Ein schmaler Grat

Der Tod von Osama Bin Laden, der am Montag von Spezialkräften der US-Armee in seinem Versteck in Pakistan getötet wurde, muss wohl von niemandem betrauert werden. Doch bieten die Umstände seines Todes auch Grund zur Sorge. Denn es ist, das haben diese gezeigt, ein schmaler Grat zwischen Selbstverteidigung gegen Terroristen und Lynchjustiz. Es stellen sich außerdem rund um die Ereignisse des Einsatzes einige Fragen: Was hat es mit den Umständen seines Todes und seiner Bestattung auf sich? Wie ist das Vorgehen der USA insgesamt zu bewerten? Darf man Terroristen töten – und das eventuell auch gezielt? Was bedeutet der Tod von Osama Bin Laden für den “Krieg gegen den Terror” und die internationale Sicherheit? Und was schließlich könnten die Auswirkungen auf Deutschland sein? Auf diese Fragen soll versucht werden, hier eine Antwort zu finden und der Anstoß zu weiteren Diskussionen geben werden.

Der Tod Bin Ladens: Noch viele offene Fragen

Die Umstände während und nach Bin Ladens Tod sind geradezu prädestiniert für Verschwörungstheorien. Einige Fragen drängen sich für Jedermann auf: Wieso wurde die Leiche nicht obduziert? Warum diese schnelle (und im islamischen Gebrauch unübliche) Seebestattung? Vor allem: Was genau ist während des Einsatzes passiert? Dieses und noch Weiteres ist bisher unklar – und könnte es weiter bleiben. Präsident Obama hat entschieden, dass die Fotos des toten Bin Laden nicht veröffentlicht werden sollen. Ein schwer nachvollziehbarer Schritt, hätte man hier doch die üblichen Verschwörungstheoretiker widerlegen können. Einige Angaben unmittelbar nach dem Tod Bin Ladens und spätere widersprachen sich außerdem in wichtigen Punkten. Hieß es etwa zunächst, Bin Laden sei bewaffnet gewesen und habe eine Frau als “menschliches Schutzschild” benutzt, wurde beides später revidiert. Zweifel am tatsächlichen Tod Bin Ladens scheinen jedoch wenig begründet. Vielmehr könnte es der Ablauf des Todes Bin Ladens sein (der eventuell niemals öffentlich ganz aufgeklärt werden wird), der die “weiße Weste” der USA beflecken könnte.

Bildnachweis: The White House/ Flickr

Der genaue Ablauf des Einsatzes, der zur Tötung Bin Ladens führte, ist entscheidend für eine rechtliche und moralische Beurteilung. Die entscheidende Frage für die Bewertung ist dabei für viele, ob es sich bei der Aktion um den Versuch einer Festnahme oder um eine gezielte Tötung handelte. Bisher werden beide Varianten gehandelt. So spricht ein Angehöriger des Büros für Nationale Sicherheit gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters von letzterem, Obamas Sprecher dagegen von ersterem. Der CIA-Chef und designierte künftige Verteidigungsminister Leon Panetta schließlich sagte in einem Interview, die am Einsatz beteiligten Soldaten hätten die Berechtigung gehabt, Bin Laden zu töten. Wenn sie aber die Möglichkeit zu einer Festnahme gehabt hätten, hätten sie diese wahrnehmen sollen. Dies wird sogar konkretisiert: Das wäre etwa der Fall gewesen, wenn er plötzlich die Hände hochgenommen und seine Gefangennahme angeboten hätte. Dies sei aber nicht geschehen, es habe, so Panetta, einige “bedrohliche Bewegungen” gegeben, weshalb die Soldaten feuerten. Der Sprecher des Weißen Hauses gibt inzwischen an, Bin Laden sei in einem “unberechenbaren Schusswechsel” getötet worden. Er sei zwar nicht bewaffnet gewesen, habe sich aber “auf andere Weise gewehrt”. Allerdings hieß es später von Regierungsbeamten dann, nur zu Beginn des Einsatzes habe einer von Bin Ladens Männern gefeuert. Als die Soldaten den Raum Bin Ladens betraten, seien aber Schusswaffen in dessen Reichweite gewesen. (more…)

