Neues über den Homo oeconomicus

Gerade, wo ich mich in den letzten zwei Artikeln mit dem Menschenbild des Homo oeconomicus befasst habe, stoße ich auf einen Artikel des Spiegel: “Wirtschaftsethik : Warum Egoismus im Geschäftsleben schadet”:

Den Beleg dafür, dass es mit Fairness und Vertrauen besser geht, glaubt Armin Falk liefern zu können. Ihm genügen ein paar einfache Experimente, um den Homo oeconomicus zu widerlegen – oder zumindest als nicht mehr konkurrenzfähig zu entlarven im Wettstreit mit dem modernen Wirtschaftsmenschen.emeinsam mit Psychologen, Genetikern und Neurowissenschaftlern entwickelte Falk Feld- und Laborexperimente, die das Bild des sozialignoranten Egoisten in Frage stellen. An seine Stelle tritt ein Mensch, der Fairness und Gerechtigkeit höher bewertet als die schlichte Maximierung des Eigennutzes – und dies auch von seinem Gegenüber verlangt.

Sehr passend fand ich aber auch den Kommentar dazu beim Erlkoenig (wo ich auch auf den Spiegel-Artikel gestoßen bin):

Das holzschnittartige Menschenbild ist ja nur ein Teil der grauenhaften Simplifizierungen, mit denen die derzeit gängige Wirtschaftswissenschaft arbeitet. Und wenn es der gemeinsamen Anstrengungen von Psychologen, Neurowisenschaftlern und Genetikern bedarf, um herauszufinden, dass der Mensch mehr ist als ein rein zweckrationales Wesen, das nur seinen eigenen Vorteil kennt, lässt das tief blicken und wirft die Frage auf, ob Wissenschaft und Fachidiotie noch zu unterscheiden sind. Ein kurzer Blick in die Geschichte der Religionen, der Philosophie oder auch der Kunst hätte  genügt, um die Frage zu beantworten, ob ein derart simples Menschenbild stimmen kann.

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3 Wege aus dem Kapitalismus?

Der Soziologe Johannes Berger stellt in einem Aufsatz zur Kapitalismuskritik* die These auf, eine Welt jenseits der kapitalistischen Produktionsweise würde wahrscheinlicher, wenn man drei “Stellschrauben” dieses Systems verändern könnte, wozu er auch drei konkrete politische Maßnahmen als Beispiele nennt:

Ein bedingungsloses, existenzsicherndes Grundeinkommen für alle (erwachsenen) Staatsbürger würde den Arbeitszwang wegfallen lassen, der für den Kapitalismus konstitutiv ist.

Eine Unternehmenslenkung durch die Beschäftigten würde die Unterordnung unter das “Kommando des Kapitals” verschwinden lassen. Dabei könnte es durch die Beschäftigten einen Tausch geben: weniger Lohn gegen mehr Herrschaftsfreiheit. Arbeit ist nach Max Weber erst materiell (und nicht nur formal) frei, wenn die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in die Kompetenz der Beschäftigten selbst fällt.

Eine Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer (neben einem festen Grundlohn) schließlich würde die Arbeitnehmer am Erfolg des Unternehmens partizipieren lassen und durch die Minderung des Lohnes als Einkommensschema die Trennung unterschiedlicher Einkommensarten  zumindest partiell aufheben.

Um Berger nicht Unrecht zu tun, muss betont werden, dass er in seinem Aufsatz die Schlussfolgerung zieht, der kapitalistischen Organisationsform der Wirtschaft gehöre wohl auf absehbare Zeit die Zukunft und er die drei von ihm selbst dargestellten Maßnahmen relativ harsch abtut.

Ein existenzsicherndes Grundeinkommen würde die Steuerbelastung an- und die Arbeitsmotivation absteigen lassen und sei mit der “Ethik der Arbeitsgesellschaft” (arbeitsfähige Personen, die nicht arbeiten, sollten nicht am Sozialprodukt partizipieren dürfen) nicht vereinbar. Der Rückgang der Arbeitsmotivation wird aber von ihm nur vermutet. Um diesen zu verhindern, wäre eben gerade eine Abkehr von dem anderen Kritikpunkt, der liberalen Leistungs”ethik”, notwendig, wodurch man andererseits sogar positive und motivierende Effekte erwarten könnte. Zur Selbstorganisation durch die Beschäftigten sagt er nur: “Aber ‘Selbstherrschaft’ kann ungleich anstrengender sein als das milde Diktat einer zeitlich, sachlich und sozial beschränkten Herrschaftsausübung”. Hier wird wieder einfach nur vermutet, dass die Beschäftigten Freiheit nicht wollten, da diese zu “anstrengend” sei. Woher diese Einschätzung stammt, bleibt unklar. Außerdem denke ich persönlich, dass eine wirklich freie Gesellschaft erst jenseits des Konzeptes Herrschaft überhaupt denkbar ist.

