Lieber Linke als gar nichts? – Das Landesprogramm der Linken in NRW

Ein Gastbeitrag von Matthias Bohlen vom sehr lesenswerten Blog Lowestfrequencys Blick nach draußen, auf dem man diesen Beitrag auch im Original lesen kann.

Das bevölkerungsreichste Bundesland NRW wählt am 9. Mai einen neuen Landtag. Problematisch sind aber nicht nur die prognostizierten Mehrheitsverhältnisse im neuen Landtag, sondern auch, und das selbst für politisch Interessierte und Versierte, die Wahl der Partei. Viele möchten Rüttgers lieber heute als morgen loswerden, ohnehin war sein Sieg anno 2005 eher der Tatsache zuzuschreiben, dass viele SPD-Stammwähler dieselbe für die miserable Bundespolitik abwatschen wollten. Doch während schwarz-gelb nach aktuellen Prognosen keine Mehrheit bekommen wird, sieht es auch für eine rot-grüne Neuauflage schlecht aus. Sofern die Linken in den Landtag einziehen, wovon gegenwärtig auszugehen ist (die Vorhersagen schwanken zwischen 5 und 7 %, ein Einzug gilt aber als sehr sicher), wäre keine der etablierten Koalitionen möglich. Doch selbst wenn sich viele enttäuschte SPD-Wähler mit dem Gedanken tragen, doch den Sozis ihre Stimme zu geben, ist die Enttäuschung und das Misstrauen groß. Die Linke gewinnt vor allem im SPD-Stammland NRW einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Stimmen aus dem Lager der enttäuschten SPDler. Grund genug, sich mit dem Programm auseinander zu setzen, besonders vor dem Hintergrund der lange ausgebreiteten Diskussionen um die die starke kommunistische Plattform in NRW um ihr Zugpferd Sarah Wagenknecht, gern auch zusammengefasst als „Spinner“, „Sektierer“, „Extremisten“ etc. pp.

Ganze 68 Seiten in gefühlter Reclam-Schriftgröße umfasst das Programm, und die meisten mittelmäßig Motivierten werden nach den ersten 2 Seiten aufgeben. Der Grund: Sehr viel Geschwafel, Geschwurbel, butterweiche Äußerungen und beliebig viele Abwandlungen bekannter Formeln, teilweise aus aktuellen Debatten, teilweise auch an klassenkämpferische Schriften erinnernd.

Die Kapitel des Programms im Einzelnen
(für die Ungeduldigen gibt’s hier das Fazit):

Umverteilen – Schutzschirm für Menschen

Es ist an der Zeit – linke Politik von und für Frauen

Sozialer und ökologischer Umbau

Alternativen von links – neue Umwelt-, Energie- und Verkehrspolitik

Öffentlich statt Privat – öffentliche Daseinsvorsorge stärken

Gesundheit ist keine Ware – für ein solidarisches Gesundheitswesen

Bildung ist keine Ware

Kultur für alle

Soziale und gleiche Rechte für alle – aktive Demokratie verwirklichen

Linke Politik für Seniorinnen und Senioren

NRW stellt sich quer: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen

Konsequent für Frieden und Entmilitarisierung

Was fällt auf? Genau: wenig, was für Landespolitik interessant ist. Gleich der erste Punkt „Umverteilen“ lässt vermuten, dass es doch eher um übergeordnete Positionen geht, die aber leider besser in der Bundespolitik aufgehoben sind. Allenfalls im Bundesrat könnten Initiativen unternommen werden, mit originärer Landespolitik haben aber Forderung nach Mindestlöhnen wenig zu tun. Nichtsdestotrotz gibt es einige Aspekte, welche auch landespolitische Relevanz haben.

Die bundesweit interessante Debatte um Beteiligungen des Staates an strauchelnden Unternehmen findet doch auch konkrete Fragen, die sich die Landesregierung stellen muss. Beispielsweise die Frage, welche Unternehmen unter welchen Bedingungen zu unterstützen seien. Hier natürlich die linke Forderung: Keine Beteiligung an den Schulden, keinerlei Mittel, ohne dass Mitbestimmung des Geldgebers gewährleistet ist. Eine Beteiligung des Landes am Unternehmen soll notwendige Voraussetzung sein. Ferner sollen die schwächsten Kommunen entschuldetet werden, eine Aufgabe, bei der das Land eine Mittlerrolle zwischen Bund und den Städten und Gemeinden einnimmt. Auch das Thema Arbeitslose, Arbeitsagenturen, Sanktionen der ARGE etc. werden mit bekannten Forderungen angesprochen, jedoch ist die direkte Landesverantwortung schlecht erkennbar. Auch die Forderung nach einer Reform des öffentlichen Dienstes birgt problematische Thesen. Wenngleich die Landesregierung über diverse Landesbeamte und Landesbedienstete zu verfügen hat, sind doch Forderungen nach dem Streikrecht für Beamte, zumal in genereller Forderung, sehr problematisch. Möchte man wirklich die Erlaubnis für Polizisten, komplett den Dienst zu verweigern? Was ist mit Feuerwehren? Was beim Straßenverkehrsamt nur unpraktisch und allenfalls nervig ist, wird bei der Streifenpolizei schon zum Problem. Die Privilegien, die Beamte genossen, waren ja erkauft mit dem besonderen Treueverhältnis zum Staat, welches wiederum einige Nachteile, wie etwa das Fehlen des Streikrechtes, nach sich zog. In dieser undifferenzierten Form kann diese Forderung jedenfalls nicht mein Wohlwollen finden.

Kritisch beäugt wird auch die häufig plakatierte Forderung nach einer „Entmachtung“ der Energieriesen EON und RWE. Was mit Verstaatlichung und Überführung in gelähmte Behörden gleichgesetzt wird, birgt in sich zunächst die Forderung nach einer Vergesellschaftung dieser Unternehmen als Schlüsselindustrie in monopolartiger Stellung. Dies ist nach der Landesverfassung, §27, zulässig. Auch der Zweck, die Sicherung der Energieversorgung, die allgemeinverträgliche Gestaltung der Preise sowie die Nutzung der Gewinne zu volkswirtschaftlich und ökologisch sinnvollem Ausbau alternativer Energienutzung statt Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, ist kaum als unsinnig zu bezeichnen. Was in den Niederlanden funktioniert, kann hier so weltfremd nicht sein. Leider sind die Forderungen diesbezüglich auch eher undifferenziert gehalten. Zum Thema Energie sollte noch die Rekommunalisierung insbesondere der Stadtwerke genannt sein, was mithilfe eines Landesfonds finanziert werden soll. Dieser Fonds soll die bestehenden Stadtwerke auch vor Privatisierungen schützen. (TOP)


Interessant auch das groß plakatierte Statement: Freche Frauen wählen die Linke. Eine gewagte These. Das Thema Frauen enthält erneut einige Forderungen, die eigentlich eher bundespolitische Wichtigkeit haben, wie etwa die Bemessung der Arbeitszeit für Gleichstellungsbeauftragte (mind. die Hälfte der regulären Wochenarbeitszeit) oder die Anwendung des Prinzips „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, der Ersatz von Minijobs durch reguläre Stellen etc. Wenn die Landesbehörden diese Richtlinien umsetzen würden, wäre es wohl zu begrüßen, dennoch sind die Themen doch eher für den Bund prädestiniert. Wie zu erwarten soll die Kinderbetreuung ausgebaut werden, um Frauen bessere berufliche Chancen einzuräumen, und es soll für Mädchen und Jungen Beratungsstellen zur Berufswahl geben. Dieser Punkt überraschte, nicht nur weil es eigentlich nicht um Bildung geht, ein eigener, umfangreicher Punkt im Programm, sondern, weil es explizit auch Jungen betreffen sollte. Ein lobenswerter Ansatz, auch jungen- bzw. männerspezifische Förderung und Beratung in den Fokus zu nehmen.

Ebenfalls ein wichtiger Punkt: Die Ausstattung der Frauenhäuser. Unter Rüttgers marginalisiert und mit einer Mittelkürzung von mehreren Zehnteln des Budgets überzogen, sollen die Mittel wieder aufgestockt werden, mindestens auf altes Niveau, teilweise sollen auch neue Angebote, die intensive Einzelbetreuung ermöglichen sollen, eingeführt werden. An dieser Stelle kann man nur bejahren. Eine Schande, dass diese Häuser überhaupt notwendig sind, aber eine noch größere, wollte man, wie man der Regierung Rüttgers vorhalten muss, das Problem unter den Tisch kehren.
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Zum Thema Sozialer und Ökologischer Umbau gibt es einige gute Vorschläge. Der beste davon ist wohl, mehr Betriebsprüfer und Steuerfahnder einzustellen. Ein andere sinnvolle Idee ist die Tariftreueverpflichtung per Gesetz – Problem an der Sache ist aber ein entgegengerichtetes Urteil des EuGH (Europäischer Gerichtshof). Meines Wissens gibt es aber auch Juristen, die Möglichkeiten sehen, die öffentliche Hand von der reinen Kostenorientierung zu lösen und auch andere Aspekte wie Tariftreue, ökologische Unternehmensführung etc. als Kriterium für öffentliche Aufträge zu berücksichtigen, so dass nicht unbedingt Schmutzfinken und Ausbeuter die öffentlichen Aufträge bekommen müssen. Leider finden sich auch hier haufenweise Phrasen wie die Forderung nach einer Steuerreform zugunsten der Armen und zulasten der Reichen (allerdings ohne Konkretisierung und unter Ausblendung der Tatsache, dass das Aufgabe des Bundestages ist), ebenso wie die Schließung der Steuerschlupflöcher, die durch mangelhafte Bundesgesetze entstehen. Ebenso muten Vorschläge wie die Beendigung der Steuersenkungsspirale der Kommunen (Stichwort Grundsteuer) mehr wie „Wünsch dir was“ denn ernsthaftem Debattenbeitrag an. Das Ziel ist lobenswert, auch die Gründe für diese Position sind ausreichend dargelegt, es findet sich jedoch nicht ein einziger Absatz, der sich mit konkreten Lösungsansätzen befasst.

Unter diesem Ordnungspunkt widmet sich das Programm auch eher kommunalen Aufgaben wie der Förderung schwacher Bezirke, die Prestigeprojekten vorzuziehen seien, oder der Ausgleich von Qualitätsverlusten im Wohnungsangebot. Leider bleibt die genaue Ausgestaltung auch hier wieder im Unklaren, zudem muss bedacht werden, dass unter letzterer Forderung auch ziemlich teure Projekte herauskommen könnten, ohne echten Mehrwert. Wenn man neben ein Wohngebiet eine Bodenentgiftungsanlage baut, dann kann man noch so viel Qualität erhöhen, da will einfach niemand wohnen – es stinkt einfach. Dafür Geld rauszuschmeißen, wäre schlichtweg gröbster Unsinn und eine Verschwendung von Steuermitteln. Aber, wie bereits angemerkt, müsste hier im Einzelfall vor Ort entschieden werden; warum dieser Vorschlag im Landesprogramm steht, erschließt sich einfach nicht. Erwähnenswert ist meines Erachtens nach noch die Forderung nach einem Vorkaufsrecht der Kommunen für neu ausgewiesenes Bauland. Damit würden Bodenspekulationen verhindert, aber die Gewinne teilweise abgeschöpft; zwar wäre diese Maßnahme weniger gut, als Bodenspekulationen zu verhindern, aber bis geeignete Maßnahmen dazu gefunden sind, wäre den Kommunen mit Gewinnen aus Bodenverkäufen zumindest finanzell geholfen, vor allem, da einige der bundesweit ärmsten Kommunen im Ruhrgebiet befindlich sind.

