Hintergründe zur deutschen Bildungspolitik

Ein paar interessante und lesenwerte Artikel und Kommentare zu aktuellen Entwicklungen und zu den Hintergründen des deutschen Bildungssystems:

Geldsorgen halten Abiturienten vom Studium ab (SPON)

Chaos an den Unis, marode Gebäude – doch die Studenten studieren so gern wie nie zuvor, behaupten Bildungspolitiker. Das stimmt nicht: Einer neuen Studie zufolge fängt ein Drittel der potentiellen Studenten kein Studium an, weil es ihnen am Geld fehlt und Studiengebühren sie abschrecken.

Bundespräsident zur Bologna-Reform:  Köhler rechnet mit Hochschulpolitik ab (Stern.de)

Bundespräsident Horst Köhler geht mit den Verantwortlichen für die deutschen Unis scharf ins Gericht: Der Hochschulbereich leide an einer “chronischen Unterfinanzierung”, an “schlechten Betreuungsquoten, maroden Gebäuden und mangelnder Infrastruktur”.

Marodes deutsches Bildungssystem erzeugt 2,8 Billionen Euro Folgekosten (TELEPOLIS)

Die Bertelsmann Stiftung hat die Folgekosten der unzureichenden Bildung ausgerechnet und fordert Chancengleichheit. Aber warum macht sie das?

Doch die Bertelsmann Stiftung ist flexibel, wenn es um ideologische Vorgaben geht. Dem Autor ihrer aktuellen Studie [extern] geht es vor allem darum, dass am Ende “die Rendite stimmt” und das System der freien Marktwirtschaft von einer möglichst großen Bevölkerungsgruppe akzeptiert wird. Zu diesem Zweck sollen die Startchancen für den Einzelnen optimiert und bildungspolitische Bestandsgarantien – etwa für das dreigliedrige Schulsystem – notfalls veräußert werden, so dass die während der laufenden Studentenproteste vielfach geäußerte Systemfrage gar nicht erst gestellt werden muss.

Die Bertelsmann-Hochschule (Lowestfrequency)

Bevor man haarsträubende Fehlinformationen hört bezüglich des „Hochschulfreiheitsgesetzes“, das ja die Universitäten unglaublich frei macht (an dieser Stelle mal die Kantsche Frage: Freiheit für was, oder Freiheit von was?)… Grund genug, sich ein bisschen mit den Bertelsmann’schen Visionen zu befassen.

Hochschulreform: Nieder mit Bologna (Die Zeit)

Eine sogenannte Reform hat die deutschen Universitäten zerstört. Sie können nur gerettet werden, wenn der kontrollierte Student wieder Bummelstudent werden darf.

Es gab, mit anderen Worten, an den Universitäten einen Grad an Eigensinn, an Unordnung und an verrauchter Unspießigkeit, der den unternehmensberaterisch geschulten Reformer, der in den späten neunziger Jahren verbreitet aufkam und der sich um die Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen sorgte, nur heillos empören konnte.

Bachelor- und Masterstudiengänge: Ende einer Lebensform (Sueddeutsche.de)

Von Humboldt zu Bologna: Der atemberaubende Untergang der deutschen Universität. In diesen Jahren spielt sich ein Drama ab, dessen Tragweite in der Öffentlichkeit kaum begriffen wird. Es handelt sich um den Untergang der deutschen Universität, wie sie vor allem von Wilhelm von Humboldt vor 200 Jahren konzipiert wurde. 2010, zum Jubiläum der 1810 gegründeten Berliner Universität, wird dieser Untergang besiegelt sein. Denn dann soll der “Bologna-Prozess” auch in Deutschland abgeschlossen werden, der schon jetzt keinen Stein auf dem anderen lässt in den höheren Bildungsanstalten.

Der kranke Mann Deutschlands – Deutschlands Bildungssystem (Oeffinger Freidenker)

Teil 1: Auftakt

Teil 2: Wurzeln

Teil 3: Schulformen

Teil 4: Infrastruktur

Teil 5: Lehrerbildung

Die Freie Universität vor dem Börsengang? – Bemerkungen zur Ökonomisierung der Wissenschaft (NachDenkSeiten)

Eine Universität, die sich als Gemeinwesen versteht, wird sich einem öffentlichen Auftrag verpflichtet fühlen und sich über den Inhalt des öffentlichen Auftrags intern streiten. Eine Universität nach dem Modell des Privatunternehmens wird sich umdefinieren zur Unterordnung all ihrer Tätigkeiten unter das oberste Prinzip, auf dem Markt erfolgreich zu sein. Dieses Modell der unternehmerischen Universität nimmt vollständig Abschied von der Idee und der Tradition der Universität nicht nur als Gruppenuniversität sondern überhaupt als Gemeinwesen. Gibt es Hoffnung, dass die „unternehmerische Universität“ nicht das Ende der Universitätsgeschichte ist?

