Guttenberg, Schäuble und die “vierte Gewalt”

Zwei aktuelle Beispiele verdeutlichen einmal mehr, wie es seit langem um die deutschen Medien, die sich gerne selbst als „vierte Gewalt im Staat“ sehen und bezeichnen, bestellt ist: Sie sind längst keine kritische Gegenmacht zur Staatsgewalt mehr, sind kein auch nur irgendwie neutraler oder objektiver Beobachter, sondern gezielte Stimmungsmacher für bestimmte Interessen. Für eine fast deckungsgleiche Auffassung, als deren Konsequenz Horst Köhler noch zurückgetreten war (die Befürwortung von Wirtschaftskriegen) erntet zu Guttenberg ausschließlich Lob. Wolfgang Schäuble jedoch wird ein eher lässlicher Aussetzer schwer angelastet.

Zu erklären ist dies wohl nicht nur durch persönliche Faktoren und einen unterwürfigen Personenkult der deutschen Presse, sondern auch durch politische Gründe: Während Schäuble Steuersenkungen im Weg steht, ist Guttenberg ganz auf wirtschaftsliberaler Linie.

Guttenberg und Wirtschaftskriege

Guttenberg hatte am 9. November Militäreinsätze zu Gunsten deutscher Wirtschaftsinteressen befürwortet. Er plädierte für einen “unverkrampften Umgang” mit wirtschaftlichen Interessen in der Sicherheitspolitik, mit denen man “offen und ohne Verklemmung” umgehen solle und sprach dabei von Sicherung der Handelswege und der Rohstoffquellen. Wir erinnern uns: Für seine Forderung, dass Deutschland zur Absicherung seiner wirtschaftlichen Interessen auch militärische Einsätze durchführen sollte, hatte der damalige Bundespräsident Köhler heftige Kritik geerntet, auch von breiten Teilen der deutschen Medien. Aufgrund dieser Kritik war er dann auch zurückgetreten. Guttenberg nun verteidigte dann auch ausdrücklich Köhlers Aussage, dieser habe “über etwas Selbstverständliches” gesprochen. Im Gegensatz zu Köhler gab es nun jedoch so gut wie kaum ein Echo in den deutschen Medien. Wenn es Kommentare gab, so wurden zu Guttenbergs Aussagen meist schöngeredet, und gar verteidigt. (more…)

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Unter Freunden

Was ist denn da los? Entdecken Finanwirtschaft und Banken nun doch endlich ihre Verantwortung? Führen die Verstrickungen von Politik und Finanzlobby doch noch zu etwas Gutem? Zumindest scheint es so:

http://www.youtube.com/watch?v=WSm06mwXjFc

(Das Beste, finde ich ja, kommt ganz am Ende.) Das Video ist von der globalisierungskritischen NGO WEED (World Economy, Ecology & Development), und seine Weiterverbreitung (unter Quellenangabe) ist ausdrücklich erwünscht. Weitere Informationen zum Thema, Links zu Projekten, die die Lobby-Politik-Verflechtungen untersuchen und zu Studien zum Thema gibt es hier. WEED betreibt auch sonst seit Jahren sehr unterstützenswerte Projekte betreibt und liefert viele gute Informationen.

Bei der Gelegenheit möchte ich auch noch einmal auf diese äußerst sinnvolle Initiative zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer hinweisen.

http://www.youtube.com/watch?v=roQh5TvhB4Q

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Ganz lahme Aprilscherze

Heute, zum 1. April, warten wieder einige Medien mit mehr oder weniger lustigen Falschmeldungen auf. Aber manche dieser angeblichen Nachrichten sind schon so offensichtlich erfunden, dass es nicht schwer fällt, sie als Aprilscherze zu enttarnen.

Da werden wirklich die abenteuerlichsten Geschichten aufgetischt. Angeblich gibt es z.B. einen neuen Verdacht auf illegale Parteifinanzierung – gegen die FDP!!! Mein Gott, jede Partei, aber doch nicht die FDP! Nein, ganz im Gegenteil, die FDP tut sogar etwas gegen Korruption in anderen Ländern: die afghanische Regierung soll die Korruption stärker bekämpfen, wenn sie mehr Hilfsgelder von Deutschland erhalten will (außerdem will Dirk Niebel die deutsche Hilfe nur noch dort leisten, wo auch die Bundeswehr – nun sagen wir tätig ist. Hilfsorganisationen sollen nur gefördert werden, wenn sie mit der Bundeswehr zusammenarbeiten. Aber das bedeutet natürlich nicht eine Militarisierung der Entwicklungshilfe! Nein!!). Wenn man da von jemandem lernen kann, dann von der FDP!!1! Und natürlich bei den Steuern:

Und weil es an Bord auch nicht ganz so ernst zu gehen soll, probiert Niebel noch den ein oder anderen Witz. “Wir zeigen denen noch wie sie Steuereinnahmen bekommen”, sagt Niebel und meint die afghanische Regierung. Und er rundet die Anspielung auf die deutsche Debatte um Steuersenkungen noch ab: “Wir sind ja nicht generell gegen Steuern.” Niebel grinst.

Ein wahrlich köstliches Bonmot! Beim Thema Steuern sind aber auch andere Parteien zu Scherzen aufgelegt: die CDU-Mittelstandsvereinigung sagt, sie wünsche sich beim Thema Steuersenkungen weiter klare Worte von der FDP. Diese müsse dabei “Treiber der schwarz-gelben Koalition sein” sein und auf ihrer Forderung nach schnellen Steuersenkungen beharren. Sehr lustig, CDU! Damit wollt ihr der FDP wohl den Rest geben. Mit Leuten (oder Parteien), die am Boden liegen, treibt man nicht solch üble Späße!

Oder noch einmal zurück zur Korruption: Man ist sich tatsächlich nicht für einen so billigen Scherz zu schade, zu behaupten, dass derzeit strafrechtliche Verfahren in über hundert Fällen gegen Mitarbeiter von verschiedenen Bundesministerien wegen Verdachtes auf Korruption laufen würden! Korruption!?! Bei unseren Ministerien!?!!So etwas von unglaubwürdiges habe ich ja selten gelesen (außer gerade die Sache zur FDP)!! Nein nein, liebe Presse, da müsst ihr schon etwas kreativer sein!

