Zum Gerechtigkeitsbild der Liberalen

Indem sie Konzepte wie einen Stufensteuertarif und die Kopfpauschale mit dem Attribut “gerecht” versehen, verdeutlichen die Vertreter von Union und FDP wieder, wie unterschiedlich Gerechtigkeitsvorstellungen sein können. Und wenn dabei auch noch “einfach” gegen “gerecht” ausgespielt wird, kann nur einer verlieren: der Sozialstaat.

 

Einfach, niedrig, gerecht? Ein neues Steuersystem und die Kopfpauschale

Das progressive Steuersystem hatte in Deutschland lange mit dem Konsens aller Bundestagsparteien bestand. Ein System, dass die Steuerlast an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anpasste, entsprach und entspricht noch dem Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Deutschen. 2005 kostete der “Professor aus Heidelberg” der Union mit seinem Flattax-Konzept fast den Wahlsieg. Seitdem war es ruhig darum, und auch die Unionsparteien und die FDP ließen im Wahlkampf nichts davon hören. Wie also nun die Menschen von einem Konzept überzeugen, dass den Weg in die Richtung einer Flattax ebnen soll (und zudem unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten als keineswegs sinnvoll betrachtet werden kann), den Stufentarif – und ihnen zudem die äußerst unpopuläre und von einer überwältigenden Mehrheit als ungerecht empfundene Kopfpauschale verkaufen? Wie üblich: mit der durch die Massenmedien völlig unreflektiert aufgegriffenen und immer wieder wiederholten Parole “einfach, niedrig und gerecht!”.

Niedrigere Steuern kommen immer gut an. Auch wenn sie in einer Lage der Wirtschaftskrise, einer noch nie dagewesenen Neuverschuldung und der selbst von Wirtschaftsliberalen eingesehenen Notwendigkeit von Konjunkturprogrammen kommen sollen. Die Kopfpauschale dagegen bedeutet mit den geplanten 105 Euro nur für Besserverdiener eine Entlastung – dort aber eine massive (die absoluten Spitzenverdiener hatten diese natürlich auch vorher durch die Beitragsbemessungsgrenze, die festgesetzte absolute Oberhöhe von Zahlungen an die Krankenversicherung – ein Konzept, dass ausschließlich in der Bundesrepublik existierte und ausschließlich dazu diente, die Reichsten der Reichen zu entlasten).

Kommen wir zu “einfach”. Es ist klar, was  immer mit diesem “einfacher” beabsichtigt wird: “der Stammtisch” soll überzeugt werden, die zu wählen und die Politiken zu unterstützen, “die er auch versteht”. Eine Flattax ist ja auch viel einfacher zu verstehen als eine progressive Steuer, ein einheitlicher Betrag zur Gesundheitsversicherung einfacher als ein einkommensabhängiger. [He, und wo wir schon bei der Kopfpauschale sind: wie wäre es mit einer Pauschalsteuer, einer Einheitssteuer nicht in der Form eines einheitlichen Prozentsatzes, sondern eines einheitliches Betrags? 1.000 Euro Steuer für jeden, das wäre doch eben ganz einfach. Und für die “Leistungsträger” ist es auch niedrig. Und darum gerecht.] Aber im Ernst: Einfachheit allein kann kein politisches Konzert sein, und dann um so mehr nicht, wenn sie in Konflikt zur Gerechtigkeit steht.

 

