Schweineherbst

Im Herbst 2010 trauen sie sich also wieder aus ihren Löchern. Sie haben die Zeichen der Zeit erkannt: Man darf in Deutschland wieder hassen, man darf endlich die Schuld an echten und vermeintlichen gesellschaftlichen Problemen wieder einer einzigen Gruppe zuschieben. Sie wollen einer angeblich schweigenden Mehrheit eine Stimme verleihen, die in Deutschland längst keine schweigende Mehrheit mehr ist: Den empörten Spießbürgern, den Stammtischen.

Diese kennen integrationsunwillige und kriminelle Ausländer zwar meist nur aus dem Fernsehen und aus der Bild-Zeitung, “wissen” aber dennoch, dass  diese die absolute Mehrheit ausmachen, nahezu alle Türken und Araber Islamisten sind und “Multi-Kulti” gescheitert ist. Die Ausländer nehmen UNS “richtigen” Deutschen die Arbeitsplätze weg und schnorren gleichzeitig das Arbeitslosengeld, verprügeln täglich ihre Frau und mindestens einen Deutschen, wenn sie nicht grade mit der Vorbereitung des Dschihad beschäftigt sind. (more…)

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“Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!”

In einer “Diskussion” genannten, aber eher den Charakter einer Propaganda-Veranstaltung besizenden Sendung des Deutschlandfunks (MP 3) regen sich unter dem schon alles sagenden Titel “Man wird doch wohl noch sagen dürfen – Meinungsfreiheit zwischen Tabubruch und politischer Korrektheit” zwei nur zu bekannte Talkshowstammtgäste, Henryk Marvin Broder und Norbert Bolz, über angebliche Sprech- und Denkverbote in Deutschland auf. Ihre Thesen sind altbekannt, sie wiederholen sie schließlich ständig und allerorts in den deutschen Medien (was ihren Thesen natürlich schon Hohn spricht): Es gebe in Deutschland einer linke Meinungsdiktatur der 68er, die in den entscheidenden Positionen von Medien und Wissenschaft säßen. Die Medien seien fast alle links orientiert. Aufgrund der politcal correctnes könne man bestimmte Meinungen nicht öffentlich äußern. Und so weiter.

Lief im Deutschlandfunk vor der Sendung einmal ein Kommentar (MP3) in den deutschen Mainstream-Medien, der den niederländischen Rechtspopulisten und Islamhasser Geert Wilders als das charakterisiert, was er ist, wird dieser eine Kommentar von den Broder gleich als Beweis für eine linke Indoktrination der gesamten deutschen Medien genommen. An den Rassisten und Sozialdarwinisten (als den bezeichnet er ihn natürlich nicht) Sarrazin werde man sich vielleicht mal erinnern, da er die 68er-Vorherrschaft in Deutschland durchbrochen habe, so Bolz an anderer Stelle. Die “Moderatorin” tut wenig mehr, als die Thesen der beiden von der linken Meinungsführerschaft zu unterstützen und zu bekräftigen und ein paar Stichworte zu liefern. Von den beiden anderen Gästen ist auch keine Gegenmeinung zu hören: Der teilnehmende Journalist sagt zu dem Thema bewusst nichts (außer, dass die 68er ja auch nicht überall wären) und verliert sich in Nebenschauplätzen, die eingeladene ältere Autorin ist offensichtlich nicht mehr auf voller geistiger Höhe (“ich hab grad mal abgeschaltet”). Insgesamt war im öffentlich-rechtlichen Rundfunk lange keine derart einseitige Sendung zu sehen und hören – und das will was heißen.

BILD-Titel vom 4.9.2010 (1)

Was ich aber nicht verstehe:  Selbst wenn ich versuche, mich in deren Lage hineinzuversetzen – über welche “Denkverbote” in Deutschland regen sich die, sagen wir eher Rechtsorientierten eigentlich auf? Wo gibt es die denn bitte? Dass die deutschen Medien in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht ganz überwiegend neoliberal eingestellt sind, werden auch sie wohl kaum bestreiten (auch wenn sie dafür vielleicht andere Bezeichnungen verwenden). Und wie sieht es in den anderen Bereichen heute in der veröffentlichten Meinung in Deutschland aus? Sind dort etwa nur Ansichten der von den rechten Bösmenschen so verhassten “Gutmenschen” zu finden? Gibt es etwas, das man “nicht sagen darf”?

(1) Quelle: Carta

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Ein Sieg für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte

Die erfolgreiche Verhinderung der Nazi-Demo in Dresden hat gezeigt: wenn sie zusammenarbeiten und gemeinsam protestieren, können die Gegner des Rechtsextremismus, seien es radikale Linke oder Christdemokraten, Antifa oder Kirchen, verhindern, dass diese ihre menschenverachtende NS-Ideologie, ihren Rassismus und Antisemitismus, ihre Lügen und Geschichtsfälschungen, verbreiten können.

Bevor Dresden brannte, brannte Sempers Synagoge, brannten Warschau, Rotterdam und Coventry. Diese Wahrheiten müssen den Ewiggestrigen entgegengehalten werden. Dresden will sie nicht.
Helma Orosz, Oberbürgermeisterin Dresden

Der heutige Tag ist ein Sieg für alle, denen Demokratie, Freiheit und Menschenrechte wiklich am Herzen liegen. Und die dies zeigen, indem sie dafür eintreten und dafür kämpfen. Denn sie sind keineswegs einfach so gewährleistet. Und die Verhinderung der Demo hat auch deutlich gemacht, dass Teile der Justiz und der exekutiven Behörden, die im Vorfeld allem Anschein nach eine Kriminalisierung jeglichen antifaschistischen Protests bestrebten und mit diversen Einschüchterungstaktiken dessen Unterbindung versuchten, nicht erfolgreich sein können, wenn genug Menschen bereit sind, tatsächlich für ihre Überzeugungen und jenseits legalistischer Formalia für moralische Werte einer Gesellschaft einzustehen.

