Sozialdarwinistische Partei Deutschlands?

Thilo Sarrazin darf also Mitglied der SPD bleiben. Alle Anträge auf einen Parteiausschluss, auch der des Vorstands, wurden zurückgezogen, Sarrazin hat eine Erklärung unterschrieben. Wenn man sich diese jedoch genauer anschaut, sieht man, dass Sarrazin darin keineswegs die Inhalte seiner zahlreichen rassistischen und sozialdarwinistischen Äußerungen zurücknimmt. Es ist eine absolut wachsweiche Erklärung ohne jede adäquate Distanzierung. Er nimmt nur ein paar Wortverdrehungen vor, stellt sich als falsch verstanden dar oder bedauert, wenn sich jemand beleidigt fühlt – die übliche Taktik, wenn man nichts zurücknehmen und die “Schuld” auf die Betroffenen selbst schieben will. Teilweise belegt auch noch die Wortwahl dieser Erklärung, dass er nach wie vor sozialdarwinistische Ansichten vertritt. Man muss so wohl zu dem Ergebnis kommen, dass seine Aussagen, auch die seines Buches “Deutschland schafft sich ab”, an denen er weiter festhält, von nun an als mit sozialdemokratischen Grundsätzen vereinbar gelten. Aussagen Sarrazins wie:

Das Muster des generativen Verhaltens in Deutschland seit Mitte der sechziger Jahre ist nicht nur keine Darwinsche natürliche Zuchtwahl im Sinne von “survival of the fittest”, sondern eine kulturell bedingte, vom Menschen selbst gesteuerte negative Selektion, die den einzigen nachwachsenden Rohstoff, den Deutschland hat, nämlich Intelligenz, relativ und absolut in hohem Tempo vermindert.

So wurde viel zu lange übersehen, dass die Alterung und Schrumpfung der deutschen Bevölkerung einhergeht mit qualitativen Veränderungen in deren Zusammensetzung. Über die schiere Abnahme der Bevölkerung hinaus gefährdet vor allem die kontinuierliche Zunahme der weniger Stabilen, weniger Intelligenten und weniger Tüchtigen die Zukunft Deutschlands.

Es ist nämlich zu befürchten, dass sie zur überdurchschnittlichen Vermehrung jener bildungsfernen und von Transfers abhängigen Unterschicht beitragen, welche die Entwicklungsaussichten Deutschlands verdüstert.

So spielen bei Migranten aus dem Nahen Osten auch genetische Belastungen, bedingt durch die dort übliche Heirat zwischen Verwandten, eine erhebliche Rolle und sorgen für den überdurchschnittlich hohen Anteil an angeborenem Schwachsinn und anderen Erbkrankheiten.

Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin.


Offensichtlich hofft die SPD-Spitze mit dieser Verfahrensweise, am rechten Rand, bei der ausländerfeindlichen Stammtischklientel, Stimmen fangen zu können. Dies wäre schon schlimm genug. Sarrazins biologistisch begründeter Rassismus unterscheidet sich jedoch qualitativ von üblichen rechtspopulistischen Parolen wie “Kriminelle Ausländer raus!”, “Arbeit zuerst für Deutsche!”, “Keine Zuwanderung in die Sozialsysteme” usw., und auch von der üblichen Islamophobie. Sarrazin vertritt nicht nur nationalistische oder ausländerfeindliche, sondern eindeutig rassistische Ansichten und äußert sozialdarwinistische Thesen, folgt obskuren Vererbungslehren und Gen-Theorien. Er teilt Menschen in nützlichere und unnützlichere, höher- und minderwertige ein. Seine Konzepte könnte man als eine “milde Form der Eugenik” bezeichnen – der zufolge die “Schwachen”, “Minderwertigen” sich nicht mehr vermehren sollen. Sarrazin ist ein Hetzer, ein Menschenverächter. Er hat in keiner demokratischen Partei etwas verloren. Doch Sarrazin ist nicht ganz alleine mit sozialdarwinistischen Äußerungen in der SPD. So sagte Franz Müntefering 2006 “Nur wer arbeitet, soll auch essen.” Das Bundeswirtschaftsministerium schrieb unter Minister Wolfgang Clement in einem offiziellen Report:

Biologen verwenden für “Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben”, übereinstimmend die Bezeichnung “Parasiten”. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert.

Dies wäre wohl in einem NS-Lehrbuch kaum anders formuliert worden. Zu zu verstehen ist es wohl im Kontext des Wandels der SPD zur Partei des “Dritten Weges”/der “Neuen Mitte” und damit der Hinwendung zu neoliberalen Theorien – und in deren Folge der Ideologie des “Jeder ist sich selbst der Nächste”. Jedoch muss man fairerweise sagen, dass derlei nicht die Linie der Partei, auch nicht der Agenda-SPD, war, es sich in der Tat um Einzelfälle handelte, die auch teilweise scharf kritisiert wurden. Indem man nun aber so weit geht, selbst Sarrazins Ansichten nicht als unvereinbar mit den Werten der SPD zu erklären, sie explizit zu tolerieren, werden Werte wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität nur noch Worthülsen. Die SPD ist sicherlich keine sozialdarwinistische Partei – sie toleriert jedoch nun auch offiziell Sozialdarwinisten. Und das reicht schon.

