Die Südamerikareise von Dirk Niebel verdeutlicht den Strategiewandel in der Lateinamerikapolitik Deutschlands wie in seiner gesamten Entwicklungspolitik: Statt um Armutsbekämpfung und Entwicklungschancen geht es vor allem um die wirtschaftlichen Interessen der deutschen Industrie. Dabei arbeitet Deutschland vor allem in Lateinamerika verstärkt mit neoliberal ausgerichteten Staaten zusammen – und dies unabhängig davon, ob diese rechtsstaatliche Grundsätze erfüllen, und selbst davon, ob dort schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden.
Mauerstücke für Bolivien, Millionengelder für Peru
Das neue Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung hatte es eigentlich schon hinreichend beschrieben: Im Vordergrund der Aktivitäten Deutschlands in Lateinamerika und in der Karibik sollen künftig Rohstoffsicherung, Exportförderung und die Absicherung der Interessen deutscher Unternehmen stehen. Hinzu kommen jedoch auch ideologische Gesichtspunkte: Unter Schwarz-Gelb erhalten Staaten mit einer wirtschaftsliberalen Ausrichtung deutlich mehr Gelder als andere. Länder mit einer sozialdemokratischen oder demokratisch-sozialistischen Regierung bekommen in vielen Fällen weniger Mittel.
So wurden etwa die Gelder für Bolivien gekürzt. Doch dabei blieb es nicht: Auf seiner Südamerika-Reise hatte Entwicklungsminister Dirk Niebel ein ganz besonderes Geschenk für Boliviens Präsident Evo Morales im Gepäck: ein Original-Bruchstück der Berliner Mauer. Er überreichte es ihm, so wörtlich, “in Erinnerung an die Überwindung von 40 Jahren sozialistischer Diktatur”. Morales ist zwar demokratisch gewählt, jedoch ist seine Politik eher links ausgerichtet – es gab sogar Verstaatlichungen (worüber Niebel auch gleich seine Besorgnis äußerte). Das ist natürlich zu viel für den überzeugten Neoliberalen Niebel, so dass er offenbar gar eine offene Beleidigung und Brüskierung für gerechtfertigt hielt. In Bolivien traf sich die deutsche Delegation dann auch noch mit zahlreichen Vertretern der rechten Oppositionsparteien.
In Peru dagegen traf man sich nicht mit der Opposition. Kein Wunder, handelt die Regierung dort doch auch getreu dem marktradikalen Dogma und ist ein treuer Verbündeter der EU und der USA. Folglich hat Deutschland ihr bis Ende 2011 bis zu 200 Millionen Euro zugesagt. Schwerpunktthemen der beiden Besuche waren laut Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Bolivien die Verstaatlichung von Unternehmen, gegen die sich Deutschland wendet, in Peru, “dem Schwerpunktland deutscher Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika”, war es die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft. (more…)
Die Bundesregierung hat leider kein Geld mehr übrig. Jedenfalls kein Geld für eine Hartz-IV-Sätze, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genügen. Und auch kein Geld für die Bekämpfung von Hunger und Armut auf der Welt, und für die Erfüllung der übrigen Milleniumsziele der UNO. Dafür sei kein Geld da, heißt es lapidar aus dem Kanzleramt. Klar, denn das Geld wurde ja viel dringender benötigt: für Günstlingswirtschaft und Klientelinteressen, für Bankenrettungen und Staatsgarantien, für Subventionierungen und Gewinngarantien, von der Atomindustrie über die Pharmakonzerne bis hin zu Hoteliers. Nun ist die Kasse eben leer – so wie es die Neoliberalen immer gewollt haben. Bei den Ärmsten der Welt wird nun gespart.
Vor 10 Jahren hatten sich alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verbindlich auf die sogenannten Milleenniumsziele zur Verringerung der globalen Armut geeingt, die bis 2015 erreicht werden sollten. Der jetzige Zwischengipfel war eine einzige Enttäuschung. Die meisten versprochenen Ziele werden so nicht erreicht werden können. So werden die Halbierung Zahl der Menschen, die von unter 1,25 Dollar am Tag leben, die Halbierung der Zahl der Hungernden, die Reduzierung der Sterblichkeit von Müttern, die Grundschulbildung, die Bekämpfung von AIDS und anderen Krankheiten, der Zugang zu Sanitäranlagen, die Gleichberechtigung und die Höhe der Entwicklungshilfe der Industrieländer wohl kaum erreicht werden. Teilerfolge sieht man lediglich bei der Reduzierung der Kindersterblichkeit und dem Zugang zu sauberem Wasser (Schweizer Fernsehen: Acht UNO-Ziele sollen bis 2015 umgesetzt sein, via Erlkönig). Das ist der sehr ernüchternde Stand bisher. Und die Zukunft bietet wenig Hoffnung auf Besserung. In der Abschlusserklärung des Millenniumsgipfels 2010 gab es keine konkreten Verpflichtungen oder finanziellen Zusagen. (more…)
Ein internationales Netzwerk aus Nichtregierungsorganisationen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Gruppen hat eine weltweite Internet-Unterschriftenkampagne (gerichtet an die Staats- und Regierungschefs der G 20) für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, einer Umsatzsteuer auf den Handel mit Finanzvermögen, gestartet. Auf steuergegenarmut.de kann man die Kampagne unterschreiben.