Oder der: der Heilige Vater muss sich angeblich billiger juristischer Tricks bedienen: seine diplomatische Immunität als Staatsoberhaupt des Vatikans müsse herhalten, damit er nicht vor einem US-amerikanischen Gericht erscheinen muss (dort gibt es eine Sammelklage, in der der katholischen Kirche vorgeworfen wird, sie habe Missbrauchsfälle toleriert). Als ob der Stellvertreter Gottes auf Erden so etwas nötig hätte!!1! Und als ob er als Verkünder der Botschaft Jesu Christi nicht für das Wahre und Gute stehen würde! Oder das: ausgerechnet DER Botschafter der Toleranz, Versöhnung und Nächstenliebe, Walter Mixa, soll Kinder geschlagen haben? Als ob das irgendjemand glaubt!!!1 Sehr souverän ist dagegen der Umgang der Kirche, die sich “ausdrücklich zivilrechtliche und strafrechtliche Schritte” vorbehält!

Nein, das ist doch alles viel zu offensichtlich!!1! Das hält doch niemand für bare Münze. Aprilscherze müssen subtiler sein! Bei diesen Meldungen muss man doch höchstens mal ganz kurz leise verstohlen schmunzeln.

http://www.youtube.com/watch?v=zj23pMdQBZ8

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Kombilöhne: sinnvoll oder nicht?

Hartz IV und die Agenda 2010 haben in den letzten Monaten viel an Zustimmung verloren. Auch die urprünglichen Architekten in der SPD sind von vielen Punkten abgerückt. Die Höhe der Leistungen steht dabei, sicher auch zu Recht, im Zentrum der Kritik. Doch wie sieht es mit anderen Aspekten der Hartz-Gesetze aus? Wie sind sie, v.a. aus arbeitsmarktpolitischer Sicht, zu bewerten? Gehören auch sie auf den Prüfstand? Hier soll als ein Punkt zunächst einmal das Konzept der staatlichen Kombilöhne betrachtet werden.

 

Konzept und Praxis von Kombilöhnen

Kombilöhne beschreiben eine staatliche Subvention von Niedriglöhnen. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: entweder werden die Niedriglöhne direkt für den Arbeitnehmer durch staatliche Transfers aufgestockt, oder der Arbeitgeber erhält Lohnkostenzuschüsse oder Abschläge bei Sozialversicherungsbeiträgen als Subventionen vom Staat zur  Einstellung/ Beschäftigung, z.B. auch von bestimmten Arbeitnehmerzielgruppen (etwa Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen).

In Deutschland gibt es die Zuschüsse zweiten Typs nur zu Beginn neuer Beschäftigungsverhältnisse. Der erste stellt sich so dar, dass es Hinzuverdienstmöglichkeiten bei Bezug des ALG II gibt. Die Zahl dieser “Aufstocker” liegt in Deutschland bei über einer Million, die meisten davon arbeiten als geringfügig Beschäftigte in Mini-Jobs oder Teilzeitarbeit. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Arbeitslose verpflichtet werden, für eine befristete Zeit Arbeitsgelegenheiten, die “im öffentlichen Interesse liegen” zur “Sicherung ihrer Beschäftigungsfähigkeit”  bei einem äußerst geringen Zuverdienst wahrnehmen zu müssen (“1-Euro-Jobs”).

 

Argumente pro Kombilöhne

Laut der neoklassischen Wirtschaftstheorie ist Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland deshalb entstanden, da die Löhne im Niedriglohnbereich über der Grenzproduktivität dieser Arbeiten lag. Die Gewerkschaften hätten zu hohe Löhne für Geringqualifizierte durchgesetzt, (wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass diese über einem reinen Marktlohn lägen), deshalb seien in diesem Bereich Beschäftigungshemmnisse enstanden. Durch eine stärkere “Spreizung der Löhne nach unten” könne mehr Beschäftigung gefördert werden. Zu gewährleisten, dass man “von seiner Arbeit leben könne”, sei nicht Aufgabe der Wirtschaft, sondern eine staatliche Aufgabe. Deshalb müsse dieser die Löhne von Geringqualifizierten wenn nötig bis zum Existenzminimum aufstocken.

Durch die Beschäftigung von 1-Euro-Jobbern kann außerdem ein Nutzen durch Arbeiten für die Gesellschaft entstehen, für den keine Nachfrage in der Privatwartschaft gegeben ist. Jede Art von Arbeit für Arbeitslose steigere außerdem deren Beschäftigungsfähigkeit und ihre sozialen Fähigkeiten. Gerne werden auch Parolen wie “keine Leistung ohne Gegenleistung” verwandt, doch stellen diese eher Populismus als echte Argumente dar (diese wurden vorher aufgezählt).

 

Argumente gegen Kombilöhne

Ein Risiko wäre, dass es für ALG II-Empfänger rational erscheinen könnte, aufzustocken, statt einer regulären Beschäftigung nachzugehen. Die Hinzuverdienstmöglichkeiten sind in der Tat äußerst schlecht. Bis 100 Euro kann man zwar dazuverdienen, ohne dass dies angerechnet wird. Für Bruttoeinkommen von 100 bis 800 Euro jedoch beträgt der Grenzsteuersatz jedoch 80%, für 800 bis 1200 Euro sogar 90%. Der Grenzsteuersatz ist hier also viel höher als der Spitzensteuersatz von 42%. Geringfügige Beschäftigungen bis 100 Euro/ Monat lohnen sich also eher, aber die Anreize, eine Beschäftigung anzunehmen, sind dann monetär gesehen eher gering, da nur ein kleiner Teil des Hinzuverdienstes behalten werden darf (außer wieder, wenn sie so gut entlohnt ist, dass man kein ALG II mehr beziehen muss). Eine Intergration in reguläre Beschäftigung ist in der Realität nicht gegeben: laut einer aktuellen Studie des IAB gehen nur 0-3% mehr der Arbeitslosen, die in 1-Euro-Jobs gearbeitet haben als die, die es nicht haben, 28 Monate nach Beginn der Maßnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Zudem seien die Maßnahmen nicht zielgruppengenau (siehe dazu auch: Telepolis: Diffamierung von Erwerbslosen, freiwillige Arbeitsangebote oder Workfare).