Die Zivilgesellschaft wird man nicht kleinkriegen können, das sieht man an den mutigen Demonstranten, die trotz der Anschuldigung der angeblichen Illegalität und trotz der massiven Gefahren nach Dresden gekommen sind. Die Mittel ihres Protestes waren ebenso vielfältig und kreativ, wie sie auch allergrößtenteils friedlich waren: Gedenkveranstaltungen, Kundgebungen, Menschenketten, und freidliche Blockaden möglicher Demonstrationsrouten. Aber, auch das muss gesagt werden, auch der Polizei muss gedankt werden, dass sie es schaffte, Gewalttätigkeiten zum größen Teil einzudämmen und schließlich den braunen Marsch trotz offener Drohungen und gewalttätige Übergriffe der Neonazis zu unterbinden.

Doch der Kampf gegen den Rechtsextremismus darf sich nicht nur auf die Straße beschränken. Der Aufschwung der rechtsradikalen und rechtsextremen Parteien in fast allen Ländern Europas in den letzten Jahren zeigt, dass wir uns keineswegs in Sicherheit wiegen dürfen. Auch bei uns existieren rassistische Vorurteile und rechtsextreme Meinungen und Einstellungen. Und auch die Relativierung rechtsextremer Gewalt, die regelmäßig Menschenleben fordert, etwa indem man sie mit linker Gewalt (also meist Sachbeschädigungen )gleichsetzt, indem man sie als “überschätzt” herunterspielt, kundtut, dies seien bloß “Hakenkreuzschmierereien” (oder sich, wenn man dem Bericht der Zeit glauben kann, im Fernsehen mit einem Neonazi “argumentativ die Bälle zugespielt” hat): und all das von einem Mitglied der Bundesregierung, und auch noch dem, das für die Bekämpfung des Rechtsextremismus zuständig ist (oder: sein sollte?). Wir dürfen auch davor nicht die Augen verschließen. Der äußerste rechte Rand darf keinen Einzug in den Mainstream einer Gesellschaft und eines Staates halten.

Denn es ist klar, wer die Opfer sein werden. Wenn Nazis von Freiheit reden, dann meinen sie Freiheit zum Hass und zur Lüge, wenn sie von Demokratie sprechen, dann meinen sie Autoritarismus und “Führertum”, und wenn sie einmal von Menschenrechten reden sollten, dann wollen sie diese nur für einen Teil der Menschen. Wir dürfen in der Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht nachlassen.

Auch erschienen beim binsenbrenner.de

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Nazi-Aufmarsch in Dresden verhindert

(Stand: 13. Februar 2010, 21:23 Uhr)

Der Nazi-Aufmarsch in Dresden heute wurde verhindert. Trotz vorheriger Hinderungs- und Kriminalisierungsversuche waren laut Schätzungen über 10.000 Menschen in der Stadt, um in dutzenden Gruppen, u .a. unter den Bündnissen “Dresden Nazifrei” und “No parasán!”, die europaweit größte Demonstration von (schätzungsweise 4.000-5.000) Rechtsextremisten mittels Menschenketten und friedlicher Straßenblockaden zu vehindern. Um etwa 15 Uhr wurde der Demonstrationszug der Nazis abgesagt, da die Polizei die Sicherheit nicht mehr gewährleisten konnte, es fand nur eine stationäre Kundgebung statt. Es gab Veranstaltungen und Gegenkundgebungen mit Politikern von der Linken bis zur CDU, u.a. auch Ministerpräsident Tillich, und Vertretern verschiedenster gesellschaftlichen Gruppen.

Eine umfassende Dokumentation der Ereignisse heute bieten der Live-Ticker der Taz und Twitter, auh z.B. unter @13Februar.
Berichte finden sich u. a. auch beim Spiegel, bei der Süddeutschen, bei der Zeit und bei der Frankfurter Rundschau. Während sich die konservativen Medien zwar mal nicht einig sind und beim Focus Anti-Nazi-Demonstranten zwangsweise links sind und bei Springer das Bürgertum darstellen, bewerten auch sie die Verhinderung der Nazi-Demonstration als eindeutigen Erfolg.

Während die anderen Medien übereinstimmend berichten, dass es gelegentliche Ausschreitungen von beiden Seiten gab, aber v.a., so lässt sich entnehmen, Gewalttaten der Nazis gegen Polizei und Gegendemonstranten und auch einen Angriff der Nazis auf ein alternatives Kulturzentrum mit mehreren Schwerverletzten, war auf Tagesschau.de bis 20:32 nur ein Bericht des MDR verlinkt, der den Eindruck erweckt, dass Nazis und “linskextreme” Gegendemonstranten gleichermaßen gewalttätig waren und erwähnt konkret (brennende) Blockaden (durch “Linsextremisten”), Angriffe auf Polizisten (unklar, durch wen: “Überschattet wurde das Gedenken von Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten der rechts- und linksextremen Szene. Wie die Polizei mitteilte, wurden auch Polizisten angegriffen.”) und Verletzungen (sagt aber nicht, durch wen). Nun ist dort auch ein Artikel, der berichtet, wie die Nazis der Polizei massiv drohten, mit Flaschen und Fahnenstangen warfen und die Gegendemonstranten v. a. friedlich blockierten. Die Tagesschau um 17:00 Uhr redete von Linken und zeigte rechte Autonome und hatte auch sonst einen merkwürdigen Tenor. In der von 20 Uhr werden neben “Zusammenstößen” nur Sachbeschädigungen seitens der Gegendemonstranten erwähnt. Heute.de spricht beim Nazi-Angriff auf das Kulturzentrum nur von “Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken” und von “mindestens 2.000 Gegendemonstranten”.

