Es gibt Tage, da schreibe ich nur noch, damit die Nachwelt sieht, dass nicht alle so waren.

Mit der heute eilig eingeschobenen Pressemeldung über Lafontaines lange geplante Operation an diesem Donnerstag erhält der Schmierenjournalismus von SPIEGEL, Bunte, FAZ und taz einen besonders abstoßenden Beigeschmack. Ist es etwa verdächtig, dass ein Krebskranker sich beruflich ein wenig zurücknimmt? Dass er nicht auf jeder Sitzung anwesend war? Dass er sich erst nach der Operation Gedanken über die berufliche Zukunft machen will? Manchmal steckt im Privaten zwar in der Tat etwas Politisches – nur selten hingegen steckt im seichten Sumpf des Schmierenjournalismus etwas Wahres und fast nie etwas Politisches. (Der Spiegelfechter)

Und wie zu befürchen war nutzt die Schmierenjournaille selbst eine Krebserkrankung für eine besonders widerliche Variante ihrer Anti-Linken-Kampagne:

Die Süddeutsche macht Lafontaine seine Erkrankung fast zum Vorwurf.

Die Frankfurter Rundschau ist sich nicht zu schade, selbst bei einer Krebserkrankung die Gerüchte über eine angebliche Affäre Lafontaines noch einmal ausführlich zu schildern und sogar als glaubwürdig zu bezeichnen.

Aber, wie war es anders zu erwarten, die ekelhafteste Berichterstattung kommt natürlich von der Bild. Am Anfang des Artikels noch vordergründig neutral, offenbart sie wieder ihr wahres von Hass verzerrtes Gesicht, um alle bekannten Klischees gegen ihren Lieblingsfeind Lafontaine auszupacken. Wie er in der SPD  “die Macht an sich riss”, “putschte”, “wegwarf”, wie “kompromisslos, machthungrig, schlagfertig und populistisch” er sei, dass er seit dem “wegwerfen” “nur noch ein Ziel” gehabt habe: “die Zerstörung der SPD”, dieser “Napoleon von der Saar”.Man kann sich bildlich vorstellen, wie sie bei Springer und Co. die Korken knallen lassen in ihrer gewohneten morbid-menschenverachtenden Häme.

Mir geht es da manchmal auch wie flatter es so schön ausdrückt:

Es gibt Tage, da schreibe ich nur noch, damit die Nachwelt sieht, daß nicht alle so waren.

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Entwicklungspolitik als Niebelsache

Dirk Niebel macht in seiner Antrittsrede als neuer Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung klar, warum er genau der Falsche für diese Aufgabe ist.

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Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dirk_Niebel_5.jpg (Claus-Joachim Dickow unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Zunächst erhält seine Antrittsrede neben reiner Lobhudelei auf die Vergangenheit der Liberalen (in erster Linie lobt er den Sozialliberalen Walter Scheel, dessen Politik mit der der heutigen FDP aber freilich nicht mehr viel zu tun hat) sowieso Phrasen und Floskeln gleich die untertänige Versicherung, keine “Nebenaußenpolitik zu betreiben”. Man will dem Chef Westerwelle ja nicht die Show stehlen. Es wird dabei niemand vergessen, dass einer der größten Gegner der Eigenständigkeit des Entwicklungsministeriums, der nie einen Hehl daraus machte, dass er das Ministerium für überflüssig wie einen Kropf hielt und dieses noch im Wahlprogramm der FDP auflösen wollte, nun ausgerechnet dieses Ministerium erhält. Der Spiegel schreibt dazu im Artikel “Guidos Großmaul” (Spiegel 45/ 2009, 2.11.2009, S. 28) “mehr Verlogenheit gab’s selten”. Aber auch der Tonfall von Niebels Rede klingt gleich ein wenig merkwürdig an:

Ich versichere Ihnen, dass wir durch Auflösung von Doppelstrukturen in der Regierung und der Durchführung unsere deutsche Schlagkraft im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit erhöhen werden.

“Unsere deutsche Schlagkraft”… gehört diese Rhetorik nicht eher in den Bereich des Verteidigungsministeriums, dass neuerdings ja auch offiziell wieder Kriege führt? Ein besserer Ort für den Hauptmann der Reserve Niebel wäre dieses allemal. Hier kommt auch wieder mal die unterschwellige Deutschtümelei durch, die Niebel in der Vergangenheit öfters durchblicken ließ, wenn er sich immer wieder für Senkungen der Entwicklungshilfe aussprach unter dem Argumentionsgang “das Geld brauchen wir hier doch viel eher! Wir müssen zuallererst an uns denken!” Wenn mal etwas Inhaltliches in der Antrittsrede anklingt, so zeugt dies fast ausschließlich davon, dass die Neoliberalen aus der Vergangenheit der Entwicklungszusammenarbeit gar nichts gelernt haben:

Libera­le Maßstäbe sind dabei auch die Stärkung der Eigenverantwortung und der Selbsthilfekräfte und die intensive Zusammenarbeit mit den Kirchen, mit den Stiftungen und den Nicht-Regierungsorganisationen, aber eben auch mit der deutschen Privatwirtschaft. (…)

Die Stärkung guter Regierungsführung ist entscheidend für uns, weil die Hauptursache für den Misserfolg von politischen Reformen und Strukturan­passungsprogrammen der Widerstand nationaler Eliten ist.

