Hartz-IV-Regelsatz: Was der Mensch braucht – 2011

Eine empirische Analyse von Lutz Hausstein

Nachdem der Regelsatz beim ALG II zum 1.1.2011 um ganze fünf Euro angehoben wurde und er damit nach Ansicht vieler Kritiker weiterhin deutlich zu niedrig liegt, legt Lutz Hausstein nun, wie bereits im letzten Jahr, eine neue, ausführliche Bedarfsermittlung vor. Wie auch andere Berechnungen, beispielsweise die des Bündnisses für einen 500-Euro-Eckregelsatz, kommt Hausstein zu dem Ergebnis, daß der aktuelle Regelsatz nicht den tatsächlichen Bedarf deckt und somit den verfassungsmäßigen Vorgaben nicht entspricht. Die Weiterverbreitung unter CC 3.0 de (BY-NC) ist vom Autor ausdrücklich erwünscht und die Untersuchung steht hier auch als PDF-Datei zum Download zur Verfügung.

[Frank Benedikt]

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Für einen Euro mehr

Die Bundesregierung plant, die Zuschüsse für die sogenannten „Ein-Euro-Jobs“ zu kürzen und strengere Richtlinien für diese aufzustellen. Dadurch wird deren Zahl zukünftig stark eingeschränkt werden. Dieses Vorhaben ist ein richtiger Schritt, da in der Vergangenheit dieses arbeitsmarktpolitische Instrument sehr oft nicht in seinem eigentlichen Sinne benutzt wurde und Erfolge nahezu komplett ausblieben. Zudem stellt sich aber nun um sehr mehr auch die Frage, ob die Ein-Euro-Jobs und die hinter ihnen stehenden Ideen überhaupt sinnvoll sind – oder nicht gleich ganz abgeschafft gehören.

Konzept und Ziele der Ein-Euro-Jobs

Die im offiziellen Neusprech “Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung” genannten Ein-Euro-Jobs wurden in Deutschland seit 2005 im Zuge der Hartz-Gesetze stark ausgebaut. Dabei handelt es sich um Arbeitsmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger, die für drei bis zwölf Monate für 15 bis 30 Stunden die Woche bestimmte Tätigkeiten, die „im öffentlichen Interesse liegen“, ausführen. Sie erhalten dafür zusätzlich zu den Hartz-IV-Bezügen einen Stundenlohn von meist zwischen 1 und 1 Euro 50. Es kann sich dabei beispielsweise um Tätigkeiten wie Park- oder Landschaftspflege, Hausmeistertätigkeiten oder Hilfe in Pflegeeinrichtungen handeln. Die Beschäftigungsträger der Ein-Euro-Jobber, bei denen es sich meist um Kommunen, Verbände, öffentliche Unternehmen oder (auch private) Wohlfahrtskonzerne handelt, erhalten für die “sozialpädagogische Betreuung” der Teilnehmer zudem bis zu 500 Euro im Monat. Als Grund wird angeführt, dass vor allem solche Personen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt kaum eine Chance haben, durch diese Maßnahmen, wie man sich ausdrückt, “gefördert” werden sollen.

Diese “Förderung” ist jedoch nicht freiwillig: Bei Ablehnung droht eine Kürzung des Arbeitslosengeldes II für drei Monate um mindestens 30%. Solche Sanktionen kommen keineswegs selten vor. So wurden im letzten Jahr 102.631 Sanktionen ausgesprochen, weil die Betroffenen sich weigerten, eine als zumutbar eingestufte Arbeit, Ausbildung oder einen Ein-Euro-Job anzunehmen. Der Begriff “Zwangsarbeit” wäre also für Ein-Euro-Jobs zumindest nicht immer unangebracht. Als Ziel der Ein-Euro-Jobs wird angegeben, vor allem Langzeitarbeitslose an den Arbeitsalltag und einen Tagesrhythmus zu gewöhnen, die Arbeitsdisziplin zu stärken und ähnliches. Jede Art von Arbeit für Arbeitslose steigere deren Beschäftigungsfähigkeit und ihre sozialen Fähigkeiten, so eine der Ansichten dieses im Gedankengebäude des Workfare entwickelten Konzepts. Zudem könne ein zusätzlicher Nutzen durch Arbeiten für die Gesellschaft entstehen, für die keine Nachfrage in der Privatwirtschaft gegeben ist. Sie werden zudem statistisch nicht als Arbeitslose gezählt – was ein weiterer Grund sein dürfte.

