Hartz 4½ – Teile und herrsche

Nun ist also bekannt, wie die Bundesregierung die ALG-II-Regelsätze künftig regeln will.  Es wird eine geringfügige Erhöhung geben – für einen alleinstehenden Hartz-IV-Empfänger um fünf Euro. Dies bedeutet dann 364 statt bisher 359 Euro. Grundlage ist dabei die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 des Statistischen Bundesamtes – diese jedoch nun mit zahlreichen Kürzungen. Alkohol und Tabak werden künftig nicht mehr mit einberechnet – jedoch auch Tierfutter, Blumen oder Handys werden nun nicht mehr zugestanden. Die nur fünf Euro Erhöhung erscheinen so viel eher politisch (willkürlich) gewollt als mit Argumenten begründet.

Erinnern wir uns: Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar dieses Jahres entschieden, dass die bisherige Berechnung der Hartz-IV-Sätze grundgesetzwidrig sei. Jedem Bürger stehe ein menschenwürdiges Existenzminum zu. Das bedeutet:

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.

Das Urteil besagte nicht, mit welcher Methode die Regelsätze künftig ermittelt werden sollten. Die Bundesregierung entschied sich nun, weiterhin einen statistischen Warenkorb zugrunde zu legen. Doch hier gibt es schon eine erste Abweichung – und die zeigt, dass es eine politische Entscheidung war, dass die Erhöhung nicht zu stark ausfallen sollte: statt der ärmsten 20% der Haushalte werden nun bei der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe die ärmsten 15% zugrunde gelegt – was die Beträge natürlich sinken lässt.

Was aber noch wichtiger ist: das Existenzminimum wird weiterhin nicht (absolut) definiert, es bleibt abhängig vom Lohnniveau – und damit auch vom wachsenden Niedriglohnsektor in Deutschland. Sinken die Einkommen und damit die Ausgaben der ärmsten Haushalte in Deutschland, sinkt so auch das durch Hartz IV zu gewährleistende Existenzminimum. Und so könnte es natürlich auch schon jetzt der Fall sein, dass ein menschenwürdiges Existenzminimum, wie es das Verfassungsgericht definiert, auch jetzt nicht gewährleistet ist. (more…)

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Der “Dritte Weg”: Vorstellung und Wirklichkeit

Dieter Rulff singt in einem taz-Artikel, in dem es eigentlich um die Koalition in NRW gehen sollte (Rot, Rot, Grün und die Koalitionsfrage: Nur auf Bewährung), ein Loblied des “Dritten Weges”. Sprachlich in einem sehr merkwürdigen Stil und mit einigen unverständlichen Formulierungen und eigenwilliger Semantik verfasst, scheint der Artikel auf jeden Fall eher daraufhin ausgelegt, vordergründigen Eindruck zu schinden als inhaltlich zu überzeugen. Der ganze Artikel versucht, sich die – für viele gescheiterte – “Neue Mitte”-Politik noch einmal, sich selbst seiner Richtigkeit versichernd, schönzureden. Dies, indem er neben der Verwendung von rhetorischen und auf positiven Emotionen abzielenden Mitteln, die negativen Seiten des Dritten Weges ausblendet oder sie einfach als diesem nicht anzulastend auf andere schiebt. Dabei schlägt er alle möglichen Fortschritte andererseits dem Dritten Weg zu, merkt jedoch wohl gar nicht, wie er sich selbst in Widersprüche verwickelt.

Nun ist diese Mitte kein sozialer Ort, sondern markiert die Deutungshoheit über Diagnose und Behandlungsweise gesellschaftlicher Probleme. Insofern war die Übertragung von Anthony Giddens Politik jenseits von rechts und links auf deutsche Verhältnisse der zunächst erfolgreiche Versuch der SPD, die Stagnation der Ära Kohl zu überwinden.

Was Rulff zu dem ersten Satz bewegt hat, weiß wohl nur Rulff. “Politik jenseits von links und rechts” ist natürlich ein Schlagwort, es ist aber kaum zutreffend. Im Grunde ist die Politik von Anthony Giddens ein in der Tat in ihren Grundvorstellungen und -ideen (der Begriff wird hier bewusst nicht als Schlagwort gebraucht) eine, wenn auch gemäßigte und sozial ausstaffierte, neoliberale Politik. Die Grundzüge dieses Weges, und damit soll den Anhängern dieser Politik kein Unrecht widerfahren, sind weg vom “vorsorgenden”, hin zum “aktivierenden” Wohlfahrtsstaat, weg von der Sozial-, hin zur Bildungspolitik, weg von der sozialen, hin zur Chancengleichheit orientiert. Der Staat soll in diesem Konzept von vorneherein dafür sorgen, dass Armut nicht entstehen kann, indem er allen eine möglichst gute Ausbildung gewährt, und im Falle von Arbeitslosigkeit sollen die Betroffenen schnell wieder eine neue Beschäftigung finden.

Diese Punkte sind ja zweifelsohne begrüßenswert, aber sie sind nicht auseichend, sondern nur ein Ausschnitt dessen, wofür die Sozialdemokratie seit je her eingetreten ist. Sie sind die Punkte, auf die sich auch Liberale und Neoliberale einlassen, denn mit einher gehen die Vorstellungen, dass ein Wohlfahrtsstaat, der (z.B. bei Arbeitslosigkeit) für eine ausreichende Existenzsicherung sorgt, den Ansporn, sich eine neue Arbeit zu suchen, mindert, die Menschen in Arbeitslosigkeit verharren lässt usw. (hier wurden die neoliberalen Vorstellungen zu diesem Thema übernommen). Man ist ausschließlich selbstverantwotlich und der Staat nur dazu da, “unverschuldet in Not geratene” (und das gilt bei Arbeitslosigkeit nicht) abzufangen und bei Arbeitslosigkeit gerade noch den Lebensunterhalt zu sichern, dies aber verbunden mit einer Arbeitspflicht (Workfare). Zudem, und hier ist der größte Bruch mit der Sozialdemokratie, sei soziale bzw. Verteilungsgerechtigkeit schädlich, da sie Anreize mindere. Daüber hinaus wird dem Staat keine Rolle im Wirtschaftsablauf eingeräumt, er soll sich möglichst weit zurückziehen und möglichst viele Bereiche der Gesellschaft den Marktmechanismen überlassen.

Die Umsetzung von Giddens Politik besteht daher neben dem Ausbau der Bildungseinrichtungen in erster Linie aus der Senkung von Sozialleistungen, der Verbindung von Arbeitslosengeld mit der Pflicht zu nicht oder niedrig bezahlten öffentlichen Tätigkeiten, umfangreichen Privatisierungen und Deregulierungen und dem Ende von umverteilenden Maßnahmen, z.B. durch die Senkung von Unternehmens- und Spitzensteuern. Im Grunde ist das viel bejubelte Konzept von Giddens das, was eine wirtschaftsliberale Partei fahren würde, wenn sie ehrlich und frei von Klientelinteressen wäre, plus noch Gesundheitsversorgung für alle (denn diese sollte – auch bei Giddens – nicht vom Einkommen abhängen), versehen mit einem sozialdemrokatischen Etikett. Es ist eine Ideologie der Chancen und der Eigenverantwortung, es misstraut den Vorstellungen der Gleichheit und der sozialen Sicherheit. In ihm ist der Mensch egoistisch und auf sich alleine gestellt, in ihm gibt es keine Solidarität.

Unterschieden sich die politischen Ansätze unter Kohl und Schröder im wirtschaftlichen und sozialen Bereich inhaltlich auch nicht so sehr, so  geht Rulff auf das Tempo der Umsetzung ein und besetzt dieses positiv, so, wie der ursprünglich positiv assoziierte Begriff “Reform” als Schlagwort für Sozialabbau-Gesetze inflationär gebraucht wurde. Stagnation bedeutet in diesem Falle eher, dass die Sozialabbau-Maßnahmen nicht in einem ganz so atemberaubenden Tempo duchgeführt wurden wie insbesondere nach der Agenda 2010. Aber – durch den Satz soll natürlich die Assoziation mit der muffigen Kohl-Ära geweckt werden, die erst durch den frischen Wind der rot-grüne Koalition abgelöst wude. Das ist sicher bei vielen Gebieten, zutreffend aber nicht bei der Umsetzung der Dritten-Weg-Maßnahmen. Damit sollen positive Erinnerungen verbunden werden, alles, was Rot-Grün Positives rhervobrachte, ist natürlich dem Dritten Weg zu verdanken. Auch hier ist dieses rhetorische Mittel klar:

Vier strukturelle Veränderungen markierten diese Politik: Das “Modell Deutschland” der Unternehmensverflechtungen und des Korporatismus wurde für die globalisierte Wirtschaftsstrukturen geöffnet, die Energiewende sowie eine Einwanderungspolitik wurden eingeleitet und der Arbeitsmarkt von der Statussicherung auf Aktivierung umorientiert.

Die Öffnung der Deutschland-AG muss man von zwei Seiten betrachten. Einerseits führte sie zum Abbau von Seilschaften, Vetternwirtschaft und kartellartigen Absprachen. Andererseits war das Mittel dafür die Liberalisierung der Finanzmärkte. Den Abbau von Mitbestimmungsrechten und die Schwächung der Tarifparteien als Öffnung für die globalisierte Wirtschaft (der sich vemeintlich alles und jeder unterordnen muss) zu verkaufen, erfordert schon viel Phantasie. Energiewende und Einwanderungspolitik haben nun wirklich nichts mit dem Dritten Weg zu tun. Die Umwandlung der Arbeitslosenversicherung (und nicht des Arbeitsmarktes) allerdings schon. Doch was bedeutet “Statussicherung” und “Aktivierung”? “Statussicherung” meint, dass die Sozialleistungen zumindest auf einem ähnlichen Niveau wie der vorherige Verdienst sind, also einkommensabhängig. “Aktivierung” klingt gut und wäre es wohl auch, wenn damit mehr Weiterbildungsmaßnahmen und eine aktive Arbeitsmarktpolitik verbunden wären, beinhaltete aber in Deutschland nur eine Senkung dieser und bestand fast nur aus gesenkten Sozialleistungen und der Pflicht zur Annahme fast jeder Arbeit, mit der Drohung, sonst unter das Existenzminimum zu fallen.

Letzteres gilt noch heute in der SPD als Sündenfall und als Geburtsstunde der Linken. Dabei erwies sich das Konzept, wie das Beispiel der nordeuropäischen Staaten und die Entwicklung des Arbeitsmarktes zeigen, als richtig, der Staat versagte (und versagt) allerdings bei der Betreuung, Vermittlung und vor allem bei der Qualifizierung der Arbeitslosen.

Genau hier liegt der Punkt: In Dänemark und Schweden etwa sind Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sehr hoch. Das Arbeitslosengeld in Dänemark liegt auf dem zweithöchsten Niveau OECD-weit – nach den Niederlanden, die ein ähnliches Modell haben. In beiden Staaten, gefolgt von Schweden, sind zudem die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik mit Abstand am höchsten. Gerade dadurch konnten enorme beschäftigungspolitische Erfolge in diesen Ländern erzielt werden, und dazu eben ein sehr hohes Maß an sozialer Sicherheit und eine sehr egalitäre Einkommensverteilung. Siehe auch: Europäische Lehren für den deutschen Arbeitsmarkt: Flexibilität und Sicherheit sind vereinbar. Der Dritte Weg jedoch ist nur Flexibilität,  jedoch ohne Sicherheit.