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Vermischtes: 9. November, Wirtschaftskriege, Bürgergeld, Lobbyismus

Einige Hinweise und Kommentare zu aktuellen Artikeln: Heribert Prantl wirft der Politik zum 9. November Heuchelei vor, wenn sei von einer christlich-jüdischen Tradition  in Deutschland spricht. Guttenberg spricht sich für Militäreinstze zugunsten wirtschaftlicher Interessen aus und vertritt damit genau den selben Standpunkt, wegen welchem Horst Köhler zurückgetreten war. Die Einführung eines Bürgergeldes würde in Wirklichkeit vor allem den Wohlhabenden nützen und sogar negative soziale Auswirkungen haben. Und das neue Vdeo von Alexander Lehmann zeigt, wie Lobbyismus in Deutschland funktioniert. (more…)

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Die Integrationsdebatte als Ablenkungsmanöver

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In Deutschland haben wir viel weniger ein Integrations-, denn ein soziales Problem. Nicht Herkunft oder Religion, vielmehr ist die soziale Spaltung die Ursache der meisten gesellschaftlichen Missstände. Die derzeitige Integrationsdebatte ist in erster Linie eine reine Show, die von diesen realen Problemen ablenken soll. Auch die derzeit stark ins öffentliche Interesse geratenen Fehler der Bundesregierung stehen auf diese Weise nicht mehr im Mittelpunkt. Doch indem immer stärker Politiker aus bürgerlichen Parteien auf rechte Parolen setzen, werden ausländerfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung noch weiter gefördert – und sie sind schon jetzt erschreckend verbreitet. Dadurch könnten vielleicht auch Kräfte des rechten Randes einen Aufschwung erfahren.

Ein paar Fakten zu “deutschenfeindlicher Gewalt” und kriminellen Muslimen

Sind integrationsunwillige Ausländer, ist deutschenfeindliche Gewalt tatsächlich das dringendste Problem in Deutschland? Gerne, aber dabei unvollständig bis falsch zitiert wurde in den vergangenen Wochen eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Angeblich, so die mediale Darstellung, besage diese, dass zwischen Religiosität und Gewaltbereitschaft ein signifikanter Zusammenhang bestünde – eine falsche Darstellung. Auch eine deutlich genauere und wissenschaftlich sauberere Studie der EU stellt fest, dass zwischen Religiösität und Jugendgewalt kein Zusammenhang besteht. Eher verantworlich seien persönlich erfahrene Diskriminierung, gesellschaftliche Ausgrenzung sowie das engere persönliche Umfeld. Die KFN-Studie besagt außerdem, so Direktor Christian Pfeiffer, dass es keine generelle Deutschenfeindlichkeit gebe und dass die vermeintliche Deutschenfeindlichkeit vermutlich vor allem mit Enttäuschung über mangelnde Integration zu tun habe.

Die Bundesregierung aber gibt sich alle Mühe, Linksextremismus, Islamismus und “deutschenfeindliche Gewalt” durch muslimische Jugendliche als größte und konkreteste Bedrohung Deutschlands darzustellen. Dazu zunächst ein paar aktuelle Fakten: Die Bundesregierung, speziell Familienministerin Schröder, will nicht nur Opfer rechtsextremistischer, sondern auch linksextremistischer oder islamistischer Gewalt unterstützen und hat ihre Programme entsprechend ausgeweitet. Wie sieht es bisher aus? Nun, von Opfern rechtsextremer Straftaten liegen bisher 71 Anträge vor – von Opfern linksextremistischer oder islamistischer Gewalt kein Einziger. Dieselbe Kristina Schröder erzählt ja nun gerne an jeder Ecke, dass sie schon mal als “deutsche Schlampe” beschimpft worden sei. Was – laut Schröders eigenen Angaben – wirklich hinter dieser Geschichte steckt, kann man beim Politblogger lesen, der auch alles Nötige dazu sagt. (more…)

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Schweineherbst

Im Herbst 2010 trauen sie sich also wieder aus ihren Löchern. Sie haben die Zeichen der Zeit erkannt: Man darf in Deutschland wieder hassen, man darf endlich die Schuld an echten und vermeintlichen gesellschaftlichen Problemen wieder einer einzigen Gruppe zuschieben. Sie wollen einer angeblich schweigenden Mehrheit eine Stimme verleihen, die in Deutschland längst keine schweigende Mehrheit mehr ist: Den empörten Spießbürgern, den Stammtischen.

