Von Zensursula zu Cencilia

Netzsperren: Auf ein Neues!

EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat einen Richtlinienplan vorgestellt, in dem u.a. auch Internetsperren gegen Kinderpornografie vorgesehen sind. Die Rhetorik und die Unredlichkeit der Argumentation sind ähnlich wie bei der Zensursula-Debatte und auch längst widerlegte Argumente der Zensursbefürworter werden recycelt. Die Vorschläge gehen dabei noch weiter als die vor der Bundestagswahl von Zensursula von der Leyen.

Während aber hier Wolfgang Schäuble indirekt zugegeben hatte, dass es sich bei den damaligen Plänen von Zensursula von der Leyen auch um ein Wahlkampfmanöver handelte, können derartige Motive diesmal nicht angenommen werden. Vielmehr scheinen tatsächlich der Aufbau einer Zensurinfrastruktur im Vordergrund zu stehen – zur Linie der EU-Kommission, zumal seit dem Lissabonvertrag, passt dies allemal. In der EU herrschen schon länger neokonservative Parteien und Einstellungen vor. Liberale Positionen git es meist nur noch in der Wirtschaftspolitik, wo grenzenlose Privatisierungen wie ein Götze verehrt werden. Auf dem Gebiet der Bürgerrechte hingegen macht es keinen großen Unterschied, ob sich die Parteien konservativ oder liberal nennen (oder sich selbst einer “Sozialdemokratie ” der “neuen Mitte” zurechnen). Das gilt auch für Cecilia Malmström, auch bereits als “Cencilia” oder “Censilia” bezeichnet. Denn ein genauerer Blick auf ihre politischen Tätigkeiten lässt sie schnell als Schönwetterliberale erscheinen.

Foto: AK Zensur / Lizenz: CC-BY

Wer ist Cencilia?

Vor ihrer Tätigkeit in der EU-Kommission galt Cecilia Malmström durchaus als große EU-Befürworterin, fiel aber in Europa zunächst eher mit ein paar Aktiönchen wie einer Initiative für Brüssel als einzigen Sitz des Europa-Parlaments auf. Sie trieb dann aber mit der konservativ-liberalen schwedischen Regierung  den Lissabon-Vertrag voran, besonders nach dem ablehnenden ersten Votum der Iren. Sie tat dies in Schweden, wo sie für die Ratifizierung eintrat und für das sie auch den Beitritt zur Währungsunion anstrebt, und auch in anderen europäischen Ländern, wo etwa Druck auf die polnische und tschechische Regierung ausgeübt wurde. Angesichts der im Lissabon-Vertrag vorgesehenen Möglichkeiten etwa zur Einschränkung der Grundrechte schon mal ein schlechtes Zeichen.

War sie vor ihrer Tätigkeit in der EU-Kommission eine heftige Kritikerin der EU-Direktive zur Vorratsdatenspeicherung, will sie diese nun lediglich (im Zeitraum bis September) hinsichlich rechtlicher Aspekte überprüfen lassen. Sie sah aber in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland auch keinen Widerspruch zur EU-Richtlinie, die “großen Spielraum lasse” und eine Umsetzung erlaube, “die mit den Grundrechten der deutschen Verfassung konform geht”. Eine grundsätzliche Kritik sieht ander aus, wirklicher Liberalismus sieht anders aus. Das geplatzte SWIFT-Abkommen mit den USA verteidigte sie ebenfalls. Es sei zwar nicht ideal, beinhalte aber genügend Einschränkungen und Auflagen (“begründeter Verdacht” und ähnliches). Beim Vorgehen zu SWIFT wurden alle demokratishen Defizite der EU bis aufs Äußerste ausgereizt – und darüber hinaus.  Nach der Ablehnung durch das Parlament will sie nun eine neue Vereinbarung “mit ambitionierten Sicherheitsstandards für die Privatsphäre und den Datenschutz erreichen”. Wenn man solche Phrasen hört, wird es klar, wo bei der Frage vermeintliche Sicherheit versus Freiheit die Prioritäten liegen. Malmström trat zwar letztes Jahr für eine Erweiterung der Europäischen Union auf die Balkanstaaten und die Türkei ein, legte aber unlängst einen Vorschlag zur Neuorganisation der umstrittenen EU-Grenzschutzagentur Frontex vor, der “ein einheitliches und hohes Kontroll- und Überwachungsniveau” gewährleisten soll. Er sieht etwa neue Hubschraubern, Schiffen oder auch Drohnen zur “Migrationsabwehr” und auch das Sammeln und Prozessieren von Personendaten vor. Malmström treibt damit den Ausbau der Festung Europa voran.

