Wahlgeheimnis 2.0?

Stimmzettel für die Wahl zum Bundestag (Wahlkreis Trier)
Stimmzettel für die Wahl zum Bundestag (Wahlkreis Trier) – noch nicht ausgefüllt

Das Wahlgeheimnis ist einer der wichtigsten Grundsätze unseres Wahlrechts. Niemand darf dazu gezwungen werden, seine Wahlentscheidung zu offenbaren. Und um sicher zu gehen, dass das Wahlgeheimnis nicht de facto ausgehölt wird, darf  auch niemand seinen Wahlzettel zeigen, nachdem er in der Wahlkabine gewählt hat.

Zu vergangenen Wahlen, besonders bei der letzten Bundestagswahl, wurden in diversen sozialen Netzwerken Fotos von per Briefwahl oder auch am Wahltag in der Wahlkabine ausgefüllten Stimmzettel gepostet. Auch zur Zeit sieht man schon Fotos von ausgefüllten Briefwahlzetteln. (Auf Beispiele wird hier, im Sinne der Erhaltung des Wahlgeheimnisses, gezielt verzichtet.) Ob dies rechtlich zusätzlich ist, ist nicht eindeutig geklärt. Aber unabhängig davon -was ist das Problem an solch einer Praxis? (more…)

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Ein Jahr Schwarz-Gelb – eine Bilanz

Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist heute auf den Tag ein Jahr im Amt. Wie fällt ihre Bilanz aus?  Hier sollen ein paar der wichtigsten Programme und Maßnahmen der letzten zwölf Monate, Positives und Negatives, zusammengestellt werden, geordnet nach dem Ressort (Ministerium).

Eine Benotung der Kabinettsmitglieder darf bei so etwas natürlich auch nicht fehlen. Einmal habe ich eine, natürlich rein subjektive, Bewertung abgegeben, in umgekehrter Schulnotenform (1 Punkt = Note 6, 6 Punkte = Note 1). Aber natürlich können auch die Leser ihre Stimme abgeben (auf die jeweilige Anzahl Sterne und dann noch auf “Submit” klicken!). Ich bin mal gespannt, wie ihr die Leistung der einzelnen Regierungsmitglieder seht!


Bundeskanzlerin

(1)

Negatives: Ideale, Ziele oder politische Ideen hatte  Angela Merkel sowieso noch nie. Ziel ist nur, so lange wie möglich an der Macht zu bleiben. Merkel turnte ein wenig auf internationalen, und vor allem auf europäischen Konferenzen rum. Dort hat sie aber, unter anderem durch ihr Zögern bei der Griechenlandkrise, riesigen Schaden angerichtet. Sie tut alles, damit sich Europa auf eine ausschließlich wirtschaftsliberale Linie festlegt. Im Innern bestimmen eh andere die Leitlinien der Politik. Worauf es ihr ankommt, ist ihre hierhin-dorthin-Politik irgendwie zu verkaufen. Doch auch das gelingt ihr immer weniger.

Positives: In vielen Bereichen ist es ihr gelungen, die völlig abwegigen Vorstellungen der FDP zu verhindern und mäßigend zu wirken. Auch die (rechts-, national-) konservativen Flügel der Unionsparteien konnte sie eindämmen.

Bewertung (Guardian of the Blind):

2 von 6

Bewertung (Leser):

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Abwahnrecht

Stefan Niggemeier zeigt an ein paar Beispielen den ganzen Wahnsinn der Praxis von Abmahnungen in Deutschland, die dem Prinzip der Meinungsfreiheit oft völlig zuwider läuft.

