Sich über “die Jugend von heute” zu beschweren, ist seit je her sehr beliebt (sehr beliebt ist es aber auch, darauf mit einem falschen Sokrates-Zitat zu antworten). Die neue Shell-Jugend-Studie aber führt diesmal zu einer ganz anderen Situation: Von den Autoren wie auch in den deutschen Mainstream-Medien wird die heutige junge Generation nun fast schon überschwänglich gelobt.
Kein Wunder, schaut man sich einige Ergebnisse der Studie an. Kaum eine Generation erscheint für das neoliberale System passender als diese. Die “heutige Jugend” ist wie keine vorangegangene grenzenlos von sich selbst überzeugt, egomanisch und oppurtunistisch-pragmatisch eingestellt. Sie ergibt sich dem Konkurrenz- und Statusdenken, der “Leistungsorientierung”, den Werten und Erfordernissen des ungezügelten Kapitalismus. Eine Generation, die ohne jedes Zögern zwischen dem Job bei Greenpeace und dem bei Shell wechseln könnte – man kann ja auch online eine Petition gegen Atomkraft unterzeichnen, das reicht. Überzeugungen und Werte werden den Zwängen des System untergeordnet. Persönlicher Erfolg in der Leistungs- und Konsumgesellschaft ist für sie das Wichtigste. (more…)
Thilo Sarrazin und seine rassistischen und sozialdarwinistischen Äußerungen bleiben nicht wirkungslos auf die öffentliche Meinungsbildung. Er hat es bereits geschafft, dass einige (rechts-)konservative Journalisten und Rechtsintellektuelle sich nun aus ihren Löchern trauen, um ihrer ganzen Menschenverachtung endlich freien Lauf zu lassen. Verteidiger Sarrazins finden sich etwa bei der Springerpresse, der Rheinischen Post, der Süddeutschen oder bei Deutschlandradio Kultur.
Dort gibt es im “Politischen Feuilleton” einen Kommentar von Cora Stephan (Text, MP3), der glatt als Liebeserklärung an Thilo Sarrazin durchgehen, dabei aber auch mit den Hetztiraden von Fox News oder Politically Incorrect mithalten könnte. Jede Zeile trieft vom Hass auf (folgendes bitte in Anführungszeichen denken) das linke Gutmenschenpack, die schmarotzenden Ausländer, Multikulti und die political correctness – und von der Verachtung von Menschlichkeit. Sarrazin mit seiner Sammlung unwissenschaftlichen Blödsinns wird konsequent als Darsteller von objektiven Zahlen und Statistiken, gar von Fakten stilisiert. Es ließe sich nicht leugnen, dass, so im besten Rechtsaußenjargon, sich ein Teil der Ausländer nicht integrieren wollte und die deutsche Kultur verachte. Und der Türke sei nun beleidigt, weil man diese “Wahrheiten” ausspreche. (more…)
Zu Sarrazin wurde dieser Tage schon sehr viel gesagt und geschrieben. Ich möchte aber hier dieses nicht wiederholen, sondern nur kurz ein paar Punkte ansprechen, die mir zusätzlich noch erwähnenswert erscheinen. Dabei geht es insbesondere um die Wirkung Sarrazins auf die öffentliche Meinungsbildung und um die Nähe seiner Auffassungen zum Sozialdarwinismus und zur Eugenik.
