Recht und Unrecht

Wenigstens in Italien werden brutalst gewalttätige und Beweise fälschende Polizisten verurteilt. Es geht um die Polizisten, die beim G-8-Gipfel in Genua 2001 (das erste Mal, dass die globalisierungskritische Bewegung größer in den Medien hervortrat), nachdem ein Carabiniere am Vortag einen Demonstranten erschossen hatte, in einer vor allem jugendlichen Demonstranten als Schlafplatz dienenden Schule alles kurz und klein geschlagen hatten. Das Resultat: Knochenbrüche, ausgeschlagene Zähne, Lungenperforationen, Schädeltraumata. Einen wilderen Akt der Raserei und Gewalt seitens der Sicherheitsbehörden eines demokratischen Staates hatte man lange nicht mehr gesehen. Als Rechtfertigung fälschte man (zudem höchst dilettantisch) Beweismittel. Danach gab es zunächst Freisprüche, Beförderungen und politische Protektion für die meisten Beteiligten, bevor das Berufungsgericht nun wirklich Recht im Sinne des Wortes sprach und die Beschuldigten zu drei bis fünf Jahren Gefängnis verurteilte. Wie lange man auf ein solches Urteil hiezulande wohl noch warten muss?


Darf die US-Regierung Terrorverdächtige(!) gezielt töten, und dann auch noch eigene Bürger, und dann auch noch in anderen Ländern, in denen weder die USA noch sonst jemand Krieg führt? Am besten noch ganz mutig mit einer ferngesteuerten Drohne? Darüber gibt es in den USA tatsächlich eine Debatte. Präsident Obama hatte nämlich den Befehl an die CIA gegeben, den islamistischen Prediger Anwar al-Awlaki, einen US-Bürger, der sich zur Zeit im Jemen aufhält, mit einer Drohne zu töten. Und das Beste: die Befürworter sagen, das ist ja gar kein Mord, das ist – Selbstverteidigung! Und da kann man ja keinen Prozess abwarten, wenn jemand das Land bedroht, indem er terrorverdächtig, also verdächtig, es zu bedrohen, ist? Äh, Moment, liegt da nicht ein kleiner Denkfehler vor? Und würde solch ein Vorgehen, konsequent fortgeführt, nicht zu einem wild marodierenden Willkürstaat führen? Also noch mehr als jetzt schon? Auch schön:

Noch paradoxer ist, dass die Geheimdienste erst eine Gerichtsanordnung erwirken müssen, um seine Telefonanrufe abhören zu dürfen, aber keinerlei Rechtsprüfung notwendig sein soll, um ihn zu töten.

Na warum sich denn dann die Mühe so einer nervigen Gerichtsverhandlung machen? Und so haben die CIA-Jungs wenigstens noch etwas Spaß, hinter ihren Monitoren ein paar Aufständischen einen Gruß aus dem Land der Freiheit zu schicken!


Wenigstens herrscht noch an manchen Stellen Recht und Ordnung: nicht nur das Internet, nein, auch der Fußballplatz ist kein rechtsfreier Raum! (s.: ehemaliges Nachrichtenmagazin, via Fefes Blog)

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Zum Verfahren gegen Oberst Klein

Kurz noch ein paar Hinweise auf lesenwerte Artikel und Kommentare zum Verfahren gegen Oberst Klein und zum Afghanistan-Einsatz:

Informationen zur Einstellung des Ermittlungverfahrens durch die Bundesanwaltschaft (Telepolis pnews): Freibrief für Luftschlag in Afghanistan

Soweit die Getöteten zu den Aufständischen gehörten, war der Angriff auf sie nach Ansicht der Juristen berechtigt. Eine Bekämpfung durch Bodentruppen sei wegen der damit verbundenen Gefährdung der eigenen Truppen nicht zumutbar gewesen (…) Die Entscheidung der Bundesanwaltschaft dehnt in einem Zusatz die straflosen militärischen Angriffsmöglichkeiten noch weiter aus

Interview auf Spiegel online: Verfahren gegen Oberst Klein: Ex-Bundesrichter Neskovic wirft Bundesanwaltschaft mangelnde Distanz vor

Neskovic: Die veröffentlichte Begründung ist juristisch gesehen handwerklich so unbefriedigend und lückenhaft, dass es gar nicht möglich ist, die Entscheidung nachzuvollziehen. Die Argumentation ist nicht transparent, weil sie sich hinter der Geheimhaltung der zugrunde liegenden Dokumente verschanzt. Eins ist klar: Die Bundesanwaltschaft hat eine ihrer wichtigsten Pflichten vernachlässigt. Sie hätte die Vorgänge in Kunduz mit einer kritisch zivilen Distanz prüfen müssen. Stattdessen hat sie sich ausschließlich die militärische Sichtweise zu eigen macht.