Auf die dabei aufgeworfene Gerechtigkeitsfrage konnte die Regierung Schröder schon deshalb keine glaubwürdige sozialdemokratische Antwort mehr geben, weil sie zuvor bei der Unternehmens- und Einkommenssteuerreform ohne strukturelle Notwendigkeit eine massive Umverteilung nach oben vorgenommen hatte. Das hatte wenig mit dem Dritten Weg, aber viel mit neoliberalem Zeitgeist-Opportunismus zu tun (…)

Den Dritten Weg könnte man durchaus mit guten Gründen als einen eindeutig neo-liberalen betrachten. Ein Ende der Umverteilung ist dabei durchaus ein Schritt auf dem Dritten Weg.

Mit dem vorläufigen Scheitern des FDP-Steuerkonzeptes ist die neoliberale Angebotspolitik in die Defensive geraten. Das bedeutet jedoch nicht, dass nun wieder eine klassische Nachfragepolitik zum Zuge kommt. Eine linke Politik, die jeden Akt des Konsums mit dessen vermeintlich wirtschaftsfördernder Kraft legitimiert, wird schnell mit deren begrenzter Wirkung in einer entgrenzten Welt konfrontiert sein – wie es sich zuletzt an der Abwrackprämie erwiesen hat.

Angebotspolitik ist neoliberal, und wird deshalb auch im “Dritten Weg” verfolgt. Und – der Fairness halber: selbstverständlich ist nicht jeder “Akt des Konsums” zu begrüßen. Die Abwrackprämie ist in der Tat fraglich (einseitige Subvention einer bestimmten Branche usw.), aber konjunkturell erfolgreich war sie ja zumindest. Mittel wie höhere Sozialleistungen und Löhne, sowie öffentliche Beschäftigungsmaßnahmen wären aber eher zu begrüßen. Dass diese die in Deutschland extrem niedrige Binnennachfrage insgesamt erhöhen und für einen wirtschaftlichen Aufschwung sorgen würden, kann auch nicht mit dem verbrauchten Argument von der globalisierten Weltwirtschaft und den “Grenzen nationalstaatlicher Politik ” (fehlt nur noch das “konjunkturpolitische Strohfeuer”) bestritten werden.

Rulffs Beitrag ist einer, wie man sie um die Jahrtausendwende zu Hunderten gelesen hat. Einer, der eine Politik des Dritten Weges  rechtfertigen, ihren Kern eines neoliberalen Umbaus der Gesellschaft verschleiern und verhüllen will (und sich sogar des Wortes “neoliberal” bedient, um die negativsten Aspekte dieses Modells einer angeblich anderen Richtung anzulasten). Er wirft mit Buzz-Words und Standardfloskeln um sich und kann dennoch hinter allen hochtrabend klingenden Formulierungen nicht verstecken, was er wirklich ist: der Ausdruck eines zeitgeistig-opportunistischen Gesinnungswandels, wie ihn der ehemalige Marxist Giddens mustergültig vorexerziert hat.

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Sensationelle Entwicklung oder simple Täuschung?

Die angeblichen Wunder um den Rückgang der Erwerbslosenzahlen in Deutschland im April 2010 sind relativ einfach zu entzaubern: es handelt sich um eine bloßen statistischen Trick. Statt durch eine Erholung ist der deutsche Arbeitsmarkt in Wirklichkeit durch mehr Prekarität gekennzeichnet.

Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt?

Die deutschen Medien jubeln, dass die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt sensationell sei. Eine Schlagzeile jagt die nächste. Staunen, Wunder, Euphorie. Alle scheinen völlig aus dem Häuschen zu sein. Und alles kam völlig überraschend! Ein unfassbar starker Rückgang der Arbeitslosigkeit wird verlautbart, die Wirtschaft kommt wieder in Schwung – und das haben wir alles nur unserer klugen und umsichtigen Regierung zu verdanken! Klingt ja erstmal ganz gut, könnte man denken. Macht die Regierung ja doch vielleicht mal was richtig. Doch wie sieht es wirklich aus?

178.000 Erwerbslose wurden diesen April weniger gezählt als im April 2009, so meldet man. Doch hinterfragt wird nicht. Wieso auch? Heißt das etwa nicht, 178.000 Erwerbslose weniger, fragt man sich jetzt zu Recht? Um die Pointe vorwegzunehmen: Nein, das heißt es nämlich nicht! Das Stichwort lautet: Schönrechnen. Dabei ist es hier noch einfacher als bei vielen anderen der üblichen Verdrehungnen und Verzerrungen, hinter den nackten Zahlen die tatsächliche Entwicklung zu erkennen. Eigentlich schon zu einfach, ist es doch nur ein wirklich ganz billiger Statistiktrick.

Ein simpler Rechentrick

Denn, tadaa!, alle Arbeitslosen, die bei privaten Arbeitsvermittlern gemeldet sind, zählt man 2010 einfach nicht mehr zu den Arbeitslosen! Laut Schätzungen sind dies etwa 200.000. Schauen wir noch mal auf den angeblichen Rükgang der Arbeitslosigkeit im Vergleich zum vergangenen Jahr. Wie hoch soll der noch mal gewesen sein? Ach ja, 178.000. Und schon hat man statt tatsächlich mehr Arbeitslosen sogar offiziell weniger! Und der angeblich so überraschende “Rückgang” im Vergleich zum Vorjahr ist dann keineswegs mehr überraschend (und ja noch nicht einmal ein Rückgang). So einfach kann man sich Erfolge stricken, so einfach kann man von katastrophalen Entscheidungen in der Wirtschaftspoliik ablenken.

Wenn diese Tatsache in den meisten Berichterstattungen mal gar nicht erwähnt wird, weiß man schon, was man hinsichlich journalistischer Qualität von diesen zu halten hat. Offenbar freut man sich in vielen Redaktionen so sehr, endlich mal wieder etwas Positives über die Regierung schreiben zu können, dass man alle Einwände, auch wenn sie noch so offensichtlich sind, schnell unter den Teppich kehrt. Hat ja hoffentlich keiner bemerkt. Ok, wäre diese Maßnahme wenigstens irgendwie statistisch sinnvoll, meinetwegen (trotzdem hätte man es erwähnen müssen). Aber wieso soll denn bitte ein Arbeitsloser, der bei einer privaten Job-Agentur nach einem Arbeitsplatz sucht, weniger arbeitslos sein als jemand, der bei der Bundesagentur gemeldet ist? Nein, so eine Zählweise ist nur verschleiernd und gar kontraproduktiv, erschwert sie doch eine für politische Progamme notwendige umfassende Bestandsaufnahme des Arbeitsmarktes.

Eher Wandlung statt Zunahme der Arbeitsplätze

Natürlich, bleiben wir fair, gab es dennoch einen relativ großen Rückgang im Vergleich zum Vormonat. Worauf ist dieser nun zurückzuführen? Das Kurzarbeitergeld war im Prinzip richtig und hat viele Jobs gerettet, keine Frage (aber natürlich hätten gößere Konjunkturprogramme auch mehr bewirken und die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt sich schneller erholen lassen). Aber: die Kurzarbeit, sowie die oft erfolgte Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitstellen (s.u.), hat dazu geführt, dass zwar vielleicht nicht die Zahl der Beschäfigten, aber die Arbeitsleistung insgesamt (in Stunden) zurückgegangen is, auch das muss man betrachten. Und andere Faktoren, die zu den Arbeitslosenwerten im April beigetragen haben, wie saisonale und demographische, darf man auch nicht vernachlässigen.

Andere wichige Eckpunkte des Arbeitsmarktes, die die Bundesagentur bekanntgab, werden in der medialen Berichterstattung meist einfach verschwiegen: Die Zahl der Unterbeschäftigten blieb im vergangenen Jahr weitgehend konstant (4,6 Millionen). Die gemeldeten offenen Stellen sind nicht viel mehr geworden. Es gibt deutlich mehr Hartz-IV-Bezieher (6,7 Millionen), darunter auch viele “Aufstocker”, die nur Niedriglöhne verdienen. Im letzten Jahr gab es 300.000 Vollzeitstellen weniger und 200.000 Teilzeitsarbeitsstellen mehr. Die Zeitarbeit hat deutlich zugenommen. Insgesamt gab es deutlich mehr prekäre Beschäftigungsformen und nur wenig tatsächliches Wachstum der Arbeitsplätze. Reguläre Beschäftigungsverhältnisse wurden durch prekäre ersetzt. Wahrlich kein Grund, in voreiligen Jubel auszubrechen.

[Quellen: Arbeitsmarkt: Wo das “deutsche Job-Wunder” herkommt (Frankfurter Rundschau), Arbeitsmarkt im April (NachDenkSeiten)]

Deutschland, Land der Niedriglöhne

Das Wachsen prekärer Arbeitsformen und die zunehmende Spaltung der deutschen Gesellschaft wird auch von ganz unerwarteter Seite bestätigt. Die Bertelsmann-Stiftung (!) stellt in einer neuen Studie (“Atypische Beschäftigung und Niedriglohnarbeit. Benchmarking Deutschland: Befristete und geringfügige Tätigkeiten, Zeitarbeit und Niedriglohnbeschäftigung”; Autoren: Werner Eichhorst, Paul Marx, Eric Thode; Zusammenfassungen: Taz, Bertelsmann, S. 5-7 der Studie) fest, dass in Deutschland zwischen 2000 und 2007 von 17 OECD-Ländern die Lohnungleichheit am meisten gewachsen ist. Untersucht wurden in der Studie die EU- und die OECD-Staaten. Auch im europäischen Vergleich gebe es in Deutschland eine “ausgeprägte Lohnspreizung”. Außerdem ist es hier sehr schwer, in jeweils höhere Lohngruppen aufzusteigen.

Niedriglöhne haben sich hierzulande sehr stark verbreitet. Betroffen sind vor allem Geringqualifizierte, Frauen, junge Arbeitnehmer und Ausländer sowie der Bau- und der Dienstleistungssektor. Der Niedriglohnanteil unter den beschäftigen Frauen ist sogar der zweithöchse unter allen Industrieländern (nach Südkorea, noch vor den USA). Der deutsche Niedriglohnsektor hat außerdem am meisten zugenommen und lag 2007 bei einer Größe von 17,5% der Beschäftigten. Ursachen sind eine abnehmende Tarifbindung, mehr “Aktivierungsbemühungen von Transferbeziehern” und eine Zunahme von Mini-Jobs, Teilzeitarbeit und Aufstockern.

Wachsende Prekarität

Ein weiteres Ergebnisse der Studie: atypische Beschäftigungsformen wie Leiharbeit (auch Zeitarbeit genannt), befristete Beschäftigung und Mini-Jobs haben in diesem Zeitraum deutlich zugenommen, oft auf Kosten regulärer Beschäftigung. Zeitarbeit wird dabei nicht primär genutzt, um den Beschäftigungsstand der Auftragslage anzupassen, sondern als eigenständige prekäre Beschäftigungsform (vor allem in der Industrie). Sie führt – ähnlich bei befriseter Beschäftigung – außerdem nicht zu mehr Übergängen in reguläre Beschäftigung. Und: die Bertelsmann-Stiftung  empfiehlt eine Angleichung der Bezahlung und Arbeitsbedingungen von Zeitarbeit und regulärer Beschäftigung. Außerdem stellt sie fest, dass Minijobs zu niedrigeren Löhnen und mehr Belastung für die Sozialsysteme führen. Diese sowie andere Kombilohn-Modelle sollten nicht ausgeweitet werden. Der Kündigungsschutz solle bei unbefristeter wie bei befristeter Beschäftigung (und auch bei der Leiharbeit) von der Beschäftigungsdauer abhängig gemacht werden. Außerdem fordert sie eine Pflichtversicherung für Selbstständige und eine Verstärkung von qualifizierenden Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik.

