Muss man Sarrazin wahrnehmen?

Von Frank Benedikt

Thilo Sarrazin hat ein Buch geschrieben. Das ist nichts Besonderes, das machen abgehalfterte Politiker nach dem Ende ihrer Karriere schon mal gern, so eben auch “Pöbel-Thilo”. Tagtäglich kommen in Deutschland über 200 Neuerscheinungen auf den Markt und Sarrazins Buch “Deutschland schafft sich ab” ist nur eine davon – muß man es und ihn also wahrnehmen? Ich meine ja.

In seinem aktuellen Beitrag “Der Wahnsinnige am Bohrer” schreibt Michael Spreng beim Sprengsatz, man solle Sarrazin doch die Aufmerksamkeit – und somit den medialen Boden – entziehen, eine Meinung, die ich dieser Tage auch  von verschiedenen Kolleginnen und Kollegen vertreten fand. Schließlich nähre diese Aufmerksamkeit nur seinen zweifelhaften Erfolg als Populist und befördere nun sein Buch bereits vorab zu einem Bestseller, der schon jetzt bei Amazon auf Platz 1 der Sachbuch-Bestsellerliste steht. Die “Lösung” könnte zielführend sein, wenn es sich bei Sarrazin um ein isoliertes Phänomen handeln würde, jedoch ist der Sachverhalt durchaus komplexer.

Der vormalige Berliner Finanzsenator und jetzige Bundesbanker versteht es hervorragend, die Ressentiments und Xenophobien von Millionen Bundesbürgern zu bedienen, ist dabei aber nicht alleine, sondern Teil eines Trends. Auch andere Personen des öffentlichen Lebens wie bspw. die Herren Buschkowsky, Heinsohn oder Sloterdijk haben diesen Trend wohl erkannt und greifen ihn – ähnlich einem Geert Wilders in den Niederlanden – zunehmend auf. Insofern ist “Pöbel-Thilo” nicht ein Einzelfall, sondern eher als symptomatisch anzusehen für eine Gesellschaft, die immer weiter nach rechts rückt und wachsend Vorurteile wie auch soziale Kälte entwickelt. (more…)

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Don’t feed the troll?

Don’t feed the troll?

Immer wieder findet man vor allem im Internet das Argument, man solle mit einer Diskussion über ein bestimmtes Thema – über etwa einen aktuellen politischen Vorstoss, der nicht die eigene Meinung repräsentiert – doch nicht “DIE auch noch stärken”, indem man sich überhaupt mit dem jeweiligen Thema beschäftigt. Egal, worum es geht: Man kann sich sicher sein, dass sich irgendwann jemand in einer Diskussion findet, der sich beschwert, dass diese Diskussion überhaupt stattfindet.

Ob da einige das Phänomen der Internet-Trolle zu sehr breittreten, will ich mal stehen lassen. Diese Ansicht ist auf jeden Fall in vielerlei Hinsicht nicht zielführend. Sie ist vielmehr, um es hart auszudrücken, meist genauso sinnentleertes Gerede wie, dass man etwa mit Demonstrationen gegen Nazis “denen dadurch ja nur noch mehr Aufmerksamkeit schenkt”. Zu Recht werden häufig die Konservativen und Liberalen, die sich in vielen Städten nicht an Anti-Nazi-Demonstrationen beteiligen wollen, für diese Einstellung kritisiert. Sollen wir es tolerieren, dass die Feinde der Toleranz und der Freiheit ihre rassistischen und faschistischen Botschaften weiter verbreiten dürfen? Das würden sicherlich viele ablehnen. Und soll man denn andererseits selbst die hetzerischsten und menschenverachtendsten Aussagen einfach stehen lassen egal, wie es die, die überall von Trollen sprechen, wollen – egal, wie schlimm sie sind (es gilt bei manchen offenbar fast: je schlimmer die Aussage eines “Trolls”, desto weniger sollte man drüber reden)? Werden Werte wie Freiheit, Demokratie, Menschenrechte nur auf der Straße verteidigt, oder geht es nicht auch darum, sie als Idee zu verteidigen – gegen alle Anfeindungen, auch wenn etwa sie aus dem Feuilleton einer als seriös angesehen Zeitung kommen?

Sollen wir doch die ganzen Sarrazins, Heinsohns, Westerwelles, die versammelte Springer-Journaille hetzen und Unwahrheiten verbreiten lassen? Genau! Tun wir einfach so, als gäbe es sie nicht, und beschäftigen wir uns mit etwas anderem. Am besten mit irgendwas, was man in der Realität nie wird umsetzen können, vor allem, weil man sich mit Gegenargumenten ja nicht beschäftigt, da man damit ja nur die, die die Gegenargumente vorbringen, stärken würde.