Kommentar vom Spiegelfechter: Kriegsrecht

Je stärker der deutsche Kriegseinsatz in Afghanistan gesellschaftlich kritisiert wird, desto dichter rücken die staatlichen Organe zusammen, die diesen Krieg bis zum Endsieg von „Demokratie und Freiheit“ fortführen wollen. Ein deutscher Offizier befehligt im fernen Kunduz einen Bombenangriff auf eine Menschenmasse und nimmt dabei – zwar nicht vorsätzlich, aber dennoch fahrlässig – zivile Opfer in Kauf und die Bundesanwaltschaft stellt trotz überwältigender Indizien und Beweise, die zumindest eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung in 74 bis 83 Fällen rechtfertigen würden, das Verfahren gegen diesen Staatsbürger in Uniform ein. Mit Zivilrecht und Rechtsstaatlichkeit hat dies nur wenig zu tun – Deutschland ist im Krieg angekommen und wenn es um die Bundeswehr geht, herrscht offensichtlich Kriegsrecht. Ob die Verantwortlichen – und dies sind nicht nur Uniformträger – für das bisher schlimmste Kriegsverbrechen seit dem Untergang des Dritten Reiches je zur Verantwortung gezogen werden, darf bezweifelt werden. (…)

Es herrscht Krieg und im Krieg gilt Kriegsrecht. Kein Wunder, dass die Bundeswehr die Entscheidung der Bundesanwaltschaft bejubelt – nun darf sie endlich töten, ohne großartig Angst zu haben, in der Heimat für die rechtlichen Folgen geradestehen zu müssen. Oberst Klein mag formaljuristisch unschuldig sein – moralisch trägt er jedoch die volle Verantwortung für sein Handeln

Kommentar von SZenso: Hofberichtblogging (12): Über die Unbedenklichkeit des Kollaterierens

Weshalb wir als nichtafghanische Bürger bei diesem Krieg mittöten und -sterben, ist jedoch keine Frage, die wir uns in Kriegszeiten stellen sollten.Die in der Qualitätshofberichterstattung oftmals geforderte Rechtssicherheit für unsere im Krieg befindlichen Soldaten wurde endlich geschaffen. Die Soldaten brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie am Check Point afghanische Familien oder im friendly fire ihre afghanischen Kameraden kollaterieren. Was jedoch weiterhin nicht geht, ist zum Beispiel der Diebstahl von Kantinenbesteck oder nicht polierte Stiefel. Dann wird das ganze Arsenal an disziplinarischen Maßnahmen ausgepackt und der Soldat gemaßregelt, denn immerhin sind wir zivilisiert und das sind und bleiben wir natürlich auch im Krieg. Wir haben in Afghanistan in erstaunlich kurzer Zeit erfolgreich das Töten und Sterben gelernt, alte Kriegstraditionen wieder belebt und wir werden auch die kommenden Herausforderungen  meistern. Es gibt im Grunde nur noch eine Schwachstelle, die Heimatfront ist noch unterentwickelt. Das Kämpfen und Kollaterieren muss wieder als soldatisches Heldentum begriffen und in der Heimat entsprechend gewürdigt werden. Bei jedem toten deutschen Soldat muss der animalische Reflex der Rache und Vergeltung unverzüglich nach dem Blut des Feindes verlangen.

Kommentar von Andrian Kreye (Sueddeutsche.de): Völkerstrafrecht – Niederlage im Kampf um Herzen und Köpfe

Das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein wurde eingestellt. Damit stellt Deutschland seine Rolle als Speerspitze der Glaubwürdigkeit aufs Spiel.