Ein “liberales” Bild ergibt sich eher in einem anderen Blickwinkel, wenn man nämlich auf die wirtschaftspolitischen Positionen schaut. Auf die “Liberalen” kann man sich immer noch verlassen, solange e nicht um die Interessen der Bürger, sondern der Wirtschaftselite der Industrieländer geht. Der Vorschlag einer Finanztransaktionssteuer lehnte Malmström im November (in ihrer Zeit als schwedische Euopaministerin) ab. Sie sei global nicht einzuführen, auf EU-Ebene “eher kontraproduktiv” und schade der Wirtschaft. Kritik an ihr kam auch auf bei einem Angebot auf dem Klimagipfel in Kopenhagen, das Malmström als  Beweis der “Führungsrolle der EU” bezeichnete. Dabei hatten die EU-Regierungen den Entwicklungs- und Schwellenländern aber lediglich 6,7 Milliarden Euro zusagen wollten, was jedoch als viel zu gering eingeschätzt wurde. Malmström hatte dagegen immer wieder betont, wie wichtig ihr der Umweltschutz sei.

Die “liberalen” Positionen von Cenculia Malmsträm erscheinen also insgesamt gesehen ziemlich leicht wandelbar – wie die der “liberalen” Parteien in der EU. Das liberale Europa ist tot.

Wie geht es weiter?

Über die Richtlinie würde der EU-Ministerrat abstimmen, aber eine qualifizierte Mehrheit würde reichen. Die Maßnahmen wären dann verpflichtend. Im Europäischen Parlament signalisiert sich Ablehnung von weiteren Teilen, aber für ein genaues Stimmungsbild ist es noch zu früh. Die CDU-/CSU-Europagruppe will sich dem Vorschlag anschließen. Es könnte also zum Streit in der Koalition kommen, in dem bei einer FDP, die sich zur Zeit stark selbst geschwächt hat,  extrem fraglich, ob sie sich wird durchsetzen können. Und wie nicht anders zu erwarten, steigen auch die deutschen Medien wieder in die Kampagne ein, so unseriös, uninformiert und schlicht falsch wie letztes Jahr bereits (allen voran das neue CDU-Staatsfernsehen und Springer).

Zudem muss man auch betrachten, dass viele Staaten inzwischen Zensurgesetze eingeführt haben – und dort, genau wie die Gegner derartiger Gesetze warnen, nicht nur kinderpornografische Seiten gesperrt werden. Die demokratischen Möglichkeiten in der EU sind außerdem weniger weit als auf nationaler Ebene, die Politik, auch beim Entstehen dieses Entwurfs, findet meist hinter verschlossenen Türen statt. Neben dem Parlament wird viel davon abhängen, ob sich die Europäische Zivilgesellschaft zu vernetzen und Einfluss auszuüben vermag – die besseren Argumente sind auf ihrer Seite.

Share

Zur Zukunft Europas

Eigentlich wollte ich ja heute zum Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages einen Blogpost schreiben über diesen Vertrag und dessen negative Seiten, die in der Mainstream-Presse gerne verschwiegen werden, noch einmal näher beleuchten. Und ich wollte schreiben über den erstarkenden Konservatismus in Europa, der sich, um ein paar ganz aktuelle Besispiele zu nennen, etwa im Volksentscheid der Schweizer gegen Minarette (und einigen Reaktionen darauf), in der Zustimmung zum SWIFT-Abkommen, einer Datenbank in Deutschland, die künftig zentral erfasst, wer an einem Streik teilgenommen hat, oder in Italien, wo Berlusconi Anti-Mafia-Autoren erwürgen will, ausdrückt.

Aber da sehe ich, dass Roberto J. De Lapuente bei ad sinistram bereits einen Beitrag geschrieben hat, wie man ihn besser wohl kaum formulieren könnte: Europa geht schwanger.

