Neues von Zensursula – patente Spitznamen, Millionen Unterstützer und Vertrauen in den Staat

Zunächst einmal: Frau von der Leyen hat nichts gegen ihren ja durchaus zweifelhaften Spitznamen „Zensursula“.

zensursula

Hat sie der Spitzname „Zensursula” getroffen?

von der Leyen (lacht) Nein. Das fand ich patent. Das gehört zur politischen Auseinandersetzung dazu. (Siehe)

oder gleich nochmal hier:

Welt am Sonntag: Und Ihren Spitznamen?

von der Leyen: Meinen Spitznamen finde ich patent. Viel Feind, viel Ehr’. Wir haben eine lebendige Debatte, da darf man nicht kleinlich sein.

Ja, richtig, sie findet ihn „patent“. Nicht „Patent“ (sich anbietende Wortwitze mit Bezugnahme auf die Urheberrechtsdebatte erspare ich mir), sondern „patent“. Als Adjektiv! Und sie fordert außerdem Benimmregeln für das Internet. Diese Frau scheint wirklich aus dem vorvorletzten Jahrhundert zu stammen… Und nebenbei: ich würde diesen Namen an ihrer Stelle ja nicht „patent“ finden, sondern ganz und gar furchtbar. Selbst wenn sie da anderer Meinung ist, muss ihr doch klar sein, dass sie (für nicht gerade wenige Menschen) für die Einführung einer Zensurinfrastruktur in Deutschland steht.

Ach ja, sie hat ja auch ein sehr, sagen wir, eigenwilliges Demokratieverständnis. So ist sie der Meinung, dass Millionen hinter ihr stehen. Der pantoffelpunk blog führt dagegen sehr schön aus, dass es vielleicht doch eher tausend sind.


Aber nicht nur Zensursula (so darf man sie dann inzwischen vollkommen guten Gewissens nennen) hat ihre Probleme mit demokratischen Instrumenten des Internets. Herr Schäuble meint doch tatsächlich auf dem zweiten Deutschland Online-Kongress, es sei „ein grobes Missverständnis und eine Fehlwahrnehmung, dem Staat im Internet Zensur- und Überwachungsabsichten zu unterstellen.“ Er bittet um Verständnis und Vertrauen! (Einen guten Kommentar dazu gibt es auf Netzpolitik ). Das meint er doch nicht im Ernst, oder? Glaubt er wirklich, dass politisches Taktieren und Schönfärben ausgerechtet dort angebracht ist? Oder glaubt er tatsächlich daran, dass der Staat uns schützen müsse? Vor uns selber? Vor der unmittelbaren terroristischen Bedrohung, die uns allen bevorsteht? Vielleicht auch noch vor der Schweinegrippe…? Vielleicht glaubt er das, dass er uns schützen muss – aber dies durch Überwachung. Denn:

„Oh – großer Lauschangriff, Vorratsdatenspeicherung, Zugangserschwerungsgesetz, Bundestrojaner, Flugpassagierdatenweitergabe an die USA, Überwachung von Konten und Überweisungen, verfassungswidrige Rasterfahndungen und und und, das haben wir uns nur ausgedacht?“

.

Die FDP währenddessen möchte gegen das Internetzensurgesetz nur dann vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, wenn es nach der Bundestagswahl keine schwarz-gelbe Regierungskoalition geben wird (vgl.). Was mal wieder zeigt, wieviel für diese Partei wirklich die Freiheit bedeutet, wenn es um Machtinteressen geht. Aber das auch noch so eiskalt zuzugeben, da gehört schon eine ordentliche Portion Dreistigkeit dazu.


Und selbst von den Grünen sind sehr irritierende Töne zu hören. Nur ein paar Auszüge:

Die ignorante Argumentation gegen Internetsperren kommt von Menschen, die es sich in virtuellen Räumen bequem gemacht haben und übersieht die Opfer in der realen Welt.“

„Wer Ego-Shooter für Unterhaltung, Facebook für reales Leben, wer Twitter für reale Politik hält, scheint davon auszugehen, dass Gewalt keine Opfer in der Realwelt fordert. Anders kann die ignorante Argumentation gegen die Internetsperren gar nicht erklärt werden.“

„Da haben sich einige wohl das Hirn herausgetwittert.“

Eine Begründung, warum er diese Tirade veröffentlicht, liefert Matthias Güldner, seines Zeichens Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Bremischen Bürgerschaft, wenigstens gleich selbst mit:

„Unser Umfeld kommt zu einem nicht unerheblichen Teil aus den erziehenden Berufen, ist selbst Mutter oder Vater. Die Internetsperren haben Umfragen zu Folge bei ihnen eine hohe Popularität.“

Aber ich frage mich wirklich, was in einem (grünen!) Politiker vorgehen muss, dass er eine derart hasserfüllte Polemik schreibt, dass der härteste Neokonservative eifersüchtig werden könnte.