Diese kennen integrationsunwillige und kriminelle Ausländer zwar meist nur aus dem Fernsehen und aus der Bild-Zeitung, “wissen” aber dennoch, dass  diese die absolute Mehrheit ausmachen, nahezu alle Türken und Araber Islamisten sind und “Multi-Kulti” gescheitert ist. Die Ausländer nehmen UNS “richtigen” Deutschen die Arbeitsplätze weg und schnorren gleichzeitig das Arbeitslosengeld, verprügeln täglich ihre Frau und mindestens einen Deutschen, wenn sie nicht grade mit der Vorbereitung des Dschihad beschäftigt sind. (more…)

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“Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!”

In einer “Diskussion” genannten, aber eher den Charakter einer Propaganda-Veranstaltung besizenden Sendung des Deutschlandfunks (MP 3) regen sich unter dem schon alles sagenden Titel “Man wird doch wohl noch sagen dürfen – Meinungsfreiheit zwischen Tabubruch und politischer Korrektheit” zwei nur zu bekannte Talkshowstammtgäste, Henryk Marvin Broder und Norbert Bolz, über angebliche Sprech- und Denkverbote in Deutschland auf. Ihre Thesen sind altbekannt, sie wiederholen sie schließlich ständig und allerorts in den deutschen Medien (was ihren Thesen natürlich schon Hohn spricht): Es gebe in Deutschland einer linke Meinungsdiktatur der 68er, die in den entscheidenden Positionen von Medien und Wissenschaft säßen. Die Medien seien fast alle links orientiert. Aufgrund der politcal correctnes könne man bestimmte Meinungen nicht öffentlich äußern. Und so weiter.

Lief im Deutschlandfunk vor der Sendung einmal ein Kommentar (MP3) in den deutschen Mainstream-Medien, der den niederländischen Rechtspopulisten und Islamhasser Geert Wilders als das charakterisiert, was er ist, wird dieser eine Kommentar von den Broder gleich als Beweis für eine linke Indoktrination der gesamten deutschen Medien genommen. An den Rassisten und Sozialdarwinisten (als den bezeichnet er ihn natürlich nicht) Sarrazin werde man sich vielleicht mal erinnern, da er die 68er-Vorherrschaft in Deutschland durchbrochen habe, so Bolz an anderer Stelle. Die “Moderatorin” tut wenig mehr, als die Thesen der beiden von der linken Meinungsführerschaft zu unterstützen und zu bekräftigen und ein paar Stichworte zu liefern. Von den beiden anderen Gästen ist auch keine Gegenmeinung zu hören: Der teilnehmende Journalist sagt zu dem Thema bewusst nichts (außer, dass die 68er ja auch nicht überall wären) und verliert sich in Nebenschauplätzen, die eingeladene ältere Autorin ist offensichtlich nicht mehr auf voller geistiger Höhe (“ich hab grad mal abgeschaltet”). Insgesamt war im öffentlich-rechtlichen Rundfunk lange keine derart einseitige Sendung zu sehen und hören – und das will was heißen.

BILD-Titel vom 4.9.2010 (1)

Was ich aber nicht verstehe:  Selbst wenn ich versuche, mich in deren Lage hineinzuversetzen – über welche “Denkverbote” in Deutschland regen sich die, sagen wir eher Rechtsorientierten eigentlich auf? Wo gibt es die denn bitte? Dass die deutschen Medien in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht ganz überwiegend neoliberal eingestellt sind, werden auch sie wohl kaum bestreiten (auch wenn sie dafür vielleicht andere Bezeichnungen verwenden). Und wie sieht es in den anderen Bereichen heute in der veröffentlichten Meinung in Deutschland aus? Sind dort etwa nur Ansichten der von den rechten Bösmenschen so verhassten “Gutmenschen” zu finden? Gibt es etwas, das man “nicht sagen darf”?