Wenn die FDP ihr Klientel in der Privatwirtschaft mal dazu bringen würde, nicht ganz so lächerlich geringe Beträge in die Entwicklungshilfe zu investieren, wäre dagegen natürlich nichts einzuwenden. Was dies aber bedeuten soll, ist ebenso klar wie “die Stärkung der Eigenverantwortung und der Selbsthilfekräfte”: jeder ist für sich selbst verantwortlich. Die Entwicklungsländer sind an ihrer Lage selber schuld, und sie müssen sich selber aus ihr befreien. Das wird noch deutlicher im zweiten Zitat. Die FDP glaubt tatsächlich an die neoliberalen Strukturanpassungsprogramme der Washington Consensus- Ära, die auch von früher  einmal überzeugten marktradikalen Vertreter der Bretton Woods- Organisationen inzwischen als Makel der Vergangenheit wahrgenommen werden. Die Strukturanpassungsprogramme haben zu mehr Armut und Ungleichheit geführt. Wenn die FDP dies bestreitet und sogar zu diesen zurück will, offenbart sie, dass ihr Entwicklungspolitik nicht nur egal ist, sondern dass sie schädlich für diese ist. Und, ich muss sagen, ich bin nicht wirklich stolz darauf, dass sich meine Befürchtungen bezüglich Strukturanpassungsprogrammen und Good Governance-Kriterien (auch wenn diese in bestimmten Fällen und als Wahrung der Menschenrechte – statt als wirtschaftsliberale Vorschriften – natürlich durchaus sinnvoll sein können, siehe auch unter dem verlinkten Post) zur Entwicklungspolitik der FDP bestätigt haben:

Man kann sich wohl, ohne der FDP Böses zu wollen, vorstellen, dass auch sie wirtschaftliche „Anpassungsmaßnahmen“ (wieder) stärker zur Bedingung für die Vergaben von Entwicklungshilfe machen will.

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Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dirk_Niebel_7.jpg (Claus-Joachim Dickow unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte Unrecht gehabt und die FDP  hätte wenigstens ein kleines bisschen Einsicht gezeigt. Wenigstens sieht Niebel noch ein, dass er ein Anfänger ist.  Wenn die neue Bundesregierung aber jemanden, der eine Aufgabe als überflüssig ansieht und von ihr keine Ahnung hat, mit gerade dieser betreut, zeigt sie ihre Geringschätzung für diese Aufgabe. Und sie zeigt, was ihr wichtiger ist: Sachpolitik oder Machtpolitik.  Hilfe für die  Menschen in den Entwicklungsländern oder Versorgungsgebaren für die politsche Elite. “Ein besonders krasser Fall von Postengeschacher”, wie der Spiegel im erwähnten Artikel schreibt. Und er zeigt, dass Niebel nicht allein ist in dem Ministerium, welches er noch vor kurzem am liebsten niemals wieder gesehen hätte, sondern dass er so viele Parteifunktionäre wie kaum ein Minister zuvor mit Posten an seinem neuen Arbeitsort versorgt hat.

Was aus alledem folgt, ist klar: die Entwicklungspolitik hat sich zur Residenz der Versorgungsposten, zum ultimativen Ort des verlogenen parteipolitischen Postengeschachers, zum kleinsten Chip im großen machtpolitischen Pokerspiel entwickelt. Sie wird zu Nebensache. Zur Niebelsache.

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Das Kabinett der Frau Dr. Merkel

Nun steht das neue Bundeskabinett fest. Sachkompetenz spielt diesmal offensichtlich eine noch geringere Rolle denn je. Doch sehen wir uns dieses Kabinett des Schreckens einmal genauer an:

Merkel
Quelle: oparazzi.de unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Bundeskanzlerin Angela Merkel: ist wohl in der Tat wenig überraschend, wird unsere Bundes-Angie weiterhin in unserem Land herumexperimentieren. Von der “ausgleichenden Kanzlerin” wird aber voraussichtlich nicht mehr ganz so viel übrig bleiben – kann sie über die FDP doch endlich das neoliberale Unionswahlprogramm aus dem Wahlkampf 2005 umsetzen. Möglicher Widerstand aus dem Arbeitnehmerflügel der Union (auch wenn es dafür, dass dieser noch besteht weniger Belege als für die Wirkung von Homöopathie gibt) kann man immer Koalitionszwänge anführen. Im Kanzleramt wird es künftig jedoch weniger ruhig zugehen. Ob Pfarrer Hintze als Staatssekretär ihr so viel helfen kann, wird man sehen. Ärger machen wird er auf jeden Fall keinen, genauso wie der neue599px-Pofalla2002

Kanzleramtsminister Ronald Pofalla: Er wird Merkel wie vorher als CDU-Generalsekretär ihr jedes Wort nach dem Mund reden – nur dass es sich bei ihm lustiger anhören und noch mehr leere Phrasen beinhalten wird. Wir dürfen uns alle schon auf die Pressekonferenzen freuen. Die richtige Position also für den Politik-Kalauer-König.

Westerwelle
Quelle: Michael Thurm (www.flickr.com/photos/farbfilmvergesser/) unter creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

Außenminister Guido Westerwelle: Auch wenn FDPler Wolfgang Gerhard nach einhelliger Meinung deutlich größere Kompetenzen auf diesem Gebiet besitzt, wurde dieser von dem Machtpolitiker Westerwelle ja bereits weggeputscht. Auch das Englisch-Kenntnisse für dieses Amt wohl keine notwendige Vorraussetzung sind, hat er hinlänglich demonstriert. Es besteht aber kein Zweifel, dass Westerwelle wie jeder Außenminister in den Meinungsumfragen wieder unter den drei beliebtesten Politikern Deutschlands landen wird – die dreckige Arbeit erledigen andere.

Innenminister Thomas de Maizière: Natürlich wäre hier fast jeder besser als Stasi 2.0-Schäuble. Ob der bisher als Kanzleramtschef für die Geheimdineste zuständige Generalssohn aber wieder die Bürgerrechte achten wird, darf mehr als bezweifelt werden. Die Koalitionsvereinbarungen sehen höchstens vor, dass diese nicht noch weiter eingeschränkt werden.