Diese Ergebnisse sind zwar nicht neu, auch ich habe auf Guardian of the Blind schon auf entsprechende Untersuchungsergebnisse (z.B. zur Lohnungleichheit und zur Leiharbeit oder zu Kombilöhnen) hingewiesen. Jedoch ist es auch, so wenig man die Bertelsmann-Stiftung mögen muss, gut zu sehen, dass mal nicht alle Neoliberalen vor den ökonomischen Tatsachen die Augen verschließen – und vor allem, dass sie diesmal sogar bereit sind, wenigstens teilweise die Konsequenzen zu ziehen und den Befunden entsprechnde Forderungen zu stellen. Würden unsere Politiker wenigstens ab und zu mal zu solchen Einsichten fähig sein, wäre schon viel geholfen. Mit einer anderen Interpretation könnte man sagen: Die Wandlungen in der deutschen Gesellschaft sind so groß, dass sie nicht mehr geleugnet werden können, auch nicht von den neoliberalen Vordenkern. Auch wenn sie oft zögern, das Wort Prekarität in den Mund zu nehmen, sondern lieber von Strukturwandel oder ähnlichem sprechen. Irgendwie muss man wohl doch noch versuchen, Schlechtes schönzureden.

Aufkommende Krise und deutsche Verantwortung

Wie dem auch sei, die Fakten sprechen für sich, und sie zeigen wenig Erfreuliches. Statt einer Zunahme von regulären, sicheren, gut bezahlten Arbeitsplätzen wurden diese oft durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, durch Unsicherheit, schlechte Bezahlung und schlechtere Arbeitsbedingungen abgelöst. Die Kurzarbeit mag Schlimmeres verhindert haben, doch sie verschleiert auch teilweise das wahre Ausmaß der Wirtschaftskrise. Solche Tatsachen zu benennen wäre Aufgabe eines kritischen und sachgerechten Journalismus, und nicht das blinde Zujubeln zu Regierungsverlautbarungen. Doch das will man offenbar gar nicht, wie auch die Berichterstattung zu Griechenland zeigt.

Die aufkeimende Euro-Krise, für die Angela Merkel durch ihr verantwortungslose Handeln die Hauptverantwortliche ist, wird in Europa zu fatalen Folgen führen, und, das ist abzusehen, sie wird auch an der deutschen Wirtschaft und dem deutschen Arbeitsmarkt nicht spurlos vorbeiziehen. Doch sei es drum, hat man ein paar Wähler in Nordrhein-Westfalen durch die von den Mainstream-Medien bejubelte “harte Haltung” zu Griechenland und die “sensationellen Erfolg am Arbeitsmarkt” (die ja, wie gezeigt, nur sehr wenig sensationell sind), gewonnen, dann ist ja das Ziel erreicht. Auch wenn solche möglichen Wahlerfolge aufgrund der drohenden Krisen relativ klein und unbedeutend erscheinen könnten. Doch auch große Lawinen werden von kleinen Erschütterungen ausgelöst.

Bilder:

Eigene Screenshots; Merkel: http://www.flickr.com/photos/30698512@N04/4414905694/ / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

[Dieser Artikel wurde auch beim binsenbrenner.de und beim Oeffinger Freidenker veröffentlicht.]

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Kombilöhne: sinnvoll oder nicht?

Hartz IV und die Agenda 2010 haben in den letzten Monaten viel an Zustimmung verloren. Auch die urprünglichen Architekten in der SPD sind von vielen Punkten abgerückt. Die Höhe der Leistungen steht dabei, sicher auch zu Recht, im Zentrum der Kritik. Doch wie sieht es mit anderen Aspekten der Hartz-Gesetze aus? Wie sind sie, v.a. aus arbeitsmarktpolitischer Sicht, zu bewerten? Gehören auch sie auf den Prüfstand? Hier soll als ein Punkt zunächst einmal das Konzept der staatlichen Kombilöhne betrachtet werden.

 

Konzept und Praxis von Kombilöhnen

Kombilöhne beschreiben eine staatliche Subvention von Niedriglöhnen. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: entweder werden die Niedriglöhne direkt für den Arbeitnehmer durch staatliche Transfers aufgestockt, oder der Arbeitgeber erhält Lohnkostenzuschüsse oder Abschläge bei Sozialversicherungsbeiträgen als Subventionen vom Staat zur  Einstellung/ Beschäftigung, z.B. auch von bestimmten Arbeitnehmerzielgruppen (etwa Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen).

In Deutschland gibt es die Zuschüsse zweiten Typs nur zu Beginn neuer Beschäftigungsverhältnisse. Der erste stellt sich so dar, dass es Hinzuverdienstmöglichkeiten bei Bezug des ALG II gibt. Die Zahl dieser “Aufstocker” liegt in Deutschland bei über einer Million, die meisten davon arbeiten als geringfügig Beschäftigte in Mini-Jobs oder Teilzeitarbeit. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Arbeitslose verpflichtet werden, für eine befristete Zeit Arbeitsgelegenheiten, die “im öffentlichen Interesse liegen” zur “Sicherung ihrer Beschäftigungsfähigkeit”  bei einem äußerst geringen Zuverdienst wahrnehmen zu müssen (“1-Euro-Jobs”).

 

Argumente pro Kombilöhne

Laut der neoklassischen Wirtschaftstheorie ist Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland deshalb entstanden, da die Löhne im Niedriglohnbereich über der Grenzproduktivität dieser Arbeiten lag. Die Gewerkschaften hätten zu hohe Löhne für Geringqualifizierte durchgesetzt, (wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass diese über einem reinen Marktlohn lägen), deshalb seien in diesem Bereich Beschäftigungshemmnisse enstanden. Durch eine stärkere “Spreizung der Löhne nach unten” könne mehr Beschäftigung gefördert werden. Zu gewährleisten, dass man “von seiner Arbeit leben könne”, sei nicht Aufgabe der Wirtschaft, sondern eine staatliche Aufgabe. Deshalb müsse dieser die Löhne von Geringqualifizierten wenn nötig bis zum Existenzminimum aufstocken.

Durch die Beschäftigung von 1-Euro-Jobbern kann außerdem ein Nutzen durch Arbeiten für die Gesellschaft entstehen, für den keine Nachfrage in der Privatwartschaft gegeben ist. Jede Art von Arbeit für Arbeitslose steigere außerdem deren Beschäftigungsfähigkeit und ihre sozialen Fähigkeiten. Gerne werden auch Parolen wie “keine Leistung ohne Gegenleistung” verwandt, doch stellen diese eher Populismus als echte Argumente dar (diese wurden vorher aufgezählt).

 

Argumente gegen Kombilöhne

Ein Risiko wäre, dass es für ALG II-Empfänger rational erscheinen könnte, aufzustocken, statt einer regulären Beschäftigung nachzugehen. Die Hinzuverdienstmöglichkeiten sind in der Tat äußerst schlecht. Bis 100 Euro kann man zwar dazuverdienen, ohne dass dies angerechnet wird. Für Bruttoeinkommen von 100 bis 800 Euro jedoch beträgt der Grenzsteuersatz jedoch 80%, für 800 bis 1200 Euro sogar 90%. Der Grenzsteuersatz ist hier also viel höher als der Spitzensteuersatz von 42%. Geringfügige Beschäftigungen bis 100 Euro/ Monat lohnen sich also eher, aber die Anreize, eine Beschäftigung anzunehmen, sind dann monetär gesehen eher gering, da nur ein kleiner Teil des Hinzuverdienstes behalten werden darf (außer wieder, wenn sie so gut entlohnt ist, dass man kein ALG II mehr beziehen muss). Eine Intergration in reguläre Beschäftigung ist in der Realität nicht gegeben: laut einer aktuellen Studie des IAB gehen nur 0-3% mehr der Arbeitslosen, die in 1-Euro-Jobs gearbeitet haben als die, die es nicht haben, 28 Monate nach Beginn der Maßnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Zudem seien die Maßnahmen nicht zielgruppengenau (siehe dazu auch: Telepolis: Diffamierung von Erwerbslosen, freiwillige Arbeitsangebote oder Workfare).

Groß ist auch das Risiko, dass Unternehmen die Löhne im Bereich geringfügiger Beschäftigung stark senken. Das Einkommen der Beschäftigten muss dann immer mehr durch den Staat gesichert werden, die Unternehmen enziehen sich ihrer “gesellschaftlichen Verantwortung”. Betriebe, die durch Lohnsenkungen ihre Gewinne steigern wollen, finanzieren dies auf Kosten der Staatskasse, und in diesen Lohndruck werden auch andere Unternehmen und höhere Lohnbereiche mit hineingezogen.

Der Niedriglohnsektor ist in Deutschland seit den Agenda-Reformen extrem gewachsen und inzwischen nach den USA der gößte aller Industrieländer. Jedoch legen Untersuchungen nahe, dass dies auf Kosten der regulären Arbeit geschah und der Rückgang der Arbeitslosigkeit seit der Agenda stärker auf konjunkturelle Faktoren zurückzuführen war. Durch die Vergößerung des Niedriglohnsektors sinkt die Binnenachfrage, was (insbesondere zu Zeiten, in denen der Export stark einbricht) zu weniger Produktion und zu weniger Arbeitsplätzen führt. Die sozialen Folgen sind außerdem äußerst negativ – es wurde von der Politik gezielt ein prekärer Gesellschaftsbereich geschaffen.

 

Fazit

Maßnahmen der Agenda 2010, auch die Kombilöhne, haben zu einem Anstieg des Niedriglohnsektors geführt, ohne viele neue Arbeitsplätze geschaffen zu haben. Sie haben damit ihr vorgegebenes Ziel verfehlt. Stattdessen stieg lediglich die Gewinnquote (auf Kosten der Lohnqute). Die Lohnspirale nach unten wird durch Kombilöhne gefördert. Natürlich gibt es auch gute Gründe für die Annahme, dass tatsächlich diese breiten Lohnsenkungen im Interesse der Agenda-Maßnahmen standen (auch wenn sich manche davon wirklich die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen versprochen hatten).

Im Grunde kann die Möglichkeit, bei Empfang von Arbeitslosenleistungen hinzuverdienen zu können, sinnvoll sein, aber nicht in der derzeitigen Ausgestaltung. Dazu müssen auf jeden Fall die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessert werden. Dies dient auch dem sicherlich zu unterstützenden Ziel, dass “sich Arbeit lohnen muss”. Dafür, und zur Vermeidung einer Ausplünderung des Staates durch Unternehmen, die reguläre Beschäftigung durch Niedriglöhner ersetzen, ist eine weitere Senkung der Hartz-IV-Sätze kein geeignetes Mittel. Vielmehr wäre für diese Ziele die Einführung eines Mindestlohns sinnvoll.

 

[Dieser Beitrag ist auch beim Oeffinger Freidenker und beim binsenbrenner.de erschienen.]

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Neoliberalismus, Agenda 2010 und Hartz IV: was würden Marx und Engels sagen?