Ich denke, die reflexhafte Verwendung des “sollten wir gar nicht erst drüber reden und ihnen Aufmerksamkeit schenken”-Arguments ist oft begründet in der Unfähigkeit bzw. in dem Unwillen, politische Gegner argumentativ zu widerlegen. Denn auch wenn die Äußerungen, die man “einfach nicht beachten” soll, oft äußerst plump sind – es geht um das Gedankenbild, das dahinter steht. Und das ist durchaus ausgearbeiteter, als ein platter Spruch auf einem FDP-Plakat einen glauben lassen mag (in den meisten Fällen zumindest).

Es ist im öffentlichen Meinungsbildungsprozess nicht immer so einfach wie bei einem Internet-Troll, dass er tatsächlich bald aufgibt, wenn man ihn ignoriert. Und selbst wenn man das tut: viel zu viele tun dies in der öffentlichen Diskussion ohnehin nicht. Also muss man ihnen Contra bieten. Es geht in der politischen Auseinandersetzung ja gerade darum, die besten Argumente zu finden, Argumente der anderen Seite zu widerlegen oder sie eben als falsche Argumente zu entlarven. Viel zu viele Leute glauben diesen Blödsinn, bei dem sich jeder vernünftige Mensch natürlich erst denkt, darüber muss man ja gar nicht sprechen, so dumm ist das, tatsächlich. Will man sie nicht alle gänzlich verloren geben, muss man versuchen, wenigstens einige von ihnen mit der Kraft der Logik und der Vernunft, durch eine sachliche Argumentation zu überzeugen. Man muss darauf aufmerksam machen, wenn jemand rassistische und sozialdarwinistische Einstellungen verbreiten will, und man muss es nicht nur sagen, man muss es auch belegen. Plumpe Propaganda sollten diejenigen, denen es um Emanzipation und Aufklärung der Gesellschaft geht, sich nicht zu eigen machen.

Alles dasselbe!

Wenn diese Leute sich dann doch einmal zu einem Thema äußern – und damit dann eigentlich in ihrer eigenen Logik “die Aufmerksamkeit nur auf DIE” lenken (wo sie in der Realität ohnehin leider oft ist), begegnen wir oft einer anderen verbreiteten Unsitte. Die Argumentation ist dann ähnlich einfach oder vereinfachend, wie die der kritisierten Seite. Ein Beispiel: Marxismus ist entweder das Grundübel an sich oder die unfehlbare Quelle aller Weisheit. Alle wirtschaftlichen Probleme, egal welche, sind nur ein Zeichen des naturgesetzmäßigen Untergangs des Kapitalismus, deshalb muss man sich keine große Mühe machen, sich die Vorgänge mal genau anzuschauen. Die Kapitalisten wollen den Arbeiter ausbeuten, und am besten bringt man dann noch ein Brecht-Zitat. Vulgärmarxismus kann man das auch nennen.

Und natürlich ist ja alles das selbe: alle, alle, alle sind neoliberal (außer der Gruppe, zu der man gerade gehört), zwischen Guido Westerwelle und Dietmar Bartsch gibt es so gut wie keinen Unterschied, Meinhard Miegl, Arnulf Baring oder Hans-Werner Sinn vertreten im Prinzip genau das selbe wie Heiner Flassbeck oder Paul Krugman, und alle sind sie: Kapitalisten!. Und uns würde ja sowieso nur die Revolution helfen, wenn, ja wenn sie endlich alle aufstehen würden, anstatt im Internet andere belehren zu müssen, entweder über ein Thema nicht zu sprechen, da man damit nur die falsche Seite stärkt, oder man versichern muss, dass sowieso fast jeder zu dieser falschen Seite gehört. Dann könnte das noch was werden.

Auf diese Weise mag man in seinem Weltbild schön zu Rande zu kommen. Vor den wirklichen Problemen verschließt man aber die Augen. Und verändern wird man nichts.

Bilder:

Wikipedia (User:Asbestos) / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

Flickr (Ramon  Redondo) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

Flickr (Anderson Mancini) / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

xkcd / http://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.5/

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Generalangriff auf den Sozialstaat – Guido an die Front!