Die Stufensteuer: wirtschaftlich sinnlos UND ungerecht

Kommen wir zu dieser, kommen wir zur Gerechtigkeit. Die FDP hatte gefordert, den Mittelstandsbauch abzubauen. Dieser bedeutet, dass im deutschen Steuersystem zur Zeit Niedrigverdiener und der Mittelstand höher belastet werden als die Spitzenverdiener, da die Progression zunächst steiler verläuft, dann abflacht. Mit einem Stufentarif würden jedoch quasi so viele Bäuche wie Stufen entstehen und das Problem damit noch potentiert. Mehr Gerechtigkeit bedeutet dies also in keinem Fall, egal, von welchem Gerechtigkeitsverständnis wir sprechen (aber dazu kommen wir später). Auch das in letzter Zeit immer wieder gern genannte Argument der “kalten Progression” ließe sich nur bedingt mit einem Stufentarif beseitigen, da eben an der Grenze zu einer höheren Steuerstufe ein großer Sprung stattfindet (statt eines immer gleichmäßigen Anstiegs), also diesmal wirklich ein bedeutenderer Teil eines hinzuverdienten Euros wieder verschwindet. Für bestimmte Gruppen, deren Einkommen an diesen Schwellen liegen, bedeutet dieses System also einen Verlust an “gerechter” Besteuerung und auch eine Art der Willkür. Ein gleichmäßig ansteigendes Steuersystem ist sehr viel rationaler und wohl unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten nicht zu überbieten.

Auch den größtenteils Juristen, die bei den Regierungsparteien für die Wirtschafts- und Steuerpolitik verantwortlich sind, dürften diese Punkte nicht entgangen sein. [Auch wenn ich den Eindruck habe, dass man vielen von deren Anhängern noch mal den Unterschied zwischen Grenz- und Durchschnittssteuersatz erklären sollte (was wenigstens einige von ihren Äußerungen erklären könnte)]. Ein Stufentarif ist nicht viel einfacher als ein progressiver, und er ist nicht gerechter. Und dies trifft noch viel mehr auf die Kopfpauschale zu.

 

Die Kopfpauschale: warum die Gesundheit eines Menschen nicht das selbe wie ein Auto ist

Der neue Gesundheitsminister Rösler meint, die Kopfpauschale entlaste nicht nur den “Faktor Arbeit”, sondern dürfe ja auch gar nicht als “unfair” bezeichnet werden: über die Gesundheitsversicherung könne sowieo keine Umverteilung erfolgen, diese könne nur über das Steuersystem geschehen. Mal davon abgesehen, dass ich den Wirtschaftsliberalen glaube ich hier kein Unrecht tun, wenn ich festhalte, dass diese sowieso gegen den “Umverteilungsstaat” eintreten, ist die Aussage auch in anderer Hinsicht falsch. Die Gesundheitsversicherung ist in einem breiten politischen Konsens als Versicherung entwickelt worden, in der 1. jeder nach seiner Leistungsfähigkeit einzahlt und 2. jeder bei Bedarfsfall die Leistungen erhält, die er benötigt.

Zum 1.: Das eine einkommensunabhängige Kopfpauschale das Gegenteil dieses Prinzips darstellt, ist offensichtlich und bedarf wohl keiner eingehenderen Erläuterung. Und solche Äußerungen wie “wir zeigen durch eine Kopfpauschale, dass uns die Gesundheit jedes Bürgers gleich viel wert ist”, machen nur Sinn, wenn man die Gesundheitsversicherung sagen wir wie eine KFZ-Haftpflichtversicherung betrachtet, wenn man die Gesundheit zur Ware macht. Jeder zahlt einen gleichen Betrag, oder besser noch: “Risikogruppen” zahlen in der Gesundheit wie Umweltschädlinge bei den Autos höhere Beträge. Hier liegt aber ein gewaltiger Unterschied: die Gesundheit eines Menschen zu bewahren und ihm die Hilfe, die er benötigt, zukommen zu lassen, ist ein Grundpfeiler einer menschlichen Gesellschaftsform. Die Gesundheit ist außerdem nicht etwas, was man sich aussucht, wie etwa ein Auto, und für ihre Beibehaltung und Wiederherstellung sind auch nicht einigermaßen gleiche und vorhersehbare Kosten notwendig, wie bei einem Auto. Und diese Sicht, die Gesundheit nur als Ware zu betrachten, die auf Märkten gehandelt wird, wirkt sich auch auf das 2. Prinzip aus, die 2-Klassen-Medizin, die in Deutschland immer mehr entstanden ist. Die “Reformen”, die im Gesundheitssystem geplant sind, gehen noch mehr in diese Richtung: nur noch eine Basis-Grundversorgung für die Niedrigverdiener, mit “flexibel wählbaren” Erweiterungen. Je mehr Geld, gegen desto mehr Risiken kann man sich absichern, eine desto bessere Behandlung bekommt man. Im Extremfall kann der Geldbeutel über Leben und Tod entscheiden. Und dies tut er schon viel zu häufig.