Quelle: http://www.flickr.com/photos/ju-key/4353587295/ (Uwe Kaminski unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de)

UPDATE (22:59):

Noch ein guter Bericht der Taz.
Und auch die internationale Presse berichtet:  Washington Post (Reuters), New York Times (AP).

Quelle: http://www.flickr.com/photos/realname/4353966441/ unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

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Die Extremismustheorie: demokratiegefährdend

Alex Demirović (ein Vertreter der Kritischen Theorie) und Paulina Bader verdeutlichen im Freitag, was das Extremismus-Schema für den Kampf für die Demokratie und gegen den Rechtsextremismus bedeutet. Sie zeigen, wie diese Theorie demokratiefeindiche Maßnahmen oder Rassismus beschönigt, wenn diese aus der “Mitte” kommen und wie der Staat teilweise gegen diejenigen vorgeht, die die Demokratie gegen den Rechtsextremismus verteidigen wollen  (wie aktuell etwa Kristina Köhler mit Hilfe der Medien Anti-Rechts-Initiativen unter den Generalverdacht des “Linksextremismus” stellt oder wie der Protest gegen den Naziaufmarsch in Dresden kriminalisiert wird).

Das Extremismus-Schema, das die Demokratie schützen soll, erweist sich als demokratiegefährdend. Diejenigen, welche die gegenwärtige Form der Demokratie für unzureichend halten, werden als Extremisten mit den Rechten gleichgesetzt und von den braven Demokraten geschieden. Diese werden erleichtert zur Kenntnis nehmen, dass sie sich besser nicht für die Demokratie einsetzen. Leicht angeekelt können sie aus der Distanz auf das Schauspiel der „Extremisten“ schauen. Demgegenüber wird denjenigen, die für Freiheit, Gleichheit und Solidarität mit den Mitteln des offenen und öffentlichen Protests und des zivilen Ungehorsams eintreten, das Fürchten gelehrt und mit den Mitteln hoheitlicher Gewalt beigebracht, dass nicht die Bürger, sondern der Staat entscheidet, was Demokratie und wer ein guter Demokrat ist. So muss man sich fragen, was wir in unserer Gesellschaft gerade treiben, wenn diejenigen, die bereit sind, mit Leib und Leben, mit ihren häufig knappen Ressourcen für das demokratische Gemeinwohl einzutreten, damit rechnen müssen, beschimpft und beleidigt, von der Staatsanwaltschaft verfolgt, von der Polizei im Namen der Demokratie zusammengeschlagen, schließlich mit denjenigen auf eine Stufe gestellt zu werden, die den rassistischen Massenmord und den Expansionskrieg, den der deutsche Staat vor nur wenigen Jahrzehnten organisiert hat, verteidigen und verherrlichen – anstatt dass ihnen von öffentlicher Seite alle moralische und materielle Unterstützung gewährt wird.

Ach, apropos, auch sehr lesenswert ist ein Interview  in der Frankfurter Rundschau mit dem Historiker Erich Später über den Bund der Vertriebenen:

Und worum geht es wirklich?

Darum, eine alternative Sicht auf den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus aufzubauen. Das Zentrum unter Federführung des BdV soll die Sicht der deutschen Rechten manifestieren. (…)

Die Deutschen in der Opferrolle?

Ja, es ist ja die Leistung Erika Steinbachs, den Diskurs der deutschen Rechten an die internationale Menschenrechtsdebatte angeglichen zu haben: Man redet nicht mehr von Polacken, von asiatischen Horden, vom Vernichtungskrieg gegen Deutschland – die Vertriebenen sind jetzt Opfer der Weltgeschichte, von unmenschlichen Regimes, von einer seit Jahrtausenden stattfindenden Politik der Vertreibung. Der Zweite Weltkrieg verliert seinen historischen Ort; er wird zu einem Ereignis unter vielen in einer Kette von weltgeschichtlichen Verhängnissen. Der Massenmord an den Juden versinkt im Meer der Geschichte. (…)

Es war auffällig, was in den Ausstellungen unter den Tisch fiel: Die Rolle der deutschen Minderheiten für die nationalsozialistische Expansionspolitik, die Beteiligung der ostdeutschen Volksgemeinschaft an der Shoa, das Leid der Sowjetunion. Die Deutschen erscheinen hier als Opfer der Nazis und der Alliierten; die Ostgebiete sind dargestellt als friedliche Idyllen, in die ein barbarischer Feind einbricht

Und wie sieht es aktuell aus? Laut vorläufigen Erkenntnissen der Polizei (die in den vergangenen Jahren später stets massiv nach oben korrigiert wurden – der BKA-Präsident erwartet etwa 20.000) haben Rechtsextreme im vergangenen Jahr mehr als 16.133 Straftaten begangen, darunter 678 Gewalttaten, 658 Menschen wurden verletzt. Die Polizei ermittelte 8269 Verdächtige. 278 wurden vorläufig festgenommen. Haftbefehle ergingen gegen 19.