Insgesamt finden sich unter diesem Abschnitt noch einige vernünftige Vorschläge, die ich hier nicht mehr einzeln aufführen will. Stattdessen möchte ich noch einige Worte zum ökologischen Umbau verlieren. Ein Verbot von Düngemitteln mit Glyphosat und Neonocitinoiden (zu diesem Thema und warum das Zeug verboten gehört, verweise ich auf das Buch von Marie-Monique Robin über Monsanto, siehe Buchempfehlungen) ist überfällig, auch das Verbot von Patenten auf Lebewesen findet meine uneingeschränkte Zustimmung, ebenso wie ein Verbot von Gen-Futtermitteln, Freilandversuchen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Bis die Auswirkungen von gentechnisch veränderten Lebensmitteln auch nur ansatzweise geklärt sind und die Unschädlichkeit dann gegebenenfalls festgestellt ist (was ich in vielen Fällen stark bezweifle), wäre ich auch für ein generelles Verbot von GVOs in Lebensmitteln zu haben. Auch die Förderung der ökologischen Landwirtschaft halte ich für unterstützenswert, wenngleich spezifizierte Pläne auch hier fehlen. Wie üblich: Gute Ziele, wenig Ansätze. (TOP)


Beim Thema Energiepolitik kommt sicher eines der größten Streitthemen nochmals auf: Die Verstaatlichung von RWE und EON. Zu diesem Punkt habe ich bereits einige Worte verloren, ansonsten halte ich die Rekommunalisierung von Stadtwerken und die Vergesellschaftung von Stromnetzen einfach für geboten, damit auch kleinere Bewerber nicht an der Teilhabe am Wettbewerb gehindert werden können. Auch die Förderung von ressourcenschonender Bauweise mit Leuchtturmprojekten in öffentlicher Hand (Rathäuser mit Regenwasserspülung bei Toiletten etc.) ist mal wieder etwas, das man kaum ablehnen kann – und ausnahmsweise mal mit diversen konkreten Ausgestaltungsvorschlägen hinterlegt. Doch auch hier muss ich noch einmal meckern: Wenn man das Programm liest, drängt sich der Eindruck auf, die Schreiber des Programms hätten absolut keine Ahnung vom Thema. Das Wort „Atomtransport“ vermittelt zwar einen Eindruck des gemeinten Themas, aber darunter fiele strenggenommen auch der öffentliche Nahverkehr, sogar wenn ich mich morgens aus dem Bett quäle, transportiere ich meine Atome vom Bett ins Bad. Ein Verbot dessen wäre eher schwierig durchzusetzen, ich plädiere daher für eine vernünftige Formulierung, die zwar bei verständlichen Ausdrücken bleibt, aber noch halbwegs wissenschaftliche Termini berücksichtigt.
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Die Punkte Daseinsfürsorge und Gesundheit halte ich an dieser Stelle ebenso kurz, wie im Parteiprogramm. Cross-Border-Leasing wird verboten, privatisierte Betriebe werden zurückvergesellschaftet, vor allem Strom- und Gasnetze. Der Preisaufsicht ist ebenfalls öffentlich. Nichts überraschendes. Ebenso wenig, wie es nennenswertes zum Thema Gesundheit gibt. Flachere Hierarchie in kommunalen Krankenhäusern. Ganz nett.
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Kommen wir also zum wichtigsten Thema der Landespolitik, der Bildung. Auch hier erstmal ein wenig Dampf ablassen. Phrasen wie „Die Linke.NRW fordert: […] Die Abschaffung von Konkurrenz und Druck, einhergehend mit einer umfassenden Demokratisierung, denn nur so können ein solidarisches Miteinander und selbstbestimmtes Lernen ermöglicht werden.“ darf man sich auch getrost sparen. Mich überkommt ein Brechreiz, wenn ich solches Gelaber erstmal massenhaft aus dem Programm sortieren muss, um sinnvolle Vorschläge zu finden. Ein kürzeres Programm motiviert auch viel eher zum Durchlesen, wenn man sich mal auf die aktuell angebrachten Themen konzentriert.

Denn gerade bei der Bildung finden sich mehrere gute Ansätze. Die Erhöhung der Bildungsausgaben von 4,5 auf 7% des BIP hören sich zwar nur wie ein normal linker Vorschlag an, ist aber nicht, wie häufig in der Politik aus dem Bauch heraus geschätzt, sondern orientiert sich an den Bildungsausgaben von Schweden – und kein Mensch kann mir erzählen, dass Schweden so unfassbar reicher ist als Deutschland, dass sich dieses Land nicht mehr Bildungsausgaben leisten könnte, wenn es denn wollte. Auch die Forderung einer Klassenstärke von 15 Kindern ist lernpsychologisch sinnvoll, wenngleich sich Studien gern darum streiten, ob nun die besten Ergebnisse bei 12 oder 18 Schülern erreicht werden. Die dafür notwendigen Lehrerstellen wären auch bei ca. 70% mehr Geld für die Bildung insgesamt zumindest in Ansätzen zu schaffen, und selbst Klassen von 25 oder 20 Schülern wären ja schon ein deutlicher Fortschritt gegenüber den gegenwärtigen Zuständen. Bei einer Klassenstärke von 15 Kindern und Jugendlichen wäre auch eine Gemeinschaftsschule bis zur 10. Klasse nicht mehr so schwachsinnig, und auch die Rücknahme von G8 findet nicht nur bei mir Zustimmung. Leider gibt es auch hier unsinnige Vorschläge, wie die Abschaffung von Noten und Sitzenbleiben, im gegenwärtigen Regelschulmodell vollkommen illusorisch, und auch die Abschaffung der Förderung von Privatschulen ist vollkommener Humbug. Welchen Sinn macht es, einer beispielhaft herangezogenen katholischen Privatschule die Förderung von 94% der Kosten zu entziehen? Die Schule müsste zumachen und der Staat müsste 100 % bezahlen. Ergo sind nicht alle „Förderungen“ von Privatschulen sinnlos, sondern teilweise höchst nützlich für das Land, das sich 6 % der Kosten spart, die im Beispiel vom entsprechenden Bistum getragen werden.

Immerhin finden sich hier auch nicht alltäglich zu hörende Anregungen, wie das integrative Einbeziehen von Behinderten nach UN-Konvention und die geplante Abschaffung der Förderschulen (die beim gegenwärtigen Zustand der Schulen allerdings noch bei weitem nötig sind), oder die mehrsprachige Alphabetisierung, die bereits in einigen Modellversuchen Erfolge zeigt. Dafür ist es aber auch notwendig, die immer mehr zusammengestrichenen DaZ (Deutsch als Zweitsprache)- bzw. DaF (Deutsch als Fremdsprache)-Stunden wieder zu erhöhen und die Mittel dafür bereitzustellen. Ferner werden noch unzählige Kleinvorschläge gebracht, wie ökologisches Essen für Schulkinder, stets mit der Möglichkeit auf vegetarisches und veganes Essen (bei der gegenwärtigen Schulausstattung zwar ein schöner Traum, aber vollkommen unmöglich umzusetzen), einen Sitzplatz für jedes Schulkind im Bus (schon eher einfach herzustellen, wenngleich auch mit einigen Kosten verbunden) und die Einstellung des „bedarfsdeckenden Unterrichts“, was nichts anderes heißt, als Lehramtsanwärter im Studium ohne assistierenden Lehrer auf Schüler loszulassen.

An den Universitäten sollen natürlich die Studiengebühren abgeschafft werden (bitte schnell, bevor ich nichts mehr davon habe!), die Lehramtsanwärter sollen dauerhaft betreut werden (sehr sinnvoll, aber eben auch mit Mehraufwand für Schulen und Universitäten verbunden; dem müsste also Rechnung getragen werden, da die Betreuungspersonen von Lehramts-Studenten eh schon aus dem letzten Loch pfeifen), die staatlich geförderte Rüstungsforschung soll beendet werden (verständlich aus der pazifistischen Tradition), der NC (Numerus Clausus) soll fallen, ein Master-Platz für jeden Bachelor-Absolventen soll garantiert werden (uneingeschränkte Zustimmung, absolut notwendig!!!) und ein barrierefreier Zugang für behinderte Studenten soll an allen Hochschulen des Landes gewährleistet sein. So viele tolle Vorschläge auf einem Haufen, es war ein Genuss diesen Teil des Programms zu lesen. Doch auch hier gibt es einige Vorschläge, die nur mit Vorsicht zu genießen sind. Beispiel hierfür ist die angestrebte Viertelparität in den Uni-Senaten (d.h. je ein Viertel der Stimmmacht entfällt im Senat auf Professoren, Studenten, wissenschaftliche Mitarbeiter und nichtwissenschaftliche Mitarbeiter) – das Verfassungsgericht hat in den 70er Jahren entschieden, dass die Professoren mehr als die Hälfte der Stimmen halten müssen. Hier müsste also erstmal ein neues Urteil des BverfG angestrebt werden; eine Viertelparität wäre aber auch nicht unbedingt sinnvoll. Als Übergang wäre es als Versuch meines Erachtens sinnvoller, die Professoren mit der größten Macht auszustatten, aber nur soweit, dass sie nicht allein alle eigenen Vorschläge durchdrücken können. Mein Vorschlag wäre: 40 % für Professoren, je 20 % für die anderen Teile; das Verfassungsgericht müsste aber erstmal von bisheriger Rechtsprechung abweichen. Auch die Aussagen zur Kinderbetreuung sind lesenswert, nicht nur, um das gesteckte Ziel, Plätze für 30 % der Kinder bereit zu stellen, sondern auch, um Frauen bessere Berufschancen zu bieten; wichtig finde ich auch, den Wert der Arbeit von Erziehern neu in die Debatte zu bringen. Solange man mit der Haltung „Die tun ja nix, was ich nich auch könnte“, herangeht und diese Leute mit Löhnen knapp überm Minimum abspeist, zeigt es eine Geringschätzung. In vielen anderen Ländern sind Erzieher hoch angesehen und es handelt sich um eine akademische Ausbildung. Die Diskussion darüber ist überfällig. Problem: Es kostet wie üblich einen Haufen Geld, und solange nicht auch mehr Geld vom Bund kommt, ist das ein tolles Ziel, das niemals erreicht werden kann…

Beim Thema Ausbildung gilt wieder einmal: Tolle Vorschläge, aber kein Plan. Klar sollen Unternehmen, möglichst ausbilden. Aber nach welchen Kriterien wird bewertet, welche Unternehmen das können? Klar kann man eine Kontrollstelle bilden, die die Qualität von Ausbildung bewerten und überprüfen soll, aber was macht eine gute Ausbildung aus und wer bildet nach welchen Maßstäben die Prüfer aus? Welche Auswirkungen haben diese Prüfungen? Fragen über Fragen. Der nächste Punkt zum Thema betriebliche Ausbildung gehört mal wieder überhaupt nicht in die Landespolitik, erst der vierte Punkt interessiert überhaupt irgendjemanden, der am 9. Mai den Landtag wählen will, und selbst dort mangelt es an Begründung. (TOP)


Es tut fast weh, deswegen weiter zur Kultur, da kann man nichts falsch machen, außer vielleicht die Finanzierung ansprechen. Denn wie üblich krankt es an zu wenig Geld. Die Reservierung von 10 % aller Plätze bei öffentlich geförderten Veranstaltungen für Erwerbslose (4 €), Kinder und Jugendliche (kostenlos) ist eine schöne Idee, was aber, wenn noch Plätze leer blieben? Prädikat: guter Ansatz, aber noch nicht spruchreif. Selbstverwaltete Kulturzentren, vor allem mit Fokus auf antirassistische und interkulturelle Angebote, schön, JeKI (Jedem Kind ein Instrument) weiterführen, auch gut, wenngleich die Folgen für die Musikschulen bedacht werden müssen. Um Kinder aus Familien ohne Tradition in der musikalischen Ausbildung überhaupt an ein Instrument heran zu führen aber sicher ein gutes Mittel. Auch bei Sportförderung kann man nichts falsch machen, sozialpädagogische Fanbetreuung ist dann doch ein interessanterer Punkt, ob es kostenloser Schwimmunterricht sein muss, darüber lässt sich streiten. Es dreht sich aber hier eigentlich um mehr Geld von bekannten Programmen. Und das ist, wie üblich, zu weiten Teilen vom Bund abhängig. (TOP)


Halbwegs interessant sind noch die geplanten Initiativen zum Thema Soziale Rechte. Das kommunale Wahlrecht sollen auch Nicht-Deutsche genießen, die medizinische Grundversorgung soll für jeden zugänglich sein (also auch für „Illegale“), das Thema Intersexualität soll einerseits in Schulen angesprochen werden, andererseits soll auch ein standesrechtlicher Stand dieser zwischengeschlechtlichen Menschen eingerichtet werden. Die Zeiten von geschlechtsdefinierenden Operationen (Entfernung von Penis, Gebärmutter etc. zur Festlegung eines Kindes auf ein Geschlecht) soll beendet werden. Zwar ein Thema, das nur relativ wenige Leute direkt betrifft, aber deshalb nicht weniger wichtig. Schön, dass auch das auf die Agenda gesetzt wird.