NACHTRAG: Kommentar von Jakob Augstein (Der Freitag): Die Wahl der Waffen

(…) dieser Mann kann allen deutschen Soldaten künftig als Vorbild dienen: Die wahllose Tötung von Menschen, seien es Zivilisten oder Kämpfer, Männer oder Frauen, Greise oder Kinder, ist im Krieg Alltag und kein Vergehen, und die Justiz ist nicht zuständig. Man kann getrost damit rechnen, dass die eigene Gerichtsbarkeit der Bundeswehr sich des Falles, wenn überhaupt, dann gnädig annehmen wird.

Bundeswehr und Bundesregierung waren erfreut, dass Richter und Staatsanwälte sich nicht mit Oberst Klein befassen werden. Es hieß, diese Entscheidung gebe den Soldaten nun Rechtssicherheit. Die Soldaten können mit mehr Sicherheit töten. Es wird ihnen nichts geschehen. Wenn Oberst Klein davonkommt, wird jeder andere auch davonkommen. 91 Menschen verlieren ihr Leben, und es wird niemand zur Rechenschaft gezogen. Es geschieht einfach. Das ist die Wirklichkeit des Krieges. Diese Wirklichkeit greift die Moral der deutschen Gesellschaft an, so wie sie die Moral aller Gesellschaften auf Dauer angreift, die sich im Krieg befinden. Die Frage nach Schuld und Unschuld des Einzelnen, die in der Zivilgesellschaft Grundlage jeden staatlichen Eingriffs ist, spielt im Krieg keine Rolle mehr. Es dürfen alle sterben. Die Schuldigen und die Unschuldigen. Die Männer und die Kinder. Im Tode sind sie alle gleich.

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Vom Töten und vom Sterben

In Afghanistan haben tapfere US-amerikanische Soldaten acht Kinder und Jugendliche im Schlaf erschossen. Verneigen wir uns vor dem Mut und der Tapferkeit! Und da man in Deutschland ja heutzutage offenbar nicht für das Töten von Zivilisten belangt wird (zumindest, wenn es Afghanen sind), dürfen wir vielleicht auch bald auf ähnliche Heldentaten unserer Jungs hoffen! Für die Brunnen und die Schulen! Und die Frauenrechte!!

Warum wird man in Deutschland eigentlich freigesprochen, wenn man in Afghanistan “142 Menschen, darunter auch viele Zivilisten” tötet? Warum gibt es in Deutschland eigentlich keine Trauerfeiern für getötete afghanische Zivilisten? Warum soll ich diese ignorieren? Warum soll ich aber um gefallene Soldaten trauern? Warum soll ich Respekt haben vor Menschen, die sich freiwillig gemeldet haben, Menschen auf Befehl zu töten?

Roberto von ad sinistram hat ein paar sehr treffende Worte gefunden:

Mit Ihnen trauert ein ganzes Land! (…) Ich weiß nicht, wie andere das wahrnehmen, aber ich, in diesem Lande lebend, trauere nicht; ich will damit nichts zu tun haben. Man spreche nicht an meiner Statt! Das verbitte ich mir! Man verstehe mich bitte nicht falsch: ich freue mich auch nicht, dass Blut geflossen ist. Aber dieses Blut, es hat nichts mit mir zu tun. (…)

Deutschland verneigt sich vor Ihnen! (…) Ich aber nicht! Ich weiß, das mag für manchen starker Tobak sein. Zurückhaltung!, wollen sie mir belehrend zurufen. Über Tote nichts Schlechtes!, lehren sie mich. Ich weiß, ich weiß! Pietät und Ehrfurcht und so. Aber bitte, ich will doch den Toten gar nichts Böses nachsagen. Ich weigere mich ja auch ausdrücklich, sie zu verurteilen, weil sie Soldaten waren, weil sie an einem Angriffskrieg teilnahmen, der verfassungswidrig ist. Und dass es denen recht geschähe, wird man hier nicht lesen, wenngleich man natürlich festhalten muß, dass derjenige, der seiner Arbeit im Kriegsgebiet nachkommt, auch wissen muß, wie traurig das alles enden kann. Aber recht geschieht ihnen der Tod nicht! Gegen solche kraftmeierische Verächtlichkeiten wehre ich mich. Doch verneigen? Ich möchte doch sehr bitten!  (…) Aber einen Knicks für Fremde zu machen, die ihren besoldeten Dienst im eroberten Ausland getan, die einen Quisling des Westens zur Regierung verholfen haben, die im Zweifelsfall geschossen hätten oder sogar haben? (…)

