Bachelor und Master – bildungspolitischer Ausdruck des neuen gesellschaftlichen Leitbildes

Bachelor/ Master – Wo sind die Gewinner?

„Mitten im Treffen hat uns die Ministerin schon vorgelesen, was sie später verkünden wird.” So eine studentische Teilnehmerin an dem „Runden Tisch“ mit Bundesbildungsministerin Annette Schavan, dass diese mit u. a. mit Vertretern der Studierenden führte (vgl. http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/studenten-enttaeuscht-von-schavan/).  So also möchte die Bundesregierung dem massiven Unmut, der sich in den verschiedenen Protestformen rund um den Bildungsstreik geäußert hat, begegnen. Die Kritik der Betroffenen an einer der weit reichendsten bildungspolitischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte scheint auf taube Ohren zu stoßen.

„Vielleicht hat es seit dem Ende der platonischen Akademie in Athen ein so einschneidendes Datum in der Geschichte der menschlichen Bildung nicht mehr gegeben“ schreibt die Süddeutsche Zeitung (http://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/219/336068/text/print.html).

Dabei erscheint die Situation rund um die Bachelor-/ Master- Studiengänge in der Tat skurril. Studierende und Lehrende beschweren sich gleichermaßen über eine Verschulung der Universität, gestiegenen Leistungsdruck und ein bloßes Hinterherjagen hinter den „credit points“ . Und selbst die Wirtschaft scheint die neuen Bachelor-Absolventen in den allermeisten Berufen nicht gerade mit Kusshand entgegen zu nehmen. Es ist offensichtlich eine Lage in der deutschen Bildungspolitik entstanden, die kaum jemanden zufrieden stellt und die überwiegend Verlierer kennt.

Und auch bei anderen bildungspolitischen Maßnahmen sind sich die Experten selten einig: das dreigliedrige Schulsystem selektiert sozial, Studiengebühren schrecken vom Studium ab und verhindern den Zugang sozial schwacher Schichten an die Hochschulen.

Welche Interessen, welche Ideen und Ideologien, welches Leitbild steckt also hinter der aktuellen Bildungspolitik, das stärker ist als die Interessen der Betroffenen und die Meinungen der Wissenschaft?

Kürzeres Studium, billigere Arbeitskräfte

Das unmittelbare Interesse am Anfang der Entstehung des Bologna-Prozesses zunächst scheint gegen alle Bekundungen nicht eine stärkere Vergleichbarkeit der europäischen Studiengänge und leichtere Wechsel zwischen diesen (etwa durch Auslandsaufenthalte) gewesen zu sein. In diesem Bereich ist in der Tat im Vergleich zu den vorigen Studiengängen erstaunlich wenig geschehen. Meist ist es sogar schwerer als vorher, für sein Studium ins Ausland zu wechseln, u. a. durch die massive Mehrbelastung in kürzerer Zeit, die einen Auslandsaufenthalt unattraktiver erscheinen lässt, und immer noch nicht verschwundene bürokratische Hürden. Auch eine stärkere Vergleichbarkeit der Studiengänge oder eine erleichterte Anerkennungen von Studienleistungen ist selten erfolgt.

Vielmehr, so eine oft geäußerte Meinung, scheint das wirkliche Interesse hinter dem Bologna-Prozess die „Produktion“ von „Schmalspur-Studium“-Absolventen mit einem kürzeren Studium und daraus folgenden niedrigeren Lohnansprüchen zu sein. Besonders drastisch offenbare sich dieses Interesse in der vieler Orten anzutreffenden Regelung, dass nicht alle Bachelor-Absolventen den Master machen dürfen. Die kürzere Studiendauer dient also, wenn sie jemandem dient, den Interessen der Privatwirtschaft.