Kritisch sehe ich aber auch hier Vorschläge, die haftvermeidenden Maßnahmen auszubauen und die Zahl der Haftplätze zwingend nicht zu erhöhen. Wenn eine Haftvermeidung aus einem Sicherheitsinteresse nicht möglich ist und die Haftbedingungen aber verbessert werden sollen (dringend geboten), dann halte ich eine Erhöhung der Haftplätze zur Reduktion von Überbelegung für angezeigt. Also auch hier ein bisschen überidealistisch mit heißer Nadel gestrickt. Die Auflösung des Verfassungsschutzes halte ich sogar für absolut fatal. Zwar gibt es dort sicher auch Missbrauch der Macht, aber das gänzliche Fehlen eines Inlandsgeheimdienstes würde mir persönlich nicht so recht schmecken. Auch wenn man vielleicht ein paar Leute bei der NPD sparen könnte und den Laden endlich zumachen…
(TOP)


Zu den weiteren Punkten Senioren, Anti-Faschismus und Frieden/Entmilitarisierung spare ich mir nun auch die Ausführungen. Die Positionen sind bei 2 Minuten Nachdenken klar und passen ins Bild. Schöne Pläne, zu denen aber ohne entsprechende Bundesmittel einfach das Geld fehlt. (TOP)


Was bleibt also als Fazit? Die Landespolitik hat wenig zu sagen und ebenso sieht’s im Programm aus. Mindestens Drei Viertel von dem Geschwafel hätte man sich getrost sparen können, weil es entweder nur nette Vorschläge ohne irgendeinen konkreten Plan sind oder weil es einfach nicht in die Verantwortung der Landespolitik fällt. Trotzdem gibt es, wenn man diesen Teil streicht, einige gute Ansätze, die ich persönlich unterstützen kann. Wo die SPD eine Menge Vertrauen verspielt hat und die Grünen sich nicht gegen Schwarz-Grün bekannt haben, bieten die Linken eine Alternative. Freilich wird die Linke nicht mehr als ein Patt der klassischen Koalitionen bewirken können. Wenn man jedoch ur-linken Zielen den Vorzug geben will, ist eine Stimme für die Linken keine verlorene Stimme. Warum die Studiengebühren nur schrittweise abschaffen? Die Einführung passierte doch auch von 0 auf 500. Warum also, bei solch kruder Logik, SPD wählen und nicht Linke? Beispiel: Zumindest beim Bildungsthema halte ich viele Ideen für überdenkenswert, mehr noch, ich meine, man muss sich inhaltlich damit befassen, wenn man eine sachliche Debatte führen will. Die Linken könnte in NRW mitregieren, wenn die Bedingungen stimmen; ob sie es tun würden, ist die andere Sache. Die Linke wird nicht mitregieren, dafür hat sich die SPD zu sehr verlaufen in einem plumpen Populismus der Bundes-SPD gegen die Bundes-Linke (ursprünglich ja noch mit Oskar Lafontaine), gegen das bloße Nachdenken über neue Bündnisse, ohne die man nicht mehr auskommen wird. Doch die Spitzen weigern sich noch, diese Wahrheit anzuerkennen und deshalb wird die Linke für regierungsunfähig erklärt, wo eigentlich die SPD mit sich selbst beschäftigt sein sollte. Was das „bürgerliche Lager“ damit geschafft hat: Die (beiden) roten Parteien sind quasi aus dem Rennen und an die Grünen wanzt man sich an. Leichtes Spiel, in diesem Fall, für Rüttgers, der so oder so weiterregieren wird, wenn nicht Rot-Rot-Grün startet, und davon ist nicht auszugehen…

Bei vielen anderen Themen, nun ja, da hat die Landespolitik nicht viel zu melden. Da kann man sich bekannte bundespolitische Thesen ohne großartigen hintergründigen Mehrwert durchlesen.

Natürlich sind diverse Vorschläge der Linken blanker Unsinn. Aber das ist kein differenzierendes Kriterium. Ich kann keine deutliche Wahlempfehlung aussprechen für diese Linke in NRW. Ich kann auch nicht empfehlen, dieses Programm lesen zu wollen, wenn man nicht sehr viel Zeit hat und leidensfähig ist. Vielleicht lese ich auch noch andere Programme. Aber wahrscheinlich sind die genau so schlimm…

Siehe auch: Der Programmentwurf der Linken – eine kritische Betrachtung

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Der Programmentwurf der Linken – eine kritische Betrachtung

Am Samstag hat die Partei Die Linke den  Entwurf für ihr erstes Grundsatzprogramm öffentlich vorgestellt (Stefan Sasse hat bereits einige Punkte betrachtet). Ein Grundsatzprogramm ist für eine Partei sicherlich notwendig und es ist zu begrüßen, dass die Sache nun einmal angegangen wird. Doch war das Echo auf den Programmentwurf in den Medien eher negativ: die „Hardliner“ in der Partei hätten sich offensichtlich durchgesetzt. Ist das so? Im Folgenden soll das Programm (v.a. mit Hinsicht auf problematische Aspekte) etwas genauer analysiert werden.

Präambel (S. 3-4)

In der Präambel versucht die Linke zu erklären, für und gegen welche politischen Ziele und Werte sie eintritt. Insgesamt gefällt mir persönlich dieser Teil recht gut. Eine wichtige Frage wird jedoch eher widersprüchlich beantwortet: Wird Kapitalismus allgemein negativ bewertet oder eine Form des Kapitalismus, die man als „Neoliberalismus“ und „Finanzmarktkapitalismus“ beschreiben kann. Etwa hier:

Wir kämpfen für einen Systemwechsel, weil der Kapitalismus, der auf Ungleichheit, Ausbeutung, Expansion und Konkurrenz beruht, mit diesen Zielen unvereinbar ist.

Ist der Kapitalismus an sich oder eine Form des Kapitalismus gemeint? Diese Unklarheit zieht sich durch das ganze Programm. Die meisten genannten Kritikpunkte sind Kritikpunkte an der neoliberalen Ausgestaltung des Kapitalismus, doch dazwischen gibt es auch Sätze wie

Wir kämpfen für einen Richtungswechsel der Politik, der den Weg zu einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft öffnet, die den Kapitalismus überwindet.

Diese widersprüchlichen Formulierungen sind sicher Ausdruck einer Partei, in der es ziemlich divergierende Positionen über diese Frage gibt. Auch bei den Vorschlägen der Linken ist dieser Widerspruch enthalten. Einerseits werden etwa kleinere und mittlere Unternehmen durchaus auch positiv bewertet und man will auch einen Privatsektor erhalten, andererseits spricht man de facto von Planung der Wirtschaft:

DIE LINKE kämpft für eine andere, demokratische Wirtschaftsordnung, die die Marktsteuerung von Produktion und Verteilung der demokratischen, sozialen und ökologischen Rahmensetzung und Kontrolle unterordnet. Sie muss dazu auf öffentlichem und demokratisch kontrolliertem Eigentum in der Daseinsvorsorge, an der gesellschaftlichen Infrastruktur, in der Energiewirtschaft und im Finanzsektor sowie der demokratischen Vergesellschaftung weiterer strukturbestimmender Bereiche auf der Grundlage von staatlichem, kommunalem, genossenschaftlichem oder Belegschaftseigentum beruhen und den privatwirtschaftlichen Sektor strikter Wettbewerbskontrolle unterwerfen.

Staatliche Rahmensetzung und Kontrolle, verschiedene Eigentumsformen, Ausweitung des öffentlichen Sektors, Wettbewerbskontrolle, alles sinnvoll.  Es wird aber nicht ganz klar, wieweit man sich eine Steuerung des wirtschaftlichen Geschehens über einen Markt, wieweit über einen Plan vorstellt. Ein staatliches Eingreifen in den privatwirtschaftlichen Sektor mit Planvorgaben etwa zu Preisen und Mengen, Produktion und Verteilung, würde einen extrem hohen bürokratischen Aufwand verlangen und wäre äußerst ineffizient.

I. Woher wir kommen, wer wir sind (S. 5-7)

DIE LINKE knüpft an linksdemokratische Positionen und Traditionen aus der sozialistischen, sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung und aus anderen emanzipatorischen Bewegungen an.

Gegensätzliche Haltungen zur Revolution in Deutschland und später auch zur Sowjetunion vertieften die Spaltung der Arbeiterbewegung. Die USPD, die KPD und linkssozialistische Bewegungen gehören heute ebenso zum historischen Erbe der LINKEN wie die Geschichte der Sozialdemokratie.

Es ist durchaus problematisch, zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzepte als Vorbild zu sehen: die demokratisch-sozialistische/ sozialdemokratische, reformorientierte und die kommunistische, marxistisch-leninistische, revolutionäre Richtung. Auch wenn die Partei historisch durchaus Erbe beider Bewegungen ist: die Grundkonzepte und -ansichten waren in der Vergangenheit, und sind auch heute grundverschieden.  Ich hätte mir hier von der Partei eine deutliche Distanzierung vom antidemokatischen Leninismus erwartet (auch wenn dies der Kommunistischen Plattform der Partei sicher nicht gefallen hätte) und nicht nur vom Stalinismus:

Ohne Demokratie kein Sozialismus. Deshalb gehörte zum Gründungskonsens der PDS – einer der Vorläuferparteien der LINKEN – der unwiderrufliche Bruch mit dem Stalinismus.

Ja, ohne Demokratie kein Sozialismus, doch das schließt auch eine Diktatur des Proletariats, schließt die sich “kommunistisch” nennende Tadition, schließt schließlich die Entwicklungen des real existierenden Sozialismus aus.

II. Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation (S. 7-10)

Hier werden größtenteils nicht negative Seiten des Kapitalismus an sich, sondern des Neoliberalismus und des Finanzmarktkapitalismus beschrieben. Diese sind dabei jedoch im allergrößten Umfang zutreffend beschrieben. Auch die Wortwahl und Stil finde ich hier insgesamt sehr angemessen.

III. Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert (S. 11-13)

In einer solidarischen Wirtschaftsordnung, wie DIE LINKE sie anstrebt, haben verschiedene Eigentumsformen Platz: staatliche und kommunale, gesellschaftliche und private, genossenschaftliche und andere Formen des Eigentums. Die Belegschaften, die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Repräsentanten der Gemeinwohlinteressen sollen eine starke demokratische Mitsprache
haben und an den wirtschaftlichen Entscheidungen direkt partizipieren.

Dies halte ich für einen sinnvoll zusammengefassten Ansatz für ein alternatives Wirtschaftskonzept.

Die Daseinsvorsorge, die gesellschaftliche Infrastruktur, die Finanzinstitutionen und die Energiewirtschaft gehören in öffentliche Hand und müssen demokratisch kontrolliert werden. Sie dürfen nicht nach dem Profitkalkül privater Unternehmen geführt werden.

Strukturbestimmende Großbetriebe der Wirtschaft wollen wir in demokratische gesellschaftliche Eigentumsformen überführen und kapitalistisches Eigentum überwinden.

Eine Kommunalisierung/ Verstaatlichung von Großkonzernen ist durchaus in den Fällen sinnvoll und notwendig, wenn es sich um Aufgaben der öffentlichen Infrastruktur und der Wohlfahrt handelt (bspw. Krankenhäuser, Wasse- und Energieversorgung u.ä.) oder wenn öffentliche Anbieter effizienter (im Sinne der allgemeinen Wohlfahrt und nicht der Gewinne für wenige Privatpersonen) handeln könnten (Bsp. Verkehr, Energie). In anderen Bereichen aber, ob bei kleineren und mittleren Unternehmen oder auch bei größeren, die nicht in diesen Bereich fallen,  ist eine Steuerung über den Markt viel effizienter und auch gesamtgesellschaftlich von größerem Nutzen.

Die Beschäftigten müssen realen Einfluss auf die betrieblichen Entscheidungen bekommen. Wir setzen uns dafür ein, dass Belegschaften ohne Lohnverzicht an dem von ihnen erarbeiteten Betriebsvermögen beteiligt werden.