Woher kommt der Gedanke, dass man Dinge, die einem nicht gefallen, mit der Hilfe von Anwälten und Gerichten aus der Welt schaffen lassen kann? Wenn das nicht mit Meinungsfreiheit gemeint ist: dass Leute frei finden und sagen können, an wen ich sie erinnere, egal wie ungerecht mir das erscheinen oder wie unvorteilhaft das für mich sein mag — was denn dann? (…)

Für erstaunlich viele Menschen, Gruppen und Unternehmen scheint es ganz normaler Bestandteil des Repertoires einer Auseinandersetzung zu sein, anderen ihre Äußerungen zu verbieten. Das ist nicht nur ein juristisches Problem, sondern auch ein gesellschaftliches und kulturelles. (…)

Natürlich gibt es Fälle, in denen es legitim ist oder sogar notwendig sein kann, Veröffentlichungen verbieten zu lassen (und es haben nicht einmal alle dieser Fälle mit der „Bild”-Zeitung zu tun). Aber müsste das in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht das letzte Mittel sein? Eine drastische Maßnahme für besonders drastische Fälle — anstatt ein Routinewerkzeug in jeder Auseinandersetzung? Es ist völlig das Bewusstsein dafür abhanden gekommen, was für ein einschneidender Schritt das ist: jemandem zu verbieten, etwas zu sagen.

Das deutsche Abmahnrecht ist längst zu einem wirkungsvollen Zensurmittel verkommen, durch das mächtige und v.a. finanzstarke Unternehmen oder Organisationen alle ihnen unliebsamen Meinungsäußerungen und auch wahre Tatsachenbehaupungen zu unterlassen quasi erpressen können, will man nicht einen jahrelangen und extrem teuren Rechtsweg auf sich nehmen, zudem mit äußerst ungewissem Ausgang. Denn die Rechtssprechung, v.a. die eines Gericht in einer deutschen Hansestadt landet, ist inzwischen berüchtigt. Abmahnunrecht wäre wohl ein passenderes Wort. Auch gerne dabei mit Abmahnungen: die Katholische Kirche. Und sie geht sogar noch weiter als viele andere, auch das hat Stefan Niggemeier jetzt erfahren. Will sie nach Jahrhunderten endlich wieder zum Vorreiter der Verdunklung der Wahreheit auftreten? Erfahrung hat sie ja. Und das Abmahnunrecht bietet ihr jetzt quasi alle Mittel dazu.

Die Diözese Regensburg hat nun auch mich abgemahnt. Sie geht also nicht mehr nur gegen Artikel über ihr Verhalten im Zusammenhang mit dem Kindesmissbrauch eines Pfarrers vor elf Jahren vor. Sie geht auch gegen Artikel vor, die darüber berichten, wie sie gegen diese Artikel vorgeht. (…)

So umfassend ist also das Schweigen, das das Bistum Regenburg gerichtlich erzwingen will. Es geht ihr offenkundig nicht nur um eine (richtige oder falsche) Aufbereitung der Ereignisse von 1999. Es geht ihr offenkundig darum, das Thema insgesamt aus der Öffentlichkeit herauszuklagen.

Einzig das Bundesverfassungsgericht ist anscheinend regelmäßig die letzte Bastion der Vernunft im ausartenden Abm/wahnsinn. Und doch, wenn erst das BVerfG feststellen muss, dass das Persönlichkeitsrecht eines Menschen “seinem Träger keinen Anspruch darauf vermittelt, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm selbst genehm ist”, wie weit ist es dann mit der tatsächlichen Praxis eines formalen Rechtsstaats gekommen? Wie kann daran überhaupt jemand zweifeln?

Auch CARTA beschäftigt sich in einer Artikelserie mit anderen Aspekten der deutschen Abmahnpraxis. Bisher erschienen: Abmahnrepublik Deutschland (I), der die Auswüchse der Abmahnungen anschaulich darstellt und für eine Allianz gegen die Pervertierung des Abmahnrechts plädiert, und Wie man aus Schülern Geschäftsleute macht. Teil II der Serie „Abmahnrepublik“, der zeigt, wie sich die Politik  bei der Gesetzgebung zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums von Lobbys und Klientelgruppen beeinflussen ließ und wie aus diesem Gesetz eine vollkommen widersinnige Rechtssprechung resultierte.