(1) Quelle: Carta

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Die größten Gefahren für Deutschland: Islamismus, Linksextremismus und Google

Wenn die Bundesregierung die Programme gegen Rechtsextremismus auf Linksextremismus und Islamismus ausweitet, geht sie dabei Hand in Hand mit den Vereinfachungen der Vertreter der kruden “Extremismustheorie”, und sie verharmlost nach Meinung der Opposition damit den Rechtsextremismus mit seiner Rekordzahl an Gewalttaten.

Manche Medien sind da aber schon deutlich weiter, etwa der Deutschlandfunk in einem Interview mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (ja, so wird er natürlich geschrieben, aber ich hab unten die falsche Schreibweise von der Homepage des DLF belassen, weil ich von dort zitiere). Nicht nur eine Gleichsetzung – der Linksextremismus und der Islamismus sind dort eine so große Gefahr, dass der Rechtsextremismus nicht mal einer Erwähnung bedarf:

Spengler: Jetzt sind wir schon bei der Bedrohungslage in der Bundesrepublik. Geht eigentlich noch die größte Gefahr von islamistischen Zirkeln aus, oder richten Sie Ihr Augenmerk nach vielen Anschlägen insbesondere in Berlin und Hamburg wieder verstärkt auf die linksextremistische Szene?

Ja, genau, das fragen wir uns doch alle täglich, ist denn nun die ganz konkrete, unmittelbare und allseitige Bedrohung durch den  Islamismus immer noch die größte Gefahr für unser aller Leib und Leben, oder brauchen wir etwas Neues, vor dem wir uns fürchten müssen, etwa den linken Linksextremismus von links? Man kann nirgends mehr um eine Straßenecke gehen, ohne dass einen ein Muslim oder ein Linksautonomer – ja was denn eigentlich? Der Rechtsextremismus mit mit seinen rassistischen, anti-semitischen, menschenverachtenden Ansichten, mit seinen Gewalttaten, mit seinen Morden? Ach was! Die Autos! Kann denn nicht einer mal an die Autos denken?! Auch wenn dabei nach Polizei-Angaben zu 50% gar kein politisches Motiv zu erkennen ist – egal! Die tatsächliche Bedrohung spielt keine Rolle. Wichtig ist die, die eingeredet und vielleicht irgendwann, wenn man Erfolg hat, dann auch empfunden wird.

Allem Anschein nach wurde dann aber die Richtung, in die dieser Qualitätsjournalist offensichtlich gehen wollte, selbst für unseren Innenminister etwas zu dubios, und er bringt wenigstens ein bisschen mehr Nüchternheit hinein:

Spengler: Der Verfassungsschutz sollte bis Mitte des Monats eine Bewertung des Linksextremismus vorlegen. Ist das geschehen und zu welchem Ergebnis ist er gekommen?

de Maiziére: Bis Februar, Herr Spengler, habe ich eine solche Analyse erbeten. Wir haben noch nicht Februar und dann werden wir die Konsequenzen ziehen. Wir haben es hier auch damit zu tun, dass wir es regional sehr unterschiedlich haben. Wir haben diese Phänomene insbesondere in Berlin und Hamburg. Deswegen wird mit den beiden Ländern natürlich dort in besonderer Weise zu untersuchen sein, was zu tun ist. Das ist ein langer Weg. Wir haben es auch gesehen bei der politischen Gewalt, die von Rechtsextremen ausgeht. Insgesamt ist die Anwendung von Gewalt nicht gestiegen, aber bei denen, die Gewalt anwenden, ist die Hemmschwelle, intensiv Gewalt auszuüben, gesunken und das macht mir Sorgen.

