Den Beleg dafür, dass es mit Fairness und Vertrauen besser geht, glaubt Armin Falk liefern zu können. Ihm genügen ein paar einfache Experimente, um den Homo oeconomicus zu widerlegen – oder zumindest als nicht mehr konkurrenzfähig zu entlarven im Wettstreit mit dem modernen Wirtschaftsmenschen.emeinsam mit Psychologen, Genetikern und Neurowissenschaftlern entwickelte Falk Feld- und Laborexperimente, die das Bild des sozialignoranten Egoisten in Frage stellen. An seine Stelle tritt ein Mensch, der Fairness und Gerechtigkeit höher bewertet als die schlichte Maximierung des Eigennutzes – und dies auch von seinem Gegenüber verlangt.
Sehr passend fand ich aber auch den Kommentar dazu beim Erlkoenig (wo ich auch auf den Spiegel-Artikel gestoßen bin):
Das holzschnittartige Menschenbild ist ja nur ein Teil der grauenhaften Simplifizierungen, mit denen die derzeit gängige Wirtschaftswissenschaft arbeitet. Und wenn es der gemeinsamen Anstrengungen von Psychologen, Neurowisenschaftlern und Genetikern bedarf, um herauszufinden, dass der Mensch mehr ist als ein rein zweckrationales Wesen, das nur seinen eigenen Vorteil kennt, lässt das tief blicken und wirft die Frage auf, ob Wissenschaft und Fachidiotie noch zu unterscheiden sind. Ein kurzer Blick in die Geschichte der Religionen, der Philosophie oder auch der Kunst hätte genügt, um die Frage zu beantworten, ob ein derart simples Menschenbild stimmen kann.
Die Neoklassik ist in Deutschland in den letzten 30 Jahren die dominierende Schule der Volkswirtschaftslehre. Auch wenn weltweit und gerade auch in den USA wieder keynesianische Ansätze deutlich mehr Beachtung erlangen, in Deutschland lässt man sich davon nicht beirren und bleibt weiterhin schön bei der reinen Lehre. Die Stärkung der Binnennachfrage ist vernachlässigbar, staatliche Konjunkturprogramme sind “konjunkturpolitische Strohfeuer” (auch wenn es bei diesem Punkt in Folge der Witschaftskrise dann doch selbst in Deutschland zu ein klein wenig Umdenken gekommen ist), der Staat soll sich aus allem außer vielleicht noch der inneren und äußeren Sicherheit heraushalten. Dies erzählen die neoklassischen Wirtschaftsprofessoren wie eh und je immer wieder tantramäßig in den Sendungen des Mainstream-Journalismus, ohne auch nur die geringste kritische Nachfrage zu erfahren.
Und es ist auch kein Wunder, dass das diesjährige Jahresgutachten des “Sachverständigenrates” mal wieder harte soziale Einschnitte, den weiteren Rückzug des Staates, Arbeitsmarktliberalisierungen und Senkungen der Unternehmenssteuern fordert und ganz in der Tradition ausschließlich den Haushalt saniert sehen will, wobei Konjunkturbelebung und Senkung der Arbeitslosigkeit demgegenüber höchstens sekundär sind. Hat man alles schon oft genug gehört. Wenigstens ist er so konsequent, ebenfalls die Steuersenkungspläne von Schwarz-Gelb zu kritisieren – hier herrscht als über alle Wirtschaftsschulen hinweg Einigkeit, dass diese Unsinn sind. Ebenso ist man sich einig, dass die Investitionen in Bildung und Forschung zu niedrig sind. Wäre die Parteipolitik so weit, wenigstens bei diesen Punkten einmal – ja tatsächlich von niemandem bestrittenen – Empfehlungen der Wissenschaft zu folgen, wäre schon einiges getan. Aber Bildungseinrichtungen haben nun mal keine politische Lobby und keine Lobbyorganisationen, die dermaßen unsere Demokratie und unsere Meinungsvielfalt beschützen (tut mir leid, dieser Seitenhieb musste sein), wie sie andere haben.
Dies alles fände ich noch nicht einmal so schlimm, dass sie sich als dominante wirtschaftspolitische Schule durchgesetzt haben, wenn ihre Ansichten nicht immer als allein gültige, wissenschaftlich objektive und nicht zu widerlegende Tatsachen verkauft würden, von den genannten Medien, aber auch von vielen dieser Wissenschaftler selbst. Andere Positionen werden von ihnen oft gar nicht zugelassen, alles, was nicht in den derzeitigen Mainstream passt ist für sie entweder “widerlegt” oder “veraltet”. Man immunisiert sich nicht nur selbst gegen jede Kritik, man lässt diese gar nicht erst zu. Was nicht sein soll, darf auch nicht sein. Tatsächlich ist die Wirtschaftswissenschaft eine der wenigen im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich, in der andere Theorien oft gar nicht erst dargestellt oder auch nur erwähnt werden, die wie gesagt gerade nicht in den Mainstream passen, in denen die eine Richtung ihre Ansichten wie naturwissenschaftlich belegt und gültig verkauft.
Dass ihre Modelle und Theorien dabei oft aber eher mythologisch denn wissenschaftlich sind, zeigt sich aber immer wieder. Weissgarnix z.B. räumt diese Woche mal wieder mit ein paar “Märchen aus dem Gute-Nacht-Geschichtenbuch der Neoklassik” auf. Er schreibt, dass die “homo oeconomicus”-Phantasie die Grundlage der meisten Modellen der Neoklassik ist. Und denen, die von einem Menschenbild ausgehen, in dem jeder Mensch ausschließlich im wahrsten Sinne des Wortes “asozial” als Individuum und ausschließlich den eigenen Nutzen maximierend handelt und für den allein der Markt (wobei er natürlich immer über vollständige Informationen verfügt) noch eine Beziehung zu anderen Menschen generiert, denen sollen wir tatsächlich die alleinige Deutungshoheit überlassen? (Ich weiß nicht mehr genau, wo ich das gehört habe, aber es erscheint mir sehr sinnvoll: “Existierte der homo oeconomicus wirklich, er wäre wohl eher ein Fall für die Psychatrie”).
Und Weissgarnix verdeutlicht, wie die Gleichung “I(nvestitionen”=S(paren)” in der von den Neoklassikern behaupteten Kausalität, dass die Sparquote die Höhe der Investitionen beeinflusse, nicht zutrifft (dass es eine Illusion ist, dass der Konsument mit seiner Spartätigkeit tatsächlich über die Investitionen bestimmen könne) und warum hohe Sparquoten tatsächlich volkswirtschaftlich alles andere als nützlich sind. Ganz lustig dabei ist auch, wie die I=S- Gleichung auch nur mittels eines Kniffs (man könnte es auch als “Trick” bezeichnen) funktioniert und letztlich nur eine Tautologie darstellt.
Die Theoreme der Neoklassik sind also nicht unbedingt immer zutreffend, und v. a. sind sie nicht die allein seeligmachende Wahrheit, wie einem dies ihrer Vertreter oft genug weismachen wollen.
Dirk Niebel macht in seiner Antrittsrede als neuer Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung klar, warum er genau der Falsche für diese Aufgabe ist.
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dirk_Niebel_5.jpg (Claus-Joachim Dickow unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)
Zunächst erhält seine Antrittsrede neben reiner Lobhudelei auf die Vergangenheit der Liberalen (in erster Linie lobt er den Sozialliberalen Walter Scheel, dessen Politik mit der der heutigen FDP aber freilich nicht mehr viel zu tun hat) sowieso Phrasen und Floskeln gleich die untertänige Versicherung, keine “Nebenaußenpolitik zu betreiben”. Man will dem Chef Westerwelle ja nicht die Show stehlen. Es wird dabei niemand vergessen, dass einer der größten Gegner der Eigenständigkeit des Entwicklungsministeriums, der nie einen Hehl daraus machte, dass er das Ministerium für überflüssig wie einen Kropf hielt und dieses noch im Wahlprogramm der FDP auflösen wollte, nun ausgerechnet dieses Ministerium erhält. Der Spiegel schreibt dazu im Artikel “Guidos Großmaul” (Spiegel 45/ 2009, 2.11.2009, S. 28) “mehr Verlogenheit gab’s selten”. Aber auch der Tonfall von Niebels Rede klingt gleich ein wenig merkwürdig an:
Ich versichere Ihnen, dass wir durch Auflösung von Doppelstrukturen in der Regierung und der Durchführung unsere deutsche Schlagkraft im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit erhöhen werden.
