Das FDP-Showgirl unter Plagiatsverdacht

Nach Karl-Theodor zu Guttenberg, Veronica Saß (der Tochter von Edmund Stoiber) und dem CDU-Politiker Matthias Pröfrock steht nun auch die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin unter dem Verdacht, in ihrer Dissertation plagiiert zu haben. Für die FDP dürften diese Vorwürfe einen weiteren Verlust an dem politisch dringend benötigten Wert “Glaubwürdigkeit” bedeuten. Unterdessen muss Guttenberg nun mit juristischen Konsequenzen wegen seines Plagiats rechnen.

Die Vorwürfe gegen Koch-Mehrin

Die Dissertation von Silvana Koch-Mehrin trägt den Titel “Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik: die Lateinische Münzunion 1865 – 1927”. Sie wurde im Jahr 2000 an der Universität Heidelberg eingereicht und 2001 veröffentlicht. In einem Wiki werden nun immer mehr Stellen aus dieser Arbeit gesammelt, die im Verdacht stehen, abgekupfert zu sein. Zur Stunde kann man diese auf 40 von 227 Seiten zählen. Hinter diesem Wiki, das im Zuge des GuttenPlag-Wikis entstanden ist, stehen etwa 30 Personen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, wissenschaftliche Arbeiten von Politikern kritisch zu überprüfen und die wissenschaftliche Integrität eines Doktortitels in Deutschland zu sichern. Positiv anzumerken bleibt hier also einmal mehr die Rolle, die das Netz dabei spielen kann, innovative Formen der Zusammenarbeit unter größtmöglicher Transparenz zu schaffen.

Bei den gefundenen Stellen handelt es sich oft um exakt wortgleiche Übernahmen, bei mitunter recht langen Stellen wurden teilweise ein paar kleine sprachliche Änderungen vorgenommen. Um zentrale Stellen oder angeblich eigene Forschungsergebnisse handelt es sich hier nach einem ersten Eindruck eher weniger (vieles wurde etwa aus verschiedenen Hand(wörter)büchern abgeschrieben). Dies spielt an sich aber auch keine überaus große Rolle: wichtig ist, dass sämtliche aufgedeckten Stellen nicht belegt sind, also ohne Quellenangabe bleiben. Wie zuverlässig sind diese Funde? Teilweise kann der Leser dem unmittelbar selbst nachgehen, etwa, wenn das entsprechende Werk, aus dem abgekupfert wurde, auch bei Google Books zu finden ist. Das Magazin Stern hat außerdem “etwa 10 Stellen” nachrecherchiert und konnte alle bestätigen. Und bereits beim GuttenPlag-Wiki wurde schon äußerst gewissenhaft gearbeitet. An der Seriosität der Funde besteht also wenig Zweifel.

Die Universität Heidelberg kündigte am Dienstag an, die Vorwürfe durch den Promotionsausschuss der philosophischen Fakultät überprüfen zu lassen. Der Ausschuss trat heute das erste mal zu diesem Zweck zusammen, die Ergebnisse sollen nach Ostern vorliegen. Die Staatsanwaltschaft in Heidelberg prüft wegen des Verdachts auf Urheberrechtsverletzungen. (more…)

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Zu Guttenbergs Rücktritt

Zu Guttenberg ist nun doch endlich zurückgetreten. Aber auch im Rücktritt bleibt er seinem Verhalten treu. Seine Rücktrittserklärung tropft von Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, sie ist voller Heuchelei. Guttenberg stilisiert sich darin vor allem selbst als Opfer – er scheint einer Art “Dolchstoßlegende” Vorschub leisten zu wollen. Zudem steht er immer noch nicht zu dem Umfang seines akademischen Betrugs und zum Belügen der Öffentlichkeit. Und er ist sich sogar nicht zu schäbig, tote Soldaten für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Ein “anständiger”, “ehrenhafter” Rücktritt sieht anders aus.