Sarrazin sage doch nur das, was der kleine Mann auf der Straße denke, hört man oft. Wie so oft wird “der kleine Mann” bemüht, wird von “Denkverboten” gesprochen, wenn man eine Ansicht verbreiten will, für die es keine Belege gibt (“Gefühlt hat er doch Recht!”). Der hier vorgestellte “kleine Mann” aber ist extrem anfällig für politische und mediale Meinungsmache, wie die NachDenkSeiten Tag für Tag eindringlich demonstrieren. Die Presselandschaft in Deutschland ist zweifelsohne neoliberal und eher konservativ geprägt, doch in Fragen der Ausländer- und Intergrationspolitik konnte man, bis auf einige Gossenpostillen, in den letzten Jahrzehnten doch eine eher liberalere, tolerantere Linie erkennen. Doch diese bröckelt immer mehr. Erstmals seit 65 Jahren gibt es dieser Tage auch in der deutschen Presse wieder Veröffentlichungen (wenn auch eher wenige), die offenen Rassismus und Sozialdarwinismus (denn offener, als es Sarrazin macht, geht es in der Tat kaum) beschwichtigen und beschönigen (etwa: der Stil sei nicht angemessen, aber inhaltlich stimme da doch vieles), wenn nicht gar teilweise wieder salonfähig machen wollen. Wenigstens zeigen nun einige ihr wahres Gesicht: Die deutschen Rechtsintellektuellen, wie etwa Broder oder Baring zeigen, dass sie keinesfalls nur, wie sie immer betonen, konservative, liberale oder gar linke Werte verkörpern. In den letzten Tage wurde dann der Öffentlichkeit von vielen Medien eingeredet, dass etwa die Bundesbank Sarrazin nicht rausschmeißen könne – oder solle, und es gab gar die abenteuerliche Behauptung, dass angeblich große Teile der SPD-Basis auf Sarrazins Seite stünden. Aber selbst wenn sich die Bundesbank doch von Sarrazin trennen sollte, selbst wenn er aus der SPD ausgeschlossen wird: Das Gift, dass er in die Welt gesetzt hat, wird bleiben. (more…)
“Unangenehme Wahrheiten …”, “Die Linke vermeidet eine notwendige Diskussion …”, “… aber er hat doch recht!” Nicht der Sozialrassist und Populist Thilo Sarrazin ist das eigentlich Entsetzliche an der momentanen Debatte, sondern die Masse der Apologeten, die seine “Argumente” unkritisch aufgreifen und ihn gegen Kritik zu verteidigen suchen.
Egal, welche Ausfälle sich Sarrazin leistet, ob er nun von “Kopftuchmädchen” oder einem Judengen schwadroniert, ob er ALG-II-Empfängern Ernährungs- und Energiespartips erteilt oder Horrorszenarien von der drohenden Verdummung Deutschlands durch Migration und Demographie entwirft – stets findet sich eine buntscheckige Posse von Claqueuren. Die Spannbreite reicht dabei von den üblichen Verdächtigen wie der NPD und pro Deutschland, über Teile der Presse wie bspw. der Spiegel und BILD, die sich nicht genierten, via Vorabdrucken für Sarrazins Buch die Werbetrommel zu rühren, bis hin zum Mann auf der Straße, dessen Vorurteile bestens bedient werden. (more…)
Thilo Sarrazin hat ein Buch geschrieben. Das ist nichts Besonderes, das machen abgehalfterte Politiker nach dem Ende ihrer Karriere schon mal gern, so eben auch “Pöbel-Thilo”. Tagtäglich kommen in Deutschland über 200 Neuerscheinungen auf den Markt und Sarrazins Buch “Deutschland schafft sich ab” ist nur eine davon – muß man es und ihn also wahrnehmen? Ich meine ja.
In seinem aktuellen Beitrag “Der Wahnsinnige am Bohrer” schreibt Michael Spreng beim Sprengsatz, man solle Sarrazin doch die Aufmerksamkeit – und somit den medialen Boden – entziehen, eine Meinung, die ich dieser Tage auch von verschiedenen Kolleginnen und Kollegen vertreten fand. Schließlich nähre diese Aufmerksamkeit nur seinen zweifelhaften Erfolg als Populist und befördere nun sein Buch bereits vorab zu einem Bestseller, der schon jetzt bei Amazon auf Platz 1 der Sachbuch-Bestsellerliste steht. Die “Lösung” könnte zielführend sein, wenn es sich bei Sarrazin um ein isoliertes Phänomen handeln würde, jedoch ist der Sachverhalt durchaus komplexer.