Eine, wie ich denke, absolut unterstützenswerte Aktion. Eine derartige Steuer würde durch eine Eindämmung von Spekulationstätigkeiten das Finanz- und Wirtschaftssystem stabilisieren helfen. Und, wie im Video dargstellt, würden schon bei einer Höhe der Steuer von 0,05 Prozent pro Geschäft Einnahmen von über 100 Milliarden Euro pro Jahr zusammenkommen. Mit diesem Geld könnte man sehr viel gegen die weltweite Armut, gegen Hunger und Elend, gegen Umweltverschmutzung und Klimawandel beitragen.
Dirk Niebel hatte als neuer Chef des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einen unglaublichen Fehlstart hingelegt. Westerwelles marktradikaler Schoßhund, der immer dann von der Leine gelassen wurde, wenn Guidos Tonfall noch zu wenig schrill, noch zu nüchtern und noch zu sachlich erschien, und sich dann als überaus aggressiv und beißwütig entpuppte, übernahm damit ausgerechnet das Ministerium, für dessen Abschaffung er sich zuvor energisch eingesetzt hatte. Von der fachlichen Kompetenz gab es wohl selten einen Minister, der unqualifizierter war – und sicher keinen, dem sein Ressort so wenig am Herzen lag. Er selbst gab auch zu, “Neuling zu sein” auf diesem Gebiet. So kann man es natürlich auch ausdrücken.
Die ersten Schritte: Hilfsorganisationen drohen, von Spenden abraten, Aufgaben umdefinieren
Und dann ging es los. In den ersten Monaten seiner Amtsführung hat er wohl mehr in einem Ministerium kaputt gemacht als irgend jemand anderes zu vor. Er machte sich mit diversen Drohungen gegen Hilfsorganisationen nahezu alle entwicklungspolitischen Akteure zum Feind – so wollte er etwa Hilfsorganisationenin Afghanistan keine finanziellen Mittel mehr zukommen lassen, wenn sie nicht mit dem Militär kooperieren. Er trat strikt gegen eine Finanzmarktsteuer ein – deren Einnahmen den Entwicklungsländern zu Gute kommen würden. Erst im Januar besuchte Niebel zum ersten mal Afrika – und brachte außer ein paar Fotos, auf denen er mit seiner Militärmütze und der vollverspiegelten Sonnenbrille keine allzu guten Assoziationen hervorbrachte, nicht viel zu Stande. Nach dem Erdbeben in Haiti riet er davon ab, zu spenden.
Er führt in vielem die neoliberale Politik der Washington Consensus-Ära fort, die wegen ihrer verheerenden Auswirkungen selbst bei Weltbank und IWF inzwischen größtenteil in Verruf geraten sind. Und dann polterte er, sein Ministerium sei “kein Weltsozialamt” – er versteht seine Aufgabe in allererster Linie in der Förderung der deutschen Wirtschaft. Neben der Rüstungsindustrie kommt dabei auch etwa die Pharmaindustrie gut weg.
Weniger Entwicklungshilfe: Versprochen, gehalten!
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14 Millionen Euro aus dem Entwicklungsetat stellte er für den Ankauf deutscher Impfdosen zur Bekämpfung der Schweinegrippe in Afrika zur Verfügung – als ob es keine dringenderen Probleme oder eine sinnvollere Verwendung für das Geld gegeben hätte, wendeten etwa Brot für die Welt und die Diakonie Katastrophenhilfe ein.
Niebel hatte im Bundestagswahlkampf eine Senkung der Entwicklungshilfe gefordert – und es nun wahrgemacht. Als eines der wenigen Industrieländer löst Deutschland seine finanziellen Zusagen an die Entwicklungsländer nicht ein, beklagt die OECD. Statt 0,51 % stellt es nur 0,4 % seines BIP zur Verfügung. Damit wird man kaum die Zusagen zu den UN-Milleniumszielen einhalten können.
Niebels Ministerium: Parteiloyalität kommt vor Kompetenz
Zudem hat Niebel in seinem Ministerium einen bisher beispiellosen personellen Kahlschlag vollzogen. Fast alle leitenden Posten des Ministeriums wurden mit durchweg unerfahrenen FDP-Parteikadern, vornehmlich Lokal- und Landespolitikern (fachlich oft im Bereich Mittelstandsförderung) besetzt. Die Fachkompetenz fast aller tendiert gegen den Nullpunkt – wie bei ihrem Chef. Vor den Mitarbeitern sagte Niebel offen: “Loyalität kommt vor Fachlichkeit”. Selbst der Personalrat des Ministeriums beklagt jetzt, dass mit nunmehr zehn externen Besetzungen in kurzer Zeit die Grenze erreicht sei, und, ganz diplomatisch ausgedrückt, die institutionellen Kenntnisse und fachlichen Erfahrungen der Mitarbeiter nicht ungenutzt bleiben dürften. Von strategischen Beratungen werden die Fachleute ausgeschlossen, das Besprochene bleibt innerhalb eines Klüngels enger Vertrauter. Und selbst den wissenschaftlichen Beirat des Ministeriums hat Niebel stillgelegt und will ihn auflösen.