Mit pro Jahr 600.000 bis 700.000 teilnehmenden Personen sind Ein-Euro-Jobs das am häufigsten eingesetzte Aktivierungsinstrument im Rechtskreis des SGB II. Im März 2011 lag laut Bundesagentur für Arbeit die Zahl der Ein-Euro-Stellen bei 172.400. Dies ist schon deutlich weniger als in den letzten Jahren, in Spitzenzeiten gab es bis zu 300.000 Teilnehmer. Die Gesamtkosten sind dadurch trotz der äußerst niedrigen Verdienstmöglichkeiten recht hoch: Im Jahr 2010 wurden für Ein-Euro-Jobs insgesamt 1,7 Milliarden Euro ausgegeben. Bei derartigen Ausgaben stellt sich die Frage, wie die Realität der Ein-Euro-Jobs aussieht und ob sie effektiv sind. (more…)

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10 Euro Mindestlohn!

Die Einführung eines allgemeinen, flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland würde viele Vorteile bringen.

Zunächst einmal dient er natürlich ganz unmittelbar der Verhinderung von Armutslöhnen. Das Argument der Neoliberalen, dass Arbeitnehmer, die von ihren Löhnen allein nicht leben können, “eben zu unproduktiv sein”, ist einfach nur zynisch. (Die Neoliberalen verfallen hier nebenbei dem klassischen Marxschen Warenfetischismus. Der Wert der Arbeit zeigt sich im Kapitalismus nur im Tauschwert und nicht in geschaffenen Gebrauchswerten.) Auch wenn die Neoklassiker davon ausgehen, dass es sich beim Arbeitsmarkt um einen perfekten Markt handelt, liegen sie falsch. Und wer sagt, dass jemand mit einer solchen Einstellung nicht eines Tages dafür plädiert, die Lohnzuschüsse für die “unproduktiven” einfach einzustellen? Jeder ist doch ausschließlich für sich selbst verantwortlich in dieser Gesellschaft.

Der Neoliberalismus setzt derzeit auf Kombilöhne. Diese Methode der staatlichen Bezuschussung von Niedriglöhnen (“Aufstocken”), die für über 1 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland gezahlt werden, setzen falsche Anreize, führen zu einer Plünderung des Staates durch Unternehmen, die reguläre Beschäftigung durch Niedriglöhner ersetzen, und vergrößern den Niedriglohnsektor in Deutschland weiter (ausführlicher in Kombilöhne: sinnvoll oder nicht?). Gegen diese Entwicklungen hilft ein Mindestlohn. Auch die Forderung “Arbeit muss sich lohnen” und die nach einem Abstand zwischen Löhnen und Transfereinkommen werden statt durch immer weiteres Senken der Sozialleistungen bis unter das Existenzminimum viel besser durch einen Mindestlohn gewährleistet.

Schließlich führt ein Mindestlohn zu einer Steigerung der Nachfrage und des Binnenkonsums, die in Deutschland dringend gegeben ist. In keinem anderen Industrieland sind die Löhne (in den letzten Jahrzehnten wie auch in den unmittelbar letzten Jahren) so wenig gewachsen wie in Deutschland; die Lohnquote fällt dramatisch. Durch seine enorme Exportabhängigkeit, die mit Lohndumping erkauft wurde, gefährdet Deutschland enorm die Stabilität der Eurozone, mehr als die Defizit”sünder”. (more…)

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Buchbesprechung: Stéphane Hessel – Empört Euch!

Das Büchlein “Empört Euch!” von Stéphane Hessel (auszugsweise bei der FAZ zu lesen) hat in Frankreich wie international große Aufmerksamkeit erregt und wird als wegweisende politische Streitschrift gefeiert. Der Autor prangert darin aktuelle globale Missstände, vom Abbau der Sozialsysteme und der Dominanz der Finanzmärkte über Fälle von Fremdenfeindlichkeit bis hin zu Umweltzerstörung, an und appelliert an die heutigen, vor allem die jüngeren Generationen, diesen gegenüber nicht gleichgültig zu sein, sondern sich zu empören.