Der vormalige Berliner Finanzsenator und jetzige Bundesbanker versteht es hervorragend, die Ressentiments und Xenophobien von Millionen Bundesbürgern zu bedienen, ist dabei aber nicht alleine, sondern Teil eines Trends. Auch andere Personen des öffentlichen Lebens wie bspw. die Herren Buschkowsky, Heinsohn oder Sloterdijk haben diesen Trend wohl erkannt und greifen ihn – ähnlich einem Geert Wilders in den Niederlanden – zunehmend auf. Insofern ist “Pöbel-Thilo” nicht ein Einzelfall, sondern eher als symptomatisch anzusehen für eine Gesellschaft, die immer weiter nach rechts rückt und wachsend Vorurteile wie auch soziale Kälte entwickelt. (more…)
Die großen deutschen Energieversorger, unter Federführung des RWE-Chefs Jürgen Großmann, bedienen sich des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), um die Regierung unter Druck zu setzen, einen atomfreundlicheren Kurs einzuschlagen. Dies kommt zwar nicht unerwartet, zumal im Sinne der Vertretung eigener Interessen, ungewöhnlich aber ist es allemal, denn der Ansatz ist neu: Eine massive mediale Kampagne, um öffentlich Druck auszuüben. (more…)
In einem Interview von Deutschlandradio Kultur spricht der SWR-Chefreporter und Vorsitzende des Vereins netzwerk recherche Thomas Leif über Probleme des deutschen Journalismus. Von den Medien immer wieder als angebliche “Experten” präsentierte Wissenschaftler o.ä. sind nicht selten Mietmäuler einer bestimmten Klientel, trotzdem werden sie von den Medien immer wieder befragt. Prominenz ist dabei meist wichtiger als Kompetenz, und v.a. als Unabhängigkeit.
Er beschreibt damit ein nur zu bekanntes Problem. Ein Blick in irgendeine der Polit-Talkshows genügt ja schon: So sicher wie das Amen in der Kirche wird man dort irgendeinen Lobbyisten der Arbeitgebern, der Versicherungswirtschaft, einer bestimmten Branche usw. als “unabhängigen Experten” präsentiert bekommen. Professor Raffelhüschen ist da wohl das augenfälligste Beispiel von geradezu unzähligen.
Ein weiteres Problem laut Leif: Für investigativen Journalismus stünden heute kaum mehr Mittel bereit, der Zeitdruck in den Redaktionen wachse. Und schließlich habe gerade die junge Journalistengeneration oft überhaupt keine Skrupel, Journalismus und PR zu vermischen. (more…)
Kurz ein paar Hinweise auf einige recht interessante Vorgänge und Meldungen der letzten Tage:
Laut einer Studie des Umweltbundesamtes könnte der Strom für Deutschland im Jahr 2050 komplett aus erneuerbaren Energien kommen (via). Es sei möglich, die Treibhausgasemissionen auf nahezu Null zu senken. Die technischen Voraussetzungen seien dabei heute schon gegeben, das vorhandene Potential müsste nur voll ausgenutzt werden. Selbst bei heutigem Lebensstil und Konsum- und Verhaltensmuster sei dies möglich. Und die Kosten wären geringer als die Kosten, die ein ungebremster Klimawandel verursachen würde.
All das Gerede, Solar-, Wasser-, Windkraft und Erdwärme könnten nie den Strombedarf komplett decken, die von den Mietmäulern der Energiekonzerne und der Atomwirtschaft, oft mit dem Argument der angeblich unüberwindbaren Schwankungen, immer wieder in der Öffentlichkeit lanciert werden, sind falsch. Die Fluktuation kann jederzeit sicher ausgeglichen werden, da sich die unterschiedlichen Erzeugungsarten der erneuerbaren Energien, die Speicher und das Lastmanagement gut ergänzen können, so die Studie. (more…)
Immer wieder findet man vor allem im Internet das Argument, man solle mit einer Diskussion über ein bestimmtes Thema – über etwa einen aktuellen politischen Vorstoss, der nicht die eigene Meinung repräsentiert – doch nicht “DIE auch noch stärken”, indem man sich überhaupt mit dem jeweiligen Thema beschäftigt. Egal, worum es geht: Man kann sich sicher sein, dass sich irgendwann jemand in einer Diskussion findet, der sich beschwert, dass diese Diskussion überhaupt stattfindet.