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Quelle: Dirk Adler (commons.wikimedia.org/wiki/File:Stasi_2.0.png) unter creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Finanzminister Wolfgang Schäuble: Zweifellos die größte Überraschung im neuen Kabinett. Auch wenn er vielleicht nicht die nötige Sachkenntnis für dieses wichtige Amt mitkriegt: er kann wenigstens nicht mehr die Hand an die Bürgerrecht legen (zumindest nicht so einfach). Auch wenn sich Schäuble gesellschaftspolitisch als konservativer Hardliner gezeigt hat, scheint er wirtschaftspolitisch für Unionsverhälntnisse eher gemäßigte Positionen zu vertreten. Eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte dürfte allerdings von ihm kaum zu erwarten sein – auch wenn die Taz titelt: Schäuble überwacht nun Banken. 🙂 Aber dass ausgerechnet Schäuble, der wegen seiner Verstrickungen in die CDU-Schwarzgeld-Affäre die Kanzlerschaft Merkels erst möglich gemacht hat, künftig für die Finanzen von 82 Millionen Deutschen zuständig sein soll, ist in der Tat komisch.

Und auch Merkel kann nicht recht begründen, wie warum man diese Schäuble anvertrauen können soll:

http://www.youtube.com/watch?v=XaWE8K2nRVs

Wirtschaftsminister Rainer Brüderle: Ob der frühere rheinland-pfälzische Minister für Weinbau wirklich als erste Wahl für diesen Posten gelten kann, darf man bezweifeln. Er wird aber zeigen können, wieviel “Wirtschaftskompetenz”, die ja viele Wähler bei der FDP vermuten, wirklich zu finden ist – mit der neoliberalen angebotsorientierten Wirtschaftspolitik der letzten 27 Jahre.

Arbeits- und Sozialminister Franz-Josef Jung: der zweite an der CDU-Sendenaffäre beteiligte in der Ministerriege hat anscheinend im Verteidigungsministerium noch nicht genug Schaden angerichtet, so dass man ihn jetzt auf den Sozialstaat loslässt, um ihm den Rest zu geben.

Was Jung nun zum Arbeitsminister qualifiziere?, wird Merkel in der Pressekonferenz gefragt. Der Kanzlerin fällt spontan keine Antwort ein. “Das ist der, äh, …” Sie schüttelt entnervt den Kopf. Plötzlich wirkt sie müde und abgespannt – und ringt sich dann zu ein paar dürren Sätzen durch: Jung sei ein Mann mit großen und breiten Erfahrungen und genau die brauche man im Arbeitsministerium. Er sei “fachlich” und “menschlich” dazu in der Lage, dieses Amt “mit Leben zu füllen”. (Sueddeutsche.de)

Ob er als höchstens mäßigt begabter Politiker wenigstens das hinkriegt, wird sich zeigen, aber es fängt schon mal gut an. Laut Koalitionsvertrag sollen etwa bestehende Minestlohnregelungen “evaluiert” und befristete Beschäftigungsverhältnisse noch stärker erleichtert werden – ein weiterer Beitrag zur Segmentierung des Arbeitsmarktes und zur Spaltung der Gesellschaft. Selbst das unsägliche Bürgerarbeits-Modell soll “erprobt” werden.

Gesundheitsminister Philipp Rösler: der Bundeswehrstabsarzt, Hobby-Bauchredner und Nachwuchsmarktradikale der FDP hat schon mal mit der Einführung der Kopfpauschale den ersten Schritt zur Abschaffung des Sozialstaates hingelegt. Und dass er die fähig oder überhaupt Willens wäre, den Einzug der Pharmalobby und der privaten Versicherungswirtschaft in das Gesundheitsministerium zu verhindern, würde er wohl selber als schlechte Scherz auffassen. Trotz immer wiederholter Beteuerungen, nicht nach Berlin gehen zu wollen, wird er nun doch an vorderster Front für Partikularinteressen von Ärzten und Apothekern und gegen ein solidarischse Gesundheitssystem kämpfen. Wohl der Minister, der am meisten kaputt machen kann – und wird.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: hier kann man wirklich froh sein, endlich eine exponierte Vertreterin der Bürgerrechte im Justizressort zu haben. Man kann ihr nur wünschen, sich gegen die neokonservativen Hardliner und Überwachungsfanatiker durchzusetzen. Mit Max Stadler als zweiten  verbliebenen Bürgerrechtsliberalen in der FDP hat sie schon mal den richtigen Staatssekretär.

guttenberg
Der neue Obama

Verteidigungsminister Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg: der Baron, Weltmann und Unteroffizier der Reserve wird also zukünftig für Kriege, die keine Kriege sind, zuständig sein. Während Scharping damals als potentieller Konkurrent Schröders damals mit dem Verteidigungsministerposten quasi abgespeist wurde, stellt dies in der Union offensichtlich so etwas wie eine Beförderung dar. Wie Guttenberg seine Mitgliedschaft in diversen Transatlantiker- als auch Neocon-Thin Tanks vereinbaren will, dürfte beim Verhältnis zu den USA interessant werden. Nur eines ist sicher: ob in Geltow, Afghanistan oder im irak: die Frisur wird sitzen.

Umweltminister Norbert Röttgen: der Merkel-Vertraute war bisher nicht als Umweltexperte aufgefallen. Wenn man sich die geplante Umweltpolitik anschaut, dürfte dies unterdessen kein Einstellungshindernis, sondern eher ein -grund sein: Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke, Bau weiterer Kohlekraftwerke.

Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ilse Aigner: aufgrund des CSU-Proporzes wird auch die gelernte Elektrotechnikerin trotz politischem Leichtgewichtes im Amt bleiben. Man hat auch direkt mal beschlossen, die Subventionen für die Landwirtschaft hochzufahren. Klientelpolitik in großem Ausmaß geht also weiter, ebenso bei der Nahrungsmittelindustrie: größere Informationsrechte für Verbraucher sollen verhindert werden.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer als nächster Minister qua CSU-Mitgliedschaft will tatsächlich doch noch die Transport- und Logistiksparte an die Börse bringen (und damit auch der alten Forderung der FDP nach Zerschlagung der Bahn nachkommen). Der Alte Herr pflichtschlagenden Burschenschaft Franco-Bavaria, deren bekanntestes Mitglied Heinrich Himmler war, wird also den Ausverkauf der staatlichen Infrastrukturfortsetzen.

zensursulaFamilienministerin Zensursula von der Leyen hat weder ihr Internetzensurgesetz durchgekriegt noch das heiß ersehnte Gesundheitsministerium bekommen. Wenn man aber sieht, welchen Schaden die von ihr geleitete Koalitionsarbeitsgruppe mit der Einigung auf die Kopfpauschale angerichtet hat, ist Mitleid jedoch eher fern liegend. Bei aller negativen Publicity darf man aber ehrlicherweise nicht vergessen, dass sie in der Familienpolitik durchaus eine für Unionsverhältnisse fortschrittliche Politik betrieben hat.

Sie sollte aber dabei bleiben und nicht weiter Dinge, die deutlich außerhalb ihrer sachlichen Kompetenzen liegen, regeln zu wollen. Jetzt kriegt sie auch die Rentenpolitik, die auf ihrem Weg vom Arbeits- und Sozialministerium ins Gesundheitsministerium und wieder zurück jetzt beim Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angekommen ist.

reiche_eltern_fuer_alleBildungs- und Forschungsministerin Annette Schavan: die Befürworterin von Studiengebühren und ehemalige Geschäftsführerin der katholischen Begabtenförderung Cusanuswerk hat als erste Wohltat auch gleich eine Erhöhung der Zahl der Stipendien für die besten Studenten (wie auch immer das gemessen werden soll) auf 10% der Studenten – in Höhe von 300 Euro, also deutlich unterhalb des BAföG-Höchstsatzes, und natürlich einkommensunabhängig. Ein Schritt gegen die soziale Selektion im Bildungssystem ist dies nicht – Deutschland wird weiterhin das OECD-Land mit dem niedrigsten Anteil an Arbeiterkindern, die studieren, bleiben. Die Honorarprofessorin für Katholische Theologie wird sich außerdem um Wissenschaft und Forschung kümmern – mehr oder weniger.

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Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Dirk_Niebel_4.jpg. Foto von Claus-Joachim Dickow unter creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Entwicklungsminister Dirk Niebel: die zweifelsohne skurrilste Entscheidung. Westerwelles neoliberaler Vorprescher und wohl der marktradikalste unter den Ministern soll einen Bereich übernehmen, in dem er nicht die geringste Fachkompetenz besitzt, in dem es v.a. um internationale Solidarität geht und in dem sich das Versagen des neoliberalen Dogmas (hier in der Form des Washington Consensus) in schlimmsten Formen und selbst für die Weltbank ersichtlich manifestiert hat. Zudem, und das ist das abstruseste, für dessen Abschaffung als eigenständiges Ministerium und die Eingliederung in das Außenministerium er plädiert hat. Zudem setzte sich die FDP für eine Senkung der Entwicklungshilfe ein. Eine Rückkehr zur Erzwingung von Deregulierungen und Privatisierungen in den Entwicklungsländern und andere nicht sinnvolle, wissenschaftlich nicht zu vertretende, aber in der neoliberalen Lehre liegende Maßnahmen werden nicht umsonst von nahezu allen in der Entwicklungshilfe tätigen Organisationen befürchtet. Und der Kampf gegen die weltweite Armut wird einen herben Rückschlag erleiden.

Zu der Berufung von Jung und Niebel schreibt die Süddeutsche:

Die Botschaft, die von diesen beiden Personalentscheidungen ausgeht, kann eindeutiger nicht sein. Der kommenden Bundesregierung ist offenbar egal, wie sie gegenüber den ärmsten Ländern der Welt auftritt. Und ebenso egal ist ihr das Schicksal derer, die auf Hilfe des Staates angewiesen sind.

Wer je geglaubt oder nur gehofft hat, Schwarz-Gelb werde keine Regierung des sozialen Kahlschlages werden, der dürfte jetzt vom Gegenteil überzeugt sein. Eine Regierung, die derart fahrlässig Ministerposten verhökert und verschiebt, darf sich über diesen Vertrauensverlust nicht wundern.

Nicht umsonst ist die verwunderung allenthalben, selbst in der neuen Koalition durchaus positiv gesinnten Medien, groß. Kaum kompetente Fachpolitiker also, geschweige denn auch nur ein einziger, der wenigstens eine einigermaßen arbeitnehmerfreundliche oder soziale Politiklinie vertreten würde. Die meisten Pochen sind Ergebnis eines Macht- und Postengeschachers, in dem unbedingt bestimmte Personen Kabinettsposten kriegen mussten, unabhängig, ob sie auch nur im Geringsten dafür geeignet sind. Dass Inhalte nebensächlich sind, hätte die neue Koalition kaum deutlicher klar machen können.

Analysen des Koalitionsprogrammes gibt es bei Fefes Blog und bei F!XMBR.

Sehe grade, der Oeffinger Freidenker hat auch einen ähnlichen Beitrag geschrieben.