Hauptmann Niebels Nebenverteidigungsministerium
Niebel ersetzt durchweg kompentente Mitarbeiter durch ihm treu ergebene, aber weder entwicklungspolitische Erfahrungen noch Kenntnisse aufweisende Freunde aus der Partei – und “Kameraden” aus dem Militär. Denn nun will Niebel einen alten Bundeswehrkumpel, nämlich den Oberst, der ihm die Deinstschlaufen anlegte, als er zum Hauptmannd der Reserve befördert wurde, zum Abteilungsleiter machen – das Haus brauche mehr Militärkompetenz. Die Militarisierung der Entwicklungspolitik soll jetzt auch personell vollzogen werden. Beide Staatssekretäre und bald sämtliche Abteilungsleiter sind nun ehemalige Parteifunktionäre und Niebelvertraute – nur einer fehlte noch, und das ist eben dieser Posten (Abteilung 03). Doch es kommt noch mehr hinzu: dieser Oberst, Friedel H. Eggelmeyer, war Kommandeur eines Panzerbataillons, das Wehrmachtssymbole als Verbandsabzeichen verwendet. Die “braune Palme” sei “dem Wappen des Panzerregiments 5 des Deutschen Afrika-Korps entlehnt” und solle die Nähe zum Afrika-Corps der Wehrmacht symbolisieren, gibt der “Freundeskreises Panzerbataillon 33” offen zu. Dieser wurde 1989 von Eggelmeyer zusammen mit ehemaligen Wehrmachtssoldaten gegründet. Und ausgerechnet dieser Oberst soll zukünftig auch noch für die Gebiete Afrika und Naher Osten zuständig sein – ein deutlicheres Zeichen wäre wohl kaum denkbar gewesen.
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Das BMZ als FDP-Geschäftsstelle
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Die Ereignisse der letzten Tage lösen auf allen Seiten der Politik deutliche Kritik aus. Claudia Roth (Die Grünen) warnt davor, das BMZ zu einer “FDP-Geschäftsstelle” und einem “Auffangbecken für alte FDP-Freunde und Bundeswehr-Kameraden” zu machen, es dürfe keine Klientel-Bedienungsanstalt für den ehemaligen FDP-Generalsekretär werden. Heike Hänsel (Die Linke) bezeichnet Niebel als “Rambo der Entwicklungszusammenarbeit”.
“Bei der FDP werden jetzt viele so lange befördert, bis sie die höchste Stufe ihrer Inkompetenz erreicht haben”, beklagt Sascha Raabe (SPD) die Schaffung von Versorgungsposten. Und selbst CDU und CSU mahnen, man dürfe nicht alle Experten durch persönlich Vertraute ersetzen.
Entwicklungspolitik als Niebelsache
Es ist besonders traurig, dass gerade eine Institution, die ja den Allerbedürftigsten auf der Welt helfen soll, von einem verkommenen Haufen von eitlen Berufskarrieristen, die auch nicht den geringsten Hauch von ethischen Überzeugungen bestitzen, für ihre Vetternwirtschaft missbraucht wird. Niebel ist jede Entwicklungshilfe egal, das hat er immer klar gesagt. Er ist der personifizierte Stinkefinger, der sich den Entwicklungsländern entgegen reckt. Und nachdem er es nicht geschafft hat, dass Entwicklungsministerium und möglichst auch die Entwicklungshilfe komplett abzuschaffen, nutzt er es jetzt, um ein bisschen den deutschen Mittelstand, die deutsche (Rüstungs-) Industrie und die Bundeswehr zu fördern – und als Versorgungspostenlieferant für unqualifizierte FDP-Karrierekader. Versorgungskumpanei und Seilschaften statt Entwicklungspolitik und Hilfe für die Ärmsen der Welt. Er hat es geschafft, jegliche Expertise und Unabhängigkeit aus den oberen Ebenen seines Ministeriums zu beseitigen. So kann man unbehelligt von störendem Fachwissen den neu gewählten Aufgaben nachgehen. Die meisten Wähler stört es ja nicht weiter. Und wenn weltweit Not und Hilfsbedürftigkeit wachsen, ist das für ein Entwicklungsministerium unter FDP-Führung auch nebensächlich, wenn man gerade einen guten Deal für die Privatwitschaft abgeschlossen hat – denn wozu ist man sonst da? So sieht Entwicklungspolitik aus, wenn sie zur Niebelsache geworden ist. Dirk Niebel ist wohl der unfähigste Minister in der Gechichte der Bundesrepublik. Und vielleicht ist er auch der gewissenloseste.
Dirk Niebel macht in seiner Antrittsrede als neuer Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung klar, warum er genau der Falsche für diese Aufgabe ist.
Zunächst erhält seine Antrittsrede neben reiner Lobhudelei auf die Vergangenheit der Liberalen (in erster Linie lobt er den Sozialliberalen Walter Scheel, dessen Politik mit der der heutigen FDP aber freilich nicht mehr viel zu tun hat) sowieso Phrasen und Floskeln gleich die untertänige Versicherung, keine “Nebenaußenpolitik zu betreiben”. Man will dem Chef Westerwelle ja nicht die Show stehlen. Es wird dabei niemand vergessen, dass einer der größten Gegner der Eigenständigkeit des Entwicklungsministeriums, der nie einen Hehl daraus machte, dass er das Ministerium für überflüssig wie einen Kropf hielt und dieses noch im Wahlprogramm der FDP auflösen wollte, nun ausgerechnet dieses Ministerium erhält. Der Spiegel schreibt dazu im Artikel “Guidos Großmaul” (Spiegel 45/ 2009, 2.11.2009, S. 28) “mehr Verlogenheit gab’s selten”. Aber auch der Tonfall von Niebels Rede klingt gleich ein wenig merkwürdig an:
Ich versichere Ihnen, dass wir durch Auflösung von Doppelstrukturen in der Regierung und der Durchführung unsere deutsche Schlagkraft im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit erhöhen werden.