“Unsere deutsche Schlagkraft”… gehört diese Rhetorik nicht eher in den Bereich des Verteidigungsministeriums, dass neuerdings ja auch offiziell wieder Kriege führt? Ein besserer Ort für den Hauptmann der Reserve Niebel wäre dieses allemal. Hier kommt auch wieder mal die unterschwellige Deutschtümelei durch, die Niebel in der Vergangenheit öfters durchblicken ließ, wenn er sich immer wieder für Senkungen der Entwicklungshilfe aussprach unter dem Argumentionsgang “das Geld brauchen wir hier doch viel eher! Wir müssen zuallererst an uns denken!” Wenn mal etwas Inhaltliches in der Antrittsrede anklingt, so zeugt dies fast ausschließlich davon, dass die Neoliberalen aus der Vergangenheit der Entwicklungszusammenarbeit gar nichts gelernt haben:
Liberale Maßstäbe sind dabei auch die Stärkung der Eigenverantwortung und der Selbsthilfekräfte und die intensive Zusammenarbeit mit den Kirchen, mit den Stiftungen und den Nicht-Regierungsorganisationen, aber eben auch mit der deutschen Privatwirtschaft. (…)
Die Stärkung guter Regierungsführung ist entscheidend für uns, weil die Hauptursache für den Misserfolg von politischen Reformen und Strukturanpassungsprogrammen der Widerstand nationaler Eliten ist.
Wenn die FDP ihr Klientel in der Privatwirtschaft mal dazu bringen würde, nicht ganz so lächerlich geringe Beträge in die Entwicklungshilfe zu investieren, wäre dagegen natürlich nichts einzuwenden. Was dies aber bedeuten soll, ist ebenso klar wie “die Stärkung der Eigenverantwortung und der Selbsthilfekräfte”: jeder ist für sich selbst verantwortlich. Die Entwicklungsländer sind an ihrer Lage selber schuld, und sie müssen sich selber aus ihr befreien. Das wird noch deutlicher im zweiten Zitat. Die FDP glaubt tatsächlich an die neoliberalen Strukturanpassungsprogramme der Washington Consensus- Ära, die auch von früher einmal überzeugten marktradikalen Vertreter der Bretton Woods- Organisationen inzwischen als Makel der Vergangenheit wahrgenommen werden. Die Strukturanpassungsprogramme haben zu mehr Armut und Ungleichheit geführt. Wenn die FDP dies bestreitet und sogar zu diesen zurück will, offenbart sie, dass ihr Entwicklungspolitik nicht nur egal ist, sondern dass sie schädlich für diese ist. Und, ich muss sagen, ich bin nicht wirklich stolz darauf, dass sich meine Befürchtungen bezüglich Strukturanpassungsprogrammen und Good Governance-Kriterien (auch wenn diese in bestimmten Fällen und als Wahrung der Menschenrechte – statt als wirtschaftsliberale Vorschriften – natürlich durchaus sinnvoll sein können, siehe auch unter dem verlinkten Post) zur Entwicklungspolitik der FDP bestätigt haben:
Man kann sich wohl, ohne der FDP Böses zu wollen, vorstellen, dass auch sie wirtschaftliche „Anpassungsmaßnahmen“ (wieder) stärker zur Bedingung für die Vergaben von Entwicklungshilfe machen will.
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dirk_Niebel_7.jpg (Claus-Joachim Dickow unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)
Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte Unrecht gehabt und die FDP hätte wenigstens ein kleines bisschen Einsicht gezeigt. Wenigstens sieht Niebel noch ein, dass er ein Anfänger ist. Wenn die neue Bundesregierung aber jemanden, der eine Aufgabe als überflüssig ansieht und von ihr keine Ahnung hat, mit gerade dieser betreut, zeigt sie ihre Geringschätzung für diese Aufgabe. Und sie zeigt, was ihr wichtiger ist: Sachpolitik oder Machtpolitik. Hilfe für die Menschen in den Entwicklungsländern oder Versorgungsgebaren für die politsche Elite. “Ein besonders krasser Fall von Postengeschacher”, wie der Spiegel im erwähnten Artikel schreibt. Und er zeigt, dass Niebel nicht allein ist in dem Ministerium, welches er noch vor kurzem am liebsten niemals wieder gesehen hätte, sondern dass er so viele Parteifunktionäre wie kaum ein Minister zuvor mit Posten an seinem neuen Arbeitsort versorgt hat.
Was aus alledem folgt, ist klar: die Entwicklungspolitik hat sich zur Residenz der Versorgungsposten, zum ultimativen Ort des verlogenen parteipolitischen Postengeschachers, zum kleinsten Chip im großen machtpolitischen Pokerspiel entwickelt. Sie wird zu Nebensache. Zur Niebelsache.
Indem sie Konzepte wie einen Stufensteuertarif und die Kopfpauschale mit dem Attribut “gerecht” versehen, verdeutlichen die Vertreter von Union und FDP wieder, wie unterschiedlich Gerechtigkeitsvorstellungen sein können. Und wenn dabei auch noch “einfach” gegen “gerecht” ausgespielt wird, kann nur einer verlieren: der Sozialstaat.
Einfach, niedrig, gerecht? Ein neues Steuersystem und die Kopfpauschale
Das progressive Steuersystem hatte in Deutschland lange mit dem Konsens aller Bundestagsparteien bestand. Ein System, dass die Steuerlast an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anpasste, entsprach und entspricht noch dem Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Deutschen. 2005 kostete der “Professor aus Heidelberg” der Union mit seinem Flattax-Konzept fast den Wahlsieg. Seitdem war es ruhig darum, und auch die Unionsparteien und die FDP ließen im Wahlkampf nichts davon hören. Wie also nun die Menschen von einem Konzept überzeugen, dass den Weg in die Richtung einer Flattax ebnen soll (und zudem unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten als keineswegs sinnvoll betrachtet werden kann), den Stufentarif – und ihnen zudem die äußerst unpopuläre und von einer überwältigenden Mehrheit als ungerecht empfundene Kopfpauschale verkaufen? Wie üblich: mit der durch die Massenmedien völlig unreflektiert aufgegriffenen und immer wieder wiederholten Parole “einfach, niedrig und gerecht!”.
Niedrigere Steuern kommen immer gut an. Auch wenn sie in einer Lage der Wirtschaftskrise, einer noch nie dagewesenen Neuverschuldung und der selbst von Wirtschaftsliberalen eingesehenen Notwendigkeit von Konjunkturprogrammen kommen sollen. Die Kopfpauschale dagegen bedeutet mit den geplanten 105 Euro nur für Besserverdiener eine Entlastung – dort aber eine massive (die absoluten Spitzenverdiener hatten diese natürlich auch vorher durch die Beitragsbemessungsgrenze, die festgesetzte absolute Oberhöhe von Zahlungen an die Krankenversicherung – ein Konzept, dass ausschließlich in der Bundesrepublik existierte und ausschließlich dazu diente, die Reichsten der Reichen zu entlasten).