Ob da einige das Phänomen der Internet-Trolle zu sehr breittreten, will ich mal stehen lassen. Diese Ansicht ist auf jeden Fall in vielerlei Hinsicht nicht zielführend. Sie ist vielmehr, um es hart auszudrücken, meist genauso sinnentleertes Gerede wie, dass man etwa mit Demonstrationen gegen Nazis “denen dadurch ja nur noch mehr Aufmerksamkeit schenkt”. Zu Recht werden häufig die Konservativen und Liberalen, die sich in vielen Städten nicht an Anti-Nazi-Demonstrationen beteiligen wollen, für diese Einstellung kritisiert. Sollen wir es tolerieren, dass die Feinde der Toleranz und der Freiheit ihre rassistischen und faschistischen Botschaften weiter verbreiten dürfen? Das würden sicherlich viele ablehnen. Und soll man denn andererseits selbst die hetzerischsten und menschenverachtendsten Aussagen einfach stehen lassen egal, wie es die, die überall von Trollen sprechen, wollen – egal, wie schlimm sie sind (es gilt bei manchen offenbar fast: je schlimmer die Aussage eines “Trolls”, desto weniger sollte man drüber reden)? Werden Werte wie Freiheit, Demokratie, Menschenrechte nur auf der Straße verteidigt, oder geht es nicht auch darum, sie als Idee zu verteidigen – gegen alle Anfeindungen, auch wenn etwa sie aus dem Feuilleton einer als seriös angesehen Zeitung kommen?
Sollen wir doch die ganzen Sarrazins, Heinsohns, Westerwelles, die versammelte Springer-Journaille hetzen und Unwahrheiten verbreiten lassen? Genau! Tun wir einfach so, als gäbe es sie nicht, und beschäftigen wir uns mit etwas anderem. Am besten mit irgendwas, was man in der Realität nie wird umsetzen können, vor allem, weil man sich mit Gegenargumenten ja nicht beschäftigt, da man damit ja nur die, die die Gegenargumente vorbringen, stärken würde.
Ich denke, die reflexhafte Verwendung des “sollten wir gar nicht erst drüber reden und ihnen Aufmerksamkeit schenken”-Arguments ist oft begründet in der Unfähigkeit bzw. in dem Unwillen, politische Gegner argumentativ zu widerlegen. Denn auch wenn die Äußerungen, die man “einfach nicht beachten” soll, oft äußerst plump sind – es geht um das Gedankenbild, das dahinter steht. Und das ist durchaus ausgearbeiteter, als ein platter Spruch auf einem FDP-Plakat einen glauben lassen mag (in den meisten Fällen zumindest).
Es ist im öffentlichen Meinungsbildungsprozess nicht immer so einfach wie bei einem Internet-Troll, dass er tatsächlich bald aufgibt, wenn man ihn ignoriert. Und selbst wenn man das tut: viel zu viele tun dies in der öffentlichen Diskussion ohnehin nicht. Also muss man ihnen Contra bieten. Es geht in der politischen Auseinandersetzung ja gerade darum, die besten Argumente zu finden, Argumente der anderen Seite zu widerlegen oder sie eben als falsche Argumente zu entlarven. Viel zu viele Leute glauben diesen Blödsinn, bei dem sich jeder vernünftige Mensch natürlich erst denkt, darüber muss man ja gar nicht sprechen, so dumm ist das, tatsächlich. Will man sie nicht alle gänzlich verloren geben, muss man versuchen, wenigstens einige von ihnen mit der Kraft der Logik und der Vernunft, durch eine sachliche Argumentation zu überzeugen. Man muss darauf aufmerksam machen, wenn jemand rassistische und sozialdarwinistische Einstellungen verbreiten will, und man muss es nicht nur sagen, man muss es auch belegen. Plumpe Propaganda sollten diejenigen, denen es um Emanzipation und Aufklärung der Gesellschaft geht, sich nicht zu eigen machen.