“Unsere deutsche Schlagkraft”… gehört diese Rhetorik nicht eher in den Bereich des Verteidigungsministeriums, dass neuerdings ja auch offiziell wieder Kriege führt? Ein besserer Ort für den Hauptmann der Reserve Niebel wäre dieses allemal. Hier kommt auch wieder mal die unterschwellige Deutschtümelei durch, die Niebel in der Vergangenheit öfters durchblicken ließ, wenn er sich immer wieder für Senkungen der Entwicklungshilfe aussprach unter dem Argumentionsgang “das Geld brauchen wir hier doch viel eher! Wir müssen zuallererst an uns denken!” Wenn mal etwas Inhaltliches in der Antrittsrede anklingt, so zeugt dies fast ausschließlich davon, dass die Neoliberalen aus der Vergangenheit der Entwicklungszusammenarbeit gar nichts gelernt haben:
Liberale Maßstäbe sind dabei auch die Stärkung der Eigenverantwortung und der Selbsthilfekräfte und die intensive Zusammenarbeit mit den Kirchen, mit den Stiftungen und den Nicht-Regierungsorganisationen, aber eben auch mit der deutschen Privatwirtschaft. (…)
Die Stärkung guter Regierungsführung ist entscheidend für uns, weil die Hauptursache für den Misserfolg von politischen Reformen und Strukturanpassungsprogrammen der Widerstand nationaler Eliten ist.
Wenn die FDP ihr Klientel in der Privatwirtschaft mal dazu bringen würde, nicht ganz so lächerlich geringe Beträge in die Entwicklungshilfe zu investieren, wäre dagegen natürlich nichts einzuwenden. Was dies aber bedeuten soll, ist ebenso klar wie “die Stärkung der Eigenverantwortung und der Selbsthilfekräfte”: jeder ist für sich selbst verantwortlich. Die Entwicklungsländer sind an ihrer Lage selber schuld, und sie müssen sich selber aus ihr befreien. Das wird noch deutlicher im zweiten Zitat. Die FDP glaubt tatsächlich an die neoliberalen Strukturanpassungsprogramme der Washington Consensus- Ära, die auch von früher einmal überzeugten marktradikalen Vertreter der Bretton Woods- Organisationen inzwischen als Makel der Vergangenheit wahrgenommen werden. Die Strukturanpassungsprogramme haben zu mehr Armut und Ungleichheit geführt. Wenn die FDP dies bestreitet und sogar zu diesen zurück will, offenbart sie, dass ihr Entwicklungspolitik nicht nur egal ist, sondern dass sie schädlich für diese ist. Und, ich muss sagen, ich bin nicht wirklich stolz darauf, dass sich meine Befürchtungen bezüglich Strukturanpassungsprogrammen und Good Governance-Kriterien (auch wenn diese in bestimmten Fällen und als Wahrung der Menschenrechte – statt als wirtschaftsliberale Vorschriften – natürlich durchaus sinnvoll sein können, siehe auch unter dem verlinkten Post) zur Entwicklungspolitik der FDP bestätigt haben:
Man kann sich wohl, ohne der FDP Böses zu wollen, vorstellen, dass auch sie wirtschaftliche „Anpassungsmaßnahmen“ (wieder) stärker zur Bedingung für die Vergaben von Entwicklungshilfe machen will.
Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte Unrecht gehabt und die FDP hätte wenigstens ein kleines bisschen Einsicht gezeigt. Wenigstens sieht Niebel noch ein, dass er ein Anfänger ist. Wenn die neue Bundesregierung aber jemanden, der eine Aufgabe als überflüssig ansieht und von ihr keine Ahnung hat, mit gerade dieser betreut, zeigt sie ihre Geringschätzung für diese Aufgabe. Und sie zeigt, was ihr wichtiger ist: Sachpolitik oder Machtpolitik. Hilfe für die Menschen in den Entwicklungsländern oder Versorgungsgebaren für die politsche Elite. “Ein besonders krasser Fall von Postengeschacher”, wie der Spiegel im erwähnten Artikel schreibt. Und er zeigt, dass Niebel nicht allein ist in dem Ministerium, welches er noch vor kurzem am liebsten niemals wieder gesehen hätte, sondern dass er so viele Parteifunktionäre wie kaum ein Minister zuvor mit Posten an seinem neuen Arbeitsort versorgt hat.
Was aus alledem folgt, ist klar: die Entwicklungspolitik hat sich zur Residenz der Versorgungsposten, zum ultimativen Ort des verlogenen parteipolitischen Postengeschachers, zum kleinsten Chip im großen machtpolitischen Pokerspiel entwickelt. Sie wird zu Nebensache. Zur Niebelsache.
Dass die FDP die Entwicklungshilfe senken und das Entwicklungsministerium abschaffen will und die Art, wie dies verkauft wird, steht in der Tradition neoliberaler Politik: die Schwachen gegen die Schwächsten auszuspielen, um von der eigenen Politik abzulenken: der gezielten Umverteilung von unten nach oben.
FDP will Abschaffung des Entwicklungsministeriums – Entwicklungshelfer warnen
Die FDP beharrt bei den Koalitionsverhandlungen mit den Unionsparteien weiterhin auf der Auflösung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und seiner Integration in das Außenministerium. Die Begründungen dafür fallen abenteuerlicher denn je aus:
“Einen Prestigegewinn für unser Land bedeutet ein eigenes Entwicklungsministerium nicht. Im Ausland entsteht gelegentlich eher der Eindruck, dass die Deutschen dumm sind, und sich ausspielen lassen, oder noch schlimmer: dass die Deutschen mit gespaltener Zunge reden”, sagt Hellmut Königshaus, Sprecher der FDP für wirtschaftliche Zusammenarbeit. “Das muss aufhören, das gefährdet das deutsche Ansehen. Deswegen gehört das BMZ in das Außenministerium.”