Groß ist auch das Risiko, dass Unternehmen die Löhne im Bereich geringfügiger Beschäftigung stark senken. Das Einkommen der Beschäftigten muss dann immer mehr durch den Staat gesichert werden, die Unternehmen enziehen sich ihrer “gesellschaftlichen Verantwortung”. Betriebe, die durch Lohnsenkungen ihre Gewinne steigern wollen, finanzieren dies auf Kosten der Staatskasse, und in diesen Lohndruck werden auch andere Unternehmen und höhere Lohnbereiche mit hineingezogen.

Der Niedriglohnsektor ist in Deutschland seit den Agenda-Reformen extrem gewachsen und inzwischen nach den USA der gößte aller Industrieländer. Jedoch legen Untersuchungen nahe, dass dies auf Kosten der regulären Arbeit geschah und der Rückgang der Arbeitslosigkeit seit der Agenda stärker auf konjunkturelle Faktoren zurückzuführen war. Durch die Vergößerung des Niedriglohnsektors sinkt die Binnenachfrage, was (insbesondere zu Zeiten, in denen der Export stark einbricht) zu weniger Produktion und zu weniger Arbeitsplätzen führt. Die sozialen Folgen sind außerdem äußerst negativ – es wurde von der Politik gezielt ein prekärer Gesellschaftsbereich geschaffen.

 

Fazit

Maßnahmen der Agenda 2010, auch die Kombilöhne, haben zu einem Anstieg des Niedriglohnsektors geführt, ohne viele neue Arbeitsplätze geschaffen zu haben. Sie haben damit ihr vorgegebenes Ziel verfehlt. Stattdessen stieg lediglich die Gewinnquote (auf Kosten der Lohnqute). Die Lohnspirale nach unten wird durch Kombilöhne gefördert. Natürlich gibt es auch gute Gründe für die Annahme, dass tatsächlich diese breiten Lohnsenkungen im Interesse der Agenda-Maßnahmen standen (auch wenn sich manche davon wirklich die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen versprochen hatten).

Im Grunde kann die Möglichkeit, bei Empfang von Arbeitslosenleistungen hinzuverdienen zu können, sinnvoll sein, aber nicht in der derzeitigen Ausgestaltung. Dazu müssen auf jeden Fall die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessert werden. Dies dient auch dem sicherlich zu unterstützenden Ziel, dass “sich Arbeit lohnen muss”. Dafür, und zur Vermeidung einer Ausplünderung des Staates durch Unternehmen, die reguläre Beschäftigung durch Niedriglöhner ersetzen, ist eine weitere Senkung der Hartz-IV-Sätze kein geeignetes Mittel. Vielmehr wäre für diese Ziele die Einführung eines Mindestlohns sinnvoll.

 

[Dieser Beitrag ist auch beim Oeffinger Freidenker und beim binsenbrenner.de erschienen.]

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Eine Steuer gegen die Armut

http://www.youtube.com/watch?v=laS_UOGbOmU

Ein internationales Netzwerk aus Nichtregierungsorganisationen, kirchlichen und  gewerkschaftlichen Gruppen hat eine weltweite Internet-Unterschriftenkampagne (gerichtet an die Staats- und Regierungschefs der G 20) für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, einer Umsatzsteuer auf den Handel mit Finanzvermögen, gestartet. Auf steuergegenarmut.de kann man die Kampagne unterschreiben.

Eine, wie ich denke, absolut unterstützenswerte Aktion. Eine derartige Steuer würde durch eine Eindämmung von Spekulationstätigkeiten das Finanz- und Wirtschaftssystem stabilisieren helfen. Und, wie im Video dargstellt, würden schon bei einer Höhe der Steuer von 0,05 Prozent pro Geschäft Einnahmen von über 100 Milliarden Euro pro Jahr zusammenkommen. Mit diesem Geld könnte man sehr viel gegen die weltweite Armut, gegen Hunger und Elend, gegen Umweltverschmutzung und Klimawandel beitragen.

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Zum Gerechtigkeitsbild der Liberalen

Indem sie Konzepte wie einen Stufensteuertarif und die Kopfpauschale mit dem Attribut “gerecht” versehen, verdeutlichen die Vertreter von Union und FDP wieder, wie unterschiedlich Gerechtigkeitsvorstellungen sein können. Und wenn dabei auch noch “einfach” gegen “gerecht” ausgespielt wird, kann nur einer verlieren: der Sozialstaat.

 

Einfach, niedrig, gerecht? Ein neues Steuersystem und die Kopfpauschale

Das progressive Steuersystem hatte in Deutschland lange mit dem Konsens aller Bundestagsparteien bestand. Ein System, dass die Steuerlast an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anpasste, entsprach und entspricht noch dem Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Deutschen. 2005 kostete der “Professor aus Heidelberg” der Union mit seinem Flattax-Konzept fast den Wahlsieg. Seitdem war es ruhig darum, und auch die Unionsparteien und die FDP ließen im Wahlkampf nichts davon hören. Wie also nun die Menschen von einem Konzept überzeugen, dass den Weg in die Richtung einer Flattax ebnen soll (und zudem unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten als keineswegs sinnvoll betrachtet werden kann), den Stufentarif – und ihnen zudem die äußerst unpopuläre und von einer überwältigenden Mehrheit als ungerecht empfundene Kopfpauschale verkaufen? Wie üblich: mit der durch die Massenmedien völlig unreflektiert aufgegriffenen und immer wieder wiederholten Parole “einfach, niedrig und gerecht!”.