Er beschreibt darin den kleinbürgerlich-spießerischen Konservatismus, der in Europa vorherrscht, den Lissabon-Vertrag, der Demokratie nur vorgaukelt, die Bürgerrechte einschränkt, Militarismus stärt und die Lage der Entwicklungsländer noch schlechter werden lässt. Und er entwirft ein Zukuftsszenario von einem Europa, das geprägt ist vom Hass gegen Arbeitslose und “Sozialschmarotzer”, Muslime und Ausländer, einem Europa der Kleinkariertheit, der Disziplin. Dem Euopa der Konservativen.

Wie soll in einem Europa, das keinen klassischen Liberalismus mehr kennt, Toleranz mehr und mehr verliert, das immer tiefer in den (sozial-)rassistischen Sumpf gerät, wie soll in einem solchen spießigen und kurzsichtigen Europa, in dem die Einfältigkeit täglich heimischer wird, Auflehnung gegen Sozialabbau, Demokratiedefizit und Lissaboner Vertrag stattfinden? Es entspricht zuletzt dem Zeitgeist, all das hinzunehmen, auch wenn es wehtut, wenn es einem selbst Schaden zufügt; es dient doch letztlich nur der guten Sache, dient dazu, unnütze Esser und sonstiges Gesocks in die Schranken zu weisen. Dieses Europa nimmt alles hin, nimmt selbst die Unmenschlichkeit hin, um sich selbst im Wohlstand zu halten.

Aber lest selbst.

Share

Der Jesuitenschüler und die Baroness

Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU haben in gewohnt intransparenter Weise hinter verschlossenen Türen die durch den Vertrag von Lissabon geschaffenen neuen Posten ausgeschachert, mit zwei durchaus überraschenden Besetzungen.

Der belgische Premierminister Hermann Van Rompuy wird der erste Präsident des Europäischen Rates. Der als “tiefgläubiger Christ” beschriebene ehemalige Jesuitenschüler und Absolvent einer katholischen Universität stellt dabei den Vertreter der konservativen Parteien. Aufgrund eines üblichen Proporzes  hätte eigentlich ein Vertreter der linken das zweite Amt übernehmen sollen. Doch Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik soll die britische Baroness und Mitglied auf Lebenszeit des House of Lords Catherine Ashton  übernehmen. Sie als Mitglied der Labour Party als Sozialistin zu bezeichnen kann aber nur als mäßig gelungener Scherz betrachtet werden. Schließlich hat New Labour mit der konsequenten Fortsetzung der Wirtschafts- und Sozialpolitik Thatchers mit Maßnahmen wie grenzenlosen Privatisierungen, einem gnadenlosen Aufbau von Workfare-Politiken oder der Einführung von Studiengebühren eine am treffendsten als neoliberal zu charakterisierende Politik betrieben, die sich schließlich auch im Programm der Partei mit einem Abschied vom Ziel der sozialen Gerechtigkeit und eines umverteilenden Sozialstaates ausdrückte. Und mit dem Aufbau eines umfassenden Überwachungsstaates hat Labour eine Innenpolitik zu verantworten, wie sie etwa eine CSU nie durchführen würde. Nein, die Labour Party hat außer ihrer Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Europas kaum noch Gemeinsamkeiten zu einer sozialdemokratischen oder demokratisch sozialistischen Politik. Ein etablierter Außenpolitiker einer linken Partei wie bspw. Massimo D’Alema war offensichtlich vielen in Europa zu gefährlich.

Konservatismus und Neoliberalismus, Katholizismus und Adel, mit diesen beiden Personen wird nur die Politik fortgesetzt, die auch für die Entstehung des Lissabonvertrages kennzeichnend gewesen ist. Denn dieser Vertrag kann als ein Projekt der konservativen Eliten Europas charakterisiert werden. Er sorgt nicht für eine Beseitigung der demokratischen Defizite der EU (und schafft neue, z.B. dadurch, dass nur die Bürger Irlands über diese umbenannte EU-Verfassung abstimmen durften), er schafft Machtkonzentrationen, schreibt eine marktradikale  Wirtschafts- und Sozialpolitik mit weiteren Privatisierungen und Deregulierungen sowie eine Militarisierung und Aufrüstung fest und, schränkt Bürgerrechte ein.