Es fällt sogar schwer nachzuvollziehen, was er überhaupt damit meint (von wem sich ausspielen lassen?). Dass CDU und CSU gegen eine Auflösung des Entwicklungsministeriums sind, weil sei es gerne besetzen wollen, sind zwar die falschen Motivationen, aber für das richtige Ziel, da gute Gründe gegen eine Auflösung des Ministeriums sprechen. Nicht umsonst sprechen sich alle Experten und in der Entwicklungshilfe Aktiven vehement gegen diesen Schritt aus und fürchten, dass die Entwicklungspolitik so als eine “Politik zweiter Klasse” künftig nur noch eigenen außenwirtschaftliche Interessen dienen solle.
Neue Linie der Entwicklungspolitik: zurück zum Marktradikalismus?
Auch eine Rückkehr zur Politik unter der stark neoliberalen Washington-Konsensus-Ära wird befürchtet: Deutschland könnte wirtschaftlichen Druck auf Entwicklungsstaaten ausüben und sie zu weiteren Marktliberalisierungen erpressen. Dass diese Politik nicht zielführend ist und größere soziale Schäden verursacht und zu mehr Armut und Ungleichheit geführt hat, als sie geholfen hat, wurde inzwischen sogar von der Weltbank eingesehen. Nur zu den deutschen Neoliberalen scheint diese Erkenntnis noch nicht durchgedrungen zu sein.
“Wichtigstes Ziel der Europäischen Union muss es sein, einen freien Marktzugang für Dienstleistungen und Industriegüter in den Schwellenländern zu erreichen”, schrieben die Liberalen im Juli 2008 in einer Presseerklärung.
Die entwicklungsbezogenen Wissenschaft neigt aber jenseits von ideologischer Verbortheit vielmehr stark zu der Aussage, dass Protektionismus (Schutz der einheimischen Märkte) seitens der Entwicklungsländer in machen Bereichen anfangs sogar eher sinnvoll sein könne. Viel wichtiger (und langfristig gewinnbringend für beide Seiten) seien dagegen Marktöffnungen seitens der Industrieländer für z.B. Agrar- und Textilprodukte aus Entwicklungsländern.
Senkung der Entwicklungshilfe zur Finanzierung von Steuerentlastungen in Deutschland
Außerdem ist eine Senkung der Entwicklungshilfe (nicht zuletzt, um Steuerentlastungen zu finanzieren) zu befürchten. Philip Rösler meint etwa, dass “Schwellenländer wie China und Indien” keine Entwicklungshilfe mehr benötigten. In Indien leben derweil 44% der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze, wirtschaftliches Wachstum findet zwar in einigen Branchen (Stichwort IT) statt, wirkt sich aber höchst ungleich aus. Es gibt durchaus sehr wohlhabende Bevölkerungsschichten – aber wie gesagt, 44% der Bevölkerung leben in bitterster Armut. Solche Aussagen kann man also nur als billigsten und zynischen Populismus für den deutschen Stammtisch-Michel auffassen. “Sollen wir uns doch erstmal um unsere eigenen Probleme kümmern!” “Wir müssen zuerst an uns denken!” “Wir haben doch selber nichts!” “Erstmal die Steuern senken!”.
Die Politik der Neoliberalen: die Schwachen gegen die Schwächsten ausspielen
Ein beliebtes der Mittel Unterstützer des Marktradikalismus war es immer, die Mehrheit der Gesellschaft gegen bestimmte Gruppen auszuspielen, um von Misswirtschaft, sozialer Ungleichheit und immer weiter gehender Umverteilung von unten nach oben abzulenken: gegen die faulen, arbeitsscheuen Hartz IV- Empfänger, gegen die Linken, gegen die Ausländer, gegen die Muslime – und nun gegen die Menschen aus Entwicklungsländern.
Sie wollen damit z.B. davon ablenken, dass die geplante Steuerpolitik eine kaum (oder nur mit Taschenspielertricks wie den “Schattenhaushalt”) finanzierbare und wirtschaftliche sinnlose Klientelpolitik zugunsten der Besserverdienden, die Sozialpolitik eine Umverteilung der Lasten hin zu den Arbeitnehmern (aktueller Fall: Pflegeversicherung) geplant ist. Und aktuell will man offenbar von manchen Seiten eine Umorientierung der Außen- und der Entwicklungspolitik hin zu einer nationalstaatlich-egoistischen Interessenpolitik : die Entwicklungspolitik soll den eigenen Interessen dienen: den Interessen der Industrieländer und v.a. den Interessen von deren wirtschaftliche und gesellschaftlichen “Führungseliten”, wie sie sich so gerne nennen. Wenn dabei auch etwas Positives für die Entwicklungsländer abfallen sollte, ist das eher ein zufälliger Nebeneffekt.
Alle Politikreiche sollen die Stärkeren noch mehr stärken, und die Schwächeren merken es nicht, weil ja “die Hart IVler” oder “die Ausländer” an allem Schuld sind. Die derzeitige Politik ist alternativlos, und sie ist richtig, das bestätigen ja immer die “unabhängigen Experten”. Und eine Politik, die den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung dient, ist “nicht umsetzbarer Populismus” – so spricht der deutsche Michel den von den Mainstream-Medien lancierten Mietmäulern der Arbeitgeberlobbys oder der Propaganda der Springer-Postillen nach dem Mund.
In relativ vielen Punkte stimmen die Parteien dabei sogar überein. Angesichts sehr vieler sinnvoller Konzepte und Ideen scheint es sinnvoll, sich ein paar problematische oder sogar schädliche anzusehen:
Die CDU lehnt die Agrarsubventionen der Industrieländer für ihre Landwirtschaft nicht ab und betont sogar, dass sie „verstärkt Exportmärkte für die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft erschließen und die Exportoffensive fortsetzen“ will.