Niedrigere Steuern kommen immer gut an. Auch wenn sie in einer Lage der Wirtschaftskrise, einer noch nie dagewesenen Neuverschuldung und der selbst von Wirtschaftsliberalen eingesehenen Notwendigkeit von Konjunkturprogrammen kommen sollen. Die Kopfpauschale dagegen bedeutet mit den geplanten 105 Euro nur für Besserverdiener eine Entlastung – dort aber eine massive (die absoluten Spitzenverdiener hatten diese natürlich auch vorher durch die Beitragsbemessungsgrenze, die festgesetzte absolute Oberhöhe von Zahlungen an die Krankenversicherung – ein Konzept, dass ausschließlich in der Bundesrepublik existierte und ausschließlich dazu diente, die Reichsten der Reichen zu entlasten).

Kommen wir zu “einfach”. Es ist klar, was  immer mit diesem “einfacher” beabsichtigt wird: “der Stammtisch” soll überzeugt werden, die zu wählen und die Politiken zu unterstützen, “die er auch versteht”. Eine Flattax ist ja auch viel einfacher zu verstehen als eine progressive Steuer, ein einheitlicher Betrag zur Gesundheitsversicherung einfacher als ein einkommensabhängiger. [He, und wo wir schon bei der Kopfpauschale sind: wie wäre es mit einer Pauschalsteuer, einer Einheitssteuer nicht in der Form eines einheitlichen Prozentsatzes, sondern eines einheitliches Betrags? 1.000 Euro Steuer für jeden, das wäre doch eben ganz einfach. Und für die “Leistungsträger” ist es auch niedrig. Und darum gerecht.] Aber im Ernst: Einfachheit allein kann kein politisches Konzert sein, und dann um so mehr nicht, wenn sie in Konflikt zur Gerechtigkeit steht.

 

Die Stufensteuer: wirtschaftlich sinnlos UND ungerecht

Kommen wir zu dieser, kommen wir zur Gerechtigkeit. Die FDP hatte gefordert, den Mittelstandsbauch abzubauen. Dieser bedeutet, dass im deutschen Steuersystem zur Zeit Niedrigverdiener und der Mittelstand höher belastet werden als die Spitzenverdiener, da die Progression zunächst steiler verläuft, dann abflacht. Mit einem Stufentarif würden jedoch quasi so viele Bäuche wie Stufen entstehen und das Problem damit noch potentiert. Mehr Gerechtigkeit bedeutet dies also in keinem Fall, egal, von welchem Gerechtigkeitsverständnis wir sprechen (aber dazu kommen wir später). Auch das in letzter Zeit immer wieder gern genannte Argument der “kalten Progression” ließe sich nur bedingt mit einem Stufentarif beseitigen, da eben an der Grenze zu einer höheren Steuerstufe ein großer Sprung stattfindet (statt eines immer gleichmäßigen Anstiegs), also diesmal wirklich ein bedeutenderer Teil eines hinzuverdienten Euros wieder verschwindet. Für bestimmte Gruppen, deren Einkommen an diesen Schwellen liegen, bedeutet dieses System also einen Verlust an “gerechter” Besteuerung und auch eine Art der Willkür. Ein gleichmäßig ansteigendes Steuersystem ist sehr viel rationaler und wohl unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten nicht zu überbieten.

Auch den größtenteils Juristen, die bei den Regierungsparteien für die Wirtschafts- und Steuerpolitik verantwortlich sind, dürften diese Punkte nicht entgangen sein. [Auch wenn ich den Eindruck habe, dass man vielen von deren Anhängern noch mal den Unterschied zwischen Grenz- und Durchschnittssteuersatz erklären sollte (was wenigstens einige von ihren Äußerungen erklären könnte)]. Ein Stufentarif ist nicht viel einfacher als ein progressiver, und er ist nicht gerechter. Und dies trifft noch viel mehr auf die Kopfpauschale zu.

 

Die Kopfpauschale: warum die Gesundheit eines Menschen nicht das selbe wie ein Auto ist

Der neue Gesundheitsminister Rösler meint, die Kopfpauschale entlaste nicht nur den “Faktor Arbeit”, sondern dürfe ja auch gar nicht als “unfair” bezeichnet werden: über die Gesundheitsversicherung könne sowieo keine Umverteilung erfolgen, diese könne nur über das Steuersystem geschehen. Mal davon abgesehen, dass ich den Wirtschaftsliberalen glaube ich hier kein Unrecht tun, wenn ich festhalte, dass diese sowieso gegen den “Umverteilungsstaat” eintreten, ist die Aussage auch in anderer Hinsicht falsch. Die Gesundheitsversicherung ist in einem breiten politischen Konsens als Versicherung entwickelt worden, in der 1. jeder nach seiner Leistungsfähigkeit einzahlt und 2. jeder bei Bedarfsfall die Leistungen erhält, die er benötigt.

Zum 1.: Das eine einkommensunabhängige Kopfpauschale das Gegenteil dieses Prinzips darstellt, ist offensichtlich und bedarf wohl keiner eingehenderen Erläuterung. Und solche Äußerungen wie “wir zeigen durch eine Kopfpauschale, dass uns die Gesundheit jedes Bürgers gleich viel wert ist”, machen nur Sinn, wenn man die Gesundheitsversicherung sagen wir wie eine KFZ-Haftpflichtversicherung betrachtet, wenn man die Gesundheit zur Ware macht. Jeder zahlt einen gleichen Betrag, oder besser noch: “Risikogruppen” zahlen in der Gesundheit wie Umweltschädlinge bei den Autos höhere Beträge. Hier liegt aber ein gewaltiger Unterschied: die Gesundheit eines Menschen zu bewahren und ihm die Hilfe, die er benötigt, zukommen zu lassen, ist ein Grundpfeiler einer menschlichen Gesellschaftsform. Die Gesundheit ist außerdem nicht etwas, was man sich aussucht, wie etwa ein Auto, und für ihre Beibehaltung und Wiederherstellung sind auch nicht einigermaßen gleiche und vorhersehbare Kosten notwendig, wie bei einem Auto. Und diese Sicht, die Gesundheit nur als Ware zu betrachten, die auf Märkten gehandelt wird, wirkt sich auch auf das 2. Prinzip aus, die 2-Klassen-Medizin, die in Deutschland immer mehr entstanden ist. Die “Reformen”, die im Gesundheitssystem geplant sind, gehen noch mehr in diese Richtung: nur noch eine Basis-Grundversorgung für die Niedrigverdiener, mit “flexibel wählbaren” Erweiterungen. Je mehr Geld, gegen desto mehr Risiken kann man sich absichern, eine desto bessere Behandlung bekommt man. Im Extremfall kann der Geldbeutel über Leben und Tod entscheiden. Und dies tut er schon viel zu häufig.