Kann man moderne Erscheinungen auf Grundlage einer marxistischen Theorie, v.a. der Marxschen Werttheorie, deuten? Mal ein Gedankenspiel: wie würden Karl Marx und Friedrich Engels z.B. den Wandel des Kapitalismus hin zu einer neoliberalen Variante erklären? Was würden sie, um etwas noch Aktuelleres zu nehmen, zur Agenda 2010 und zu Hartz IV sagen?

Beispiel 1: Neoliberalismus

Marx und Engels beklagten das Denken in Tauschverhältnissen. In den kapitalistischen Systemen herrscht aufgrund der die gesellschaftlichen Beziehungen dominierenden Wertstrukturen eine Tauschrationalität, der nur Gleichwertiges gilt, die von konkreten Eigenschaften abstrahiert.

Heute werden immer mehr gesellschaftliche Bereiche unter Marktmechanismen (als Kapitalverwertungsprozesse) unterworfen; der Ökonomisierungsprozess, den bereits Marx prognostiziert hat, nimmt immer weitere Ausmaße an. Der Spätkapitalismus hat sich vom Wohlfahrtsstaat und organisierten Kapitalismus gewandelt und mehr Züge eines liberalen, finanzmarktgesteuerten, marktbasierten Kapitalismus angenommen. Es gibt kaum einen Bereich mehr, in dem nicht die Kategorien des Marktes und der Konkurrenz gelten. Die Beschäftigten sind nicht mehr nur für den Gebrauchswert-, sondern auch für den Verwertungsapekt ihrer Arbeit zuständig. Die Subsumtion der Arbeit unter das Kapital ist eher noch stärker geworden. Wie Arbeit (und zwar für Kapitalisten wie Arbeiter) immer öfter nur noch Mittel zur Produktion von mehr Geld – als mehr Tauschwert – ist, so werden auch die Beziehungen der Menschen immer mehr von einer Tauschrationalität erfasst. Die Marktbeziehungen und ihre Rationalität weiten sich auf immer mehr gesellschaftliche eaus. Die Grundstrukturen des Kapitalismus sind nicht auf Produktion und Distribution beschränkt.

„Zweckrationales“, manipulatives Denken, Atomisierung und Egoismus kennzeichnen die Industriegesellschaften nach der geistig-moralischen Wende zum Neoliberalismus, die sich als alternativlose darstellen wollen. Angesichts dieser Entwicklungen bieten sich an die Marxsche Analyse der Wertform anlehnenden Konzepte (etwa der Kritischen Theorie) wertvolle Hilfen zur Deutung dieser Vorgänge, auch wenn die Gegenmittel, die sie bieten kann, aufgrund ihrer Radikalität immer schwieriger durchsetzungsfähig erscheinen.

Beispiel 2: Agenda 2010 und Hartz IV

Nach der neoklassischen Wirthschaftslehre, der die Konstrukteure und Befürworter von Maßnahmen wie der Agenda 2010 und Hartz IV folgen, entsteht Arbeitslosigkeit, wenn die Lohnhöhe über der Grenzproduktiität der Arbeit liegt. Durch Hartz IV wurde gezielt das Lohnniveau gedrückt, im Niedriglohnbereich auf eben das gesunkene Niveau der Sozialleistungen, aber auch in den anderen Bereichen kam es oft zu Reallohnsenkungen. Der Niedriglohnsektor ist massiv expandiert. Und selbst auf einem Niveau, das kaum über dem von Hartz IV liegt, werden die Menschen nun gezwungen, jede Arbeit anzunehmen. Und da nun die Löhne, wie beabsichtigt, so stark gesenkt wurden, dass sie oft auf Hartz IV-Niveau liegen, sollen wiederum die Sozialleistungen gesenkt werden. Begründet wird dies dann mit dem “Lohnabstandsgebot”. Doch gerade so ein Vorgehen wurde auch mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe plus der Senkung verfolgt. “Arbeit muss sich wieder lohnen”. Doch wenn die Löhne fallen, ist die Folge für die marktradikalen Agitatoren und die Mietmäuler der Arbeitgeber-Lobbys nicht eine (wie auch immer zu erreichende) Erhöhung der Löhne, sondern wiederum eine nochmalige Senkung der Sozialleistungen. Ein Teufelskreis in den Abgrund.

Quelle: http://www.flickr.com/photos/dunechaser/104968057/ unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

Die Politik folgte bei Hartz IV altbekannten Mustern des Kapitalismus, zumal seiner neoliberalen, marktradikalen Ausprägung. Marx hatte erkannt, dass der Arbeitsmarkt ein besonderer Markt ist, da die Arbeiter, da nicht im Besitz von Produktionsmitteln, nur ihre Arbeit zu verkaufen hätten:

Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner
Arbeitskraft nötigen Sachen.
(Das Kapital Band I, Erstes Buch, Viertes Kapitel)

Marx sagte, dass das Kapital dazu tendieren wird, der Arbeit nur das zu bezahlen, was sie zu ihrer Erhaltung und Reproduktion (sprich: zum Überleben und sich Vermehren) benötigt (den übrigen Wert, den die Arbeiter schaffen, eignen sich die Kapitalisten als Mehrwert an und schaffen dadurch Kapital). In Zeiten, in denen das Reserveheer der Arbeitslosen im Millionenbereich liegt, tritt selbst dieser Minimalaspekt in den Hintergrund. Der Wert, den das Kapital der Arbeit zu zahlen bereit ist, hat laut Marx immer ein historisches und moralisches Element. In den letzten Jahrzehnten sind in Deutschland trotz kontinuierlichem Wirtschaftswachstums die Löhne real gesunken (von 2000 bis 2007 etwa als dem einzigen EU-Land), hat die Lohnquote massiv abgenommen. Das Kapital hat es geschafft, seine Gewinneinkünfte massiv zu steigern. Diese Gewinne aber werden zu einem sogar abnehmenden Teil für Investitionen verwendet, sondern gehen immer mehr in Spareinkommen und suchen sich Betätigungfelder auf den Finanzmärkten. Auf diesen nun ist der Tauschwert (das Geld) vollkommen vom Gebrauchswert (der Nützlichkeit der Verwendung von Gütern) entkoppelt, der Fetischismus des Geldes zur höchsten Stufe erklommen.

Auch die Bezahlung der Arbeit ist von ihrem Gebauchswert, von ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit entkoppelt. Der Arbeitslohn resultiert aus Knappheit, dass ist richtig. Doch alle Knappheit ist nebensächlich, wenn die daher hochbezahlte Arbeit tatsächlich gesellschaftlich nicht nützlich, sogar schädlich ist, und die ganze Irrationalität dieser kapitalistischen Struktur zeigt sich, wenn Studien beweisen, dass niedrig bezahlte Tätigkeiten wie KRankenschwester oder Müllmann deutlich wertvoller für die Gemeinschaft sind, als etwa Steuerberater oder Börsenmakler (die nicht nur keine Gebrauchswerte, keine nützlichen Dinge schaffen, sondern sogar insgesamt Geld, also Tauschwerte, vernichten. Die größten Vertreter des Kapitalismus zerstören gesamtgesellschaftlich also das, worauf der Kapitalismus aufbaut – es wäre ja lustig, wenn die Folgen nicht die Gemeinschaft zu tragen hätte).

Die Flexibilierung des Arbeitsmarktes, die Erleichterung der Leiharbeit, die Senkungen der Sozialleistungen und die anderen Maßnahmen der Agenda 2010 verstärkten den Arbeitsmarkt als einen “nicht perfekten Markt”. Man hat nicht mehr die Möglichkeit, über die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit frei zu entscheiden, wenn man andernfalls mit Sanktionen bedroht ist. Die Subsumtion der Arbeit unter das Kapital wurde nur vertieft.

Aufgabe einer progressiven Politik und Aufgabe der “Arbeit” (also all derjenigen, die nicht im Besitz der Produktionsmittel sind) ist der Kampf um die Steigerung der Entlohnung der Arbeit, um die gesellschaftliche Aneignung des Mehrwerts. Das Mittel dazu ist in diesem Fall klar: eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze. Und auch Mindestlöhne können ein Weg sein. Der historische und moralische Kampf um ein menschenwürdiges Existenzminimum wurde vor Gericht nicht entschieden – er ist also um so mehr ein Kampf gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse.

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Das Hartz IV-Urteil und seine Folgen

Vor einer Woche hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Berechnung der Hartz IV-Regelsätze gegen das Grundgesetz verstößt und bis zum 1. Januar 2011 neu geregelt werden muss. Was besagt das Urteil genau und was können mögliche Konsequenzen sein?

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Karlsruhe_bundesverfassungsgericht.jpg (Tobias Helfrich unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de)

Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums

Das Bundesverfassungsgerich hat nun endgültig klargestellt, dass jeder Bürger einen unbedingten Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum hat. Es hat dabei in seinem Urteil auch erstmals genau ausgeführt, was dieses beinhaltet:

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.

Der Anspruch müsse den “gesamten existenznotwendigen Bedarf” des Menschen decken. Es ist zweifellos ein Erfolg, war aber indes überfällig, dass dies endlich juristisch festgestellt wurde. Über die konkrete Höhe der Leistungen, die ein sozio-kulturelles Eistenzminimum darstellen, hat das BVerfG indes nicht geurteilt; zu den derzeitigen jedoch hat es gesagt, sie seien nicht offensichtlich unzureichend. Gerade dies hat (in seiner Unkonkretheit) manche Erwartungen, die vielleicht in das Urteil gesetzt wurden, enttäuscht.

Das Abstellen des menschenwürdigen Existenzminimums auf „gesellschaftliche Anschauungen“ und auf „wirtschaftliche Gegebenheiten“ lässt das Pathos über die zu wahrende „Würde“ des Menschen bei der Begründung des Leistungsanspruchs angesichts der zunehmenden sozialen Ungleichheit und des Lohndumpings der letzten Jahre als ziemlich hohl erscheinen.
Bundesverfassungsgericht: Eine schallende Ohrfeige, die nicht besonders weh tut (NachDenkSeiten)

Für das BVerfG sind die Hartz IV-Sätze also nicht zwangsläufig wegen ihrer Höhe verfassungswidrig. Allerdings haben die verschiedenen Bundesregierungen nun seit nunmehr fünf Jahren gegen das Grundgesetz verstoßen (es werden am Ende sechs Jahre sein, da die Regierung und speziell das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bis Anfang 2011 Zeit haben werden, die Leistungen grundgesetzkonform zu regeln).

Quelle: http://www.flickr.com/photos/21982470@N06/3810215875/ unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

Ende der Willkür

Laut BVerfG sei das Verfahren nur wegen der Intransparenz und fehlenden Sachgerechtigkeit der Berechnung der Regelsätze, bei der oft nur “ins Blaue hinein” geschätzt worden sei, nicht verfassungsgemäß . Dass die Ermittlung der Regelsätze methodisch höchst unsauber und wenig fundiert war, willkürliche Kürzungen vorgenommen wurden und die Höhe nach den politisch vorgegebenen Leitlinien angepasst wurde, war lange bekannt (und auch neoliberale Ökonomen mussten dies als Schandfleck am von ihnen so geliebten ALG II zugestehen). Besonders abstrus waren die Methoden natürlich bei den Sätzen für die Kinder, wo laut dem Urteil allein schon Alltagserfahrungen einen besonderen Bedarf nahelegten, jegliche Ermittlungsversuche des tatsächlichen Bedarfs von Kindern seitens des Gesetzgebers aber ausblieben.