Hier fehlt eine genaue Festsetzung. Beschäftigte können an einem Unternehmen über Erfolgs- oder über Kapitalbeteiligungen beteiligt werden. Beides ist aus vielen Gründen sehr sinnvoll. Wenn dies aber ohne Lohnverzicht geschehen soll, würde dies aber auf eine Enteignung hinauslaufen. Dazu gebe es bessere Alternativen.

Regionale und sektorale Wirtschaftspolitik muss auf der Grundlage einer demokratischen Rahmenplanung und einer strategisch gestaltenden Strukturpolitik steuernden Einfluss auf die Investitionsentscheidungen der Unternehmen nehmen.

Wie soll dies aussehen? Durch allgemeine Investitionsanreize etwa? Das wäre durchaus zu befürworten. Oder auch direkte Eingriffe in Unternehmensentscheidungen? Dies wäre dann abzulehnen.

IV. Linke Reformprojekte – Schritte gesellschaftlicher Umgestaltung (S. 14-23)

Hier werden relativ konkrete Konzepte der Linken für die Bereiche Finanzen/ Wirtschaft/ Arbeit/ Soziales, Demokratie/ Gesellschaftspolitik (inklusive Bereichen der Innenpolitik), Ökologie sowie Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik erläutert.

1 . Wie wollen wir leben? Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit

Gerade in diesem Teil finden sich viele Konzepte, die extrem stark in die Wirtschaft eingreifen würden, obwohl die Möglichkeiten, die angestrebten Ziele durch Anreizsysteme zu erreichen, oft viel sinnvoller wären.

Leiharbeit muss strikt begrenzt und wie die Arbeit der regulär Beschäftigten zuzüglich einer Flexibilitätsvergütung bezahlt werden. Der Kündigungsschutz muss verbessert und Befristungen müssen gesetzlich eng eingeschränkt werden.

Diese Flexibilitätsvergütung ist durchaus sinnvoll und wird auch in anderen Ländern bezahlt. Wo wir aber beim Stichwort wären: Flexibilität. Flexibilität und Sicherheit müssen durchaus kein Gegensatz sein – jedoch haben gerade international Länder (Dänemark, Niederlande, Schweden), die Sicherheit v.a. durch hohe Einkommensersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit (und zusätzlich umfangreiche Qualifizierungsmaßnahmen und aktive Arbeitsmarktpolitik) gewährleisten, deren Arbeitsmarkt aber flexibel ist („Flexicurity-Modell) in fast allen Bereichen besser ab als Deutschland: sie haben weniger Arbeislosigkeit, v.a. weniger Langzeitarbeitslose, höhere wirtschaftliche Dnamik – und das Sicherheitempfinden, die Sozialleistungen und die gesellschaftliche Solidaität sind höher als in Deutschland. Ein unflexibler Arbeitsmarkt führt zwar dazu, dass die bestehenden Beschäftigungsverhältnisse sicherer sind, er führt aber auch dazu, dass man, einmal in Arbeislosigkeit, nur schwer einen neuen Job findet.

Die Managergehälter müssen auf das 20fache der untersten Lohngruppen im Unternehmen begrenzt, die Vergütung mit Aktienoptionen sowie übermäßige Abfindungen müssen verboten werden.

Für die Vermeidung eines Auseinanderklaffens der Einkommensschere wäre eine Forttführung der Steuerprogression über die bisherige Spitzensteuerschwelle sicher sinnvoller (auch fiskalisch gesehen) als eine gesetzliche Regelung. Das Verbot von Vegütungen mit Aktienoptionen an sich ist kaum sinnvoll – gerade wenn Manager am eigenen Unternehmen beteiligt sind, können sie einen höheren Anreiz haben, die langfristige Unternehmensperformance auch zu ihrem eigenen zentralen Interesse bei ihren eigenen Entscheidungen zu machen (wenn dies gesetzlich richtig ausgestaltet ist).

Die Arbeitszeiten müssen gemäß den Bedürfnissen der Menschen bei vollem Lohnausgleich verkürzt werden.

Eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung wurde in Frankreich durchgeführt (35-Stunden-Woche) und hat dort nicht zu weniger Arbeitslosigkeit, sondern eher zu mehr Problemen und einer größeren Belastung der Haushalte (durch Zuschüsse des Staates) geführt. Mehr Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung klingt zwar gut, würde aber auch voraussetzen, dass die Unternehmen mehr Mitarbeiter einsetzen. In der Praxis läuft dies aber oft darauf hinaus, dass sich entweder die Arbeitsintensivität erhöht, dass kleine Unternehen keine neuen Angestellten einstellen könne (einfach aufgrund der kleinen Angestelltenzahl) oder dass Unternehmen durch hohe Transaktionskosten (v.a. Kündigungsschutz) an Neueinstellungen gehindert werden. Dies muss man anerkennen.

Eine aktive staatliche Industrie- und Dienstleistungspolitik ist erforderlich, um De-Industrialisierung zu verhindern und Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe, im Handel und in anderen Dienstleistungsbereichen zu sichern.

Eine Politik, die einen Strukturwandel hin zu den Bereichen, in denen man produktiver tätig sein kann (höhere komparative Kostenvorteile hat), verhindert, führt zu weniger Produktivität, weniger Wirtschaftswachstum, mehr Arbeitslosigkeit. Wenn man De-Industrialisierung verhindern will, heißt das, den Wandel zum Dienstleistungssektor systematisch staatlich zu bremsen. Dies wäre wohl nur mit dem Interessen an Wählerstimmen in diesem Bereich zu erklären, aber wirtschaftspolitisch völlig falsch.

Wir fordern ein Verbot von Massenentlassungen in Unternehmen, die nicht insolvenzgefährdet sind. Das wird in großem Umfang sozial abgesicherte Übergänge von Beschäftigten aus schrumpfenden in zukunftsfähige Branchen einschließen.

Gerade das ja nicht. Wenn Entlassungen nicht möglich sind, wird ja gerade ein Strukturwandel in Zukunfsbranchen verhindert.

Private Banken müssen deshalb verstaatlicht, demokratischer Kontrolle unterworfen und auf das Gemeinwohl verpflichtet werden.

Dass Banken sich mehr auf ihre Kernaufgaben (Kreditvergabe) konzentrieren und weniger mit Spekulationsgeschäften tätig sein sollten, ist sicher sinnvoll. Aber deshalb gleich eine Abschaffung aller Privatbanken? Ich hab mich noch nicht so detailliert mit dem Modell, das Obama vorgeschlagen hat, beschäftigt, aber in seinen Ansätzen erscheint es doch recht begrüßenswert und geeigneter.

Wir fordern die Wiedereinführung der Vermögenssteuer in Form einer Millionärsteuer in Höhe von fünf Prozent jährlich auf private Millionenvermögen.

Hier muss man zwischen den Formen des Vermögens unterscheiden, und 5% erscheinen sehr hoch.

Wir fordern die kräftige Anhebung des Spitzensteuersatzes der Einkommenssteuer.

Gute Forderung, wenn der Spitzensteuersatz dann ab einer höheren Grenze als der derzeitigen gilt (wenn also die Steuerprogression über die derzeitige Schwelle fortgeführt wird, Bsp. Steuersystem Skandinaviens).

2. Wie wollen wir entscheiden? Demokratisierung der Gesellschaft

Hier sind die meisten Punkte unproblematischer (aber auch meist weniger konkret).

Darüber hinaus tritt DIE LINKE für eine Strukturreform der Ausbildungsförderung hin zu einer öffentlich finanzierten Erwachsenenbildungsförderung ein, die allen in Aus- oder Weiterbildung befindlichen Volljährigen eine elternunabhängige Förderung bei jeweils individuellem Bedarf sichert, ohne neue soziale Benachteiligungen entstehen zu lassen.

Ich bin gegen elternunabhängige Förderungen. Will man es populistisch ausdrücken, könnte man es so sagen: warum soll das Kind eines Milliardäres staatliche Zuschüsse erhalten? Ausbildungsförderung soll ja gerade Förderung für die Benachteiligten, abhängig vom tatsächlichen sozialen Bedarf sein. Wenn man einerseits etwa gegen ein gleiches Kindergeld für alle eintritt, sondern dafür, dass dieses abhängig vom Einkommen gezahlt wird, ist diese Forderung inkonsequent. Auch wenn sie von vielen linken Gruppen verreten wird (mir persönlich erscheinen da Begründung wie „stärkere Emanzipation“ eher vorgeschoben).

3. Wie erhalten wir Natur und Gesellschaft? Sozial-ökologischer Umbau

Die Punkte würde ich fast alle so unterschreiben.

4. Wie schaffen wir Frieden? Abrüstung, kollektive Sicherheit und gemeinsame Entwicklung

Gut finde ich, dass die Linke hier klar für eine grundsätzlich reformierte Europäische Union eintritt. Die Journaille wird ihre Märchen von der angeblichen „EU-Feindschaft“ zwar weitererzählen – aber die wirkliche Programmsetzung ist hier kargemacht.

Für DIE LINKE ist Krieg kein Mittel der Politik. Wir fordern die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands. Wir fordern ein sofortiges Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr. Dazu gehören auch deutsche Beteiligungen an UN-mandatierten Militäreinsätzen nach Kapitel VII der UN-Charta.

Die ist nun ein Punkt, wo ich grundsätzliche Differenzen zur Linken habe. Ich halte unter bestimmten, durchaus sehr begrenzten, Umständen friedenserhaltende Maßnahmen für gerechtfertigt – und auch prinzipiell, als ultima ratio Kriege im Sinne der UN-Charta. Gerade die UNO sollte in dieser Hinsicht gestärkt werden.

V. Gemeinsam für einen Politikwechsel und eine bessere Gesellschaft (S. 23-25)

Die Zuspitzung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme verstehen wir vor allem als Ergebnisse neoliberal geprägter Antworten auf die neuen Herausforderungen unter dem Einfluss von Kapitalinteressen sowie als Ausdruck von Krisenprozessen und Widersprüchen, die die kapitalistische Ökonomie hervorbringt.

Na was denn jetzt? Probleme des Neoliberalismus oder Probleme der Grundwidersprüche des Kapitalismus? Das sind zwei verschiedene Deutungsmuster. Aber wie gesagt, die Frage wird insgesamt nicht einheitlich beantwortet.

DIE LINKE strebt nur dann eine Regierungsbeteiligung an, wenn wir hierdurch eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen erreichen können. Sie wird sich an keiner Regierung beteiligen, die Privatisierungen vornimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt. Darüber hinaus wird sich DIE LINKE auf Bundesebene nicht an einer Regierung beteiligen, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt. Notwendige Bedingungen sind weiterhin die Durchsetzung des gesetzlichen Mindestlohns und der Kampf gegen Lohndumping und untertarifliche Bezahlung.

Solch eine äußerst rigide Festlegung ist für ein Grundsatzprogramm höchst problematisch. Man wird in einer Regierung nie sein ganzes Programm durchsetzen können. Natürlich ist es gut, wenn die Partei zu ihren Grundprinzipien steht. Aber nehmen wir mal ein Beispiel: ist denn z.B. Arbeitsplatzabbau wirklich immer, ausnahmslos, negativ? Was ist, wenn man etwa bei öffentlichen Stellen mit dem Geld Sinnvolleres anfangen kann, vielleicht auch neue, vielleicht sogar mehr Arbeitsplätze schaffen? Oder: Warum spricht man im Programm zuerst von einer Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes, jetzt auf einmal von einem gesetzlichen Mindestlohn, gar als unabdingbare Bedingung für Regierungsbeteiligungen? Gerade dieser Abschnitt sollte dringend überdacht werden in der Hinsicht, den jeweiligen Verbänden in den Ländern mehr Entscheidungsspielräume für jeweilie Koalitionen zu lassen, und auch in der Bundespolitik Koalitionen realitischer zu machen, ohne den Kern der Überzeugungen aufgeben zu müssen. Und dies wäre, denke ich, durchaus möglich. Die Partei muss zeigen, ob sie dies will.

