“Vorwärts immer, rückwärts nimmer” – die SPD in der Zwickmühle

Ein Gastartikel von Frank Benedikt

Noch sind es offiziell gut zwei Jahre bis zu den nächsten Bundestagswahlen, aber schon jetzt wird über den nächsten SPD-Kanzlerkandidaten eifrig spekuliert. Dabei könnten sich viele verrechnen.

Das Zitat im Titel stammt ja eigentlich von Erich Honecker, aber es gibt nach Ansicht des Autors auch ganz gut den Zustand der SPD “nach Schröder” wieder, wobei eine Abwandlung vorzunehmen ist: Die SPD kann weder vorwärts noch rückwärts. Das hat Gründe – ein Rück- und Ausblick.

Historisch gesehen wäre es wohl richtig, bei der Bewilligung der Kriegskredite 1914 anzufangen, aber trotz der Dynamik, die dauerhaften Organisationen innewohnt, wäre es vermutlich unredlich, da die Nachkriegs-SPD nur bedingt in der Nachfolge der traditionellen Partei zu sehen ist. So soll nur ein Blick auf die bundesrepublikanische SPD geworfen werden, da sie sich nach dem Verbot während der nationalsozialistischen Diktatur 1946 neu organisieren musste.

In den folgenden Jahrzehnten wurde die SPD in der Öffentlichkeit vor allem als Partei der Arbeiter und kleinen Angestellten wahrgenommen, wenn auch bereits 1959 im Godesberger Programm die Orientierung hin zur Volkspartei vollzogen wurde. Wesentlicher Eckpfeiler war seinerzeit das glaubwürdige Eintreten für Frieden und soziale Gerechtigkeit – Werte, mit denen sich die SPD-Wähler im allgemeinen stark identifizieren konnten. Diese Glaubwürdigkeit war es auch, die der Partei von Bundestagswahl zu Bundestagswahl Stimmenzuwächse brachte und ihr 1966 erst die Regierungsmitverantwortung in der ersten Großen Koalition eintrug, bevor sie dann 1969 mit Willy Brandt den ersten sozialdemokratischen Kanzler der Nachkriegszeit stellen konnte. Bei den Wahlen 1972 erreichte die Partei dann ihren Zenit  und konnte bei der Wiederwahl von Brandt bisher nie mehr erreichte 45,8 Prozent der Stimmen holen.

Doch schon wenige Jahre später unter Helmut Schmidt, der Nachfolger für den aufgrund der Guillaume-Affäre zurückgetretenen Willy Brandt geworden war, begann der Niedergang der SPD. Mit dem Aufkommen der Anti-Atombewegung und infolge der Gründung der Grünen gingen der Partei unter dem “Atomkanzler” Schmidt zunächst viele Kernkraftgegner von der Fahne. Als Helmut Schmidt dann den von ihm wesentlich mitinitiierten NATO-Doppelbeschluss durchsetzte, verlor die Partei auch bei den Pazifisten und Kriegsgegnern an Sympathie. Ein Zwischenhoch bei der Bundestagswahl 1980 war im Wesentlichen dem Umstand geschuldet, daß eine Mehrheit der Bundesbürger auf keinen Fall einen Kanzler Strauss haben wollte. Das konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die SPD in der Wählergunst bis Mitte der 90er Jahre auf dem absteigenden Ast war.

Mit der Wiedervereinigung und der zunehmenden Enttäuschung über das Ausbleiben der Kohlschen “blühenden Landschaften” konnte die SPD zwar vorübergehend wieder an Boden und schließlich auch 1998 und 2002 die Wahlen gewinnen, aber gerade Gerhard Schröder, den sie als Spitzenkandidaten ins Rennen schickte, sollte sich schließlich als ihr Verderber erweisen. Zunächst beteiligte sich die rot-grüne Koalition unter seiner Kanzlerschaft am zumindest kontrovers gesehenen Kosovo-Krieg, was seine Partei (ebenso wie die Grünen) Mitglieder und Stimmen kostete. Dann legte Schröder seine neoliberale und sehr umstrittene “Agenda 2010″ vor, die unter anderem die Hartz-IV-Gesetze mit sich brachte und auch viele verprellte, die bisher in der Partei noch einen “Hort der sozialen Gerechtigkeit” sahen. Das war nicht mehr die SPD, die sie zu kennen glaubten: “Seeheimer Kreis” und “Nürnberger Mitte” gewannen zunehmend an Einfluß in der Partei und drängten die traditionelle Linke zurück. Die Folge waren erneut sinkende Wahlergebnisse, wobei die Sozialdemokraten bei der Wahl 2009 mit nur 23 Prozent der Zweitstimmen ihr bisher schlechtestes Nachkriegsergebnis einfuhren.