NACHTRAG: Der Spiegelfechter: Spitze Ellenbogen statt starker Schultern. Schwarz-Gelb beerdigt die paritätische Finanzierung des Gesundheitssystems

 

Wenn der Mensch nur das zählt, was er leisten kann

Und doch kommt diese Haltung nicht von ungefähr. Sie rührt aus der in den letzten 3 Jahrzehnten zur Vorherrschaft gelangten neoliberalen Ideologie, in der der Einzelne nur so viel zählt, wie er wirtschaftlich zu leisten im Stande ist. In dieser ist dann für viele für Altruismus ebenso wenig Platz wie für als “Schwäche” angesehene physische oder psychische Krankheiten. Da gibt es keine Entschuldigung, jeder Mensch muss Leistung bringen – immer! In dieser harten Leistungsgesellschaft setzt sich nur der Starke durch. Eine überaus ekelerregende und pervertierte Erscheinung dieser Denkweise ist es vielleicht auch, wenn (glücklicherweise – noch? – in wenigen Einzelfällen) Ökonomen sich in als Studien getarnten Angriffen auf das humanistische Menschenbild und die Menschenwürde dazu herablassen, das Wert eines Menschenlebens daran zu bemessen, wie viel dieser für seine Gesundheit auszugeben in der Lage und bereit ist und so allen Ernstes zu dem Schluss kommen, man solle nur für die Gesundheit der Menschen in den reichen Ländern sorgen, weil die Menschen dort mehr dafür ausgeben können. Wer kein Geld hat, soll halt sterben. Oder Geld verdienen. Wie gesagt, diese menschenverachtenden Pamphlete sind zum Glück selten, und ich möchte auf keinen Fall sagen, dass solch widerliche Ansichten aus liberalen Überzeugungen folgen müssen. Aber in gewisser Weise treiben sie die Ansicht der Gesundheit als Ware – wie gesagt, pervertiert – auf die Spitze. Eine Entwicklung, die ein Warnsignal sein muss an alle, die daran glauben, dass jedes Menschenleben gleich viel zählt – seien es Liberale, Konservative oder Linke.

 

Gerechtigkeit und Menschenbild: Wenn der Mensch ausschließlich egoistisch ist

Die Gerechtigkeitsvorstellungen einer politischen oder philosophischen Richtung hängt nicht zuletzt mit deren Menschenbild zusammen. Der Mensch der liberalen und der konservativen Ideologie ist der Mensch, den die Großbürger Hobbes und Locke im England der frühen Neuzeit erfunden haben. Vorher war es kaum möglich gewesen, den Bürger als völlig herausgelöst aus der Gesellschaft zu betrachten. Die früheren Grundsteinleger des Liberalismus (Locke) und des Konservatismus (Hobbes) verstiegen sich nun aber dazu, den Bürger, den sie in der City of London sahen, als den Menschen schlechthin zu konzipieren, den ursprünglichen  Menschen des Naturzustandes. Dieser Mensch, so ihre Vorstellung, steht isoliert dar und handelt ausschließlich egoistisch unter einem auf die Verfolgung des eigenen Nutzens beschränkten Rationalitätsbegriff. Gewiss gibt es egoistisch nutzenmaximierend handelnde Menschen. Doch das Menschenbild, das Liberale und Konservative als das einzig mögliche ansehen, ist ebenso ein Ausdruck seiner Zeit wie das des politischen Mensch des antiken Griechenlands. Konkret ist es das Produkt des aufkommenden Kapitalismus in England zur Zeit des 17./ 18. Jahrhunderts.

