Ein paar Gedanken zur WM

Wenn mehrere Sport-Berichterstatter Politik-Talkshows moderieren, kann man auch, wenn man sich sonst eher den politischen Themen zuwendet, mal ein paar Betrachtungen zur Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika anstellen. Und wie erstere, um komplizierte politische und wirtschaftliche Zusammenhänge für das Publikum (und sich selbst) verständlich zu machen und die aufgetragene Botschaft rüberzubringen, oft Vereinfachungen aus der Welt des Sport benutzen (“Wir brauchen wieder einen Führungsspieler”, “Hauptsache wir gewinnen, egal wie!”), so werden auch hier neben den fußballerischen Betrachtungen einige politische und gesellschaftliche Zusammenhänge Erwähnung finden.

Nervige Tröten, nervige Übertragung, nervige Schiedsrichter

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Die WM ist bisher eine überwiegende Enttäuschung. Natürlich, man kann es nicht oft genug wiederholen, trägt die Hauptschuld der unerträgliche laute und monotone allgegenwertige Vuvuzela-Pegel. Völlig egal ob das “dort” nun mal dazugehört – so macht Fußballkucken, und, wie fast alle Mannschaften beklagen, auch Fußballspielen keinen Spaß. Blasmusik ist auch Kultur und muss dennoch nicht von allen geliebt werden – und wenigstens besteht sie aus mehr als nur einem einzigen Ton! Ja, dieser eine einzige Ton, 90 Minuten lang, ohne jegliche Variation!!! Es gibt keine Stimmung, keinen Jubel, Gesänge gehen sowieso unter, nichts. Jedes Spiel, jede Spielsituation ist akustisch genau die gleiche.

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Die Kommentatoren wollen diese nervige Geräuschkulisse noch überbieten. Neben Platitüden treten oft Vorurteile und andere fragwürdige Botschaften (näheres siehe unten). Die Analyse-Teams schwanken in ihrer Qualität. Sind Jauch/Klopp und Netzer/Delling wenigstens noch relativ unterhaltsam und liefert Scholl (mit Beckmann) noch etwas fußballerischen Sachverstand, gibt Kahn bei Müller-Hohenstein meist nur Binsenweisheiten von sich. Die anderen Teams sind so farblos, dass sie einem kaum einfallen mögen.

Dier übertragenen Bilder sind grausig. Man sieht kaum Bilder aus den Stadien. Eine WM ohne Fans ist aber nur eine halbe. Während die Regie bei der letzten WM meist die richtige Balance fand zwischen dem Spiel, Wiederholung von wichtigen Momenten und Bildern des Publikums und von der Trainerbank (und es dabei manchmal eher bei den beiden letzteren übertrieb), sind jetzt pro Spiel höchstens mal zwei kurze Einblendungen von den Zuschauern im Stadion zu sehen. Dazu kommen ständige extreme Zeitlupen, aber ausgerechnet wichtige Situationen werden dann nicht wiederholt. Die Werbung kommt natürlich nirgends zu knapp (wenigstens im RTL-Livestream sieht man stattdessen Trailer und ein bisschen Werbung für Seiten mit Videoclips).

Die Schiedsrichter machen bei dieser WM viele Spiele kaputt. Der Maßstab, wie Karten vergeben werden, ist völlig verrutscht, wenn jede Berührung zu jeder Karte führen kann. Oft werden die Mannschaften doppelt oder dreifach bestraft, wenn ein Spieler wegen einer geringfügigen Aktion im Strafraum vom Platz gestellt wird, die Mannschaft also einen Spieler weniger hat, einen Elfmeter gegen sich erhält und, wenn es der Torwart war, der Ersatztorwart eingewechselt werden muss. Hier müssen unbedingt andere Regeln her, soll der Fußball nicht zu reinen Glücksspiel verkommen.

Schöner Fußball? Da ist man meist fehl am Platz

Ohne die ganzen Fehlentscheidungen der Schiedsrichter, Handspiele im 16er und Torwartfehler hätte diese WM aber andererseits ihren Tornegativrekord noch einmal drastisch unterboten. Die kleinen Mannschaften scheinen aber auch deshalb diesmal erfolgreicher, weil sie sich auf die Defensivarbeit konzentrieren.