Jährlich geben die Industrieländer für Importzölle und Exportsubventionen auf Agrar- und Textilprodukte mit 350 Milliarden Dollar das Siebenfache ihrer Entwicklungshilfe aus. Durch Exportsubventionen werden die hohen Preise auf oder unter das Weltmarktpreisniveau gesenkt, sogar bis um mehr als ein Drittel unter den Produktionskosten. Die Zollschranken der Industrieländer für Exporte aus Entwicklungsländern sind 4 mal höher als für Exporte aus anderen Industrieländern. Der Protektionismus der Industrieländer kostet die Entwicklungsländer nach IWF- und Weltbankschätzungen mit 100 Milliarden Euro doppelt so viel, wie sie an Entwicklungshilfe von ihnen erhalten.
Die CDU setzt sich ebenfalls für weiterhin strenge Patentregelung ein.
Die Entwicklungshilfe will die CDU an Good Governance-Kriterien und die Einhaltung der Menschenrechte knüpfen. Dies erscheint v.a. im Bereich der Budgethilfe sinnvoll, aber: CDU und FDP sind eher gegen die Budgethilfe.
CDU und SPD wollen eine starke Rolle der G-8 bei der Steuerung der Globalisierung behalten.
Die Zusage, 0,7 Prozent des BNE für Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen, findet sich überall, bei CDU, FDP und Linke fehlt jedoch das (bereits zugesagte) Zieljahr 2015. Besonders bei der FDP wird mit der Aussage, die „Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit stärker in den Mittelpunkt stellen zu wollen als die Höhe der Gelder“ deutlich, dass eine Erhöhung der Entwicklungshilfe wohl nicht zu erwarten wäre.
Die FDP lehnt innovative Finanzierungsinstrumente für Entwicklungshilfe ab, die CDU äußert sich dazu nicht.
Die Erlöse aus dem Emissionshandel will die FDP nicht in den Klimaschutz und die Entwicklungszusammenarbeit investieren, sondern mit ihnen die Senkung der Stromsteuer finanzieren.
Außerdem ist die FDP als einzige Partei für die Abschaffung des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Die Linke will regionale Märkte in Entwicklungsländer stärken. Für einige Länder kann dies der richtige Weg sein. Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass offene und weltmarktorientierte Entwicklungsländer höhere Wachstumsraten des Pro-Kopf-Einkommens haben als geschlossene.
Vergleicht man die Positionen der Parteien zu denen, die seitens der Wissenschaft und seitens der Zivilgesellschaft, wie etwa durch Nichtregierungsorganisiationen wie VENRO zum Ausdruck gebracht werden, so ergibt sich, dass die CDU aus entwicklungspolitischer Sicht nicht wählbar ist. Gerade die Existenz hoher Agrarsubventionen des Nordens ist zweifelsohne ein gravierende Entwicklungshemmnis für den Süden, und nur die CDU besteht aus Klientelinteressen darauf.
Die FDP unterstreicht dadurch, dass sie das BMZ abschaffen und nicht mehr Gelder bereitstellen will, dass die Entwicklungspolitik keine ihrer Prioritäten darstellt, auch sie erscheint hinsichtlich ihrer entwicklungspolitischen Vorstellungen kaum wählbar.
Welche Forderungen kann man aus entwicklungspolitischer Sicht an die zur Bundestagswahl antretenden Parteien stellen? Und wie sehen die Positionen der Parteien zur Entwicklungspolitick aus?
Der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO) hat 10 Forderungen zur Bundestagswahl gestellt. Der Kampf gegen Hunger und Armut, für demokratische Teilhabe, soziale Gerechtigkeit und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gehöre ganz oben auf die politische Agenda einer auf eine demokratische, soziale und ökologische Gestaltung der Globalisierung ausgerichteten Politik, so VENRO. Die Forderungen (die auch näher spezifiziert und konkretisiert werden) sind:
Die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise für die Armen mindern
Versprechen halten – Mehr und bessere Entwicklungszusammenarbeit
Hunger bekämpfen – Welternährung sichern
Klimawandel stoppen
Gerechtigkeit im Welthandel
Gesundheit und Bildung für alle
Frieden und Sicherheit schaffen, Krisenprävention ausbauen, die Unabhängigkeit der humanitären Hilfe sichern
Rolle der Frauen stärken und Geschlechtergerechtigkeit schaffen
Solidarität und Kompetenzen im Umgang mit der Globalisierung stärken
In der Studie Sie haben die Wahl! Entwicklungspolitische Positionen der Parteien zur Bundestagswahl 2oo9 von VENRO und der Aktion ” Deine Stimme gegen Armut” wird untersucht, welchen Stellenwert und welche Rolle die Parteien der Entwicklungspolitik geben. Schwerpunkte der Untersuchung sind: Ziele der Entwicklungspolitik, mehr und bessere Entwicklungszusammenarbeit, globale Wirtschafts- und Finanzkrise, gerechter Welthandel und der Klimawandel. Betrachtet werden CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und Die Linke.
Die dafür analyierten Wahlprogramme der Parteien zur Entwicklungspolitik und die Antworten der Parteien auf einen Fragenkatalog finden sich auf dieser Seite, und dort gibt es auch Vorschläge, was man zur Bundestaggswahl gegen Armut tun kann, sowie verschiedene Materialien und Links zum Thema.
