Kombilöhne: sinnvoll oder nicht?

Hartz IV und die Agenda 2010 haben in den letzten Monaten viel an Zustimmung verloren. Auch die urprünglichen Architekten in der SPD sind von vielen Punkten abgerückt. Die Höhe der Leistungen steht dabei, sicher auch zu Recht, im Zentrum der Kritik. Doch wie sieht es mit anderen Aspekten der Hartz-Gesetze aus? Wie sind sie, v.a. aus arbeitsmarktpolitischer Sicht, zu bewerten? Gehören auch sie auf den Prüfstand? Hier soll als ein Punkt zunächst einmal das Konzept der staatlichen Kombilöhne betrachtet werden.

 

Konzept und Praxis von Kombilöhnen

Kombilöhne beschreiben eine staatliche Subvention von Niedriglöhnen. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: entweder werden die Niedriglöhne direkt für den Arbeitnehmer durch staatliche Transfers aufgestockt, oder der Arbeitgeber erhält Lohnkostenzuschüsse oder Abschläge bei Sozialversicherungsbeiträgen als Subventionen vom Staat zur  Einstellung/ Beschäftigung, z.B. auch von bestimmten Arbeitnehmerzielgruppen (etwa Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen).

In Deutschland gibt es die Zuschüsse zweiten Typs nur zu Beginn neuer Beschäftigungsverhältnisse. Der erste stellt sich so dar, dass es Hinzuverdienstmöglichkeiten bei Bezug des ALG II gibt. Die Zahl dieser “Aufstocker” liegt in Deutschland bei über einer Million, die meisten davon arbeiten als geringfügig Beschäftigte in Mini-Jobs oder Teilzeitarbeit. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Arbeitslose verpflichtet werden, für eine befristete Zeit Arbeitsgelegenheiten, die “im öffentlichen Interesse liegen” zur “Sicherung ihrer Beschäftigungsfähigkeit”  bei einem äußerst geringen Zuverdienst wahrnehmen zu müssen (“1-Euro-Jobs”).

 

Argumente pro Kombilöhne

Laut der neoklassischen Wirtschaftstheorie ist Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland deshalb entstanden, da die Löhne im Niedriglohnbereich über der Grenzproduktivität dieser Arbeiten lag. Die Gewerkschaften hätten zu hohe Löhne für Geringqualifizierte durchgesetzt, (wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass diese über einem reinen Marktlohn lägen), deshalb seien in diesem Bereich Beschäftigungshemmnisse enstanden. Durch eine stärkere “Spreizung der Löhne nach unten” könne mehr Beschäftigung gefördert werden. Zu gewährleisten, dass man “von seiner Arbeit leben könne”, sei nicht Aufgabe der Wirtschaft, sondern eine staatliche Aufgabe. Deshalb müsse dieser die Löhne von Geringqualifizierten wenn nötig bis zum Existenzminimum aufstocken.

Durch die Beschäftigung von 1-Euro-Jobbern kann außerdem ein Nutzen durch Arbeiten für die Gesellschaft entstehen, für den keine Nachfrage in der Privatwartschaft gegeben ist. Jede Art von Arbeit für Arbeitslose steigere außerdem deren Beschäftigungsfähigkeit und ihre sozialen Fähigkeiten. Gerne werden auch Parolen wie “keine Leistung ohne Gegenleistung” verwandt, doch stellen diese eher Populismus als echte Argumente dar (diese wurden vorher aufgezählt).

 

Argumente gegen Kombilöhne

Ein Risiko wäre, dass es für ALG II-Empfänger rational erscheinen könnte, aufzustocken, statt einer regulären Beschäftigung nachzugehen. Die Hinzuverdienstmöglichkeiten sind in der Tat äußerst schlecht. Bis 100 Euro kann man zwar dazuverdienen, ohne dass dies angerechnet wird. Für Bruttoeinkommen von 100 bis 800 Euro jedoch beträgt der Grenzsteuersatz jedoch 80%, für 800 bis 1200 Euro sogar 90%. Der Grenzsteuersatz ist hier also viel höher als der Spitzensteuersatz von 42%. Geringfügige Beschäftigungen bis 100 Euro/ Monat lohnen sich also eher, aber die Anreize, eine Beschäftigung anzunehmen, sind dann monetär gesehen eher gering, da nur ein kleiner Teil des Hinzuverdienstes behalten werden darf (außer wieder, wenn sie so gut entlohnt ist, dass man kein ALG II mehr beziehen muss). Eine Intergration in reguläre Beschäftigung ist in der Realität nicht gegeben: laut einer aktuellen Studie des IAB gehen nur 0-3% mehr der Arbeitslosen, die in 1-Euro-Jobs gearbeitet haben als die, die es nicht haben, 28 Monate nach Beginn der Maßnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Zudem seien die Maßnahmen nicht zielgruppengenau (siehe dazu auch: Telepolis: Diffamierung von Erwerbslosen, freiwillige Arbeitsangebote oder Workfare).

Groß ist auch das Risiko, dass Unternehmen die Löhne im Bereich geringfügiger Beschäftigung stark senken. Das Einkommen der Beschäftigten muss dann immer mehr durch den Staat gesichert werden, die Unternehmen enziehen sich ihrer “gesellschaftlichen Verantwortung”. Betriebe, die durch Lohnsenkungen ihre Gewinne steigern wollen, finanzieren dies auf Kosten der Staatskasse, und in diesen Lohndruck werden auch andere Unternehmen und höhere Lohnbereiche mit hineingezogen.

Der Niedriglohnsektor ist in Deutschland seit den Agenda-Reformen extrem gewachsen und inzwischen nach den USA der gößte aller Industrieländer. Jedoch legen Untersuchungen nahe, dass dies auf Kosten der regulären Arbeit geschah und der Rückgang der Arbeitslosigkeit seit der Agenda stärker auf konjunkturelle Faktoren zurückzuführen war. Durch die Vergößerung des Niedriglohnsektors sinkt die Binnenachfrage, was (insbesondere zu Zeiten, in denen der Export stark einbricht) zu weniger Produktion und zu weniger Arbeitsplätzen führt. Die sozialen Folgen sind außerdem äußerst negativ – es wurde von der Politik gezielt ein prekärer Gesellschaftsbereich geschaffen.

 

Fazit

Maßnahmen der Agenda 2010, auch die Kombilöhne, haben zu einem Anstieg des Niedriglohnsektors geführt, ohne viele neue Arbeitsplätze geschaffen zu haben. Sie haben damit ihr vorgegebenes Ziel verfehlt. Stattdessen stieg lediglich die Gewinnquote (auf Kosten der Lohnqute). Die Lohnspirale nach unten wird durch Kombilöhne gefördert. Natürlich gibt es auch gute Gründe für die Annahme, dass tatsächlich diese breiten Lohnsenkungen im Interesse der Agenda-Maßnahmen standen (auch wenn sich manche davon wirklich die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen versprochen hatten).

Im Grunde kann die Möglichkeit, bei Empfang von Arbeitslosenleistungen hinzuverdienen zu können, sinnvoll sein, aber nicht in der derzeitigen Ausgestaltung. Dazu müssen auf jeden Fall die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessert werden. Dies dient auch dem sicherlich zu unterstützenden Ziel, dass “sich Arbeit lohnen muss”. Dafür, und zur Vermeidung einer Ausplünderung des Staates durch Unternehmen, die reguläre Beschäftigung durch Niedriglöhner ersetzen, ist eine weitere Senkung der Hartz-IV-Sätze kein geeignetes Mittel. Vielmehr wäre für diese Ziele die Einführung eines Mindestlohns sinnvoll.

 

[Dieser Beitrag ist auch beim Oeffinger Freidenker und beim binsenbrenner.de erschienen.]

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Rettet Europa vor Deutschland!

Die Bundesregierung scheint weiter unter einer hartnäckigen Form des Dunning-Kruger-Effekts zu leiden. Trotz der von vielen verschiedenen Seiten zu hörenden und gut begründeten Kritik an Deutschlands einseitiger Lohndumpings- und Exportdopings-Politik und ihren negativen Folgen – für Europa, aber auch für Deutschland selbst – will Wirtschaftsminister Brüderle nun eine Außenhandelsoffensive starten. Natürlich, wie es sich für eine schwarz-gelbe Regierung gehört, will man auch der Rüstungsindustrie bei der Auftragsgewinnung helfen und den Export von Atomtechnologie vorantreiben. Auch wenn die gesamte Initiative dabei nicht besonders durchdacht sei (hätte das denn noch wirklich jemand erwartet?), könne sie schon durch ihr unangemessenes Timing und Brüderles “trotzig-arrogante Reaktion auf Kritik” großen Schaden anrichten, schreibt die Financial Times Deutschland. Als ob Deutschlands Brachial-Position zur Griechenland-Frage nicht reichen würde.

Naja, was soll man schon von einer Regierung erwarten, deren Chefin allen Ernstes als einen großen Erfolg angibt, dass die Regierung einen Haushalt verabschiedet hat? Auf wirkliche Einsicht wird man bei Schwarz-Gelb nicht hoffen können, noch weniger auf sinnvolle Taten, wenn Ignoranz und Arroganz zusammentreffen. Nein, die deutsche Regierung hat offenbar vielmehr vor, auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik der Taktik von George W. Bush nachzueifern: wie dieser sich von Gott berufen sah, der Welt ohne Rüksicht auf Verluste “Frieden” mit dem Schwert zu bringen, so ist die Bundesregierung gewillt, Europa, notfalls auch alleine, die Segnungen einer straffen Haushaltsführung und von hohen Unternehmergewinnen zu bescheren, auch wenn dies eine schwächelnde Gesamtwirtschaft, sinkende Löhne, europaweite Instabilitäten und vielleicht selbst den Staatsbankrott eines Landes zur Folge hat (das einzige, was sie daran stören würde, wäre wohl, dass damit der zweitgröße Importeur deutscher Waffen pleite ginge).