Und der rauskucker demonstriert, wohin die ausartende Abmahnpraxis und freiheitsfeindliche Rechtsprechung noch führen könnte. Zwar als Satire, aber leider wohl gar nicht mehr so unrealistisch:

Der Moppedclub “Hells Angels” ließ ein Verbot des Begriffs “Rockerbande” verfügen.
Osama Bin Laden setzte durch, daß seine Al Kaida nicht mehr als “Terrornetzwerk” und ihre Arbeit nicht mehr als “Terroranschläge” bezeichnet werden durften.
Die NPD ließ (in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin der NSDAP) die Wörter “Holocaust”,”Shoah”, “Völkermord” und “Angriffskrieg” verbieten, ebenso alle Bezeichnungen für A. Hitler (wie z.B. “Diktator”), außer dem korrekten “Reichskanzler”, bzw. “Führer”.
Der Hamburger Zensurrichter Andreas Buske erreichte, daß der Ausdruck “Zensur” in allen Abwandlungen und Kombinationen nicht mehr verwendet werden durfte.

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Brauchen wir ein Internet-Gesetzbuch?

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Die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries fordert ein Internet-Gesetzbuch. Freiheit im Internet bedeute für sie nicht Anarchie, so Zypries. Ok, sehen wir von dem wie fast immer völlig falschen Anarchie-Begriff einmal ab, der hier offenbar gemeint ist. Die “Regeln der analogen Welt müssten auch im Netz durchgesetzt werden”, heißt es weiter. Gerade Frau Zypries sollte als ehemalige Justizministerin doch am besten wissen, dass die “normalen” Gesetze genauso im Internet gelten. Zudem weiß auch sie, dass sie oft im Netz noch drastischer durchgesetzt werden können und durchgesetzt werden – oft in völlig absurdem Maße. Als ob das Internet in Deutschland nicht drastisch genug reglementiert wäre, als ob man nicht schon Angst haben müsste, wenn man schreibt “Firma A finde ich ja persönlich etwas besser als Firma B” sofort von Firma B wegen übler Nachrede oder Schmähkritik auf eine mindestens 5-stellige Summe verklagt zu werden und sie selbstverständlich Recht bekommt. Nicht zu vergessen natürlich die Hausdurchsuchungen oder Beschlagnahmungen, weil ein Jugendlicher eine Handvoll Lieder illegal heruntergeladen hat. Und natürlich das deutsche Abmahn”recht” als vielleicht der größte Hohn eines Rechtsstaates überhaupt. Gegenüber dieser Willkür wirkt selbst die Regentschaft Heinrichs des VII. wie eine Hochzeit der Vernunft.

Warum also ein eigenes Gesetzbuch für das Internet? Dort, wo die Regeln der “analogen Welt” nicht passten, müsse neues, netztaugliches Recht geschaffen werden, meint Zypries. Ein paar Punkte, die diesen Vorstellungen nach in dieses neue “NetGB” hineinsollten, klingen auf den ersten Blick auch ganz gut:  etwa ein Anspruch auf Internetzugang, Verankerung der Netzneutralität  oder Regelungen zum Daten- und zum Verbraucherschutz. Auch wenn diese Regelungen alle sehr sinnvoll (und oft längst überfällig) sein mögen, verstehe ich nicht, waum man dafür “eigenes Recht” schaffen sollte und dies nicht etwa als normale Gesetze beschließen kann . Oder übersehe ich da, als jurisischter Laie, etwas? Aber spätestens bei zwei Punkten, die genannt werden, wird meiner Einschätzung nach klar, worum es Zypries letztendlich vor allem geht, nämlich das Urheberrecht – und “nicht zuletzt” der Kinder- und Jugendschutz.