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Das rechte und das linke Auge

Ein paar Meldungen der letzten Tage und Wochen: wie sich Nazis durch die Dresdner Staatsanwaltschaft gestärkt fühlen, die “Schulhof-CD” der NPD nicht verboten wird und Programme gegen Rechtsextremismus durch den Verfassungsschutz überprüft werden sollen, womit sich der Europäische Polizeikongress so beschäftigt, gegen wen die Polizei nach einem Brandanschlag von Neonazis vorgeht und was Nazis, die versuchen, einen Menschen zu töten, so erwartet. Den einzigen Hoffnungsschimmer bilden die Urteile in den Fällen Yunus und Rigo (die angeblichen Molotwo-Cocktail-Werfer) und Jalloh (der Asylbewerber, der gefesselt in seiner Zelle verbrannt ist). Allerdings offenbaren sie ein vorheriges Verhalten von Polizei und Justiz, dass nicht vermuten ließe, dass wir in einem Rechtsstaat leben:

Dresden nazifrei:

Die Dresdner Staatsanwaltschaft räumt ein, dass sie die Polizei nicht anweisen durfte, gegen die Antinazidemo-Seite Dresden-nazifrei.de (jetzt zu finden unter Dresden-nazifrei.com)  vorzugehen. Aber: sie hält Blockadeaufruf weiter für strafbar, kann allerdings auch keine einzige Gerichtsentscheidung nennen, die diese Aufassung stützen würde. Neonazis sehen sich unterdessen durch das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in Dresden bestärkt. Und das Verwaltungsgericht Dresden sagt, die Beschränkung der Nazi-Demo (durch die Stadt Dresden) auf eine nur “stationäre” Kundgebung (nur ein bestimmter Versammlungsplatz) würde gegen die Versammlungsfreiheit verstoßen und “eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des inhaltllichen Anliegens der Anmelderin” (das ist die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland) darstellen. Ja, wirklich, das habe ich mir nicht ausgedacht, so schreiben die das in ihrer Pressemitteilung. Wörtlich. “Eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des inhaltllichen Anliegens der Anmelderin”.

Verteilen rechtsextremer CDs vor Schulhöfen erlaubt:

Wer kennt und liebt sie nicht, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM)? Eine immer schon absolut kompetent arbeitende, nüchtern abwägende und nachvollziehbare Entscheidungen treffende Behörde! Wo wäre unsere Jugend ohne sie? Nun hat sie den Antrag des Landeskriminalamtes Niedersachsen abgelehnt, die CDs mit rechtsextremer Musik, mit denen die NPD etwa in der Nähe von Schulhöfen und Jugendclubs Jugendliche mit ihrer braunen Propaganda zu ködern versucht, auf den Index zu setzen. Experten halten die CD, auf der NS-Ideologie transportiert werde, oft für einen Einstieg in die rechtsextreme Szene. Die BPjM begründet ihre Entscheidung u.a. damit, dass auf der CD nicht zu Gewalt aufgerufen werde. Die Folge:

Für die Sicherheitsbehörden bedeutet diese Entscheidung eine Schwächung ihrer Position. Bisher war es stets gelungen, solche Verteilaktionen vor Schulhöfen mithilfe der Polizei zu stoppen. “Das könnte jetzt schwieriger werden”, sagte ein Sicherheitsexperte zu NDR Info. (NDR)

Verfassungsschutz soll Anti-Nazi-Projekte überprüfen:

Familienministerin Kristina Köhler will staatlich geförderte Projekte gegen Rechtsextremismus ideologisch und “auf ihre Verfassungstreue” überprüfen lassen. Und das soll nun auch, anders als früher, der Verfassungsschutz übernehmen. Die  SPD ist irritiert, die Grünen sprechen von “völlig unverhältnismäßiger Vorverurteilung” und beklagen, man stelle Anti-Nazi-Initiatien unter Generalverdacht, und die Linke geht noch weiter:

Sollte die Familienministerin tatsächlich solche Absichten haben, wäre dies völlig verantwortungslos, glaubt Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. Für sie ist diese “staatliche Anti-Antifa-Politik Wasser auf die Mühlen der Nazis” und stigmatisiere die gesellschaftlichen Initiativen gegen rechts. “Wer Nazis so ermutigt, darf mit Recht als geistige Brandstifterin bezeichnet werden”, betont Jelpke. (Taz)

Die Innenminister von Sachsen und Thüringen und die Hamburger Justizbehörde reagierten mit Unverständnis und wollen keine gesonderten Überprüfungen durchführen.

Europäischer Polizeikongress:

Themen dort waren: “zunehmender Alkoholkonsum”, “Integrationsprobleme von Migranten” sowie “falsche Toleranz gegenüber Linksautonomen”. Also nur die wirklich dringenden Probleme, die uns am meisten und am unmittelbarsten bedrohen! Und Volker Bouffier forderte dort, jeden Bus und jeden Zug verpflichtend mit privaten Sicherheitskräften auszustatten. Auch nett.

Nach Nazi-Brandanschlag: Großeinsätze gegen “Linksextremen-Aktion” geplant:

Nachdem ein Rechtsextremer einen Brandanschlag auf das Haus einer Brandenburger Bürgerinititaive gegen Neonazis in Zossen gestanden hat, hat ein Großaufgebot der Polizei gegen eine angekündigte Aktion von Linksextremisten “Flagge gezeigt”, so steht auf der Homepage von Berlin. Ein überaus logisches und konsequentes Vorgehen! Nur habe sich kein einziger “Angehöriger der Linksextremen” sehen lassen, schließt die Mitteilung.

Prozess gegen vier Rechtsextreme:

Laut Anklageschrift sollen die Männer im Alter von 20 bis 26 Jahren versucht haben, den 22-jährigen Jonas K. mit einem so genannten Bordsteinkick zu töten um dem “vermeintlichen politischen Gegner” ihre Macht zu demonstrieren. (…)

Den Richtern zufolge trat allerdings der Hauptangeklagte, Oliver K., weiter, bis die Polizei ihn wegzerrte. K. habe die klare Absicht gehabt, sein Opfer zu töten. Noch eine Stunde nach der Tat sagte er: “Der Kopf hätte auf dem Bordstein liegen müssen – und dann wumm.” (Taz)

Das Urteil: Einer wird zu 5 1/2 Jahren Haft, zwei zu Bewährungsstrafen verurteilt, einer freigesprochen. Ein absolut nachvollziehbares Urteil, liegen die Strafen doch etwa im Bereich dessen, was man für das Anzünden eines Autos erwarten kann (s.u.). Was, das ist nicht richtig, dass in Deutschland Delikte gegen Sachen und Eigentumsdelikte tendenziell härter bestraft werden als Gewalttätigkeiten gegen Personen? Na, wo wäre unser gesellschaftliches System denn sonst? Das Gericht bleibt mit diesem Urteil hinter den Forderungen der Staatsanwaltschaft zurückt.  Wieso das? Antwort: weil es davon ausgeht, dass das Opfer angefangen habe. Ohne Worte. Und erstaunlicherweise sieht das Gericht die rechtsextreme Einstellung der Täter nicht als Hauptmotivation. Warum? Antwort: der Ausspruch “du Zecke stehst nicht mehr auf” kann keinem der Angeklagten konkret angelastet werden.