Bei Deine Stimme gegen Armut gibt es ebenfalls einen Entwicklungspolitischen Wahlhelfer, ähnlich dem bekannten Wahlomaten, bei dem man Aussagen zur Entwicklungspolitik zustimmen, ablehnen oder auch überspringen kann. Die Antworten werden mit den Programmen der Parteien verglichen und die Übereinstimmung festgestellt. Jedoch werden dort nur 10 Fragen gestellt, und es kann auch gefragt werden, ob diese die wichtigsten Punkte abdecken. Eine Kritik zu dem Wahlhelfer gibt es auch im Blog der Rheinzeitung.
Die Spitzenkandidaten Steinmeier, Trittin, Gysi und Westerwelle haben sich, im Gegensatz zu Angela Merkel, die Zeit genommen, 12 Fragen der Entwicklungshilfeorganisation One zu Afrika zu beantworten. In vielen Punkten gibt es Gemeinsamkeiten, doch auch ein paar Unterschiede. Ich möchte hier zwei Punkte aufzeigen, zu denen, hier examplarisch an den Parteien, verschiedene Konzepte bestehen. Erstens: soll Entwicklungspolitik (in erster Linie) eigenstaatlichen Interessen dienen? Und zweitens: wie soll man mit verbrecherischen Regimen umgehen?
Dass Guido Westerwelle hervorhebt, dass Entwicklungszusammenarbeit auch dem Eigennutz dient
Das falscheste Vorurteil über Entwicklungszusammenarbeit ist, …
Guido Westerwelle (FDP): “… dass wir keinerlei eigenes Interesse an der Hilfe hätten. Mehr Wohlstand und mehr Stabilität bei unseren Nachbarn nutzt auch uns.”
gehört wohl zur Ideologie. Warum etwas tun, wenn es einem nicht selbst nutzt? Wenn jeder egoistische handelt, geht es wie von Zauberhand (oder zumindest durch die unsichtbare des Marktes) allen am besten. Kennt man ja alles. Immerhin sind die Liberalen nicht dafür, die Entwicklungshilfe komplett abzuschaffen. Muss man ja heute schon froh sein.
Gregor Gysi greift dieses Thema auch auf, jedoch von der anderen Seite,
Gregor Gysi (Linke): “… dass sie völlig selbstlos und ohne Eigeninteresse der Geberländer geleistet wird. Es stehen meistens die Interessen der reichen Industriestaaten im Vordergrund, wenn es um die konkrete Gestaltung der Zusammenarbeit geht. Ein Vielfaches dessen, was als Hilfe von Nord nach Süd fließt, kommt zurück: über Zinstilgungen, Kapitalflucht, ungerechte Handelsbeziehungen, die den Süden strukturell benachteiligen. Seit Jahrhunderten wird Umverteilung zugunsten des Nordens organisiert. Daran ist viel Entwicklung im Süden gescheitert.”
Sicher zieht Deutschland auch einen Nutzen aus seiner Entwicklungspolitik. Es ist aber auch richtig, einen Egoismus anzuprangern, der in der Weltwirtschaft eben dazu führt, dass der Reichtum vom Süden zum Norden hin fließt, dass Ausbeutung weltweit fortgesetzt wird.
Wie behandelt man Schurken?
Anderseits kann ein Punkt der Liberalen, nämlich gute Regierungsführung und die Einhaltung der Menschenrechte – “Good Governance”-Kriterien – bei der Vergabe von Entwicklungshilfe stärker in den Vordergrund zu stellen, in vielen Fällen sinnvoll sein.
Good Governance ist „The manner in which power is exercised in the Management of country’s economic and social resources for development” (Weltbank). Good Governance, eine gute Regierungsführung, stellt eine Form der Herrschaft da, die den Kriterien Partizipation der Bevölkerung bei der Auswahl der Regierenden, Rechtsbindung der Politik sowie Schutz der Menschenrechte entspricht. Sie steht für eine effiziente Staatsführung, die in verantwortlicher Weise der Sorgfaltspflicht von Regierungen und Behörden bei ihren Tätigkeiten sowie beim Umgang mit ihnen anvertrauten wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Ressourcen nachkommt. Maßstäbe zur Ausübung von Good Governance sind z.B. die Steigerung der Kapazität und Effizienz im Management des öffentlichen Sektors, Verantwortlichkeit der Regierung, Rechtssicherheit oder Transparenz im öffentlichen Sektor. Eine wichtige Rolle spielt der Aufbau und die Teilhabe einer funktionierenden Zivilgesellschaft.
Den krassesten Gegenpunkt dazu stellt etwa die wirtschaftliche Zusammenarbeit Chinas mit Staaten in Afrika dar, die mit Hinweis auf die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten (womit ja immer auch Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in China gekontert wird) und völlig ohne jegliche moralische Skrupel z.B. Waffen an den Sudan oder Simbabwe liefern, die sicherlich zu den furchtbarsten und menschenverachtendsten Regimen der Welt gehören.
Ein Problem aber ist, dass in der von den neoliberalen Ideen des Washington Konsensus beherrschten Vergangenheit von Weltbank und IWF an die Entwicklungsländer für den Erhalt finanzieller Hilfen Bedingungen gestellt wurden, die jedoch fast ausschließlich wirtschaftliche Liberalisierungsmaßnahmen, Privatisierung von Staatsbetrieben und den massiven Abbau von Sozialleistungen (die v.a. die ärmsten Bevölkerungsschichten betrafen) beinhalteten. Diese erzeugten oft gerade neue große Armut. Ziel war die Schaffung eines attraktiven Investitionsklimas für auslädische Investoren, nicht die Bekämpfung von Hunger, keine sozialen, Gesundheits- oder Umweltstandards (diese mussten meist als Investitionshindernisse sogar noch weiter gesenkt werden). Das Good Governance-Konzept wurde vor 20 Jahren entwickelt (Post Washington Consensus/ Stiglitz), erhielt aber erst in den letzten Jahren mehr Einfluss, gegen den Widerstand der neoliberalen Kräfte. Man kann sich wohl, ohne der FDP Böses zu wollen, vorstellen, dass auch sie wirtschaftliche “Anpassungsmaßnahmen” (wieder) stärker zur Bedingung für die Vergaben von Entwicklungshilfe machen will.