Wie genau die Sätze neu berechnet werden soll, ist in dem Urteil nicht gesagt. Methodisch gibt es da sicher einige sinnvolle Ansätze – und so gut wie alle Ansätze sind besser als das bisherige Vorgehen. Das bisherige Statistikverfahren, bei dem die Leistungen anhand der Ausgaben der ärmsten 20% der Bevölkerung minus Abschläge berechnet werden, bleibt ausdrücklich möglich. Dies kann jedoch auch bedeuten, dass bei sinkenden Löhnen im Niedriglohnsektor auch die Sozialleistungen immer weiter sinken werden. Ein Warenkorb-Modell (welches vor Hartz IV für die Berechnung der Höhe der Sozialhilfe herangezogen wurde), das um sozio-kulturelle Ausgaben erweitertert wäre, wäre deutlich sinnvoller, da es den tatsächlichen Bedarf ermittel und absolute Bedarfszahlen liefert und nicht nur relative und nur monetäre Größen.

Aber zumindest ist die von einer unerträglichen Überheblichkeit und Abgehobenheit charakterisierte Willkür nun vorbei, in der es die politsch Machthabenden noch nicht einmal für nötig hieleten, für gerade die Allerärmsten un -schwächsten der Gesellschaft festzustellen, ob für sie überhaupt ein menschenwürdiges Leben gewährleistet ist, ob wenigstens ihr Existenzminimum tatsächlich gesichert ist.

Quelle: http://www.flickr.com/photos/kongharald/3821492016/ (Harald Groven unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de)

Keine Grundsatzentscheidung gegen Hartz IV

Ich wäre froh, wenn die Entscheidung, wie es manche – wie ich denke in überschwinglicher Freude – eingeschätzt haben, ein Urteil gegen Hartz IV insgesamt dastellen würde. Aber das ist es nicht. Das Grundprinzip von Hartz IV wurde nicht in Frage gestellt, auch nicht das grundsätzliche Berechnungsverfahren, eben nur die Umsetzung.

Allerdings spielen bei solchen Entscheidungen immer politische und ethische Gesichtspunkte mit hinein, die man in der Tat nicht bloß rechtlich regeln kann. Da laut dem Urteil aber auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben gewährleistet werden muss, hätte man vielleicht doch die Festsetzung ein paar gewisser Mindeststandards erwarten können. Denn nur durch die Konkretisierung der Vorgaben der Verfassung, auch möglicherweise hinsichtlich gewisser Messwerte, überschreitet das BVerfG ja nicht seinen Aufgabenbereich oder seine Kompetenzen.

Wie geht es also weiter mit Hartz IV? Vielleicht gibt es ein Reset und vielleicht sogar einen schicken neuen Namen, wie es sich Zensursula vorstellt. Einen tatsächlichen anderen Charakter wird dieses aber dann kaum haben, geschweige denn, dass es viele Vorteile bringen wird, das wage ich hier einmal vorausszusagen.

Quelle: http://www.flickr.com/photos/75936077@N00/693299811 (Andreas Skowronek unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/deed.de)

Was können wir für die Höhe der Leistungen erwarten?

Die Entscheidung wird voraussichtlich dafür sorgen, dass die derzeitigen Leistungen nicht noch weiter gesenkt werden können. Eine spürbare Erhöhung der Sätze, außer denen für Kinder (wo das Gericht sehr deutlich geworden ist, so dass man folgern kann, dass die jetzigen Leistungen offensichtlich nicht genügen und v. a. gröbst willkürlich sind), die aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen dringend nötig wäre, kann man aus dem Urteil aber nicht ohne weiteres zu erwarten haben. Wie sorgfältig die Politik bei den neuen Regelungen vorgehen wird, ist auch nicht klar. Zumindest wird sie mit allen Mittel bemüht sein, dass der das dann “ermittelte” Existenzminimum im Bereich des jetzigen Quasi-Zufalls-Wertes liegt.

Denn das Urteil beinhaltet keine Rückwirkung. Eventuelle Ansprüche auf höhere Leistungen, da die jetzigen laut BVerfG bis 2011 ja verfassungswidrig sind, wird man nicht geltend machen können, auch wenn 2011 höhere (und dann verfassungsgemäße Sätze) beschlossen werden sollten. Sprich (wenn die Leistungen höher sein werden): alle Hartz IV-Empfänger, die sechs Jahre lang zu niedrige Leistungen bekommen haben , haben Pech gehabt. Begründet wird dies vom BVerfG u. a. mit dem Schutz der öffentlichen Haushalt. Fiskalpolitisch vielleicht noch nachzuvollziehen, fällt dies rechtlich da schon schwerer. Nur ein Punkt, an dem wirtschaftliche Erwägungen und juristische aufeinandertreffen. Aber die Folge der fehlenden Rückwirkung kann auch schon abgesehen werden: natürlich besteht jetzt die Gefahr, dass die Bundesregierung, zudem eine moralisch derart unbefleckte wie die jetzige, auch in Zukunft verfassungswidrige Gesetze zunächst erlassen wird. Falls sie dann vom BVerfG einkassiert werden sollten, hat man zumindest mehrere Jahre lang schon mal einiges sparen können.

Das Gericht hat außerdem festgelegt, dass man in Ausnahmefällen einen Rechtsanspruch auf Zusatzleistungen hat, um „besonderen Bedarf zu decken, wenn es im Einzelfall für ein menschenwürdiges Existenzminimum erforderlich ist“, etwa im Falle von Krankheiten. Es war in der Tat einer der größten Skandale dieser Gesetzgebung, dass dies bisher nicht möglich war – und oft nur zynisch kommentiert wurde, man könne ja sparen oder einen Kredit aufnehmen, um sich etwa Medikamente kaufen zu können. Die ganze menschenverachtende Haltung der Macher dieser Politik tritt hier noch deutlicher als anderswo zu Tage.

Und die Menschenverachtung zeigt sich noch in einem anderen Aspekt: in der Praxis, Menschen mit dem Wegfall des Existenzminmums zu bedrohen und dieses an Arbeitspflicht zu binden. Sogar Kürzungen des Existenzminimums um 100%, also die absolute Streichung der zum Leben notwendigen Mittel, werden zur Zeit vollzogen. Folgt man den Buchstaben des Urteils, so wäre dies eigentlich ab 2011 nicht mehr möglich. Allerdings hat das Gericht nichts Konkretes zu den Sanktionen gesagt. Möglicherweise, so vermuten einige Kommentatoen, wird diese Frage also noch juristisch zu klären sein.

Welche politischen Chancen bieten sich?

Wer geglaubt hat, dass in einem umfassenden System wie der derzeitigen Ausgestaltung des Kapitalismus eine Instanz, die Teil dieses Systems ist, einen grundlegenden Richtungswechsel vorgeben wird, der hat dessen gesellschaftliche Totalität unterschätzt. Eine andere, eine gerechtere, sozialere und menschenwürdigere Gesellschaftsform muss meist erstritten werden gegen die Bewahrer des Status Quo.

Letzlich ist es eine Frage politischer und gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, ob in einem Land mit einem so großen Reichtum wie dem unsrigen allen Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden soll – oder ob es für viele Menschen, wie die rechtskonservativen und neoliberalen Workfare-Vertreter wollen, so hart, so unangenehm, so unmenschlich wie möglich sein soll. Die harschen Reaktionen auf das Urteil dieser Seite zeigen, dass sie sich bereits angegriffen fühlt und sich nicht anders weiterzuhelfen weiß als mit wüsten Beschimpfungen und Diffamierungen, ja dass sie gar die allmählich die Fassung zu verlieren droht, und sich dadurch auch bei ihren Anhängern immer mehr diskreditiert.

Wenn einmal die Gelegenheit da ist, erfolgversprechend alternative Konzepte zum Neoliberalismus in den öffentlichen Diskurs einzubringen, wenn erstmals seit Jahren Hartz IV als ein wesentlicher Bestandteil der Umsetzung dieses Konzeptes in Deutschland sich einer grundlegenden Kritik unterziehen muss, und wenn gar die Möglichkeit bestehen sollte, einen grundlegenden gesellschaftlichen Stimmungswandel zu erreichen, dann sollte man diese nicht ungenutzt lassen. Und wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dafür, ob gewollt oder nicht, Ankünpfungspunkte bietet, dann sollte man diese wahrnehmen.

Lesenswerte Kommentare zum Thema:

Hartz-IV-Urteil aus Karlsruhe: Das Ende der Willkür (Zeit Online)

Nach dem ALG-II-Urteil (Telepolis)

Ein Armutszeugnis (Der Freitag)

[Dieser Beitrag ist auch beim binsenbrenner.de erschienen.]

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Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit

Der “Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union” wurde durch das Landgericht Berlin verboten, sich als “Gewerkschaft” oder “Basisgewerkschaft” zu bezeichnen. Dagegen finden heute und nächsten Sonntag um 18 Uhr  in Berlin Demos statt, am Dienstag gibt es eine Gerichtsverhandlung. In dieser geht es darum, ob es der FAU untersagt bleibt, zu einem Boykott gegen ein Berliner Kino aufzurufen.

Dies hatte die FAU getan, um dort einen Haustarifvertrag zu erkämpfen. Weil “Anarchisten keine Verhandlungspartner sind” hatte der Geschäftsführer diesen abgelehnt und war dann vor Gericht gezogen, das den Boykottaufruf für illegal erklärte. Das ist mit Sicherheit eine juristische Frage, die es hier nicht zu erörtern gilt. Das Gericht erklärte aber obendrein die FAU per einstweiliger Verfügung für „nicht tariffähig“ (was bisher noch nie in einem laufenden Arbeitskampf der Fall war und nach deutschem Arbeitsgerichtgesetz  in einem ordentlichen Hauptsacheverfahren geklärt werden muss) und erkannte ihr den Gewerkschaftsstatus ab (falls sie sich doch so bezeichnen, so ein weiteres Urteil, sind sie gar mit Haftstrafen bedroht). Die Begründung berief sich u. a. darauf, dass die FAU auf nationaler Ebene und in der Fläche nicht so viele Mitglieder hat, um Tarifverträge auf dieser Ebene durchzusetzen. Anhand dieser Begründung könnten in einigen Branchen zukünftig auch andere Gewerkschaften bedroht sein. (Mehr Informationen)

Die FAU ist eine anarcho-syndikalistische Vereinigung. Es ist aber eine Sache, wie man politisch zu einer Vereinigung steht, oder ob man sie als legitime Interessenvertretung anerkennt. Ich stehe persönlich sicherlich den “klassischen” Gewerkschaften (so sie denn eine sinnvolle Politik betreiben, etwa wie sie etwa das IMK empfiehlt) deutlich näher. Und die Ziele oder die Vorgehensweisen der FAU muss man sicher auch nicht unbedingt für sinnvoll halten. Das ist aber hier nicht das Thema: denn ein Angriff auf die Freiheit der Gewerkschaften, auf die Selbstorganisation der Arbeitenden ist in keinem Fall hinzunehmen.  Die Gewerkschaftsfreiheit ist aus guten Gründen im Grundgesetz und den Konventionen der ILO festgelegt. Es gilt hier also, Solidarität zu zeigen zwischen den Arbeitnehmern und in der politischen Linken und die Gewerkschaftsfreiheit zu verteidigen.