Viele Favoriten haben bisher enttäuscht. Wenn doch mal einer ganz gut spielt, wie Brasilien oder die Niederlande, sind die Kommentatoren aber dennoch die meiste Zeit damit beschäftigt, zu erzählen, wie schlecht der Favorit eigentlich spiele. Das wäre natürlich zu verkraften, wenn die anderen Mannschaften schönen Fußball bieten würden. Aber meist sieht man den “erfolgsorientierten Ergebnisfußball”, den die deutschen Kommentatoren energisch uunterstützen. “Es kommt nicht darauf an, ob man schön spielt, sondern darauf, dass man gewinnt!” Für das einzelne Spiel mag das ja wahr sein – aber der Fußball lebt nun mal ganz allein von den Zuschauern, und wenn die weg bleiben, brechen auch die Einnahmen weg.

Natürlich kann man diese Ansicht auch als eine Parallele oder Verstärkung derer ansehen, die die herrschenden Kräfte in der Gesellschaft durchsetzen wollen: Hauptsache, man setzt sich gegen den anderen durch, egal wie man das erreicht. Jedes Mittel ist recht für den Erfolg, wie im Fußball, so im Leben. Und das ist nicht die einzige auch gesellschaftliche zu verstehende Botschaft, die die Medien rund um den Fußball zu transportieren versuchen.

Nationalismus, rassistische Vorurteile, Führersehnsucht – muss das sein?

WIR haben ein Tor geschossen, die Nationalspieler haben ein Gegentor kassiert. WIR haben gut verteidigt, der Sturm war schwach. WIR kriegen einen Elfmeter zugesprochen, Podolski verschießt ihn. Wenn die deutsche Nationalmannschaft gewinnt, hat Deutschland gewonnen, haben WIR gewonnen. Verliert sie, haben die Spieler auf dem Platz das Spiel verloren.

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WIR, die Deutschen an sich, sind natürlich diszipliniert, ordentlich und fleißige Arbeiter, auch auf dem Fußballplatz. Die Engländer schlagen die Bälle nach vorne und das Land kann keine guten Torhüter gebären. Die Südamerikaner können nun einmal Fußball spielen, das haben sie “im Blut”. Das kann dabei auch beliebig ausgeweitet werden, Hauptsache im Süden. Da können sie halt schönen Fußball, wenn auch sonst wenig. Auch die in Deutschland aufgewachsenen Mesut Özil und Sami Khedira haben wegen ihrer südländischen Herkunft technische Fähigkeiten, kriegt man dann tatsächlich zu hören. Allerdings neigt der Südländer auch zu Nickligkeiten und versteckten fiesen Fouls, während der Südosteuropäer einfach hart rumbolzt und foult. Dem Afrikaner wird man niemals beibringen können, finanzielle Angelegenheiten nicht kurz vor dem Spiel regeln zu wollen, das geht einfach nicht. Keine Chance! “Der Neger” kann nun mal nicht anders!

Hier wird Alltagsrassismus nicht nur wiedergegeben, hier wird er verstärkt und oft auch erzeugt. Und wenn ein Spieler ein ganz tolles Gefühl haben muss, fällt einem dazu kein anderer Vergleich mit einer anderen ganz tollen Situation ein als mit einem – Reichsparteitag??? Doch nein, Deutschland ist ja gar nicht rassistisch, es schiebt zwar Flüchtlinge ab, bürgert aber die guten Ausländer ein, wenn man sie gebrauchen kann, z.B. im Fußball. Alles in Ordnung also.

Und das ZDF heute journal “berichtet” tatsächlich, dass mit dem Aus der französischen Nationalmannschaft dort auch das “Multi-Kulti”-Modell  (dass weiße und schwarze Spieler in der Mannschaft spielen) gescheitert sei. Gerade das ZDF scheint wirklich unaufhaltsam auf dem Weg nach rechts außen.

Und immer wieder, immer wieder hört man die Botschaft, man brauche wieder Führerungsspieler. Philipp Lahm wird in einem Interview mit fünf Fragen dreimal befragt zum Thema Führungsspieler, Führungsaufgaben, Führungsstil und reagiert eher irritiert. Ist er der richtige Mann dafür, bringt er die richtigen Führungsqualitäten mit oder ist nicht eher ein anderer der Chef auf dem Platz, fragen demzufolge auch die Kommentatoren immer wieder, wenn Deutschland spielt. Nahtlos geht dies dann natürlich weiter in den Politik-Talkshow-Simulationen, wo man sich endlich ein Machtwort der Kanzlerin wünscht, starke Führungskräfte für das Land braucht und die deutsche Jugend nicht genug Disziplin zeigt.