Kommen wir zu “einfach”. Es ist klar, was immer mit diesem “einfacher” beabsichtigt wird: “der Stammtisch” soll überzeugt werden, die zu wählen und die Politiken zu unterstützen, “die er auch versteht”. Eine Flattax ist ja auch viel einfacher zu verstehen als eine progressive Steuer, ein einheitlicher Betrag zur Gesundheitsversicherung einfacher als ein einkommensabhängiger. [He, und wo wir schon bei der Kopfpauschale sind: wie wäre es mit einer Pauschalsteuer, einer Einheitssteuer nicht in der Form eines einheitlichen Prozentsatzes, sondern eines einheitliches Betrags? 1.000 Euro Steuer für jeden, das wäre doch eben ganz einfach. Und für die “Leistungsträger” ist es auch niedrig. Und darum gerecht.] Aber im Ernst: Einfachheit allein kann kein politisches Konzert sein, und dann um so mehr nicht, wenn sie in Konflikt zur Gerechtigkeit steht.
Die Stufensteuer: wirtschaftlich sinnlos UND ungerecht
Kommen wir zu dieser, kommen wir zur Gerechtigkeit. Die FDP hatte gefordert, den Mittelstandsbauch abzubauen. Dieser bedeutet, dass im deutschen Steuersystem zur Zeit Niedrigverdiener und der Mittelstand höher belastet werden als die Spitzenverdiener, da die Progression zunächst steiler verläuft, dann abflacht. Mit einem Stufentarif würden jedoch quasi so viele Bäuche wie Stufen entstehen und das Problem damit noch potentiert. Mehr Gerechtigkeit bedeutet dies also in keinem Fall, egal, von welchem Gerechtigkeitsverständnis wir sprechen (aber dazu kommen wir später). Auch das in letzter Zeit immer wieder gern genannte Argument der “kalten Progression” ließe sich nur bedingt mit einem Stufentarif beseitigen, da eben an der Grenze zu einer höheren Steuerstufe ein großer Sprung stattfindet (statt eines immer gleichmäßigen Anstiegs), also diesmal wirklich ein bedeutenderer Teil eines hinzuverdienten Euros wieder verschwindet. Für bestimmte Gruppen, deren Einkommen an diesen Schwellen liegen, bedeutet dieses System also einen Verlust an “gerechter” Besteuerung und auch eine Art der Willkür. Ein gleichmäßig ansteigendes Steuersystem ist sehr viel rationaler und wohl unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten nicht zu überbieten.
Auch den größtenteils Juristen, die bei den Regierungsparteien für die Wirtschafts- und Steuerpolitik verantwortlich sind, dürften diese Punkte nicht entgangen sein. [Auch wenn ich den Eindruck habe, dass man vielen von deren Anhängern noch mal den Unterschied zwischen Grenz- und Durchschnittssteuersatz erklären sollte (was wenigstens einige von ihren Äußerungen erklären könnte)]. Ein Stufentarif ist nicht viel einfacher als ein progressiver, und er ist nicht gerechter. Und dies trifft noch viel mehr auf die Kopfpauschale zu.
Die Kopfpauschale: warum die Gesundheit eines Menschen nicht das selbe wie ein Auto ist
Der neue Gesundheitsminister Rösler meint, die Kopfpauschale entlaste nicht nur den “Faktor Arbeit”, sondern dürfe ja auch gar nicht als “unfair” bezeichnet werden: über die Gesundheitsversicherung könne sowieo keine Umverteilung erfolgen, diese könne nur über das Steuersystem geschehen. Mal davon abgesehen, dass ich den Wirtschaftsliberalen glaube ich hier kein Unrecht tun, wenn ich festhalte, dass diese sowieso gegen den “Umverteilungsstaat” eintreten, ist die Aussage auch in anderer Hinsicht falsch. Die Gesundheitsversicherung ist in einem breiten politischen Konsens als Versicherung entwickelt worden, in der 1. jeder nach seiner Leistungsfähigkeit einzahlt und 2. jeder bei Bedarfsfall die Leistungen erhält, die er benötigt.
Zum 1.: Das eine einkommensunabhängige Kopfpauschale das Gegenteil dieses Prinzips darstellt, ist offensichtlich und bedarf wohl keiner eingehenderen Erläuterung. Und solche Äußerungen wie “wir zeigen durch eine Kopfpauschale, dass uns die Gesundheit jedes Bürgers gleich viel wert ist”, machen nur Sinn, wenn man die Gesundheitsversicherung sagen wir wie eine KFZ-Haftpflichtversicherung betrachtet, wenn man die Gesundheit zur Ware macht. Jeder zahlt einen gleichen Betrag, oder besser noch: “Risikogruppen” zahlen in der Gesundheit wie Umweltschädlinge bei den Autos höhere Beträge. Hier liegt aber ein gewaltiger Unterschied: die Gesundheit eines Menschen zu bewahren und ihm die Hilfe, die er benötigt, zukommen zu lassen, ist ein Grundpfeiler einer menschlichen Gesellschaftsform. Die Gesundheit ist außerdem nicht etwas, was man sich aussucht, wie etwa ein Auto, und für ihre Beibehaltung und Wiederherstellung sind auch nicht einigermaßen gleiche und vorhersehbare Kosten notwendig, wie bei einem Auto. Und diese Sicht, die Gesundheit nur als Ware zu betrachten, die auf Märkten gehandelt wird, wirkt sich auch auf das 2. Prinzip aus, die 2-Klassen-Medizin, die in Deutschland immer mehr entstanden ist. Die “Reformen”, die im Gesundheitssystem geplant sind, gehen noch mehr in diese Richtung: nur noch eine Basis-Grundversorgung für die Niedrigverdiener, mit “flexibel wählbaren” Erweiterungen. Je mehr Geld, gegen desto mehr Risiken kann man sich absichern, eine desto bessere Behandlung bekommt man. Im Extremfall kann der Geldbeutel über Leben und Tod entscheiden. Und dies tut er schon viel zu häufig.
Wenn der Mensch nur das zählt, was er leisten kann
Und doch kommt diese Haltung nicht von ungefähr. Sie rührt aus der in den letzten 3 Jahrzehnten zur Vorherrschaft gelangten neoliberalen Ideologie, in der der Einzelne nur so viel zählt, wie er wirtschaftlich zu leisten im Stande ist. In dieser ist dann für viele für Altruismus ebenso wenig Platz wie für als “Schwäche” angesehene physische oder psychische Krankheiten. Da gibt es keine Entschuldigung, jeder Mensch muss Leistung bringen – immer! In dieser harten Leistungsgesellschaft setzt sich nur der Starke durch. Eine überaus ekelerregende und pervertierte Erscheinung dieser Denkweise ist es vielleicht auch, wenn (glücklicherweise – noch? – in wenigen Einzelfällen) Ökonomen sich in als Studien getarnten Angriffen auf das humanistische Menschenbild und die Menschenwürde dazu herablassen, das Wert eines Menschenlebens daran zu bemessen, wie viel dieser für seine Gesundheit auszugeben in der Lage und bereit ist und so allen Ernstes zu dem Schluss kommen, man solle nur für die Gesundheit der Menschen in den reichen Ländern sorgen, weil die Menschen dort mehr dafür ausgeben können. Wer kein Geld hat, soll halt sterben. Oder Geld verdienen. Wie gesagt, diese menschenverachtenden Pamphlete sind zum Glück selten, und ich möchte auf keinen Fall sagen, dass solch widerliche Ansichten aus liberalen Überzeugungen folgen müssen. Aber in gewisser Weise treiben sie die Ansicht der Gesundheit als Ware – wie gesagt, pervertiert – auf die Spitze. Eine Entwicklung, die ein Warnsignal sein muss an alle, die daran glauben, dass jedes Menschenleben gleich viel zählt – seien es Liberale, Konservative oder Linke.