Vielleicht bleibt tatsächlich nur noch ein Mittel, um die Ungleichgewichte in der deutschen und der europäischen Wirtschaft zu reduzieren und die Stabilität in Europa zu gewährleisten: Deutschland aus der Eurozone rauszuschmeißen. 😀

Bildquelle:

Anderson Mancini / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

[Auch erschienen beim binsenbrenner.de]

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Petition gegen Gentechnik in Nutzpflanzen

Gestern hat die EU-Kommission erneut den Einsatz von Gentechnik in Nutzpflanzen europaweit zugelassen. Es erübrigt sich wohl zu erwähnen, dass die langfristigen Folgen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt jedoch noch längst nicht genügend erforscht sind.

Im Internet kann man eine Petition unterschreiben, deren Ziel es ist, eine Million Unterschriften zu sammeln, um die Einführung genmanipulierter Nahrungsmittel so lange zu verbieten, bis ausreichende Forschungsergebnisse vorliegen (bisher [23. März, 23:53] liegen über 285.000 Unterschriften vor). Der Text der Petition lautet:

An den Präsidenten der Europäischen Kommission José Manuel Barroso:
Wir fordern Sie auf, ein Moratorium für die Einführung von genmanipulierten Nutzpflanzen in Europa zu erlassen, eine ethisch und wissenschaftlich unabhängige Forschungskommission ins Leben zu rufen, die die Auswirkungen von gentechnisch veränderten Lebensmitteln untersucht, sowie strenge Auflagen zu erlassen.

(Danke an Duckhome für den Hinweis!)

Ich halte die Petition für unterstützenswert. Die EU muss endlich für die Interessen ihrer Bürger und nicht die von undurchsichtigen Lobbys arbeiten. Gesundheit und die Bewahrung der Natur dürfen nicht unabsehbaren Risiken ausgesetzt werden, um ein paar wenigen Unternehmen (wie dem höchst sympatischen Monsanto, dem Stern am Himmel der Unternehmensethik und der sauberen Geschäfte – *hust*) Gewinne zu ermöglichen. Also, schaut es euch bitte mal an!

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Der Programmentwurf der Linken – eine kritische Betrachtung

Am Samstag hat die Partei Die Linke den  Entwurf für ihr erstes Grundsatzprogramm öffentlich vorgestellt (Stefan Sasse hat bereits einige Punkte betrachtet). Ein Grundsatzprogramm ist für eine Partei sicherlich notwendig und es ist zu begrüßen, dass die Sache nun einmal angegangen wird. Doch war das Echo auf den Programmentwurf in den Medien eher negativ: die „Hardliner“ in der Partei hätten sich offensichtlich durchgesetzt. Ist das so? Im Folgenden soll das Programm (v.a. mit Hinsicht auf problematische Aspekte) etwas genauer analysiert werden.

Präambel (S. 3-4)

In der Präambel versucht die Linke zu erklären, für und gegen welche politischen Ziele und Werte sie eintritt. Insgesamt gefällt mir persönlich dieser Teil recht gut. Eine wichtige Frage wird jedoch eher widersprüchlich beantwortet: Wird Kapitalismus allgemein negativ bewertet oder eine Form des Kapitalismus, die man als „Neoliberalismus“ und „Finanzmarktkapitalismus“ beschreiben kann. Etwa hier:

Wir kämpfen für einen Systemwechsel, weil der Kapitalismus, der auf Ungleichheit, Ausbeutung, Expansion und Konkurrenz beruht, mit diesen Zielen unvereinbar ist.

Ist der Kapitalismus an sich oder eine Form des Kapitalismus gemeint? Diese Unklarheit zieht sich durch das ganze Programm. Die meisten genannten Kritikpunkte sind Kritikpunkte an der neoliberalen Ausgestaltung des Kapitalismus, doch dazwischen gibt es auch Sätze wie

Wir kämpfen für einen Richtungswechsel der Politik, der den Weg zu einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft öffnet, die den Kapitalismus überwindet.

Diese widersprüchlichen Formulierungen sind sicher Ausdruck einer Partei, in der es ziemlich divergierende Positionen über diese Frage gibt. Auch bei den Vorschlägen der Linken ist dieser Widerspruch enthalten. Einerseits werden etwa kleinere und mittlere Unternehmen durchaus auch positiv bewertet und man will auch einen Privatsektor erhalten, andererseits spricht man de facto von Planung der Wirtschaft:

DIE LINKE kämpft für eine andere, demokratische Wirtschaftsordnung, die die Marktsteuerung von Produktion und Verteilung der demokratischen, sozialen und ökologischen Rahmensetzung und Kontrolle unterordnet. Sie muss dazu auf öffentlichem und demokratisch kontrolliertem Eigentum in der Daseinsvorsorge, an der gesellschaftlichen Infrastruktur, in der Energiewirtschaft und im Finanzsektor sowie der demokratischen Vergesellschaftung weiterer strukturbestimmender Bereiche auf der Grundlage von staatlichem, kommunalem, genossenschaftlichem oder Belegschaftseigentum beruhen und den privatwirtschaftlichen Sektor strikter Wettbewerbskontrolle unterwerfen.

Staatliche Rahmensetzung und Kontrolle, verschiedene Eigentumsformen, Ausweitung des öffentlichen Sektors, Wettbewerbskontrolle, alles sinnvoll.  Es wird aber nicht ganz klar, wieweit man sich eine Steuerung des wirtschaftlichen Geschehens über einen Markt, wieweit über einen Plan vorstellt. Ein staatliches Eingreifen in den privatwirtschaftlichen Sektor mit Planvorgaben etwa zu Preisen und Mengen, Produktion und Verteilung, würde einen extrem hohen bürokratischen Aufwand verlangen und wäre äußerst ineffizient.

I. Woher wir kommen, wer wir sind (S. 5-7)

DIE LINKE knüpft an linksdemokratische Positionen und Traditionen aus der sozialistischen, sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung und aus anderen emanzipatorischen Bewegungen an.

Gegensätzliche Haltungen zur Revolution in Deutschland und später auch zur Sowjetunion vertieften die Spaltung der Arbeiterbewegung. Die USPD, die KPD und linkssozialistische Bewegungen gehören heute ebenso zum historischen Erbe der LINKEN wie die Geschichte der Sozialdemokratie.

Es ist durchaus problematisch, zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzepte als Vorbild zu sehen: die demokratisch-sozialistische/ sozialdemokratische, reformorientierte und die kommunistische, marxistisch-leninistische, revolutionäre Richtung. Auch wenn die Partei historisch durchaus Erbe beider Bewegungen ist: die Grundkonzepte und -ansichten waren in der Vergangenheit, und sind auch heute grundverschieden.  Ich hätte mir hier von der Partei eine deutliche Distanzierung vom antidemokatischen Leninismus erwartet (auch wenn dies der Kommunistischen Plattform der Partei sicher nicht gefallen hätte) und nicht nur vom Stalinismus:

Ohne Demokratie kein Sozialismus. Deshalb gehörte zum Gründungskonsens der PDS – einer der Vorläuferparteien der LINKEN – der unwiderrufliche Bruch mit dem Stalinismus.

Ja, ohne Demokratie kein Sozialismus, doch das schließt auch eine Diktatur des Proletariats, schließt die sich “kommunistisch” nennende Tadition, schließt schließlich die Entwicklungen des real existierenden Sozialismus aus.

II. Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation (S. 7-10)

Hier werden größtenteils nicht negative Seiten des Kapitalismus an sich, sondern des Neoliberalismus und des Finanzmarktkapitalismus beschrieben. Diese sind dabei jedoch im allergrößten Umfang zutreffend beschrieben. Auch die Wortwahl und Stil finde ich hier insgesamt sehr angemessen.

III. Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert (S. 11-13)

In einer solidarischen Wirtschaftsordnung, wie DIE LINKE sie anstrebt, haben verschiedene Eigentumsformen Platz: staatliche und kommunale, gesellschaftliche und private, genossenschaftliche und andere Formen des Eigentums. Die Belegschaften, die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Repräsentanten der Gemeinwohlinteressen sollen eine starke demokratische Mitsprache
haben und an den wirtschaftlichen Entscheidungen direkt partizipieren.

Dies halte ich für einen sinnvoll zusammengefassten Ansatz für ein alternatives Wirtschaftskonzept.

Die Daseinsvorsorge, die gesellschaftliche Infrastruktur, die Finanzinstitutionen und die Energiewirtschaft gehören in öffentliche Hand und müssen demokratisch kontrolliert werden. Sie dürfen nicht nach dem Profitkalkül privater Unternehmen geführt werden.

Strukturbestimmende Großbetriebe der Wirtschaft wollen wir in demokratische gesellschaftliche Eigentumsformen überführen und kapitalistisches Eigentum überwinden.

Eine Kommunalisierung/ Verstaatlichung von Großkonzernen ist durchaus in den Fällen sinnvoll und notwendig, wenn es sich um Aufgaben der öffentlichen Infrastruktur und der Wohlfahrt handelt (bspw. Krankenhäuser, Wasse- und Energieversorgung u.ä.) oder wenn öffentliche Anbieter effizienter (im Sinne der allgemeinen Wohlfahrt und nicht der Gewinne für wenige Privatpersonen) handeln könnten (Bsp. Verkehr, Energie). In anderen Bereichen aber, ob bei kleineren und mittleren Unternehmen oder auch bei größeren, die nicht in diesen Bereich fallen,  ist eine Steuerung über den Markt viel effizienter und auch gesamtgesellschaftlich von größerem Nutzen.

Die Beschäftigten müssen realen Einfluss auf die betrieblichen Entscheidungen bekommen. Wir setzen uns dafür ein, dass Belegschaften ohne Lohnverzicht an dem von ihnen erarbeiteten Betriebsvermögen beteiligt werden.

Hier fehlt eine genaue Festsetzung. Beschäftigte können an einem Unternehmen über Erfolgs- oder über Kapitalbeteiligungen beteiligt werden. Beides ist aus vielen Gründen sehr sinnvoll. Wenn dies aber ohne Lohnverzicht geschehen soll, würde dies aber auf eine Enteignung hinauslaufen. Dazu gebe es bessere Alternativen.

Regionale und sektorale Wirtschaftspolitik muss auf der Grundlage einer demokratischen Rahmenplanung und einer strategisch gestaltenden Strukturpolitik steuernden Einfluss auf die Investitionsentscheidungen der Unternehmen nehmen.