“Molotow-Cocktail-Prozess”:

Die Berliner Schüler Yunus und Rigo, die beschuldigt worden waren, am 1. Mai 2009 einen Molotowcocktail auf Polizisten geworfen zu haben, wurden freigesprochen.  Ein Blick auf die Hintergründe des Verfahrens offenbart jedoch Vorgänge, für die die Bezeichnung haarsträubend stark verharmlosend wäre. Zwei Polizisten wollen die beiden beim Wurf gesehen haben – aber keine Gesichter, nur ihre Kleidung. Objektive Beweise gibt es nicht, laut einer Untersuchung etwa auch keine Benzinspuren auf ihrer Kleidung. Zeugen, die die Täter gesehen hatten, schlossen Yunus und Rigo aus, und Fotos von der Tätergruppe zeigten eine Person, aber keinen der beiden. Dennoch blieben sie 230 Tage in Untersuchungshaft – da es, laut Richterin Petra Müller, an der Glaubwürdigkeit der Polizisten keine ernsthaften Zweifel gebe. Erst als eine Verteidigerin Anzeige gegen die Person auf dem Foto stellt, ermittelt die Polizei. Bei Hausdurchsuchungen, zu denen die Identifikation des Fotografierten durch einen Polizisten geführt hat, finden sie Fotos, auf denen eine Person mit einem Benzinkanister posiert, und dann sogar noch einen solchen Benzinkanister im Bettkasten. Jetzt sollte die Sache eigentlich klar sein, denkt man. Doch jetzt kommt der Hammer: beschlagnahmt wird der Kanister jedoch nicht.

Ulrich von Klinggräff, Verteidiger von Yunus, hat eine ganz dezidierte Meinung zu dem Verfahren:

Eine Verurteilung der Anklagten sei angestrebt worden. “Das war zielgerichtet und systematisch, dafür war jedes Mittel recht. Das kann man nur mit politischen Interessen erklären”, so von Klinggräff. Werner Throniker, Personalratschef des Berliner LKAs, mag das nicht glauben. “Natürlich werden bestimmte Straftaten immer mal wieder abstrakt zum Politikum, aber bei den konkreten Ermittlungen spielt das keine Rolle”, so Throniker. Dennoch scheint es ein aufgeregtes Interesse zu geben, endlich Zeichen gegen linke Krawallakte zu setzen. Gab es vor Jahren für Autozündler noch Bewährungsstrafen, so wurde zuletzt ein 34-Jähriger, der einen VW Golf abgefackelt hatte, zu 3 Jahren und 3 Monaten Haft verurteilt. Strafverteidiger Peter Zuriel weist auch im Fall von Yunus und Rigo darauf hin, dass mit der Anklage des versuchten Mordes ein Brandsatzwurf – anders als in Vorjahren – deutlich “hochgewertet” worden sei. Es sei bedenklich, so Zuriels Kollege Peer Stolle, “dass sich die Justiz scheinbar politischem Druck beugt”. (Taz)

Fall Jalloh muss neu aufgerollt werden:

Der Bundesgerichtshof entschied, dass das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau im Fall des gefesselt in seiner Zelle verbrannten Oury Jalloh (Freispruch von zwei Polizisten vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge) zahlreiche Lücken aufweise. Nun muss neu vor dem Landgericht Magdeburg verhandelt werden.

Oury Jalloh, Asylbewerber aus Sierra Leone, war am 7. Januar 2005 in betrunkenem Zustand von der Polizei verhaftet worden, weil sich Frauen der Stadtreinigung von ihm belästigt fühlten. Weil er sich gewehrt haben soll, wird er in eine Zelle gesperrt und an Händen und Füßen fixiert. Um 12 Uhr meldet sich der Rauchmelder. Laut Gutachter erst zweieinhalb Minuten später geht der Dienstgruppenleiter ohne einen Feuerlöscher zu der Zelle. Als er die Tür öffnet, schlagen ihm Rauchschwaden ins Gesicht. Er betritt er die Zelle nicht. Jalloh ist an seine Liege gefesselt in der Gewahrsamszelle verbrannt. Er soll nach Darstellung der Polizei das Feuer selbst ausgelöst haben, und er soll nicht geschrien haben. Eine Obduktion ergibt, dass sein Nasenbein gebrochen war. Das Landgericht Dessau-Roßlau urteilte, den beiden Polizisten könne kein Fehlverhalten und keine Mitschuld am Tod Oury Jallohs nachgewiesen werden. Menschenrechtsgruppen und Opferverbände sprachen von schlampigen Ermittlungen, Lügen und Vertuschungen seitens der Polizei.

Marco Steckel, Berater der Dessauer Opferberatungsstelle, kritisiert den seiner Meinung nach völlig inakzeptablen Umgang der Polizei in Sachsen-Anhalt mit dem Tod des Asylbewerbers.  So habe die Aufarbeitung des Falls bei Polizei und Stadt bis auf die Ankündigung de facto noch immer nicht begonnen. Zudem traten laut Steckel Belege für “rassistische Denkstrukturen” bei der Polizei von Sachsen-Anhalt zutage. Dazu gehören abfällige Bemerkungen über Afrikaner in öffentlich gewordenen Telefonmitschnitten. Auf Empörung sogar beim Innenministerium stieß die Äußerung “Schwarze brennen eben mal Länger” eines leitenden Polizeibeamten in Halle. All dies lege den Schluss nahe, sagt Steckel, “wer so denkt, handelt auch so”.