George W. Westerwelle

Guido Westerwelle hat sich also, so formuliert es die Süddeutsche, vom diplomatischen Dienst ab- und zum Dienst an der “Heimatfront” angemeldet und überschwemmt die Medien, allen voran die Springer-Presse, mit Hartz-IV-Populismus.

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Seine Angriffe klingen, so zeigt Spiegel Online, verblüffend ähnlich wie die perfekt einstudierten Hetztiraden der US-Republikaner. Er kupfere hemmungslos Sprüche und Ideen bei den Republikanern ab, mit dem Ziel einer Spaltung der Gesellschaft. Er beschwört wie die Republikaner eine “sozialistische Gefahr”. Die Methoden sind also ähnlich, aber sich ausgerechnet die diffamierenden und Hass schürenden aktuellen Strategien der rechtskonservativen und erzreaktionären Republikaner anzueignen, spricht nicht gerade für eine sich “liberal” nennende Partei. Und schon vor zwei Jahren meinte Westerwelle “Von George W. Bush lernen, heißt Steuern senken lernen”.

Aber wir wissen ja: in Westerwelles Weltbild ist schon alles, was zum Abbau von Armut, Ausbeutung und Ungleichheit führen könnte, von vornherein “Sozialismus”. Was würde Westerwelle eigentlich machen, wenn er vor “Sozialismus” warnt und man meinte, dass man das gar nicht schlecht finden würde? Ich glaube, er würde mit seinem Weltbild gar nicht mehr klarkommen. Und lustig ist ja auch, wie die FDP sich krampfhaft bemüht, “links” zu einem Quasi-Schimpfwort zu machen wie in den USA “liberal”. Bei solchen Aussagen oder wenn er etwa wütend auf den “linken Zeitgeist” ist, fragt man sich dann aber schon, ob er die Grenze vom blanken (aber kalkulierten?) Populismus zum völligen Realitätsverlust nicht doch überschritten hat.

Alles falsch

Wie fundiert sind dabei die Aussagen Westerwelles? Der Stern lässt auf Hartz IV: Wie viel Wahrheit steckt in Westerwelle? kompetente und renommierte Fachleute (und keineswegs alle aus dem “linken Lager”) wissenschaftlich darlegen, wieviel an Westerwelles Äußerungen der letzten Tage wirklich dran ist – und das Ergebnis ist verheerend.

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Eine Umverteilung findet in Deutschland tatsächlich statt: aber von unten nach oben und von den Arbeits- hin zu den Kapitaleinkünften. Die Mittelschicht ist gerade durch eine neoliberale Arbeitsmark- und Sozialtpolitk geschrumpft, der Sozialstaat ist in Deutschland nicht zu groß (er könnte aber effizienter arbeiten). Das deutsche Bildungssystem zeichnet sich eher durch zu viel als zu wenig, wie Westerwelle meint, Leistungsdruck aus. Von der Familienpolitik von Schwarz-Gelb haben, anders als ihre Propaganda behauptet, fast nur die Spitzenverdiener profitiert. Und der fehlende Abstand zwischen Hartz IV und Löhnen liegt an der Ausbreitung des Niedriglohnsektors – eine Lösung wären eher Mindestlöhne denn eine Senkung von Hartz IV.

Die Zeit verdeutlicht unter Sozialstaat: Westerwelles schräges Zahlenspiel u.a., wie in den letzten Jahren Spitzenverdiener entlastet wurden und dies durch die FDP noch mehr würden, warum die FDP-Politik, etwa bei Gesundheit und Familien, unsozial ist, zu noch mehr Umverteilung von unten nach oben und gleichzeitig zu mehr Ausgaben führt. Und sie zeigt, dass Deutschland bei den Sozialausgaben international nur im Mittelfeld liegt.

Das Ziel: der Generalangriff auf den Sozialstaat

Sicherlich will Westerwelle auch ablenken von der Käuflichkeit der FDP. Wenn man in den letzten Wochen irgendwo etwas über die FDP lesen, hören, oder sehen konnte, war dies das große Thema. Und der Einfluss der Lobbys auf die Politik wird durch eine künftig deutlich schnellere Veröffentlichung von Großspenden noch offensichtlicher: Großspenden an die Parteien – Schwarz-Gelb heißt Schwarz-Geld (Süddeutsche). Westerwelle hat es jetzt geschafft, etwas davon abzulenken, keine Frage.