Fazit der Analyse

Die im Programmentwurf vorzufindenden Diagnosen der derzeitigen Probleme sind durchdacht, fundiert und gut dargestellt. Auch der allgemeine Rahmen der Gegenkonzepte erscheint sinnvoll. Oft hat die Linke in den angesprochenen Punkten die richtigen Ziele im Auge, aber nicht unbedingt immer die richtigen Mittel. V.a. Im Bereich der Wirtschaftspolitik würden einige Punkte nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit, sondern nur zu einer sinkenden Wirtschaftskraft führen. Weniger Dirigismus, mehr Anreizsysteme, weniger Planwirtschaft, mehr Keynes wäre hier zu wünschen gewesen. Gerade die Verstaatlichungspläne sind geradezu abenteuerlich. In den anderen Bereichen dürften die meisten Konzepte weniger strittig sein – bis auf die Außenpolitik, wo die Linke durch ihre vollständige Ablehnung des Kapitel VII der UN-Charta ziemlich alleine steht (aber ich habe hier durchaus Respekt, dass die Linke bei diesem Punkt bei ihren Überzeugungen, auch wenn ich diese nicht teile, bleibt).

Für einen Anhänger rot-rot-grüner Koalitionen stellt der Programmentwurf einige Enttäuschungen bereit. Die Bedingungen für Regierungsbeteiligungen sind nicht nur unrealistisch, sondern auch inhaltlich nicht in allen Punkten nachzuvollziehen. Und für diejenigen, die sich ganz klar in der demokratisch-sozialistischen und sozialdemokratischen Tradition sehen, ist die fehlende Abgrenzung von, ja gar die Bezugnahme auf leninistische Strömungen und die real-sozialisitsche Praxis nur schwer verdaulich.

Es wäre insgesamt sehr wünschenswert, dass sich die “gemäßigteren”, reformorientierten Teile der Partei in der weiteren Diskussion um das Programm durchsetzen werden.  Bliebe die Linke vollständig bei diesem, dürfte es ihr schwer fallen, viele neue Wähler anzusprechen – und sie würde wohl auch viele bisherige Unterstützer und Anhänger verlieren.

NACHTRAG:

Auch die NachDenkSeiten beschäftigen sich mit dem Programmentwurf der Linken. Dabei meinen auch sie, dass in diesem zu viele aktuelle Probleme allgemein der Kapitalverwertungslogik zugeschrieben werden und wichtige andere Differenzierungen, etwa Unterschiede zwischen verschiedenen Kapitalismusformen, vernachlässigt werden. Viele Gegenvorschläge könnten nur dann verwirklicht werden, wenn der Kapitalismus abgeschafft ist. Es bestehe “die Gefahr, dass diese grundsätzliche Alternative nicht mit den obwaltenden Gegebenheiten in ihren Widersprüchlichkeiten vermittelt werden kann”. Das Programm könnte dann in der Realpolitik in den Hintergrund geraten. Im Programm fehlten außerdem Gegenentwürfe zum derzeitigen Mainstream der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, zum Steuer- und Bildungssystem, zur Medienordnung und zur Stärkung der Gewerkschaften.

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Ist die Linke verfassungsfeindlich?

Das Bundesverfassungsgericht beschrieb 1952 die freiheitliche demokratische Grundordnung  folgendermaßen:

„Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“

Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern ist der Schutz dieser freiheitlichen demokratischen Grundordnung, daneben der Schutz des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (Und auch Vertreter der Extremismustheorie und ihr Nahestehende behaupten ja gerne, dass bei ihnen Extremismus lediglich eine Einstellung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bedeute.) Nun sehen das aber leider manche der dort Arbeitenden offensichtlich als nicht ausreichend an:

„Wer die Linken als naive Spinner sieht, unterschätzt sie. Denn das, was sie sagen und wollen, ist mit den Werten des Grundgesetzes nicht vereinbar“,

so der der stellvertretende Leiter des Landesverfassungsschutzamtes Nordrhein-Westfalen, Burkhard Freier im Focus. Nein, nicht nur naive Spinner sind bei der Linken – “das ist ja schon mal klar!” oder wie – es gibt auch Hinweise für den Verdacht auf linksextremistische Bestrebungen, und gar solche, dass die Linken die freiheitliche demokratische Grundordnung durch eine andere Ordnung ersetzen wollten. Harter Tobak, in der Tat. Ist die Linke etwa für Gewalt, gegen die Menschenrechte? Für eine Willkürherrschaft, gegen den Rechtsstaat? Gegen Freiheit, Gleichheit oder Demokratie? Was meint Freier?

Dazu gehöre die Forderung nach Verstaatlichung von Schlüsselindustrien und die ablehnende Haltung zu Privateigentum. Verstaatlichen ohne Entschädigen sei grundgesetzwidrig.

Eine, sagen wir mal, mindestens eigenwillige Rechtsauffassung. Das BVerfG spricht zwar nirgendwo explizit von Privateigentumsrechten, doch schauen wir einfach mal ins Grundgesetz. Das Recht auf Eigentum als Grundrecht ist dort in Artikel 14 folgendermaßen spezifiziert:

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Und wie steht nun die Linke in Nordrhein-Westfalen zu dem Ganzen?

Zu (1): Die Linke spricht sich offensichtlich nicht gegen das Eigentum im Allgemeinen aus, sondern nur gegen das an bestimmten Produktionsmitteln, nämlich den wichtigsten Schlüsselindustrien. Eine Schranke, die allgemein durch Gesetze festgelegt werden kann.

Zu (2): Hier kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, dass die Linke die Bestimmung des Grundgesetzes ernster nimmt, als es derzeit alle anderen Parteien tun.

Zu (3): Was sagt die Linke hier genau? In ihren “Positionen zur Landespolitik” schreibt sie (S. 8f.):

Wir streben die Kontrolle von Schlüsselbereichen der Wirtschaft durch die öffentliche Hand an. „Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden. Zusammenschlüsse, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, sind zu verbieten“ (Artikel 27 der NRW-Landesverfassung). Wir lehnen die Privatisierungspolitik von Bund, Land und Kommunen ab und fordern die Rückführung des bereits Privatisierten in öffentliches Eigentum. Das Eigentum der Kommunen und des Landes an Wohnungen sind zu erhalten, Wasser-und Stadtwerke sind zu rekommunalisieren und die wirtschaftslenkende Rolle der öffentlichen Hand ist wieder auszubauen.

Im Bereich der Schlüsselindustrien gibt es in der Tat viele Möglichkeiten der Argumentation, dass diese dem Wohle der Allgemeinheit dienen würde, sowohl in sozialer (öffentliche Daseinsfürsorge, gemeinwohlorientierte Nutzung, Versorgung der Bevölkerung, Sozialstaatsgebot) wie in wirtschaftlicher (Auflösung von privaten Monopolen, weniger Ressourcenverschwendung, Vorteile dadurch, dass Gewinne reinvestiert werden oder der Gesellschaft zu Gute kommen, statt in private Geldbeutel oder Spekulationen zu fließen) Hinsicht. Natürlich kann man solche Argumentationen ablehnen, etwa die Priorität bei der wirtschaftlicher Freiheit vor egalitären Prinzipien sehen, auf Kostensenkungen durch den Wettbewerb von privaten Anbietern, Effektivitätssteigerungen, stärkere Flexibilität und technische Erneuerungsfähigkeit hinweisen. Dies sind aber politische und ökonomische Erwägungen und Debatten, keine rechtlichen. Zudem waren politische Meinungen wie die, dass Wasser- und Stadtwerke in öffentlicher Hand sein sollten und der Staat eine lenkende Rolle in der Wirtschaft haben soll, mindestens bis zur neoliberalen Wende 1982 sozusagen Mainstream in der deutschen Politik. Also wären etwa auch Helmut Schmidt, Heiner Geißler oder gar Helmut Kohl (denn ich glaube, selbst er wäre dafür, dass der Staat die Wasserversorgung übernimmt) gefährliche Linksextremisten.

Wie sieht es mit der Entschädigung aus? In der Tat, diese wird hier nicht angesprochen. Aber: die Überführung in öffentliches/ Gemeineigentum, mit der zweifelsohne Enteignungen einhergehen, darf ja laut den Buchstaben des Grundgesetzes “nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt”. Selbst wenn man der Linken unterstellen wollte, sie wolle enteignen, ohne zu entschädigen, dürfte sie dies gar nicht. Und dass sie dies, also gegen die Verfassung verstoßen, wolle, soll Freier doch mal zeigen. Dies wäre für die Linke ja nicht nur politisch ein Harakiri-Unternehmen, sondern schlicht illegal. Und egal, als wie “naive Spinner” manche sie ansehen mögen – so “naiv”, so dumm, so, ja man muss es sagen, verrückt, sind sie sicher nicht.

Also, man muss die wirtschaftlichen Vorstellungen der Linken nicht teilen, man kann sie politisch oder wirtschaftlich ablehnen, man kann sie als unvernünftig, gar als gefährlich bezeichnen.  Was sie jedoch wohl kaum sind: gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und gegen die Verfassung gerichtet. Die wirtschaftsliberale und neokonservative Seite sollte einer politischen Diskussion aber nicht ausweichen, weil sie vielleicht für sie unangenehm werden könnte und indem sie andere politische Meinungen als extremistisch zu deklarieren versucht, wenn sie es nicht sind. Der Verfassungsschutz NRW aber will die Partei Die Linke “intensiv beobachten”.

NACHTRAG: Natürlich sei hier auch noch Artikel 15 GG erwähnt:

Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Absatz 3 Satz 3 und 4 entsprechend.

Dieser Artikel ist auch auf binsenbrenner.de erschienen.

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Rot-rot-grün auf Bundesebene: die einzige Chance für eine sozialere Politik

Politiker aus SPD, Grünen und der Linken gründen heute eine linken Think Tank namens “Institut Solidarische Moderne” (ISM), der politische Konzepte als Gegenentwuf zum Neoliberalismus erarbeiten soll. Es sollen verschiedenste politische und gesellschaftliche Gebiete behandelt und dabei auch stärker als traditionell in der politischen Linken ökologische Themen sowie Kritik an der Wachstumsideologie miteinbezogen werden. Das Institut soll dbaei unabhängig von parteitaktischen Erwägungen diskutieren. Mitglieder sind bspw. Andrea Ypsilanti, Hermann Scheer, Sven Giegold und Katja Kipping.

Vor ein paar Tagen hatte bereits eine Gruppe von jungen Bundestagsabgeordneten einen Aufruf für eine Debatte  über ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene 2013 gestartet, für die man Konzepte erarbeiten und inhaltliche Gemeinsamkeiten austarieren möchte. Die Presse hat diese “Oslo-Initiative” – mit Anlehung an die rot-rot-grüne Regierung in Norwegen – getauf. Und das würde ja beileibe nicht gegen diese Koalition sprechen. 🙂

Ich muss sagen, dass ich diese Initiativen ausdrücklich unterstütze. Nur eine rot-rot-grüne Koalition wäre gewollt und  hat meiner Ansicht nach die Möglichkeit, in Deutschland wieder eine soziale und eine ökologisch nachhaltige Politik durchzusetzen, die den Sozialstaat bewahrt und die wirtschaftlich sinnvoll ist.

Wenn dort Politiker, die explizit ein soziales Profil vertreten (und die zudem durch die Parteipolitik und allem was dazugehört nicht völlig verdorben sind, wie Scheer, Giegold oder Kipping – man kann die negativen Seiten der Parteiendemokratie ja  auch bekämpfen, indem gute Ideen, die durch fähige Personen vertreten werden, die Parteien verändern) dabei sind, dann kann das meines Erachtens nur positiv sein, v.a. auch für die politischen Umsetzungsmöglichkeiten der erarbeiteten Vorschläge.

Sehr gut finde ich inbesonders, dass dort sehr kompetente kritische Wissenschaftler mitarbeiten. Denn es ist notwendig, den von den Mainstream-Medien hoffierten und verbreiteten neoliberalenPropagandainstrumten und Arbeitgeberlobbyisten-Think Tanks wie INSM oder Bertelsmann u.v.a. fundierte, wissenschaftlich unetrmauerte Alternativen entgegenzusetzen.

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Wo ist die Opposition?

Angesichts des massiven Fehlstarts der schwarz-gelben Bundesregierung erscheint es erstaunlich, wie wenig bisher aus den Oppositionsparteien im Bundestag zu hören ist. Die Zerstrittenheit der Koalition, die Kundus-Affäre, der Bundesverband der Vertriebenen, aber v. a. solche Themen wie die Kopfpauschale, die Steuersenkungen und die Bürgerrechte würden eine Chance bieten, sich als klare Alternative zur derzeitigen Politiklinie zu profilieren. Doch bleibt diese weitgehend ungenutzt.