NACHTRAG: Sehr lesenswert ist auch der Kommentar der Süddeutschen: Koalitionsvertrag – Das Manifest der Hornissen

CDU, CSU und FDP werden in den kommenden Jahren einen radikalen Kurswechsel vornehmen. Es geht um die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Bisher gilt, wenn auch schon mit Einschränkungen: Die Gemeinschaft hilft den Schwachen. Wenn schwarz-gelb fertig ist wird gelten: Jeder hilft sich selbst, dann ist an alle gedacht.

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Matschielanti – Totengräber der SPD?

Der Parteivorstand der thüringischen SPD hat beschlossen, Koalitionsverhandlungen mit der CDU statt mit der Linken und den Grünen zu führen.

Die Argumentation dabei erscheint so hanebüchen, dass sie wohl ernsthaft kaum jemand glauben kann: man habe 80% Übereinstimmung mit der CDU (was schon absurd genug ist), und v.a.: die Linke sei nicht vertrauenswürdig gewesen. Erinnern wir uns: obwohl sie einen höheren Stimmenanteil als die SPD hatte, war die Linke bereit, auf das Amt des Ministerpräsidenten von Thüringen zu verzichten. Wenn jemand nicht vertrauenswürdig ist, dann ist es die thüringische SPD, die für einen Politikwechsel angetreten war und nun Geburtshelfer einer weiteren CDU-geführte Regierung werden will.

Der Freitag vermutet derweil andere Gründe als die offiziell angeführten:

Der Sozialdemokrat [Matschie] hat die Sondierungsgespräche mit Linken und Grünen nicht wegen politischer Differenzen scheitern lassen, sondern aus Karrierismus. Matschie hätte in einem rot-rot-grünen Bündnis nie die Rolle spielen können, die er für sich in Anspruch nimmt. Die Tatsache, dass er den Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein offenbar bereits darum gebeten hatte, als Kandidat für das Ministerpräsidentenamt zur Verfügung zu stehen – dann aber nicht einmal die Antwort abwartete, spricht Bände. Hier hat ein Sozialdemokrat seine Partei hinters Licht geführt. Und die Wähler, denen er einen Politikwechsel versprochen hatte.

Und er hofft weiter auf die Basis der SPD Thüringen:

Christoph Matschie hat nichts begriffen. Wenn die Thüringer Sozialdemokraten überleben wollen, müssen sie die CDU-Pläne ihres Landesvorstands stoppen…

Angesichts solcher Positionen kann man daran leider wohl mit einiger Begründung zweifeln:

Kritisch äußerte sich auch Thüringens Juso-Chef Peter Metz – er gehörte zu den 6 der 24 Vorstandsmitglieder, die für Rot-Rot-Grün stimmten. Er sei nach wie vor davon überzeugt, dass die sozialdemokratischen Interessen in einer solchen Koalition besser umgesetzt werden könnten. Metz warnte trotz seiner Vorbehalte vor Schnellschüssen wie Sonderparteitagen, um das Ergebnis zu kippen. “Wir müssen jetzt die Koalitionsverhandlungen abwarten und sehen, wie viel von unserer Programmatik wir dort umsetzen können.” (Spon: Regierungsbildung in Thüringen: Matschies Schwarz-Schwenk entfacht Zorn der SPD)

Wenn nicht jetzt die Zeit gekommen ist, demokratische Mitentscheidung der Parteimitglieder einzuführen, die Hinterzimmer-Geschacher-Politik durch offene Diskussionen und Entscheidungsfindungen zu ersetzen und die Karrieristen und die Agenda-Totengräber der SPD, in deren erster Reihe sich nun Matschie einreiht, zu stoppen, wann dann? Es stimmt:

die Parteibasis hat immer noch alle Werkzeuge zur Hand, eine schwarz-rote Koalition abzulehnen; nutzt sie diese Möglichkeit nicht, ist die Partei in Gesamthaftung zu nehmen. (Spiegelfechter)

Die Thüringer, demnächst die Brandenburger und die Bundes-SPD müssen sich entscheiden, wo sie stehen: für eine baisdemokratische, durch ihre Mitglieder lebende Alternative im Bündnis mit Grünen und Linken – oder für einen opportunistischen Juniorpartner der CDU, von der man ab und zu mal gönnerhaft ein paar Pöstchen zugeworfen bekommt.

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Angie in Trier

Eigentlich wollte ich ja hier etwas über die Wahlkampfveranstaltung der Perle der Uckermark gestern hier bei uns an der wunderschönen Mosel, die sie auch laut eigener Aussage von ihrem Hubschrauber aus bewundern konnte, schreiben.

Das fällt jetzt aber zusehends schwer. Einfach, weil es nichts gab. Nicht, dass einen Unionswähler hätte mitreißen können, nichts, was den unbedarften Bürger überzeugen könnte. Und noch nicht mal etwas, über das man sich aufregen konnte. Keine strittigen Themen, nur Allgemeinplätze und so unklar gehaltene politische Aussagen, dass diesen fast jeder zustimmen würde (nach dem Schema “Wir müssen die Familien stärken!” “Die Finanzmärkte dürfen auch nicht ganz unreguliert sein!”). Und was an CDU-Politik gelobt wurde, war v. a. in der Zeit Adenauer bis Mauerfall zu verorten. Substanz- und Inhaltslosigkeit in einer selbst im Wahlkampf kaum gekannten Form.

Wie man eine Wahlkampfrede halten konnte, hatte Schröder beim Wahlkampf 2005 in Trier gezeigt. Ob man jetzt seine politischen Inhalte gut oder schlecht findet, er konnte zweifelslos die Zuschauer mitreißen. Als Reaktion auf den Auftritt der sich selbst als “Staatsoberhaupt” bezeichnenden Kanzlerin (nicht, dass das etwa der Bundespräsident wäre…)bleibt nur ein ratloses Schulterzucken.