http://www.youtube.com/watch?v=YsLMLfbSPxs

Ja, Guttenberg wie auch Merkel haben gezeigt, dass es im heutigen Zustand des deutschen Parlamentarismus so etwas wie Ehre und Anstand nur noch als  Worte gibt; dass man gewillt ist, noch so tief zu sinken, in der Hoffnung, nicht ein paar Wählerstimmen zu verlieren. Billiger Populismus, Personalisierung und Verdummung der Politik haben eine neue Stufe erreicht. Die Schäbigkeit der Springer-Presse ist zwar bekannt, eine in dieser Wiese bisher aber kaum dagewesene Kampagne verdeutlichte deren Gefährlichkeit, die jetzt wohl niemand mehr leugnen kann. Anders, als sie es freilich selbst sehen, haben sich aber auch die viele andere Medien (besonders negativ taten sich die öffentlich-rechtlichen Medien hervor) nicht gerade mit Ruhm bekleckert. So sprachen die meisten etwa immer noch von bloßen Verdachtsfällen und ein paar möglichen Fußnotenfehlern, als schon längst der Umfang des Betrugs offensichtlich war. Erst in den letzten Tagen gab es deutlicheren Gegenwind. Als positive Folge bleibt, dass aus der akademischen Welt klare Stimmen zu vernehmen waren, und dass das Internet als technisches Mittel und als soziales Medium neue Stärken gezeigt hat.

Wie könnte Guttenbergs Zukunft aussehen? Ich halte, anders als etwa Michael Spreng,  eine Rückkehr in die Politik keineswegs für ausgeschlossen. Möglicherweise könnte dies schon nach oder zu den Landtagswahlen in Bayern der Fall sein. Es ist zu befürchten, dass es Guttenberg nicht schwer fallen dürfte, unterstützt vom Boulevard nach einer kurzen Auszeit als geläutert und als, nach den absehbaren Wahlmissfolgen in nächster Zeit, als “Retter” der Union zurückzukehren. So manche CSU-Politiker haben noch ganz Anderes durchgestanden. Guttenbergs Verhalten in der Plagiatsaffäre wie selbst auch noch sein Rücktritt haben aber gezeigt, dass er einen Charaktertypus repräsentiert, der möglichst nie wieder an die politische Macht kommen sollte.

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Geistferne Zeiten?

Guttenbergs Plagiat und die kleinbürgerliche Intellektuellenfeindlichkeit

 

Der deutsche Michel (Eulenspiegel 1848)

Eine Überlegung: Ist eine Ursache dafür, dass Guttenberg trotz seines Plagiates bei der deutschen Bevölkerung nach wie vor so beliebt ist, vielleicht, dass die meisten Deutschen noch nie eine wissenschaftliche Arbeit, geschweige denn eine Promotionsarbeit gelesen haben? Für diese erscheint es als eine Lapalie, wie ein Abspicken bei einer Klausur, wenn Guttenberg große Teile seiner Doktorarbeit einfach von anderen übernommen hat, ohne dies kenntlich zu machen. Im Gegensatz dazu wird jeder Erstsemesterstudent bei einem kurzen Blick auf die Arbeit wissen, woran man ist: bei einer unglaublich dreisten wissenschaftlichen Schummelei (und das ist noch höflich ausgedrückt). Man kann es auch so sagen:

http://www.youtube.com/watch?v=6cDZuQBtpVA

Ich denke, es zeigt sich hier ein bestimmtes Problem: Es gibt eine, mindestens latente, Intellektuellenfeindlichkeit in großen Teilen des deutschen Kleinbürgertums – oder, man muss es wohl, auch auf die Gefahr arrogant zu erscheinen, so sagen – bei bestimmten, vielleicht sogar großen Teilen der wenig gebildeten Bevölkerung. Natürlich soll dies nicht generalisiert und auf alle verallgemeinert werden. Es ist aber auch nicht komplett zu leugnen. Es fehlt  dortjegliches Verständnis für die Prinzipien, das Vorgehen und die Inhalte von Wissenschaft und der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen. Oft dabei anzutreffen ist auch der Dunning-Kruger-Effekt, eine Form der kognitiven Verzerrung, die die Tendenz inkompetenter Menschen, das eigene Können zu überschätzen und die Leistungen kompetenterer Personen zu unterschätzen, beschreibt. (more…)

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Quousque tandem, Herr Minister?