Die schwarz-gelbe Koalition wirkt zur Zeit in vielem wie ein unbeausichtigter Kindergarten: CSU und NRW-CDU wollen den Sozialstaat wenigstens noch etwas am Leben halten, die FDP will auf großen Raubzug gehen. Die Kopfpauschale bedeutet das Ende der solidarischen Krankenversicherung. Die Pläne der Koalition für Steuersenkungen und einen Stufentarif sind wirtschaftlich völlig kontraproduktiv. Die Verfolgung von Steuerhinterziehern wird ganz nebenbei einmal faktisch außer Kraft gesetzt.

Die FDP ist ihrem Umfaller-Prinzip treu geblieben. Ob Überwachungsstaat, Bürgerrechte oder Netzpolitik: von ursprünglichen liberalen Forderungen ist inzwischen nicht mehr viel übriggeblieben. Beim Streit um den Vertriebenenbund könnte sich leider ebenfalls ein Umfallen ankündigen, falls man auf dessen maßlos anmaßende Forderungen eingeht. Nur beim Thema Steuern bleibt sie hart – doch die Einsicht der Union, derlei abenteuerliche Vorstellungen nicht auf Deutschland loslassen zu können, hat zu weiteren Verstimmungen innerhalb der Koalition geführt.

Die Enthüllungen über Kundus werden von mal zu mal schlimmer, für Afghanistan liegt weiterhin kein Konzept vor, und Dirk Niebel hat einen Fehlstart sondergleichen hingelegt. Aber auch die anderen Minister sind mit ihrem Ämtern oft völlig überfordert. Langsam scheint sich im Kabinett zudem ein Rotationsprinzip anzubahnen. Und die Kanzlerin betreibt weiterhin die Politik des “wenn ich mich rechtzeitig verdrücke, kann mir auch niemand was”. Wohin man auch schaut: es ist wohl nicht übertrieben, diesen Auftakt als rundum misslungen zu bezeichnen.

Doch die Opposition? In der SPD erweist sich, wie zu erwarten war, Frank-Walter Steinmeier als schwere Hypothek. Ob Kundus-Affäre, Hartz IV und die Agenda 2010 oder die Innenpolitik und die Bürgerrechte – überall scheint auf der SPD die Last der Agenda-Zeiten und der Großen Koalition zu liegen. Könnte sie sich von diesen Lasten befreien, wäre schon viel getan. Das Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen – warum haben die Grünen dies nicht genutzt, nicht explizit die Demonstrationen unterstützt, die fatalen “Ergebnisse” nicht als das dargestellt, was sie sind? Im wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich machen sie sich gegenwärtig sehr rar. Die Linke ist zur Zeit leider v. a. dabei, sich gegenseitig zu zerfleischen. Dies kann ihr jedoch nur schaden, v. a., wenn es nicht um inhaltliche Fragen geht. Nicht Personalien, ihre Ideen und Konzepte sollten in den Vordergrund rücken.

Eine stärkere  Zusammenarbeit der Oppositionsparteien ist indes bisher leider größtenteils ausgeblieben. Warum? Gerade jetzt besteht die Chance, klarzumachen und dafür zu sorgen, dass diese Hornissenkoalition – von Anfang an – auf wackligen Beinen steht, und ihr die Konzepte der Oppositionsparteien entgegenzuhalten. Diese Konzepte sollten eine klare und gemeinsame Alternative zur Politik des Sozialabbaus, der Klientelpolitik zugunsten von Besserverdienenden und diversen Lobbys, der verantwortungslosen Finanzpolitik und des Abbaus der Bürgerrechte darstellen. Sie sollten es – und ich denke, dass sie es auch können.

Gerade im sozialpolitischen Bereich besteht die Chance, die Bürger und die Öffentlichkeit zu überzeugen. Die vollkommen unsoziale, unsolidarische und sinnlose Kopfpauschale wäre ein wichtiger Punkt, an dem die Opposition der Regierung das Konzept der Bürgerversicherung entgegenhalten könnte. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz von Schwarz-Gelb stellt v. a. eine Klientelpolitik dar und wird kaum Erfolge vorweisen können (mit Entlastungen für Hoteliers, die schon zugesichert haben, diese nicht an die Kunden weiterzugeben, eine Volkswirtschaft zu beleben, könnte vielleicht in Mallorca klappen. Hier aber sollte man, v. a. in der Wirtschaftspolitik, doch etwas mehr Nüchternheit bewahren). Die SPD hatte vor der Wahl mit dem Deutschlandplan ein durchaus sinnvolles Programm zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und zur Belebung der Wirtschaft geliefert. Staatliche Beschäftigungsprogramme, hohe Lohnabschlüsse, Erhöhung der Sozialleistungen, das sind die Mittel, um die Nachfrage anzukurbeln und Beschäftigung zu schaffen. Der Finanzmarkt bräuchte entgegen der leeren Versprechungen auch eine tatsächliche Regulierung, und die Kreditvergabe an die Unternehmen muss erleichtert werden.

Die Opposition sollte außerdem das Bündnis suchen mit den Gewerkschaften, mit sozialen und mit Umweltgruppen, mit Bürgerrechtlern und Datenschützern. Wenn es einer vereinigten linken Kraft gelingt, der Regierungspolitik gemeinsame und konsistente Alternativen klar und konsequent entgegenzusetzen – und ich denke nicht, dass dem inhaltlich viele Punkte entgegenstehen würden – so könnte der schwarz-gelbe Spuk vielleicht spätestens im Jahr 2013 beendet sein.

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Auf dem rechten Auge blind

Die BILD behauptet, dass die Zahl der Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund im Jahr 2009 deutlich zurückgegangen sei. Und diese Meldung wurde natürlich mal wieder von mehreren Nachrichtenagenturen übernommen, ohne sie zu überprüfen. Sie beruft sich dabei auf das BKA – in Wirklichkeit stammen die angeblichen Zahlen gar nicht von diesem. Die endgültigen Zahlen über rechtsextreme Gewalttaten liegen tatsächlich noch gar nicht vor, sind aber nach vorläufigen BKA-Schätzungen nahezu ebenso hoch wie 2008 – die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten insgesamt lag nach diesen Schätzungen mit 20.000 im Jahr 2009 auf Rekordniveau (Quelle). Doch das stört BILD-Chefkorrespondent Einar Koch nicht besonders, der die Zahlen wieder einmal – nach 2006, wo sie im Gegensatz zur BILD-Berichterstattung (deutlicher Rückgang) drastisch gewachsen waren – systematisch kleinrechnet: Einar hat aufm rechten Auge ein Milchmädchen (BILDBlog). Vergleicht man dies einmal mit der “Berichterstattung” der BILD über “Linksextremisten” (siehe z.B. hier oder hier), kann einem wirklich schlecht werden.

Wer versucht, rechte Gewalt – also regelmäßig beschädigte Menschen – durch den Verweis auf linke Gewalt – also regelmäßig beschädigte Sachen – zu relativieren, muss sich der Prämisse bedienen, dass der Wert beispielsweise eines totgeschlagenen Menschen dem Wert beispielsweise eines abgebrannten PKW entspricht, dass Opfer rechter Gewalt also eher Sachen sind und nicht Menschen. Wie kann man sich denn bitteschön ernsthaft eine solche Denkweise zueigen machen? (Holgi)

NACHTRAG: Lesenswert dazu ist auch der Kommentar von Stefan Niggemeier: Malen nach Zahlen.

Man kann natürlich fragen, welches Interesse die „Bild”-Zeitung und ihr Chefkorrespondent Einar Koch daran haben, das Ausmaß rechtsextremistischer Gewalt in diesem Land kleinzureden. Ich vermute, es ist ein alter, aus ideologischeren Zeiten übrig gebliebener, rechter Reflex, der in doppelter Hinsicht gegen die Linke zielt: Man versucht ihren Generalverdacht, dass Deutschland immer noch und wieder voller Nazis sei, zu widerlegen. Und man behauptet, dass die Gewalt von links ohnehin das viel drängendere Problem ist. (Die mutmaßlich linken Brandstifter, die in Hamburg und Berlin seit Monaten Autos anzünden, nennt „Bild” nicht zufällig „Terroristen”.)

Aber der Grund, warum ich mich über die Falschmeldung über den Rückgang rechter Gewalt besonders geärgert habe, hat weniger mit „Bild” zu tun. Sondern mit allen anderen. In dieser Geschichte steckt fast das ganze Elend des Journalismus von heute.  (…)

Währenddessen behält sich die Springer AG das Recht vor, im Wahlkampf einseitig und irreführend über die Parteien und ihre Programme zu berichten, wie es BILDBlog ausdrückt: Linke Wahlkampf-Berichterstattung. Die BILD am Sonntag hatte im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 bei einer Übersicht über die Steuerpläne der Parteien bei der Partei Die Linke ausschließlich Vorhaben für Steuererhöhungen aufgeführt, versehen mit dem Kommentar “Die Linkspartei denkt nur ans Erhöhen”. In Wirklichkeit fanden sich in den Forderungen der Linken Steuersenkungen für viele gesellschaftliche Gruppen – doch diese waren v. a. Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen. Auch der Presserat erkannte dies und erteilte der BILD einen “Hinweis”. Na dann.

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Wahlbetrug in grün, die Zweite

Die saarländischen Grünen haben sich für Koalitionsgespräche mit CDU und FDP und gegen ebenso mögliche mit SPD und der Linken entschlossen.  Mit 117 zu 32 Stimmen haben die Parteitagsdelegierten die Entscheidung des Vorstandes abgenickt („sind den Empfehlungen des Vorstandes gefolgt”).

Dass man politisch etwa mehr von grünen Zielen mit schwarz-gelb als mit rot-rot durchsetzen könne, erscheint geradezu grotesk. Und es spricht auch für sich, dass eine ähnliche Begründung gar nicht erst zu liefern versucht wird. In Wahrheit verspricht man sich wohl eher, dass machtpolitisch mehr dabei herauskommt. Wie wenig die Entscheidung mit Inhalten zu tun hat, zeigt auch, dass sich der örtliche Parteichef Ulrich nicht mit Linken-Parteichef Lafontaine an der Saar klarkommt. Und wie er versucht, die „Schuld“ jetzt tatsächlich auf die Linken zu schieben, ist erbärmlich. Er habe zu „diesem Mann [Lafontaine] und dieser Partei kein Vertrauen, lautete nämlich Ulrichs Begründung auf dem Parteitag, keine rot-rot-grüne Koalition bilden zu wollen, und er machte Lafontaine als den „Hauptschuldigen“ aus. Ein Projekt der politischen Reinwaschung mit der Begründung einer „Unzuverlässigkeit der Linken“, dass ähnlich verlogen ist wie bei Matschie in Thüringen (vgl dazu: Thüringen: Linke vs. SPD – Ramelow: “SPD-Chef Matschie lügt”).

Es geht also wie derzeit in Thüringen im Saaraland primär um Machtkämpfe und Postengeschacher, um persönliche Fehden und Animositäten, und um die Eitelkeit von „Führungspolitikern“, diese nicht für die Sache beizulegen und über den Wählerwillen zu stellen. Selbst Parteichef und Realo Özdemir gibt zu: „Offenbar waren neben den programmatischen auch persönliche Gründe wichtig.”

Und noch etwas kommt hinzu: viele der grünen Parteifunktionäre bis hin zu Renate Künast, sehen sich nicht als Teil der politischen Linken und vertreten wirtschafts- und sozialpolitisch Positionen, die auch nahe an denen von CDU und FDP sind. So jubelt auch der saarländische Grünen-Vorsitzende Ulrich, dass die neue Koalition den Grünen die Möglichkeit biete, sich nicht automatisch in ein linkes Lager einordnen zu lassen.  Diese Positionierung aber erfolgt in einem Gegensatz zu dem größten Teil ihrer Anhänger, ihrer Wähler und ihrer Mitglieder an der Basis. Für die begehrten Posten und Pfründe sind die Funktionäre dann sowohl bereit, den Wählerwillen zu übergehen als auch mit grünen Werten zu brechen. Selbst in der noch am meisten basisdemokratisch und am wenigsten autoritär organisierten Partei in Deutschland geschieht so etwas.