In deren Folge wir der zu vermittelnde Stoff komprimiert und „überarbeitet“, dadurch und durch Einschränkung der bisher realtiv freien Kombinationsmöglichkeiten mit dem neuen Studiensystem soll in erster Linie leicht und schnell wirtschaftlich verwertbares Wissen, frei von kritischem oder moralischem Balast, in den Vordergrund der Universitätsbildung gerückt werden. So schrieb etwa die Süddeutsche Zeitung:

„Diese drei Strukturprozesse – Verschulung des Studiums, Separierung von Forschung und Lehre, Außensteuerung statt Innensteuerung – haben alle Mächte des durchrationalisierten, auf anwendbares Wissen basierten Wirtschaftssystems auf ihrer Seite.“

Unkritische Stoffvermittlung, Disziplinierung, Entdemokratisierung

Die mit Bachelor/ Master einsetzende starke Verschulung des Studiums könnte als Motivation eine Verhinderung einer eventuellen Hinterfragung des und kritischen Auseinandersetzung mit dem Lehrstoff haben. Die Studenten sollen durch Anwesenheitspflichten, häufigere und strengere Leistungskontrollen diszipliniert werden.  (Schon das Schulsystem möchte ja die Prinzipien, Autoritäten, in diesem Fall die Lehrer, nicht in Frage zu stellen, sondern sich diesen gegenüber gehorsam und diszipliniert unterzuordnen, vermitteln.)

Denn das System von Modulen, Leistungspunkten, Studienzeiten, Prüfungen und praktischen Studienfächern, die Hierarchisierung und Bürokratisierung der Abläufe, das Zielgerichtete und Arbeitsmarktorientierte der neuen Studienmuster – all das bricht hier so radikal wie nirgendwo sonst mit den bisherigen Formen des Studiums … Studienzeiten und Studienkonten, Studienpunkte und Creditpoints, berufspraktische Übungen, Kontrollen und Vergleichbarkeitskriterien sorgen planmäßig dafür, dass Ungezwungenheit und Absichtslosigkeit aus dem Studium verbannt werden.“, so die Süddeutsche Zeitung.

Durch den gestiegenen Leistungsdruck entfällt die Zeit für außeruniversitäre Aktivitäten zu einem beträchtlichen Teil. Neben dem Studium zu arbeiten, um dieses zu finanzieren, wird schwerer möglich, die soziale Selektion des Bildungssystems wird verstärkt. Auch der Zeitraum für etwa politische oder soziale Aktivitäten oder die Tätigkeit in der studentischen Selbstverwaltung und den Gremien der Universität, wird knapper.

Zusammen mit der Bildungspolitik der konservativ/ liberal regierten Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg, in der es keine Verfasste Studierendenschaft gibt, und Hessens, in der die Gelder für die Verfasste Studierendenschaft nur bei dem Erreichen einer Wahlbeteiligung von 25% gezahlt werden, könnte dies also (wiewohl möglicherweise auch als unbeabsichtigtes Nebenprodukt) eine weitere Maßnahme gegen eine grundlegende Demokratisierung des Hochschulbereichs darstellen, hinter der die Idee einer kompletten Demokratisierung der Gesellschaft  steht (und im Endeffekt auch der Wirtschaft,  was Konservative und Wirtschaftsliberale fürchten).

Bachelor/ Master, Studiengebühren, dreigliedriges Schulsystem – bildungspolitische Manifestation sozialer Ungleichheit

Die Umstellung auf die Bachelor/ Masterstudiengänge ist aber nur im Zusammenhang mit anderen bildungspolitischen Maßnahmen der letzten Jahre sinnvoll zu betrachten. Das dreigliedriges Schulsystem, die Einführung von Studiengebühren und die Schaffung von Eliteuniversitäten stellen eine institutionalisierte Manifestation von sozialer Ungleichheit dar.

Heute ist es eine kaum bestrittene Erkenntnis der Bildungsforschung, dass das dreigliedrige Schulsystem Entscheidungen über die Zukunft der Schüler oft nicht aufgrund ihrer Leistungen, sondern aufgrund ihrer sozio-ökonomischen Herkunft trifft, dass es die soziale Schwächeren auch in der Bildung schwächt.