NACHTRAG: Der Spiegelfechter: Spitze Ellenbogen statt starker Schultern. Schwarz-Gelb beerdigt die paritätische Finanzierung des Gesundheitssystems

 

Wenn der Mensch nur das zählt, was er leisten kann

Und doch kommt diese Haltung nicht von ungefähr. Sie rührt aus der in den letzten 3 Jahrzehnten zur Vorherrschaft gelangten neoliberalen Ideologie, in der der Einzelne nur so viel zählt, wie er wirtschaftlich zu leisten im Stande ist. In dieser ist dann für viele für Altruismus ebenso wenig Platz wie für als “Schwäche” angesehene physische oder psychische Krankheiten. Da gibt es keine Entschuldigung, jeder Mensch muss Leistung bringen – immer! In dieser harten Leistungsgesellschaft setzt sich nur der Starke durch. Eine überaus ekelerregende und pervertierte Erscheinung dieser Denkweise ist es vielleicht auch, wenn (glücklicherweise – noch? – in wenigen Einzelfällen) Ökonomen sich in als Studien getarnten Angriffen auf das humanistische Menschenbild und die Menschenwürde dazu herablassen, das Wert eines Menschenlebens daran zu bemessen, wie viel dieser für seine Gesundheit auszugeben in der Lage und bereit ist und so allen Ernstes zu dem Schluss kommen, man solle nur für die Gesundheit der Menschen in den reichen Ländern sorgen, weil die Menschen dort mehr dafür ausgeben können. Wer kein Geld hat, soll halt sterben. Oder Geld verdienen. Wie gesagt, diese menschenverachtenden Pamphlete sind zum Glück selten, und ich möchte auf keinen Fall sagen, dass solch widerliche Ansichten aus liberalen Überzeugungen folgen müssen. Aber in gewisser Weise treiben sie die Ansicht der Gesundheit als Ware – wie gesagt, pervertiert – auf die Spitze. Eine Entwicklung, die ein Warnsignal sein muss an alle, die daran glauben, dass jedes Menschenleben gleich viel zählt – seien es Liberale, Konservative oder Linke.

 

Gerechtigkeit und Menschenbild: Wenn der Mensch ausschließlich egoistisch ist

Die Gerechtigkeitsvorstellungen einer politischen oder philosophischen Richtung hängt nicht zuletzt mit deren Menschenbild zusammen. Der Mensch der liberalen und der konservativen Ideologie ist der Mensch, den die Großbürger Hobbes und Locke im England der frühen Neuzeit erfunden haben. Vorher war es kaum möglich gewesen, den Bürger als völlig herausgelöst aus der Gesellschaft zu betrachten. Die früheren Grundsteinleger des Liberalismus (Locke) und des Konservatismus (Hobbes) verstiegen sich nun aber dazu, den Bürger, den sie in der City of London sahen, als den Menschen schlechthin zu konzipieren, den ursprünglichen  Menschen des Naturzustandes. Dieser Mensch, so ihre Vorstellung, steht isoliert dar und handelt ausschließlich egoistisch unter einem auf die Verfolgung des eigenen Nutzens beschränkten Rationalitätsbegriff. Gewiss gibt es egoistisch nutzenmaximierend handelnde Menschen. Doch das Menschenbild, das Liberale und Konservative als das einzig mögliche ansehen, ist ebenso ein Ausdruck seiner Zeit wie das des politischen Mensch des antiken Griechenlands. Konkret ist es das Produkt des aufkommenden Kapitalismus in England zur Zeit des 17./ 18. Jahrhunderts.

Doch dieses Menschenbild ist das, was in der liberalen Lehre und in den liberalen Wirtschaftswissenschaften bis heute vorherrscht. Auch wenn soziologische Studien zeigen, dass die Gesellschaft eine viel größere Rolle spielt, dass der Mensch sich erst durch die Gemeinschaft als Individuum entfalten kann, stört das die Vertreter dieses Menschenbildes nicht sehr. Sie können und sie wollen sich nicht vorstellen, das Menschen auch altruistisch handeln können. Und so etwas ist keine Wissenschaft. So etwas ist Ideologie.

Wenn sich eine Ideologie auf dieses Menschenbild gründet, kennt sie höchstes die Konzepte “Leistungsgerechtigkeit” und “Chancengerechtigkeit”. Je mehr man leistet, um so mehr soll man davon haben, und jeder soll die gleichen Startchancen habe. “Soziale Gerechtigkeit” oder “Verteilungsgerechtigkeit” sucht man dort vergebens. Diese sind ur-sozialdemokratische Konzepte (und die “Sozialdemokraten”, die, v.a. in der Schröder-Müntefering-Steinmeier-Ära versucht haben, soziale Gerechtigkeit durch Chancengerechtigkeit zu ersetzen, haben damit nur versucht, den mageren Abklatsch des sozialdemokratischen Originals dort einzuschleusen. Die ehemals sozialdemokratische Labour-Party hat – nicht nur nach meiner, sondern auch nach der Meinung vieler Wissenschaftler – mit der Abkehr von der sozialen und Hinwendung zur Chancengerechtigkeit endgültig den Wandel von der sozialdemokratischen zur wirtschaftsliberalen Partei vollzogen).