So ehrenhaft und richtig die Intentionen des Verfassers sind, liefert der Text jedoch wenig Neues – und wenig Konkretes. Es handelt sich eher um eine wenig strukturierte Gedankensammlung. In dieser sind die Beschreibungen der heutigen Probleme wenig detailliert ausfallen und die Appelle zum Widerstand gegen diese ziemlich allgemein gehalten. Auch ist Hessels zentrale These, dass nur die Empörung zu politischer Aktivität führen kann und man sich heute Gründe zur Empörung suchen solle, schon recht fraglich. Kann ein solches Engagement nicht auch aus nüchterner Erkenntnis von schweren Fehlern der aktuellen Gesellschaft und der Einsicht in die (sachliche und moralische) Notwendigkeit aktiven Entgegenhaltens entspringen?

Zentraler Inhalt und die Ursache seiner Kritikpunkte ist letztendlich die neoliberale Ausgestaltung der Politik in den letzten Jahrzehnten. Hessel erläutert dabei aber nur kurz, welche Folgen die neoliberale Politik – vor allem in Frankreich – hatte und dass die, wie er sich ausdrückt, „internationale Diktatur der Finanzmärkte“ schädlich ist. Hier hätte man deutlich mehr leisten können. Er benennt zwar recht viele weitere Probleme, beispielsweise den Abbau des Sozialstaats, die Zunahme der internationalen Ungleichheit, die Kriege der USA, wachsende Ausländerfeindlichkeit, die gefährdete Unabhängigkeit der Presse, Rückschritte beim Klimaschutz – und versäumt es auch nicht, auch Erfolge der letzten Jahre zu benennen – er liefert jedoch keine genaueren Erklärungen oder gar Analysen, zeigt wenig Zusammenhänge auf.

Zwar führt er aus, dass die heutige Welt komplex sei, es nicht immer leicht sei, “Schuldige auszumachen”, neigt aber in seinen wenigen Ausführungen zu gesellschaftlichen Ursachen der kritisierten Probleme dann doch zu Personalisierung (egoistische Banker) statt zu strukturellen Analysen. Auch wenn seine Kritik an Egoismus und an der übergroßen Macht bestimmter Schichten und Akteure über Wirtschaft, Politik und Medien zweifelsohne Richtiges trifft – die Gefahr, sich in seiner Empörung einen einfachen Sündenbock zu suchen, ist vorprogrammiert. Nur kurz reißt er etwa Themen wie den Wachstumszwang des Kapitalismus an oder mahnt, dass der Abbau des Sozialstaates keineswegs alternativlos ist.

Als wichtigste heutige Aufgaben der Menschheit sieht er das Eintreten gegen Armut und für internationale Gerechtigkeit, die Menschenrechte und den Zustand der Erde an. Er bietet aber darüber hinaus kein weiteres Gegenprogramm – und nennt auch nicht solche, die die Probleme der Gegenwart angemessen erfassen und zu deren Lösung beitragen könnten. Seine häufige Berufung auf das Regierungsprogramm der französischen Résistance von 1944 – in dem auch zahlreiche soziale Rechte begründet wurden, die er heute gebrochen sieht – und auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen wirken leider recht allgemein und zudem, auch wenn sicher nicht so vorgesehen, etwas legalistisch. Freilich ist es auch schon ein großes Verdienst, Probleme aufzuzeigen, Aufmerksamkeit zu schaffen, und man kann sicher nicht erwarten, auf 19 Seiten das Rad neu zu erfinden – auch wenn manches was er schreibt – wie, dass es schlecht ist, wenn heute Menschen verhungern und unterdrückt werden – wohl auch ein Neoliberaler unterschreiben würde. (Die Richtung der Schrift ist aber klar links, und als progressiv einzuordnen.) (more…)

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Trier braucht Dich: Nazis die Suppe versalzen!

Am 26. März wollen bundesweit zusammengetrommelte Neonazis, organisiert durch die NPD, unter dem Motto „US-Kriegsbasis abwählen – Frieden jetzt“ durch Trier marschieren.