Wie schon in Hamburg folgt auf die Ankündigung eines Politikwechsels eine Anbiederung an die regierende CDU. Als „politisch unflexibel“ bekannt waren die Grünen ja noch nie. Geht es um das Mittragen und später massive Unterstützen der Agenda-Politik oder um Militäreinsätze im Ausland – grüne Positionen sind dort kaum mehr zu erkennen. Und erinnern wir uns: in Hamburg haben sie ja nicht mal ein grünes Minimalziel, dass keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden sollen, durchsetzen können. Und auch im Saarland werden die Grünen sich auf lange Sicht nicht gegen eine neoliberale Einheitsfront aus schwarz und gelb als sozialer oder ökologischer Korrekturfaktor oder ähnliches durchsetzen können, machen wir uns keine Illusionen. Die Zugeständnisse bei der Bildungspolitik sind doch eher als Feigenblatt zu sehen.

Die Grünen werden immer mehr zu der Partei, die die FDP mal war: das Fähnchen im Wind, dass sich opportunistisch an die jeweils Machthabenden annähert. Und die Parteispitze wird sich immer mehr von ihren Mitgliedern entfernen. Wie in anderen Parteien vorher.

Lesenswerte Kommentare zum Thema bisher:

F!XMBR: Die Wahlbetrüger von der Saar

Kommentar vom Deutschlandfunk (MP3)

Erklärung des SPD-Landesvoritzenden Maas

UPDATE:

Feynsinn: Jamaica say “I will”

Der Freitag: Hellsichtiger Buhmann

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Erste Ergebnisse der Bundestagswahl – eine kurze Analyse

18.28 Die ersten Prognosen für die Bundestagswahl sind raus. Die SPD hat das schlechteste Ergebnis aller Zeiten eingefahren. Schwarz-Gelb hat nach den bisherigen Ergebnissen auch ohne Überhangmandate eine Mehrheit

Was zeigt dieses Ergebnis? Deutschland zeigt sich gespalten. Als wichtigste Konfliktlinien dieser Lager würde ich v.a. wirtschafts- und sozialpolitische Ansichten ansehen, dazu kommen auch starke Unterschiede etwa im Bereich der Umweltpolitik. Der große Zuwachs der FDP ist sicherlich mit unzufriedenen, sehr stark marktorientierten Unionswählern, denen soziale Zugeständnisse, die die Union in der großen Koalition gemacht hat, zu weit gingen, sowie ihren (unrealistischen) Steuersenkungsversprechen zu deuten. Das Anwachsen der Linken und der Grünen kann klar mit einer Unzufriedenheit über die Politik der SPD der letzten Jahre erklärt werden.

Die Politik der Agenda 2010, des Sozialabbau, der heimlichen Beteiligung am Irak-Krieg und des Mitmachens bei den Überwachungsstaats-Phantasien der Union hat abgewirtschaftet. Nur eine SPD, die sich auf ihre sozialen Werte besinnt, die eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik verfolgt, die die Finanzmärkte nicht unreguliert lässt, die eine Friedens- und Umweltpolitik betreibt, hat die Aussicht, der drohenden Politik des ungezügelten Sozialabbaus eine wirkungsvolle Alternative entgegenzusetzen.

Denn was CDU und FDP vorhaben, haben sie klargemacht. Ein Fortsetzung der Vorherrschaft der Finanzmärkte, eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, starke Einschnitte in soziale Errungenschaften und Arbeitnehmerschutz, den Ausstieg aus dem Atomausstieg, den Abbau der Förderung von Kimaschutz und der Förderung alternativer Energien. Und die FDP hat sich auch schon bereitwillig gezeigt, die Politik von Überwachung und Einschränkung der Bürgerrechte fortzusetzen. Die wenigen verbliebenen Vertreter eines sozialeren Arbeitnehmerflügels der Union werden weiter geschwächt werden, ebenso die Bürgerrechtsliberalen in der FDP.

Für eine starke linke Alternative in der Opposition ist ein klares Bündnis der SPD mit den Grünen notwendig, aber auch mit der Linken. In Brandenburg hat man die Möglichkeit, eine rot-rote Koalition zu bilden. Diese Chance zur Einleitung eine Neuanfangs muss wahrgenommen werden.

18:50 Ein Neuanfang ohne einen personellen Neubeginn ist schwer vorstellbar.

1924: Ach ja, und verfolgt auch mal den Wahlsonntag-Thread beim Spiegelfechter.

19:31: Gysi zeigt sich bereit für Linksbündnis… jetzt kommt es auf die SPD an.

19:43: Auch wenn Steinmeier, Müntefering und Struck sich dagegen wehren: Die SPD braucht jetzt einen strukturellen Erneuerungsprozess.

20:41: Berliner Runde: Es wird klar, dass eine starke gemeinsame linke Opposition nötig und auch möglich ist, wenn man dazu bereit ist. Merkel schweigt sich zu Inhalten und Programmen der kommenden Regierung aus.

20:47: Bei Netzpolitik gibt es einen Kommentar dazu, was man in den Bereichen Netzpolitik und Überwachungsgesetze von einer schwarz-gelben Regierung erwarten kann.

22:33: Anne Will hatte auch schon mal Gäste, deren politische Aktivitäten aktueller waren. Nach der Jubelberichterstattung im zdf allerdings mal relativ ausgewogen.

22:40: Volker Pispers: Die Wahllogik der Deutschen

http://www.youtube.com/watch?v=5C3xkezHEd8

22:53: Spreeblick zur Bundestagswahl

23:06: Der Kommentar des Oeffinger Freidenkers

00:38: So, zum Abschluss des Wahlabends noch das ZDF-Nachtstudio. Dann reicht’s aber.

01:06: ZDF-Nachtstudio übt sich in billig-oberflächlicher Linken-Dämonisierung, pro-FDP-Wahlkampf und “sozialdemokratische CDU”-Märchen (Wenn der Welt-Typ meint, dass die CDU eine sozialdemokratische Partei wär, warum gründet die Spinger-Presse dann nicht ne eigene rechtskonservativ-neoliberale Partei?). Außer Florian Schröder (“Der BWL-Bachelor ist definitiv nicht die Lösung”) sehr enttäuschend. Jetzt meint der Welt-Typ, die Linke wäre totalitär (sic!). Das würde wohl so wohl nicht mal jemand aus der CDU oder FDP sagen. Was soll man vom ZDF auch erwarten…?

1:35: Wenn man ne Sendung zur Wahl macht –  wieso lädt man dann nur Leute ein, denen die CDU komplett und die FDP  teilweise zu links sind (und einen Kaberettisten)?! Beende mit einem größeren Unbehagen gegen unsere Journaille als gegen die Wahlsieger diesen Wahlabend …

2:04: Ok, zum Abschluss verweise ich noch auf zwei Beiträge zur Zukunft der SPD: Völliger Realitätsverlust bei Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering (FIXMBR) und Rücktritt! (WEISSGARNIX). Jetzt reicht’s aber für heute …

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Die TV-Spots zur Bundestagswahl – welche Partei blamiert sich am meisten?

Wenn man ohne Fernseher ist, verpasst man ja ganz die besten Seiten des Wahlkampfes: die TV-Spots. Naja, mittels dieses „Internets“ werde ich mir die dann doch mal ankucken. Also, dann mal los!

CDU: Der erste Spot… Boah, ist das ekelhaft pathetisch! Und die Inhalte??? Fällt schwer, das schon beim ersten Spot zu sagen, aber so etwas hat nicht mal die CDU verdient! Der zweiten Spot der CDU dreht sich auch nicht um Inhalte, sondern ausschließlich um die Bundes-Angie. Man wirbt mit der Einheit. Auch schon etwas her. „Bildung und Forschung voranbringen“? Bitte, liebe CDU, ihr könnt ja gerne mit aus eurer Sicht Erfolgen werben. Aber damit? Ist das Zynismus? Wenigstens wissen wir etwas, was Merkel gerlernt hat, nämlich: „wie wichtig eine Frisur sein kann“. Und jetzt Merkels Jubelbilder von der WM 2006? Das muss doch Satire sein! Spot lässt einen ratlos. Echt? Oder doch ne Verarschung der Titanic?

SPD: Zum Deutschlandplan. Recht professionell gemacht. Gut, blaue Schrift auf blauem Hintergrund muss nicht sein. Neben der Süddeutschen werden Zitate von Spon, Handelsblatt, Financial Times Deutschland und Focus Online gebracht. Kann mir ein Schmunzeln nicht vergreifen, wenn ich mir vorstelle, wie die sich ärgern werden, dass die SPD mit ihnen Werbung macht.

FDP: Inhaltsleer wie der erste CDU-Spot. Nur alles in gelb. „Deutschland kann anpacken“: Yuppie kann Blätterstapel kleiner machen, indem er auf ihn zeigt. Magie im Spiel? „Manager-Typen“ spielen offensichtlich während der Arbeitszeit im Büro Basketball. So wird es mit Deutschland nicht vorangehen! „Deutschland kann stolz sein“. Oh Mann. Dann sagt es doch, wie ihr es sagen wollt. wenn ihr auf Stimmenfang gehen wollt! Naja, wenigstens wird während des Spots nicht gesprochen. Oh, ne, jetzt doch! Und wer wohl? Na?

Bündnis 90/ Die Grünen: Gehe aufgrund der letzten Grünen-Wahlspots mit hohen Erwartungen in diesen Clip… Hm… Zusammengeschnittene Statements. Sieht aus wie ein Zurschaulaufen der Özdemirs und Co.s, die bei Jamaika an was anderes als die klassischen Grünen denken. Spot in der Form nicht mehr von anderen Parteien unterscheidbar. Das konntet ihr mal besser!

Die LINKE.: Stimmen aus dem Hintergrund zu Aufnahmen von Hochhäusern und Die Linke-Fahnen… Wer spricht da? Jetzt sieht man ein paar… Wer ist das? Und bei der Musik geht aber auch noch ein bisschen was…

CSU: (Vermutlich echter) Biergarten mit gestellten Gesprächen zwischen Seehofer und n paar Leuten. Jetzt ist man in Berlin. Und wieder in Bayern. Was ist denn überhaupt „unser Land“ ständig? Verwirrung vorherrschend. Wenn das Deutschland ist, warum kann man Euch dann nur in Bayern wählen? Achso, „was unser Land jetzt braucht, ist ein starkes Bayern in Berlin“. Jetzt auch noch Expansionsgelüste?

Piratenpartei: Der erste Spot ist zu gestellt. Der hier und der hier (eine Variante von “Du bist Terrorist”) sind die besten Spots bisher. Wirklich gut gemacht!

Freie Wähler Deutschland: Wütende Hausfrau aus der Laien-Theater-Truppe. Vorsicht mit dem Bügeleisen! Huch! Was ist denn das jetzt? Naja, schon vorbei.

ödp: Erstaunlich professionell im Vergleich zu den anderen Kleinparteien. Dass diese sich v. a. über die Abgrenzung zu den „etablierten Parteien“ definieren, ist ja bekannt. Naja, aber orange sind doch heute einige Parteien, wenn ich das richtig sehe.

Tierschutzpartei: Die da oben! Die versprechen alles und halten sich nie daran! „Die noch keine Stimme haben“? So wird es wohl bei dieser Partei auch nach der Wahl sein. „Bitte wach werden“. Ok, der Spot ist ja gleich rum.

NPD: Fremdenhass und schlechter Populismus. Solche Menschen wie Voigt können offensichtlich sich nicht mal für so einen Spot auf freundlich verstellen. Nur das hassverzerrtes Gesicht des Rechtsextremismus. „Heimreise statt Einreise“ wird sich auch der normale NPD-Pöbel noch merken können. Aber die Rechtsextremen treten ja zur Bundestagswahl wieder getrennt an…

DVU: „Vor 60 Jahren haben unsere Großmütter dieses Land aus den Trümmern wieder aufgebaut“? Wer hat denn die Trümmer verursacht? „Unser Großväter waren keine Verbrecher!“ Und dann zeigt man ein total übertriebenes Idealbild der Nachkriegszeit? Wenn ihr jetzt einen auf bürgerlich macht, nimmt euch das eh keiner ab. Ah, jetzt kommt der Ausländer- und Islamhass. Anti-Gloablisierung, „Abtreibung ist Mord“, „Rückkehrpremie“. „All dies sind ganz normale Forderungen“. Zum Glück seit nun 64 Jahren nicht mehr.