Alles dasselbe!
Wenn diese Leute sich dann doch einmal zu einem Thema äußern – und damit dann eigentlich in ihrer eigenen Logik “die Aufmerksamkeit nur auf DIE” lenken (wo sie in der Realität ohnehin leider oft ist), begegnen wir oft einer anderen verbreiteten Unsitte. Die Argumentation ist dann ähnlich einfach oder vereinfachend, wie die der kritisierten Seite. Ein Beispiel: Marxismus ist entweder das Grundübel an sich oder die unfehlbare Quelle aller Weisheit. Alle wirtschaftlichen Probleme, egal welche, sind nur ein Zeichen des naturgesetzmäßigen Untergangs des Kapitalismus, deshalb muss man sich keine große Mühe machen, sich die Vorgänge mal genau anzuschauen. Die Kapitalisten wollen den Arbeiter ausbeuten, und am besten bringt man dann noch ein Brecht-Zitat. Vulgärmarxismus kann man das auch nennen.
Und natürlich ist ja alles das selbe: alle, alle, alle sind neoliberal (außer der Gruppe, zu der man gerade gehört), zwischen Guido Westerwelle und Dietmar Bartsch gibt es so gut wie keinen Unterschied, Meinhard Miegl, Arnulf Baring oder Hans-Werner Sinn vertreten im Prinzip genau das selbe wie Heiner Flassbeck oder Paul Krugman, und alle sind sie: Kapitalisten!. Und uns würde ja sowieso nur die Revolution helfen, wenn, ja wenn sie endlich alle aufstehen würden, anstatt im Internet andere belehren zu müssen, entweder über ein Thema nicht zu sprechen, da man damit nur die falsche Seite stärkt, oder man versichern muss, dass sowieso fast jeder zu dieser falschen Seite gehört. Dann könnte das noch was werden.
Auf diese Weise mag man in seinem Weltbild schön zu Rande zu kommen. Vor den wirklichen Problemen verschließt man aber die Augen. Und verändern wird man nichts.
Wenn mehrere Sport-Berichterstatter Politik-Talkshows moderieren, kann man auch, wenn man sich sonst eher den politischen Themen zuwendet, mal ein paar Betrachtungen zur Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika anstellen. Und wie erstere, um komplizierte politische und wirtschaftliche Zusammenhänge für das Publikum (und sich selbst) verständlich zu machen und die aufgetragene Botschaft rüberzubringen, oft Vereinfachungen aus der Welt des Sport benutzen (“Wir brauchen wieder einen Führungsspieler”, “Hauptsache wir gewinnen, egal wie!”), so werden auch hier neben den fußballerischen Betrachtungen einige politische und gesellschaftliche Zusammenhänge Erwähnung finden.
Die WM ist bisher eine überwiegende Enttäuschung. Natürlich, man kann es nicht oft genug wiederholen, trägt die Hauptschuld der unerträgliche laute und monotone allgegenwertige Vuvuzela-Pegel. Völlig egal ob das “dort” nun mal dazugehört – so macht Fußballkucken, und, wie fast alle Mannschaften beklagen, auch Fußballspielen keinen Spaß. Blasmusik ist auch Kultur und muss dennoch nicht von allen geliebt werden – und wenigstens besteht sie aus mehr als nur einem einzigen Ton! Ja, dieser eine einzige Ton, 90 Minuten lang, ohne jegliche Variation!!! Es gibt keine Stimmung, keinen Jubel, Gesänge gehen sowieso unter, nichts. Jedes Spiel, jede Spielsituation ist akustisch genau die gleiche.