NACHTRAG:
Näheres zu dem Thema gibt es auch beim binsenbrenner.de und beim Spiegelfechter.

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Was der Mensch braucht

Eine empirische Analyse zur Höhe einer sozialen Mindestsicherung auf der Basis regionalstatistischer Preisdaten von Lutz Hausstein (Stand: Januar 2010)

Vorbemerkungen:

Mit der Einführung der aktuellen Sozialgesetzgebung durch die rot-grüne Regierungskoalition im Jahr 2005 entstand in breiten Teilen der Bevölkerung massiver Widerstand dagegen, der sich sowohl gegen grundsätzliche Annahmen in diesen Gesetzen wie auch gegen eine Vielzahl einzelner Inhalte und Bestandteile richtete. Dieser zu Beginn noch in der Öffentlichkeit ausgetragene Widerstand, auch in Form größerer Demonstrationen in mehreren Städten, ebbte im Laufe der Zeit spürbar ab. Dies dürfte in nicht unerheblichen Teilen auf die konsequent „aussitzende“ Haltung der Politik zurückzuführen sein, der der öffentliche Widerstand scheinbar machtlos ausgeliefert war und noch heute ist.

Die nachfolgende empirische Analyse befasst sich explizit mit den Inhalten und der Höhe einer sozialen Mindestsicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Grundlagen betreffen alle hier wohnhaften Personen – Arbeitslose, geringfügig Beschäftigte, prekär Beschäftigte, Migranten, Rentner oder weitere betroffene Bevölkerungsgruppen. All diese müssen auch unter den Verhältnissen in der Bundesrepublik ihr Dasein gestalten und benötigen dafür auch die entsprechenden materiellen Voraussetzungen.

Angrenzende Inhalte wie Sanktionierungen als auch deren rechtliche Grundlagen, Ein-Euro-Jobs, die Praxis der sogenannten Bedarfsgemeinschaften und weitere kritisierte Bestandteile, bleiben hierbei unbetrachtet. Die Betrachtung möglicher Einschränkungen bzgl. Art.11, Art.12, Art.13 GG sowie der Allgemeinen Menschenrechte der Vereinten Nationen bedürfen einer separaten Untersuchung. Leitgegenstand dieser Untersuchung ist ausschließlich die Frage:

Wieviel braucht ein Mensch in der Bundesrepublik Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt zum Leben und damit zur Wahrung seiner grundgesetzlichen Rechte nach Art.1, Art.2 sowie Art.3?“

Grundlagen der Berechnung:

Mehrfach wurde der Gesetzgeber in den vergangenen 5 Jahren an verschiedenen Stellen durch unterschiedliche Gerichte zu vereinzelten Abänderungen der Gesetze, jedoch nur kosmetischer Natur, gezwungen. Die eigentlichen Ursachen des Widerstands in der Bevölkerung spiegeln diese Marginalien aber nicht wider und beseitigen sie demzufolge auch nicht. Einer der Punkte der massiven Kritik ist die Höhe der zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel, welche den von diesen Gesetzen Betroffenen ihre grundgesetzlichen Rechte und damit die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben garantieren sollen. Dies wird schon allein dadurch dokumentiert, dass der Regelsatz (inkl. der als „angemessen“ bezeichneten Kosten für Unterkunft) in seiner Höhe unter allen, verschieden definierten, Grenzen für Armut liegt.

Das regelmäßig angeführte Argument des Lohnabstandsgebotes sowie ähnlich intendierte Vergleiche zwischen Beziehern von Niedriglöhnen und Sozialleistungsbeziehern ist hierbei grundsätzlich abzulehnen, da eine verfehlte gesellschaftliche Verteilungsfunktion nicht zur Grundlage für die Festlegung von Sozialleistungen sein kann. Basis für diese Feststellung bietet u.a. der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, welcher einerseits seit Jahren stark zunehmende Konzentration sowohl von Vermögen wie auch von Einkommen auf der einen Seite als auch eine Abnahme derselben bzw. gar einen Aufbau von Verschuldung auf der anderen Seite dokumentiert. Gelegentlich publizierte Thesen des Selbst-Verschuldens bzw. des unwirtschaftlichen Handelns der Betroffenen sind durch keinerlei Fakten belegt und müssen deshalb mit aller Nachdrücklichkeit zurückgewiesen werden. Ebenso ist eine häufig vorgeworfene falsche Prioritätensetzung durch die Regelsatz-Empfänger aufgrund des Kaufes von zur Lebensführung unnötiger Güter zu verwerfen. Dies widerspricht selbst elementaren allgemeingültigen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Die aktuelle Berechnung des Regelsatzes durch den Gesetzgeber ist, wie vielfach bemängelt, in vielen Einzelpositionen völlig intransparent. Es muss jedoch schon die strukturelle Herangehensweise bei dessen Ermittlung in Frage gestellt werden. Die Zugrundelegung des Konsumverhaltens anderer Bevölkerungsteile mag zwar einen Fingerzeig auf generelles Konsumverhalten geben, zur Ermittlung eines Grundbedarfs, erst recht durch Einberechnung von pauschalen prozentualen Abzügen, ist es vollständig ungeeignet. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Einkommenshöhe einer Bevölkerungsgruppe, die möglicherweise selbst zu wenig zum Leben hat, den Maßstab für eine andere Gruppe legen sollte. Nur der Aufbau eines eindeutig festgelegten Warenkorbes, welcher in seinen Inhalten, Mengen und zugrunde gelegten Preisen in vollem Maße der praktischen Realität entspricht, kann das im Grundgesetz verbürgte Recht garantieren. Dabei muss vollständig gewährt sein, dass allen Betroffenen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Gesundheitszustand und regionalem Wohnort, Genüge getan wird, da es sich bei diesem Wert um einen Mindeststandard handelt, der unter keinen Umständen unterschritten werden darf. Andernfalls würden damit grundlegende Menschenrechte verletzt.

Grundannahmen:

Im Folgenden wird anhand einer praktischen Untersuchung versucht, einen realitätsnahen Wert für die Höhe einer sozialen Mindestsicherung zu ermitteln. Dem wird ein an praktischen Bedürfnissen orientiert gebildeter Warenkorb, fußend auf den Rechten der physischen Existenzsicherung sowie grundlegenden Anteilen zu einer soziokulturellen Teilhabe, zugrunde gelegt. Die Mengen und Preise wurden durch empirische Untersuchungen, umfangreiche Recherchen als auch Befragungen vergleichbarer Haushalte ermittelt.

Dabei wurde von den folgenden Bedingungen ausgegangen:

  1. Die Ermittlung des Bedarfs erfolgt auf der Grundlage einer erwachsenen, gesunden Person. Der Bedarf von kranken Hilfeempfängern bzw. auch von Kindern ist separat zu berechnen und kann auch nicht mittels einer pauschalierten prozentualen Minderung oder Erhöhung korrekt ermittelt werden. Denn diese Personenkreise besitzen einen Bedarf, der in vielen Punkten grundsätzlich von dem eines gesunden Erwachsenen abweicht. So wird man einerseits mit einem prozentual verminderten Bedarf für Kinder an Anzügen, Tabakwaren, Alkohol oder Hausratversicherungen keineswegs gerecht, andererseits ist der höhere Bedarf für Spielwaren, Bekleidung, Lernmittel ebenfalls nicht pauschaliert, erst recht nicht mit prozentualen Abzügen, errechenbar.
  2. Die zugrunde gelegten Güter und Leistungen basieren auf einer Analyse eines Ein-Personen-Haushaltes mit den im Grundgesetz sowie der Sozialgesetzgebung korrespondierenden Notwendigkeiten zur Bedürfnisbefriedigung bezüglich materieller Existenz und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
  3. Die jeweiligen Mengen wurden durch eine Eigenuntersuchung sowie Befragungen weiterer Personen unter Beachtung der Kriterien des Punktes (1) ermittelt.
  4. Alle Preise unterliegen einer generell sehr starken Schwankungsbreite. Diese sind regional, teils saisonal, jedoch auch anbieterspezifisch bedingt. Saisonalen Schwankungen wurde mit einer Mittelwert-Lösung Rechnung getragen. Regionale Besonderheiten sollten erfahrungsgemäß innerhalb eines Korridors von unter 10 Prozent liegen, einzelne Güter, wie z.B. Personennahverkehr, Stromkosten, ausgenommen. Auch aus diesen Gründen wurden keine absoluten Tiefstpreise zugrunde gelegt, sondern sich im unterem Segment befindliche Preise.
  5. Die Verwendung des fiktiven „homo oeconomicus“, welcher über eine vollständige, allumfassende Marktkenntnis verfügt und darüber hinaus in der Lage wäre, diese Kenntnisse durch den Kauf eines einzelnen Produktes am jeweilig preisgünstigsten Standort zu realisieren, ist absurd. Sowohl Informationsdefizite als auch logistische Unmöglichkeiten stehen dieser Annahme grundsätzlich entgegen. Auch aus diesem Grund werden in der nachfolgenden Untersuchung keine absoluten Minimalpreise in Anwendung gebracht, sondern Preise im unteren Segment.
  6. Es wurde generell auf die Nutzung von Gebrauchtartikeln verzichtet, da diese aufgrund ihrer Eigenschaften eine verkürzte Nutzungsdauer aufweisen und es somit zu einer schnelleren Neuanschaffung führen würde. Desweiteren legt eine „Mindestsicherung“ zugrunde, dass jeder Einzelne des betroffenen Personenkreises auf diese Produkte Zugriff haben muss. Dies ist jedoch in einer Vielzahl von Fällen, z.B. für Bewohner ländlicher Regionen, nicht zu gewährleisten.
  7. Derselbe Grund führte dazu, dass Sonderangebote keine Berücksichtigung finden können. Diese regelmäßig lokalen und temporär gültigen Ermäßigungen erlauben es einem Großteil der Hilfeempfänger nicht, auf diese zurückzugreifen.
  8. Mit einem Preis eines Produktes korrespondiert regelmäßig dessen Qualität und Nutzungsdauer sowie auch dessen wirtschaftliche und, bei elektrischen Geräten, energetische Effizienz. Bei der Berechnung, insbesondere langlebiger Wirtschaftsgüter als auch technischer Produkte, wurde somit eine durchschnittliche qualitätsabhängige Produktnutzungsdauer zugrunde gelegt.
  9. Eine pauschalierte Zugrundelegung eines 30-Tage-Monats, wie aktuell praktiziert, ist realitätsfern. Die nachfolgende Berechnung basiert auf einem 31-Tage-Monat. Es wird empfohlen, den jeweiligen Monatsbetrag der entsprechenden Tagesanzahl anzupassen.
  10. Einzelne Produkte mit extrem kleine Mengen bzw. sehr geringwertige Güter wurden z.T. zu Gruppen zusammengefasst und mit einem monatlichen Pauschalwert berücksichtigt.

Bedarfsermittlung:


(Abb. 1: Bedarf Nahrungs- und Genussmittel)


(Abb. 2: Bedarf Hygiene, Reinigung, Gesundheit)


(Abb. 3: Bedarf Bekleidung)


(Abb. 4: Bedarf Einrichtungsgegenstände)


(Abb. 5: Bedarf elektrische Haushaltsgeräte)


(Abb. 6: Bedarf Gebrauchsgüter)


(Abb. 7: Bedarf Bildung, Kommunikation, Freizeit, Mobilität)


(Abb. 8: Bedarf Sonstiges)

Erläuterungen einzelner Positionen:

Reis, Kartoffeln, Eierteigwaren:

Diese Nahrungsmittel für Hauptmahlzeiten ergänzen sich additiv auf die zugrunde gelegte Tagesanzahl des Monats. Gleiches gilt für alle weiteren Substitutionsgüter.