Aber was die FDP vor allen anderen Dingen will, ist eines: eine Demontage des Sozialstaates, eine Abschaffung des Modells des Wohlfahrtsstaates und eine Adaption des liberalen Systems nach dem Vorbild Großbritanniens und der USA. Statt sozialer Sicherheit soll es dann nur noch Nothilfe geben, angebliche (aber nie gewährleistete) Chancengleichheit (oder sogar nur Chancengerechtigkeit) in der Bildung soll an die Stelle der sozialen Gerechtigkeit treten, Hierarchisierung anhand von Marktleistungen an die der universellen  Gleichheit aller Menschen. Egoismus soll  Solidarität, Utilitarismus Ethik ablösen. Das wäre dann der “Neuanfang des Sozialstaates” – die Generaldebatte über den Sozialstaat, die Westerwelle fordert, wird so wohl eher Generalangriff auf den Sozialstaat. Und da, so zynisch es klingt, ist die Käuflichkeit einer Regierungspartei tatsächlich fast schon eine Nebensache.

Klassenkampf von oben

Ob Westerwelle sich hierbei geschickt anstellt ist eine andere Frage. Einerseits erntet er von so gut wie allen politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen, und selbst im größten Teil der Medien, Widerspruch und verprellt durch seine dumpfen Parolen möglicherweise einige klassische FDP-Anhänger.

Andererseits sind seine Aussagen auch Ausdruck einer verkommenen Mentalität derjenigen, die sich selbst als Leistungsträger betrachten, weil sie viel Geld verdienen. Sloterdijks Angriffe auf den Sozialsstaat oder Sarrazins sozialdarwinistische Äußerungen sind ebenfalls Audruck dieses Klassenkampfes von oben. Und Westerwelle erhofft er sich  (und findet ihn anscheinend auch teilweise) Zuspruch bei einem reaktionären springerlesenden Stammtisch-Publikum. Die neoliberale Politik hat es durch ihre Ausführer in der Journaille geschafft, frühere Unzufriedenheit mit dem politischen und wirtschaftlichen System in blinden Hass umzuwandeln, der sich gegen die richtet, die immer noch unter einem stehen (auch wenn ein großer Teil der Arbeitnehmer von Hartz IV bedroht ist, auch und vielleicht gerade die Springer-Leser, die so etwas schreiben).

Guido prescht vor, die anderen folgen

Die Taktik für grundlegende politische Veränderung ist oft, ersteinmal eine Rampensau vorzuschicken, um die Lage zu sondieren, auszuloten, wie weit man gehen kann (mit möglichst nicht nur direkten und undiplomatischen, sondern auch beleidigenden, diffamierenden und spaltenden Angriffen. Grenzen gibt es bei esolch einem Vorgehen kaum.). Politik und Medien werden dann meist ersteinmal den Tonfall missbilligen, der ja nicht ganz angemessen wär, um dann eine Kampagne anzustoßen nach dem Motto “aber vom Inhalt her hat er doch eigentlich schon irgendwie Recht”. Als Reaktion auf die öffentliche Empörung folgt dann ein Umdrehen des Spießes – man wird selber empört, gar höchst aggressiv: “man wird doch so etwas noch mal sagen dürfen!”. Man wird sich selbst als Opfer darstellen der “linken Meinungsdiktatur”, all dieser verblendeten Sozialromantiker und der so gehassten “Gutmenschen” (und ich betone es immer wieder: es ist schon bezeichnend, wenn man diesen Begriff mit negativer Intention benutzt und er als Kampfbegriff des rechten Randes verwendet wird) – und das um so mehr, je weniger sachliche Argumente man hat. Man wird aggressiv betonen, dass man sich vielleicht anfangs in der Wortwahl vergriffen habe, dass aber die Verkürzungen, Verdrehungen und schlichten Lügen “die Wahrheit” seien. Und wir können den Anfang jetzt beobachten:

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Nachdem natürlich Spinger den Anfang gemacht hat, steigt die Tagesschau ein (und die Kommentatorin zeigt, welch Geistes Kind sie ist, wenn sie “Gutmenschen” und “political correctness” im negativ gemeinten Sinn benutzt). Auf jeden Fall ist es klar: sie wird nicht allein bleiben. Andere werden folgen, um ihre Kampagne fortzuführen, unterstützt von einflussreichen und finanzstarken Lobbys.

Das Ziel ist die Erfüllung des neoliberalen “Auftrags”: die vollständige Demontage des Sozialstaates, der Abbau sämtlicher Mechanismen, die zu einem sozialen Ausgleich führen, die die “Marktergebnisse verzerren” und der achso gegängelten “Elite” unseres Landes das Leben schwer machen. Die Feinde des Sozialstaates werden sich gruppieren. Sie wollen ihm den endgültigen Todesstoß verpassen. Pardon wird nicht gewährt.