Selbst der Dessauer Richter Manfred Steinhoff hatte bei seinem Urteilsspruch Ende 2008 festgestellt, dass das, was im Prozess von vielen Polizisten im Zeugenstand “geboten” worden sei, mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun habe. Für Gössner ist klar: Der Verdacht, dass es sich um einen Fall oder ein Zeichen für “institutionellen Rassismus” handele, sei nicht von der Hand zu weisen. (Deutsche Welle)

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Soll der Kampf gegen den Rechtsextremismus kriminalisiert werden? (UPDATE)

Tausende Exemplare dieses Plakats wurden beschlagnahmt

“Gemeinsam blockieren”, heißt es auf den Protest-Plakaten gegen den größten Naziaufmarsch Europas in Dresden am 13. Februar. Darunter die Logos von Grünen, Attac, Piratenpartei, der Linken, Gewerkschaften und anderen Gruppen. Doch was für Nazi-Gegner eine Selbstverständlichkeit ist, klingt nach Ansicht der Sicherheitsbehörden nach einem Aufruf zu Straftaten. Am Dienstagmittag durchsuchten die Polizei daraufhin in Dresden die Landesgeschäftsstelle der Partei die Linke, in Berlin traf es ein Ladengeschäft linker Gruppen. Tausende Plakate, Flyer und Sticker wurden beschlagnahmt. Aber auch Computer nahmen die Beamten mit.

“Die Polizei möchte offenbar unseren Protest im Keim ersticken. Das wird ihr aber nicht gelingen – im Gegenteil. Stattdessen werden die Behörden der Öffentlichkeit erklären müssen, warum ihnen der reibungslose Ablauf des größten Neonazi-Aufmarschs so am Herzen liegt”, sagte Lena Roth, Sprecherin des Bündnisses.

Der ganze Beitrag: Zeit Online Störungsmelder: Polizei geht gegen Dresden-Plakat vor

Der Kampf gegen den Rechtsextremismus, für Freiheit, Toleranz und Demokratie wird kriminalisiert? Sollten die öffentlichen Stellen und die staatliche Gewalt diesen nicht so gut sie können unterstützen, sollten sie nicht die Courage fördern, gegen den menschenverachtenden Faschismus und Rassismus auf die Straße zu gehen? Stattdessen werden die Organisatoren (aus juristisch höchst zweifelhaften Gründen) mit Repressalien überzogen.

Achja, die neue Bundesfamilienministerin Kristina Köhler hat ja “erkannt”, dass die wahren Gefahren ganz woanders herkommen – nämlich von linksextremistischer und islamistischer Gewalt (vor nicht allzu langer Zeit sprach sie auch von angeblicher deutschenfeindlicher Gewalt von Ausländern in Deutschland) und weitet die Programme gegen Rechtsextremismus dementsprechend aus, trotz der Warnungen von unterschiedlichsten Seiten, dass sie damit Rechts- und Linksextremismus gleichsetzt (Michael Sommer), die beschämende Zahl der Todesopfer rechtextremistischer Gewalt vergisst (Claudia Roth) und aus ideologischen Gründen die Gefahren durch Rechtsextremismus unterschätzt (SPD-Innenexperte Sebastian Edathy). Die innenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion Ulla Jelpke sagte, die Bundesregierung wolle kapitalismuskritisches und antifaschistisches Gedankengut ächten. Stellt Dresden dafür den Anfang dar? (20. Januar 2010)

UPDATE (23. Januar 2010):

Man geht  nun offensichtlich in die nächste Runde: nachdem Jugendliche und sogar Bundestagsabgeordnete, die die Plakate aufhängten, verhaftet wurden, hat nun das LKA Sachsen dem Provider der Internetseite Dresden-Nazifrei.de eine Verfügung zugestellt, die die Abschaltung der Seite fordert, da über diese angeblich zu Straftaten aufgerufen werde. Damit meinen sie den Mut zu zivilem Ungehorsam, sich Nazis in den Weg zu stellen. Doch ist fraglich, ob sie ihr Ziel erreichen, diesen zu kriminalisieren, mit Razzien, Verhaftungen und Verboten immer mehr ein Klima der Angst vor Zivilcourage zu schaffen, wo man irgendwann gar nicht mehr auf Demonstrationen geht, wo Blockaden Gewalt sind und man gleich in den Verdacht gerät, linksextremer Terrorist zu sein, nur weil man gegen Rechtsextreme demonstriert – oder sie nicht in Wahrheit eine noch größere Mobilisierung verursachen.

Und wer immer noch der Meinung ist, dass die Verbeitung von Rassimus und Antisemitismus, die Bekämpfung von Freiheit und Menschenrechten irgendetwas mit Meingsfreiheit zu tun hat, dem sei dieser Artikel empfohlen: Nazis und die Meinungsfreiheit.

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Die größten Gefahren für Deutschland: Islamismus, Linksextremismus und Google

Wenn die Bundesregierung die Programme gegen Rechtsextremismus auf Linksextremismus und Islamismus ausweitet, geht sie dabei Hand in Hand mit den Vereinfachungen der Vertreter der kruden “Extremismustheorie”, und sie verharmlost nach Meinung der Opposition damit den Rechtsextremismus mit seiner Rekordzahl an Gewalttaten.