Wie soll dies aussehen? Durch allgemeine Investitionsanreize etwa? Das wäre durchaus zu befürworten. Oder auch direkte Eingriffe in Unternehmensentscheidungen? Dies wäre dann abzulehnen.

IV. Linke Reformprojekte – Schritte gesellschaftlicher Umgestaltung (S. 14-23)

Hier werden relativ konkrete Konzepte der Linken für die Bereiche Finanzen/ Wirtschaft/ Arbeit/ Soziales, Demokratie/ Gesellschaftspolitik (inklusive Bereichen der Innenpolitik), Ökologie sowie Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik erläutert.

1 . Wie wollen wir leben? Gute Arbeit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit

Gerade in diesem Teil finden sich viele Konzepte, die extrem stark in die Wirtschaft eingreifen würden, obwohl die Möglichkeiten, die angestrebten Ziele durch Anreizsysteme zu erreichen, oft viel sinnvoller wären.

Leiharbeit muss strikt begrenzt und wie die Arbeit der regulär Beschäftigten zuzüglich einer Flexibilitätsvergütung bezahlt werden. Der Kündigungsschutz muss verbessert und Befristungen müssen gesetzlich eng eingeschränkt werden.

Diese Flexibilitätsvergütung ist durchaus sinnvoll und wird auch in anderen Ländern bezahlt. Wo wir aber beim Stichwort wären: Flexibilität. Flexibilität und Sicherheit müssen durchaus kein Gegensatz sein – jedoch haben gerade international Länder (Dänemark, Niederlande, Schweden), die Sicherheit v.a. durch hohe Einkommensersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit (und zusätzlich umfangreiche Qualifizierungsmaßnahmen und aktive Arbeitsmarktpolitik) gewährleisten, deren Arbeitsmarkt aber flexibel ist („Flexicurity-Modell) in fast allen Bereichen besser ab als Deutschland: sie haben weniger Arbeislosigkeit, v.a. weniger Langzeitarbeitslose, höhere wirtschaftliche Dnamik – und das Sicherheitempfinden, die Sozialleistungen und die gesellschaftliche Solidaität sind höher als in Deutschland. Ein unflexibler Arbeitsmarkt führt zwar dazu, dass die bestehenden Beschäftigungsverhältnisse sicherer sind, er führt aber auch dazu, dass man, einmal in Arbeislosigkeit, nur schwer einen neuen Job findet.

Die Managergehälter müssen auf das 20fache der untersten Lohngruppen im Unternehmen begrenzt, die Vergütung mit Aktienoptionen sowie übermäßige Abfindungen müssen verboten werden.

Für die Vermeidung eines Auseinanderklaffens der Einkommensschere wäre eine Forttführung der Steuerprogression über die bisherige Spitzensteuerschwelle sicher sinnvoller (auch fiskalisch gesehen) als eine gesetzliche Regelung. Das Verbot von Vegütungen mit Aktienoptionen an sich ist kaum sinnvoll – gerade wenn Manager am eigenen Unternehmen beteiligt sind, können sie einen höheren Anreiz haben, die langfristige Unternehmensperformance auch zu ihrem eigenen zentralen Interesse bei ihren eigenen Entscheidungen zu machen (wenn dies gesetzlich richtig ausgestaltet ist).

Die Arbeitszeiten müssen gemäß den Bedürfnissen der Menschen bei vollem Lohnausgleich verkürzt werden.

Eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung wurde in Frankreich durchgeführt (35-Stunden-Woche) und hat dort nicht zu weniger Arbeitslosigkeit, sondern eher zu mehr Problemen und einer größeren Belastung der Haushalte (durch Zuschüsse des Staates) geführt. Mehr Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung klingt zwar gut, würde aber auch voraussetzen, dass die Unternehmen mehr Mitarbeiter einsetzen. In der Praxis läuft dies aber oft darauf hinaus, dass sich entweder die Arbeitsintensivität erhöht, dass kleine Unternehen keine neuen Angestellten einstellen könne (einfach aufgrund der kleinen Angestelltenzahl) oder dass Unternehmen durch hohe Transaktionskosten (v.a. Kündigungsschutz) an Neueinstellungen gehindert werden. Dies muss man anerkennen.

Eine aktive staatliche Industrie- und Dienstleistungspolitik ist erforderlich, um De-Industrialisierung zu verhindern und Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe, im Handel und in anderen Dienstleistungsbereichen zu sichern.

Eine Politik, die einen Strukturwandel hin zu den Bereichen, in denen man produktiver tätig sein kann (höhere komparative Kostenvorteile hat), verhindert, führt zu weniger Produktivität, weniger Wirtschaftswachstum, mehr Arbeitslosigkeit. Wenn man De-Industrialisierung verhindern will, heißt das, den Wandel zum Dienstleistungssektor systematisch staatlich zu bremsen. Dies wäre wohl nur mit dem Interessen an Wählerstimmen in diesem Bereich zu erklären, aber wirtschaftspolitisch völlig falsch.

Wir fordern ein Verbot von Massenentlassungen in Unternehmen, die nicht insolvenzgefährdet sind. Das wird in großem Umfang sozial abgesicherte Übergänge von Beschäftigten aus schrumpfenden in zukunftsfähige Branchen einschließen.

Gerade das ja nicht. Wenn Entlassungen nicht möglich sind, wird ja gerade ein Strukturwandel in Zukunfsbranchen verhindert.

Private Banken müssen deshalb verstaatlicht, demokratischer Kontrolle unterworfen und auf das Gemeinwohl verpflichtet werden.

Dass Banken sich mehr auf ihre Kernaufgaben (Kreditvergabe) konzentrieren und weniger mit Spekulationsgeschäften tätig sein sollten, ist sicher sinnvoll. Aber deshalb gleich eine Abschaffung aller Privatbanken? Ich hab mich noch nicht so detailliert mit dem Modell, das Obama vorgeschlagen hat, beschäftigt, aber in seinen Ansätzen erscheint es doch recht begrüßenswert und geeigneter.

Wir fordern die Wiedereinführung der Vermögenssteuer in Form einer Millionärsteuer in Höhe von fünf Prozent jährlich auf private Millionenvermögen.

Hier muss man zwischen den Formen des Vermögens unterscheiden, und 5% erscheinen sehr hoch.

Wir fordern die kräftige Anhebung des Spitzensteuersatzes der Einkommenssteuer.

Gute Forderung, wenn der Spitzensteuersatz dann ab einer höheren Grenze als der derzeitigen gilt (wenn also die Steuerprogression über die derzeitige Schwelle fortgeführt wird, Bsp. Steuersystem Skandinaviens).

2. Wie wollen wir entscheiden? Demokratisierung der Gesellschaft

Hier sind die meisten Punkte unproblematischer (aber auch meist weniger konkret).

Darüber hinaus tritt DIE LINKE für eine Strukturreform der Ausbildungsförderung hin zu einer öffentlich finanzierten Erwachsenenbildungsförderung ein, die allen in Aus- oder Weiterbildung befindlichen Volljährigen eine elternunabhängige Förderung bei jeweils individuellem Bedarf sichert, ohne neue soziale Benachteiligungen entstehen zu lassen.

Ich bin gegen elternunabhängige Förderungen. Will man es populistisch ausdrücken, könnte man es so sagen: warum soll das Kind eines Milliardäres staatliche Zuschüsse erhalten? Ausbildungsförderung soll ja gerade Förderung für die Benachteiligten, abhängig vom tatsächlichen sozialen Bedarf sein. Wenn man einerseits etwa gegen ein gleiches Kindergeld für alle eintritt, sondern dafür, dass dieses abhängig vom Einkommen gezahlt wird, ist diese Forderung inkonsequent. Auch wenn sie von vielen linken Gruppen verreten wird (mir persönlich erscheinen da Begründung wie „stärkere Emanzipation“ eher vorgeschoben).

3. Wie erhalten wir Natur und Gesellschaft? Sozial-ökologischer Umbau

Die Punkte würde ich fast alle so unterschreiben.

4. Wie schaffen wir Frieden? Abrüstung, kollektive Sicherheit und gemeinsame Entwicklung

Gut finde ich, dass die Linke hier klar für eine grundsätzlich reformierte Europäische Union eintritt. Die Journaille wird ihre Märchen von der angeblichen „EU-Feindschaft“ zwar weitererzählen – aber die wirkliche Programmsetzung ist hier kargemacht.

Für DIE LINKE ist Krieg kein Mittel der Politik. Wir fordern die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands. Wir fordern ein sofortiges Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr. Dazu gehören auch deutsche Beteiligungen an UN-mandatierten Militäreinsätzen nach Kapitel VII der UN-Charta.

Die ist nun ein Punkt, wo ich grundsätzliche Differenzen zur Linken habe. Ich halte unter bestimmten, durchaus sehr begrenzten, Umständen friedenserhaltende Maßnahmen für gerechtfertigt – und auch prinzipiell, als ultima ratio Kriege im Sinne der UN-Charta. Gerade die UNO sollte in dieser Hinsicht gestärkt werden.

V. Gemeinsam für einen Politikwechsel und eine bessere Gesellschaft (S. 23-25)

Die Zuspitzung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme verstehen wir vor allem als Ergebnisse neoliberal geprägter Antworten auf die neuen Herausforderungen unter dem Einfluss von Kapitalinteressen sowie als Ausdruck von Krisenprozessen und Widersprüchen, die die kapitalistische Ökonomie hervorbringt.

Na was denn jetzt? Probleme des Neoliberalismus oder Probleme der Grundwidersprüche des Kapitalismus? Das sind zwei verschiedene Deutungsmuster. Aber wie gesagt, die Frage wird insgesamt nicht einheitlich beantwortet.

DIE LINKE strebt nur dann eine Regierungsbeteiligung an, wenn wir hierdurch eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen erreichen können. Sie wird sich an keiner Regierung beteiligen, die Privatisierungen vornimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt. Darüber hinaus wird sich DIE LINKE auf Bundesebene nicht an einer Regierung beteiligen, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt. Notwendige Bedingungen sind weiterhin die Durchsetzung des gesetzlichen Mindestlohns und der Kampf gegen Lohndumping und untertarifliche Bezahlung.