Doch dieses Menschenbild ist das, was in der liberalen Lehre und in den liberalen Wirtschaftswissenschaften bis heute vorherrscht. Auch wenn soziologische Studien zeigen, dass die Gesellschaft eine viel größere Rolle spielt, dass der Mensch sich erst durch die Gemeinschaft als Individuum entfalten kann, stört das die Vertreter dieses Menschenbildes nicht sehr. Sie können und sie wollen sich nicht vorstellen, das Menschen auch altruistisch handeln können. Und so etwas ist keine Wissenschaft. So etwas ist Ideologie.

Wenn sich eine Ideologie auf dieses Menschenbild gründet, kennt sie höchstes die Konzepte “Leistungsgerechtigkeit” und “Chancengerechtigkeit”. Je mehr man leistet, um so mehr soll man davon haben, und jeder soll die gleichen Startchancen habe. “Soziale Gerechtigkeit” oder “Verteilungsgerechtigkeit” sucht man dort vergebens. Diese sind ur-sozialdemokratische Konzepte (und die “Sozialdemokraten”, die, v.a. in der Schröder-Müntefering-Steinmeier-Ära versucht haben, soziale Gerechtigkeit durch Chancengerechtigkeit zu ersetzen, haben damit nur versucht, den mageren Abklatsch des sozialdemokratischen Originals dort einzuschleusen. Die ehemals sozialdemokratische Labour-Party hat – nicht nur nach meiner, sondern auch nach der Meinung vieler Wissenschaftler – mit der Abkehr von der sozialen und Hinwendung zur Chancengerechtigkeit endgültig den Wandel von der sozialdemokratischen zur wirtschaftsliberalen Partei vollzogen).

 

Liberal versus Neoliberal

Während die klassischen Liberalen also noch ein paar Gerechtigkeitsbegriffe haben, wollen die härtesten Vertreter des Neoliberalismus davon nichts hören und lehnen auch diese Begriffe ab. Um ein Beispiel zu nennen: der klassische Liberale würde hohe Managergehälter z.B. dadurch rechtfertigen, dass diese viel arbeiten und eine hohe Verantwortung und hohe Risiken zu tragen haben. Eine Argumentation, die man nicht teilen muss, aber immerhin eine nachvollziehbare und in sich schlüssige Argumentation, denke ich. Der Neoliberale Hayek dagegen würde sagen: diese verdienen so viel, weil sie sich auf dem Markt durchgesetzt haben. Weil es so ist. Gerechtigkeit gibt es nicht, es kann sie (und es soll sie) nicht geben. Als “gerecht” könnte man dann höchstens noch die Marktergebnisse bezeichnen, egal wie sie ausfallen, eben: weil sie so ausfallen.Und an den Marktergebnissen etwas zu ändern, sei ein Eingriff in die menschliche Freiheit – allein die Erhebung von Steuern betrachtet er als eine im Prinzip genauso große Freiheitsberaubung und ebenso ein Eingriff in die Menschenwürde (!) wie etwa Gefängnis oder Folter.

 

Wir sehen also, Vorstellungen von Gerechtigkeit könne sehr verschieden und vielfältig sein – aber kaum so vielfältig wie die verschiedenen politischen Vorschläge, die immerzu reflexhaft als “gerecht” gegen jede Kritik immunisiert werden. Mal sehen, ob Regierung und Medien es schaffen, auch die Kopfpauschale und ein Stufenssteuersystem der Öffentlichkeit als “gerecht” zu verkaufen. Zumindest bei Letzterer sieht es ja ganz gut für sie aus.

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Die Philosophie der Stoa – Ethik für das Leben statt Theorie für die Bücher

Die Philosophie der Stoa und insbesondere die Senecas behandelt in erster Linie das Gebiet der Philosophie, dass für mich das entscheidende, da für das wahre Leben relevanteste, der Philosophie ist: die Ethik.