Beide Personen haben aber noch etwas gemeinsam: sie gelten als weitgehend unbekannte und wenig profilierte Gesichter. Ashton hat zudem – auch nach eigener Bekundung – kaum Erfahrung auf dem Gebiet der Außenpolitik. Es kommt also die Frage auf, inwiefern sie sich gegen gestandene und einflussreiche Vertreter der EU-Staaten durchsetzen könnten. Tatsächlich wird es auch offen geäußert, dass die beiden sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner und die Kandidaten waren, die am wenigsten Konflikte zwischen den Regierungschefs auslösten. Man scheint Kandidaten gesucht zu haben, die den Vertretern der Nationalstaaten nicht die Show stehlen.

Jedoch muss dies aber – nun kommt die Überraschung – keinesfalls negativ gesehen werden. Den beiden neu geschaffenen Posten mangelt es an demokratischer politischer Legitimität. Die Bürger Europas haben auf sie und ihre Politik so gut wie keinen Einfluss, und auch die Parlamente haben diesen nicht. Ein einziges Treffen der Regierungschefs soll die Legitimation für deutlich umfassendere Kompetenzen und Machtressourcen als bisher darstellen? Dazu kommt, dass die Kompetenzen deutlich in nationale Politiken eingreifen, wie gesagt ohne dafür genügend demokratisch legitimiert zu sein. Die Ausweitung des Mehrheitsprinzips in der EU wird dazu führen, dass wenige vorwiegend konservative Politiker eine Macht über die Bürger und die demokratischen Institutionen sowohl der EU als auch ihrer Mitgliedsstaaten erhalten werden. Insofern sind zwei schwache Vetreter auf den beiden neu geschaffenen Posten das beste, was man sich wünschen kann. Eine Ausweitung der europäischen Integration auf weitere Politikfelder und eine handlungsfähigere Europäische Union sind durchaus wünschenswert – aber nicht, wenn diese derart undemokratisch und intransparent gestaltet ist wie im Vertrag von Lissabon.

Share

Der Vertrag von Lissabon: Gründe für eine Ablehnung

Gegen Lissabon heißt nicht gegen die EU

Nun haben also die Bürger Irlands sich im einem zweiten Referendum doch für die Annahme des EU-Vertags von Lissabon ausgesprochen. Auch wenn man den europäischen Einigungsprozess und auch ein wirtschaftliches Zusammenwachsen der europäischen Staaten befürwortet, kann man durchaus gegen den Vertrag von Lissabon sein. Man braucht weder ein Nationalist noch ein Kommunist zu sein, der jede Förderung eines marktbasierten Wirtschaftssystems von vornherein ablehnt. Und das nicht nur Vorurteile und Ressentiments, wie es oft dargestellt wird, sondern durchaus auch rationale Gründe gegen den Vertrag von Lissabon sprechen, soll im folgenden Beitrag erläutert werden.

Eine Verfassung für die Bürger ohne die Bürger?

Die ursprünglich geplante Verfassung für Europa wurde in  repräsentativen Umfragen von einer Mehrheit der europäischen Bürger nicht befürwortet – und von den Bürgern Frankreichs und der Niederlande in Volksabstimmungen abgelehnt. In Deutschland wurde eine solche gar nicht erst durchgeführt – obwohl Art. 146 GG ausdrücklich sagt:

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Die EU-Verfassung ist also gescheitert, könnte man denken. Ist sie das? Nein, denn im Umgang der politischen Eliten mit dem Votum des Volkes zeigt sich wieder, was erstere von letzterem halten. Kriegt man keine “EU-Verfassung” auf dem direkten Weg, führt man sie durch die Hintertür ein. Im Grundlagen-Vertrag für die EU von Lissabon sind 96% des Textes derselbe wie in der abgelehnten Verfassung. Nur bietet er den Komfort, nicht erst das Volk darüber abstimmen lassen zu müssen. Nur Irland hat dies getan, nur die Iren durften über eine EU-Verfassung ohne diesen Titel abstimmen. Am 12. Juni 2008 lehnten sie den Lissabon-Vertrag ab.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte für Deutschland, dass der Vertrag von Lissabon zwar mit dem Grundgesetz vereinbar sei, dass es aber Begleitgesetze verfassungswidrig sind, soweit den Gesetzgebungsorganen keine hinreichenden Beteiligungsrechte eingeräumt wurde, es keine demokratisch nicht legitimierte Zustimmung Deutschlands zu EU-Gesetzen geben dürfe, die die nationale Souveränität betreffen, die Kompetenzen der EU erweitern oder die Abstimmungsmodalitäten ändern.