Solch eine äußerst rigide Festlegung ist für ein Grundsatzprogramm höchst problematisch. Man wird in einer Regierung nie sein ganzes Programm durchsetzen können. Natürlich ist es gut, wenn die Partei zu ihren Grundprinzipien steht. Aber nehmen wir mal ein Beispiel: ist denn z.B. Arbeitsplatzabbau wirklich immer, ausnahmslos, negativ? Was ist, wenn man etwa bei öffentlichen Stellen mit dem Geld Sinnvolleres anfangen kann, vielleicht auch neue, vielleicht sogar mehr Arbeitsplätze schaffen? Oder: Warum spricht man im Programm zuerst von einer Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes, jetzt auf einmal von einem gesetzlichen Mindestlohn, gar als unabdingbare Bedingung für Regierungsbeteiligungen? Gerade dieser Abschnitt sollte dringend überdacht werden in der Hinsicht, den jeweiligen Verbänden in den Ländern mehr Entscheidungsspielräume für jeweilie Koalitionen zu lassen, und auch in der Bundespolitik Koalitionen realitischer zu machen, ohne den Kern der Überzeugungen aufgeben zu müssen. Und dies wäre, denke ich, durchaus möglich. Die Partei muss zeigen, ob sie dies will.

Fazit der Analyse

Die im Programmentwurf vorzufindenden Diagnosen der derzeitigen Probleme sind durchdacht, fundiert und gut dargestellt. Auch der allgemeine Rahmen der Gegenkonzepte erscheint sinnvoll. Oft hat die Linke in den angesprochenen Punkten die richtigen Ziele im Auge, aber nicht unbedingt immer die richtigen Mittel. V.a. Im Bereich der Wirtschaftspolitik würden einige Punkte nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit, sondern nur zu einer sinkenden Wirtschaftskraft führen. Weniger Dirigismus, mehr Anreizsysteme, weniger Planwirtschaft, mehr Keynes wäre hier zu wünschen gewesen. Gerade die Verstaatlichungspläne sind geradezu abenteuerlich. In den anderen Bereichen dürften die meisten Konzepte weniger strittig sein – bis auf die Außenpolitik, wo die Linke durch ihre vollständige Ablehnung des Kapitel VII der UN-Charta ziemlich alleine steht (aber ich habe hier durchaus Respekt, dass die Linke bei diesem Punkt bei ihren Überzeugungen, auch wenn ich diese nicht teile, bleibt).

Für einen Anhänger rot-rot-grüner Koalitionen stellt der Programmentwurf einige Enttäuschungen bereit. Die Bedingungen für Regierungsbeteiligungen sind nicht nur unrealistisch, sondern auch inhaltlich nicht in allen Punkten nachzuvollziehen. Und für diejenigen, die sich ganz klar in der demokratisch-sozialistischen und sozialdemokratischen Tradition sehen, ist die fehlende Abgrenzung von, ja gar die Bezugnahme auf leninistische Strömungen und die real-sozialisitsche Praxis nur schwer verdaulich.

Es wäre insgesamt sehr wünschenswert, dass sich die “gemäßigteren”, reformorientierten Teile der Partei in der weiteren Diskussion um das Programm durchsetzen werden.  Bliebe die Linke vollständig bei diesem, dürfte es ihr schwer fallen, viele neue Wähler anzusprechen – und sie würde wohl auch viele bisherige Unterstützer und Anhänger verlieren.

NACHTRAG:

Auch die NachDenkSeiten beschäftigen sich mit dem Programmentwurf der Linken. Dabei meinen auch sie, dass in diesem zu viele aktuelle Probleme allgemein der Kapitalverwertungslogik zugeschrieben werden und wichtige andere Differenzierungen, etwa Unterschiede zwischen verschiedenen Kapitalismusformen, vernachlässigt werden. Viele Gegenvorschläge könnten nur dann verwirklicht werden, wenn der Kapitalismus abgeschafft ist. Es bestehe “die Gefahr, dass diese grundsätzliche Alternative nicht mit den obwaltenden Gegebenheiten in ihren Widersprüchlichkeiten vermittelt werden kann”. Das Programm könnte dann in der Realpolitik in den Hintergrund geraten. Im Programm fehlten außerdem Gegenentwürfe zum derzeitigen Mainstream der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, zum Steuer- und Bildungssystem, zur Medienordnung und zur Stärkung der Gewerkschaften.

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Deutschlands Lohndumping-Politik: nicht weiterzuempfehlen!

Was ist von der Kritik Frankreichs an der Ausrichtung der deutschen Wirtschaftspolitik zu halten? Die üblichen Verdächtigen aus der Politik (FDP, CDU), den Wirtschaftslobbys (BDI, Bundesverband für Groß- und Außenhandel) und ihren Mietmäulern (ifo u.a.) sowie der Presse (Springer, Spon, Marc Beise) toben, reden von “Deutschland-Bashing”, meinen, dass die anderen EU-Länder nur “neidisch” wären und “Deutschland ausbremsen” wollten. Wenn sie doch mal den Schaum vorm Mund losgeworden sind, verteidigen sie die deutsche Umverteilungspolitik von unten nach oben als Stärke der deutschen Wirtschaft. Doch was sagen die Fakten?

Jens Berger zeigt, warum die Fixierung der deutschen Wirtschaftspolitik auf Lohndumping zur Exportförderung weder für Deutschland noch für andere europäische Länder zu empfehlen ist. In Deutschland gab es in den letzten 15 Jahren durch Reallohnkürzungen zwar niedrigere Lohnkosten und höhere Exportzahlen, aber auf Kosten des Binnenkonsums. Von den höheren Exporten profitierte ausschließlich das Kapital. Außerdem klappt dieses Konzept natürlich nur, weil die anderen Länder (v.a. in Europa), die keine gezielte Niedriglohnpolitik betrieben haben, deutsche Waren importieren. Wenn alle Länder so wie Deutschland verfahren würden, könnte es nicht funktionieren. Vielmehr wäre es für Deutschland und ganz Europa sinnvoller, wenn Deutschland sich mehr wie seine Nachbarn verhalten und die Niedriglohnpolitik endlich aufgegeben würde.

Laut Heiner Flassbeck hat das systematische deutsche Lohndumping andere EU-Staaten geschwächt und die europäische Geldpolitik destabilisiert. Leistungsbilanzüberschuss und hohe Exporte hätten keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, da die schwache Binnennachfrage dies wieder zunichte mache. Er empfiehlt dagegen Lohnsteigerungen in Deutschland.

Selbst die  EU-Kommission und der IWF forderten, dass Deutschland seine Binnenachfrage (Konsum und Investitionen) stärken soll. Wenn selbst bei den Vorreitern des Neoliberalismus allmählich ein Umdenken , wäre es an der Zeit, dass die deutsche Politik endlich die schädlichen Wirkungen einer Niedriglohn-Ökonomie und einer Abhängigkeit von einem äußerst fragilen Export erkennt. Doch dies wird angesichts der Verpflichtungen der derzeitigen Machthaber gegenüber der Export- und Großindustrie und der Ausrichtung an deren Interessen und wegen dem blinden Anhängen an wirtschaftsliberalen Dogmen kaum wahrscheinlich sein.

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Kathedralen der spätkapitalistischen Dekadenz

Aus einer wieder mal richtig genialen Folge von “Neues aus der Anstalt”:



http://www.youtube.com/watch?v=gwoKeSXXhnQ

UPDATE: Warum hat das ZDF das Video aus dem Netz genommen? Hat das was mit diesem furchtbaren Rundfunkstaatsvertrag zu tun? Oder hat das die CDU verboten? Naja, egal, dann so:

http://www.youtube.com/watch?v=7F9CiuaIFVY

Ach, und sehr hörenswert ist auch die letzte Blue Moon-Folge mit Robert Misik als Gast (der Podcast ist aber leider nur bis nächsten Montag online).

Ängstliche Konservative versuchen die Deutungshoheit über unsere Gesellschaft an sich zu reißen. Dazu bedienen sie sich einer “Politik der Paranoia”. Sagt der österreichische Autor Robert Misik in seinem gleichnamigen Buch. Sie verlangen seit langem »weniger Staat«, zumindest in der Wirtschaft; wenn es um die Bespitzelung der Bürger geht, sehen sie das nicht so eng. Sie haben die Finanzströme dereguliert, die Sozialsysteme betrachten sie als unmoralisch, weil die Faulen dadurch belohnt werden. Misiks Plädoyer zeigt, dass eine moderne Politik der sozialen Gerechtigkeit den konservativen Konzepten überlegen ist. Robert Misik kommt heute im Blue Moon vorbei, um zu erklären, was er damit meint und wie man das Problem möglichweise lösen kann.

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Wir sind wieder wer!!!

In letzter Zeit hört man nicht viel gutes über Deutschland. WIR verlieren weltweit den Anschluss, wir sind nicht attraktiv genug für ausländische Investoren, unsere Löhne sind zu hoch, ebenso Sozialleistungen und Umweltstandards. Waffen werden verteufelt. Jetzt soll gar der Wehrdienst gekürzt werden! Doch man darf nicht übersehen, dass WIR durchaus einige Erfolge vorzuweisen haben. Ok, manche von diesen nervigen Gutmenschen werden das wieder anders sehen – die können auch nie zufrieden sein. Doch für UNS, die schweigende Mehrheit, ist das allemal ein Grund, die Korken knallen zu lassen.

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Zum ersten: In den letzten 5 Jahren hat sich UNSER Anteil an den weltweiten  Waffenexporte mehr als verdoppelt. Deutschland ist nun drittgößter Waffenexporteur weltweit. WIR sind Vize-Vize-Waffenexport-Weltmeister! Weltweit sind in dieser Zeit die Umsätze mit Waffengeschäften um gerade mal 22% gestiegen. WIR haben es IHNEN also gezeigt! Und dabei gibt es auch keine falsche Zurückhaltung: 55 Länder stehen auf der Lieferliste der deutschen  Waffenhändler, darunter auch so sympatische Staaten wie Malaysia, Jordanien, China, Taiwan, Indien, Iran, Israel, Vietnam und Venezuela. Eine schöne Pointe auch, China und Taiwan oder Israel und Jordanien gleichzeitig zu beliefern! Wenn’s da mal knallt, verdient eine Seite auf jeden Fall: die deutsche Rüstungsindustrie!