(2)
Die Kommentatoren wollen diese nervige Geräuschkulisse noch überbieten. Neben Platitüden treten oft Vorurteile und andere fragwürdige Botschaften (näheres siehe unten). Die Analyse-Teams schwanken in ihrer Qualität. Sind Jauch/Klopp und Netzer/Delling wenigstens noch relativ unterhaltsam und liefert Scholl (mit Beckmann) noch etwas fußballerischen Sachverstand, gibt Kahn bei Müller-Hohenstein meist nur Binsenweisheiten von sich. Die anderen Teams sind so farblos, dass sie einem kaum einfallen mögen.
Dier übertragenen Bilder sind grausig. Man sieht kaum Bilder aus den Stadien. Eine WM ohne Fans ist aber nur eine halbe. Während die Regie bei der letzten WM meist die richtige Balance fand zwischen dem Spiel, Wiederholung von wichtigen Momenten und Bildern des Publikums und von der Trainerbank (und es dabei manchmal eher bei den beiden letzteren übertrieb), sind jetzt pro Spiel höchstens mal zwei kurze Einblendungen von den Zuschauern im Stadion zu sehen. Dazu kommen ständige extreme Zeitlupen, aber ausgerechnet wichtige Situationen werden dann nicht wiederholt. Die Werbung kommt natürlich nirgends zu knapp (wenigstens im RTL-Livestream sieht man stattdessen Trailer und ein bisschen Werbung für Seiten mit Videoclips).
Die Schiedsrichter machen bei dieser WM viele Spiele kaputt. Der Maßstab, wie Karten vergeben werden, ist völlig verrutscht, wenn jede Berührung zu jeder Karte führen kann. Oft werden die Mannschaften doppelt oder dreifach bestraft, wenn ein Spieler wegen einer geringfügigen Aktion im Strafraum vom Platz gestellt wird, die Mannschaft also einen Spieler weniger hat, einen Elfmeter gegen sich erhält und, wenn es der Torwart war, der Ersatztorwart eingewechselt werden muss. Hier müssen unbedingt andere Regeln her, soll der Fußball nicht zu reinen Glücksspiel verkommen.
Schöner Fußball? Da ist man meist fehl am Platz
Ohne die ganzen Fehlentscheidungen der Schiedsrichter, Handspiele im 16er und Torwartfehler hätte diese WM aber andererseits ihren Tornegativrekord noch einmal drastisch unterboten. Die kleinen Mannschaften scheinen aber auch deshalb diesmal erfolgreicher, weil sie sich auf die Defensivarbeit konzentrieren.
Viele Favoriten haben bisher enttäuscht. Wenn doch mal einer ganz gut spielt, wie Brasilien oder die Niederlande, sind die Kommentatoren aber dennoch die meiste Zeit damit beschäftigt, zu erzählen, wie schlecht der Favorit eigentlich spiele. Das wäre natürlich zu verkraften, wenn die anderen Mannschaften schönen Fußball bieten würden. Aber meist sieht man den “erfolgsorientierten Ergebnisfußball”, den die deutschen Kommentatoren energisch uunterstützen. “Es kommt nicht darauf an, ob man schön spielt, sondern darauf, dass man gewinnt!” Für das einzelne Spiel mag das ja wahr sein – aber der Fußball lebt nun mal ganz allein von den Zuschauern, und wenn die weg bleiben, brechen auch die Einnahmen weg.
Natürlich kann man diese Ansicht auch als eine Parallele oder Verstärkung derer ansehen, die die herrschenden Kräfte in der Gesellschaft durchsetzen wollen: Hauptsache, man setzt sich gegen den anderen durch, egal wie man das erreicht. Jedes Mittel ist recht für den Erfolg, wie im Fußball, so im Leben. Und das ist nicht die einzige auch gesellschaftliche zu verstehende Botschaft, die die Medien rund um den Fußball zu transportieren versuchen.
