Europäische Lehren für den deutschen Arbeitsmarkt: Flexibilität und Sicherheit sind vereinbar

Das Thema Kündigungsschutz steht seit einigen Jahren hoch in der Debatte um die richtige Arbeitsmarktpolitik. Laut einer Arbeitgeberbefragung der Europäischen Kommission seien in Deutschland der häufigste Grund für Nichtneueinstellungen prozeduale Vorschriften bei der Entlassung. Diese und ähnliche Fakten haben die Debatte um die Reform des Arbeitsrechtes zusätzlich angefacht, bei der der Kündigungsschutz nicht selten im Mittelpunkt steht. Kritiker werfen ihm vor, dass er, entgegen seinem Ziel, Arbeitsplätze zu schützen, insgesamt mehr Arbeitsplätze vernichte.

Bei den Vertretern der neoliberalen Ökonomie ist er gern der Prügelknabe für alle Defizite des deutschen Arbeitsmarktes. Dabei erscheint gerade die in Deutschland verfolgte neoliberale Politik, die statt auf Förderungsmaßnahmen einseitig auf den Abbau sozialer Leistungen und erhöhten Druck gesetzt hat, deutlich weniger erfolgversprechend, als eine Strategie, die Flexibilität des Arbeitsmarktes und eine hohe soziale Sicherheit sowie eine aktive Arbeitsmarktpolitik miteinander kombiniert.

 

Der Kündigungsschutz: Ausgleich zwischen Abeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen

 

Den Kündigungsschutz kann man verstehen als die Menge der rechtlichen Vorschriften, die die Entlassung von Arbeitnehmern regeln. Dies ist möglich durch die Arbeitsgesetzgebung und/ oder durch individuelle oder kollektive Vereinbarungen. Bestandteile des Kündigungsschutzes können etwa Abfindungszahlungen, Abgaben auf Entlassungen, Kündigungsfristen, die Notwendigkeit der Zustimmung zu einer Entlassung durch staatliche Stellen oder eine Pflicht zu vorherigen Verhandlungen mit den Gewerkschaften sein.

Es erscheint, da Beziehungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern asymmetrischer Natur zuungunsten der Arbeitnehmer sind, notwendig, die Risiken weg von den Arbeitnehmerm zu verlagern. Kündigungsschutzregelungen sollen einen Ausgleich zwischen dem Bedürfnis der Firmen, sich sich verändernden Marktbedingungen anzupassen, und dem Interesse der Arbeitnehmer nach Sicherheit ihres Arbeitsplatzes darstellen. Der Kündigungsschutz fungiert in der Theorie wie in der Praxis v.a. als Schutz der Arbeitnehmer vor willkürlichen Entlassungen seitens der Arbeitgeber.

 

Kernpunkte des Kündigungsschutz in Deutschland und in Europa

 

In Deutschland ist der bestimmende Faktor des Arbeitsrechts die arbeitsgerichtliche Praxis der Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes, die teilweise schon eine Art Selbstständigkeit erreicht hat. Hier spielen v.a. die Abfindungen die entscheidende Rolle. Dies hat zu einer starken Ausweitungen von vor der Kündigung geregelten Abfindungsvereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern geführt. Bei befristeter Beschäftigung ist, v.a. seit 2004, ein Trend zu einer starken Flexibilisierung erkennbar.

Im europäischen Vergleich kann man folgende Gruppen zur Typisierung der Staaten hinsichtlich ihrer arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Regulierung unterscheiden:

  1. liberale, angelsächsische Länder zeichnen sich durch eine hohe Lohnspreizung, das Prinzip des workfare state, wenig soziale Sicherheit mit strenger Bedürftigkeitsprüfung bei Sozialleistungen, die sehr niedrig ausfallen, und die staatlichen Förderungen privater Versicherungen aus. Sie haben einen niedrigen Kündigungsschutz, es gelten keine Beschränkungen für Leiharbeit und diese macht einen hohen Anteil der Beschäftigten aus.
  2. Kontinentaleuropa: geprägt durch ein (konservatives) Bismarcksches Sozialversicherungsmodell, eine relativ hohe soziale Absicherung mit relativ hohen Arbeitslosengeldzahlungen und Renten. Bei ihnen kann man oft einen hohen Kündigungsschutz feststellen. All diese Punkte haben in Deutschland in den letzten Jahren freilich deutlich abgenommen.
  3. In Südeuropa gibt es meist nur eine rudimentäre soziale Sicherung. Die Arbeitsmarktpolitik konzentrierte sich stark auf Frühverrentungen. Quasi als Ersatz für die niedrige Sozialfürsorge wurden starke Arbeitnehmerschutzrechte etabliert. Außerdem herrscht ein hohe Arbeitsmarktsegmentation.
  4. Skandinavien/ Sozialdemokratisches Modell: Hier herrscht ein sehr hohes Maß an sozialer Sicherheit mit universalistischen Versicherungen (nach dem Beveridge-Modell) und hohen Sozialleistungen. Es gibt eine starke aktive Arbeitsmarktpolitik und einen hohen Anteil an staatlicher Beschäftigung. Es herrscht geringe Lohnspreizung. Der Arbeitsmarkt ist flexibel. Beim Kündigungsschutz jedoch ist das Bild nicht eindeutig. So haben Schweden und Norwegen einen hohen, Dänemark andererseits hat einen geringen Kündigungsschutz.
  5. Das dänische Modell und teilweise das niederländische (schwächer das schwedische) werden aufgrund ihrer Verbindung von Sicherheit (hohe Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit) und Flexibilität (hohe Arbeitsmarktdynamik) auch dem Flexicuritiy- Modell zugeordnet. Auch die Europäische Kommission tritt für eine Anwendung von Konzepten der Flexicurity ein.