Danke Euch, liebe Speerspitze der vaterländischen Wirtschaftskraft, dass weltweit deutsche Waffen gegen Terrorismus, Aufständische und die allgemeine Überbevölkerung kämpfen! Und lasst Euch nichts sagen: was mit Euren Waffen geschieht, das liegt doch gar nicht in Eurer Verantwortung! Wenn man einem Affen eine Pistole gibt, und er erschießt jemanden, schiebt man dann etwa die Schuld auf denjenigen, der ihm die Pistole gegeben habt? Na bitte! Denn wenn es eine ehrliche, anständige, moralische, kurz: eine gute Branche gibt, dann doch wohl die Rüstungswirtschaft!

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Oh, und in noch einem ganz anderen Feld waren WIR erfolgreich: in Deutschland schätzt man die Meinungsfreiheits-Möglichkeiten im Internet weltweit am niedrigsten ein! Wozu auch, wer braucht die schon, diese “Meinungsfreiheit”? Sind doch eh alles linke Demagogen oder Bürgerrechts-Agitatoren und diese ganzen anderen ewigen Querulanten. Bild, Welt und Staatsfunk, was will man denn eigentlich noch mehr? Dem Satz “Das Internet ist ein sicherer Ort, um meine Meinung zu äußern” können bei UNS nur 26 % der Befragten ganz oder teilweise zustimmen. Nicht schlecht! In China liegt man da noch bei 42%. Die haben noch einen weiten Weg vor sich! Ok, zugegeben, ein großer Teil des Verdienstes liegt neben der försorglichen Gesetzgebung unserer obertsen Volksvertreter sicher auch bei der Abmahnindustrie und der Rechtssprechung. Aber eins steht fest: bei UNS ist das Netz sicher!!!1

Ja, WIR sehen es: es ist doch nicht alles schlecht! WIR können durchaus noch auf etwas stolz sein!

Bildquellen:

(1) Bearbeitung von  ProfessorMortis / http://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/deed.de

(2) Elias Schwerdtfeger / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

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Die fabelhafte Welt der FDP

Westerwelle und die FDP: ein Fall von Realitätsverlust?

Es kann dieser Tage selbst dem geneigten Beobachter des politischen  Tagesgeschehens schwer fallen, den Überblick über die zahlreichen Fehltritte von Bundesaußenminister und FDP-Chef  Westerwelle zu behalten. Seine Versuche, jede Kritik daran, dass er und seine ganze Partei die Regierung zum Selbstbedienungsladen mit Flatrate machen, selbstherrlich abzutun, zeigen einerseits eine politische Unbeholfenheit, andererseits aber auch eine erstaunliche Realitätsferne. Westerwelle redet von Verleumdungskampagnen und Verschwörungen gegen ihn und vom “linken Zeitgeist”, dessen Opfer er sei. Es ist langsam wirklich zu befürchten, dass er geistig in einer Art Phantasiewelt lebt, falls er ernsthaft daran glauben sollte. Wenn Westerwelle tatsächlich glauben sollte, dass Kritik an seinem Verhalten eine gezielte und v.a. völlig grundlose Kampagne der “Linken” sei und die FDP tatsächlich tönt, dies schade der politischen Kultur in Deutschland oder gar der Demokratie, werden sie dadurch gewiss nur noch mehr Skepsis ernten, ob man sie überhaupt noch ernst nehmen kann.

Heute sprach Westerwelle von einer Kampagne gegen die FDP für eine linke Mehrheit in Nodrhein-Westfalen. Fern von der Frage, wer diese steuern sollte oder warum sich auch liberale Medien daran beteiligen sollten, sieht wohl nur er überhaupt die Chance auf eine solche Regierung in NRW, im Gegensatz zur SPD oder zur Linken. (Obwohl, schön wär es natürlich – man könnte also hoffen, dass hier Westerwelle vielleicht mal Recht behält …) Man sieht hier einen Politiker, der der trotz offensichtlicher Unfähigkeit sich selbst als unersetzlich ansieht, der glaubt, dass seine Klientelpolitik und Günstlingswirtschaft vollkommen gerechtfertigt seien und der glaubt, dass “das Volk” (oder auch gerne: “die schweigende Mehrheit”) tatsächlich auch so denke. Nicht Vetternwirtschaft und Korruption sind unanständig, sondern die Kritik daran? Eine Welt, die auf dem Kopf steht.

Doch er scheint damit nicht einmal alleine zu sein. Zeigten sich ein hartnäckiges Leugnen von Fakten und ein Ignorieren der Realität schon etwa bei den abenteuerlichen Steuerplänen der FDP, so wird nun die ganze Abgehobenheit dieser Partei und ihre Distanz zu in der Gesellschaft vertretenen Werten immer deutlicher. Große Teile der FDP scheinen gar nicht nachvollziehen zu können scheint, warum man Korruption und Vetternwirtschaft nicht gutheißt.  Die FDP verteidigt die Verflechtungen und Seilschaften (um es harmlos auszudrücken) ihrer Politiker mit der Privatwirtschaft gar äußerst vehement. Das sei alles nur der linke Zeitgeist, die Politik müsse der Privatwirtschaft schließlich helfen, “Geschäfte zu machen” (so Westerwelle), und die persönlichen Verbindungen und Netzwerke von Geschäftsleuten und Spitzenpolitikern müssten “akzeptiert werden” (so Lindner). Wenn sich Westerwelle heute gar als “Außenminister der deutschen Wirtschaft” bezeichnet und damit ganz offen sagt, welchen Interessen er dient, sollte selbst dem Letzten die Augen aufgehen.

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Hält Guido durch?

Die Frage, die sich nun stellt und die in vielen Kommentaren aufgegriffen wird, ist, ob Westerwelle sich noch wird halten können, als Außenminister und als FDP-Vorsitzender. Die Frage ist natürlich absolut berechtigt und es ist auch gut, dass diese so oft öffentlich gestellt wird. Ich fürchte aber leider, dass dies der Fall sein und Westerwelle in seinen Ämtern bleiben wird.

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Sicher, derartig katastrophale Vorgänge wie die, die er sich in nicht einmal 6 Monaten geleistet hat, sucht man in den gesamten Amstzeiten seiner Vorgänger vergeblich. Jede diplomatische Zurückhaltung, die das Amt sonst mit sich bringt, scheint Westerwelle nicht zu berühren: unbeirrt arbeitet er daran weiter, seine Ziele, seine Vision einer Welt des Fleißes, der Leistung und der Anstrengung, wie er die “Werte” der FDP selbst beschreibt (ob gerade die selbsternannten “Leistungsträger” sich daran halten, ist natürlich eine andere Frage), mit der Trotzigkeit eines Kindes, das unbedingt seinen Willen durchkriegen will, zu erreichen. Eine Einstellung, die sich auch zeigt, wenn, wo andere beschämt reagieren würden, er aggressiv nach vorne prescht.

Und sicher, selbst in der eher regierungsfreundlichen und liberalen Presse hat er, mit Ausnahme der Springer”presse”, jegliches Vertrauen und jede Unterstützung verloren. So verdeutlicht die FAZ heute etwa in Guido Westerwelle: Der Egonaut, dass  die Bevölkerung und die Journalisten entsetzt sind über seine Hochmütigkeit und seine prinzipienlose Klientelpolitik (schönes Zitat: “Eigentlich muss man sich nicht wundern, dass eine Partei, die in der Oppositionszeit, den Westerwelle-Jahren, dazu überging, den Egoismus als Heilslehre zu predigen, sich nun in der Regierung auch dran hält. Aber für die meisten kam es in seiner unverhüllten Schamlosigkeit dann wohl doch überraschend.”) und wie Westerwelle selbst ohne Not die Diskussionen um ihn immer mehr anstachelte, etwa mit seiner Hetze gegen Hartz-IV-Empfänger.

Die FDP: korrupt und stolz darauf?

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Aber es sprechen für mich auch viele Punkte dagegen, dass dieser Mann endlich in den verdienten vorzeitigen Ruhestand geschickt wird. Westerwelle hat durch seinen autoritären Stil ja nicht nur in der FDP kaum Konkurrenten zugelassen, die ihn sozusagen beerben könnten. Ich habe eher den Eindruck, dass auch die anderen Protagonisten dieser Partei, v.a. die Minister, eine kaum andere Einstellung haben. Bei diesen Politikern und ihrem Umfeld scheint es sich um eine Gruppe von Personen aus einem verzweigten Netzwerk aus Politik, Wirtschaft und persönlichen Vertrauten (man könnte sie auch “Klasse” oder “Kaste” nennen) zu handeln, die offenbar völlig den Bezug zu so etwas wie Anstand und Moral verloren haben, die, ganz gemäß der neoliberalen Ideologie, ausschließlich für sich selbst die größtmöglichen Vorteile zu schaffen versuchen – und das auch noch ganz ohne jedes Unrechtsbewusstsein. Dirk Niebel will ja in seinem Ministerium Westerwelle wohl noch übertrumpfen, und auch Rösler steht ihm kaum nach. So offen wie jetzt wurden wohl noch nie die Besetzung von Regierungsposten aufgrund von Parteiloyalität statt Kompetenz, die Klientelpolitik und selbst eine wirklich ganz und gar offensichtliche Käuflichkeit zelebriert und mit ihnen kokettiert – früher hätte man wenigstens den Anstand gehabt, so etwas heimlich zu tun und sich wenigstens ein paar Pseudoausreden zurechtgelegt, falls etwas auffliegt.

Nun reagieren aber wie gesagt nicht nur Westerwelle selbst, sondern auch andere FDPler überaus aggressiv auf jede Kritik. Müsste Westerwelle aus diesen Gründen gehen, würde damit ja das ganze Seilschaften- und Vetternwirtschaftsnetz, das die FDP charakterisiert (oder, wie sie es ausdrückt, die “Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Politik”), zur Diskussion stehen. Andererseits, das könnte man einwenden, könnte ein Abgang Westerwelles auch von diesem vordergründig ablenken und man zukünftig darauf achten, dass weniger an die Öffentlichkei dringt. Ein grundsätzlich anderes Verhalten kann man von dieser Partei aber nicht erwarten, solange nicht diejenigen aufstehen, die wirklich aus Überzeugung Politik machen wollen und die wollen, dass diese von Werten wie Ehrlichkeit und politischem Anstand und von politischen Überzeugungen (auch wenn man diese natürlich nicht teilen muss) geprägt ist, und nicht nur dadurch motiviert, für sich selbst, sein Netzwerk oder seine Klasse die finanzielle Situation und die gesellschaftliche Dominanz auszubauen. Falls es solche Menschen in der FDP überhaupt noch gibt. Wann aber, wenn nicht jetzt, wäre der Zeitpunkt gekommen, sich zu zeigen?