Zu der Gewinnbeteiligung (aber auch zu den beiden anderen Punkten) sagt er, es sei unklar, wer daran ein Interesse haben könnte. Schaut man sich eine größer werdende Unterstützung für das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens oder von verschiedenen Seiten (sowohl von Arbeitnehmern als auch von Arbeitgebern) immer wieder eingebrachten Vorschlägen für und Umsetzungen von Gewinnbeteiligungsmodellen an, scheint es aber doch durchaus Gruppen in der Gesellschaft mit einem Interesse an diesen Maßnahmen zu geben. Und dass die Unternehmensmitbestimmung in einem breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens eingeführt wurde, dürfte ihm auch nicht entgangen sein.

Auch wenn Berger also diesen von ihm genannten und dargestellten Konzepten eher kritisch gegenüber steht, hat er doch Recht damit, dass diese Möglichkeiten eines Ausstiegs aus der derzeitigen Form kapitalistischer Produktionsweisen darstellen könnten. Die Aufhebung des Arbeitszwanges und die Beteiligung der Beschäftigten an der Lenkung des Unternehmens würden dabei den Vorteil haben, den Markt als äußert effizienten Verteilungsmechanismus nicht aufzuheben und auch die Defizite einer zentralen, autoritär und bürokratisch geplanten Wirtschaftslenkung durch den Staat zu vermeiden. Die Identifikation der Beschäftigten mit dem Unternehmen sind durch eine Ausweitung der Beteiligungsrechte stark zu erwarten und folglich eine größere Motivation. Selbst mit liberalen Ideen kann man dies vereinbaren, da die Beschäftigten bei Erfolgen des Unternehmen stärker honoriert werden und sich Leistung wirklich wieder lohnt. Zudem sind diese drei Maßnahmen jenseits utopischer Träumereien: Gewinnbeteiligungsmodelle existieren bereits in einigen Unternehmen, eine Beteiligung an der Unternehmenslenkung könnte durch eine Ausweitung der Mitbestimmung erreicht werden und für das Grundeinkommen liegen ausgearbeitete Konzepte vor.

Kommen wir zu den Problemen: eine erfolgsabhängige Komponente des Arbeitseinkommens der Beschäftigten kann durchaus im Interesse der Unternehmer liegen, stellt sie doch ein Mehr an Flexibilität (gerade auch für in ihrer Existenz bedrohte Unternehmen) dar. Über diesen Weg, der Beteiligung am Unternehmen, ließe sich auch eine Mitbestimmung über die Unternehmenspolitik rechtfertigen. Aber klar ist, dass gerade in einer autoritär geprägten Gesellschaft wie der Bundesrepublik Widerstände gegen mehr Herrschaftsfreiheit der Beschäftigten zu erwarten sind, auch wenn die hierarchischen Autoritätsbeziehungen in Unternehmen viele Probleme mit sich bringen und fortschrittshemmend wirken können. Politik, Wirtschaft und Medien würden gegen das existenzsichernde Grundeinkommen natürlich Kampagnen wie seinerzeit gegen die Sozialhilfeempfänger (“Florida-Rolf”) fahren. Die Finanzierbarkeit des Grundeinkommens indes ist eine politische Frage. Nicht zuletzt die Gelder für die Bankenrettung zeigen, dass es nur eine Frage der Prioritäten ist, auch sehr große Geldsummen zu mobilisieren (und ein Grundeinkommen würde deutlich weniger kosten und hätte zudem positive Effekte für die Binnennachfrage).

Bis vor kurzer Zeit zweifelte kaum jemand daran, dass unser Kapitalismus sich immer mehr in Richtung des angelsächsischen Finanzmarktkapitalismus transformieren würde. Die Finanzkrise zeigte nun für alle deutlich dessen Anfälligkeit und Krisenhaftigkeit auf. Seit den 90er Jahren (verstärkt seit 1999) war der Weg in den Finanzmarktkapitalismus gezielt von der Politik beschritten worden. Wenn die Politik wieder die Interessen der Mehrheit der Bürger vertreten würde, wäre der Weg in die andere Richtung kaum weniger möglich. Eine freiere, solidarischere und gerechtere Gesellschaft wäre möglich – sie muss nur politisch gewollt sein.