Die Parteispitze der SPD hat damit endgültig gezeigt, dass sie nicht einmal das geringste Maß an politischen oder moralischen Überzeugungen besitzt, dass sie für ein paar vermeintliche kleine Stimmengewinne (so diese überhaupt erfolgen sollten und nicht durch Verluste aufgrund des Verbleibs Sarrazins übertroffen werden sollten) in der Tat alles machen würde. Die Parteiführung steht damit jedoch keineswegs in Übereinstimmung mit der Basis – dies zeigt aber wieder einmal nur, was das Berufspolitikertum aus Menschen machen kann. Vor allem zwei Personen stehen dabei im Fokus: Sigmar Gabriel hat sich mit einer sehr deutlichen und fundierten Kritik an Sarrazins “Thesen” hervorgetan und er macht deutlich, dass er sich eine andere Entscheidung gewünscht hätte. Für ihn ist diese Entscheidung nun eine klare politische Niederlage. In einer anderen Rolle tut sich derzeit in der öffentlichen Debatte die Generalsekretärin und Hauptverantwortliche des SPD-Vorstandes für das Verfahren gegen Sarrazin, Andrea Nahles, hervor. Nicht durch intellektuell oder sprachlich fundierte Beiträge – das war ja noch nie ihre Stärke -, sondern dadurch, dass sie die Entscheidung energisch verteidigt und fordert, die Debatte um Sarrazin nun zu beenden. (Die Andrea Nahles, die früher einmal als Hoffnung der Parteilinken galt, sich dann aber erstaunlich schnell zur Agenda-2010-Befürworterin wandelte. Gegen diese Berufskarrieristin ist selbst Angela Merkel prinzipientreu.) Aber auch einige andere SPD-Funktionäre unterstützen die Entscheidung.

Aus den Ländern und Kreisen, und vor allem aus der Parteibasis jedoch, am stärksten von der Parteilinken und von den Jusos, kommt äußerst deutlicher Protest. Es gibt verschiedene Protestformen wie bspw. eine Onlinepetition. Die hessischen Jusos fordern den Rücktritt von Nahles. Andere gehen weiter. Der Gründer des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten, Sergey Lagodinsky, hat seinen Parteiaustritt erklärt, ebenso wie der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände Mehmet Tanriverdi. Allgemein werden sich Migranten oder Muslime künftig zwei mal überlegen, ob sie eine Partei wählen, die jemandem Unterschlupf gewährt, der sie so sehr und so tiefgründig verachtet. (Darüber hinaus sollte man aber auch klar machen, dass Sarrazin mit seinen Elitentheorien und seinem Sozialdarwinismus weniger gebildete Schichten, Arbeitslose und Arme ebenso sehr verachtet und er sie als von Geburt an minderwertig ansieht. Unter diesen befindet sich, ironischerweise, teilweise gerade auch die Wählerklientel, bei der die SPD-Spitze hofft, mit der Tolerierung von Rechtsradikalismus und Agitation gegen Ausländer oder Muslime billig-populistisch auf Wählerfang zu gehen.) Die Sarrazin-Entscheidung könnte so für die SPD ähnlich weichenstellend wie die zu den Hartz-Gesetzen und der Agenda 2010 werden – und sie ebenfalls viele Mitglieder wie auch Wählerstimmen kosten. Denn für diejenigen, die sich klassischen sozialdemokratischen Werten verpflichtet fühlen, die gegen jede Form von Rassismus eintreten, für Solidarität und Mitmenschlichkeit, und für die jeder Mensch gleich viel wert ist, kann sie schwerlich noch als politische Heimat dienen.

[Im Original erschienen beim Spiegelfechter]

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2 thoughts on “Sozialdarwinistische Partei Deutschlands?

  1. Das das wirklich auch nur ein Mensch gelesen hat und auch dass soviele damit noch hausieren gehen, kann einen in Zeiten der mutmaßlichen Aufklärung doch wirklich nur noch nachhaltig erschüttern. Angeborener Schwachsinn?? Wie alt ist dieser Mann eigentlich? Da muss man nicht lange rätseln, welche Rolle er in den 30ern gespielt hätte… Furchtbar. menschenverachtend. Ignorant.

  2. Der Biologismus Sarrazins ist nicht unabhängig von der allgemeinen Popularität biologistischer Argumente zu sehen. Ich denke, die Kritik muss insofern ausgeweitet werden auch auf die liberalen Aufgriffe soziobiologistischer Argumentationen. Deshalb verweise ich hier auf einen Artikel zur Kritik der Giordano Bruno Stiftung und ihrer Verleihung eines Preises an Peter Singer – http://www.3tes-jahrtausend.org/religionskritik/giordano_bruno_stiftung.html -..

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