und der Finanzierung von Parteien noch mehr zu. Ebenso wuchsen deren nichtproduktive Aktivitäten sowie Investitionen in riskante und spekulative Unternehmungen. Es gab eine exzessive Verschuldung der Privatkonzerne, die oft kurzfristig war (zu 67%), aber investiert war in langfristige Projekte. Das Verhältnis von Schulden zu Eigenkapital der Top 30 chabol betrug 1996 386,5%, im darauffolgenden Jahr waren es schon 519%.

Diese und andere negative Seiten des entwicklungslenkenden Staates wirkten sich in diesem Zeitraum immer mehr aus. So waren dies etwa wirtschaftliche Nachteile durch Monopolstrukturen, Ineffizienzen durch die Staat-Wirtschafts-Kooperation, Korruption und moral hazard- Verhalten. Dazu kamen eine zu starke Exportlastigkeit (1996 von 26,9%) sowie Überinvestitionen in die Schwerindustrie und in die chemische Industrie. DIe Hauptschwäche aber lag im Fiannzbereich: 1997 betrug das Verhältnis von kurzfristigen Schulden zu den Devisenreserven 4:1. Von 1992 bis 1996 wuchsen die geliehenen ausländischne Mittel um 158%, die kurzfristige Verschuldung der chaebols  betrug 1996 63%. Es gab durch die hohe Auslandsverschuldung, die Abhängigkeit von Exporten und die Liberalisierung des südkoreanischen Finanzmarktes eine starke (und immer stärker werdende) Verwundbarkeit der südkoreanischen Wirtschaft gegenüber plötzlichen Marktveränderungen und externe Schocks. Der Staat trug mit seiner Garantie des Rückzahlens der Schulden an das Ausland und v. a. mit einer viel zu schnell erfolgten und zu weitreichenden Liberalisierung des südkoreanischen Finanzmarktes dazu bei. 1997 kam es durch diese Anfälligkeit dann zur Asienkrise, die Südkorea besonders hart traf.   In Folge der Konditionen des Internationalen Währungsfonds wurden in Südkorea schließlich die letzten Reste des entwicklungslenkenden Staates beseitigt und Südkorea zu einer wirtschaftsliberalen Marktwirtschaft umgewandelt.

Bewertung

Die Erfolge des südkoreanischen Modells des enwicklungslenkenden Staates wurden sehr deutlich: ein überaus hohes Wirtschaftswachstum, eine allgemeine Wohlstandssteigerung, Vollbeschäftigung und soziale Inklusion. Jedoch gab es auch zahlreiche Schwächen. Die Wirtschaft war zu sehr auf den Export konzentriert, später wurde der Finanzsektor viel zu schnell liberalisiert. Man kann in diesem Zeitraum von einer Partnerschaft zwischen dem (bis 1987 autoritären) Staat und dem Kapital gegen die Arbeit sprechen. Die Löhne waren niedrig, Sozialversicherungen kaum vorhanden. Militär, staatliche Bürokratie und Chaebol waren miteinander verwoben und voneinander abhängig.  Die großen, von Familien (auch in den seltensten Fällen von professionellen Managern geführten) chaebol erhielten eine extrem große Macht, in der Gesellschaft und über den Staat. Die Verbindung zwischen Staat und Privatwirtschaft führte zu Ineffizienzen und auch zu Korruption. Dieser Staat regierte autoritär, setzte seinen Willen notfalls auch mit Zwang durch. Andere gesellschaftlichen Kräfte wurden kaum zugelassen, Gewerkschaften wurden gewaltsamer unterdrückt. Der diktatorische Staat unterdrückte lange fast alle auf Demokratie gerichteten gesellschaftlichen Bewegungen, die südkoreanische Gesellschaft war eine zutiefst undemokratische und autoritäre. Bestimmt also kein Staat, in dem man gerne leben würde.

Jedoch liefert Südkorea auf wirtschaftspolitischer Seite auch ein Exempel, dass der Staat durchaus eine positive Rolle in der Wirtschaft spielen kann. Wenn er die nötigen Fähigkeiten besitzt und die gesellschaftlichen Institutionen bestehen, gesellschaftliche Ressourcen (Kapital und Arbeit) auf nationale Ziele zu mobilisieren, kann er große Erfolge erzielen. Diese werden jedoch um so mehr dem Wohle der Allgemeinheit dienen, je demokratischer das Land ist und je stärker die politische Elite dem Willen des Volkes verpflichtet ist.