 

Liberal versus Neoliberal

Während die klassischen Liberalen also noch ein paar Gerechtigkeitsbegriffe haben, wollen die härtesten Vertreter des Neoliberalismus davon nichts hören und lehnen auch diese Begriffe ab. Um ein Beispiel zu nennen: der klassische Liberale würde hohe Managergehälter z.B. dadurch rechtfertigen, dass diese viel arbeiten und eine hohe Verantwortung und hohe Risiken zu tragen haben. Eine Argumentation, die man nicht teilen muss, aber immerhin eine nachvollziehbare und in sich schlüssige Argumentation, denke ich. Der Neoliberale Hayek dagegen würde sagen: diese verdienen so viel, weil sie sich auf dem Markt durchgesetzt haben. Weil es so ist. Gerechtigkeit gibt es nicht, es kann sie (und es soll sie) nicht geben. Als “gerecht” könnte man dann höchstens noch die Marktergebnisse bezeichnen, egal wie sie ausfallen, eben: weil sie so ausfallen.Und an den Marktergebnissen etwas zu ändern, sei ein Eingriff in die menschliche Freiheit – allein die Erhebung von Steuern betrachtet er als eine im Prinzip genauso große Freiheitsberaubung und ebenso ein Eingriff in die Menschenwürde (!) wie etwa Gefängnis oder Folter.

 

Wir sehen also, Vorstellungen von Gerechtigkeit könne sehr verschieden und vielfältig sein – aber kaum so vielfältig wie die verschiedenen politischen Vorschläge, die immerzu reflexhaft als “gerecht” gegen jede Kritik immunisiert werden. Mal sehen, ob Regierung und Medien es schaffen, auch die Kopfpauschale und ein Stufenssteuersystem der Öffentlichkeit als “gerecht” zu verkaufen. Zumindest bei Letzterer sieht es ja ganz gut für sie aus.

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Steuern runter? Lieber nicht!

Dass die Forderungen der FDP nach Steuersenkungen, insbesondere nach Senkung der Einkommenssteuer, wirtschaftlich nicht sinnvoll sind und dass Steuersenkungen auch nicht vollständig selbstfinanzierend sind, sondern der Staat Defizite macht, legt der Oxford-Finanzwissenschaftler Clemens Fuest im Deutschlandradio (MP3, 4:13 Minuten) dar. Statt Einkommenssteuersenkungen, die v.a. den reicheren Haushalten nützten, seien direkte Hilfen für ärmere Haushalte (bspw. durch eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze) bessere Mittel für die Förderung privaten Konsums. (Andere Ökonomen sehen Steuerentlastungen für Unternehmen, um Investitionen zu erleichtern, als sinnvoller an, aber auch sie sehen keinen großen Nutzen in der Senkung der Einkommenssteuern.)

Hier sei noch einmal auf das Interview der Taz mit Clemens Fuest verwiesen. Ein Auszug:

taz: Herr Fuest, Union und FDP begründen die geplanten Steuersenkungen damit, dass sie das Wirtschaftswachstum stimulieren müssten. Was halten Sie davon?
Clemens Fuest: Augenblicklich halte ich es für falsch, die Einkommensteuer zu senken. Denn ein großer Teil der Entlastung käme Privathaushalten zugute, die nicht unter Geldsorgen leiden. Diese würden die zusätzlichen Mittel überwiegend sparen, aber nicht in den Geschäften ausgeben. Wesentlich stärkere Nachfrage oder Impulse für das Wirtschaftswachstum kann die Bundesregierung so nicht auslösen.
(…)
taz: Union und FDP hoffen, dass niedrigere Steuern das Wachstum ankurbeln und später die Staatseinnahmen steigen. Darf man mit diesem Selbstfinanzierungseffekt rechnen?
Clemens Fuest: Die Auswirkungen niedrigerer Steuern auf das Wachstum sind schwer zu messen. Untersuchungen deuten aber darauf hin, dass der Staat nur darauf hoffen kann, maximal die Hälfte der Einnahmeverluste, die die Steuersenkung verursacht, durch höheres Wachstum und stärkere Einnahmen zu kompensieren.

Wie Steuersenkungsprogramme in der Vergangenheit eher wirtschaftlichen Schaden anrichteten, legt Zeit Online Herdentrieb dar. Auch der “falsche Charme” des neoliberalen Standard-Argumentes der Laffer-Kurve, die Arthur Laffer, Vetreter der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik und Berater von Ronald Reagan, einst  bei einem Abendessesn für Dick Cheney und Donald Rumsfeld auf eine Serviette kritzelte,  und die seither das Argument für eine Selbstfinanzierung von Steuersenkungen dartsellt, wird in dem Artikel behandelt.

Eine gute Betrachrung zu den Möglichkeiten von Steuersenkungen gibt es auch bei Telepolis: Wählerbetrug vorprogrammiert. Auch hier wird die Laffer-Kurve angesprochen, z.B.:

(…) Wenn die FDP mit ihren Behauptungen recht hätte, so befände sich das deutsche Steuersystem oberhalb des “Laffer-Maximums”, so dass jede Steuererhöhung die Einnahmen verringern und jede Steuersenkung die Einnahmen erhöhen würde. Dies trifft auf das deutsche Steuersystem allerdings nicht zu. Untersuchungen der Ökonomen Trabant und Uhlig legen vielmehr die Vermutung nahe, dass das “Laffer-Maximum” in Deutschland bei rund 64% Steuerlast liegt. (…)

Es wäre daher gut daran getan, wenn die Beteiligten bei den Koalitionsverhandlungen einmal auf unabhängigen Sachverstand hören würden und nicht weiterhin nur auf die durch die Mainstream-Medien hin- und hergereichten “Wirtschaftsexperten” im Dienste der Arbeitgeberverbände und Banken. Versprechungen wie “Steuern runter!” oder “Mehr Brutto vom Netto!” erweisen sich so eher als hohle Slogans denn als politisch und ökonomisch durchdachte Konzepte.

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Die neue Bundesregierung: Wo wir auf die FDP hoffen müssen

Wirtschaft, Arbeit und Soziales: Hoffen auf die Union

Ich habe in letzter Zeit ziemlich negativ über die FDP geschrieben. In der Tat ist die FDP nicht unbedingt die Partei, die mir wirtschafts- und sozialpolitisch am nächsten steht. Ich sehe mich als Anhänger  einer nachfrageorientierten und keynesianischen Wirtschaftspolitik und eines starken Sozialstaates nach dem Vorbild des “skandinavischen” (auch: “sozialdemokratischen”) Modells, das eine starke umverteilende Komponente beinhaltet.  Die meisten wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Konzepte der FDP lehne ich daher ab, und auch das “Bürgergeld”-Konzept ist in der Tat bloß Augenwischerei (Financial Times Deutschland) und eine Mogelpackung (heise Telepolis).