Demokratiedefizite

Europa soll mit einer Stimme sprechen, wird immer wieder gefordert. Doch das dann lieber nicht mittels einer europäischen Demokratie oder wirklichen Beteiligungsrechten des Europäischen Parlamentes (oder gar der Bürger Europas). Auch wenn das Europäische Parlament im Lissabon-Vertrag etwas aufgewertet wird, wirkt es immer noch wie die Simulation einer Volksvertretung in einem autokratischen Staat. Die Kommission ist weiter nur indirekt demokratisch legitimiert, und  sie trifft als Exekutive legislative Entscheidungen.

Nein, man  möchte lieber eine starke Stimme mittels eines “starken Mannes”, mittels einer höheren Konzentration von Macht und Autorität in weniger Händen (auch die Verkleinerung der EU-Kommission und anderer Institutionen wird immer wieder mit der “Handlungsfähigkeit” begründet, stellt aber tatsächlich auch eine Verkleinerung der Entscheidungsbasis dar – so dass manche kleineren Länder in manchen Bereichen sogar gar nicht mehr mitsprechen dürfen). Diese offenbar bei den europäischen Konservativen vorhandene Sehnsucht nach autoritärerer Politik will man mittels der Stärkung des Ratspräsidenten und der Schaffung des Amtes eines Europäischen Außenministers durchsetzen. Auch wenn man ein entschiedener Befürworter eines stärkeren politischen Zusammenwachsens Europas ist: die Außen- und Sicherheitspolitik ist das Kerngebiet staatlicher Selbstbestimmung, und das nicht ohne guten Grund: hier geht es um Krieg und Frieden. Man stelle sich nur vor, Deutschland müsste aufgrund eines Mehrheitsvotums in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg – sagen wir einmal der USA – ziehen.

Dem i das Tüpfelchen setzt noch auf, dass die europäischen Eliten mit dem Vertrag von Lissabon die Demokratisierung der EU als abgeschlossen betrachten wollen. Ein Europa, in dem Entscheidungen auf transparentem Wege über ein demokratisches Parlamentsverfahren und über Volksabstimmungen getroffen werden, mit so einem Europa könnten sich sicherlich deutlich mehr Europäer identifizieren. Doch der Lissabon-Vertrag läuft eher in die entgegengesetzte Richtung.

Aufrüstung und Militarisierung

Der Vertrag von Lissabon verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur Aufrüstung.  Auch dass er die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht anstelle, sondern zusätzlich zu der nationalen fördern will, kann kritisch betrachtet werden. Militärische Mittel werden gegenüber zivilen überbetont. Unbedingt betrachtet werden sollte dabei auch eine Studie des EU Institute for Security Studies: What ambitions for Europeans defence in 2020?, in der ein internationaler, auch militärisch und “mittels des gesamten Spektrums hoch intensiver Kampfmaßnahmen“ geführter Klassenkampf des reichen Nordens gegen die “unterste Milliarde” der Menschen des armen Südens zur Stabilisierung der internationalen Klassengesellschaft gefordert wird (siehe: Krieg gegen die Armen). Menschen, die so denken, darf man nicht die Macht über einen großen Militärapperat übertragen.

Bürger- und Menschenrechte

Die EU-Verfassung erlaubt staatliche Hinrichtungen und Tötungen von Menschen in einem Kriegszustand  oder zur Niederschlagung eines Aufruhrs. Auch wenn diese Regel rechtlich für viele Staaten, u.a. auch für Deutschland nicht gilt, gilt sie doch für andere und zeigt, aus welchem Geist dieser Vertrag gemacht ist. Bei den Menschen- und Bürgerrechten fällt der Vertrag nach Meinungen einiger Kritiker deutlich hinter  das Grundgesetz und sogar hinter die UN-Menschenrechtserklärung zurück.