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Statt sich in metaphysischen Spekulationen (die, wie ich für mich denke, nur Spekulationen bleiben können: der Mensch kann mit seinem Verstand nur die durch diesen erfassten Gebiete erkennen, darüber möglicherweise Hinausgehendes entzieht sich unserer Erfahrung und kann daher nie gewusst werden) oder den theoretischen Formalia der Logik zu ergehen, will sie konkrete, und, was das Entscheidende ist,  praktisch anzuwendende Empfehlungen und Hilfestellungen für ein ruhiges, nicht von Affekten heimgesuchtes, glückliches Leben geben.

Zwei Aspekte der Philosophie der Stoa  erscheinen für mich besonders herausstellenswert:

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Einerseits das Ideal der Seelenruhe, der inneren Unerschütterlichkeit gegenüber äußeren Schicksalsschlägen (auf deren Eintreten oder Nichteintreten wir keinen Einfluss haben).

Und andererseits das eines moralisch geprägten Verhaltens gegenüber den Mitmenschen, in deren Mittelpunkt Werte wie Solidarität für die Gemeinschaft und Nächstenliebe stehen (kein Wunder, dass die frühen Christen viele Gemeinsamkeiten mit der Stoa fanden – die in ihnen jedoch eher eine Bedrohung sah – und sogar einen Briefwechsel zwischen Paulus und Seneca fälschten).

Seneca versucht für eine Vielzahl von Problemen Lösungsansätze auf der Grundlage der stoischen Philosophie zu geben, die auch heute noch als nützlich betrachtet werden können. Auch wenn die Vorschläge Senecas zugegebenermaßen häufig sehr streng und in dieser Form kaum in der Realität umsetzbar sind – sie stellen Idealbilder und Idealvorstellungen dar, denen man sich annähern kann. Die Themen, die Seneca anspricht, sind meist für fast alle Menschen zutreffende Probleme, denen sich jeder (einmal) zu stellen hat. Es sollen ein paar Beispiel der philosophischen Ideen Senecas folgen, wie er sie in den Briefen an Lucilius schildert.

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„Tugend als das höchste Gut“

In seinem 66. Brief  legt Seneca die fundamentalen Pfeiler der stoischen Ethik dar. Er betont zunächst die Unabhängigkeit des Geistes, der Seele, von Äußerlichkeiten (z.B. vom Körper). Tugend definiert er als Seelenverfassung, die nach Erkenntnis der Wahrheit strebt, die weiß, wie man sich verhalten soll, die frei ist von Affekten und Leidenschaften und die sich nicht vom Schicksal, vom unbeeinflussbaren Zufall, erschüttern lässt.
Er betont weiterhin sehr stark, dass die Tugend etwas in ihrem Wesen absolutes, vollkommenes, immer gleiches und unveränderliches sei, die in den konkreten Situationen nur verschiedene Gestalten annehmen kann. Für die Tugend einzig entscheidend ist die rechte Vernunft, Tugend ist die praktische Umsetzung der Vernunft. (Diese sieht Seneca als etwas göttliches im Menschen an, so wie alles Gute voller Vernunft und göttlichen Ursprungs sei.) Deshalb gäbe es auch keinen Unterschied zwischen den Gütern. Für diese zähle nur die Tugend allein, keine Äußerlichkeiten, auch nicht Freude oder Schmerz, sie seien einander in ihrer allein auf die Tugend bezogenen Wertigkeit gleich.
Das sittlich Gute muss der Mensch durch freien Entschluss tun. Da das Gute gemäß der Vernunft ist und die Vernunft der Natur folgt, ist das höchste Gut des Menschen, sich dem Willen der Natur anzupassen. Er muss erkennen, dass das ihm durch Zufall zuteil gewordene eben dadurch, dass es zufällig ist, haltlos, hinfällig, vergänglich ist und einzig die Tugend als das sittliche, vernunftgemäße Verhalten entscheidend ist.
Gerade die Forderung nach ethischem, moralischem Handeln in unserer von Egoismus und Egozentrik, vom Bestreben nach eigener materieller Bereicherung und von Entsolidarisierung geprägten Zeit erscheint mir heute von entscheidender Wichtigkeit. Die stoische Lehre der Seelenruhe, der Gelassenheit gegenüber äußerlichen Zufälligkeiten, dem Freimachen von extremen Leidenschaften und Affekten, der Konzentration auf die Tugend und eine (sittlich) gute Lebensführung erscheint mir sehr beachtenswert.