Gerechtigkeit und Menschenbild: Wenn der Mensch ausschließlich egoistisch ist
Die Gerechtigkeitsvorstellungen einer politischen oder philosophischen Richtung hängt nicht zuletzt mit deren Menschenbild zusammen. Der Mensch der liberalen und der konservativen Ideologie ist der Mensch, den die Großbürger Hobbes und Locke im England der frühen Neuzeit erfunden haben. Vorher war es kaum möglich gewesen, den Bürger als völlig herausgelöst aus der Gesellschaft zu betrachten. Die früheren Grundsteinleger des Liberalismus (Locke) und des Konservatismus (Hobbes) verstiegen sich nun aber dazu, den Bürger, den sie in der City of London sahen, als den Menschen schlechthin zu konzipieren, den ursprünglichen Menschen des Naturzustandes. Dieser Mensch, so ihre Vorstellung, steht isoliert dar und handelt ausschließlich egoistisch unter einem auf die Verfolgung des eigenen Nutzens beschränkten Rationalitätsbegriff. Gewiss gibt es egoistisch nutzenmaximierend handelnde Menschen. Doch das Menschenbild, das Liberale und Konservative als das einzig mögliche ansehen, ist ebenso ein Ausdruck seiner Zeit wie das des politischen Mensch des antiken Griechenlands. Konkret ist es das Produkt des aufkommenden Kapitalismus in England zur Zeit des 17./ 18. Jahrhunderts.
Doch dieses Menschenbild ist das, was in der liberalen Lehre und in den liberalen Wirtschaftswissenschaften bis heute vorherrscht. Auch wenn soziologische Studien zeigen, dass die Gesellschaft eine viel größere Rolle spielt, dass der Mensch sich erst durch die Gemeinschaft als Individuum entfalten kann, stört das die Vertreter dieses Menschenbildes nicht sehr. Sie können und sie wollen sich nicht vorstellen, das Menschen auch altruistisch handeln können. Und so etwas ist keine Wissenschaft. So etwas ist Ideologie.
Wenn sich eine Ideologie auf dieses Menschenbild gründet, kennt sie höchstes die Konzepte “Leistungsgerechtigkeit” und “Chancengerechtigkeit”. Je mehr man leistet, um so mehr soll man davon haben, und jeder soll die gleichen Startchancen habe. “Soziale Gerechtigkeit” oder “Verteilungsgerechtigkeit” sucht man dort vergebens. Diese sind ur-sozialdemokratische Konzepte (und die “Sozialdemokraten”, die, v.a. in der Schröder-Müntefering-Steinmeier-Ära versucht haben, soziale Gerechtigkeit durch Chancengerechtigkeit zu ersetzen, haben damit nur versucht, den mageren Abklatsch des sozialdemokratischen Originals dort einzuschleusen. Die ehemals sozialdemokratische Labour-Party hat – nicht nur nach meiner, sondern auch nach der Meinung vieler Wissenschaftler – mit der Abkehr von der sozialen und Hinwendung zur Chancengerechtigkeit endgültig den Wandel von der sozialdemokratischen zur wirtschaftsliberalen Partei vollzogen).
Liberal versus Neoliberal
Während die klassischen Liberalen also noch ein paar Gerechtigkeitsbegriffe haben, wollen die härtesten Vertreter des Neoliberalismus davon nichts hören und lehnen auch diese Begriffe ab. Um ein Beispiel zu nennen: der klassische Liberale würde hohe Managergehälter z.B. dadurch rechtfertigen, dass diese viel arbeiten und eine hohe Verantwortung und hohe Risiken zu tragen haben. Eine Argumentation, die man nicht teilen muss, aber immerhin eine nachvollziehbare und in sich schlüssige Argumentation, denke ich. Der Neoliberale Hayek dagegen würde sagen: diese verdienen so viel, weil sie sich auf dem Markt durchgesetzt haben. Weil es so ist. Gerechtigkeit gibt es nicht, es kann sie (und es soll sie) nicht geben. Als “gerecht” könnte man dann höchstens noch die Marktergebnisse bezeichnen, egal wie sie ausfallen, eben: weil sie so ausfallen.Und an den Marktergebnissen etwas zu ändern, sei ein Eingriff in die menschliche Freiheit – allein die Erhebung von Steuern betrachtet er als eine im Prinzip genauso große Freiheitsberaubung und ebenso ein Eingriff in die Menschenwürde (!) wie etwa Gefängnis oder Folter.
Wir sehen also, Vorstellungen von Gerechtigkeit könne sehr verschieden und vielfältig sein – aber kaum so vielfältig wie die verschiedenen politischen Vorschläge, die immerzu reflexhaft als “gerecht” gegen jede Kritik immunisiert werden. Mal sehen, ob Regierung und Medien es schaffen, auch die Kopfpauschale und ein Stufenssteuersystem der Öffentlichkeit als “gerecht” zu verkaufen. Zumindest bei Letzterer sieht es ja ganz gut für sie aus.
Zu welchem Ende betreiben wir Kapitalismuskritik? Wir betreiben sie in praktischer Absicht, weil wir die Welt verändern müssen, wenn wir wollen, dass sie bleibt. Die Geschichte ist nicht am Ende. Es gibt Alternativen. Es ist notwendig, sie zu erdenken, zu entwickeln und sich für die Realisierung in gesellschaftlicher, das heißt heute global vernetzter Praxis einzusetzen. Theoretisch im Studium, und praktisch in der Politik.
Elmar Altvater: “Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir Kapitalismuskritik”, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/2006, S. 467 f.
Der Soziologe Johannes Berger stellt in einem Aufsatz zur Kapitalismuskritik* die These auf, eine Welt jenseits der kapitalistischen Produktionsweise würde wahrscheinlicher, wenn man drei “Stellschrauben” dieses Systems verändern könnte, wozu er auch drei konkrete politische Maßnahmen als Beispiele nennt:
Ein bedingungsloses, existenzsicherndes Grundeinkommen für alle (erwachsenen) Staatsbürger würde den Arbeitszwang wegfallen lassen, der für den Kapitalismus konstitutiv ist.
Eine Unternehmenslenkung durch die Beschäftigten würde die Unterordnung unter das “Kommando des Kapitals” verschwinden lassen. Dabei könnte es durch die Beschäftigten einen Tausch geben: weniger Lohn gegen mehr Herrschaftsfreiheit. Arbeit ist nach Max Weber erst materiell (und nicht nur formal) frei, wenn die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in die Kompetenz der Beschäftigten selbst fällt.
Eine Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer (neben einem festen Grundlohn) schließlich würde die Arbeitnehmer am Erfolg des Unternehmens partizipieren lassen und durch die Minderung des Lohnes als Einkommensschema die Trennung unterschiedlicher Einkommensarten zumindest partiell aufheben.
Um Berger nicht Unrecht zu tun, muss betont werden, dass er in seinem Aufsatz die Schlussfolgerung zieht, der kapitalistischen Organisationsform der Wirtschaft gehöre wohl auf absehbare Zeit die Zukunft und er die drei von ihm selbst dargestellten Maßnahmen relativ harsch abtut.
Ein existenzsicherndes Grundeinkommen würde die Steuerbelastung an- und die Arbeitsmotivation absteigen lassen und sei mit der “Ethik der Arbeitsgesellschaft” (arbeitsfähige Personen, die nicht arbeiten, sollten nicht am Sozialprodukt partizipieren dürfen) nicht vereinbar. Der Rückgang der Arbeitsmotivation wird aber von ihm nur vermutet. Um diesen zu verhindern, wäre eben gerade eine Abkehr von dem anderen Kritikpunkt, der liberalen Leistungs”ethik”, notwendig, wodurch man andererseits sogar positive und motivierende Effekte erwarten könnte. Zur Selbstorganisation durch die Beschäftigten sagt er nur: “Aber ‘Selbstherrschaft’ kann ungleich anstrengender sein als das milde Diktat einer zeitlich, sachlich und sozial beschränkten Herrschaftsausübung”. Hier wird wieder einfach nur vermutet, dass die Beschäftigten Freiheit nicht wollten, da diese zu “anstrengend” sei. Woher diese Einschätzung stammt, bleibt unklar. Außerdem denke ich persönlich, dass eine wirklich freie Gesellschaft erst jenseits des Konzeptes Herrschaft überhaupt denkbar ist.