Die Union als Profiteur?

Die Koalition wird an dem ganzen Vorgehen jedoch wohl nicht zerbrechen. Was aber sicher folgen wird, ist, da die FDP durch die politischen Amokläufe ihrer Protagonisten ja drastisch an Unterstützung in den Medien verliert, sie auch inhaltlichen Einfluss in der Regierung einbüßen wird. Die FDP wird, um sich nur einen Hauch von politischer Zukunft zu bewahren, einsehen müssen, dass sie inhaltlich um des eigenen Machterhalts willen auf einige ihrer schrill herausposaunten Forderungen verzichten muss. Aber da sie die neugewonnenen Pfründe derart liebgewonnen hat, dürfte sie wohl dazu bereit sein.

Die CDU und die Medien werden die sozialen Einschnitte, die nach der NRW-Wahl kommen werden, so verkaufen, dass man ja froh sein könne, da die FDP ja wesentlich Härteres gefordert habe. Die FDP mag geschwächt sein, doch könnte dieses auch zu einem großen Teil der Union zu Gute kommen, da sie es geschafft hat, viele Schwächen der gesamten Regierung als Schwächen der FDP darzustellen. Eine Kanzlerin jedoch, die einem völlig intolerablen Treiben ihrer Minister, ihrem enthemmten Nepotismus und ihren Ausfällen gegen die Schwächsten der Gesellschaft nicht nur nicht Einhalt gebietet, sondern sie auch nicht verurteilt und ihnen nichts entgegensetzt, trägt ebenfalls einen großen Teil der Verantwortung für die Misere der derzeitigen Regierung. Die Opposition täte gut daran, auch darauf stärker aufmerksam zu machen.

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Bildquellen:

(1) wahlkampf09 / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

(2) Frank Kopperschläger / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/

(3) wahlkampf09 / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

(4) Merkelizer / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

[Diesen Artikel kann man auch beim binsenbrenner.de lesen.]

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Südkoreas entwicklungslenkender Staat: ein Erfolgsmodell?

Von den neoliberalen Ökonomie wird es oft als bewiesene Tatsache hingestellt, dass nur eine streng marktliberale Politik wirtschaftliche Erfolge zeigen kann. Belege werden meist nicht gegeben – kein Wunder, sind sie doch schwieriger zu finden als inhaltliche Aussagen auf einem FDP-Wahlplakat. Gegenbeispiele jedoch sind ungleich leichter zu finden. V.a. Staaten Ostasiens haben  enorme wirtschaftliche Erfolge durch Strategien vorweise können (wie auch immer man diese Strategien und die Staaten allgemein auch politisch beurteilen mag), bei denen der Staat sich keineswegs aus der Wirtschaft zurückhielt. Japan, Südkorea, Taiwan, in gewisser Weise auch China sind dafür die besten Beispiele.

Südkorea hat fast beispiellose wirtschaftliche Erfolge vorzuweisen. 1960 war es eines der ärmsten Länder der Welt, sein Bruttoinlandsprodukt war niedriger als das von Mosambik, Kongo oder dem Senegal, sein Anteil am Welthandel betrug 0,2%. 1996 hatte es das zwölftgrößte BIP der Welt, war Mitglied der OECD und sein Anteil am Welthandel betrug über 2%. Diese Erfolge sind nach Meinung der Wissenschaft v.a. auf einen entwicklungslenkenden Staat (developmental state) in Südkorea zurückzuführen. Allerdings hatte dieser auch beträchtliche Schattenseiten, die auch betrachtet werden sollen.

Der entwicklungslenkende Staat

Hinter der Idee des entwicklungslenkenden Staates steht die Ansicht, dass ökonomische Entwicklung einen Staat verlangt, der die ökonomischen und die politischen Rahmenbedingungen schaffen kann, die für eine nachhaltige Industrialisierung eines Landes nötig sind. Im Gegensatz dazu vertritt die neoliberale Wissenschaft die Annahme, angenommene egoistische Motive von Individuen müssten auch auf den Staat und die Wirtschaft übertragen werden; der Staat könne im Bereich der Wirtschaft keine positive Rolle spielen. Sie treten daher für eine Liberalisierung und Deregulierung der Wirtschaft ein, in der die unsichtbare Hand des Marktes durch Preismechanismen für die besten Ergebnisse für die Entwicklung eines Staates sorge.

Die Befürworter  aber wenden ein, man brauche einen entwicklungslenkenden Staat, der langfristiges Wachstum und strukturellen Wandel der Wirtschaft ernst nehme und die Wirtschaft politisch steuere. Es bestünde kein Grund von einer Überlegenheit der Marktlösungen über eine Steuerung der Wirtschaft, in der der Staat eine größere Rolle spielt, auszugehen. In der Empirie sei die Annahme widerlegt, dass Staaten mit einer liberalen Wirtschaft und einer minimalistischen Rolle des Staates ein hohes Wirtschaftswachstum hätten, vielmehr seien Staaten mit einer Kombination aus klugen und effektiven Staatsinterventionismus und wirtschaftlicher Offenheit als selektiver Integration in die Weltwirtschaft erfolgreicher. Auch in den internationalen Organisationen wie der Weltbank ist in den letzten Jahren die strikt neoliberale Sichtweise des Washington Consensus unter Beschuss geraten und positive Wirkungen von alternativen Formen der Wirtschaftssteuerung wurden erwähnt und es wurde anerkannt, dass verschiedene Politikform (abhängig von den Institutionen eines Landes) zu Erfolg führen können. Erfolg oder Versagen bei der wirtschaftlichen Entwicklung hänge mehr von der Art als vom Ausmaß der Interventionen des Staates in die Wirtschaft ab.

Südkorea als entwicklungslenkender Staat

Von 1962 bis 1997 war in Südkorea ein entwicklungslenkender Staat der entscheidende Faktor für das enorme Wirtschaftswachstum. Charakteristika wie eine hohe Spar- und Investitionsquote, niedrige Lohnkosten (auch wenn sich die Schwächen später drastisch zeigen sollten) und vielfältige Interventionen des Staates in die Wirtschaft führten neben dem Wirtschaftswachstum auch zu einer Vollbeschäftigung sowie einer relativ egalitären Einkommensverteilung. Der südkoreanische Staat spielte die zentrale Rolle, Ressourcen zu mobilisieren, um eine Industrialisierung und eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum zu erreichen. Man kann beim südkoreanischen entwicklungslenkenden Staat mehrere Phasen unterscheiden:

1962 bis 1979: Entstehung und Erfolge des entwicklungslenkenden Staates

Vor 1962 war die Wirtschaftspolitik Südkoreas die einer klassischen  Importsubstitutionspolitik. Voraussetzungen für den entwicklungslenkenden Staat waren die Möglichkeit einer autonomen Entscheidungsfindung des  Staates, ein wirtschaftlicher Nationalismus  sowie ein aus der konfuzianischen Tradition herrührendes Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung.  Die Machthaber wollten durch die Etablierung eines entwicklungslenkenden Staates die Legitimierung ihrer autoritären Politik durch schnelles Wirtschaftwachstum und schnelle Wohlstandsmehrung  erreichen. Um sich finanzielle Mittel angesichts der abnehmenden Unterstützung der USA nach dem Koreakrieg zu verschaffen und an Auslandsdevisen zu gelangen, verfolgte Südkorea  eine Strategie der exportgeleiteten Industrialisierung.

In den 1960er Jahren und auch in den 1970ern gab es einen klar entwicklungslenkenden Staates mit einer staatsdominierten Allianz mit den privaten Firmen – gegen die Arbeit. Kennzeichen waren ein vom Staat gelenktes wirtschaftliches Management bei Privatbesitz der Industrie. Es gab extensive Interventionen, um ein schnelles Wirtschaftswachstum durchzusetzen. Das Finanzsystems war verstaatlicht und stark reguliert. Ein Machtmittel des Staates war es, unbegrenzte langfristige internationale Kredite zu niedrigen Zinsen durch regierungskontrollierte Banken an die Firmen zu vergeben, außerdem garantierte er die Rückzahlung von Krediten, die ausländische Finanzinstitutionen an südkoreanische Unternehmen vergeben hatten. Es kam dadurch  zu einer starken Beschleunigung des Zuflusses von Auslandskrediten.  Ausländische Direktinvestitionen jedoch wurden durch den Staat vorsichtig begrenzt und reguliert, der Besitz der industriellen Basis sollte in koreanischer Hand bleiben. Insgesamt kann man von einer staatsgelenkten Allokation nationaler  finanzieller Ressourcen hin zu den privaten Firmen sprechen. Der Staat besaß durch die Kontrolle über die Finanzen die Möglichkeit, die Firmen zu disziplinieren, seinen Strategie zu folgen. Die größte Rolle spielten in Südkorea die chaebol, große, multidimensionale, hierarchisch organisierte, rechtlich unabhängige Unternehmen, deren Besitz jedoch faktisch hoch konzentriert in den Händen einer Familie (durch cross-shareholdings) konzentriert ist. Es handelt sich um die größte Form familien-kontrolierter Business-Gruppen der Welt. Ein wichtiger Faktor für das schnelle Wirtschaftswachstum und die Industrialisierung Südkoreas war die Konzentration auf den Export. Es gab zahlreiche Mitteln der gezielten staatlichen Exportförderung.  Im Zeitraum 1962 bis 2001 wuhsen die Exporte durchschnittlich jährlich um 22%. Zunächst konzentrierte sich der Staat auf die arbeitsintensive Leichtindustrie, die durch billige, aber relativ gut qualifizierte Arbeitskräfte sowie durch eine Unterdrückung von Gewerkschaften sowie eine niedrige soziale Sicherung (die nur 1% des GNP ausmachte) möglich war.