Und schließlich kommt noch eine dem kritischen Journalismus würdige Frage zur Netzpolitik:

Spengler: Herr de Maiziére, letztes Stichwort: das Internet, von dessen Sicherheit wir ja alle zunehmend abhängen. Die Regierung will eine eigene Kommission zur künftigen Netzpolitik berufen. Für wie groß halten Sie die Bedrohung durch die beherrschende Stellung von privaten Unternehmen, etwa von Google, die mehr über den Bürger wissen zu scheinen als die über sich selbst?

de Maiziére: (…)  Aber immer ist mit Freiheit auch Gefährdung verbunden und Verantwortung, und deswegen ist es wichtig und richtig, dass wir diejenigen, die große Datenbanken ansammeln – und das sind mehr die Privaten als der Staat -, auch in die Verantwortung nehmen, mit diesen Daten sorgsam umzugehen, und wir müssen erwarten, dass auch die Bürger mit ihren eigenen Daten vorsichtiger umgehen als in der Vergangenheit. (…)

Nun, das ist die bekannte Masche der Politik seit einiger Zeit: Google ist böse. Und die staatliche Vorratsdatenspeicherung, die Online-Durchsuchungen, die Internetzensur (die im Moment nur ausgesetzt ist), das alles wird verschwiegen. Aber dass nicht einmal dieser “Journalist” sie erwähnt und stattdessen so eine Frage stellt, zeugt einmal natürlich von kompletter Ahnungslosigkeit auf diesem Gebiet, aber auch wiedermal vom Niedergang der ehemaligen “vierten Gewalt”.

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Eingesperrt ohne Verdacht – der deutsche Rechtsstaat 2009?

Juli Zeh und Rainer Stadler schreiben im Süddeutsche Zeitung Magazin über den Fall eines marrokanischen Studenten, der während des Oktoberfestes ohne Verdacht inhaftiert wurde. Dieser Bericht zeigt wiedermal, wie weit die Bürgerrechte in Deutschland schon mit Hilfe einer Terror-Panik abgebaut wurden und wie weit die fundamentalsten Grundsätze des Rechtsstaats missachtet, umgedreht oder pervertiert werden:

Um ihren massiven Eingriff zu rechtfertigen, gibt sich die Polizei alle Mühe, Samir als höchst gefährlich erscheinen zu lassen. Seine Freunde heißen in dem Observationsbericht »Kontakt- und Vertrauenspersonen«; sein Bekanntenkreis ist ein »Geflecht«. Dass er sich in der Moschee mehrmals mit einem Bekannten unterhielt und beide das Gebäude »jeweils getrennt voneinander« verließen, wird als verdächtig eingestuft; ebenso wie der Umstand, dass Samir sich von der Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden belästigt fühlte. »Der Betroffene zeigte sich äußerst misstrauisch« und »versuchte, seine Verfolger abzuschütteln«. Weil Samir sich nicht in aller Ruhe von Unbekannten fotografieren und verfolgen ließ, schließen die Ermittler daraus, dass er »Freiraum für Aktivitäten gewinnen« wollte. Die Tatsache, dass Samir vor seiner Festnahme zweimal bei der Polizei anrief, um Hilfe gegen seine Verfolger zu erbitten, fehlt in dem Bericht.

Doch auch die Richterin hat sich das präventive Prognose-Denken zu eigen gemacht: In ihrem Beschluss wiederholt sie, was die Polizei zu Samirs angeblichen Kontakten zur Islamisten-Szene vorgebracht hat. Und schreibt: »Weitere Kontakte können nicht belegt, aber auch nicht widerlegt werden.« (…) Schließlich heißt es in dem Beschluss: »An die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.« Auf den Präventivstaat angewendet bedeutet dieser Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Ist das Szenario für einen Anschlag nur verheerend genug, haben die Sicherheitsbehörden weitgehend freie Hand.

Noch mehr haarsträubende Details zu den angeblichen “Verdachtsmomenten” in diesem Fall gibt es auch beim Stern unter “Angst vor einem Anschlag: Vorsorglicher Terrorverdacht”:

(…) waren Ermittler des bayerischen Staatsschutzes. Sie hatten den Mann seit längerem im Visier und dabei offenbar nicht mehr festgestellt, als dass er bis zum Mai dieses Jahres Kontakt zu einer Person hatte, die irgendwann im Jahr 2003 einmal Kontakte zu Bekkay Harrach hatte. Jenem Islamisten, der kurz vor der Bundestagswahl per Video zum Dschihad gegen Deutschland aufrief und seit 2007 im Verdacht steht, Kontakte zu Osama bin Laden zu haben.