Zu der Gewinnbeteiligung (aber auch zu den beiden anderen Punkten) sagt er, es sei unklar, wer daran ein Interesse haben könnte. Schaut man sich eine größer werdende Unterstützung für das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens oder von verschiedenen Seiten (sowohl von Arbeitnehmern als auch von Arbeitgebern) immer wieder eingebrachten Vorschlägen für und Umsetzungen von Gewinnbeteiligungsmodellen an, scheint es aber doch durchaus Gruppen in der Gesellschaft mit einem Interesse an diesen Maßnahmen zu geben. Und dass die Unternehmensmitbestimmung in einem breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens eingeführt wurde, dürfte ihm auch nicht entgangen sein.
Auch wenn Berger also diesen von ihm genannten und dargestellten Konzepten eher kritisch gegenüber steht, hat er doch Recht damit, dass diese Möglichkeiten eines Ausstiegs aus der derzeitigen Form kapitalistischer Produktionsweisen darstellen könnten. Die Aufhebung des Arbeitszwanges und die Beteiligung der Beschäftigten an der Lenkung des Unternehmens würden dabei den Vorteil haben, den Markt als äußert effizienten Verteilungsmechanismus nicht aufzuheben und auch die Defizite einer zentralen, autoritär und bürokratisch geplanten Wirtschaftslenkung durch den Staat zu vermeiden. Die Identifikation der Beschäftigten mit dem Unternehmen sind durch eine Ausweitung der Beteiligungsrechte stark zu erwarten und folglich eine größere Motivation. Selbst mit liberalen Ideen kann man dies vereinbaren, da die Beschäftigten bei Erfolgen des Unternehmen stärker honoriert werden und sich Leistung wirklich wieder lohnt. Zudem sind diese drei Maßnahmen jenseits utopischer Träumereien: Gewinnbeteiligungsmodelle existieren bereits in einigen Unternehmen, eine Beteiligung an der Unternehmenslenkung könnte durch eine Ausweitung der Mitbestimmung erreicht werden und für das Grundeinkommen liegen ausgearbeitete Konzepte vor.
Kommen wir zu den Problemen: eine erfolgsabhängige Komponente des Arbeitseinkommens der Beschäftigten kann durchaus im Interesse der Unternehmer liegen, stellt sie doch ein Mehr an Flexibilität (gerade auch für in ihrer Existenz bedrohte Unternehmen) dar. Über diesen Weg, der Beteiligung am Unternehmen, ließe sich auch eine Mitbestimmung über die Unternehmenspolitik rechtfertigen. Aber klar ist, dass gerade in einer autoritär geprägten Gesellschaft wie der Bundesrepublik Widerstände gegen mehr Herrschaftsfreiheit der Beschäftigten zu erwarten sind, auch wenn die hierarchischen Autoritätsbeziehungen in Unternehmen viele Probleme mit sich bringen und fortschrittshemmend wirken können. Politik, Wirtschaft und Medien würden gegen das existenzsichernde Grundeinkommen natürlich Kampagnen wie seinerzeit gegen die Sozialhilfeempfänger (“Florida-Rolf”) fahren. Die Finanzierbarkeit des Grundeinkommens indes ist eine politische Frage. Nicht zuletzt die Gelder für die Bankenrettung zeigen, dass es nur eine Frage der Prioritäten ist, auch sehr große Geldsummen zu mobilisieren (und ein Grundeinkommen würde deutlich weniger kosten und hätte zudem positive Effekte für die Binnennachfrage).
Bis vor kurzer Zeit zweifelte kaum jemand daran, dass unser Kapitalismus sich immer mehr in Richtung des angelsächsischen Finanzmarktkapitalismus transformieren würde. Die Finanzkrise zeigte nun für alle deutlich dessen Anfälligkeit und Krisenhaftigkeit auf. Seit den 90er Jahren (verstärkt seit 1999) war der Weg in den Finanzmarktkapitalismus gezielt von der Politik beschritten worden. Wenn die Politik wieder die Interessen der Mehrheit der Bürger vertreten würde, wäre der Weg in die andere Richtung kaum weniger möglich. Eine freiere, solidarischere und gerechtere Gesellschaft wäre möglich – sie muss nur politisch gewollt sein.
*: Johannes Berger: “Kapitalismusanalyse und Kapitalismuskritik”, in: Maurer, Andrea (Hrsg.): Handbuch der Wirtschaftssoziologie, Wiesbaden 2008, S. 363-381.
Nun steht das neue Bundeskabinett fest. Sachkompetenz spielt diesmal offensichtlich eine noch geringere Rolle denn je. Doch sehen wir uns dieses Kabinett des Schreckens einmal genauer an:
Quelle: oparazzi.de unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/
Bundeskanzlerin Angela Merkel: ist wohl in der Tat wenig überraschend, wird unsere Bundes-Angie weiterhin in unserem Land herumexperimentieren. Von der “ausgleichenden Kanzlerin” wird aber voraussichtlich nicht mehr ganz so viel übrig bleiben – kann sie über die FDP doch endlich das neoliberale Unionswahlprogramm aus dem Wahlkampf 2005 umsetzen. Möglicher Widerstand aus dem Arbeitnehmerflügel der Union (auch wenn es dafür, dass dieser noch besteht weniger Belege als für die Wirkung von Homöopathie gibt) kann man immer Koalitionszwänge anführen. Im Kanzleramt wird es künftig jedoch weniger ruhig zugehen. Ob Pfarrer Hintze als Staatssekretär ihr so viel helfen kann, wird man sehen. Ärger machen wird er auf jeden Fall keinen, genauso wie der neue
Kanzleramtsminister Ronald Pofalla: Er wird Merkel wie vorher als CDU-Generalsekretär ihr jedes Wort nach dem Mund reden – nur dass es sich bei ihm lustiger anhören und noch mehr leere Phrasen beinhalten wird. Wir dürfen uns alle schon auf die Pressekonferenzen freuen. Die richtige Position also für den Politik-Kalauer-König.
Quelle: Michael Thurm (www.flickr.com/photos/farbfilmvergesser/) unter creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de
Außenminister Guido Westerwelle: Auch wenn FDPler Wolfgang Gerhard nach einhelliger Meinung deutlich größere Kompetenzen auf diesem Gebiet besitzt, wurde dieser von dem Machtpolitiker Westerwelle ja bereits weggeputscht. Auch das Englisch-Kenntnisse für dieses Amt wohl keine notwendige Vorraussetzung sind, hat er hinlänglich demonstriert. Es besteht aber kein Zweifel, dass Westerwelle wie jeder Außenminister in den Meinungsumfragen wieder unter den drei beliebtesten Politikern Deutschlands landen wird – die dreckige Arbeit erledigen andere.
Innenminister Thomas de Maizière: Natürlich wäre hier fast jeder besser als Stasi 2.0-Schäuble. Ob der bisher als Kanzleramtschef für die Geheimdineste zuständige Generalssohn aber wieder die Bürgerrechte achten wird, darf mehr als bezweifelt werden. Die Koalitionsvereinbarungen sehen höchstens vor, dass diese nicht noch weiter eingeschränkt werden.