Konkreter Anlass ist ein Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dass gerade die durchweg militaristischen FaschistInnen, die keine Gelegenheit auslassen, die Kriegsverbrechen der deutschen Armee im zweiten Weltkrieg zu leugnen oder das Soldatentum zu glorifizieren, vorgeben für Frieden einzutreten, spottet jeder Beschreibung. Das Bündnis gegen Rechts Trier sagt dazu: Lassen Sie sich von der Fassade nicht täuschen, die NPD ist eine zutiefst faschistische Partei!

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Abschalten!

Zunächst einmal: Don’t panic! Die Sicherheit bei Naturkatastrophen ist bei den deutschen Atomkraftwerken nicht das größte Problem. Und auch bei den schlimmsten denkbaren Katastrophen sollten bei weitreichenden politischen Entscheidungen Fakten die entscheidende Rolle spielen. Panikmache hilft niemandem. Dennoch ist es auch unter dieser Prämisse richtig, gerade jetzt entschieden den Ausstieg aus der Atomkraft auch für Deutschland zu fordern.

Fukushima zeigt, dass auch als äußerst unwahrscheinlich eingeschätzte Fälle eintreten können – und treten diese ein, sind die Folgen so hoch, dass auch das äußerst geringe Risiko diese nicht legitimieren kann. Und auch aus vielen anderen Gründen ist die Atomenergie abzulehnen – seien es das ungelöste Endlagerproblem, gehäuft auftretende Fälle von Krebserkrankungen in der Nähe von Atomkraftwerken bis hin zu ökonomischen Gründen.

Kommt von Seiten der Atomkraftbefürworter nun der Vorwurf, die Aktionen der Anti-AKW-Bewegung seien eine Instrumentalisierung der Opfer in Japan und unverantwortlich, so kann man nur entgegenhalten: unverantwortlich war es, auf eine so gefährliche Energie wie Atomkraft zu setzen. Es gilt, dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder vorkommen wird.

 

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“Keine Lose für die Nieten!”

Das Kölner Landgericht hat mit einer einstweiligen Verfügung der Westlotto GmbH verboten, Personen, die “Spieleinsätze riskieren, die in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen stehen”, insbesondere Hartz-IV-Empfängern, Lotto- oder Wettspielscheine zu verkaufen. Bereits im Januar hatte ein anderes Gericht entschieden, dass, obwohl Lotto-Gewinne ja ansonsten steuerfrei sind, bei Hartz-IV-Bezieher ein Lottogewinn auf vom Regelsatz abgezogen werden muss. (Wo kämen wir auch hin, wenn in Zeiten des Finanzmarktkapitalismus Einkünfte erzielt würden, für die man nicht gearbeitet hat?)

Die Begründung des Lotto-Verbots für Hartz-IV-Empfänger mit dem Glücksspielstaatsvertrag und dessem vorgeblichen Ziel der Bekämpfung von Spielsucht erscheint wenig überzeugend. Dies ist sowieso eher eine  bloße Fassade, um das staatliche Glücksspielmonopol aufrechtzuerhalten und dem Staat nicht unbeträchtliche Einnahmen zu sichern. Und es ist äußerst fragil. Im Dezember hatte sogar das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das bestehende staatliche Sportwettenmonopol in Deutschland nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn es zur Bekämpfung von Glücksspielsucht dient.  Dem Urteil ging eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs voraus, der geurteilt hatte, dass das deutsche Sportwetten- und Glücksspielmonopol dem europäischen Recht widersprechen und einen Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in der EU darstellen würde. Zur Bekämpfung der Spielsucht könne ein solches Monopol zwar gerechtfertigt werden, Deutschland verfolge mit der derzeitigen Regelung dieses Ziel aber nicht wirksam. Das Gericht nennt hier etwa die Werbekampagnen für Lotto oder die Existenz privat betriebener Spielautomaten. Gerade dies zeigt am besten, wie bigott die deutsche Gesetzgebung ist. Der Suchtfaktor von Automaten-Daddelspielen ist der höchste aller Glücksspielarten – trotzdem dürfen ausgerechnet diese privat betrieben werden. Würde man das Thema wirklich ernst nehmen und nicht nur als Alibi benutzen, würde man hier ganz anders handeln müssen – aber bestimmt nicht mit einem pauschalen Verbot für bestimmte gesellschaftliche Schichten. (more…)

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