Ob sie damit Erfolg haben werden, ist ebenso eine Frage davon, ob der kritische Journalismus, wie es derzeit teilweise wirkt, wieder eine Renaissance erlebt und ob die Oppositionsparteien stringent zusammenarbeiten werden, wie davon, welche Kräfte die Zivilgesellschaft zur Verteidigung des Sozialstaates in Deutschland mobilisieren kann.

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Bildquellen:

(1) http://www.flickr.com/photos/jaumedurgell/ / CC BY-NC 2.0

(2) http://www.flickr.com/photos/46316635@N00/ / CC BY-NC-SA 2.0

(3) http://www.flickr.com/photos/f-hain_net/ / CC BY-NC 2.0

(4) http://www.flickr.com/photos/farbfilmvergesser/ / CC-BY-NC-SA

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Wir dürfen den rechten Apologeten nicht die Meinungshoheit überlassen

Deutschland im Oktober 2009: Rassistische und sozialdarwinistische Hetze ist Zivilcourage, Lügen “sprechen endlich lang verschwiegene Wahrheiten aus” und erfahren Unterstützung bis in Teile des “bürgerlichen Lagers”. Die Springer-Presse agiert mal wieder an vorderster Front: Araber und Türken, Multikulti, die politische Korrektheit, Sozialromantiker und natürlich die Gutmenschen sind unser aller Untergang, die “linksextremistischen Fratzen des Terrors” und “linke Chaoten” die größte Bedrohung für unser Land. Sie verbreitet homophobe Ressentiments und Diskriminierungen (siehe dazu auch den Kommentar von Stefan Niggemeier: Die Schwulen sollen wieder verschwinden). Günter Wallraff verdeutlicht, wie tief in unsere Gesellschaft immer noch rassistische Vorurteile und teils blanker Hass verbreitet sind.

Heute zeigt es sich um so mehr: wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Freiheit immer verteidigt werden muss – gegen die Feinde der Freiheit. Denn die Feinde einer freien, offenen, toleranten Gesellschaft erfahren wieder mehr Aufwind. Einer Gesellschaft, die Menschen nicht wegen ihrer Ethnie, Herkunft, Religion, sozialen Schicht oder sexuellen Orientierung vorverurteilt und sie nicht diskriminiert. Die Generation der 68er hat für diese offene Gesellschaft, gegen den Muff des autoritären Spießbürgertums, gekämpft. Dass sie in diesem Gebiet Erfolg hatten, können die Rechten nicht ertragen. Diese Prediger des Hasses wollen die Diskriminierung. Sie hassen Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe, seien es Muslime, Ausländer, “Gutmenschen”, Linke oder Schwule.

Die Sache dabei ist, dass unsere Gesellschaft ihnen das zugesteht, was sie uns keinesfalls zugestehen würden: die Freiheit, auch eine Meinung, die man nicht teilt, zu äußern (wenn wir von den schlimmsten Ausartungen wie Volksverhetzung absehen). Die “Denkverbote”, die sie sich immer herbeistilisieren, existieren nicht. Deshalb muss unser Kampf ein argumentativer sein. Vielleicht ist es utopisch, alle Vertreter dieser Richtung überzeugen zu wollen, so wie es utopisch ist, einen überzeugten Nazi zum Menschenfreund zu machen. Aber wir müssen klar machen, dass diese Menschen sich mit ihrem Hass, ihrer Verachtung, ihrer Gewalt, an den Rand der Gesellschaft stellen. Und wir müssen gegen die immer noch in viel zu großen Teilen unserer Gesellschaft verwurzelten Vorurteile angehen. Vorurteile, die kontinuierlich und gezielt bestärkt werden, durch Berichte über Ausländer, die sich nicht integrieren wollen und alle faul und kriminell sind, über die Linken, die die DDR wieder aufbauen wollen, über die Gleichung Muslim = Terrorist. Dadurch entstehen Ängste, entsteht Ausgrenzung, entsteht Hass. Wir dürfen den rechten Apologeten nicht die Meinungshoheit überlassen.

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Die Springer-Presse im Oktober 2009: Presserat, SPD und Sarrazin

BILDBlog zeigt, womit sich der Deutsche Presserat im Jahr 2008 bei der Bild beschäftigt hat – wie zu erwarten wieder jedesmal ohne faktische Konsequenzen. So geht es z.B. um einen Versuch, eine der wutschnaubenden Hasstiraden von Franz Josef Wagner zu verstehen.