Auch als Ministerin kann man durchaus noch etwas Neues kennenlernen. (2)

Machen wir uns nichts vor: wenn man einen Blick auf die Vergangenheit von Brigitte Zypries wirft, dürften eine  erhebliche Verschärfung des Urheberrechts, für die sie schon als Justizministerin eingetreten war, und ein neuer Anlauf zu entweder Internetzensur oder ähnlichen drastischen Beschränkungen unter dem Deckmantel des “Kinder-und Jugendschutzes” im Vordergrund stehen. Damit hat sie sich ebenfalls häufig genug hervorgetan. Zypries’ Unterstützung der Netzsperren etwa dürfte ja bekannt sein (auch wenn sie jetzt auf einmal dann doch für die Variante des Löschens einzutreten scheint. Ein “Sinneswandel”, der nach ihrem energischen Eintreten gegen “Löschen statt sperren” nur zu durchsichtig ist). Will Zypries nun, da die SPD nach der Bundestagswahl plötzlich nicht mehr ihre Hardliner-Positionen in der Netzpolitik teilt, einen neuen Anlauf starten? Ich würde diese Möglichkeit als durchaus realistisch einschätzen. Gerade jetzt, wo die EU-Kommission einen neuen Anlauf zur Etablierung einer Zensurinfrastruktur im Internet startet, will sie das Feld wohl nicht der Union überlassen. Die SPD dann wäre sehr gut beraten, auf solche Vorschläge nicht einzugehen, sondern wirklich zu versuchen, dass damals (zurecht) verlorene Vertrauen auf dem Gebiet der Netzpolitik wieder zurückzugewinnen.

Zum Schluss noch ein lustiges Detail: Ausgerechnet Brigitte Zypries war ja – ungelogen! – zur “Internetpolitikerin des Jahres” (verliehen vom Verband der deutschen Internetwirtschaft) gekührt worden. Die einzige Auszeichnung, die das in letzter Zeit an Unangemessenheit noch toppte, war wohl der Bambi in der Kategorie “Courage” für Tom Cruise. Unvergessen bleibt wohl, wie Zypries nicht wusste, was ein Browser ist (siehe 1. Video). Und auch an die “Google SMS” kann ich mich noch gut erinnern. Ich war selbst im Publikum bei der Diskussion: der Saal dort war einigermaßen ratlos oder belustigt ob der Aussagen dieser “Internetexpertin” – wenn nicht (still) schockiert.

http://www.youtube.com/watch?v=X92GtG1G_hY

http://www.youtube.com/watch?v=m9lxt-w74uA

Bildquellen:

(1) Udo Springfeld / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

(2) Mirko Lindner (Wikipedia) / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en

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Von Zensursula zu Cencilia

Netzsperren: Auf ein Neues!

EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat einen Richtlinienplan vorgestellt, in dem u.a. auch Internetsperren gegen Kinderpornografie vorgesehen sind. Die Rhetorik und die Unredlichkeit der Argumentation sind ähnlich wie bei der Zensursula-Debatte und auch längst widerlegte Argumente der Zensursbefürworter werden recycelt. Die Vorschläge gehen dabei noch weiter als die vor der Bundestagswahl von Zensursula von der Leyen.

Während aber hier Wolfgang Schäuble indirekt zugegeben hatte, dass es sich bei den damaligen Plänen von Zensursula von der Leyen auch um ein Wahlkampfmanöver handelte, können derartige Motive diesmal nicht angenommen werden. Vielmehr scheinen tatsächlich der Aufbau einer Zensurinfrastruktur im Vordergrund zu stehen – zur Linie der EU-Kommission, zumal seit dem Lissabonvertrag, passt dies allemal. In der EU herrschen schon länger neokonservative Parteien und Einstellungen vor. Liberale Positionen git es meist nur noch in der Wirtschaftspolitik, wo grenzenlose Privatisierungen wie ein Götze verehrt werden. Auf dem Gebiet der Bürgerrechte hingegen macht es keinen großen Unterschied, ob sich die Parteien konservativ oder liberal nennen (oder sich selbst einer “Sozialdemokratie ” der “neuen Mitte” zurechnen). Das gilt auch für Cecilia Malmström, auch bereits als “Cencilia” oder “Censilia” bezeichnet. Denn ein genauerer Blick auf ihre politischen Tätigkeiten lässt sie schnell als Schönwetterliberale erscheinen.