Wenigstens hat die Bundespartei diese Stellungnahme recht schnell als „nicht erträglich“ und „abweichende Einzelmeinung“ bezeichnet – bei twitter.

Dennoch ist es erschreckend zu sehen, was für Meinungen offensichtlich in fast allen im Bundestag vertretenen Parteien anzutreffen sind.

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Internetzensur – Machtpolitik geht über Bürgerrechte

Das Gesetz zu den Web-Sperren hat nun also den Bundesrat passiert (vgl. z.B. http://www.heise.de/newsticker/Gesetz-zu-Web-Sperren-passiert-den-Bundesrat–/meldung/141849: betroffene Anbieter werden über die Sperrung ihrer Seiten nur “in der Regel” informiert, die Sperrliste wird nur vierteljährig und nur in Stichproben überprüft,  IP-Adressen dürfen von den Zugangsanbietern aufgezeichnet und in Verdachtsfällen an die Polizei weitergegeben werden.)

Die “Debatte” dauerte 3,5 Minuten (siehe: http://blog.fefe.de/?ts=b4a7d165, http://netzpolitik.org/2009/gesetz-zu-web-sperren-passiert-den-bundesrat). 3,5 Minuten für ein Gesetz, dass nicht wirksam die Kinderpornographie bekämpft, dass aber den Aufbau einer Zensurinfrastruktur ermöglicht. Eine Ausbreitung der Sperren wird schon diskuttiert, etwa auf “Killerspiele” (vgl.) oder Hasspropaganda (vgl.). Doch alle Kritik und alle Befürchtungen wurden überhört. Die Experten wurden ignoriert. Der Vermittlungsausschuss wurde nicht angerufen.

Die deutsche Politik, insbesondere die deutschen Parteien, stellen sich damit ein Armutszeugnis aus: Symbolpolitik geht über wirksame Maßnahmen und machtpolitische Interessen gehen einmal mehr über politische Überzeugungen (wenn diese überhaupt vorhanden sind).

Die FDP verteidigt Bürgerrechte nur so lange, wie ihr dies politisches Kapital bringt. Wenn es jedoch um handfeste Koalitionsinteressen mit CDU und CSU geht, vergisst sie diese ganz schnell (vgl. auch etwa die aktuellen Planungen zu ausgedehnten Eingriffsrechten der Polizei in Hessen).

Die Grünen scheinen die Wichtigkeit der Frage noch nicht erkannt zu haben, siehe auch die vielen Enthaltungen im Bundestag. Die Zensurgegner in der SPD sitzen nicht an den einflussreichen Stellen; dort sitzen die Politiker, die sich aus Angst vor der Springer-Presse von der politischen Vernunft verabschiedet haben.

Das Gesetz zu den Web-Sperren zeigt eine Schwäche des deutschen Parteiensystems – dass dieses Opportunismus und Machtpolitik belohnt,  zu “unflexible” Überzeugungen aber bestraft.

Bleibt nur noch die (sehr geringe) Hoffnung auf Horst Köhler, der seine Unterschrift unter das Gesetz verweigern könnte, und auf das Bundesverfassungsgericht. Erste juristische Untersuchungen erheben schon schwere Bedenken. Dabei gibt es etwa Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, der Geeignetkeit der Sperrtechniken allgemein, der Transparenz des Sperrverfahrens oder der Verwendung der Daten. Zudem befürchtet man  eine “kaum mehr kontrollierbaren Einschränkung des Internetverkehrs” durch eine Ausweitung der gesperrten Inhalte (vgl.: http://www.heise.de/newsticker/Juristen-melden-schwere-Bedenken-gegen-Web-Sperren-an–/meldung/141875).

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