Die NachDenkSeiten veranschaulichen, wie die Springer-Presse und außerdem Spiegel und Süddeutsche versuchen, die SPD auf den “rechten Weg” zu trimmen. So warnt Steinmeier in der Springer-Presse davor, sich nur um soziale Gerechtigkeit, also um die sozial Schwachen, um die „Resignierten und Abgehängten“, zu kümmern. Die SPD würde dann absinken zur „Klientelpartei“. Ein toller “Oppositionsführer”, nicht wahr …?

Besonders ekelhaft aber sind Versuche der Bild (kuckt euch mal den Artikel bis zum Ende an – der beginnt harmlos/ sich kritisch-ausgewogen gebend, um dann richtig loszulegen), aus den widerlichen Lügen des Thilo Sarrazin “lang geschönte Wahrheiten” zu machen, die Sarrazin endlich “offen ausspreche” (was auch 87% von 34.000 Teilnehmern einer Bild.de-Umfrage glauben). Da dürfen dann auch mal prominente Botschafter der Versöhnung wie Arnulf Baring, Hendryk M. Broder oder Ralph Giordano gegen “Zuwanderer aus der Türkei und dem arabischen Raum”, die “politische Korrektheit”, die “Gutmenschen”, “Multikulti-Illusionisten” oder “Umarmer vom Dienst, Sozialromantiker und Beschwichtigungsapostel” ätzen.

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Todesstrafe und Sozialdarwinismus

Bei SWR2 Leben gibt es einen interessanten Podcast: Der Tod als Strafe (MP3) (Alternativlink):

Was tut archaisches Recht in einer Demokratie des 21. Jahrhunderts?

Von Lotta Suter. SWR2Leben vom 01.10.2009.

Die USA haben den alttestamentarischen Rachegedanken “Auge um Auge” ins neue Jahrtausend hinübergenommen. Die öffentliche Meinung zum Thema Todesstrafe ist geteilt. Als 15. US-Bundesstaat hat New Mexico die Todesstrafe aufgehoben. Im Neuenglandstaat New Hampshire jedoch, wo die letzte Exekution 70 Jahre zurückliegt, wird gegenwärtig der Bau einer Exekutionskammer diskutiert, um die “ultimative Strafe” an einem einzigen Täter vollstrecken zu können. An der öffentlichen Anhörung debattieren Befürworter und Gegner die Todesstrafe nach allen Regeln der Demokratie.

Der Podcast dauert etwa 24 Minuten.

Das Manuskript der Sendung gibt es hier als pdf.

Besonders gut fand ich den folgenden Abschnitt:

Die meisten westlichen Demokratien betrachten die Abschaffung der Todesstrafe heute als einen der wichtigsten und wertvollsten Zivilisations- und Kulturalisierungsfortschritte. Die USA sind noch nicht ganz so weit.
Noch hält die Nation an der Idee einer absoluten Gerechtigkeit fest und ist überzeugt, dass man das Böse eindeutig identifizieren, vom Guten trennen und ein für allemal eliminieren kann. Der biblische Rat, man solle das schlechte Glied abhauen, um den gesunden Leib zu retten, bestimmt und korrumpiert die amerikanische Gesellschaft. Im Innern der USA führt diese Haltung zu einer gnadenlosen Sozialpolitik gegenüber den Armen und einer rekordverdächtigen Inhaftierungsrate von unerwünschten Menschen. In der Außenpolitik wird der Feind mit allen Mitteln, auch mit Krieg und Folter, unschädlich gemacht.
Die Todesstrafe dient der Elimination des Bösen. Wobei unverzüglich klar wird, dass dieses Böse stets das ganz Andere ist: Die andere Rasse, die andere soziale Klasse, der krankhafte Psychopath. Es ist kein Zufall, dass die Todesstrafe in Kriegszeiten heute sogar in der EU, im Lissabon Vertrag, wieder zur Debatte steht; denn im Krieg ist die Entmenschlichung des feindlichen Andern am weitesten fortgeschritten. Leider verstehen sich die USA ständig als eine Nation im Ausnahmezustand, wenn nicht gar im akuten Krieg. Die Abschaffung der Todesstrafe wäre in diesem Sinn eine friedenssichernde Maßnahme.

Und auch in Deutschland gibt es Versuche, sozialdarwinistische Auffassungen wieder zu verbreiten: Thilo Sarrazin und der Neuaufguss des Sozialdarwinismus.

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