Dies ist daher auch das Gebiet, wo die Union meiner Meinung nach sozial ausgleichend tätig werden muss. Und die meisten Beobachter sind sich auch einig, dass diese aus wahltaktischen Gründen einen sozialpolitischen Kahlschlag verhindern und vielleicht sogar einige Beschlüsse der Großen Koalition (Mindestlöhne in bestimmten Branchen) nicht unangetastet lassen könnte. Dennoch ist mit Streichungen von sozialen Leistungen zweifelsohne zu rechnen, wodurch die sozial Schwächsten für die Kosten der Wirtschaftskrise aufkommen müssen.

Steuerpolitik: Absenkung des Mittelstandsbauchs

Gibt es aber dennoch Punkte, wo die FDP vielleicht sachlich sinnvolle Konzepte hat? Im Bereich der Steuerpolitik ist eine Senkung der Steuerlast sicher keine, v.a. in Zeiten einer Wirtschaftskrise, durchführbare Maßnahme. Und sie scheint auch ökonomisch wenig sinnvoll:

taz: Herr Fuest, Union und FDP begründen die geplanten Steuersenkungen damit, dass sie das Wirtschaftswachstum stimulieren müssten. Was halten Sie davon?
Clemens Fuest: Augenblicklich halte ich es für falsch, die Einkommensteuer zu senken. Denn ein großer Teil der Entlastung käme Privathaushalten zugute, die nicht unter Geldsorgen leiden. Diese würden die zusätzlichen Mittel überwiegend sparen, aber nicht in den Geschäften ausgeben. Wesentlich stärkere Nachfrage oder Impulse für das Wirtschaftswachstum kann die Bundesregierung so nicht auslösen.
(…)
taz: Union und FDP hoffen, dass niedrigere Steuern das Wachstum ankurbeln und später die Staatseinnahmen steigen. Darf man mit diesem Selbstfinanzierungseffekt rechnen?
Clemens Fuest: Die Auswirkungen niedrigerer Steuern auf das Wachstum sind schwer zu messen. Untersuchungen deuten aber darauf hin, dass der Staat nur darauf hoffen kann, maximal die Hälfte der Einnahmeverluste, die die Steuersenkung verursacht, durch höheres Wachstum und stärkere Einnahmen zu kompensieren.

(Quelle) (via: lowestfrequency)

Jedoch gibt es ein steuerpolitisches Konzept, das durchaus sinnvoll erscheint:  eine Absenkung/ Abflachung des Steuerbauchs („Mittelstandsbauch“). Dieser beschreibt das Phänomen, dass die Progression beim Steuersatz nicht immer genau linear verläuft, sondern niedrigere und mittlere Einkommen stärker belastet werden, da der Steuersatz zuerst (zwischen 7.834 Euro und 13.140) stärker, dann (zwischen 13.140 und 52.552 Euro) schwächer ansteigt (vgl. Grafik). Ein durchgehender und gleichmäßiger linearer Anstieg, der  kleine und mittlere Einkommen entlastet, wäre durchaus zu befürworten.
[Worauf ich persönlich mich auch einlassen könnte, wäre eine Anhebung der Anrechungsgrenze des bisherigen Spitzensteuersatzes (42%, ab 250.401 Euro für Ledige bzw. 500.802 Euro für Verheiratete 45%), dass er alo erst ab einem höheren Betrag als derzeit 52.552 Euro gilt (wenn der Steuersatz danach, bei höheren Einkommen als 52.552 Euro, weiter steigen würde – sagen wir z.B. bis zum Satz von 53%: dieser galt zum Ende der Kohl-Regierung). Dies liegt aber weit fernab der derzeitigen FDP-Politik und den Interessen ihrer Klientel.]

Historie_Einkommensteuer_D_Grenzsteuersatz
Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cb/Historie_Einkommensteuer_D_Grenzsteuersatz.jpg

Abbau der Bürgerrechte und Aufbau des Überwachungsstaates: Hoffen auf die FDP

Hier liegt die größte Hoffnung auf der FDP: es muss Schluss sein mit dem unsäglichen Abbau der Bürgerrechte und mit der Etablierung eines immer weiter reichenden Überwachungsstaates. Diese Politik wurde nach dem 11.9.2001 unter Otto Schily begonnen und unter Wolfgang Schäuble stark verschärft. Gerade die Person Wolfgang Schäuble, der mit Vorschlägen wie denen, die Unschuldsvermutung für “Terrorverdächtige” aufzuheben  “Gefährder” zu internieren und anderen Überraschungen für Anhänger des Grundgesetzes, immer wieder die Grenzen der Demokratie, des Rechtsstaates und der Menschenrechte auszuloten versucht, kann eigentlich für eine liberale Partei als nicht tragbar erscheinen. Als ein Beispiel der paranoiden Innenpolitik sei hier nur die Vorratsdatenspeicherung, in der alle Telekommunikationsverbindungsdaten aller Deutschen für 6 Monate verdachtsunabhängig gespeichert werden, genannt (siehe dazu auch: Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung: “FDP muss Vorratsdatenspeicherung jetzt abschaffen!”).

Ein weiteres Thema ist die Etablierung einer Zensurinfrastruktur für das Internet, die unter dem Vorwand der Bekämpfung von Kinderpornografie beschlossen wurde. Falls die FDP es wirklich schaffen sollte, dieses völlig unsinnige, unwirksame und teilweise kontraproduktive Gesetz, welches weder einer hinreichenden rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegt noch die Möglichkeit einer Ausweitung von Zensursulas Stopp-Schildern ausschließt, zu stoppen, wäre ihr in der Tat großer Respekt zu zollen.