Foto: AK Zensur / Lizenz: CC-BY

Wer ist Cencilia?

Vor ihrer Tätigkeit in der EU-Kommission galt Cecilia Malmström durchaus als große EU-Befürworterin, fiel aber in Europa zunächst eher mit ein paar Aktiönchen wie einer Initiative für Brüssel als einzigen Sitz des Europa-Parlaments auf. Sie trieb dann aber mit der konservativ-liberalen schwedischen Regierung  den Lissabon-Vertrag voran, besonders nach dem ablehnenden ersten Votum der Iren. Sie tat dies in Schweden, wo sie für die Ratifizierung eintrat und für das sie auch den Beitritt zur Währungsunion anstrebt, und auch in anderen europäischen Ländern, wo etwa Druck auf die polnische und tschechische Regierung ausgeübt wurde. Angesichts der im Lissabon-Vertrag vorgesehenen Möglichkeiten etwa zur Einschränkung der Grundrechte schon mal ein schlechtes Zeichen.

War sie vor ihrer Tätigkeit in der EU-Kommission eine heftige Kritikerin der EU-Direktive zur Vorratsdatenspeicherung, will sie diese nun lediglich (im Zeitraum bis September) hinsichlich rechtlicher Aspekte überprüfen lassen. Sie sah aber in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland auch keinen Widerspruch zur EU-Richtlinie, die “großen Spielraum lasse” und eine Umsetzung erlaube, “die mit den Grundrechten der deutschen Verfassung konform geht”. Eine grundsätzliche Kritik sieht ander aus, wirklicher Liberalismus sieht anders aus. Das geplatzte SWIFT-Abkommen mit den USA verteidigte sie ebenfalls. Es sei zwar nicht ideal, beinhalte aber genügend Einschränkungen und Auflagen (“begründeter Verdacht” und ähnliches). Beim Vorgehen zu SWIFT wurden alle demokratishen Defizite der EU bis aufs Äußerste ausgereizt – und darüber hinaus.  Nach der Ablehnung durch das Parlament will sie nun eine neue Vereinbarung “mit ambitionierten Sicherheitsstandards für die Privatsphäre und den Datenschutz erreichen”. Wenn man solche Phrasen hört, wird es klar, wo bei der Frage vermeintliche Sicherheit versus Freiheit die Prioritäten liegen. Malmström trat zwar letztes Jahr für eine Erweiterung der Europäischen Union auf die Balkanstaaten und die Türkei ein, legte aber unlängst einen Vorschlag zur Neuorganisation der umstrittenen EU-Grenzschutzagentur Frontex vor, der “ein einheitliches und hohes Kontroll- und Überwachungsniveau” gewährleisten soll. Er sieht etwa neue Hubschraubern, Schiffen oder auch Drohnen zur “Migrationsabwehr” und auch das Sammeln und Prozessieren von Personendaten vor. Malmström treibt damit den Ausbau der Festung Europa voran.

Ein “liberales” Bild ergibt sich eher in einem anderen Blickwinkel, wenn man nämlich auf die wirtschaftspolitischen Positionen schaut. Auf die “Liberalen” kann man sich immer noch verlassen, solange e nicht um die Interessen der Bürger, sondern der Wirtschaftselite der Industrieländer geht. Der Vorschlag einer Finanztransaktionssteuer lehnte Malmström im November (in ihrer Zeit als schwedische Euopaministerin) ab. Sie sei global nicht einzuführen, auf EU-Ebene “eher kontraproduktiv” und schade der Wirtschaft. Kritik an ihr kam auch auf bei einem Angebot auf dem Klimagipfel in Kopenhagen, das Malmström als  Beweis der “Führungsrolle der EU” bezeichnete. Dabei hatten die EU-Regierungen den Entwicklungs- und Schwellenländern aber lediglich 6,7 Milliarden Euro zusagen wollten, was jedoch als viel zu gering eingeschätzt wurde. Malmström hatte dagegen immer wieder betont, wie wichtig ihr der Umweltschutz sei.

