Polizeigewalt in Deutschland

Amnesty International hat einen neuen Bericht mit dem Titel “Täter unbekannt – mangelnde Aufklärung von mutmaßlichen Misshandlungen durch die Polizei in Deutschland” (html, pdf, Zusammenfassung) vorgelegt. In diesem werden Fälle übermäßiger Polizeigewalt und Todesfälle in Polizeigewahrsam untersucht. Die Ergebnisse sind durchaus alamierend. Das gegenwärtige System, in welchem die Polizei unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft die Ermittlungen führt, könne danach keine umgehenden, unparteiischen, unabhängigen und umfassenden Untersuchungen aller mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei gewährleisten.

Die Studie listet eine ganze Reihe von Defiziten auf: Wenn Opfer von Polizeigewalt überhaupt einmal den Mut zu einer Anzeige hatten, wurden in der Mehrzahl der Fälle die Ermittlungen ohne Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Ermittlungen kommen ansonsten selten, und wenn, meist erst auf juristischen Druck der Opfer zu Stande. Oft konnten die Täter nicht identifiziert werden. Die Ermittlungen entsprechen nicht einmal den von Deutschland ratifizierten Menschenrechtsabkommen, und die Ermittlungen sind oft nicht unabhängig. Es geht sogar soweit, dass bei einigen Ermittlungsverfahren gegen Polizisten der Bundespolizei  entweder die Einheit, zu der der beschuldigte Polizist gehörte, oder gar der beschuldigte Polizist selbst ermittelte. In den vergangenen sechs Jahren wurde Amnesty International 869 mal wegen Polizeigewalt in Deutschland kontaktiert.

Es existiere, so die Amnesty-Generalsekretärin Lüke in einem Interview mit tagesschau.de, zwar keine systematische Polizeigewalt in Deutschland, aber große strukturelle Probleme. In allen (!) nachrecherchierten Fällen sei Vorwürfen gegen die Polizei nicht in der Weise nachgegangen worden, wie es das Recht erfordert. Es gäbe bei Vorwürfen gegen Polizisten nicht einmal unabhängige Untersuchungsgremien und es sei ein Problem, dass Polizisten immer noch nicht identifizierbar seien. Zudem herrsche innerhalb der Einheiten oft eine Art Korpsgeist, wobei Verbrechen vertuscht und Täter gedeckt werden.

Zum Thema berichten unter anderem auch:

Amnesty-Studie zu Polizeigewalt: Schläger in Uniform (taz)
Amnesty-Bericht: Die Polizei, Dein Feind und Quäler (Frankfurter Rundschau)
Polizeigewalt in Deutschland: Schläger in Uniform (Zeit)


Unter dem Titel “Mehr Verantwortung bei der Polizei” gibt es nun eine Kampagne bei Amnesty International. Sie möchte Verbesserungen, die gewährleisten, dass Ermittlungen auch gegen Polizeibeamte unmittelbar, umfassend, unabhängig und unparteiisch geführt werden. Dabei tritt sie für eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten ein, damit diese jederzeit identifiziert werden können. Sie fordert außerdem unter anderem eine Stärkung der Menschenrechtsbildung der Polizei,  eigene Stellen und neue Mechanismen für die unabhängige Untersuchung von Polizeiübergriffen sowie eine Audio- und Video-Aufzeichnung von Vorgängen in den Gewahrsamsbereichen von Polizeiwachen.


Beonders negativ sticht bei Fällen von Polizeigewalt immer wieder Berlin heraus: dort war 2008 in 636 Fällen gegen Polizisten wegen Körperverletzung ermittelt worden.  615  mal wurden die Ermittlungen eingestellt, es kam  zu keiner einzigen Verurteilung. In den letzten Tagen war ein Fall von Berliner Polizeigewalt besonders präsent: Ein Berliner Polizist ist dafür, dass er einen Kleinkriminellen erschossen hat, wegen Totschlags in minderschwerem Fall verurteilt worden: zu zwei Jahren auf Bewährung. Der unbewaffnete gesuchte Autodieb war Silvester 2008 durch acht Schüsse in den Oberkörper aus nächster Nähe durch die Seitenscheibe eines langsam fahrenden Autos getötet worden.

Laut dem Richter habe kein Anlass zur Notwehr bestanden und der angeklagte Kommissar habe bedingten Tötungswillen gehabt. Er habe “stressbedingt die falsche Entscheidung getroffen” – die aber der Tote mitzuverantworten habe, weil er sich widerstandlos hätte festnehmen lassen müssen. Eine genaue Rekonstruktion der Tat fiel schwer, da die Spuren schlecht gesichert wurden und die drei beteiligten Polizisten danach stundenlang alleine zusammensitzen und sich womöglich absprechen konnten. Dass die beiden anderen die Schüsse  des ersten nicht gehört haben wollten, glaubte das Gericht ihnen aber nicht: Sie wurden wegen Falschaussagen und versuchter Strafvereitelung zu Geldstrafen von jeweils 120 Tagessätzen verurteilt.

Auf das Urteil hin gab es in Berlin heftige Reaktionen, von Tumulten im Gericht bis zu einer Demonstration, die laut Presse von Einsatzhundertschaften der Polizei mit Pfefferspray und Schlagstöcken ausgesprochen rabiat aufgelöst wurden (taz:  Nach Urteil zu tödlichen Polizeischüssen – Berliner Polizei kämpft um ihren Ruf). Dem Anwalt des Angeklagten sowie manchen deutschen Juristen- und Polizeikreisen ist das Urteil derweil sogar noch zu hart, wie der Artikel ebenfalls berichtet.


Da macht es die Sache freilich nicht besser, dass es in manchen Ländern noch deutlich schlimmer ist: In Ägypten beispielsweise droht zwei Polizisten dafür, dass sie auf offener Staße  mit brutalster Gewalt einen Blogger zu Tode geprügelt haben, 30 Euro Geldstrafe. In Ägypten kann wegen des seit 30 Jahren herrschenden Ausnahmerechts jeder ohne Grund verhaftet, beliebig lang festgehalten und misshandelt werden. Aber hey, Ägypten ist ja ein “Verbündeter des Westens”, da ist das schon o.k. Gut, dass sich Rechts- und Schurkenstaaten immer so angenehm trennen lassen.

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5 thoughts on “Polizeigewalt in Deutschland

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