Ohne Vorratsdatenspeicherung drohen uns ganz und gar unermessliche Gefahren!!!

Nach dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung beginnen die Medien bereits mit einer Kampagne, dass nun ohne eine Vorratsdatenspeicherung unermessliche Gefahren drohen könnten. Warum dies getan wird, liegt relativ nahe: man will unbedingt eine Neuauflage erreichen; und auch, dass dabei eher Panik geschürt statt sachlich berichtet wird, ist wenig überraschend.  Aber wie Politik, Sicherheitsbehörden und Medien dann genau vorgehen, ist dann doch relativ absurd.

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Am Tag der Entscheidung des BVerfG waren bereits kurz nach der Urteilsverkündung die ersten Medlungen in den Radio-Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass Sicherheitsbehörden, Innenminister, CDU o.ä. das Urteil heftig kritisierten (und das wurde verkündet, noch bevor das Urteil überhaupt erst mal erklärt wurde), dass nun zehntausende (sic!) Verbrechen nicht mehr aufgeklärt werden könnten und unglaublich viele furchtbare und ganz unmittelbare Gefahren lauerten. Selbstverständlich wurde das dann auch so berichtet, als wäre es die objektive Wahrheit.

Diese “Nachrichten” waren in keiner Weise um Neutralität oder Objektivität bemühte Meldungen, sondern ganz klare, überaus einseitige, aber in ihrer Plumpheit auch hoffentlich von vielen Zuhörern durchschaute Kampagnen. Im heute-journal kam nach einer anfangs sehr guten Einleitung dann aber in einem langen Interview ein Hardliner aus dem Bund der Kriminalbeamten (BdK) zu Wort. Ganz vorne bei der Propaganda mit dabei ist natürlich die Springer-Presse. Auch das ehemalige Nachrichtenmagazin schürt fleißig Panik, aber sogar die Süddeutsche beteiligt sich.

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Im ganzen Internet (oder, wie es meist heißt, „Cyberspace“) drohe, so der Tenor dieser “Berichte”, an allen Ecken und Enden Online-Betrug, Kinderpornografie oder Terrorismus, überall werden ständig Anschläge geplant oder – ich weiß leider nicht mehr, ob es ZDF oder Deutschlandradio war – es werden sogar Einbrüche geplant (das haben die wirklich so gesagt!)! Ja, wer kennt das nicht, ein paar Minuten nur in diesem komischen Internetz sind schlimmer als ein Leben in den härtesten Bezirken von Rio de Janeiro oder den schlimmsten Ecken Johannesburgs! Wenn man da nicht Acht gibt, kann einem ja so gut wie alles passieren! Das Web ist böse.

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Und v.a.: so gut wie alle denkbaren Verbrechen werden ja dort, wenn nicht begangen, so doch geplant, und auch abseits dieses Cyberspace droht nun, da die Vorratsdatenspeicherung erst einmal gestoppt ist, überall alles. Der bayrische Innenminister warnt sogar, dass der “rechtlose Zustand” gar Menschenleben kosten könnte. Doch nicht nur mehr oder minder schwere Straftaten, die Latte wird gezielt immer weiter nach unten gesetzt. So beklagt der BdK (erwähnt in dem selben Spon-Artikel) , dass auch etwa Beleidigung im Internet nicht mehr aufgeklärt werden könnten. Und das, Zitat BdK, “können wir nicht hinnehmen”. Nein, das können wir nicht! Wo kämen wir denn da hin?Ganz Deutschland droht ja schon jetzt in Chaos und Verbrechen zu versinken! Alles ist jetzt möglich! Ob Einfuhrschmuggel von Waffen oder Betäubungsmitteln, oder angedrohte Amokläufe und Bombelegungen – überall sind nun der Polizei die Hände gebunden! Und man könnte nun selbst – und das wird tatsächlich von der Polizei so kommuniziert! – gegen Suizidankündigungen oder bei Vermisstenfällen nicht mehr vorgehen. Oder, ganz klar, man brauche die Vorratsdatenspeicherung, so der bayrische Innenminister, um “verunglückte Bergsteiger zu retten”. Die Grenzen zur Realsatire sind wirklich fließend.

Man muss es sich wirklich mal vor Augen führen: da werden wahllos auch noch so große Gefahren aufgebauscht, gar Gefahren für Menschenleben behauptet, von den gleichen Seiten dann aber auch direkt so etwas wie Betrug oder gar Beleidigungen quasi auf die selbe Stufe gestellt, und unsere Qualitätsmedien nehmen das alles völlig komentar- oder kritiklos hin. Und es stört auch nicht, dass dank dem BVerfG der Zugriff auf die Daten ja auch bisher auf schwere Straftaten beschränkt war und die Verfolgung oder Verhinderung der meisten genannten Delikte ja auch bisher gar nichts mit der Vorratsdatenspeicherung zu tun hatte (und es daher auch keine Veränderungen geben wird).

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Es muss nicht erwähnt werden, dass dieses Strategien höchst unseriös sind und natürlich in erster Linier dazu dienen, bei den nicht so sehr mit Technik und v.a. dem Internet vertrauten Bürgern Panik zu schüren (etwas komisch mutet es dennoch an, dass etwa die Telefonverbindungsdaten kaum angesprochen werden). Dass der Satz „das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“ nun mal wieder an allen Ecken und Enden zu hören ist, versteht sich von selbst. Auf tatsächliche Argumente, Beweise, dass die Vorratsdatenspeicherung wirklich so nützlich in Verbrechensaufklärung oder -verminderung ist, wie behauptet wird, wartet man natürlich vergebens.