Geschäftsziel ist die Produktion von Waren, die privat nutzbar und auf dem Markt veräußerbar sind, statt von Kollektivgütern: Also werden die Studierenden zu Kunden umdefiniert, die verwendbare Qualifikationen und entsprechende Zertifikate nachfragen und auch mit Studiengebühren bezahlen. (…)

Innerhalb der unternehmerischen Universität geht es um die optimale Verbindung von Hierarchie und Konkurrenz. Das bedeutet auf jeden Fall die Aufhebung, mindestens aber das Leerlaufenlassen aller Formen von Demokratie und Mitbestimmung. (…)

Studierende, die als Käufer und Kunden von Wissenschaft bzw. Ausbildung auftreten, werden auf schlechte Lehre, für die sie nun auch noch bezahlen müssen, vielleicht mit mehr Wut als bisher reagieren.

George Carlin darüber, warum eine gute Bildung für die Massen von Politik und Wirtschaft gar nicht gewollt ist

http://www.youtube.com/watch?v=r7dL-lGCVEg

(Für die beiden letzten Links danke an willi!)

NACHTRAG: Solidaritätserklärung des Wissenschaftlichen Beirats von Attac Deutschland mit dem Bildungsstreik der Studierenden (PDF)

Solidaritätserklärung und einige empirische Daten und Untersuchungsergebnisse zur deutschen Bildungspolitik

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Klimaleügner und Atomlobbyisten

Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung unterstützt nach rechten Putschisten jetzt auch Leugner des Klimawandels. Eine Konferenz, als einer deren Veranstalter ihr “Liberales Institut” fungiert, bietet das Forum für  wissenschaftlich nicht zu haltende Ansichten, die man auch gut und gerne als obskurre Verschwörungstheorien bezeichnen kann. Wissenschaftlich etwa so haltbar wie der Weltuntergang 2012. Ein Blick auf einige Vortragende kann dabei auch erhellend wirken:

Nun ist es eine alte Strategie von Ideologen und Wirtschaftslobbyisten, wissenschaftlichen Humbug als unbequemes Querdenkertum zu präsentieren und die Verteidigung eigener ökonomischer Interessen als Kampf für die allgemeine Freiheit. Wirkliche Debatten sind auf der Tagung jedenfalls nicht zu erwarten, die Liste der Referenten könnte einseitiger kaum sein. Vertreter der anerkannten Klimaforschung (die sich über Ursachen und Wirkungen des Klimawandels seit Langem und im Wesentlichen einig ist) werden keine Referate halten – stattdessen unter anderem ein emeritierter Informatikprofessor, ein ehemaliger Wirtschaftsberater von Margaret Thatcher und der Moskauer Büroleiter der rechten US-Stiftung Heritage Foundation.

Unter Umweltschützern und Wissenschaftlern ist Singer seit langem umstritten: Vor seiner Karriere als Klimaskeptiker bezweifelte er schon, ob und wie sehr Passivrauchen zu Lungenkrebs führt und ob das Ozonloch wirklich eine so schlimme Sache ist.

Auch der Mitveranstalter der Berliner “Klimakonferenz”, CFACT aus Washington, hat jahrelang Geld von Unternehmen genommen, die an der Zerstörung des Weltklimas ganz gut verdienen

Also wirklich nur ganz seriöse, unabhängige Experten!! (via Fefes Blog, Lobbycontrol)

Und Lobbycontrol zeigt unter “360° Drehtüt: Atomaufseher -Atomlobbyist – Atomberater – Atomaufseher” die bewegte Vergangenheit von Gerald Hennenhöfer, der neuer Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit werden soll. Schön dabei auch dies:

Hennenhöfer soll dem Asse-Betreiber zu einer zurückhaltenden Informationsstrategie gegenüber der Öffentlichkeit geraten haben, als dieser wegen Wassereinbbrüchen in das Atomlager in die Kritik geriet.