Anfang der 1970er Jahre wurden die (kapitalintensivere) Schwerindustrie und die chemische Industrie vom Staat als industriepolitisch bedeutsam erkannt und besonders gefördert. Man versprach sich ein höheres Wirtschaftswachstum und die bessere Ausnutzung von komparativen Kostenvorteilen. Die staatliche Kontrolle über die Finanzen wuchs weiter: in den 1970er Jahren waren 96,4% der finanziellen Assets des Landes unter staatlicher Kontrolle. In Folge der Weltwirtschaftskrise 1973 war eine extensive staatliche Intervention entscheidend für eine weitere schnelle Kapitalakkumulation und für eine sich auch in dieser Zeit erfolgende Fortsetzung des Wirtschaftswachstums. Von 1965 bis 1980 hatte Südkorea ein jährliches durchschnittliches Wachstum von 10%, was außer den OPEC und den Planwirtschaften in den 1970er und einigen Jahre der 1980er das höchstes BIP-Wachstum weltweit darstellte. Die Sozialausgaben wurden in dieser Zeit aber kaum erhöht. Der Aufbau der Schwerindustrie erfolgte durch die chaebol unter staatlichen Anweisungen. Die Motivation war für sie der Aufbau einer Allianz mit japanischen Firmen, die in Südkorea v. a. für den Exportmarkt produzierten, wodurch beide Länder Zugang zum lukrativen US-Markt erhielten. Vor allem die exportgeleitete Industrialisierung stellte also eine Art Pakt zwischen der Seite des Kapitals und dem Staat dar. Die südkoreanische Niedriglohnökonomie auch bei fortschreitendem Wirtschaftswachstum konnte durchgesetzt werden durch eine Unterdrückung der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung. Diese lief einher mit einer Unterdrückung fast aller Gesellschaftsbewegungen, z.B. Arbeiter-, Bauern-, Gläubigen-, Frauen-, Intellektuellen-, -Studentenbewegungen und einer umfassenden Disziplinierung der  Gesellschaft durch den autoritären Staat.

1979-1987: Einschränkung des entwicklungslenkenden Staates

Eine Umorientierung der Rolle des Staates und eine ökonomische Liberalisierung begann 1979/ 80. Es handelte sich dabei um eine graduelle Anpassung an neoliberale internationale Trends. Es kam zu einem relativ fundamentalen Wandel der Art wirtschaftlicher Steuerung des Staates. Seine direkten Interventionen, z.B. seine Rolle beim Identifizieren und Fördern profitabler Wirtschaftsbereiche sowie die Überwachung der privaten Firmen, bei der Festsetzung von Preisen und Mengen usw. wurde zurückgenommen, er legte eine größere Betonung auf die Stärkung marktwirtschaftlicher Mechanismen, auf ein marktorientierteres System der Ressourcenallokation und Ressourcenmobilisierung. Es gab Deregulierungen und Liberalisierungen, der Importschutz wurde liberalisiert und in der Folgezeit fast vollständig aufgehoben.

Der Staat nahm eine selektive Liberalisierung von Handels- und Finanzsektoren vor. Der Verkauf der Anteile an den Banken bedeutete einen Rückzug von der Steuerung des Finanzmarktes. Trotzdem blieben auch in diesem Bereich wichtige Entscheidungen beim Staat. Dieser übte zwar nicht mehr eine direkte, nun aber eine indirekte Einflussnahme auf die Vergabe günstigere Kredite für bevorzugte Betriebe aus und war weiterhin für die Festsetzung der Zinsen zuständig. In Folge der Liberalisierung erhielten aber die zehn größten chaebols 52 % aller Bankenanteile. Die Privatisierungspolitik des Staates führte also zu einer Expansion der chaobol in den Finanzsektor und dadurch zu einer stärkeren Kooperation zwischen Staates und chaebol bei wirtschaftlichen Entscheidungen. Durch den Bankenbesitz und durch ihre steigende Größe, Expansion und Diversifizierung kam es und mehr zu einer Machtverschiebung zu Gunsten der chaebol, von einer Dominanz des Staates zu einer Interdependenz. Seit den 1980er Jahren konnte keine südkoreanische Regierung die chaobol mehr wirklich disziplinieren. Es gab in der Folge immer mehr Konflikte, bei denen immer öfter kurzfristige Profitinteressen und Spekulationsaktivitäten der chaebol den langfristigen Industrialisierungszielen und der strategische Entwicklung, die der Staat verfolgte, gegenüberstanden. Ende der 80er war der entwicklungslenkende Staat als Folge eingeschränkt, aber auch nur und eher eingeschränkt als abgebaut.

1987-1993: Demokratisierung

1987 kam es in Südkorea schließlich zu einem Ende des autoritären Staates und zu einer Demokratisierung. In diesem Zeitraum gab es einen allmählicher Übergang, dessen Ergebnis ein viel schwächerer Staat, ein stärkeres Kapital, und eine unabhängige, relativ mächtige Arbeiterbewegung waren. Einer Anerkennung der Gewerkschaften folgten hohe Lohnzuwächse.  Seit 1988 gibt es in Südkorea zudem einen gering ausgebauten Sozialstaat (größere Sozialversicherungsprogramme waren vorher zuerst in den großen Firmen durch betriebliche Wohlfahrtsprogramme existent gewesen). Die chaebol wollten durch die Steigerung der Löhne und eine implizit lebenslange Beschäftigungsgarantie Frieden mit den Gewerkschaften schließen. 1989 kam es aufgrund ungünstiger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen zú einer Wiederbelebung einer stärker interventionistische Rolle des südkoreanischen Staates.

Ab dem Jahr 1987 gewann der Staat nicht immer die Konflikte mit den in Folge der Demokratisierung erstarkten und mächtiger werdenden privaten Unternehmen und mit den Gewerkschaften. Es kam zu einer Erosion der staatlichen Autonomie. Die seit 1987 demokratische Regierung Südkoreas war v.a. nicht mehr in der Lage, die chaebol zu kontrollieren (ein Grund war auch, dass die politische Elite auf Spenden der chaebol angewiesen war). Außerdem gingen von USA und GATT ein starker Druck zur Öffnung des südkoreanischen Marktes und ein Druck zur Reduktion oder Aufhebung von dessen Handelsschranken gegen US-Produkte und -Dienstleistungen aus. Hinzu kam ein stärkerer Protektionismus der USA und einiger EG-Länder gegen südkoreanische Produkte. Diese Faktoren hemmten den klassischen entwicklungslenkenden Staat Südkoreas und erzwangen Schritt für Schritt dessen Rückzug.

1993-1997 Erosion und Ende des entwicklungslenkenden Staates

1993 erlebte Südkorea die Transformation von einem sich neu industrialisierenden Staat zu einem fortgeschritten Industriestaat. Im Zeitraum 1993 bis 1997 kommt es aber zu einer Erosion – und mit der Asienkrise 1997 zum Untergang – des entwicklungslenkenden Staates in Südkorea. Für die 1993 neu gewählte Regierung fungierte eine sich wandelnde Rolle des Staates in der Wirtschaft unter dem Leitbild der Globalisierung als dominante Idee. An die Stelle der Förderung von wirtschaftlichem Wachstum trat die Förderung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit.  Es kam zu einem Aufschwung von Pro-Markt-Ideologien.  Der Staat verfolgte dabei jedoch eine Balance von Effizienz (durch die wirtschaftliche Liberalisierung) mit den traditionellen Zielen Südkoreas, nämlich Wirtschaftswachstum und sozialer Stabilität. Die neue Regierung unter Kim Young-sam nahm fundamentale Reformen vor. Sie legte, noch stärker als es Anfang der 80er Jahre geschah, Priorität auf eine Stärkung der Konkurrenzfähigkeit, Liberalisierungen, Deregulierungen und ein marktbasiertes Wirtschaftsystem . Der Staat nahm einen Abbau selektiver Industriepolitiken und direkter Interventionen vor. Die Sozialpolitik war unternehmerfreundlich ausgestaltet, die Steuern waren sehr niedrig. Es gab außerdem eine, wie sich nach der Asienkrise zeigte, übereifrige Liberalisierung der Finanzmärkte mit weniger Interventionen des Staates und der Möglichkeit von deutlich mehr ausländischer Teilhabe im südkoreanischen Finanz- und Kapitalmarkt. So betrugen die Portfolie-Investments in Südkorea 1991 noch 2,5 Milliarden Dollar, 1994 bereits 29,7 Milliarden; die Bankverbindlichkeiten im Ausland wuchsen von 1991 bis 1994 um 49%. Das Fehlen einer Aufsichtsregulation und einer Überwachung des Finanzsystems stellte dabei eine große Verwundbarkeit dar.

Bei aller Liberalisierung war die südkoreanische Regierung jedoch nie eine minimalistische, der Staat blieb immer noch ein wichtiger und signifikanter Akteur  in der Wirtschaft. Er fungierte als Marktteilnehmer, bestimmte die Weite und die Geschwindigkeit der Öffnung der südkoreanischen Volkswirtschaft und beeinflusste die Internationalisierungsstrategien der Firmen. Globalisierung bedeutete für Südkorea in diesem Zeitraum weniger Öffnung südkoreanischen Märkte für ausländische Unternehmen, sondern eher eine Expansion der chaebol auf den Weltmarkt. Deren Lobbying-Stärke und ihr Einfluss auf den Staat nahmen als Folge ihres wirtschaftlichen Erfolges und der Finanzierung von Parteien noch mehr zu. Ebenso wuchsen deren nichtproduktive Aktivitäten sowie Investitionen in riskante und spekulative Unternehmungen. Es gab eine exzessive Verschuldung der Privatkonzerne, die oft kurzfristig war (zu 67%), aber investiert war in langfristige Projekte. Das Verhältnis von Schulden zu Eigenkapital der Top 30 chabol betrug 1996 386,5%, im darauffolgenden Jahr waren es schon 519%.