Quelle: Dirk Adler (commons.wikimedia.org/wiki/File:Stasi_2.0.png) unter creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/
Finanzminister Wolfgang Schäuble: Zweifellos die größte Überraschung im neuen Kabinett. Auch wenn er vielleicht nicht die nötige Sachkenntnis für dieses wichtige Amt mitkriegt: er kann wenigstens nicht mehr die Hand an die Bürgerrecht legen (zumindest nicht so einfach). Auch wenn sich Schäuble gesellschaftspolitisch als konservativer Hardliner gezeigt hat, scheint er wirtschaftspolitisch für Unionsverhälntnisse eher gemäßigte Positionen zu vertreten. Eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte dürfte allerdings von ihm kaum zu erwarten sein – auch wenn die Taz titelt: Schäuble überwacht nun Banken. 🙂 Aber dass ausgerechnet Schäuble, der wegen seiner Verstrickungen in die CDU-Schwarzgeld-Affäre die Kanzlerschaft Merkels erst möglich gemacht hat, künftig für die Finanzen von 82 Millionen Deutschen zuständig sein soll, ist in der Tat komisch.
Und auch Merkel kann nicht recht begründen, wie warum man diese Schäuble anvertrauen können soll:
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle: Ob der frühere rheinland-pfälzische Minister für Weinbau wirklich als erste Wahl für diesen Posten gelten kann, darf man bezweifeln. Er wird aber zeigen können, wieviel “Wirtschaftskompetenz”, die ja viele Wähler bei der FDP vermuten, wirklich zu finden ist – mit der neoliberalen angebotsorientierten Wirtschaftspolitik der letzten 27 Jahre.
Arbeits- und Sozialminister Franz-Josef Jung: der zweite an der CDU-Sendenaffäre beteiligte in der Ministerriege hat anscheinend im Verteidigungsministerium noch nicht genug Schaden angerichtet, so dass man ihn jetzt auf den Sozialstaat loslässt, um ihm den Rest zu geben.
Was Jung nun zum Arbeitsminister qualifiziere?, wird Merkel in der Pressekonferenz gefragt. Der Kanzlerin fällt spontan keine Antwort ein. “Das ist der, äh, …” Sie schüttelt entnervt den Kopf. Plötzlich wirkt sie müde und abgespannt – und ringt sich dann zu ein paar dürren Sätzen durch: Jung sei ein Mann mit großen und breiten Erfahrungen und genau die brauche man im Arbeitsministerium. Er sei “fachlich” und “menschlich” dazu in der Lage, dieses Amt “mit Leben zu füllen”. (Sueddeutsche.de)
Ob er als höchstens mäßigt begabter Politiker wenigstens das hinkriegt, wird sich zeigen, aber es fängt schon mal gut an. Laut Koalitionsvertrag sollen etwa bestehende Minestlohnregelungen “evaluiert” und befristete Beschäftigungsverhältnisse noch stärker erleichtert werden – ein weiterer Beitrag zur Segmentierung des Arbeitsmarktes und zur Spaltung der Gesellschaft. Selbst das unsägliche Bürgerarbeits-Modell soll “erprobt” werden.
Gesundheitsminister Philipp Rösler: der Bundeswehrstabsarzt, Hobby-Bauchredner und Nachwuchsmarktradikale der FDP hat schon mal mit der Einführung der Kopfpauschale den ersten Schritt zur Abschaffung des Sozialstaates hingelegt. Und dass er die fähig oder überhaupt Willens wäre, den Einzug der Pharmalobby und der privaten Versicherungswirtschaft in das Gesundheitsministerium zu verhindern, würde er wohl selber als schlechte Scherz auffassen. Trotz immer wiederholter Beteuerungen, nicht nach Berlin gehen zu wollen, wird er nun doch an vorderster Front für Partikularinteressen von Ärzten und Apothekern und gegen ein solidarischse Gesundheitssystem kämpfen. Wohl der Minister, der am meisten kaputt machen kann – und wird.
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: hier kann man wirklich froh sein, endlich eine exponierte Vertreterin der Bürgerrechte im Justizressort zu haben. Man kann ihr nur wünschen, sich gegen die neokonservativen Hardliner und Überwachungsfanatiker durchzusetzen. Mit Max Stadler als zweiten verbliebenen Bürgerrechtsliberalen in der FDP hat sie schon mal den richtigen Staatssekretär.
Der neue Obama
Verteidigungsminister Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg: der Baron, Weltmann und Unteroffizier der Reserve wird also zukünftig für Kriege, die keine Kriege sind, zuständig sein. Während Scharping damals als potentieller Konkurrent Schröders damals mit dem Verteidigungsministerposten quasi abgespeist wurde, stellt dies in der Union offensichtlich so etwas wie eine Beförderung dar. Wie Guttenberg seine Mitgliedschaft in diversen Transatlantiker- als auch Neocon-Thin Tanks vereinbaren will, dürfte beim Verhältnis zu den USA interessant werden. Nur eines ist sicher: ob in Geltow, Afghanistan oder im irak: die Frisur wird sitzen.
Umweltminister Norbert Röttgen: der Merkel-Vertraute war bisher nicht als Umweltexperte aufgefallen. Wenn man sich die geplante Umweltpolitik anschaut, dürfte dies unterdessen kein Einstellungshindernis, sondern eher ein -grund sein: Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke, Bau weiterer Kohlekraftwerke.
Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ilse Aigner: aufgrund des CSU-Proporzes wird auch die gelernte Elektrotechnikerin trotz politischem Leichtgewichtes im Amt bleiben. Man hat auch direkt mal beschlossen, die Subventionen für die Landwirtschaft hochzufahren. Klientelpolitik in großem Ausmaß geht also weiter, ebenso bei der Nahrungsmittelindustrie: größere Informationsrechte für Verbraucher sollen verhindert werden.
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer als nächster Minister qua CSU-Mitgliedschaft will tatsächlich doch noch die Transport- und Logistiksparte an die Börse bringen (und damit auch der alten Forderung der FDP nach Zerschlagung der Bahn nachkommen). Der Alte Herr pflichtschlagenden Burschenschaft Franco-Bavaria, deren bekanntestes Mitglied Heinrich Himmler war, wird also den Ausverkauf der staatlichen Infrastrukturfortsetzen.
Familienministerin Zensursula von der Leyen hat weder ihr Internetzensurgesetz durchgekriegt noch das heiß ersehnte Gesundheitsministerium bekommen. Wenn man aber sieht, welchen Schaden die von ihr geleitete Koalitionsarbeitsgruppe mit der Einigung auf die Kopfpauschale angerichtet hat, ist Mitleid jedoch eher fern liegend. Bei aller negativen Publicity darf man aber ehrlicherweise nicht vergessen, dass sie in der Familienpolitik durchaus eine für Unionsverhältnisse fortschrittliche Politik betrieben hat.
Sie sollte aber dabei bleiben und nicht weiter Dinge, die deutlich außerhalb ihrer sachlichen Kompetenzen liegen, regeln zu wollen. Jetzt kriegt sie auch die Rentenpolitik, die auf ihrem Weg vom Arbeits- und Sozialministerium ins Gesundheitsministerium und wieder zurück jetzt beim Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angekommen ist.
Bildungs- und Forschungsministerin Annette Schavan: die Befürworterin von Studiengebühren und ehemalige Geschäftsführerin der katholischen Begabtenförderung Cusanuswerk hat als erste Wohltat auch gleich eine Erhöhung der Zahl der Stipendien für die besten Studenten (wie auch immer das gemessen werden soll) auf 10% der Studenten – in Höhe von 300 Euro, also deutlich unterhalb des BAföG-Höchstsatzes, und natürlich einkommensunabhängig. Ein Schritt gegen die soziale Selektion im Bildungssystem ist dies nicht – Deutschland wird weiterhin das OECD-Land mit dem niedrigsten Anteil an Arbeiterkindern, die studieren, bleiben. Die Honorarprofessorin für Katholische Theologie wird sich außerdem um Wissenschaft und Forschung kümmern – mehr oder weniger.
Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Dirk_Niebel_4.jpg. Foto von Claus-Joachim Dickow unter creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/
Entwicklungsminister Dirk Niebel: die zweifelsohne skurrilste Entscheidung. Westerwelles neoliberaler Vorprescher und wohl der marktradikalste unter den Ministern soll einen Bereich übernehmen, in dem er nicht die geringste Fachkompetenz besitzt, in dem es v.a. um internationale Solidarität geht und in dem sich das Versagen des neoliberalen Dogmas (hier in der Form des Washington Consensus) in schlimmsten Formen und selbst für die Weltbank ersichtlich manifestiert hat. Zudem, und das ist das abstruseste, für dessen Abschaffung als eigenständiges Ministerium und die Eingliederung in das Außenministerium er plädiert hat. Zudem setzte sich die FDP für eine Senkung der Entwicklungshilfe ein. Eine Rückkehr zur Erzwingung von Deregulierungen und Privatisierungen in den Entwicklungsländern und andere nicht sinnvolle, wissenschaftlich nicht zu vertretende, aber in der neoliberalen Lehre liegende Maßnahmen werden nicht umsonst von nahezu allen in der Entwicklungshilfe tätigen Organisationen befürchtet. Und der Kampf gegen die weltweite Armut wird einen herben Rückschlag erleiden.
Die Botschaft, die von diesen beiden Personalentscheidungen ausgeht, kann eindeutiger nicht sein. Der kommenden Bundesregierung ist offenbar egal, wie sie gegenüber den ärmsten Ländern der Welt auftritt. Und ebenso egal ist ihr das Schicksal derer, die auf Hilfe des Staates angewiesen sind.
Wer je geglaubt oder nur gehofft hat, Schwarz-Gelb werde keine Regierung des sozialen Kahlschlages werden, der dürfte jetzt vom Gegenteil überzeugt sein. Eine Regierung, die derart fahrlässig Ministerposten verhökert und verschiebt, darf sich über diesen Vertrauensverlust nicht wundern.
Nicht umsonst ist die verwunderung allenthalben, selbst in der neuen Koalition durchaus positiv gesinnten Medien, groß. Kaum kompetente Fachpolitiker also, geschweige denn auch nur ein einziger, der wenigstens eine einigermaßen arbeitnehmerfreundliche oder soziale Politiklinie vertreten würde. Die meisten Pochen sind Ergebnis eines Macht- und Postengeschachers, in dem unbedingt bestimmte Personen Kabinettsposten kriegen mussten, unabhängig, ob sie auch nur im Geringsten dafür geeignet sind. Dass Inhalte nebensächlich sind, hätte die neue Koalition kaum deutlicher klar machen können.
CDU, CSU und FDP werden in den kommenden Jahren einen radikalen Kurswechsel vornehmen. Es geht um die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Bisher gilt, wenn auch schon mit Einschränkungen: Die Gemeinschaft hilft den Schwachen. Wenn schwarz-gelb fertig ist wird gelten: Jeder hilft sich selbst, dann ist an alle gedacht.
Union und FDP haben sich in den Koalitionsverhandlungen geeinigt, dass der Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung eingefroren und der Anteil der Arbeitnehmer in einen pauschalen Beitrag von gleicher Höhe unabhängig vom Einkommen bei jedem Versicherten umgewandelt werden soll.
Dazu gibt es einen sehr treffenden Kommentar vom ARD-Hauptstadtstudio:
Das, was Union und FDP da vorhaben, ist nicht nur das Ende der paritätischen Krankenversicherung, einem 126 Jahre alten System, um das uns die halbe Welt beneidet. Es ist vor allem der Ausstieg aus dem Solidarsystem und die endgültige Zementierung der Zwei-Klassen-Medizin.
Schon jetzt ist absehbar, dass die gesetzliche Krankenversicherung in Zukunft chronisch unterfinanziert sein wird. Die Pauschalbeiträge für die Versicherten werden so hoch sein, dass sich jeder, der es kann, in die private Krankenversicherung verabschieden wird. Zurück bleiben die Geringverdiener und diejenigen die so krank sind, dass sie von den Privatversicherungen abgelehnt werden. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen werden dann wohl radikal zusammengestrichen. Zurück bleibt eine Art Rumpf-Absicherung für arme Schlucker.
Mit kaum einer anderen Maßnahme als der, dass jeder Versicherte, ob Manager oder Müllmann, den absolut gleichen Beitrag bezahlen soll, hätten die Neu-Koalitionäre ihre Verachtung für den solidarischen Sozialstaat mehr demonstrieren können. Grundlage dessen war seit Bismarck immer, dass jeder gemäß seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit seinen Teil zum Sozialstaat beiträgt, aber auch jeder den gleichen Anspruch auf gleiche Leistungen erwirbt. Mit der Kopfpauschale und dem drogenden Zwei-Klassensystem der Krankenversicherungen wird ein bisheriger gesellschaftlicher Konsens gebrochen, und dies bewusst und gezielt. Es wird wohl nur noch eine Frage der Zeit sein, bis aus Reihen der Neoliberalen die Forderungen nach einer Einheitssteuer aufkommen – und zwar nicht in der Form eines einheitlichen Prozentsatzes, sondern eines einheitlichen Betrages. Das einzig Gute ist, dass in Zukunft niemand Union und FDP mehr glauben wird, dass sie wirklich die Soziale Marktwirtschaft befürworten.
Tatsächlich kommt dieser tiefgreifende Einschnitt in den Sozialstaat aber auch durchaus überraschend. 2005 hatte nicht zuletzt die Forderungen nach einer Einführung einer Kopfpauschale (zusammen mit den Flattax-Vorstellungen von Kirchhof) der Union fast den Wahlsieg gekostet. Und auch innerhalb der Union war diese Forderung höchst umstritten und wohl kaum mehrheitsfähig. Horst Seehofer war aus Protest gegen diese als stellvertretender Unions-Fraktionsvorsitzender zurückgetreten und hatte nach der Wahl auf das Amt des Gesundheitsministers verzichtet. Und war kurz nach der letzten Bundestagswahl noch der Eindruck lanciert worden, soziale Einschnitte würden in einer großen Form ausbleiben und waren auch ein paar soziale Alibi-Maßnahmen beschlossen worden – die aber entweder nicht wirklich den Ärmsten helfen und nur zur Beschwichtigung einer sich vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschicht (Hartz IV-Schonvermögen) oder tatsächlich mit sozialen Leistungen wenig zu tun hatten (einkommensunabhängige Stipendien) – zeigt sich jetzt das wahre Antlitz von Schwarz-Gelb.
Aber selbst aus wirtschaftsliberaler Sicht ist die Kopfpauschale zutiefst unsinnig. Andere denkbare und angedachte Maßnahmen wie eine Verhinderung von Mindestlöhnen oder eine Einschränkung des Kündigungsschutzes bspw. können aus wissenschaftlicher Sicht auch positive Wirkungen haben. und wären eher erwartbare und meiner Meinung nach auch weniger verheerend für den Sozialstaat gewesen. Die Kopfpauschale dagegen hat nur zwei erkennbare Effekte, und beide sind ausschließlich negativ: 1. die finanzielle Besserstellung von Spitzenverdienern und 2. die Abschaffung der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung, womit sich die neue Koalition in den Lobbydienst der privaten Krankenversicherungswirtschaft stellt.
Dass die FDP die Entwicklungshilfe senken und das Entwicklungsministerium abschaffen will und die Art, wie dies verkauft wird, steht in der Tradition neoliberaler Politik: die Schwachen gegen die Schwächsten auszuspielen, um von der eigenen Politik abzulenken: der gezielten Umverteilung von unten nach oben.
FDP will Abschaffung des Entwicklungsministeriums – Entwicklungshelfer warnen
Die FDP beharrt bei den Koalitionsverhandlungen mit den Unionsparteien weiterhin auf der Auflösung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und seiner Integration in das Außenministerium. Die Begründungen dafür fallen abenteuerlicher denn je aus:
“Einen Prestigegewinn für unser Land bedeutet ein eigenes Entwicklungsministerium nicht. Im Ausland entsteht gelegentlich eher der Eindruck, dass die Deutschen dumm sind, und sich ausspielen lassen, oder noch schlimmer: dass die Deutschen mit gespaltener Zunge reden”, sagt Hellmut Königshaus, Sprecher der FDP für wirtschaftliche Zusammenarbeit. “Das muss aufhören, das gefährdet das deutsche Ansehen. Deswegen gehört das BMZ in das Außenministerium.”