Das ist der Lobbyismus, der dafür sorgt, dass wirklich alle Interessen unserer Gesellschaft angemessen vertreten werden, der so unglaublich wichtig ist, ohne den unser Meinungsplualismus ja gar nicht möglich wäre! Nicht wahr, liebe Politikwissenschaftskollegen?

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Die Neoklassik und ihre Mythen

Die Neoklassik ist in Deutschland in den letzten 30 Jahren die dominierende Schule der Volkswirtschaftslehre. Auch wenn weltweit und gerade auch in den USA wieder keynesianische Ansätze deutlich mehr Beachtung erlangen, in Deutschland lässt man sich davon nicht beirren und bleibt weiterhin schön bei der reinen Lehre. Die Stärkung der Binnennachfrage ist vernachlässigbar, staatliche Konjunkturprogramme sind “konjunkturpolitische Strohfeuer” (auch wenn es bei diesem Punkt in Folge der Witschaftskrise dann doch selbst in Deutschland zu ein klein wenig Umdenken gekommen ist), der Staat soll sich aus allem außer vielleicht noch der inneren und äußeren Sicherheit heraushalten. Dies erzählen die neoklassischen Wirtschaftsprofessoren wie eh und je immer wieder tantramäßig in den Sendungen des Mainstream-Journalismus, ohne auch nur die geringste kritische Nachfrage zu erfahren.

Und es ist auch kein Wunder, dass das diesjährige Jahresgutachten des “Sachverständigenrates” mal wieder harte soziale Einschnitte, den weiteren Rückzug des Staates, Arbeitsmarktliberalisierungen und Senkungen der Unternehmenssteuern fordert und ganz in der Tradition ausschließlich den Haushalt saniert sehen will, wobei Konjunkturbelebung und Senkung der Arbeitslosigkeit demgegenüber höchstens sekundär sind. Hat man alles schon oft genug gehört. Wenigstens ist er so konsequent, ebenfalls die Steuersenkungspläne von Schwarz-Gelb zu kritisieren – hier herrscht als über alle Wirtschaftsschulen hinweg Einigkeit, dass diese Unsinn sind. Ebenso ist man sich einig, dass die Investitionen in Bildung und Forschung zu niedrig sind. Wäre die Parteipolitik so weit, wenigstens bei diesen Punkten einmal – ja tatsächlich von niemandem bestrittenen – Empfehlungen der Wissenschaft zu folgen, wäre schon einiges getan. Aber Bildungseinrichtungen haben nun mal keine politische Lobby und keine Lobbyorganisationen, die dermaßen unsere Demokratie und unsere Meinungsvielfalt beschützen (tut mir leid, dieser Seitenhieb musste sein),  wie sie andere haben.

Dies alles fände ich noch nicht einmal so schlimm, dass sie sich als dominante wirtschaftspolitische Schule durchgesetzt haben, wenn ihre Ansichten nicht immer als allein gültige, wissenschaftlich objektive und nicht zu widerlegende Tatsachen verkauft würden, von den genannten Medien, aber auch von vielen  dieser Wissenschaftler selbst. Andere Positionen werden von ihnen oft gar nicht zugelassen, alles, was nicht in den derzeitigen Mainstream passt ist für sie entweder “widerlegt” oder “veraltet”. Man immunisiert sich nicht nur selbst gegen jede Kritik, man lässt diese gar nicht erst zu. Was nicht sein soll, darf auch nicht sein. Tatsächlich ist die Wirtschaftswissenschaft eine der wenigen im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich, in der andere Theorien oft gar nicht erst dargestellt oder auch nur erwähnt werden, die wie gesagt gerade nicht in den Mainstream passen, in denen die eine Richtung ihre Ansichten wie naturwissenschaftlich belegt und gültig verkauft.

Dass ihre Modelle und Theorien dabei oft aber eher mythologisch denn wissenschaftlich sind, zeigt sich aber immer wieder. Weissgarnix z.B. räumt diese Woche mal wieder mit ein paar “Märchen aus dem Gute-Nacht-Geschichtenbuch der Neoklassik” auf. Er schreibt, dass die “homo oeconomicus”-Phantasie die Grundlage der meisten Modellen der Neoklassik ist. Und denen, die von einem Menschenbild ausgehen, in dem jeder Mensch ausschließlich im wahrsten Sinne des Wortes “asozial” als Individuum und ausschließlich den eigenen Nutzen maximierend handelt und für den allein der Markt (wobei er natürlich immer über vollständige Informationen verfügt) noch eine Beziehung zu anderen Menschen generiert, denen sollen wir tatsächlich die alleinige Deutungshoheit überlassen? (Ich weiß nicht mehr genau, wo ich das gehört habe, aber es erscheint mir sehr sinnvoll: “Existierte der homo oeconomicus wirklich, er wäre wohl eher ein Fall für die Psychatrie”).