Kein Beispiel scheint zu absurd, kein Zusammenhang zu konstruiert, um die angeblichen Gefahren, die ohne Vorratsdatenspeicherungen drohen, an die Wand zu malen. Jedes Verbrechen oder Vergehen, jede Ordnungswidrigkeit kann genannt werden, gegen die man dann keine Handhabe mehr hätte – man muss sich nicht wundern, wenn demnächst z.B. illegaler Handel mit Atomwaffen, Autodiebstahl oder Nichtentfernen von Hundekot auf Bürgersteigen nun ganz bedrohlich würden, weil es keine Vorratsdatenspeicherung mehr gibt.

Denn das ist klar: niemand ist mehr sicher!!!

Bildquellen:

(1) Dirk Adler / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

(2) Vaguely Artistic / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

(3) Bram  Opstaele / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

(4) Cole  Henley / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

[Diesen Beitrag kann man auch beim binsenbrenner.de lesen.]

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Das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: ein "Ja, aber …"

Das Bundesverfassungsgericht hat die derzeitige Praxis der Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Doch dies darf nicht täuschen: nur die Umsetzung wurde beanstandet (da sie unverhältnismäßig sei und  Sicherheits- und Datenschutzstandards verletze), eine Vorratsdatenspeicherung, so das Gericht, sei aber grundsätzlich zulässig. Konkret: eine anlasslose, vorsorgliche Speicherung von Daten sei “nicht schlechthin verfasungswidrig” – man könnte das Urteil auch als eine Aufforderung, als ein “so nicht, anders gerne!” auffassen. Es handelt sich also am Ende um einen Sieg für die Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung.

Einziger Trost: das BVerfG hat recht hohe (inhaltliche wie technische und datenschutzrechtliche) Hürden für ein eventuelles  zukünftiges Gesetz gelegt. So müsse der Zugriff auf die Daten auf die Auklärung tatsächlich begangener schwere Straftaten und “zur Abwehr von Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr” zulässig sein. Die Träume von Sicherheitspolitikern oder Privatwirtschaft werden sich also nicht erfüllen, auch etwa zur Verfolgung von Raubkopien oder Beleidigungen usw.  auf die Daten zugreifen zu können. Auch die Gefahr, dass etwa politisch unliebsame Personen und Gruppierungen überwacht werden, ist damit gebannt – zumindest vorerst.

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Dennoch muss man es klar sehen: lange Zeit war das BVerfG einer der letzten Hüter der Bürgerrechte gegen die Bemühungen, einen umfassenden Überwachungsstaat zu etablieren. Doch nun hat es sich offenbar dem Zeitgeist gebeugt. Das Vorgehen,  Sicherheits- (oder auch Privatisierunggesetze) über die EU umsetzen zu wollen (eine Praxis, der das Gericht in der Vergangenheit äußerst skeptisch gegenüberstand) ist dabei nun wohl wieder Tür und Tor geöffnet. Denn das BVerfG ist einer Auseinandersetzung mit dem freiheitsbeschneidenden EU-Recht aus dem Weg gegangen. Darüber, ob dies aus fehlendem Mut, wie viele meinen, oder aus politischen Gründen geschah kann, soll hier nicht spekuliert werden: die Konsequenzen jedenfalls sind klar.

Zwar müssen die bisher gespeicherten Daten in Folge des Urteils nun unverzüglich gelöscht werden, aber auch das ist nur ein vorrübergehender Erfolg, der schnell getrübt werden kann. Denn es ist, schon aufgrund der EU-Richtlinie (sollte diese nicht tatsächlich doch noch geändert werden) leider davon auszugehen, dass es demnächst eine Neuauflage der Vorratsdatenspeiherung geben wird, mit ein paar kleinen inhaltlichen Schönheitskorrekturen. Wie vom Gericht verlangt. Und ob man sich etwa auf die FDP wird verlassen können, ist doch mehr als fraglich.

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Es kommt also gerade jetzt darauf an, klarzumachen, dass die bisherigen Sicherheitsgesetze für die Anforderungen der Verfolgung, Aufklärung und Vermeidung von Verbrechen völlig ausreichend sind und die Speicherung der Verbindungsdaten aller Bürger einen völlig unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit und die Bürgerrechte darstellt. Eine Datenspeicherung auf Vorrat, auch in einer etwas abgemilderten Form, darf es nicht geben. Man darf jetzt keine Ruhepause einlegen. Der Überwachungsstaat droht immer noch.

Weitere Kommentare zum Thema:

Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: Verfassungsrechtlicher Opportunismus (eine sehr detaillierte Analyse des Urteils durch Wolfgang Lieb auf den NachDenkSeiten)

Das vorläufige Stopp-Schild für die Vorratsdatenspeicherung (ebenfalls sehr weitreichende Analyse bei Ravenhorst, mit einer umfassenden Übersicht weiterer Stellungnahmen zum Thema)

Das Urteil aus Karlsruhe (F!XMBR)

Bildquellen:

(1) Wikipedia (Benutzer: Evilboy) / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/

(2) John-Paul Bader / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de

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