Das einzige, was ich gern gesehen hätte (ich kam etwas zu spät – aber wo beginnt denn so eine Veranstaltung auch bitte pünktlich?), war die Rede des Premierministers unsere Lieblings-Nachbar-Großherzogtums. Schon merkwürdig genug, dass ein ausländischer Regierungschef Wahlkampf für unsere Bundes-Angie macht. Obwohl, Berlusconi z.B. wär mal ziemlich lustig gewesen. Während ihrer Rede stand der Juncker jedenfalls mit nem Bier da. Wenigstens er hatte wohl Spaß.

Ach, und auch unser örtliches Lokalblatt, der Trierische Volksfreund (für die Nicht-Trierer: ja, der heißt wirklich so!) scheint sich jetzt in die CDU-Jubelpresse-Front einzureihen:

Was für ein Kontrast-Programm: Am Montag in Danzig noch ganz Staatsfrau beim 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, war Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch in Trier und Ludwigshafen wieder ganz die CDU-Bundesvorsitzende und als solche mitten im Wahlkampf. (…)

Am Mittwochabend wurde die CDU-Bundesvorsitzende vom christsozialen Nachbarn Jean-Claude Juncker begleitet. Ein gutes Duo: Juncker gab sich gewohnt locker (“Mein Privileg als Ehrenbürger ist es, hier gratis bestattet zu werden”), Merkel dagegen etwas ernsthafter. (…)

Obwohl, aus dem nachfolgenden Bericht im Volksfreund könnte man fast den Eindruck haben, “Angie” sei eine gefährliche Sozialistin und Umverteilerin. Vielleicht hält das ja doch noch CDU-Sympatisanten vom CDU-wählen ab. Dieter Lintz hingegen hat zu Angies Auftritt einen (mal wieder) ziemlich guten Kommentar beim Volksfreund geschrieben.

Auf 16 vor wird unterdessen nur die Rede Merkels nachgebetet wie im Monats-Käseblatt vom CDU-Ortsverein. Da hat man auf dieser Seite schon deutlich besseres gelesen.

UPDATE: Bessere Berichte gibt es dagegen hier und hier.

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Worst of politics

Die besten und schlechtesten Politiker-Zitate gibt es auf polit-bash.org. Man kann dabei die Aussagen von Politikern bewerten, und es werden auch Top- und Flop-Listen erstellt..  Am interesanntesten sind da wohl die schlechtesten unter den schlechten, einfach die grottigsten Aussagen unserer Staatslenker.

Etwa das schon mal erwähnte von Matthias Güldner, Grüne (man kann sich richtig vorstellen, wie er es mit Schaum vor dem Mund in seine Schreibmaschine hämmert):

Die Tatsache, dass diese Community viel Zeit in virtuellen Räumen verbringt, spielt dabei eine große Rolle. Wer Ego-Shooter für Unterhaltung, Facebook für reales Leben, wer Twitter für reale Politik hält, scheint davon auszugehen, dass Gewalt keine Opfer in der Realwelt fordert. Anders kann die ignorante Argumentation gegen die Internetsperren gar nicht erklärt werden (…) Da ist zum Beispiel das Argument, die Sperren könnten umgangen werden. Da haben sich einige wohl das Hirn herausgetwittert. Genauso gut könnte die Tatsache, dass Morde begangen werden, obwohl sie verboten sind, als Argument gegen den Mordparagraphen im Strafgesetzbuch angeführt werden.

Oder von unserer “Perle der Uckermarck”, die die Wertvorstellung unserer Konservativen offenbart, für die das Wort “spießig” wohl eine unangebrachte Verharmlosung wäre:

Merkel
(1)

Die CDU hat seit Jahr und Tag dafür plädiert das an großen Plätzen genau solch eine Videoüberwachung eingesetzt wird. Wenn es die CDU nie…nicht gegeben hätte, dann würden wir heute noch lange Diskussionen mit SPD, Grünen und Anderen führen, darüber ob das nun notwendig ist oder nicht. Das sind aber Dinge, über die darf man nicht diskutieren, die muss man einfach machen. Man darf nicht sagen “ach das ist doch nicht so schlimm”, hier bisschen was weggeschmissen und dort ein angerempelt, hier mal auf dem Bürgersteig gefahren und dort mal in der 3ten Reihe geparkt! Immer so unter dem Motto: “ist alles nicht schlimm”. Ist alles nicht nach dem Gesetz und wer einmal Gesetzesüberschreitungen duldet, der kann anschließend nicht mehr begründen warums irgendwann schlimm wird und irgendwann nicht so schlimm.

Zensursula darf natürlich zensursulanicht fehlen. Von ihr gibt es soviel, deshalb vielleicht mal z.B. zum Laizismus:

So selbstverständlich, wie wir den Kindern die Muttersprache mitgeben, müssen wir ihnen Religion mitgeben.

Angelika Krüger-Leißner, SPD, zu Raubkopien:

In Deutschland ist manches schwieriger als in anderen Ländern. Wir haben starke Grundrechte in unserem Grundgesetz verankert, aber die hindern uns manchmal einfache, klare Lösungen zu finden. Als ich gehört habe, wie die Franzosen das Problem der Piraterie lösen wollen, habe ich mich gefragt, warum wir das nicht hinbekommen.

Auch sehr schön: Hans-Peter Uhl, CSU, über Freiheit und Bürgerrechte:

Was die Chinesen können, sollten wir auch können. Da bin ich gern obrigkeitsstaatlich.