Als Beleg für das konspirative Handeln von Marouane S. notieren die Beamten in ihrem Observationsbericht, der Betroffene habe am 25. September 2009 auf dem Weg zur Moschee “ständig seine Umgebung geprüft”. Außerdem habe die “Zielperson” bei einem Treffen mit einem anderen Verdächtigen “mehrfach das Tempo gewechselt und versucht, Verfolger abzuschütteln”. Möglicherweise, so wird spekuliert, um “Freiraum für Aktivitäten” zu gewinnen. Dass dieses Treffen inzwischen vier Monate zurückliegt, ficht die zuständige Ermittlungsrichterin am Amtsgericht München nicht an.

Glaubt man den Staatsschützern, dann gibt es in dieser Hinsicht nur vage Anhaltspunkte. So traf sich Hatem M. – der Mann, der zusammen mit Marouane S. in Gewahrsam genommen wurde – im Jahr 2003 in Bonn mit Bekkay Harrach. Und obwohl die Ermittler ausdrücklich erklären, dass es keinerlei Belege dafür gibt, dass auch Marouane S. den Islamisten Bekkay Harrach jemals getroffen hat, heißt es aus dem Münchner Polizeipräsidium überraschend, Marouane S. könnte sich durch die Terror-Videos seines “Freundes” Bekkay Harrach angesprochen fühlen und sie quasi als eine “persönliche Botschaft an sich” sehen. Die Ermittlungsrichterin geht sogar noch weiter. Trotz der gegenteiligen Aussage der Staatsschützer erklärt sie, “der Betroffene pflegte in der Vergangenheit Kontakt zu dem Verfasser der Videos und zwar über Hatem M.”.

Ein Student sieht sich – zu Recht – von den Handlangern des Überwachungsstaates verfolgt, wendet sich sogar an die Polizei – und gilt als terrorverdächtig? Weil er Muslim ist? Und deshalb fühlt er sich von Drohvideos, die jemand, den er nicht kennt, ins Internet gestellt hat, angestachelt als eine “persönliche Botschaft an sich”? Tun das vielleicht auch alle Muslime? Und wenn die Verdachtsanforderungen schrumpfen, je mehr die Größe der Gefahr wächst: He, die Terroristen könnten ja vielleicht Kontrolle über die pakistanischen Nuklearwaffen erlangen und einen Atomkrieg entfachen. Wie konkret müssten da die “Verdachtsmomente” sein? Vielleicht, dass jemand aus dem selben Land wie ein Terrorist kommt? Könnte man die nicht auch alle präventiv wegsperren?

Kein fassbarer Verdacht, allerhöchstens noch Indizien, die einen Verdacht vielleicht irgendwann einmal möglich machen könnten, solche Verdachtsanforderungen, die mit den Hinweis auf eine angebliche Terrorgefahr gerade mal in homöopathischer, also selbst für einen Experten wohl kaum wahrnehmbarer Höhe –  man könnte auch von einem Nichtvorhandensein sprechen –  liegen sollen, eine Beweislastumkehr – dies sind Vorgänge, für die in einem Rechtsstaat kein Platz ist. Stattet man Positionen in einer Gesellschaft mit Autoritätsrechten aus – v. a., wenn diese das Gewaltmonopol des Staates oder die Rechtssprechung ist – so benötigen die Personen, die diese ausfüllen, eine wirksame Kontrolle, damit diese nicht ausgenutzt und ausgehöhlt werden.

Und dieser Fall ist bei weitem kein Einzelfall – schaut nur mal bei annalist vorbei. All dies kann so gut wie jeden treffen. Die normalsten Handlungen können plötzlich “terrorverdächtig” sein oder einen “Terrorverdacht” “nahelegen”, wenn die Öffentlichkeit ersteinmal genug mit ständigen Terrorwarnungen bearbeitet ist. Wie real diese Gefahr ist, ist dabei unerheblich – wichtig ist, für wie real sie die Bevölkerung hält. Diese Gefahr wird in der veröffentlichten Darstellung niemals abnehmen – hat sich eine Warnung nicht als gerechtfertigt erwiesen, folgt reflexartig der Verweis, dass die Gefahr jedoch keineswegs veschwunden ist, nicht einmal kleiner geworden ist sie – sie besteht weiterhin und wird regelmäßig erneuert. Dass ist die Gesellschaft der Verängstigung und der Einschüchterung, die die Neokonservativen sich immer gewünscht haben, um die von ihnen ersehnte Stärkung der “Sicherheits”- und Überwachungsmaßnahmen zu verwiklichen und eine Stimmung zu erzeugen, in denen in anderen demokratischen Rechtsstaaten unrechtmäßige Verhaftungen und Gefängnisse, sogar die Anwendung von Folter durchgeführt, geduldet und unterstützt wird – alles im Dienste der Sicherheit vor der allseits und allerzeit bestehenden Gefahr. Die harte, autoritäre Hand des Staates, law und order – wobei man es mit dem existierenden law nicht immer so genau nehmen muss, wenn man es eigentlich verteidigen sollte.