Nationalismus, rassistische Vorurteile, Führersehnsucht – muss das sein?
WIR haben ein Tor geschossen, die Nationalspieler haben ein Gegentor kassiert. WIR haben gut verteidigt, der Sturm war schwach. WIR kriegen einen Elfmeter zugesprochen, Podolski verschießt ihn. Wenn die deutsche Nationalmannschaft gewinnt, hat Deutschland gewonnen, haben WIR gewonnen. Verliert sie, haben die Spieler auf dem Platz das Spiel verloren.
(3)
WIR, die Deutschen an sich, sind natürlich diszipliniert, ordentlich und fleißige Arbeiter, auch auf dem Fußballplatz. Die Engländer schlagen die Bälle nach vorne und das Land kann keine guten Torhüter gebären. Die Südamerikaner können nun einmal Fußball spielen, das haben sie “im Blut”. Das kann dabei auch beliebig ausgeweitet werden, Hauptsache im Süden. Da können sie halt schönen Fußball, wenn auch sonst wenig. Auch die in Deutschland aufgewachsenen Mesut Özil und Sami Khedira haben wegen ihrer südländischen Herkunft technische Fähigkeiten, kriegt man dann tatsächlich zu hören. Allerdings neigt der Südländer auch zu Nickligkeiten und versteckten fiesen Fouls, während der Südosteuropäer einfach hart rumbolzt und foult. Dem Afrikaner wird man niemals beibringen können, finanzielle Angelegenheiten nicht kurz vor dem Spiel regeln zu wollen, das geht einfach nicht. Keine Chance! “Der Neger” kann nun mal nicht anders!
Hier wird Alltagsrassismus nicht nur wiedergegeben, hier wird er verstärkt und oft auch erzeugt. Und wenn ein Spieler ein ganz tolles Gefühl haben muss, fällt einem dazu kein anderer Vergleich mit einer anderen ganz tollen Situation ein als mit einem – Reichsparteitag??? Doch nein, Deutschland ist ja gar nicht rassistisch, es schiebt zwar Flüchtlinge ab, bürgert aber die guten Ausländer ein, wenn man sie gebrauchen kann, z.B. im Fußball. Alles in Ordnung also.
Und das ZDF heute journal “berichtet” tatsächlich, dass mit dem Aus der französischen Nationalmannschaft dort auch das “Multi-Kulti”-Modell (dass weiße und schwarze Spieler in der Mannschaft spielen) gescheitert sei. Gerade das ZDF scheint wirklich unaufhaltsam auf dem Weg nach rechts außen.
Und immer wieder, immer wieder hört man die Botschaft, man brauche wieder Führerungsspieler. Philipp Lahm wird in einem Interview mit fünf Fragen dreimal befragt zum Thema Führungsspieler, Führungsaufgaben, Führungsstil und reagiert eher irritiert. Ist er der richtige Mann dafür, bringt er die richtigen Führungsqualitäten mit oder ist nicht eher ein anderer der Chef auf dem Platz, fragen demzufolge auch die Kommentatoren immer wieder, wenn Deutschland spielt. Nahtlos geht dies dann natürlich weiter in den Politik-Talkshow-Simulationen, wo man sich endlich ein Machtwort der Kanzlerin wünscht, starke Führungskräfte für das Land braucht und die deutsche Jugend nicht genug Disziplin zeigt.