Ein starker Einfluss der FDP im Innen- und Justizministerium liegt also eindeutig in unserem Interesse. In der FDP gibt es in diesem Bereich leider nur noch wenige Politiker wie etwa Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Max Stadler, mit einem ausgeprägten Profil, einem Schwerpunkt und großen Kompetenzen im Bereich der Bürgerrechte. Doch gerade hier hat die FDP wieder eine Chance, sich als etwas anderes als die reine “Steuersenkungspartei” zu zeigen und zu etablieren.

Gesellschaftspolitische Bereiche als Opfer des Koalitionspokers?

Es gibt auch noch andere politische Bereiche, in denen die Positionen der FDP sicherlich sehr viel wünschenswerter erscheinen als die der Union. Dazu würde es gehören, weg vom dem konservativen Bild in der Familienpolitik der Union zu einer offeneren und toleranteren Gesellschaft zu kommen. Auch im Bereich der Integration oder des Verhältnisses der Religionen vertritt die FDP sicherlich sehr viel offenere Standpunkte als viele doch eher rechtskonservative vorurteilsbehaftete Unions-Funktionäre und -Mitglieder. Die Abschaffung der Wehrpflicht wäre ein anderes Beispiel.

Leider ist dieser gesellschaftspolitische Bereich, ebenso wie der vorher skizzierte der Bürgerrechte, zusehend aus dem Fokus der FDP geraten. Den inhaltlichen Schwerpunkt bildet dort doch deutlich die Steuer- und Wirtschaftspolitik. Lobenswerte gesellschaftspolitische Positionen der FDP unterliegen so leider der Gefahr, Opfer des Koalitionspokers zu werden.

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Guttenbergs geheime Agenda: neoliberale Märchenstunde

Oh nein, da ist doch tatsächlich Guttenbergs Geheimplan aufgetaucht. Besonders lustig dabei ist, dass sein Sprecher den Entwurf nach Bekanntwerden scheinbar verzweifelt als veraltet und obsolet bezeichnet hat, obwohl er vom 3. Juli 2009 stammt, von seinen Staatssekretären geschrieben wurde und viel zu umfassend und detailliert, als das man ihm das abkaufen könnte. Bei dem Papier handelt es sich mal wieder um die Neocon-Agendaliste der Industrieverbände und ihres PR-Vollstreckers “INSM” (Fefe). Ein neoliberaler Gegenentwurf zum Deutschlandplan Steinmeiers. Der Markt wird alles richten, der Staat soll nur die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie stärken.

Staatliche Beschäftigungsprogramme soll es natürlich nich geben, dafür eine “Korrigierung” (sprich Abschaffung) der Mindestlohngesetze. Unternehmes- und Einkommenssteuersenkungen will man durch Abschaffung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze (die u.a. für Lebensmittel gelten) erreichen, was fast ausschließlich auf Kosten der Niedrigverdiener, die eben fast ihr gesamtes Geld für den Konsum ausgeben müssen, gehen würde: die ärmsten 50% der Bevölkerung haben im Schnitt gar kein individuelles Nettovermögen (Aufrechnen der Vermögen und Schulden, vgl.  Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht Nr. 4/ 2009, S. 59). Die Befristungen der Beschäftigung sollen “erleichtert” werden. Noch mehr erleichtert? 2002 waren noch 12,2% aller Arbeitnehmer befristet beschäftigt, 2007 waren es 14,6%.

Klimaauflagen für Betriebe will man streichen, die Steuern für die Öl und Gas senken und Firmen, die beim Emissionszertifikate-Handel mitmachen sogar ganz von Energiesteuern befreien. Erinnert sich noch jemand, wie Angela Merkel am Anfang ihrer Regierungszeit als Klimakanzlerin galt? Im Zuge der Finanzkrise wurde dann aber klar, wo die Priorität des Klimaschutzes bei der Union liegt – ganz weit unten.

Die von Wolfgang Clement, der jetzt für eine Zeitarbeitsfirma arbeitet, stark liberalisierte Zeitarbeit (in der Folge stieg der Anteil der Zeitarbeitnehmer an den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten von 1,22% im Jahr 2002 auf 2,7% im Jahr 2007) wird als “Brücke in die reguläre Beschäftigung” angepriesen. Dies ist jedoch wissenschaftlich nicht haltbar. Nur 21% der Zeitarbeitnehmer werden in reguläre Beschäftigung übernommen (12-15% direkt im Entleihbetrieb). 26% bleiben in der Zeitarbeit, 34% werden arbeitslos, 19% werden Nichterwerbspersonen (IAB-Betriebspanel). Fast 80% aller Zeitarbeitnehmer sind in diese prekäre Beschäftigungsform von vorher regulärer Beschäftigung oder nur kurzer Arbeitslosigkeit gewechselt. Selbst der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dem außer Peter Bofinger nur Anhänger der neoklassischen Ökonomie angehören, stellt in seinem Jahresgutachten 2008/ 2009 fest, dass in Deutschland “vormals arbeitslose Leiharbeitnehmer zwar eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, binnen vier Jahren wieder bei einem Verleihunternehmen zu arbeiten, sich aber nicht von Arbeitslosen in der Wahrscheinlichkeit unterscheiden, einer regulären Beschäftigung nachzugehen oder wieder arbeitslos zu sein”.  Kommen wir zum wahren Kern der Sache: Zeitarbeitnehmern werden (je nach Beruf) nur 49 bis 73% des Lohns der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in dem selben Beruf bezahlt (Sozio-oekonomisches Panel 2006). Die Brückenfunktion in reguläre Beschäftigung ist nichts als ein Märchen der neoliberalen Wirtschaftslobby, um billige und kaum abgesicherte Arbeitskräfte zu erhalten.

Steuern senken, prekäre Beschäftigungsformen ausweiten, Klimaschutzmaßnahmen abbauen – die neoliberale Politik der letzten 25 Jahre also, die hier vertreten wird. Gut, dies war kaum anders zu erwarten.

Gut­ten­berg will — noch viel mehr als es aktu­ell schon der Fall ist — das Geld von unten nach oben ver­tei­len (…) Karl-Theodor zu Gut­ten­berg wird nach der Wahl wei­ter für sei­nes­glei­chen sor­gen, auf Kos­ten der Men­schen, der All­ge­mein­heit. (F!XMBRE).

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