Und Weissgarnix verdeutlicht, wie die Gleichung “I(nvestitionen”=S(paren)” in der von den Neoklassikern behaupteten Kausalität, dass die Sparquote die Höhe der Investitionen beeinflusse, nicht zutrifft (dass es eine Illusion ist, dass der Konsument mit seiner Spartätigkeit tatsächlich über die Investitionen bestimmen könne) und warum hohe Sparquoten tatsächlich volkswirtschaftlich alles andere als nützlich sind. Ganz lustig dabei ist auch, wie die I=S- Gleichung auch nur mittels eines Kniffs (man könnte es auch als “Trick” bezeichnen) funktioniert und letztlich nur eine Tautologie darstellt.

Die Theoreme der Neoklassik sind also nicht unbedingt immer zutreffend, und v. a. sind sie nicht die allein seeligmachende Wahrheit, wie einem dies ihrer Vertreter oft genug weismachen wollen.

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Stimmt gegen die Quacksalber!

Stimmt mal alle hier ab : Geben gibt. Bündnis für Engagement: Online-Voting: Wer hat den Deutschen Engagementpreis verdient?

Und am besten stimmt ihr für Raul (SOZIALHELDEN e.V.). Auf jeden Fall stimmt für ein Projekt, dass auch wirklich dem Engagement für das Gemeinwohl dient, wofür dieser Preis ja gedacht ist.

Ihr wollt doch auch nicht, dass die Homöopathie-Quacksalber auch noch 10.000 Euro von der Bundesregierung bekommen, oder? Und überhaupt kann man Zensursula, deren Familienministerium ein Hauptförderer des Preises ist, durchaus wie Holgi im Nightline-Blog fragen:

Wie kommt es, dass Du in Erwägung ziehst, Quacksalber dafür zu belohnen, dass sie anderen Menschen ihren Unsinn verkaufen, anstatt dich daran zu beteiligen, dass die Ahnungslosen aufgeklärt werden, damit sie in Zukunft nicht mehr den Scharlatanen auf den Leim gehen?

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Rhetorik-Hilfe für Esoteriker

He, Esos!

Wenn Ihr demnächst mal mit jemandem über den bevorstehenden Weltuntergang, über Astrologie oder Homöopathie, über irgendwelche Energien und Kräfte, über Außerirdische oder Atlantis, über magische Orte, Steine oder Kristalle, die Kraft der Sonne, des Mondes oder der Venus, über Pendel, Kartenlegen oder Wünschelruten oder über Uri Geller sprecht, dann solltet Ihr darauf achten, einen der folgenden Sätze (gerne auch etwas umformuliert) zu bringen:

“Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die kann die Wissenschaft nicht erklären!” oder gleich das Shakespeare-Zitat

“Man muss ja auch nicht für alles eine Erklärung haben!”

“Man muss ja nicht alles beweisen können!”

“Wissenschaft ist ja auch nur ein Glaube!”

“Die Wissenschaft hat uns ja auch nicht wirklich vorangebracht!”

“Es gibt ja auch keine Beweise, dass es nicht so ist!”

“Aber der Mensch besteht doch aus mehr als kalter Wissenschaft und Studien und Beweisen!”

“Die Schulmedizin hat nicht gegen alles ein Heilmittel!”

“Aber Frau Kleinschmidt von nebenan hat es doch auch geholfen!”

“Aber wenn die Leute daran glauben und es ihnen dadurch besser geht, dann lass sie doch!”

Und Ihr solltet Euch in Eurer “Argumentation” auch nicht mit Zusammenhängen oder auch nur der geringsten wissenschaftlichen Nachvollziehbarkeit aufhalten. Und wenn Ihr seht, dass Ihr gegen diese miese “Logik” der Nicht-Gläubigen nicht durchkommt, solltet Ihr auch ruhig mal laut und ausfallend werden oder gegebenenfalls herablassend-arrogant lachen.

So überzeugt Ihr die Ungläubigen! Ganz bestimmt! Ihr müsst nur dran glauben!

An alle anderen:

Lest mal Astrodicticum simplex und Die Skeptiker – GWUP. Und Holgi twittert und bloggt immer mal was dazu.

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