Alle (Staats-)Gewalt geht vom Volke aus?

Von Frank Benedikt

Zumindest, wenn man den Stimmen aus der CDU Glauben schenken möchte, ging die Gewalt am Donnerstag in Stuttgart ja vom Volk aus. Die Bilder und die Verletztenstatistiken sprechen allerdings eine andere, ungleich beredtere Sprache: Mindestens 116 verletzte S21-Gegner laut Polizeipräsidium Stuttgart, von verletzten Polizisten ist bisher nichts bekannt. Selbst wenn es nicht mehrere Hundert Verletzte oder gar “1000 Personen (mit) Augenverletzungen” sind, wie die NZZ am Donnerstag Nachmittag schrieb – es zeigt, daß hier seitens der Polizei massiv gegen die Demonstranten vorgegangen wurde.

Die exzessive Gewaltorgie in der schwäbischen Landeshauptstadt, die Stadt- und Landesregierung gleichermaßen zu verantworten haben, fand nach allen vorliegenden Berichten und Videoaufnahmen ohne jede Berechtigung statt. Von Seiten der S21-Gegner wurde keine Gewalt ausgeübt, sondern maximal passiver Widerstand geleistet, der, wie es auch Don Dahlmann schreibt, im Sinne der “Verhältnismäßigkeit der Mittel” keinesfalls ein derartiges Vorgehen seitens der Einsatzkräfte gerechtfertigt hat. Ist dies die Art des Staates, mit seinen Bürgern umzugehen? Prügelstrafe bei unbotmäßigem Verhalten?

Nach all den Jahren, in denen vor allem auch um gigantomanische Großprojekte immer wieder heftige Auseinandersetzungen geführt wurden, erinnert dieser neuerliche Versuch, die Interessen der Bürger zugunsten der Wirtschaft zu vernachlässigen und ökonomische Interessen mit aller (Staats-)Macht durchzusetzen, fatal an die Zeiten von Brokdorf, Gorleben, Wackersdorf und Startbahn West. Wieder steht eine Mehrheit der Bevölkerung gegen eine politisch gewollte Entscheidung, wieder soll diese – ohne Rücksicht auf Verluste – durchgesetzt werden. Ob dabei, zumal in Zeiten leerer Kassen, wirklich ökonomische und auch soziale Gesichtspunkte berücksichtigt werden, bleibt dahingestellt. Argumente für und gegen das Projekt “Stuttgart  21″ finden sich jedenfalls reichlich und die Frage stellt sich, wem dieses Projekt denn nun eigentlich nützen soll? Den Bürgern, die dank Niedriglöhnen oder Hartz IV nicht einmal mehr genug Geld in der Tasche haben, sich ein – gelegentlich auch im Rahmen einer Sonderaktion vergünstigtes – Bahnticket zu kaufen oder der Wirtschaft und den vom Glück mehr Begünstigten, die an möglichst schnellen Verbindungen interessiert sind, obwohl diese nicht nur von Technik, sondern wesentlich auch von Logistik bestimmt sind?

Nein, die Entscheidung, “Stuttgart 21″ auch gegen den Willen der Bürger durchzusetzen, ist eine klar politische: Widerstand von Seiten des Volkes gegen Entscheidungen seiner Repräsentanten kann und wird nicht toleriert werden. Ein direktes Mitspracherecht der Bürger ist zwar von der Landesverfassung seit 1952 bzw. 1974 vorgesehen, ist aber in der Praxis schwer durchzusetzen und wird von der Regierung Mappus augenscheinlich nicht gewünscht; stattdessen setzt es Hiebe für die Bürger. Seit vorgestern sind wir alle Stuttgarter. Willkommen im “heißen Herbst”!

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Weitere Links zum Thema:

Viele weitere Links finden sich drüben bei der opalkatze: http://opalkatze.wordpress.com/2010/09/30/s21-man-prugelt-keine-burger/

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3 thoughts on “Alle (Staats-)Gewalt geht vom Volke aus?

  1. So wie das in der Presse zu lesen ist, hat die Politik die grösste Schuld an dem Polizeieinsatz. Irgendwie verstehe ich die CDU nicht. Die schreien wirklich laut, wählt mich ab. Sei es bei den Atomkraftwerken oder besonders bei Stuttgart 21. Eine Regierung die gegen das Volk regiert wird bei der nächsten Wahl dafür abgewählt.

  2. Etwas ernüchternd wirkt da schon der Artikel von Roberto J. De Lapuente:
    http://ad-sinistram.blogspot.com/2010/10/wo-protest-ist-ist-demokratie.html

    Daraus kann man nun, wenn man möchte, ableiten, dass sich keine Regierung von selbst abschafft. Man muss also die Gesamtlage realistisch einschätzen und danachgehend sein Handeln bemessen.

    Optimistisches Szenario:
    Es wird ein Moratorium geben und man einigt sich mit der Bahn darauf, den Kopfbahnhof zu renovieren.
    Pessimistisches Szenario:
    Es wird die nächsten Jahre alles noch extremer werden. Mehr Demos, mehr Teilnehmer. Mehr Polizei, mehr Gewalt. Und am Ende ein Bahnhof stehen, den niemand benutzen und haben will. Es wird Anschläge (Sachbeschädigung) gegen das Bahnhofsgelände geben. Man wird die ersten “1984”er Kontrollsysteme in Stuttgart einführen, um das Gelände und die Passagiere aus der Business-Class zu schützen.

    Realistische Schätzung:
    Am Ende ist es wie mit den AKWs, das Volk ist machtlos und bekommt die Prügel ab (physisch durch Polizei;psychisch durch Politiker). Der Bahnhof wird endlos lang gebaut und es wird immer mehr Pannen geben dabei (vgl. Endlager, AKWs). Damit werden sich noch 2 Generation abquälen müssen und es wird wohl daher ein “Jahrhundertprojekt”…

  3. @ ebook leser:
    Jemand von der CDU hatte sogar gesagt, dass sie bereit wären, für Stuttgart 21 notfalls in die Opposition zu gehen. Wenn die wirtschaftlichen Interessen größer sind als die Machterhaltungsinteressen einer politischen Partei, müssen sie wirklich groß sein.

    @ m4rc:
    Ja, ich halte auch letzteres für recht realistisch. Die wichtigere Frage für mich aber wäre, welche Auswirkungen die Proteste auf andere politische Themen und das Verhalten der Bevölkerung zu denen haben wird. Werden jetzt auch Demos gegen AKWs, Hartz IV oder anderes mehr Zulauf erhalten? Ich bin da nicht ganz so zuversichtlich, wie zurzeit viele.

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