Zu Guttenberg oder die Verdunklung einer “Lichtgestalt”

Von Frank Benedikt

“Wie lange noch, Catilina, wirst du unsere Geduld missbrauchen?” Mit diesem berühmten Zitat begann im antiken Rom einst Marcus Tullius Cicero die erste seiner Reden gegen Catilina, und man ist versucht, dies in abgewandelter Form auch dem Verteidigungsminister zuzurufen, der immer mehr zu einem “Selbstverteidigungsminister” mutiert. Natürlich ist Karl-Theodor zu Guttenberg keinesfalls einem Hoch- und Landesverräter gleichzusetzen, aber er strapaziert zunehmend die Geduld des Publikums.

Zu häufig  hat der Herr der Hardthöhe durch Versäumnisse, unverständliche Personalentscheidungen und mangelnde Kommunikation geglänzt, zu häufig schien er weniger dem Amt und den ihm anvertrauten Soldatinnen und Soldaten die nötige Fürsorge angedeihen zu lassen, denn seiner eigenen Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit. Die jüngste Affäre um sein “Doktorspielchen” ist dabei nicht wirklich von Belang, denn für das Amt eines Ministers ist es unerheblich, ob dieser einen (Adels-) oder akademischen Titel führt, allerdings spielen zwei Aspekte doch eine nicht unwichtige Rolle: Hat der Minister mit Vorsatz gehandelt und sagt in der Folge bewußt die Unwahrheit? Und hat er sich zur Erlangung der Doktorwürde gar des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bedient, der nur dafür gedacht ist, die Abgeordneten bei ihrer offiziellen Tätigkeit zu unterstützen? Eine solche Selbstbedienung könnte sich schnell als “Amtsmissbrauch” gedeutet finden und sollten auch unehrliche Politiker in dieser Republik keinen Ausnahmefall darstellen – der Missbrauch des Amts jedoch wird in Deutschland auch weiterhin nicht vom Wähler goutiert. (more…)

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Comeback des Geschichtsrevisionismus?

In Deutschland haben in den letzten Jahren geschichtsrevisionistische Bestrebungen wieder einen Aufwind bekommen Die Einrichtung eines Gedenktages für die deutschen Vertriebenen ist dabei nur ein Beispiel.

Der Deutsche Bundestag möchte den 5. August zu einem nationalen Vertriebenen-Gedenktag machen. Die schwarz-gelbe Mehrheit beschloss dies letzte Woche Donnerstag gegen die Stimmen der Opposition. Besonders heikel ist, dass sich Union und FDP dabei auf die “Charta der Heimatvertriebenen” von 1950 berufen: Sie wird als ein “Gründungsdokument der BRD” bezeichnet und der angedachte Gedenktag soll auf den Jahrestag ihrer Unterzeichnung gelegt werden. Es handelt sich bei dieser Charta um ein krudes Dokument, in dem die deutschen Vertriebenen sich als “die vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen” bezeichneten, das die Grenzen Nachkriegs-Deutschlands nicht akzeptierte und von NSDAP-, SA- und SS-Funktionären mitverfasst und unterzeichnet wurde. Die Deutschen werden darin nur als Opfer behandelt, die unfassbaren Verbrechen der Nationalsozialisten werden vollkommen verschwiegen. Weiterhin verzichten die Vertriebenen in dem Dokument auch noch feierlich auf Rache und Vergeltung – ganz so, als stünde diese ihnen zu.

Zum Thema: Vertriebenen-Gedenktag: Historiker kritisieren Bundestagsbeschluss (Frankfurter Rundschau)Rückfall in Zeiten des Kalten Kriegs (Frankfurter Rundschau); Kein Recht auf Unbefangenheit  (Fleurseur)

Dieses Vorgehen nur ein Teil einer höchst bedenklichen Entwicklung, die man in den letzten Jahren verstärkt beobachten kann, einer  geschichtsrevisionistischen Umdeutung der Epoche des Nationalsozialismus, in der die Deutschen von Tätern zu den eigentlichen Opfern gemacht werden und ihre Verbrechen verharmlost werden sollen. Als hätte der Historikerstreit in den 80ern nicht gerreicht: der Geschichtsrevisionismus scheint einen neuen Auftrieb zu erfahren. (more…)

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Heute zwei Veranstaltungen in Trier

Zunächst gibt es um 18 Uhr im Raum A7 an der Karl-Marx-Universität Trier einen Vortrag von Ingo Elbe zum Thema: „Zwischen Marx, Marxismus und Marxismen. Lesarten der Marxschen Theorie“.