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Keynesianismus versus Neoliberalismus – lassen wir doch einmal die Fakten sprechen

Albrecht Müller stellt auf den NachDenkSeiten (anhand Daten des Statistischen Taschenbuchs 2009 des BMAS und eigener Berechnungen) komprimiert und übersichtlich die wichtigsten wirtschaftlichen Kennzahlen der Jahre 1966-1982, in der eine nachfrageorientierte Politik betrieben wurde, und der Epoche 1992-2008, in der die Wirtschaftspolitik neoliberal ausgerichtet war (sie ist es seit 1982 bis heute), gegenüber:

1966-1982 1992-2008
Reales BIP ( JD) +2,7% +1,4%
Arbeitslosenquote 7,5% in 1982 8,7% in 2008
Preise BIP (JD) +4,7% +1,1%
Staatsschuld in % des BIP +19,1%-Punkte +23%-Punkte
Nettorealverdienste (JD) +2,1% -0,0%
Lohnquote +6,8%-Punkte -7,2%-Punkte
Kapitaleinkommensquote -3,8%-Punkte +6,2%-Punkte

Die Auswirkungen der neoliberalen Politik seien u.a. eine hohe Arbeitslosigkeit, eine dadurch (einnahme- und ausgabenbedingt) sinkende soziale Sicherung, hohe Staatsverschuldung, marode Infrastruktur, prekäre Arbeitsverhältnisse und niedrigere Löhne.

Müller analysiert dort auch, welche Erfolge die “unverwässerte” Globalsteuerung der Wirtschaft zur Ankurbelung der Nachfrage  im Jahre 1967 zeigen konnte: es gab ein starkes Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosigkeit wurde gesenkt, das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wurde bewahrt, die Inflation blieb im vernünftigen Rahmen und der Schuldenstand wurde reduziert. Diese Wirtschaftspolitik verhinderte eine „Reservearmee“ von Arbeitslosen und so die Lohndrückerei – ein Grund, so Albrecht Müller, warum sie von manchen Seiten abgelehnt wird.

U.a. wohl auch von Leuten, die für die deutschsprachige Wikipedia schreiben, wo im Artikel über die Globalsteuerung nach einer knappen Beschreibung ein Scheitern dieser behauptet wird und ausführlich die übliche neoliberale Kritik – hohe Staatsverschuldung und Inflation – unkommentiert geschildert wird (ohne Berücksichtigung der ökonomischen Kennzahlen). Auch wenn der Artikel seit gestern etwas verändert wurde: dass die Globalsteuerung “gescheitert” sei, wird dort als ein Faktum dargstellt. Die neoliberale Propaganda vermischt eben gerne Meinung und Tatsachen, wie es Propaganda so tut. Doch hier sollte man einmal die Daten und Fakten sprechen lassen. Und die sprechen eine andere Sprache.

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Hartz IV, der Niedriglohnsektor und die ökonomischen Ineffizienzen des Neoliberalismus

Ich habe momentan nicht sehr viel Zeit zum bloggen, aber ein paar lesenswerte Artikel möchte ich euch nicht vorenthalten:

Jochen Hoff hat einen sehr guten Beitrag über Hartz IV geschrieben, in dem er die neoliberalen Vorstellungen, die dahinter stecken (wie die Idee, etwa durch “Aufstocken” die Löhne zu senken das Kapital zu entlasten ), benennt und aufzeigt, wie dabei Politik, Wirtschaft und Medien (“Sozialschmarotzer” versus “Leistungsträger”- Propaganda) zusammenwirken. Er beschreibt dabei, wie durch Hartz IV Einkommen und Sozialtransfers auf ein Niveau gesenkt werden, das kein menschenwürdiges Leben mehr ermöglicht.