Teilweise problematisch erscheint aber auch der Standpunkt der Linken. Selbstverwaltung der Gelder durch die empfangenden Staaten, bei denen das Geberland keine “Vorschriften” für deren Verwendung macht, “ownership”, ist sicher bei den meisten Staaten ein Konzept, das man anwenden sollte. In manchen Fällen kann dies aber eben unterdrückende Regierungen oder korrupte Eliten weiter unterstützen, die Finanzmittel kommen nicht der Bevölkerung zu Gute.
Demokratie und Menschenrechte sollten bei der Entwicklungszusammenarbeit gefördert werden – wenn auch nicht mittels paternalistischer Bevormundung. Eine Miteinbeziehung von gesellschaftlichen Gruppen, wie sie Steinmeier anspricht, erscheint hier durchaus sinnvoll. Den in Armut lebenden Menschen helfen, Zivilgesellschaft und demokratische Kräfte eines Landes zu stärken ohne die Unterdrücker und Ausbeuter ungewollt zu fördern – hier liegt eine Schwierigkeit in der Entwicklungspolitik, zu deren Lösung es immer noch guter Konzepte bedarf.
Die G-8 und weitere Industriestaaten haben am Freitag auf dem G-8-Gipfel in L’Aquila angekündigt, in den kommenden drei Jahren mit 20 Milliarden Dollar die Entwicklung der Landwirtschaft in Afrika zu fördern.
Zunächst ist dies ein richtiger und notwendiger Schritt. Durch die Hilfe können die Produktion der Nahrungsmittel und wirtschaftliches Wachstum angekurbelt werden. Bisher gibt es in Afrika zweifellos zu wenige langfristige Investitionen in die Landwirtschaft. Auch ist in den letzten 20 Jahren der Anteil der Hilfe für Landwirtschaft an der Entwicklungshilfe extrem gesunken. Angesichts etwa der explodierenden Nahrungsmittelpreise und Hungerkrisen aufgrund von Nahrungsmittelspekulationen im letzten Jahr war hier eine Umorientierung unerlässlich.
Man muss jedoch zum einen sagen, dass die angekündigten Geld auf keinen Fall ausreichend sind, was auch etwa die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam beklagt. Das selbst erklärte Ziel, bis 2015 den Anteil der Entwicklungshilfe am BIP auf 0,7 % zu erhöhen, können die Industrieländer damit auf jeden Fall nicht erreichen. Zudem ist es nicht klar, ob es sich um wirklich neues, zusätzliches Geld handelt oder ob die Summe auch durch Umschichtungen in den Haushalten erreicht wird.
Weiterhin darf im Gegenzug zu diesen Leistungen jedoch nicht an der Nothilfe gespart werden. Die weiter steigende Zahl der Hungersnöte, Kriege oder Naturkatastrophen machen immer wieder akute Hilfsleistungen notwendig. Dieses Jahr wird nach Schätzungen der Welternährungsorganisation voraussichtlich die Zahl der hungernden Menschen um weitere 100 Millionen steigen (insgesamt sind dann 1 Milliarde Menschen unterernährt).“Sollen die sterben, bis eine Agrar-Revolution in Afrika Erfolg hat?“, fragt etwa Ralf Südhoff, Chef im Berliner Büro des Welternährungsprogramms (WFP), in der Frankfurter Rundschau (http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/1830657_Die-Nothilfe-jetzt-zu-beschneiden-waere-katastrophal.html).
Es stimmt weiterhin auch, dass die afrikanischen Staaten eine erhebliche Mitverantwortung an ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage haben. Misswirtschaft, Korruption, Vetternwirtschaft sind erhebliche Entwicklungshemmnisse. Die Regierungen der meisten Länder müssen effizienter, verantwortlicher und transparenter handeln. Daher ist es nötig, Good Governance-Kriterien wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschenrechte zu stärken.
Die wichtigste Frage wurde aber auf dem G-8-Gipfel wieder einmal vertagt: die nach den Handelsöffnungen des Nordens für Nahrungsmittel und Produkte aus dem Südens. So ist einer der Hauptgründe für die fehlende Entwicklung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern, dass die Industriestaaten ihre Landwirtschaft massiv subventionieren. Dies führt dazu, dass Bauern aus den Industriestaaten ihre Produkte zu günstigeren Preisen als die einheimischen Bauern in den Entwicklungsländern verkaufen können. So werden dort die lokalen Märkte zerstört. Eine eigenständige Wirtschaft kann sich oft kaum etablieren, da sie mit den subventionierten Dumping-Preisen der Produkte aus den Industrieländern nicht konkurrieren kann. Gleichzeitig fordern die Industrieländer von den Entwicklungsländern eine immer weitere Handelsliberalisierung und Senkung ihrer Schutzzölle. Im Industriesektor etwa werden diese so noch stärker dem internationalen Wettbewerb ausgeliefert, so dass sich dieser kaum entwickeln kann.
Dort, wo er den reichen Ländern der Welt hilft, wird der Freihandel propagiert und gefördert, dort, wo ihnen eventuell (zumindest kurzfristige) Nachteile entstehen könnten, wird er verweigert oder bekämpft. Daran scheint sich auch 2009 nichts geändert zu haben.