*: Johannes Berger: “Kapitalismusanalyse und Kapitalismuskritik”, in: Maurer, Andrea (Hrsg.): Handbuch der Wirtschaftssoziologie, Wiesbaden 2008, S. 363-381.

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Die Arbeit der Zukunft, die Zukunft der Arbeit (oder: wie Hierarchien schaden)

Zunächst ein Hinweis auf einen Podcast aus der Reihe “Zukunft jetzt: wie wir lernen, leben, arbeiten” von SWR2 Wissen: Aula (Dauer: 29 Minuten):

Arbeit 2.0 – Die Zukunft der Industriegesellschaft

Der relativ neue Begriff “New Economy” ist in der alten Welt angekommen. Doch was ist damit gemeint? Geht es um eine neue Wirtschaftsstruktur? Ja, denn dieser Begriff will deutlich machen, dass es in Wirtschaft und Gesellschaft verstärkt um immaterielle Werte geht, damit verlieren traditionelle Maßstäbe und ökonomische Regeln ihren Sinn. Es dominieren eben nicht mehr Rohstoffe, Kapital und Arbeit, sondern Kreativität, Ideen und Netzwerke. Ulrich Klotz, der sich beim Vorstand der IG-Metall lange mit der Digitalisierung beschäftigte, beschreibt die neue Arbeitswelt.

Die Arbeit der Zukunft werde laut Ulrich Klotz in vielen Bereichen wissensintensiver und anspruchsvoller, Routinetätigkeiten würden immer weniger entscheidend Er vertritt die These, dass diese neuen Formen der Arbeitsorganisation  Formen der hierarchischen und bürokratischen Autoritätsbeziehungen  und hierarchisch top-down-strukturierte Unternehmen und Organisationen veraltet, überflüssig und fortschrittshemmend machen. Hierarchien seien für wissensbasierte Arbeit ungeeignet, was er  recht gut verdeutlicht (hierarchische Systeme seien etwa daran Schuld, dass in Deutschland viele neue Ideen und Innovationen sich nicht durchsetzen konnten und Deutschland viele Entwicklungen im Bildungs- und Unternehmensbereich verschlafen habe).

Als Gegenbeispiel nennt Klotz bspw. Open-Source-Programme, deren Entwicklung ohne Hierarchien und ohne Herrschafts-Wissen organisiert ist. In diese Richtung müssten sich auch die Unternehmen ändern,  aber Deutschland sei dabei im Verzug. In unserem Bildungssystem werde Kreativität zu wenig gefördert.  Formelle Ausbildungsabschlüsse oder standardisierte Berufsbilder u. ä. würden in der Zukunft in vielen Feldern immer mehr an Bedeutung verlieren.

Meiner Meinung nach wäre es noch nötig, die autoritären Einstellungen, die in der Erziehung vermittelt werden und in der neokonservativen “Führungselite” in Wirtschaft, Politik, Bürokratie oder Medien vorherrschend sind und von ihr propagiert werden, zurückzufahren. Die Schulen lehren immer noch, Hierarchien zu achten, Befehle von in der Hierarchie höher gestellten auszuführen und nicht zu hinterfragen. Die Manager-Kaste lernt, dass diese Hierarchien gerechtfertigt und notwendig seien. Gerade die klassische Wirtschaftswissenschaft sollte sich hier aus alten  ideologischen Positionen befreien.

Natürlich hat so etwas viel mit der Geschichte und Kultur eines Landes zu tun. Nicht umsonst ist “der Deutsche” überall als besonders diszipliniert und autoritätshörig mit einer Vorliebe, Befehle von Höhergestellten auszuführen und an “Untergebene” zu erteilen, bekannt. Eineroffenen, demokratischen (und egalitären) Gesellschaft können solche Einstellungen nur schaden. Eine Gesellschaft, die harte körperliche Arbeit durch den technischen Fortschritt und Automatisierung immer mehr reduziert und kreative Arbeit unter Gleichen ohne hierarchische Machtstrukturen ermöglicht, würde viel mehr zu einem wirklichen Fortschritt unserer Gesellschaft beitragen.

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