 

Obwohl es in allen Ländern der OECD Kündigungsschutzregelungen gibt, unterscheiden diese sich, v.a. im Hinblick auf die Vorgaben zu befristeter Beschäftigung (bei dieser lassen sich in den letzten 20 Jahren Annäherungstendenzen nach unten hin feststellen).

 

Wirkungen des Kündigungsschutzes

Ein höherer Kündigungsschutz führt empirisch gesehen zu einer längeren Arbeitsdauer und sichert somit die bestehenden Arbeitsverhältnisse. Er kann jedoch auch zu einer steigenden Dauer der Arbeitslosigkeit und damit zu einem steigenden Anteil von Langzeitarbeitslosen beitragen. In Ländern mit niedrigem Kündigungsschutz gibt es in erster Linie Kurzzeitarbeitslosigkeit. Die Arbeitsmarktdynamik wird durch einen hohen Kündigungsschutz geschwächt und die Zugänge zur sowie die Abgänge aus der Arbeitslosigkeit gesenkt, die Beschäftigungsschwelle steigt. Ein hoher Kündigungsschutz (für reguläre Beschäftigung) kann in einer Segmentierung des Arbeitsmarktes und zur Verbreiterung prekärer Beschäftigungsformen zu Lasten schwacher Gruppen resultieren. Er begünstigt die insiders und schadet den outsiders des Arbeitsmarktes.

Es ist aber zu betonen, dass der Effekt des Kündigungsschutzes auf die Arbeitslosigkeit insgesamt nicht eindeutig festzustellen ist (der Effekt ist allenfalls schwach). Auch in der Theorie ist dieser umstritten.

 

Lehren aus anderen Ländern: Flexibilität UND Sicherheit sind möglich

 

Eine Reform des Kündigungsschutzes erscheint als ein notwendiger Schritt, er ist aber nicht als der alleinig ausreichende. Denn insgesamt spricht wenig dafür, dass mit einer weiteren Lockerung des Kündigungsschutzes in Deutschland unmittelbar ein Abbau der Arbeitslosigkeit einhergeht. Denn außerdem sind dazu v.a. aktive Beschäftigungspolitiken und eine effektive Aktivierungspolitik sowie eine bessere berufliche Weiterbildung notwendig. Diese Politiken können dabei auch als Ergänzung zur Sicherung der Arbeitnehmer gegen Arbeitsmarktrisiken gesehen werden. Auch der empirische Vergleich macht deutlich, dass niedrige Arbeitslosigkeit v.a. bei Ländern mit größeren Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitiken und mit weniger Rigidität bei der Arbeitsmarktregulierung vorhanden ist.

Die Balance zwischen den verschiedenen politischen Alternativen zur Regulierung des Arbeitsmarktes, die Elemente wie die Höhe des Kündigungsschutzes, die Höhe des Arbeitslosengeldes und die Art der Arbeitsmarktpolitiken beinhaltet, hängt eng mit den vorhandenen Institutionen, der Geschichte und der politischer Kultur der jeweiligen Länder zusammen. Reformen müssen diese immer berücksichtigen, wenn sie nicht auf den Widerstand der Bevölkerung stoßen und politisch erfolgreich sein wollen.

Neoliberale Reformen in der Richtung der angelsächsischen Staaten erscheinen wenig erfolgversprechend. Soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Fairness dürfen nicht unberücksichtigt bleiben. Und diese sind auch nicht, wie es uns die durch die Talkshows tingelden sich einen wissenschaftlichen Anstrich verpassenden Mietmäuler der Wirtschaftslobby verkaufen wollen, unvereinbar mit wirtschaftlicher Dynamik und Flexibilität.

Das Flexicurity-Modell mit seinen bemerkenswerten beschäftigungspolitischen Erfolgen etwa hat gezeigt, dass auch bei einem niedrigen Kündigungsschutz und einer hohen Arbeitsmarktdynamik eine hohe soziale Sicherheit der Arbeitnehmer gewährleistet sein kann. Sowohl eine hohe Beschäftigungsicherheit mit einer sehr niedrigen Arbeitslosenzahl und einer nur kurzen Dauer der Arbeitslosigkeit, als auch mit hohen Lohnersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit. Außerdem gibt es eine aktive Arbeitsmarktpolitik zur schnellen Wiedereingliederung von Arbeitslosen und äußerst umfangreiche Praktiken der Witerbildung, Qualifizierung und des lebenslangen Lernens zu übernehmen. Will man sich diesem Modell annähern, und vieles spricht dafür, sollte man dies nicht nur im Bereich der Flexibilität tun. Eine Einbeziehung der Dimension der sozialen Sicherheit , die zweifelsohne hohe staatliche (in Skandinavien Steuer-) Mittel erfordern würde, wäre in Deutschland zwar nicht ohne Widerstände durchzusetzen, würde aber wohl auch zu einer Abmilderung der sozialen Spaltung und einer stärkeren Solidarität in der Gesellschaft beitragen.

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