Aus der Ankündigung: “Der Vortrag soll einen Überblick über die theoretischen Kernvorstellungen der drei Marxismen (traditioneller und westlicher Marxismus sowie neue Marx-Lektüre) vermitteln und damit auch einen Beitrag zu einer differenzierten Herangehensweise an die Texte von Marx selbst leisten.”

(Mehr Informationen gibt es hier –  Huch, was ist da eigentlich los, Perestroika bei der Linken Liste? ;-))


Und danach geht es zum Trierer Blogbiertrinken 2010 ab 20 Uhr im Schwach und Sinn. (via)

Alle Blogger (und auch Mikroblogger, also beispielsweise Twitterer) in Trier sind dazu herzlich eingeladen!

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Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts

Wenn er einmal etwas anderes hören wolle, als was 90% der Ökonomen in Deutschland erzählen, solle er Heiner Flassbeck einladen – dann könne man sich selbst ein Bild davon machen, wer Recht hat. So leitete Felix Hofmann vom AStA der Universität Trier einen Vortrag von Heiner Flassbeck zum Thema “Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts” ein. In einem prall gefüllten Hörsaal sprach dieser am Montag über die Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert, über internationale Krisen der Wirtschaft und der Umwelt, und über Maßnahmen jenseits des neoliberalen Mainstreams in den deutschen Wirtschaftswissenschaften. Eine Aufzeichnung des Vortrages (MP3) ist hier zu finden.

Jahrhundert der Krisen

Flassbeck erläuterte zunächst, dass die Welt zurzeit mehrere ernste Krisen durchlaufe, so beispielsweise eine Umwelt-, eine Schulden-, eine Handels-, eine Arbeitsmarkt- und eine Finanzkrise. Die Finanzkrise habe eine der schlimmsten weltweiten Krisen überhaupt dargestellt. Dennoch, so merkte er an, habe es in Folge der Finanzkrise, anders als bei anderen vergleichbaren Ereignissen, nicht etwa Untersuchungskommissionen gegeben, und noch nicht einmal Diskussionen über die Ursachen oder etwa über die “Systemrelevanz“ von Banken. Vor zweit Jahren seien alle auf einmal Keynesianer gewesen. Heute wollen viele davon nicht mehr wissen und vertrauen wieder der neoliberalen Lehre.

Ein zentrales Thema des Vortrages waren die internationalen Finanzmärkte. Die meisten internationalen Rohstoffpreise sind nicht von realem Angebot und realer Nachfrage bestimmt, sondern “financialized”, werden auf Finanzmärkten bestimmt, und sind damit auch für Spekulationen anfällig. Die Spekulation auf Nahrungsmittel hatte im Jahr 2008 zu einer weltweiten Hungerkrise und zu Toten geführt. Anders, als es die Finanzinstitute ursprünglich vorhatten, als sie sich auf den Rohstoffmarkt ausbreiteten, diversifizierten sie nicht das Risiko, sondern potenzierten es im Gegenteil. Ob Rohstoffpreise, Devisen, Staatsanleihen, Aktien: Sie alle werden auf Finanzmärkten gehandelt – und sie alle folgen in ihrem Trend fast haargenau den gleichen Zyklen. Gibt es auf einem Markt eine Krise, geht die mit Krisen auf allen anderen einher, gibt es einen Aufschwung ebenso. Seit März 2009 geht es auf ihnen allen wieder bergauf – die Frage ist jedoch, wie lange, bis dass die nächste Spekulationsblase platzen wird. (more…)

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Heiner Flassbeck in Trier

Ein Veranstaltungshinweis:

Heiner Flassbeck kommt am Montag, den 15. November, zu einem Vortrag an die Universität Trier.  Dieser findet um 18 Uhr im Hörsaal 9 (E-Gebäude) statt  (Lagepläne gibt es hier). Er wird vom Referat für politische Bildung des AStA der Universität Trier veranstaltet.

