Mit der Kopfpauschale in die Zwei-Klassen-Medizin

Union und FDP haben sich in den Koalitionsverhandlungen geeinigt, dass der Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung eingefroren und der Anteil der Arbeitnehmer in einen pauschalen Beitrag von gleicher Höhe unabhängig vom Einkommen bei jedem Versicherten umgewandelt werden soll.

Dazu gibt es einen sehr treffenden Kommentar vom ARD-Hauptstadtstudio:

Das, was Union und FDP da vorhaben, ist nicht nur das Ende der paritätischen Krankenversicherung, einem 126 Jahre alten System, um das uns die halbe Welt beneidet. Es ist vor allem der Ausstieg aus dem Solidarsystem und die endgültige Zementierung der Zwei-Klassen-Medizin.

Schon jetzt ist absehbar, dass die gesetzliche Krankenversicherung in Zukunft chronisch unterfinanziert sein wird. Die Pauschalbeiträge für die Versicherten werden so hoch sein, dass sich jeder, der es kann, in die private Krankenversicherung verabschieden wird. Zurück bleiben die Geringverdiener und diejenigen die so krank sind, dass sie von den Privatversicherungen abgelehnt werden. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen werden dann wohl radikal zusammengestrichen. Zurück bleibt eine Art Rumpf-Absicherung für arme Schlucker.

[Den ganzen Kommentar gibt es als Podcast (Dauer: 2:26) beim Deutschlandfunk und (leicht gekürzt) in Schriftform bei Tagesschau.de.]

Mit kaum einer anderen Maßnahme als der, dass jeder Versicherte, ob Manager oder Müllmann, den absolut gleichen Beitrag bezahlen soll, hätten die Neu-Koalitionäre ihre Verachtung für den solidarischen Sozialstaat mehr demonstrieren können.  Grundlage dessen war seit Bismarck immer, dass jeder gemäß seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit seinen Teil zum Sozialstaat beiträgt, aber auch jeder den gleichen Anspruch auf gleiche Leistungen erwirbt. Mit der Kopfpauschale und dem drogenden Zwei-Klassensystem der Krankenversicherungen wird ein bisheriger gesellschaftlicher Konsens gebrochen, und dies bewusst und gezielt. Es wird wohl nur noch eine Frage der Zeit sein, bis aus Reihen der Neoliberalen die Forderungen nach einer Einheitssteuer aufkommen – und zwar nicht in der Form eines einheitlichen Prozentsatzes, sondern eines einheitlichen Betrages. Das einzig Gute ist, dass in Zukunft niemand Union und FDP mehr glauben wird, dass sie wirklich die Soziale Marktwirtschaft befürworten.

Tatsächlich kommt dieser tiefgreifende Einschnitt in den Sozialstaat aber auch durchaus überraschend. 2005 hatte nicht zuletzt die Forderungen nach einer Einführung einer Kopfpauschale (zusammen mit den Flattax-Vorstellungen von Kirchhof) der Union fast den Wahlsieg gekostet. Und auch innerhalb der Union war diese Forderung höchst umstritten und wohl kaum mehrheitsfähig. Horst Seehofer war aus Protest gegen diese als stellvertretender Unions-Fraktionsvorsitzender zurückgetreten und hatte nach der Wahl auf das Amt des Gesundheitsministers verzichtet. Und war kurz nach der letzten Bundestagswahl noch der Eindruck lanciert worden, soziale Einschnitte würden in einer großen Form ausbleiben und waren auch ein paar soziale Alibi-Maßnahmen beschlossen worden – die aber entweder nicht wirklich den Ärmsten helfen und nur zur Beschwichtigung einer sich vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschicht (Hartz IV-Schonvermögen) oder tatsächlich mit sozialen Leistungen wenig zu tun hatten (einkommensunabhängige Stipendien) – zeigt sich jetzt das wahre Antlitz von Schwarz-Gelb.

Aber selbst aus wirtschaftsliberaler Sicht ist die Kopfpauschale zutiefst unsinnig. Andere denkbare und angedachte Maßnahmen wie eine Verhinderung von Mindestlöhnen oder eine Einschränkung des Kündigungsschutzes bspw. können aus wissenschaftlicher Sicht auch positive Wirkungen haben. und wären eher erwartbare und meiner Meinung nach auch weniger verheerend für den Sozialstaat gewesen. Die Kopfpauschale dagegen hat nur zwei erkennbare Effekte, und beide sind ausschließlich negativ: 1. die finanzielle Besserstellung von Spitzenverdienern und 2. die Abschaffung der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung, womit sich die neue Koalition in den Lobbydienst der privaten  Krankenversicherungswirtschaft stellt.

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