Die vier Kardinaltugenden der Stoa (diese wurden übernommen von Platon)
Die vier Kardinaltugenden der Stoa (übernommen von Platon) (4)

„Über den Reichtum des Weisen”

Im 17. Brief  betont Seneca, dass nicht der Erwerb von Reichtum das Wichtigste für die Lebensführung des Weisen ist, sondern das Streben nach Veredelung seiner Seele, die dem Menschen viel mehr gebe als materieller Besitz, nämlich ewige Freiheit und Furchtlosigkeit. Im Gemüt des Menschen läge die Ursache für entweder seine Ruhe oder seine Leiden.
Da man zur Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht viele Mittel brauche, solle sich der vernünftige Reiche dies zum Vorbild nehmen und genügsam leben. Auch in Armut und Not könne man sich der Philosophie widmen und am Streben nach Weisheit und sittlicher Vervollkommnung teilhaben, so Seneca. Die Menschen müssen ihre Konzentration abwenden vom Begehren und Streben nach Besitz, von einer nur auf Äußerlichkeiten beruhenden Glücksschimäre und erkennen, dass das Entscheidende im Menschen in seiner Seele liegt und dass ein sittlich gutes Leben nicht durch Egoismus, sondern durch Solidarität, durch die Liebe zum Mitmenschen, durch gerechtes Handeln gekennzeichnet ist.

„Über die Adressaten der Philosophie“

Seneca stellt im 44. Brief  an Lucilius die Zugänglichkeit und Möglichkeit der Ausübung der Philosophie für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihren Vorfahren, ihrem Beruf, ihrer sozialen Situation usw. dar. Niemand werde dadurch an der Beschäftigung mit Philosophie und an einer edlen Gesinnung gehindert. Er drückt es prägnant aus, indem er schreibt „Was die Philosophie anlangt, so weist sie niemanden zurück und bevorzugt niemanden: sie leuchtet allen.“ Er sieht keinen Unterschied zwischen Menschen „adliger“ und „nichtadliger“ Herkunft, sondern sagt, dass der Geist den Adel gibt.
Diese Betrachtung einer grundlegenden Gleichheit aller Menschen, der Unabhängigkeit ihrer Herkunft für ihr Leben und ihre Tugend war gerade für die Zeit Senecas sehr ungewöhnlich und sehr fortschrittlich.

Ancient Rome - Photo by http://picasaweb.google.com/milehighirish under http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/
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„Über den Nutzen der Philosophie“

Im 16. Brief sagt Seneca zunächst, dass das Streben nach dem Erwerb von Weisheit der entscheidende Punkt sei, ob jemand in seinem Verständnis glücklich oder auch nur erträglich leben könne. Er sagt, dass das Wesen der Philosophie nicht im Wort, sondern in der Handlung liegt. Sie helfe dem Menschen außerdem, das Schicksal zu tragen. Am Ende sagt er, dass die natürlichen Bedürfnisse begrenzt seien und die unbegrenzten dem Wahn entstammten und man naturgemäß leben solle.
Man erkennt ein Verständnis von Philosophie als einerseits Hilfestellung zum „Über dem Schicksal stehen“, zur Seelenruhe, und andererseits auch von ganz konkreten praktischen Hilfen für die Lebensführung, für das Verhalten den Mitmenschen, der Gesellschaft gegenüber.

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(1) Lin Kristensen / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

(2) Wikipedia (User: Calidius) / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

(3) Wikipedia / Public Domain

(4) Wikipedia / Public Domain

(5) Marty / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/

(6) Matthijs Koster / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

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Jesus – ein Sozialist?