Die deutsche Mannschaft und ihr Trainer

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Bei den Spielern muss zuallererst Disziplin herrschen, die Autorität des Trainers darf in keiner Weise in Frage gestellt werden, seinen Befehlen ist Folge zu leisten. Tut man das nicht, kann man auch als vielleicht bester Stürmer der Saison zu Hause bleiben müssen. Und auch wenn im defensiven Mittelfeld, wenn Schweinsteiger und/oder Khedira ausfallen sollten, nur noch Spieler da sind, die dort höchstens äußerst selten gespielt haben (am ehesten noch Boateng oder Aogo), wird Thorsten Frings auch nach einer überragenden Saison nicht nominiert, weil er sich mal beschwert hat, dass er bei einem Spiel nicht dabei war.

Ist man dagegen Spieler des FC Bayern, muss man sich wie Holger Badstuber auch nach einer äußerst schwachen Partie keine Sorgen machen, auch wenn mit Jansen und Aogo (oder auch Boateng, dann wäre auch Lahm auf links möglich) durchaus gute Alternativen bereitstünden. Natürlich sollte man gerade junge Spieler nicht allzu schnell herunterputzen. Allerdings kann man auch anderen jungen Spielern Chancen vesperren,  was es auch nicht besser macht. Und Miroslav Klose zehrt immer noch von vergangenem Ruhm und einzeln aufblitzenden guten Momenten. Apropos Sturm: Gegen Serbien kriegte es Löw tatsächlich fertig, 30 Minuten ohne Sturmspitze spielen zu lassen. Anstatt z.B. Podolski in den Sturm zu stellen und Özil über links kommen zu lassen, und natürlich am besten in der Halbzeit Cacau einzuwecheln, lässt er Özil als vordersten Spieler allein, auch wenn er auf dieser Position deutlich schlechter spielt.

Löw scheint sowieso eine geradezu pathologische Angst vor Positionswecheln zu haben. Nicht mal wenn der einzige Stürmer ausfällt, stellt er um. Andere Besipiele: Nachdem er Badstuber rausnimmt, verteidigt Friedrich in der Dreier-Kette auf links, was er noch nie getan hat, anstatt ihn nach rechts und Lahm nach links zu stellen. Und es gibt noch viele solcher Beispiele. Am krassesten war wohl aber die Aufstellung im Testspiel gegen Ungarn, als er Jansen einwechselte und nicht etwa Jansen als linken Verteidiger (wo er sehr oft spielt und wohl auch in der Nationalmannschaft Chancen hat, auch wenn er im linken Mittelfeld stärker sein mag), Podolski im linkem Mittelfeld (wo er in der Nationalmannschaft inzwischen meist spielt) und Westermann im defensiven Mittelfeld (wo er gelegentlich spielt) spielen lässt, sondern Jansen als linken Mittelfeldspieler einsetzt (so weit so gut), Westermann als linken Verteidiger (was er selten spielt) und Podolski tatsächlich ins linke defensive Mittelfeld stellt, wo dieser noch nie gespielt hat, weil dort seine Fähigkeiten überhaupt nicht zur Geltung kommen – und er auch ziemlich untergeht.

Und noch etwas ist merkwürdig bei Löws Spielerauswahl: man kann noch in einem Spiel Stammspieler sein, wird man einmal für ein Testspiel nicht nominiert, kann man sicher sein, dass man nie wieder spielen wird, egal, wie gut man auch ist (einige Beispiele: Frings, Metzelder, Ernst, zukünftig vielleicht ja auch Hitzlsperger). All diese Entscheidungen des Trainers sind schwer nachvollziehbar, sind eher unrationale Entscheidungen, die aber nicht kritisiert werden (dürfen), da der Trainer nicht kitisiert wird (werden darf). Anders natürlich der Franzose, so die deutsche Presse, der streikt ja auch beim Fußball. Auch wenn das angesichts dieses Trainers durchaus nachvollziehbar erscheinen kann (auch wenn man ihn ja nicht gleich so übel beleidigen muss wie Anelka).

Dennoch hat die deutsche Nationalmannschaft ihre zahlreichen Ausfälle gut kompensiert und bisher mit den attaktivsten Fußball gespielt. Mal sehen, was sie und die WM insgesamt noch bringen werden.

Bilder

(1) Wikipedia (Berndt Meyer) / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en

(2) Flickr (Madebyr.de) / http://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/deed.de

(3) Kamelopedia / GNUFDL (basierend auf Wikipedia / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

(4) Wikipedia (Florian K) / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

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