Guenther_Beckstein_2007-04-25
(2)

Natürlich Günther Beckstein, CSU, mit seiner Vorstellung von einer gerechten Justiz und einer kaum gekannten Offenheit:

Killerspiele sollten bei der Strafbewährung in der Größenordnung von Kinderpornografie eingeordnet werden, damit es spürbare Strafen gibt.

Jeder kennt die Erfolgsbilanz. Bei der Schleierfahndung machen wir gerade keine willkürlichen Kontrollen. Ich sage es einmal salopp: Wir kontrollieren diejenigen, die danach ausschauen, als ob sie einer Kontrolle dringend bedürften.

Oder Franz Müntefering, SPD, über Menschenrechte und über Ehrlichkeit:

Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!

Wir werden als Koalition an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair.

Ich bleibe dabei: Dass wir oft an Wahlkampfaussagen gemessen werden, ist nicht gerecht.

Der Klassiker: Gottfried Ludewig vom RCDS, über das allgemeine, gleiche, freihe und geheime Wahlrecht:

Diejenigen, die den deutschen Wohlfahrtsstaat finanzieren und stützen, müssen in diesem Land wieder mehr Einfluss bekommen. Die Lösung könnte ein doppeltes Wahl- und Stimmrecht sein.

Und auch bisher vielleicht unbeachtete Perlen wie von Henner Schmidt, FDP-Chef des Berliner Bezirks Mitte:

“Vor allem Leute, die sonst auch Flaschen sammeln, könnten dann für jede tote Ratte einen Euro bekommen

Bildquellen:

(1) oparazzi.de / http://creativecommons.org/ licenses/by-sa/3.0

(2) Wikipedia (User: Pujanak) / http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en

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George W. Bush hat es geschafft!

bush2Man kann es kaum glauben, aber bei einem Anliegen der Republikaner hat “W.” tatsächlich Erfolg gehabt. Die Einkommensungleichheit in den USA ist größer denn je. Zwei Drittel des gesamten Einkommenszuwachses gingen  zwischen 2002 und 2007 zu Gunsten des reichsten Hundertstels der Bevölkerung, allein 2007 gab es dort einen Einkommenszuwachs von 65%. Das reichste Zehntel besitzt nun die Hälfte des Einkommens (in den 70ern war es noch ein Drittel), das reichste Zehntausendstel 6 Prozent (70er: unter 1%).

Und zu alledem kamen Senkungen der Steuern für die obersten Einkommensgruppen. Eine fast besipiellose Umverteilung. Dagegen wirkte die Präsidentschaft Reagans fast wie sozialistische “Gleichmacherei”.

Mit der Präsidentschaft Obamas wird wohl wieder eine leichte Angleichung einhergehen, so wird erwartet. Sozialprogramme, Steuerentlastungen für den allergrößten Teil der Bevölkerung, Erhöhungen für die absolute Spitzengruppe: es ist klar, die Neokonservativen fühlen sich bedroht. Und sie schlagen zurück.

Welche Macht siebush3 inzwischen wieder erlangt haben, zeigt sich u.a. bei der derzeitigen Debatte um die Gesungheitsreform. Menschen, die es “böse” finden, wenn man dafür sorgen will, dass über 40 Millionen Bürger endlich eine Krankenversicherung bekommen – wäre es nicht in jedem anderen Land der Welt andersherum? Woran Clinton einst scheiterte, daran droht nun auch Obama zu scheitern, und die Republikaner frohlocken: so leicht kann man ihr Land auch jetzt nicht an die sozialen Standards aller anderen Industriestaaten angleichen.

Präsident Obamas Visionen erweisen sich also als schwieriger umzusetzen als erwartet, die Widerstände als größer, der soziale Zusammenhalt als geringer. Die 8 Jahre Bush-Regierung haben nicht nur weltweit, sondern auch innerhalb des Landes vieles verändert. Und W. wird sich freuen: er hat ja doch noch etwas geschafft!

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NACHTRAG: Einige Ursachen dafür, dass die Einkommensverteilung in den USA sich immer mehr der von Entwicklungsländern annähert, werden bei Zeit Online Herdentrieb aufgezeigt.

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Afrika? Merkel hat andere Prioritäten

Die Entwicklungshilfe-Gruppe One hat den Spitzenkandidaten von Union, SPD, Grünen, FDP und Die Linke. zur Bundestagswahl zwölf Fragen zu Afrika gestellt. Neben eher Belanglosem ging es dabei auch um die Entwicklungspolitik der Spitzenkandidaten.

Photo by oparazzi.de under http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/
Photo by oparazzi.de under http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Die Bundeskanzlerin und Spitzenkandidatin von CDU und CSU Frau Merkel aber möchte Prioritäten setzen und hat die Fragen daher nicht beantwortet. Genau so! “Es ist viel los, wir müssen Prioritäten setzen”, so hat es ihr Sprecher mitgeteilt. Sie hat sie noch nicht einmal beantworten lassen! Noch nicht einmal von einem kleinen Sachbearbeiter oder Kanzleramtsbeamten. Prioritäten setzen heißt also, die Belange eines ganzes Kontinentes einfach zu ignoriern. Vollständig. Es ist ja auch Wahlkampf und man muss sich um die “wirklich wichtigen Dinge” kümmern. (Dienstwagen zum Beispiel. Oder hat sonst jemand noch was mitgekriegt? Bild, Spiegel oder Stern machen zur Zeit ja wohl besseren CDU-Wahlkampf als die Parteivorsitzende).