Auch wenn ich in Bezug auf Religionen wie gesagt eine agnostische Position einnehme, erscheinen doch viele der Lehren des Jesus von Nazareth sehr beachtens- und nachahmenswert. Jesus wird ja heutzutage gerne von eher konservativ, national und kapitalistisch eingestellten Parteien (ich weiß, dass ich die – leider immer weniger werdenden – Anhänger der katholischen Soziallehre damit etwas übergehe) – für sich eingenommen. Doch legt man einen genaueren Blick auf die Aussagen Jesu, wie sie in der Bibel (also von seinen Anhängern) überliefert werden, ergibt sich ein durchaus anderes Bild:

“Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.” (Markus 12,31)

“Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach.” (Matthäus 19,21)

“Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben, oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.” (Mt 6,24)

“Gebt acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.” (Lukas 12,15)

Und auch das Zusammenleben einer ersten Anhänger (der Apostel) war anscheinend in einer Weise geregelt, die man heutzutage mit guten Gründen als “kommunistisch” bezeichnen könnte:

“Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte.” (Apostelgeschichte 2,44-45)

“Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.” (Apg 4,32)

” Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen. Jedem wurde davon soviel zugeteilt, wie er nötig hatte.” (Apg 4,34-35).

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Der kategorische Imperativ – Gemeinsamkeit aller Weltreligionen

Ich betrachte mich selbst als Agnostiker. Und betrachtet man sich die fundamentalen ethischen Grunsätze der großen Weltreligionen und der Philosophie, so scheinen Kriege und auch nur Konflikte zwischen diesen Weltanschauungen in großer Linie irrational: Der bekannte kategorische Imperativ Kants “Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne” findet sich in allen Weltreligionen:

“Man sollte sich gegenüber anderen nicht in einer Weise benehmen, die für einen selbst unangenehm ist; das ist das Wesen der Moral.” Mahabharata (Hinduismus)

“Gleichgültig gegenüber weltlichen Dingen sollte der Mensch wandeln und alle Geschöpfe in der Welt behandeln, wie er selbst behandelt sein möchte.” Sutrakritanga (Jainismus)

“Was du selbst nicht wünschst, das tue auch nicht anderen Menschen an.” Konfuzius (Konfuzianismus)

“Ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, soll es auch nicht für ihn sein; und ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, wie kann ich ihn einem anderen zumuten?” Buddha nach Samyutta Nikaya V (Buddhismus)

“Tue nicht anderen, was du nicht willst, dass sie dir tun.” Rabbi Hillel (Judentum)

“Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!” Jesus (Christentum)

“Keiner von euch ist ein Gläubiger, solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selber wünscht.” Mohammed (Islam)

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Das Blog von Markus Weber

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“Wenn ein solcher nun wieder hinunterstiege und sich auf denselben Schemel setzte: würden ihm die Augen nicht ganz voll Dunkelheit sein, da er so plötzlich von der Sonne herkommt? – Ganz gewiß. – Und wenn er wieder in der Begutachtung jener Schatten wetteifern sollte mit denen, die immer dort gefangen gewesen, während es ihm noch vor den Augen flimmert, ehe er sie wieder dazu einrichtet, und das möchte keine kleine Zeit seines Aufenthalts dauern, würde man ihn nicht auslachen und von ihm sagen, er sei mit verdorbenen Augen von oben zurückgekommen und es lohne nicht, daß man auch nur versuche hinaufzukommen; sondern man müsse jeden, der sie lösen und hinaufbringen wollte, wenn man seiner nur habhaft werden und ihn umbringen könnte, auch wirklich umbringen?

Was ich wenigstens sehe, das sehe ich so, daß zuletzt unter allem Erkennbaren und nur mit Mühe die Idee des Guten erblickt wird, wenn man sie aber erblickt hat, sie auch gleich dafür anerkannt wird, daß sie für alle die Ursache alles Richtigen und Schönen ist, im Sichtbaren das Licht und die Sonne, von der dieses abhängt, erzeugend, im Erkennbaren aber sie allein als Herrscherin Wahrheit und Vernunft hervorbringend, und daß also diese sehen muß, wer vernünftig handeln will, es sei nun in eigenen oder in öffentlichen Angelegenheiten.”

aus:  Platon – Politeia

Platons Höhlengleichnis
Platons Höhlengleichnis
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