MLPD: Professionelle, nicht-lispelnde Sprecher sind doch gar nicht soo teuer! Jetzt kommen sie mit merkwürdigen Wirtschaftsdaten. „Die MLPD steht für die revolutionäre Alternative. Das ist der echte Sozialismus.“ Muhaha!

Partei für Soziale Gleichheit: Sektion der Vierten Internationale. Größter Feind ist für sie die Linkspartei? Und man will eine „unabhängige Mobilisierung der Arbeiter“ unter der Abhängigkeit von der PSG? Ein bisschen widersprüchlich alles. Aber merkt ihr selber, ne?

Rentnerinnen- und Rentner-Partei: Uh, die hat so ein lustiges Fahrgerät wie Kevin James in diesem Film da. Der Kaufhaus-Cop oder so. Will ich auch! Wie heißt das? Wo gibt’s das? … Hm, war sonst noch was außer Phrasen und Sprichwörtern?

Rentner-Partei-Deutschland: Baha! Die haben echt wieder den Europawahl-Spot ausgepackt mit der 90er-Elektro-Trash-Konserve (was die alten Leute sich heute unter „kuhler Techno-Musik“ oder so vorstellen) und der Rentner-Partei-Deutschland-Baseballkappe! Aufhören! Ich kann nicht mehr!

Allianz der Mitte: Nie gehört bisher. Wird man wohl auch nie wieder von hören. Kind fragt am Ende des Spots genervt „können wir jetzt endlich weiterfahren?!“ Ich glaube ja, das war echt und nicht so geplant.

Volksabstimmung: Mein Gott! Hat sich der alte Mann vor die Kamera verirrt? Kann ihm nicht jemand helfen? Und er beginnt ein Dutzend Sachen, die er machen will, mit „wir werden…“ Wahrscheinlich glaubt er echt dran.

Familienpartei: Ist das nicht wieder mal der selbe wie zur Europawahl? Was soll das sein? Debilität als Wahlprogramm? Zwitscher zwitscher.

Bayernpartei: Einer der besseren Kleinparteien-Spots. Was das aber alles mit Bayern zu tun haben soll, wird nicht klar.

Zentrum: „In diesem Land werden bald die Lichter ausgehen!“ Die älteste Partei Deutschland muss es wissen. War die nicht am Untergang der letzten deutschen Demokratie zumindest teilweise beteiligt?

Partei Bibeltreuer Christen: Kinder. Aha. Und sonst? Klimper klimper.

Christliche Mitte: Wieder ein recycleter Europawahl-Spot. Spießertum, „nein zur Abreibung“, Homosexuellen- und Islamhass, EU-Feindschaft und Nationalismus. Die christliche Rechte.

Bürgerrechtsbewegung Solidarität: Mein Gott! Das ist doch jetzt nicht wahr, oder? Was für ein Scheiß! Wir werden alle sterben! Jetzt zeigt sie Proteste gegen Obamas Gesundheitsreform und redet von ganz was anderem. “Die Unregierbarkeit droht!” Oh ne, jetzt nicht echt! „Das ist mein Patentrezept!“ Ist das nicht so ein Wort, das man sonst nur mit einem „kein“ davor benutzt?

Die Violetten: Für spirituelle Politik… So so. Was wollen die denn so? Bedingungsloses Grundeinkommen? Ich will Homöopathie und Wünschelruten, Geister und Außerirdische! So reißt ihr niemanden vom Hocker. Zweite Frau kuckt unsicher hilfesuchend, kriegt aber den auswendig gerlenten Text mit etwas Stocken dann doch noch hin. Oh, jetzt. Freie Wahl geben, zu “entscheiden zwischen Schulmedizin, alternativer Medizin, Naturmedizin und sogar Energiemedizin“? Warum nicht „entscheiden zwischen Medizin, Paramedizin, Scharlatanerie und sogar Quacksalverei“?

… Und schließlich? Was bleibt festzhalten? Gerade die Spots der kleinen Parteien wirken mit wenigen Ausnahmen oft so, als ob sie mit zwei Leuten an einem Nachmittag abgedreht wurden. Schlechte Texte, schlechte Sprecher, schlechte Musik, schlechte Bilder. Bei den großen Parteien fehlen oft inhaltliche Aussagen zu Gunsten des Aufbaus von bestimmten Gefühlen und Stimmungen. Die kleinen Parteien ziehen diese oft aus einer Ablehung von “denen da oben”, die ja eh nur machen, was sie wollen etc.

Die besten Spots sind für mich die der Piratenpartei, der SPD und der ödp. Die schlechtesten? Schwer… So viele so unfassbar schlechte… Inhaltlich am schlechtesten sind sicher die von NPD und DVU. Von der Machart her würde ich sagen die der Christlichen Mitte und der Rentner-Partei-Deutschland (und vielleicht noch der PBC).

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Illners TV- Dreikampf – Fairness sieht anders aus

Mit TV-Duellen von Politikern vor Wahlen ist es ja immer so eine Sache. Themen werden vereinfacht, wichtige Aspekte weggelassen, was von den Aussagen hinterher übrig bleibt, ist gelinde gesagt zweifelhaft usw. Alles berechtigt. Trotzdem habe ich mir mal den “TVdreikampf” zwischen Westerwelle (FDP), Künast (Grüne) und Gysi (Linke) am Donnerstag mal angeschaut, die Sendung, mit der die in den Bundestag gewählten Oppositionsparteien (oder “die Kleinen”) quasi für das Duell der zwei “Großen” entschädigt werden sollen (worüber es auch während der Sendung bei den dreien merkbaren Unmut gab – Westerwelle hat schon Recht: “Zur Demokratie gehört auch die Opposition”). Themen waren Afghanistan, Opel, Arbeitsplätze, Steuern und die Sozialversicherungen (Rente und Gesundheit).

Polit-Talk à la Illner: Gysi wird ausgelacht, Westerwelle muss sich als Sozialrevolutionär üben

Auch wenn ich die Positionen von Westerwelle nicht teile, muss man doch zugestehen, dass er diese recht gut vertreten hat. Er gab sich dabei sogar, durchaus überraschend, relativ gemäßigt. Zumindest gemäßigter als Illner. Aber der Reihe nach.

Spätestens als es um die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ging, ab Minute 36 der Sendung, stichelte Frau Illner immer wieder in einer bei sich neutral gebenden Journalisten so kaum gesehen arrogant-herablassenden Weise dazwischen, sei es auch nur mit kurzen abfälligen Bemerkungen. Derart abfällig, dass es wirklich eine Farce wäre, hier von Ausgewogenheit, Neutralität oder auch nur Fairness seitens der Moderation zu sprechen.

Ein Zuschauer, der wirkte wie ein beliebiger JU-Vorsitzender, stellte Gregor Gysi die obligatorische Frage nach der Finanzierbarkeit der Pläne der Linken. Er zitierte dabei auch die Zahl von 300 Milliarden Euro (laut der Rheinischen Post, nach dem Zuschauer aber laut der Linken), die die Pläne der Linken angeblich kosten würden. Nun haben die NachDenkseiten ausgeführt, dass diese Zahl nicht stimmt und viel zu hoch gegriffen ist. Und Gysi führte aus, dass die Zahlen nicht stimmen (und laut Schätzungen von Ökonomen die Pläne sogar kostendeckend wären). Spätestens da zeigte sich, dass Die Linke eben nicht wie jede andere Partei behandelt wird und schon gar nicht versucht wird, sie fair zu behandeln. Frau Illner konnte sich scheinbar nicht zurückhalten, über poliische Aussagen Gysis tatsächlich zu lachen, nahm ich sichtbar nicht ernst und führte ihre Kaskade höhnisch-sarkastischer Bemerkungen und Frotzeleien (“Sie machen heute nur tolle Bemerkungen!”) immer wieder, wenn Gysi sprach, fort. Und Gysi, der ja im TV durchaus fast immer recht locker wirkt, war sichtbar irritiert.

Als der Zuschauer darauf kam, was die Linke tue, um die “Leistungsträger” zu entlasten (übersetzt: Senkung der Steuern für Spitzenverdiener, weitere Nichtbesteuerung von Vermögen), machte Gysi darauf aufmerksam, dass auch Arbeitnehmer Leistungsträger für die Gesellschaft sind. Künast griff dass ein wenig später auf und sagte, dass auch jeder Facharbeiter oder jede Altenpflegerinnen  “Leistungsträger” sei. Illner warf  dort ein abfälliges “Die empfindet sich als…” ein. Woraufhin Westerwelle einspringen musste (!) und Künast unterstützte.

Ein paar von Illners Nebentätigkeiten: Initiative Neue Soziale Markwirtschaft, Konrad-Adenauer-Stiftung und der Vatikan

In der Vergangenheit moderierte Illner Veranstaltungen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Die INSM ist eine von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden gegründete und finanzierte Lobbyorganisation, die für den Abbau des Sozialstaates, Privatisierungen von öffentlichen Betrieben und Sozialsystemen, Senkung der Unternehmenssteuern oder die Einführung von Studiengebühren eintritt. Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Claus Leggewie will die INSM weniger soziale Marktwirtschaft, sondern viel mehr kapitalistische freie Marktwirtschaft.  Für sie arbeiten solche Sympathieträger wie Arnulf Baring, Oswald Metzger, Martin Kannegiesser oder Bernd Raffelhüschen.

Die INSM unterhält “Medienpartnerschaften” zu der Financial Times Deutschland, der Wirtschaftswoche, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dem Focus, dem Handelsblatt und der Fuldaer Zeitung. Dabei kann das Verhältnis der INSM zu den Medien durchaus kritisch betrachtet werden. Die Kritiker erheben den Vorwurf, dass die Grenzen zwischen Journalismus und PR dabei zusehends verschwimmen. Die INSM habe es geschafft, einen “neoliberalen Mainstram in den Medien durchzusetzen”, so der Medienwissenschaftler Siegrfried Weischenberg. Eine Studie der Universität Münster kommt zu dem Ergebnis, dass die Medienberichterstattung weitgehend die INSM-Perspektive übernehme und nicht deutlich mache, dass diese strategisch Arbeitgeberinteressen vertritt. Auch die “Botschafter” der INSM sind bekannt dafür, diese Rolle nicht unbedingt transparent zu machen. Doch die INSM greift noch zu ganz anderen Mitteln. 2002 hatte sie per Schleichwerbung in der ARD-Serie Marienhof von ihr geschriebene Szenen und Dialoge platziert, die ihre neoliberale Ansichten verbreiten sollten. Auch direkter Druck auf Medien und Verunglimpfung von Journalisten, die andere Positionen vertreten werden ihr vorgeworfen.

Auch für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung sprach sie, oder moderierte für den Vatikan (dort mit Sympathisanten von Opus Dei) sowie u. a. für McKinsey, wie CARTA recherchiert hat. Die Höhe der Honorare blieb dabei immer unklar.

Illners Sendungen – Teil der Medienkampagnen gegen links?

Schon in der Sendung “Illner Intensiv” bediente man alte Kommunististen-Klischees und übte sich in Suggestivfragen oder warf ihr mal wieder Demokratiefeindlichkeit vor. In der Folge von Lafontaines Kritik an einer hohen Medienkonzentration war in der Presse sogar von Verschwörungstheorien die Rede.

Man muss es so festhalten: Illner gehört zu der Reihe von Journalisten, die dazu beigetragen haben und daran mitarbeiten, dass der Neoliberalismus und die Interessen der Arbeitgeberlobby die Mainstream-Medien dominieren, dass der Sozialabbau als alternativlos dargestellt wird und Gegner dessen (etwa als “Populisten”) diskreditiert werden. Deshalb ist es kein Wunder, dass Illners Sendungen als einen Teil der Medienkampagnen gegen die politisch linke Richtung ansehen werden. Wie Kampagnenjournalismus funktioniert, kann man in ihren Sendungen auch so sehen. Illner muss Gysi nicht auslachen, damit dies klar wird.

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