Na gut, andererseits, klar, warum auch, wenn dem deutschen Otto Normal-CDU-Wähler eher interessiert, dass die Steuern runter müssen, als dass die Entwicklungshilfe endlich, wie vor fast 20 Jahren versprochen, auf 0,7% des BIP erhöht wird. Der meint, dass es zu viele Ausländer in Deutschland gibt, während 1 Milliarde Menschen auf der Welt hungern. Der sich vor der Schweinegrippe fürchtet, während 7,2% aller 15-49-Jährigen im südlichen Afrika mit HIV infiziert sind.548px-Topography_of_africa

Ob ihn nicht vielleicht aber auch interessieren würde, dass es nicht einmal 1% des Einkommens der reichsten 10% der Weltbevölkerung kosten würde, um das Einkommen der ärmsten 25% zu verdoppeln? Das genug Reichtum vorhanden ist, um Armut, Hunger und Seuchen endlich Geschichte werden zu lassen?

Worauf Frau Merkel nun ihrerseits Prioritäten setzt, bleibt unterdessen unklar. Sich auf ein Thema festzulegen oder klare politische Konzepte zu erarbeiten war eh nie ihr Stil.

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Guttenbergs geheime Agenda: neoliberale Märchenstunde

Oh nein, da ist doch tatsächlich Guttenbergs Geheimplan aufgetaucht. Besonders lustig dabei ist, dass sein Sprecher den Entwurf nach Bekanntwerden scheinbar verzweifelt als veraltet und obsolet bezeichnet hat, obwohl er vom 3. Juli 2009 stammt, von seinen Staatssekretären geschrieben wurde und viel zu umfassend und detailliert, als das man ihm das abkaufen könnte. Bei dem Papier handelt es sich mal wieder um die Neocon-Agendaliste der Industrieverbände und ihres PR-Vollstreckers “INSM” (Fefe). Ein neoliberaler Gegenentwurf zum Deutschlandplan Steinmeiers. Der Markt wird alles richten, der Staat soll nur die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie stärken.

Staatliche Beschäftigungsprogramme soll es natürlich nich geben, dafür eine “Korrigierung” (sprich Abschaffung) der Mindestlohngesetze. Unternehmes- und Einkommenssteuersenkungen will man durch Abschaffung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze (die u.a. für Lebensmittel gelten) erreichen, was fast ausschließlich auf Kosten der Niedrigverdiener, die eben fast ihr gesamtes Geld für den Konsum ausgeben müssen, gehen würde: die ärmsten 50% der Bevölkerung haben im Schnitt gar kein individuelles Nettovermögen (Aufrechnen der Vermögen und Schulden, vgl.  Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht Nr. 4/ 2009, S. 59). Die Befristungen der Beschäftigung sollen “erleichtert” werden. Noch mehr erleichtert? 2002 waren noch 12,2% aller Arbeitnehmer befristet beschäftigt, 2007 waren es 14,6%.

Klimaauflagen für Betriebe will man streichen, die Steuern für die Öl und Gas senken und Firmen, die beim Emissionszertifikate-Handel mitmachen sogar ganz von Energiesteuern befreien. Erinnert sich noch jemand, wie Angela Merkel am Anfang ihrer Regierungszeit als Klimakanzlerin galt? Im Zuge der Finanzkrise wurde dann aber klar, wo die Priorität des Klimaschutzes bei der Union liegt – ganz weit unten.

Die von Wolfgang Clement, der jetzt für eine Zeitarbeitsfirma arbeitet, stark liberalisierte Zeitarbeit (in der Folge stieg der Anteil der Zeitarbeitnehmer an den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten von 1,22% im Jahr 2002 auf 2,7% im Jahr 2007) wird als “Brücke in die reguläre Beschäftigung” angepriesen. Dies ist jedoch wissenschaftlich nicht haltbar. Nur 21% der Zeitarbeitnehmer werden in reguläre Beschäftigung übernommen (12-15% direkt im Entleihbetrieb). 26% bleiben in der Zeitarbeit, 34% werden arbeitslos, 19% werden Nichterwerbspersonen (IAB-Betriebspanel). Fast 80% aller Zeitarbeitnehmer sind in diese prekäre Beschäftigungsform von vorher regulärer Beschäftigung oder nur kurzer Arbeitslosigkeit gewechselt. Selbst der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dem außer Peter Bofinger nur Anhänger der neoklassischen Ökonomie angehören, stellt in seinem Jahresgutachten 2008/ 2009 fest, dass in Deutschland “vormals arbeitslose Leiharbeitnehmer zwar eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, binnen vier Jahren wieder bei einem Verleihunternehmen zu arbeiten, sich aber nicht von Arbeitslosen in der Wahrscheinlichkeit unterscheiden, einer regulären Beschäftigung nachzugehen oder wieder arbeitslos zu sein”.  Kommen wir zum wahren Kern der Sache: Zeitarbeitnehmern werden (je nach Beruf) nur 49 bis 73% des Lohns der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in dem selben Beruf bezahlt (Sozio-oekonomisches Panel 2006). Die Brückenfunktion in reguläre Beschäftigung ist nichts als ein Märchen der neoliberalen Wirtschaftslobby, um billige und kaum abgesicherte Arbeitskräfte zu erhalten.

Steuern senken, prekäre Beschäftigungsformen ausweiten, Klimaschutzmaßnahmen abbauen – die neoliberale Politik der letzten 25 Jahre also, die hier vertreten wird. Gut, dies war kaum anders zu erwarten.

Gut­ten­berg will — noch viel mehr als es aktu­ell schon der Fall ist — das Geld von unten nach oben ver­tei­len (…) Karl-Theodor zu Gut­ten­berg wird nach der Wahl wei­ter für sei­nes­glei­chen sor­gen, auf Kos­ten der Men­schen, der All­ge­mein­heit. (F!XMBRE).

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