Es fällt sogar schwer nachzuvollziehen, was er überhaupt damit meint (von wem sich ausspielen lassen?). Dass CDU und CSU gegen eine Auflösung des Entwicklungsministeriums sind, weil sei es gerne besetzen wollen, sind zwar die falschen Motivationen, aber für das richtige Ziel, da gute Gründe gegen eine Auflösung des Ministeriums sprechen. Nicht umsonst sprechen sich alle Experten und in der Entwicklungshilfe Aktiven vehement gegen diesen Schritt aus und fürchten, dass die Entwicklungspolitik so als eine “Politik zweiter Klasse” künftig nur noch eigenen außenwirtschaftliche Interessen dienen solle.
Neue Linie der Entwicklungspolitik: zurück zum Marktradikalismus?
Auch eine Rückkehr zur Politik unter der stark neoliberalen Washington-Konsensus-Ära wird befürchtet: Deutschland könnte wirtschaftlichen Druck auf Entwicklungsstaaten ausüben und sie zu weiteren Marktliberalisierungen erpressen. Dass diese Politik nicht zielführend ist und größere soziale Schäden verursacht und zu mehr Armut und Ungleichheit geführt hat, als sie geholfen hat, wurde inzwischen sogar von der Weltbank eingesehen. Nur zu den deutschen Neoliberalen scheint diese Erkenntnis noch nicht durchgedrungen zu sein.
“Wichtigstes Ziel der Europäischen Union muss es sein, einen freien Marktzugang für Dienstleistungen und Industriegüter in den Schwellenländern zu erreichen”, schrieben die Liberalen im Juli 2008 in einer Presseerklärung.
Die entwicklungsbezogenen Wissenschaft neigt aber jenseits von ideologischer Verbortheit vielmehr stark zu der Aussage, dass Protektionismus (Schutz der einheimischen Märkte) seitens der Entwicklungsländer in machen Bereichen anfangs sogar eher sinnvoll sein könne. Viel wichtiger (und langfristig gewinnbringend für beide Seiten) seien dagegen Marktöffnungen seitens der Industrieländer für z.B. Agrar- und Textilprodukte aus Entwicklungsländern.
Senkung der Entwicklungshilfe zur Finanzierung von Steuerentlastungen in Deutschland
Außerdem ist eine Senkung der Entwicklungshilfe (nicht zuletzt, um Steuerentlastungen zu finanzieren) zu befürchten. Philip Rösler meint etwa, dass “Schwellenländer wie China und Indien” keine Entwicklungshilfe mehr benötigten. In Indien leben derweil 44% der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze, wirtschaftliches Wachstum findet zwar in einigen Branchen (Stichwort IT) statt, wirkt sich aber höchst ungleich aus. Es gibt durchaus sehr wohlhabende Bevölkerungsschichten – aber wie gesagt, 44% der Bevölkerung leben in bitterster Armut. Solche Aussagen kann man also nur als billigsten und zynischen Populismus für den deutschen Stammtisch-Michel auffassen. “Sollen wir uns doch erstmal um unsere eigenen Probleme kümmern!” “Wir müssen zuerst an uns denken!” “Wir haben doch selber nichts!” “Erstmal die Steuern senken!”.
Die Politik der Neoliberalen: die Schwachen gegen die Schwächsten ausspielen
Ein beliebtes der Mittel Unterstützer des Marktradikalismus war es immer, die Mehrheit der Gesellschaft gegen bestimmte Gruppen auszuspielen, um von Misswirtschaft, sozialer Ungleichheit und immer weiter gehender Umverteilung von unten nach oben abzulenken: gegen die faulen, arbeitsscheuen Hartz IV- Empfänger, gegen die Linken, gegen die Ausländer, gegen die Muslime – und nun gegen die Menschen aus Entwicklungsländern.
Sie wollen damit z.B. davon ablenken, dass die geplante Steuerpolitik eine kaum (oder nur mit Taschenspielertricks wie den “Schattenhaushalt”) finanzierbare und wirtschaftliche sinnlose Klientelpolitik zugunsten der Besserverdienden, die Sozialpolitik eine Umverteilung der Lasten hin zu den Arbeitnehmern (aktueller Fall: Pflegeversicherung) geplant ist. Und aktuell will man offenbar von manchen Seiten eine Umorientierung der Außen- und der Entwicklungspolitik hin zu einer nationalstaatlich-egoistischen Interessenpolitik : die Entwicklungspolitik soll den eigenen Interessen dienen: den Interessen der Industrieländer und v.a. den Interessen von deren wirtschaftliche und gesellschaftlichen “Führungseliten”, wie sie sich so gerne nennen. Wenn dabei auch etwas Positives für die Entwicklungsländer abfallen sollte, ist das eher ein zufälliger Nebeneffekt.
Alle Politikreiche sollen die Stärkeren noch mehr stärken, und die Schwächeren merken es nicht, weil ja “die Hart IVler” oder “die Ausländer” an allem Schuld sind. Die derzeitige Politik ist alternativlos, und sie ist richtig, das bestätigen ja immer die “unabhängigen Experten”. Und eine Politik, die den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung dient, ist “nicht umsetzbarer Populismus” – so spricht der deutsche Michel den von den Mainstream-Medien lancierten Mietmäulern der Arbeitgeberlobbys oder der Propaganda der Springer-Postillen nach dem Mund.
Heute zeigt es sich um so mehr: wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Freiheit immer verteidigt werden muss – gegen die Feinde der Freiheit. Denn die Feinde einer freien, offenen, toleranten Gesellschaft erfahren wieder mehr Aufwind. Einer Gesellschaft, die Menschen nicht wegen ihrer Ethnie, Herkunft, Religion, sozialen Schicht oder sexuellen Orientierung vorverurteilt und sie nicht diskriminiert. Die Generation der 68er hat für diese offene Gesellschaft, gegen den Muff des autoritären Spießbürgertums, gekämpft. Dass sie in diesem Gebiet Erfolg hatten, können die Rechten nicht ertragen. Diese Prediger des Hasses wollen die Diskriminierung. Sie hassen Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe, seien es Muslime, Ausländer, “Gutmenschen”, Linke oder Schwule.
Die Sache dabei ist, dass unsere Gesellschaft ihnen das zugesteht, was sie uns keinesfalls zugestehen würden: die Freiheit, auch eine Meinung, die man nicht teilt, zu äußern (wenn wir von den schlimmsten Ausartungen wie Volksverhetzung absehen). Die “Denkverbote”, die sie sich immer herbeistilisieren, existieren nicht. Deshalb muss unser Kampf ein argumentativer sein. Vielleicht ist es utopisch, alle Vertreter dieser Richtung überzeugen zu wollen, so wie es utopisch ist, einen überzeugten Nazi zum Menschenfreund zu machen. Aber wir müssen klar machen, dass diese Menschen sich mit ihrem Hass, ihrer Verachtung, ihrer Gewalt, an den Rand der Gesellschaft stellen. Und wir müssen gegen die immer noch in viel zu großen Teilen unserer Gesellschaft verwurzelten Vorurteile angehen. Vorurteile, die kontinuierlich und gezielt bestärkt werden, durch Berichte über Ausländer, die sich nicht integrieren wollen und alle faul und kriminell sind, über die Linken, die die DDR wieder aufbauen wollen, über die Gleichung Muslim = Terrorist. Dadurch entstehen Ängste, entsteht Ausgrenzung, entsteht Hass. Wir dürfen den rechten Apologeten nicht die Meinungshoheit überlassen.