Eine neue Untersuchung zu Studiengebühren kommt zu dem Ergebnis, dass sich zwei Drittel der Abiturienten vor den Kosten eines Studiums fürchten. Geldsorgen führten oft zu der Erwägung eines Studienverzichts beziehungsweise eines -abbruchs (vgl: http://www.heise.de/newsticker/Zwei-Drittel-der-Abiturienten-fuerchten-sich-vor-den-Kosten-eines-Studiums–/meldung/141298).

Als Erklärung, dass diese Bildungspolitik dennoch betrieben wird, kann man die These aufstellen, dass die Struktur der sozialen Unterschiede dadurch bewahrt bleiben und so das Herrschafts- und gesellschaftliche und soziale Hierarchiesystem des Kapitalismus perpetuiert werden soll.

Interpretation: Umfunktionierung der Bildung zur Reproduktion des neoliberales Leitbildes

All diese Maßnahmen erscheinen sich zu manifestieren als Ausdruck des im Laufe der letzten 25 Jahre immer stärker werdenden Leitbildes der „Leistungsgesellschaft“, in der eine breite Entsolidarisierung gefördert und gefordert wird. Im Bereich der Reproduktion dieses Leitbildes kommt der Bildung eine bedeutende Rolle zu. In der Schule, in der Ausbildung, in der Universität wird systematisch gelehrt, dass der Mensch für seine Arbeit lebt, dass es darauf ankommt, sich selbst so gut wie möglich zu vermarkten und zu verkaufen , um für sich selbst möglichst viel Geld zu verdienen.

In der Hochschulausbildung will man eine wissenschaftliche Elite schaffen, die leistungsbereit, aber zugleich unkritisch und entpolitisiert ist. Das Leitbild des neutralen Wissenschaftlers, der frei von jeglichem moralischem Urteil handelt und die Ergebnisse seiner Forschung per Marktmechanismen dem Höchstbietenden verkauft, stellt dabei das Idealbild dar.

Ausbreitung des Neoliberalismus verlangt Gegenbewegung – herrschaftsfreier Diskurs bei sozialer Gleichheit

Die neoliberale Gedankenlehre hat es geschafft, nach Wirtschaft, Medien und Politik sich auch auf den Bereich der Bildung auszuweiten. Dabei entsteht im Zuge dieser immer stärker werdenden Aneignung der Gedanken, der als „alternativlos“ dargestellten Logik immer währender Konkurrenz, laut der jeder Mensch ausschließlich nach seiner persönlichen Nutzenmaximierung trachtet und in der der Einzelne nur das wert ist, was er wirtschaftlich zu leisten vermag, gerade um so mehr der Bedarf nach einer Gegenbewegung, die sich eines umfassendenden und demokratischen Bildungsbegriffes bedienen muss.

Eine solche Bildung, die der Befreiung der Menschen dienen soll, darf keine sozialen Barrieren aufweisen, sie muss kritisches Denken fördern und auf einem herrschaftsfreien Diskurs beruhen. Zudem ist es unerlässlich, dass sie auch ethische und moralische Werte vertritt und übermittelt.

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6 thoughts on “Bachelor und Master – bildungspolitischer Ausdruck des neuen gesellschaftlichen Leitbildes

  1. http://www.nachdenkseiten.de/?p=4064

    Der Staat fördert Studierende aus armen und reichen Haushalten fast gleich

    “…Im Hinblick auf die allgemeine Auffassung, dass es nötig ist, mehr Studierende von sozio-ökonomisch benachteiligten Schichten zu mobilisieren, stelle sich die Frage, ob der vorhandene Mix von indirekten und zielgerichteten Unterstützungen angemessen ist, dieses Ziel zu erreichen, resümiert die Studie. Und weil indirekte Unterstützung in Form von Steuererleichterungen diejenigen Studierenden bevorzugt, deren Eltern ein hohes Einkommen haben, stelle sich die Frage, ob diese Art der Unterstützung wirklich angemessen ist…”

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