Nach der letzten Sonntagsfrage liegt die SPD laut Forschungsgruppe Wahlen momentan zwar wieder bei 29 Prozent (Emnid: 27 Prozent) und damit klar vor den Grünen, aber wie will die Partei beim Wähler punkten?

Das Umweltthema ist schon länger von den Grünen besetzt, und auch die Union unter Kanzlerin Merkel geriert sich angesichts der Tragödie von Fukushima neuerdings als “Anti-Atom-Partei”; beim Thema “Frieden” ist auch kein Blumentopf zu gewinnen. Bis auf DIE LINKE haben alle Parteien im Bundestag für den Afghanistan-Einsatz gestimmt – die SPD war dabei sogar federführend – und tragen ihn bis heute mit. Blieben als “Großthemen” noch Bürgerrechte (seit jeher eine Domäne des liberalen Flügels der FDP), Wirtschaft (da traut der Wähler Union und FDP meist mehr Kompetenz zu) und soziale Gerechtigkeit. In der Folge der Schröderschen Agenda hat die Partei dieses “Urthema” an DIE LINKE verloren – es gibt kaum noch jemanden im Land, der der SPD hier eine erneute Wende und die Abkehr vom eingeschlagenen Kurs zutraut. Die Parteienlandschaft erodiert, denn auch die andere große Volkspartei, die Union, verliert zusehends an Wählerstimmen und Mitgliedern zugunsten “der Kleinen”. Bei der SPD aber ist dieser Trend besonders deutlich, zumal sich auch die Mitgliederzahlen trotz des Beitritts der Mitglieder aus den neuen Bundesländern seit Mitte der Siebziger nahezu halbiert haben.

Wenn bereits jetzt der nächste sozialdemokratische Kanzlerkandidat  zur Diskussion gestellt wird, so ist das mehr als müssig. Weder Steinbrück noch Steinmeier, die sich derzeit beide in einem Umfragehoch gegenüber einer angeschlagenen Kanzlerin sonnen können, werden wohl auch nur das innerparteiliche Rennen für sich entscheiden. Steinbrück nicht, da ihm dank seiner  Nähe zur Wirtschaft und der deutlichen Unterstützung der Hartz-IV-Gesetzgebung der Rückhalt durch die SPD-Linke fehlen dürfte, und auch Steinmeier nicht, der als Architekt dieses neuen, oktroyierten “contrat social” gilt. Beide sind auch nicht “sexy”, nicht strahlende Vertreter eines Neuanfangs, sondern stehen für ein “weiter so”. Da die Partei aber, wie zu vermuten steht, ohne eine Neuausrichtung – ähnlich wie die FDP – nicht wieder zur alten Stärke zurückfinden kann, wären beide eine glatte Fehlbesetzung. Eine glaubwürdige Abkehr vom neoliberalen Mantra wäre nur mit frischen, unverbrauchten Gesichtern möglich. Diese aber scheinen weit und breit nicht in Sicht. Sollte dennoch einer der Beiden das Rennen machen und Kandidat werden, so dürften doch die Leser des “Der Westen” recht behalten, die beinahe zur Hälfte der Ansicht sind, daß die SPD “auf Jahre” hinaus keinen Kanzler mehr stellen wird.

Zu schwach steht “die alte Tante SPD” da. Sie hat Glaubwürdigkeit verspielt und treue Wähler verprellt, zudem zeichnet sich – gerade ob der Schwäche von Union und FDP und dank der Merkelschen Anpassungsfähigkeit – eine neue Option am Horizont ab, die den rosaroten Kanzlerträumen einen jähen Todesstoss versetzen könnte: Die schwarz-grüne Koalition. Diese Möglichkeit ist nicht länger von der Hand zu weisen, wie auch die arrivierte Presse zeigt – in den Blogs hörte man bereits früher das Gras wachsen.

Für die traditionsreiche SPD wird es schwer, sehr schwer werden, die Zeichen der Zeit zu erkennen und sich zu verändern. Zu sehr haben einerseits Traditionsbewußtsein und Anspruch, andererseits gerade aber auch die “Schröderianer” die Partei verbogen und am Blick auf das Volk gehindert. Um aber dem Anspruch einer “Volkspartei” gerecht zu werden und nicht dereinst das Schicksal der SED zu teilen, ist dieser Blick unabdingbar.

Frank Benedikt

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