Problematisch erscheint auch die Rolle der EU im Gebiet der inneren Sicherheit. Verschiedene Maßnahmen  hin zum Überwachungsstaate wurden als Maßnahmen zur Terrorabwehr über Europa eingeführt. Die Vorratsdatenspeicherung etwa wurde über den Umweg über die EU in Deutschland umgesetzt – und als “Sachzwang” verkauft.

Freier Markt über alles

Im Vertrag von Lissabon wird die freie Marktwirtschaft festgeschrieben. Auch wenn sich auch Formulierungen zur “soziale Marktwirtschaft” finden: diese verfolgt nach eigenen Angaben auch die FDP. Was dahinter steckt, ist klar: die Privatisierungs- und Deregulierungswelle, die von der EU in der Vergangenheit angestoßen wurde, soll fortgesetzt werden, die Staaten weiter auf Sozialabbau und Einschränkung von Leistungen der öffentlichen Daseinsfürsorge gedrängt werden.

Und ein weiteres Problem stellt sich: im deutschen Grundgesetz ist bewusst die Frage nach der Wirtschaftsform außen vor gelassen. Diese wollten die “Väter des Grundgesetzes” der demokratischen politischen Auseinandersetzung überlassen. Eine Festschreibung einer Wirtschaftsform in der Verfassung (auch wenn diese nicht so genannt wird) bedeutet ein weniger an Demokratie.

Das Ja Irlands: “Wer für die EU ist, ist für Lissabon”

Die Iren haben den Vertrag von Lissabon beim ersten mal teilweise vielleicht auch aus falschen Gründen abgelehnt. Jedoch spielten auch einige der hier genannten eine Rolle.

Wie kann man die jetzige Zustimmung erklären? Zunächst lief seit der Ablehnung im Juli letzten Jahres eine groß aufgelegte Kampagne über Lobbyisten,  Medien und Parteipolitiker an, die weniger an Argumente, denn an Gefühle, v.a. an Ängste, anknüpfte (wobei ich nicht sagen möchte, dass Kampagnen zur Ablehnung des Vertrages nicht bestanden und diese nur auf Argumenten beruhten – auch dort spielten irrationale Ängste eine Rolle). V.a. die Auswirkungen der Finanzkrise, die durch EU-Hilfsmittel stark abgemildert wurden und das Land vor stärkeren Verwerfungen bewahrten, wirkten sich aber positiv aus. Verbunden mit einer Propaganda nach dem Motto “wenn ihr nicht gegen die EU seid, müsst ihr für den Vertrag stimmen”  oder “eine Stimme gegen den Vertrag ist eine Stimme gegen EU-Hilfen” dürfte diese bei der Zustimmung zum Vertrag die größte Rolle gespielt haben.

Der Vertrag von Lissabon als Projekt der konservativen Eliten Europas

Der Vertrag von Lissabon hebt Demokratiedefizite der EU nicht auf, sondern schafft, allein schon durch die fehlende Zustimmung der Bürger Europas, neue. Er lässt Trends zu einer neoliberalen Wirtshhafts- und Sozialpolitik, zur Militarisierung und zum Abbau von Bürgerrechten erkennen. Insgesamt muss er als ein Projekt der konservativen Eliten Europas angesehen werden – seit Samstag zudem als erfolgreiches.

Der konservative und neoliberale Wind aus Europa wird sich verstärken – was jedoch nicht bedeutet, dass man die EU jetzt ablehnen muss. Die EU ist eine großartige Idee, die auch in weiten Teilden sehr positiv verlaufen ist. Heute bedürfen wir jedoch mehr denn je einer kritischen Gegenöffentlichkeit und einer Zivilgesellschaft – und einer Schwächung der Konservativen in Europas Parlamenten und Regierungen. Damit sie die Mittel nicht ausnutzen können, die ihnen der Vertrag von Lissabon bietet.

Share

Irland!

Irland1

Irland ist ein schönes Land. Und das einzige, dass seine Bürger über den Vertrag von Lissabon abstimmen lässt. Am 12. Juni 2008 lehnten die Iren den Vertrag erstmals ab. Nun müssen wir noch einmal unsere Hoffnung auf dieses schöne Land setzen.

Share