Auf den NachDenkSeiten wird gezeigt, dass das Ziel der Einführung von Hartz I-IV und der jetzigen Rahmenbedingungen der Leiharbeit der Aufbau des größten Niedriglohnsektors in der EU ist (besonders krass ist dabei der Ausspruch unseres Altkanzlers Schröder “Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt”). Mittel für dieses Ziel sind u.a. eine massive Kürzung der Sozialleistungen, Kombilohn-Modelle und die Senkung der  Zumutbarkeitskriterien (bis zu einem Zwang, jede Arbeit anzunehmen).

Und Albrech Müller verdeutlicht an mehreren Beispielen, warum die neoliberale Ideologie auch ökonomisch nicht effizient ist: der Finanzsektor hat sich von seiner eigentlichen Funktion (Kreditvergabe für Investitionen) entfernt und konzentriert sich auf Spekulationen; die Teilprivatisierung hat die Kosten von Alters- und Krankheitsvorsorge erhöht, in anderen Bereichen (Telekom, Energie, Bahn) haben die Privatisierungen zu privaten Oligopolen und Monopolen geführt. Insgesamt führt die Privatisierungspolitik zu einer drastischen Verschwendung öffentlicher Ressourcen.

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Die deutsche Wirtschaft im Teufelskreis?

Schleche Aussichten für die  Wirtschaft und die Beschäftigung in Deutschland dieses Jahr. Noch schlechter, wenn die Politik nicht (und danach sieht es leider aus) auf sinnvolle Vorschläge, wie die des IMK, hören sollte:

Die deutsche Wirtschaft könnte im neuen Jahr in einen Teufelskreis der Konjunktur geraten. Das befürchten zahlreiche Experten. Steigende Arbeitslosigkeit führe zu sinkender Kaufkraft und zusätzlich zu einem “Angst-Sparen”. Dies wiederum lasse die Umsätze von Handel und Herstellern schrumpfen und beschleunige den Jobabbau.

Aus diesem Grund muss nach Einschätzung des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Aufschwung weiterhin “dringend” mit einer expansiven Geld- und Finanzpolitik unterstützt werden. “Sonst ist das Risiko groß, dass die konjunkturelle Belebung in diesem Jahr eine Episode bleibt”, warnt der Chef des Instituts, Gustav Horn. (…)

Die politischen Weichenstellungen der vergangenen Monate weisen aus IMK-Sicht in die falsche Richtung. “Geld, das in gesamtwirtschaftlich wenig sinnvolle Steuersenkungen fließen soll, fehlt für Maßnahmen, die wirklich Wachstum bringen”, betonte Horn. Stattdessen sollte die Politik den langjährigen Stau bei den öffentlichen Investitionen auflösen und sowohl in Infrastruktur als auch in Bildung investieren. (…)

Warnsignale kommen aus den anderen Staaten der Euro-Zone. Im Oktober waren die Industrieaufträge in der europäischen Industrie um 2,2 Prozent gesunken – und damit ähnlich stark wie in Deutschland. Für die Konjunkturentwicklung besonders prekär: Am stärksten schrumpften die Investitionsgüterbranchen, also vor allem der Maschinenbau.

Frankfurter Rundschau: Teufelskreis der Konjunktur (via NachDenkSeiten)

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Deutschland nicht mehr Exportweltmeister? Katastrophe!!1!!

China hat Deutschland nach chinesischen Angaben als Exportweltmeister überholt. Nach jüngsten Handelszahlen der chinesischen Zollverwaltung erreichten die Ausfuhren Chinas trotz der weltweiten Wirtschaftskrise bis November ein Volumen von 1071 Milliarden Dollar (derzeit rund 746 Milliarden Euro). Damit dürfte China den Deutschen bereits im Oktober den prestigeträchtigen Rang des Exportweltmeisters abgelaufen haben, wie Experten berichteten. (Tagesschau.de)

“Katastrophe!” werden wohl bald wieder die üblichen Verdächtigen in den Wirtschaftsforschungsinstituten schreien. Doch was ist nun wirklich los? Was besagt der “prestigeträchtige Rang” des Exportweltmeisters denn überhaupt? Zunächst einmal ist es natürlich für ein bestimmtest Land völlig unerheblich, welchen “Rang” es nun einnimmt. Dass China mit seiner Milliardenbevölkerung Deutschland überholen wird, war vorherzusehen. Und selbst ein das wirtschaftlich wohlhabendste Land Luxemburg oder stark exportierende Länder wie Singapur werden nie “Exportweltmeister” werden können. Man muss die Größe der Volkswirtschaft beachten. Die Exportquote wäre dort ein interessanter Faktor. Oder wenigstens sollte man die absoluten Gesamteinnahmen durch Exporte betrachten, nicht die relative Position: schwächelt der gesamte Welthandel, kann ein Land relativ steigen, die Einnahmen aber tatsächlich fallen. Schauen wir uns die absoluten Zahlen also einmal an:

Einem Bericht des “Wall Street Journal” zufolge exportierte China in den ersten zehn Monaten des Jahres 2009 Waren im Wert von 957 Milliarden Dollar, während Deutschland auf 917 Milliarden Dollar kam. Das Blatt berief sich auf Angaben der Genfer Global Trade Information Services. In der Krise seien die chinesischen Exporte in den ersten zehn Monaten zwar um 20,4 Prozent gesunken, aber damit weniger stark als die deutschen Ausfuhren mit einem Minus von 27,4 Prozent. (Tagesschau.de)

Was sehen wir also? China hat Deutschland zwar überholt, aber insgesamt auch weniger exportiert, nur nicht so viel weniger wie Deutschland. Ok. Aber was sehen wir hier noch ganz exemplarisch? Dass der Welthandel extrem instabil ist. Globaler Ausstausch von Waren und Dienstleistungen ist eine tolle Sache, und kein Land, dass sich dem entzieht, ist auf die Dauer wirtschaftlich erfolgreich. Aber die starke Unstetigkeit dieser Handelsbeziehungen – der Wert von 27,4% ist ein Rekordeinbruch, der durch die starke Abhängigkeit von Exporten auf die deutsche Wirtschaft fatal wirkt – setzt einer sinvollen Exportquote für eine Volkswirtschaft, zumal eine, die wie Deutschland, über eine ausbaufähige Binnennachfrage verfügt, auch Grenzen.

Eine Wirtschaftspolitik, die für mehr Stabilität sorgt, ohne die Wirtschaft zu schwächen, sollte dabei natürlich nicht so verlaufen, dass man die Exporte gezielt vernachlässigt o. ä. – das wäre natürlich Unsinn. Vielmehr muss der Staat die  inländische Nachfrage gezielt stärken (etwa durch staatliche Beschäftigungsprogramme, hohe Sozialleistungen, Investitionsanreize für Unternehmen. Hohe Löhne tragen ebenfalls dazu bei; aber die Löhne in Deutschland in den letzten 20 Jahren real um nicht einmal 2 Prozent gestiegen, während sich die Einkommen aus Gewinnen und Vermögen vervielfachten – diese gehen jedoch, da sie v. a. den Beziehern hoher Einnahmen zu Gute kommen, nur zu einem kleinen Teil in den Kosum und damit in die Nachfrage, während sie etwa bei steigenden Arbeitslosenleistungen fast vollständig dorthin wandern würden)  Denn die inländische Konsumneigung ist bei weitem stabiler und weniger elastisch als die Einnahmen durch Exporte.

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Ein frohes 2010!

… Und dass es vielleicht wenigstens etwas besser wird als das letzte Jahr …

Natürlich wäre es dazu etwa notwendig., wenn z.B. von den Politikern eigesehen würde, dass die nach diesem Jahr benannte “Agenda”, die die workfare-Prinzipien in Deutschland eingeführt hat, ihre Verspechungen nicht halten konnte. Dass  fünf Jahre Hartz IV zu einem beispiellosen Anstieg von Armut und Unsicherheit geführt haben. Die Konsequenzen und Effekte von Hartz IV sind beim Freitag sehr gut zusammengefasst. Es wäre schön, wenn man zugibt, dass die Politik des Sozialabbaus, der Umverteilung von unten nach oben, der Privatisierungen, der Deregulierungen, die Politik ausschließlich zugunsten Arbeitgebern und Vermögenden der letzten drei Jahrzehnte versagt hat.

Davon ist zur Zeit natürlich kaum auszugehen. Doch um die schädlichen Auswirkungen des marktradikalen Wirtschaftsliberalismus aufzuziegen, lohnt es sich, zu schreiben. Auch im neuen Jahr.

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