Thema des Vortrags (mit anschließender Diskussion) soll “Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts” sein, in Anlehnung an sein neuestes Buch “Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts”.

(Bild: Wikimedia / CC-BY-SA 3.0)

Als kleiner Einstieg bzw. Vorgeschmack seien schon einmal dieser Beitrag auf den NachDenkSeiten, der wichtige Thesen des Buches zusammenfasst, diese Rezension sowie dieses Interview mit Flassbeck über Probleme der Weltwirtschaft und einige  seiner Lösungsansätze empfohlen.

Der keynesianische Ökonom Heiner Flassbeck ist einer der herausragenden Vertreter der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik in Deutschland und eine der profiliertesten Stimmen gegen den neoliberalen Mainstream in der deutschen Ökonomie. Er war, leider nur für kurze Zeit, unter Oskar Lafontaine Staatssekretär im Finanzministerium. Zur Zeit ist er Chefvolkswirt der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD). Auch hier im Blog wird oft auf seine Arbeiten und Argumentationen Bezug genommen und seine Homepage hat einen Stammplatz in der Linkliste.

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Vier Irrtümer über das Mittelalter

Dieser Artikel von Stefan Sasse, der auch den Oeffinger Freidenker betreibt, ist im Original in seinem neuen Geschichtsblog erschienen. Er schreibt dort umfangreichere Beiträge über historische Themen aus Antike, Mittelalter, Neuzeit und  der Zeitgeschichte und klärt dabei auch öfter populäre Irrtümer auf. Es lohnt sich auf jeden Fall, dort mal vorbeizuschauen!


Schloss Auerbach

Das Mittelalter hat keinen besonders guten Ruf. Oftmals wird es sogar mit dem Prädikat “finster” versehen; assoziiert wird es gerne mit Schmutz, Armut und Rittern. Doch woher kommt das? Wer hat es überhaupt zum “Mittel”alter erklärt, also einer Periode, die zwei andere – vermeintlich bessere – verbindet? Geprägt wurde der Begriff von denen, die sich in Abgrenzung zu dieser Epoche in der so genannten “Neuzeit” wiederzufinden glaubten, also die antike-begeisterten Humanisten der Renaissance. In ihrer Verklärung ihrer eigenen Zeit, in deren aufstrebenden Handelsrepubliken sie vorher nicht gekannten Freiheitsduft zu atmen meinten, wollten sie sich von der als geistig eng empfundenen vorhergehenden Epoche des “Mittelalters” abheben. Dies ist ihnen gelungen; bis heute sehen wir eine lichte Neuzeit anbrechen, wenn wir an die Renaissance denken, die die Zeit enger Burgen und düsterer Klöster ablöst, in denen Bauern ausgebeutet im Schweiße ihres Angesichts auf den Äckern schufteten und Hexen auf Marktplätzen verbrannt wurden.

Im Folgenden sollen vier große Irrtümer über diese Epoche, die der Einfachheit halber weiter als “Mittelalter” bezeichnet werden soll, ausgeräumt werden. Der erste betrifft das schmutzige Mittelalter ungewaschener Menschen, die in ihrem eigenen Dreck dahinvegetieren und abergläubisch den resultierenden Krankheiten entgegensehen, während sie gleichzeitig in religiöser Furcht ein keusches Leben führen und Sexualität kaum ausüben. Der zweite betrifft die Annahme, dass das Leben als mittelalterlicher Bauer in praktisch ununterbrochener Arbeit für den Grundherrn bestanden und quasi keine Freuden gekannt habe. Der dritte Irrtum befasst sich mit der Idee, dass im Mittelalter Hexen verbrannt worden wären. Der vierte Irrtum schließlich besteht darin, zu glauben, die Kirche sei ein Hinderer des Fortschritts gewesen, die das Geistesleben des Mittelalters trübe gemacht habe.
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