Diese und andere negative Seiten des entwicklungslenkenden Staates wirkten sich in diesem Zeitraum immer mehr aus. So waren dies etwa wirtschaftliche Nachteile durch Monopolstrukturen, Ineffizienzen durch die Staat-Wirtschafts-Kooperation, Korruption und moral hazard- Verhalten. Dazu kamen eine zu starke Exportlastigkeit (1996 von 26,9%) sowie Überinvestitionen in die Schwerindustrie und in die chemische Industrie. DIe Hauptschwäche aber lag im Fiannzbereich: 1997 betrug das Verhältnis von kurzfristigen Schulden zu den Devisenreserven 4:1. Von 1992 bis 1996 wuchsen die geliehenen ausländischne Mittel um 158%, die kurzfristige Verschuldung der chaebols  betrug 1996 63%. Es gab durch die hohe Auslandsverschuldung, die Abhängigkeit von Exporten und die Liberalisierung des südkoreanischen Finanzmarktes eine starke (und immer stärker werdende) Verwundbarkeit der südkoreanischen Wirtschaft gegenüber plötzlichen Marktveränderungen und externe Schocks. Der Staat trug mit seiner Garantie des Rückzahlens der Schulden an das Ausland und v. a. mit einer viel zu schnell erfolgten und zu weitreichenden Liberalisierung des südkoreanischen Finanzmarktes dazu bei. 1997 kam es durch diese Anfälligkeit dann zur Asienkrise, die Südkorea besonders hart traf.   In Folge der Konditionen des Internationalen Währungsfonds wurden in Südkorea schließlich die letzten Reste des entwicklungslenkenden Staates beseitigt und Südkorea zu einer wirtschaftsliberalen Marktwirtschaft umgewandelt.

Bewertung

Die Erfolge des südkoreanischen Modells des enwicklungslenkenden Staates wurden sehr deutlich: ein überaus hohes Wirtschaftswachstum, eine allgemeine Wohlstandssteigerung, Vollbeschäftigung und soziale Inklusion. Jedoch gab es auch zahlreiche Schwächen. Die Wirtschaft war zu sehr auf den Export konzentriert, später wurde der Finanzsektor viel zu schnell liberalisiert. Man kann in diesem Zeitraum von einer Partnerschaft zwischen dem (bis 1987 autoritären) Staat und dem Kapital gegen die Arbeit sprechen. Die Löhne waren niedrig, Sozialversicherungen kaum vorhanden. Militär, staatliche Bürokratie und Chaebol waren miteinander verwoben und voneinander abhängig.  Die großen, von Familien (auch in den seltensten Fällen von professionellen Managern geführten) chaebol erhielten eine extrem große Macht, in der Gesellschaft und über den Staat. Die Verbindung zwischen Staat und Privatwirtschaft führte zu Ineffizienzen und auch zu Korruption. Dieser Staat regierte autoritär, setzte seinen Willen notfalls auch mit Zwang durch. Andere gesellschaftlichen Kräfte wurden kaum zugelassen, Gewerkschaften wurden gewaltsamer unterdrückt. Der diktatorische Staat unterdrückte lange fast alle auf Demokratie gerichteten gesellschaftlichen Bewegungen, die südkoreanische Gesellschaft war eine zutiefst undemokratische und autoritäre. Bestimmt also kein Staat, in dem man gerne leben würde.

Jedoch liefert Südkorea auf wirtschaftspolitischer Seite auch ein Exempel, dass der Staat durchaus eine positive Rolle in der Wirtschaft spielen kann. Wenn er die nötigen Fähigkeiten besitzt und die gesellschaftlichen Institutionen bestehen, gesellschaftliche Ressourcen (Kapital und Arbeit) auf nationale Ziele zu mobilisieren, kann er große Erfolge erzielen. Diese werden jedoch um so mehr dem Wohle der Allgemeinheit dienen, je demokratischer das Land ist und je stärker die politische Elite dem Willen des Volkes verpflichtet ist.

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Ohne Vorratsdatenspeicherung drohen uns ganz und gar unermessliche Gefahren!!!

Nach dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung beginnen die Medien bereits mit einer Kampagne, dass nun ohne eine Vorratsdatenspeicherung unermessliche Gefahren drohen könnten. Warum dies getan wird, liegt relativ nahe: man will unbedingt eine Neuauflage erreichen; und auch, dass dabei eher Panik geschürt statt sachlich berichtet wird, ist wenig überraschend.  Aber wie Politik, Sicherheitsbehörden und Medien dann genau vorgehen, ist dann doch relativ absurd.

(1)

Am Tag der Entscheidung des BVerfG waren bereits kurz nach der Urteilsverkündung die ersten Medlungen in den Radio-Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass Sicherheitsbehörden, Innenminister, CDU o.ä. das Urteil heftig kritisierten (und das wurde verkündet, noch bevor das Urteil überhaupt erst mal erklärt wurde), dass nun zehntausende (sic!) Verbrechen nicht mehr aufgeklärt werden könnten und unglaublich viele furchtbare und ganz unmittelbare Gefahren lauerten. Selbstverständlich wurde das dann auch so berichtet, als wäre es die objektive Wahrheit.

Diese “Nachrichten” waren in keiner Weise um Neutralität oder Objektivität bemühte Meldungen, sondern ganz klare, überaus einseitige, aber in ihrer Plumpheit auch hoffentlich von vielen Zuhörern durchschaute Kampagnen. Im heute-journal kam nach einer anfangs sehr guten Einleitung dann aber in einem langen Interview ein Hardliner aus dem Bund der Kriminalbeamten (BdK) zu Wort. Ganz vorne bei der Propaganda mit dabei ist natürlich die Springer-Presse. Auch das ehemalige Nachrichtenmagazin schürt fleißig Panik, aber sogar die Süddeutsche beteiligt sich.

(2)

Im ganzen Internet (oder, wie es meist heißt, „Cyberspace“) drohe, so der Tenor dieser “Berichte”, an allen Ecken und Enden Online-Betrug, Kinderpornografie oder Terrorismus, überall werden ständig Anschläge geplant oder – ich weiß leider nicht mehr, ob es ZDF oder Deutschlandradio war – es werden sogar Einbrüche geplant (das haben die wirklich so gesagt!)! Ja, wer kennt das nicht, ein paar Minuten nur in diesem komischen Internetz sind schlimmer als ein Leben in den härtesten Bezirken von Rio de Janeiro oder den schlimmsten Ecken Johannesburgs! Wenn man da nicht Acht gibt, kann einem ja so gut wie alles passieren! Das Web ist böse.

(3)

Und v.a.: so gut wie alle denkbaren Verbrechen werden ja dort, wenn nicht begangen, so doch geplant, und auch abseits dieses Cyberspace droht nun, da die Vorratsdatenspeicherung erst einmal gestoppt ist, überall alles. Der bayrische Innenminister warnt sogar, dass der “rechtlose Zustand” gar Menschenleben kosten könnte. Doch nicht nur mehr oder minder schwere Straftaten, die Latte wird gezielt immer weiter nach unten gesetzt. So beklagt der BdK (erwähnt in dem selben Spon-Artikel) , dass auch etwa Beleidigung im Internet nicht mehr aufgeklärt werden könnten. Und das, Zitat BdK, “können wir nicht hinnehmen”. Nein, das können wir nicht! Wo kämen wir denn da hin?Ganz Deutschland droht ja schon jetzt in Chaos und Verbrechen zu versinken! Alles ist jetzt möglich! Ob Einfuhrschmuggel von Waffen oder Betäubungsmitteln, oder angedrohte Amokläufe und Bombelegungen – überall sind nun der Polizei die Hände gebunden! Und man könnte nun selbst – und das wird tatsächlich von der Polizei so kommuniziert! – gegen Suizidankündigungen oder bei Vermisstenfällen nicht mehr vorgehen. Oder, ganz klar, man brauche die Vorratsdatenspeicherung, so der bayrische Innenminister, um “verunglückte Bergsteiger zu retten”. Die Grenzen zur Realsatire sind wirklich fließend.

Man muss es sich wirklich mal vor Augen führen: da werden wahllos auch noch so große Gefahren aufgebauscht, gar Gefahren für Menschenleben behauptet, von den gleichen Seiten dann aber auch direkt so etwas wie Betrug oder gar Beleidigungen quasi auf die selbe Stufe gestellt, und unsere Qualitätsmedien nehmen das alles völlig komentar- oder kritiklos hin. Und es stört auch nicht, dass dank dem BVerfG der Zugriff auf die Daten ja auch bisher auf schwere Straftaten beschränkt war und die Verfolgung oder Verhinderung der meisten genannten Delikte ja auch bisher gar nichts mit der Vorratsdatenspeicherung zu tun hatte (und es daher auch keine Veränderungen geben wird).

(4)

Es muss nicht erwähnt werden, dass dieses Strategien höchst unseriös sind und natürlich in erster Linier dazu dienen, bei den nicht so sehr mit Technik und v.a. dem Internet vertrauten Bürgern Panik zu schüren (etwas komisch mutet es dennoch an, dass etwa die Telefonverbindungsdaten kaum angesprochen werden). Dass der Satz „das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“ nun mal wieder an allen Ecken und Enden zu hören ist, versteht sich von selbst. Auf tatsächliche Argumente, Beweise, dass die Vorratsdatenspeicherung wirklich so nützlich in Verbrechensaufklärung oder -verminderung ist, wie behauptet wird, wartet man natürlich vergebens.

Kein Beispiel scheint zu absurd, kein Zusammenhang zu konstruiert, um die angeblichen Gefahren, die ohne Vorratsdatenspeicherungen drohen, an die Wand zu malen. Jedes Verbrechen oder Vergehen, jede Ordnungswidrigkeit kann genannt werden, gegen die man dann keine Handhabe mehr hätte – man muss sich nicht wundern, wenn demnächst z.B. illegaler Handel mit Atomwaffen, Autodiebstahl oder Nichtentfernen von Hundekot auf Bürgersteigen nun ganz bedrohlich würden, weil es keine Vorratsdatenspeicherung mehr gibt.

Denn das ist klar: niemand ist mehr sicher!!!

Bildquellen:

(1) Dirk Adler / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

(2) Vaguely Artistic / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

(3) Bram  Opstaele / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

(4) Cole  Henley / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

[Diesen Beitrag kann man auch beim binsenbrenner.de lesen.]

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