Die deutsche Mannschaft und ihr Trainer
(4)
Bei den Spielern muss zuallererst Disziplin herrschen, die Autorität des Trainers darf in keiner Weise in Frage gestellt werden, seinen Befehlen ist Folge zu leisten. Tut man das nicht, kann man auch als vielleicht bester Stürmer der Saison zu Hause bleiben müssen. Und auch wenn im defensiven Mittelfeld, wenn Schweinsteiger und/oder Khedira ausfallen sollten, nur noch Spieler da sind, die dort höchstens äußerst selten gespielt haben (am ehesten noch Boateng oder Aogo), wird Thorsten Frings auch nach einer überragenden Saison nicht nominiert, weil er sich mal beschwert hat, dass er bei einem Spiel nicht dabei war.
Ist man dagegen Spieler des FC Bayern, muss man sich wie Holger Badstuber auch nach einer äußerst schwachen Partie keine Sorgen machen, auch wenn mit Jansen und Aogo (oder auch Boateng, dann wäre auch Lahm auf links möglich) durchaus gute Alternativen bereitstünden. Natürlich sollte man gerade junge Spieler nicht allzu schnell herunterputzen. Allerdings kann man auch anderen jungen Spielern Chancen vesperren, was es auch nicht besser macht. Und Miroslav Klose zehrt immer noch von vergangenem Ruhm und einzeln aufblitzenden guten Momenten. Apropos Sturm: Gegen Serbien kriegte es Löw tatsächlich fertig, 30 Minuten ohne Sturmspitze spielen zu lassen. Anstatt z.B. Podolski in den Sturm zu stellen und Özil über links kommen zu lassen, und natürlich am besten in der Halbzeit Cacau einzuwecheln, lässt er Özil als vordersten Spieler allein, auch wenn er auf dieser Position deutlich schlechter spielt.
Löw scheint sowieso eine geradezu pathologische Angst vor Positionswecheln zu haben. Nicht mal wenn der einzige Stürmer ausfällt, stellt er um. Andere Besipiele: Nachdem er Badstuber rausnimmt, verteidigt Friedrich in der Dreier-Kette auf links, was er noch nie getan hat, anstatt ihn nach rechts und Lahm nach links zu stellen. Und es gibt noch viele solcher Beispiele. Am krassesten war wohl aber die Aufstellung im Testspiel gegen Ungarn, als er Jansen einwechselte und nicht etwa Jansen als linken Verteidiger (wo er sehr oft spielt und wohl auch in der Nationalmannschaft Chancen hat, auch wenn er im linken Mittelfeld stärker sein mag), Podolski im linkem Mittelfeld (wo er in der Nationalmannschaft inzwischen meist spielt) und Westermann im defensiven Mittelfeld (wo er gelegentlich spielt) spielen lässt, sondern Jansen als linken Mittelfeldspieler einsetzt (so weit so gut), Westermann als linken Verteidiger (was er selten spielt) und Podolski tatsächlich ins linke defensive Mittelfeld stellt, wo dieser noch nie gespielt hat, weil dort seine Fähigkeiten überhaupt nicht zur Geltung kommen – und er auch ziemlich untergeht.
Und noch etwas ist merkwürdig bei Löws Spielerauswahl: man kann noch in einem Spiel Stammspieler sein, wird man einmal für ein Testspiel nicht nominiert, kann man sicher sein, dass man nie wieder spielen wird, egal, wie gut man auch ist (einige Beispiele: Frings, Metzelder, Ernst, zukünftig vielleicht ja auch Hitzlsperger). All diese Entscheidungen des Trainers sind schwer nachvollziehbar, sind eher unrationale Entscheidungen, die aber nicht kritisiert werden (dürfen), da der Trainer nicht kitisiert wird (werden darf). Anders natürlich der Franzose, so die deutsche Presse, der streikt ja auch beim Fußball. Auch wenn das angesichts dieses Trainers durchaus nachvollziehbar erscheinen kann (auch wenn man ihn ja nicht gleich so übel beleidigen muss wie Anelka).
Dennoch hat die deutsche Nationalmannschaft ihre zahlreichen Ausfälle gut kompensiert und bisher mit den attaktivsten Fußball gespielt. Mal sehen, was sie und die WM insgesamt noch bringen werden.