Dies zeigt wieder mal umso mehr, wie sehr unser Rechtsstaat und unsere freiheitliche Demokratie verteidigt werden müssen gegen die, die ihn abbauen und einschränken wollen – auch unter dem Vorwand, ihn zu schützen.

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Der Hass der amerikanischen Rechten

Die amerikanische Rechte radikalisiert sich zunehmend in ihrer Ablehnung der Politik und v.a. der Person von Präsident Obama. Immer mehr blanker Hass schlägt ihm entgegen, immer mehr geifernde Wut. Wie tief verbreitet der Rassismus noch (zumindest unterschwellig) wirkt, zeigt sich etwa an der Debatte um Obamas Geburtsort, die von den konservativen Medien verbreitet wird. Ebenso bezeugt sich wiedermal eine verbreitete Islamfeindschaft. Wegen der Konjunkturprogramme (mit denen sich ja sogar George W. Bush zu Ende einer Amtszeit schon den Unmut der marktradikalsten unter den Republikanern zugezogen hatte) und der geplanten Gesundheitsreform wird Obama als “Sozialist” bezeichnet. Die Krone setzen dem Ganzen die Lügen der Neokonservativen über die Gesundheitsreform auf, die bis zum Vorwurf der Euthanasie gehen und selbst von Ex-Vizepräsidentschaftskandidaten Palin dem amerikanischen Volk aufgetischt werden.

Zu den härtesten und hasserfülltesten Gegenern Obamas gehören, wen sollte es wundern, gering gebildete weiße Amerikaner. Erschreckend ist dann aber, wie diese zunehmend Gewaltbereitschaft signalisieren und schon offen auf der Straße ihre Waffen präsentieren (siehe: Konservative in den USA: Obama, der Nazi-Muslim). Dabei erscheint mir immer wieder erstaunlich, wie radikal und unreflektiert gerade auch die viele der Verlierer des amerikanischen Systems, eben die ungebildeten, gering verdienenden Schichten, dieses System verteidigen und sich gegen Vorhaben der Regierung wenden, die ihre Situation massiv verbessern würde.

Man muss es sich immer wieder vor Augen führen: ein uneingeschränktes Recht auf Waffenbesitzt, Einschränkung bürgerlicher Freiheiten, Folter und Todesstrafe, Durchsetzung amerikanischer Interessen mit Gewalt, keine staatliche Umverteilung und eine so geringe Rolle des Staates in der öffentlichen Daseinsfürsorge wie möglich, das ist die Politik, für die die Gegner Obamas stehen; das Nichtvorhandensein des Klimawandels, Kreationismus und christlicher Fundamentalismus sind die Ideen, an die die meisten von ihnen glauben. Und es gilt sich immer wieder klar zu machen, dass “change” vielleicht in erster Linie ein Wahlkampfslogan war, dass dieser aber nichtsdestotrotz für die USA und für die Welt unerlässlich zu sein scheint.

UPDATE: Laut einem Bericht des britischen Observer (übersetzt beim Freitag: Es fehlt nur noch der Funke) steigt die Zahl gewaltbereiter rechtsextremer Milizen und auch die Gefahr eines Anschlagen auf Obama durch diese wächst. Diese Welle des Hasses ist nach Ansicht vieler Experten von der republikanischen Kampagne gegen die Gesundheitsreform sowie durch Nazi-Vergleiche konservativer Medien ausgelöst worde.

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