Oh nein, ich bin wahrhaftig nicht stolz darauf, Hinterbliebene zu brüskieren – aber ich kann nicht damit leben, als Teil einer Trauergemeinde angesehen zu werden, der ich nicht angehöre. Ich kannte jene Toten nicht und ich will deren Engagement, das nun andere an ihrer Stelle weiterbetreiben, auch weiterhin nicht kennen – sie schießen dort nicht für mich, daher verneige ich mich nicht. (…) Ich trauere nicht mit einer Gesellschaft, die es als hinterhältige Morde ansieht, wenn Besatzungssoldaten erschossen werden, die sich aber beruhigt durchschnaufend zurücklehnt, wenn es nur Afghanen waren, die im Kugelhagel oder Bombenregen starben; ich trauere nicht um Soldaten, die vorher wußten, dass sie sich für ein Kriegsgebiet entschieden haben, in dem man auch zu Schaden kommen kann; ich trauere nicht an der Seite von Selbstdarstellern, die die Freiheit am Hindukusch verteidigen wollen, während sie zwischen Rhein und Oder selbige schrittweise beschneiden. Darauf muß ich nicht stolz sein – aber ich muß es loswerden dürfen!

Und auch Georg Schramm trifft es mal wieder:

http://www.youtube.com/watch?v=9YUDvAnoM7I

Ich finde dabei überhaupt nicht, dass man sich dafür schämen muss, wenn man für den Frieden und gegen sinnloses Töten und Sterben eintritt. Und ich finde, auch eines muss gesagt werden: sicherlich sind v.a. die verantwortlich, die die Soldaten in den Krieg schicken, sind es die Politiker in ihren bequemen Büros abseits des Geschehens. Aber ich kann auch vor Soldaten selbst, vor denen, die es zu ihrem Beruf gemacht haben, die Menschen, bei denen es ihnen befohlen wird, zu töten, keinen Respekt empfinden. Es sind nicht “meine Jungs”. Nein, ich kann dies nicht nachvollziehen, empfinde es nicht als “Dienst am Vaterland”. Ich kann dem Töten von Menschen auf Befehl nichts abgewinnen.

Und ich glaube auch nicht, dass diejenigen, die sich zur Armee melden, nur Deutschland vor bösen Angreifern verteidigen wollen o.ä. Nein, sie wissen, was auf sie zukommen kann. Sie wissen, was sie für ihren eventuell Sold tun müssen. Und, ich muss es so deutlich sagen, ich habe mehr Respekt vor einem Arbeitslosen als vor jemandem, der für Geld dazu bereit ist, Menschen zu töten, oder ihr Töten zu befehlen, oder Armeen von Tötenden auf der Landkarte zu verschieben. Nicht, weil er glaubt, dass dies richtig ist, nicht für ein höheres Ziel. Sondern, damit er sein Geld bekommt. Nein, davor habe ich keinen Respekt.

Falls jemand aus anderen Beweggründen beim Militär ist, falls er glaubt, dort etwa die Sicherheit Deutschlands gewährleisten zu können oder Sicherheit und Frieden weltweit auf diese Art schaffen zu können, dann teile ich diese Ansicht nicht unbedingt, aber dann respektiere ich diese. Doch dann frage ich diese, die etwa oft sagen, dass sie etwa den Afghanistan-Krieg nicht befürworten, auch: Warum kämpft ihr dann trotzdem dort? Warum tretet ihr nicht öffentlich gegen den Krieg ein. Und v.a.: Warum tretet ihr aus der Bundeswehr nicht aus?

Das mag hart klingen, und ich denke auch keineswegs etwas wie “das haben die Soldaten ja nicht anders verdient!”, und ich könnte es auch nicht verstehen, wenn man andererseits das Töten durch Afghanen zu legitimieren versucht. Sie sind gestorben, das bedaure ich. Aber sie sind nicht für mich gestorben.

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