Manche Medien sind da aber schon deutlich weiter, etwa der Deutschlandfunk in einem Interview mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (ja, so wird er natürlich geschrieben, aber ich hab unten die falsche Schreibweise von der Homepage des DLF belassen, weil ich von dort zitiere). Nicht nur eine Gleichsetzung – der Linksextremismus und der Islamismus sind dort eine so große Gefahr, dass der Rechtsextremismus nicht mal einer Erwähnung bedarf:

Spengler: Jetzt sind wir schon bei der Bedrohungslage in der Bundesrepublik. Geht eigentlich noch die größte Gefahr von islamistischen Zirkeln aus, oder richten Sie Ihr Augenmerk nach vielen Anschlägen insbesondere in Berlin und Hamburg wieder verstärkt auf die linksextremistische Szene?

Ja, genau, das fragen wir uns doch alle täglich, ist denn nun die ganz konkrete, unmittelbare und allseitige Bedrohung durch den  Islamismus immer noch die größte Gefahr für unser aller Leib und Leben, oder brauchen wir etwas Neues, vor dem wir uns fürchten müssen, etwa den linken Linksextremismus von links? Man kann nirgends mehr um eine Straßenecke gehen, ohne dass einen ein Muslim oder ein Linksautonomer – ja was denn eigentlich? Der Rechtsextremismus mit mit seinen rassistischen, anti-semitischen, menschenverachtenden Ansichten, mit seinen Gewalttaten, mit seinen Morden? Ach was! Die Autos! Kann denn nicht einer mal an die Autos denken?! Auch wenn dabei nach Polizei-Angaben zu 50% gar kein politisches Motiv zu erkennen ist – egal! Die tatsächliche Bedrohung spielt keine Rolle. Wichtig ist die, die eingeredet und vielleicht irgendwann, wenn man Erfolg hat, dann auch empfunden wird.

Allem Anschein nach wurde dann aber die Richtung, in die dieser Qualitätsjournalist offensichtlich gehen wollte, selbst für unseren Innenminister etwas zu dubios, und er bringt wenigstens ein bisschen mehr Nüchternheit hinein:

Spengler: Der Verfassungsschutz sollte bis Mitte des Monats eine Bewertung des Linksextremismus vorlegen. Ist das geschehen und zu welchem Ergebnis ist er gekommen?

de Maiziére: Bis Februar, Herr Spengler, habe ich eine solche Analyse erbeten. Wir haben noch nicht Februar und dann werden wir die Konsequenzen ziehen. Wir haben es hier auch damit zu tun, dass wir es regional sehr unterschiedlich haben. Wir haben diese Phänomene insbesondere in Berlin und Hamburg. Deswegen wird mit den beiden Ländern natürlich dort in besonderer Weise zu untersuchen sein, was zu tun ist. Das ist ein langer Weg. Wir haben es auch gesehen bei der politischen Gewalt, die von Rechtsextremen ausgeht. Insgesamt ist die Anwendung von Gewalt nicht gestiegen, aber bei denen, die Gewalt anwenden, ist die Hemmschwelle, intensiv Gewalt auszuüben, gesunken und das macht mir Sorgen.

Und schließlich kommt noch eine dem kritischen Journalismus würdige Frage zur Netzpolitik:

Spengler: Herr de Maiziére, letztes Stichwort: das Internet, von dessen Sicherheit wir ja alle zunehmend abhängen. Die Regierung will eine eigene Kommission zur künftigen Netzpolitik berufen. Für wie groß halten Sie die Bedrohung durch die beherrschende Stellung von privaten Unternehmen, etwa von Google, die mehr über den Bürger wissen zu scheinen als die über sich selbst?

de Maiziére: (…)  Aber immer ist mit Freiheit auch Gefährdung verbunden und Verantwortung, und deswegen ist es wichtig und richtig, dass wir diejenigen, die große Datenbanken ansammeln – und das sind mehr die Privaten als der Staat -, auch in die Verantwortung nehmen, mit diesen Daten sorgsam umzugehen, und wir müssen erwarten, dass auch die Bürger mit ihren eigenen Daten vorsichtiger umgehen als in der Vergangenheit. (…)

Nun, das ist die bekannte Masche der Politik seit einiger Zeit: Google ist böse. Und die staatliche Vorratsdatenspeicherung, die Online-Durchsuchungen, die Internetzensur (die im Moment nur ausgesetzt ist), das alles wird verschwiegen. Aber dass nicht einmal dieser “Journalist” sie erwähnt und stattdessen so eine Frage stellt, zeugt einmal natürlich von kompletter Ahnungslosigkeit auf diesem Gebiet, aber auch wiedermal vom Niedergang der ehemaligen “vierten Gewalt”.

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Auf dem rechten Auge blind

Die BILD behauptet, dass die Zahl der Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund im Jahr 2009 deutlich zurückgegangen sei. Und diese Meldung wurde natürlich mal wieder von mehreren Nachrichtenagenturen übernommen, ohne sie zu überprüfen. Sie beruft sich dabei auf das BKA – in Wirklichkeit stammen die angeblichen Zahlen gar nicht von diesem. Die endgültigen Zahlen über rechtsextreme Gewalttaten liegen tatsächlich noch gar nicht vor, sind aber nach vorläufigen BKA-Schätzungen nahezu ebenso hoch wie 2008 – die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten insgesamt lag nach diesen Schätzungen mit 20.000 im Jahr 2009 auf Rekordniveau (Quelle). Doch das stört BILD-Chefkorrespondent Einar Koch nicht besonders, der die Zahlen wieder einmal – nach 2006, wo sie im Gegensatz zur BILD-Berichterstattung (deutlicher Rückgang) drastisch gewachsen waren – systematisch kleinrechnet: Einar hat aufm rechten Auge ein Milchmädchen (BILDBlog). Vergleicht man dies einmal mit der “Berichterstattung” der BILD über “Linksextremisten” (siehe z.B. hier oder hier), kann einem wirklich schlecht werden.