Obst und Gemüse:

Obst und Gemüse unterliegen einer besonders starken saisonalen Preisdynamik. Aus diesen Gründen wurde ein unterer Mittelwert aus Hochpreis- und Tiefpreis-Saison als Grundlage der Berechnung herangezogen.

Alkoholika, Tabakwaren:

Die generelle Nutzung von Alkoholika sowie Tabakwaren entspricht dem gesellschaftlich anerkannten Verhalten. Diesem wurde mit einer, wenn auch geringen, Menge Rechnung getragen.

Zusatzbeitrag Krankenversicherung:

Die vor kurzem durch die Bundesregierung zugelassene und inzwischen auch durch einige Kassen angekündigte Erhebung zusätzlicher Krankenkassenbeiträge in Höhe von maximal 8 Euro ist bei dieser Berechnung zwingend zu berücksichtigen.

Waschmaschine:

Eine Waschmaschine im Wert von 200 Euro ist im untersten Preisbereich angesiedelt. Die durchschnittliche Nutzungsdauer eines solchen Gerätes beträgt erfahrungsgemäß 4 Jahre.

Computer, Monitor, Drucker:

Ein Computer gehört heutzutage in fast allen Haushalten zur technischen Grundausstattung. Er stellt die Basis für verschiedenartigste Kommunikationsmöglichkeiten dar und ist ebenso für Arbeitssuchende notwendiges Mittel zur Beschäftigungssuche.

Transportpauschale:

Der Kauf größerer Einrichtungsgegenstände wie auch elektrischer Geräte erfolgt im obigen Zusammenhang i.d.R. als Ersatzinvestition und somit zeitnah zum Zeitpunkt des Defektes. Eine Zusammenlegung von Käufen mehrerer Produkte ist damit nur eingeschränkt möglich. Diesem wurde mit der Zugrundelegung von 1 Transportpauschale beim Kauf von 3 diesbezüglichen Produkten berücksichtigt unter Zugrundelegung einer jeweiligen Lebensdauer von 8 Jahren für das entsprechende Produkt.

Geschirr:

Geschirr unterliegt sowohl einer häufigkeitsbedingten Abnutzung sowie auch Bruch. Diese Umstände wurden durch die durchschnittliche Nutzungsdauer eines 6-teiligen Services von 3 Jahren berücksichtigt.

Telefonanschluss, -gebühren, Internetanschluss, -gebühren:

Ein zum derzeitigen Preis von 29,99 Euro/Monat erhältliches Telefon-/DSL-Paket unterbietet den Preis für einen herkömmlichen Telefonanschluss zzgl. eines Internetanschlusses. Aus diesem Grund wurde auf diese Variante zurückgegriffen.

Mitgliedsbeitrag Sportverein:

Die Mitgliedschaft in einem Sportverein bietet sowohl die Möglichkeit für soziokulturelle Kontakte als auch die Möglichkeit zur Gesunderhaltung des Körpers. Mit einem Beitrag von 10 Euro monatlich werden Mitgliedschaften in nichtpreisintensiven Sportarten befördert. Mitgliedschaften exklusiverer Sportarten liegen regelmäßig beträchtlich über diesem Betrag.

Monatskarte Nahverkehr:

Monatskarten für den Nahverkehr werden in der Bundesrepublik in einer sehr großen Preisspanne angeboten. Aus diesem Grund ist es unmöglich, einen allgemeingültigen Betrag zugrunde zu legen. Es wurde sich deshalb am Betrag eines in einigen Städten erhältlichen Sozialtickets orientiert. Sofern keine anderweitigen Regelungen getroffen werden, ist dringend geboten, deutschlandweit einheitliche Regelungen zu schaffen, um allen Betroffenen eine ausreichende Mobilität zu gewährleisten.

Reparaturen:

Die Nutzungsdauer langlebiger Wirtschaftsgüter und technischer Produkte kann signifikant verlängert werden, wenn bei Bedarf notwendige Reparaturen durchgeführt werden können. Mit dieser Pauschale soll diesem Rechnung getragen werden.

Strom:

Bei einem Single-Haushalt wird in der Literatur häufig ein Stromverbrauch von 1.800 KWh zugrunde gelegt. Dabei wird jedoch davon ausgegangen, dass sich die betreffende Person nur einen geringen Teil des Tages in der Wohnung befindet. Die Lebenssituation von Hilfeempfängern ist jedoch signifikant anders. Dies wird mit dem leicht erhöhten Stromverbrauch von 2.000 KWh beachtet.

Privat-Haftpflicht- sowie Hausrat-Versicherung:

Häufige Voraussetzung zum Abschluss eines Mietvertrages ist das Vorhandensein einer Hausrat-Versicherung. Darüber hinaus kann ein Nichtbestehen beider Versicherungen von geradezu existentieller Bedeutung für die finanzschwachen Hilfeempfänger sein.

Eigenanteil Wohnungsinstandhaltung:

Regelmäßiger Bestandteil von Mietverträgen sind Eigenanteile von 75 Euro/Jahr für Instandhaltung sowie Reparaturen defekter Geräte oder Gebrauchsgegenstände. Dieses gilt es zu berücksichtigen.

Auswertung:

Abb. 9: Gegenüberstellung aktueller Gesamtbedarf / aktueller Regelsatz)

Diese empirische Untersuchung förderte mit einem aktuellen Bedarf von 684,68 Euro eine eklatante Unterdeckung beim derzeitigen Regelsatz von 359 Euro zutage.


(Abb. 10: Gegenüberstellung Betrag einer Mindestsicherung/aktueller Regelsatz)

Den umfangreichsten Ausgabeblock mit über einem Drittel bildet hierbei zur physischen Existenzsicherung der Bereich der „Nahrungs- und Genussmittel“. Der umfassende Komplex „Bildung, Kommunikation, Freizeit, Mobilität“ stellt mit rund einem Viertel der Ausgaben den zweitgrößten Bereich dar. Dies ist nicht unmaßgeblich auf die im Verhältnis hohen Kosten für Mobilität zurückzuführen. Die im Bereich „Sonstiges“ zusammengefassten weiteren Kosten sind mit rund 15 Prozent der drittgrößte Ausgabeblock, welches sich zu großen Teilen auf den vom Hilfeempfänger nur wenig beeinflussbaren hohen Kosten für Strom ableitet.


(Abb. 11: Anteile der sozialen Mindestsicherung)

Bei genauerer Betrachtung der einzelnen Kategorien fällt ins Auge, dass die gesamten 359 Euro des aktuell seit 01.07.2009 gültigen Regelsatzes schon allein durch die Maßnahmen zur unmittelbaren Existenzsicherung mehr als nur ausgeschöpft sind. Hierbei überschreitet die Summe der Lebensmittel (ohne Genussmittel), Hygiene, Reinigung und Gesundheit sowie vertraglich zu zahlende Beträge (Tageszeitung, Telefon-, Internetgebühren, Mitgliedschaft Sportverein, Strom, Hausrat- und Privathaftpflicht-Versicherung, Wohnungsinstandhaltung, Warmwasseraufbereitung), welche als nichtabwendbar angesehen werden müssen, den derzeitigen Regelsatz im Ganzen.

(Abb. 12: Gegenüberstellung: reale unabweisbare Kosten / aktueller Regelsatz)


Bewertung:

Dieser eklatante Widerspruch zwischen dem Anspruch einer sozialen Mindestsicherung und der tatsächlichen Realität mit seinem derzeitigen Niveau macht es unerlässlich, eine Wertung des ermittelten Datenmaterials vorzunehmen.

Dieses Ergebnis löst natürlich eine Vielzahl von Fragen aus. Wie konnten die Betroffenen, in Anbetracht dieser krassen Dissonanz zwischen dem eigentlich Notwendigen und dem tatsächlich Gezahlten, in den vergangenen 5 Jahren diese Differenz überbrücken? Die Antwort darauf dürfte vielfältig sein und sicherlich von Fall zu Fall unterschiedlich. Einige dürften sich mit gelegentlichen aperiodischen zulässigen Hinzuverdiensten die Gelegenheit geschaffen haben, ein Polster anzulegen, von welchem sie zu anderen Zeiten wieder zehren konnten. Einige wenige haben vermutlich ebenso mit nichtlegalen Tätigkeiten ihr Einkommen aufgebessert, um auf dieser Art und Weise die ihnen eigentlich verbürgten Teilhaberechte wahrnehmen zu können, welche ihnen jedoch aufgrund des erheblich zu niedrig bemessenen Regelsatzes verwehrt wurden. Deren Anteil liegt jedoch, entgegen den von verschiedenen Medien und Politikern verbreiteten, nichtbelegten Zahlen, nicht bei 30 Prozent, sondern laut einer Studie des Diakonischen Werkes zwischen 2 und 3 Prozent.

Die absolut überwiegende Mehrheit hingegen wird nach Wegen gesucht haben, ihre Ausgaben weiter zu reduzieren, um so mit dem ihnen zur Verfügung stehendem Geld über den Monat zu kommen. Dies konnte sich angesichts der extremen Unterdeckung nicht nur in der, erzwungenen, Aufgabe sämtlicher Freizeitaktivitäten wie Kino, Theater, Vereinsmitgliedschaften u.ä. erschöpfen, sondern notwendige Ansparungen für altersmüde oder defekte elektrische Gerätschaften als auch marode Einrichtungsgegenstände mussten so unterbleiben. Bekleidung konnte nicht gekauft werden, sodass die Betroffenen ihre alte und abgetragene Kleidung noch weiterhin nutzen mussten. Dies führte gleichzeitig zu Schamgefühlen und einem daraus resultierenden vollständigen Rückzug in den privaten Bereich.

Ein nicht zu unterschätzender Anteil der Beziehenden ist weiter in den Schuldenkreislauf hineingerutscht, indem die Streckung bzw. sogar die Nichtzahlung von ratierlichen Tilgungen von Kleinkrediten für Haushaltsgeräte und Bekleidung etwa bei großen Versandhäusern die einzige Lösung war, um das alltägliche Auskommen zu sichern. Nicht selten sind sogenannte Offenbarungseide und Privatinsolvenzen die einzige Rettung und in sogenannten Bedarfsgemeinschaften danach die Fortsetzung der Verschuldung auf Name des Lebenspartners, die einen weiteren Zyklus der Verschuldung einläutet.

Selbst Einschränkungen im elementarsten Lebensbereich, der Ernährung, sind bekannt. Auch unter der Voraussetzung, dass in der Regel Eltern lieber selbst hungern, nur um ihre Kinder ernähren zu können, führte dies in einigen Fällen dazu, dass die Eltern nicht mehr in der Lage waren, ihren Kindern Geld für die Schulspeisung oder nur ein Pausenbrot mitzugeben. Angesichts dieser Fakten ist es umso verwerflicher, wenn diesen Eltern seitens einiger Meinungsführer vorgeworfen wurde, sie würden ihre Kinder vernachlässigen. So machte man aus den Opfern einer völlig unzureichenden finanziellen Ausstattung nun Täter als „verantwortungs- und gewissenlose“ Eltern.