Wer versucht, rechte Gewalt – also regelmäßig beschädigte Menschen – durch den Verweis auf linke Gewalt – also regelmäßig beschädigte Sachen – zu relativieren, muss sich der Prämisse bedienen, dass der Wert beispielsweise eines totgeschlagenen Menschen dem Wert beispielsweise eines abgebrannten PKW entspricht, dass Opfer rechter Gewalt also eher Sachen sind und nicht Menschen. Wie kann man sich denn bitteschön ernsthaft eine solche Denkweise zueigen machen? (Holgi)

NACHTRAG: Lesenswert dazu ist auch der Kommentar von Stefan Niggemeier: Malen nach Zahlen.

Man kann natürlich fragen, welches Interesse die „Bild”-Zeitung und ihr Chefkorrespondent Einar Koch daran haben, das Ausmaß rechtsextremistischer Gewalt in diesem Land kleinzureden. Ich vermute, es ist ein alter, aus ideologischeren Zeiten übrig gebliebener, rechter Reflex, der in doppelter Hinsicht gegen die Linke zielt: Man versucht ihren Generalverdacht, dass Deutschland immer noch und wieder voller Nazis sei, zu widerlegen. Und man behauptet, dass die Gewalt von links ohnehin das viel drängendere Problem ist. (Die mutmaßlich linken Brandstifter, die in Hamburg und Berlin seit Monaten Autos anzünden, nennt „Bild” nicht zufällig „Terroristen”.)

Aber der Grund, warum ich mich über die Falschmeldung über den Rückgang rechter Gewalt besonders geärgert habe, hat weniger mit „Bild” zu tun. Sondern mit allen anderen. In dieser Geschichte steckt fast das ganze Elend des Journalismus von heute.  (…)

Währenddessen behält sich die Springer AG das Recht vor, im Wahlkampf einseitig und irreführend über die Parteien und ihre Programme zu berichten, wie es BILDBlog ausdrückt: Linke Wahlkampf-Berichterstattung. Die BILD am Sonntag hatte im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 bei einer Übersicht über die Steuerpläne der Parteien bei der Partei Die Linke ausschließlich Vorhaben für Steuererhöhungen aufgeführt, versehen mit dem Kommentar “Die Linkspartei denkt nur ans Erhöhen”. In Wirklichkeit fanden sich in den Forderungen der Linken Steuersenkungen für viele gesellschaftliche Gruppen – doch diese waren v. a. Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen. Auch der Presserat erkannte dies und erteilte der BILD einen “Hinweis”. Na dann.

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Wir dürfen den rechten Apologeten nicht die Meinungshoheit überlassen

Deutschland im Oktober 2009: Rassistische und sozialdarwinistische Hetze ist Zivilcourage, Lügen “sprechen endlich lang verschwiegene Wahrheiten aus” und erfahren Unterstützung bis in Teile des “bürgerlichen Lagers”. Die Springer-Presse agiert mal wieder an vorderster Front: Araber und Türken, Multikulti, die politische Korrektheit, Sozialromantiker und natürlich die Gutmenschen sind unser aller Untergang, die “linksextremistischen Fratzen des Terrors” und “linke Chaoten” die größte Bedrohung für unser Land. Sie verbreitet homophobe Ressentiments und Diskriminierungen (siehe dazu auch den Kommentar von Stefan Niggemeier: Die Schwulen sollen wieder verschwinden). Günter Wallraff verdeutlicht, wie tief in unsere Gesellschaft immer noch rassistische Vorurteile und teils blanker Hass verbreitet sind.

Heute zeigt es sich um so mehr: wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Freiheit immer verteidigt werden muss – gegen die Feinde der Freiheit. Denn die Feinde einer freien, offenen, toleranten Gesellschaft erfahren wieder mehr Aufwind. Einer Gesellschaft, die Menschen nicht wegen ihrer Ethnie, Herkunft, Religion, sozialen Schicht oder sexuellen Orientierung vorverurteilt und sie nicht diskriminiert. Die Generation der 68er hat für diese offene Gesellschaft, gegen den Muff des autoritären Spießbürgertums, gekämpft. Dass sie in diesem Gebiet Erfolg hatten, können die Rechten nicht ertragen. Diese Prediger des Hasses wollen die Diskriminierung. Sie hassen Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe, seien es Muslime, Ausländer, “Gutmenschen”, Linke oder Schwule.

Die Sache dabei ist, dass unsere Gesellschaft ihnen das zugesteht, was sie uns keinesfalls zugestehen würden: die Freiheit, auch eine Meinung, die man nicht teilt, zu äußern (wenn wir von den schlimmsten Ausartungen wie Volksverhetzung absehen). Die “Denkverbote”, die sie sich immer herbeistilisieren, existieren nicht. Deshalb muss unser Kampf ein argumentativer sein. Vielleicht ist es utopisch, alle Vertreter dieser Richtung überzeugen zu wollen, so wie es utopisch ist, einen überzeugten Nazi zum Menschenfreund zu machen. Aber wir müssen klar machen, dass diese Menschen sich mit ihrem Hass, ihrer Verachtung, ihrer Gewalt, an den Rand der Gesellschaft stellen. Und wir müssen gegen die immer noch in viel zu großen Teilen unserer Gesellschaft verwurzelten Vorurteile angehen. Vorurteile, die kontinuierlich und gezielt bestärkt werden, durch Berichte über Ausländer, die sich nicht integrieren wollen und alle faul und kriminell sind, über die Linken, die die DDR wieder aufbauen wollen, über die Gleichung Muslim = Terrorist. Dadurch entstehen Ängste, entsteht Ausgrenzung, entsteht Hass. Wir dürfen den rechten Apologeten nicht die Meinungshoheit überlassen.

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