Darüber hinaus gab es in den vergangenen Jahren, nach der Einführung der aktuellen Sozialgesetzgebung, eine Reihe von Suiziden von Hilfeempfängern, deren Ursachen unleugbar in den unwürdigen Lebensumständen sowie den praktischen Umsetzungen der örtlichen ARGEN lagen. Dies wurde jedoch zu keiner Zeit medial thematisiert und gelangte somit auch nicht ins öffentliche Bewusstsein.

Schlussfolgerungen:

Der aktuell vor dem Bundesverfassungsgericht ausgetragene Rechtsstreit über die Höhe des Regelsatzes, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche, steht als Ergebnis eines vor Jahren, noch vor der offiziellen Einführung der beklagten Gesetze, alle Instanzen durchlaufenden Prozesses. Selbst unter der Annahme, dass das BVG der Klage stattgibt, bleibt zu konstatieren, dass aufgrund der durch diesen „Weg durch die Instanzen“ verstrichenen Zeit den Betroffenen eine sehr lange, wertvolle Lebenszeit genommen wurde, welche im Nachhinein in dieser Form nicht wieder herstellbar wird.

Aus diesen Gründen sind folgende Maßnahmen zwingend erforderlich:

  1. Sofortige Neuermittlung der Höhe einer sozialen Mindestsicherung auf der Basis eine Warenkorbes, der den Anforderungen des Grundgesetzes, unter der Beachtung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, gerecht wird
  2. Sofortige Erstellung einer ergänzenden Studie zur Rechtmäßigkeit der aktuellen Sozialgesetzgebung zu den eingangs erwähnten Problematiken
  3. Sofortige rückwirkende Erstattung aller zu Unrecht einbehaltenen Beträge, unabhängig von der Stellung einzelner Widersprüche und/oder Überprüfungsanträge der betroffenen Hilfeempfänger (rechtswidrige Ablehnungen dieser Widersprüche/Überprüfungsanträge werden damit ebenfalls hinfällig)
  4. Zeitnahe Neuschaffung einer neuen Sozialgesetzgebung, welche den ermittelten Problemen der aktuellen umfassend Rechnung trägt
  5. Abkehr von der Praxis der Willkür bei Bedarfsermittlungen und Erstattungen sowie eine stärker auf den Mindestbedarfssinn ausgerichtete Richtlinienverordnung, nach der die Mitarbeiter der ARGEn deutlicher zur ökonomischen anstatt zur moralisierenden Hilfestellung gehalten sind

Abschließend kann festgestellt werden, dass die vorschnelle Umstellung des ursprünglichen Sozialhilfemodells nach 2005 zu keiner Verbesserung sowohl der Lebensumstände der Betroffenen als auch zu einer Effektivierung des Arbeitsmarktes beigetragen hat, sondern eher zu einer flächendeckenden Unzufriedenheit und derben Schicksalsschlägen geführt hat, welche ihrerseits wiederum die Ursache für weitreichende infrastrukturell-soziale Komplikationen darstellen und wahrscheinlich auf lange Sicht nachwirken. Allein etwa die Tatsache, dass es heute fast gewöhnlich erscheint, dass Menschen unter 25 Jahren bei ihren Eltern campieren müssen, obwohl sozialpsychologisch völlig klar ist, dass damit deren soziale Kompetenz folgenschwer eingeschränkt wird, mag dazu anregen, den sozialpolitischen Überblick infrage zu stellen.

Angesichts der Ergebnisse dieser Analyse sowie ihrer notwendigen Bewertung und der festgestellten mehrfachen Verstöße gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland besteht für die verantwortlichen und handelnden Politiker, sowohl in der Regierung als auch der Opposition, die sofortige Verpflichtung, diese schweren Zuwiderhandlungen in Ihrer Gänze zu beseitigen. Dabei sollten sie nie aus den Augen verlieren, dass all ihre Bestrebungen nur einem einzigen Ziel zu folgen haben: DEM WOHL EINES JEDEN MENSCHEN.

Lutz Hausstein

Leipzig, Januar 2010

[Vielen Dank an Lutz Hausstein für diese überaus aufschlussreiche Untersuchung! Und vielen Dank an Frank Benedikt!

Guardian of the Blind]

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Hartz IV, der Niedriglohnsektor und die ökonomischen Ineffizienzen des Neoliberalismus

Ich habe momentan nicht sehr viel Zeit zum bloggen, aber ein paar lesenswerte Artikel möchte ich euch nicht vorenthalten:

Jochen Hoff hat einen sehr guten Beitrag über Hartz IV geschrieben, in dem er die neoliberalen Vorstellungen, die dahinter stecken (wie die Idee, etwa durch “Aufstocken” die Löhne zu senken das Kapital zu entlasten ), benennt und aufzeigt, wie dabei Politik, Wirtschaft und Medien (“Sozialschmarotzer” versus “Leistungsträger”- Propaganda) zusammenwirken. Er beschreibt dabei, wie durch Hartz IV Einkommen und Sozialtransfers auf ein Niveau gesenkt werden, das kein menschenwürdiges Leben mehr ermöglicht.

Auf den NachDenkSeiten wird gezeigt, dass das Ziel der Einführung von Hartz I-IV und der jetzigen Rahmenbedingungen der Leiharbeit der Aufbau des größten Niedriglohnsektors in der EU ist (besonders krass ist dabei der Ausspruch unseres Altkanzlers Schröder “Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt”). Mittel für dieses Ziel sind u.a. eine massive Kürzung der Sozialleistungen, Kombilohn-Modelle und die Senkung der  Zumutbarkeitskriterien (bis zu einem Zwang, jede Arbeit anzunehmen).

Und Albrech Müller verdeutlicht an mehreren Beispielen, warum die neoliberale Ideologie auch ökonomisch nicht effizient ist: der Finanzsektor hat sich von seiner eigentlichen Funktion (Kreditvergabe für Investitionen) entfernt und konzentriert sich auf Spekulationen; die Teilprivatisierung hat die Kosten von Alters- und Krankheitsvorsorge erhöht, in anderen Bereichen (Telekom, Energie, Bahn) haben die Privatisierungen zu privaten Oligopolen und Monopolen geführt. Insgesamt führt die Privatisierungspolitik zu einer drastischen Verschwendung öffentlicher Ressourcen.

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Das Menschenbild der Neokonservativen

Roland Koch fordert eine Arbeitspflicht für Arbeitslose, zur Not auch in Billig-Jobs (siehe auch). Er fordert also Zwangsarbeit. Die Rhetorik, die Koch hier benutzt,  verdeutlicht aber auch noch ganz exemplarisch, welches Menschenbild hinter der neokonservativen Workfare-Ideologie steht, die Koch (und damit ist er leider bei weitem nicht alleine) hier propagiert.

Jedes Sozialsystem brauche ein Element der Abschreckung, so Koch. Anders sei “das für die regulär Erwerbstätigen, die ihr verfügbares Einkommen mit den Unterstützungssätzen vergleichen, unerträglich”. Deshalb müsse man Druck ausüben, niemand solle das Leben mit Hartz IV als “angenehme Variante” ansehen. Die Politik müsse Härte zeigen. Dass sich aber die Rede vom “angenehmes Leben” mit Hartz IV als billiger Trick erweist, zeigt sich beinahe im selben Atemzug. Denn Roland Koch ist dabei völlig klar, was Hartz IV bedeutet:

Wir haben ja zwei Gruppen: jene, die durch die Unbilden des Lebens, völlig ohne eigene Schuld, in Not geraten sind. Denen möchte man Hartz IV eigentlich nicht zumuten. Und wir haben Menschen, die mit dem System spielen und Nischen ausnutzen. Wenn man das nicht beschränkt, wird das System auf Dauer illegitim. (Roland Koch zur Wirtschaftswoche)

Das ist mal wieder die übliche Propagada der Neokonservativen und Neoliberalen. Die meisten Arbeitslosen seien ja selber schuld, sie wollten ja nur nicht arbeiten. Zahlen o.ä. legen sie dabei nie vor. Und selbst, wenn wir einmal davon ausgehen würden, dass es ein paar Leute gibt, die nicht arbeiten wollen, hat das Bild vom Menschen und der Gesellschaft, das hier zum Vorschein kommt, weder etwas mit Sozialstaatlichkeit und Solidarität, noch überhaupt etwas mit Humanismus oder Ethik zu tun. Hier geht es nicht darum, dass wer mehr arbeitet auch mehr verdienen soll; dem kann man zweifellos zustimmen, ohne die Workfare-Prinzipien oder gar Zwangsarbeit gutzuheißen – und nicht nur bei der Forderung nach Zwangsarbeit kann man mit gutem Recht davon sprechen, dass Koch und Co. hier tatsächlich in voraufklärerische Zeiten zurück wollen. Aber es geht auch nicht primär um Roland Koch, der sich mal wieder eine neue Gruppe ausgesucht hat, die man für die Probleme unserer Gesellschaft verantwortlich machen kann.

Hier geht es um Fundamentaleres. Hartz IV möchte man “Unschuldigen” eigentlich nicht zumuten, so Koch. Ja, Hatz IV ist unmenschlich, es ermöglicht eben kein angenehmes, kein menschenwürdiges Leben. Diejenigen aber, die “uns” nur ausnutzen, diese ganzen Parasiten, sollen “unsere” ganze Härte zu spüren kriegen.  Sie sollen gezwungen werden, zu arbeiten, hart zu arbeiten, für einen niedrigen oder keinen Lohn, um des Arbeitens willen. Für sie soll das Leben nicht angenehm sein.

Härte, Unbarmherzigkeit, Menschen das Leben so unangenehm wie möglich machen, und all das von einem Politiker einer Partei, die sich “christlich” nennt. Dies ist aber die Gesellschaft, die hinter der neokonservativen Politik steht, wo ein angenehmes Leben nur für die “Leistungsträger” ermöglicht werden soll. Diese müssen sich aber auch immer anstrengen in einem nie enden und nie nachlassenden wollenden Kampf um Geld und Status und Karriere, damit sie nicht abrutschen zu denen, die sie verachten, gegenüber denen sie “Härte zeigen”, die Härte der Leistungsträger, die es einfach nicht ertragen können, wenn Menschen, die sich ihrem pervertierten Leistungsdrucksystem nicht stellen wollen oder können, ein Leben führen, das auch nur halbwegs menschenwürdig ist. Dass unsere Gesellschaft durch den technischen Fortschritt es ermöglichen würde, dass alle Bürger ein Leben führen könnten, welches frei ist von materieller Not, dass sie die unmittelbaren menschlichen Bedürfnisse für alle in einer nie gekannten Art befriedigen könnte und die Voraussetzung für ein angenehmes Leben für alle bieten könnte, ist für sie eine abwegige Vorstellung.

Nein, der Mensch soll immer in Angst leben, und sei es nicht die Angst vor irrealen Gefahren, dann die Angst, in ein abschreckendes System sozialer Kälte einer gnadenlosen Gesellschaft abzustürzen. Druck muss überall spürbar sein. Jeder muss sich behaupten, jeder muss immer und überall kämpfen, und der Feind muss besiegt werden. Der Feind, das ist nicht nur “der Terrorist”, das ist auch der Konkurrent um den Arbeitsplatz, und das sind die “Arbeitsunwilligen”, sind die Hilfsbedürftigen, sind die Schwächeren, gegen die man triumphieren muss und gegenenüber denen man keine Gnade oder Menschlichkeit kennen darf.  Nur der Stärkere setzt sich durch.

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