Die “liberalen” Positionen von Cenculia Malmsträm erscheinen also insgesamt gesehen ziemlich leicht wandelbar – wie die der “liberalen” Parteien in der EU. Das liberale Europa ist tot.

Wie geht es weiter?

Über die Richtlinie würde der EU-Ministerrat abstimmen, aber eine qualifizierte Mehrheit würde reichen. Die Maßnahmen wären dann verpflichtend. Im Europäischen Parlament signalisiert sich Ablehnung von weiteren Teilen, aber für ein genaues Stimmungsbild ist es noch zu früh. Die CDU-/CSU-Europagruppe will sich dem Vorschlag anschließen. Es könnte also zum Streit in der Koalition kommen, in dem bei einer FDP, die sich zur Zeit stark selbst geschwächt hat,  extrem fraglich, ob sie sich wird durchsetzen können. Und wie nicht anders zu erwarten, steigen auch die deutschen Medien wieder in die Kampagne ein, so unseriös, uninformiert und schlicht falsch wie letztes Jahr bereits (allen voran das neue CDU-Staatsfernsehen und Springer).

Zudem muss man auch betrachten, dass viele Staaten inzwischen Zensurgesetze eingeführt haben – und dort, genau wie die Gegner derartiger Gesetze warnen, nicht nur kinderpornografische Seiten gesperrt werden. Die demokratischen Möglichkeiten in der EU sind außerdem weniger weit als auf nationaler Ebene, die Politik, auch beim Entstehen dieses Entwurfs, findet meist hinter verschlossenen Türen statt. Neben dem Parlament wird viel davon abhängen, ob sich die Europäische Zivilgesellschaft zu vernetzen und Einfluss auszuüben vermag – die besseren Argumente sind auf ihrer Seite.

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Wir sind wieder wer!!!

In letzter Zeit hört man nicht viel gutes über Deutschland. WIR verlieren weltweit den Anschluss, wir sind nicht attraktiv genug für ausländische Investoren, unsere Löhne sind zu hoch, ebenso Sozialleistungen und Umweltstandards. Waffen werden verteufelt. Jetzt soll gar der Wehrdienst gekürzt werden! Doch man darf nicht übersehen, dass WIR durchaus einige Erfolge vorzuweisen haben. Ok, manche von diesen nervigen Gutmenschen werden das wieder anders sehen – die können auch nie zufrieden sein. Doch für UNS, die schweigende Mehrheit, ist das allemal ein Grund, die Korken knallen zu lassen.

(1)

Zum ersten: In den letzten 5 Jahren hat sich UNSER Anteil an den weltweiten  Waffenexporte mehr als verdoppelt. Deutschland ist nun drittgößter Waffenexporteur weltweit. WIR sind Vize-Vize-Waffenexport-Weltmeister! Weltweit sind in dieser Zeit die Umsätze mit Waffengeschäften um gerade mal 22% gestiegen. WIR haben es IHNEN also gezeigt! Und dabei gibt es auch keine falsche Zurückhaltung: 55 Länder stehen auf der Lieferliste der deutschen  Waffenhändler, darunter auch so sympatische Staaten wie Malaysia, Jordanien, China, Taiwan, Indien, Iran, Israel, Vietnam und Venezuela. Eine schöne Pointe auch, China und Taiwan oder Israel und Jordanien gleichzeitig zu beliefern! Wenn’s da mal knallt, verdient eine Seite auf jeden Fall: die deutsche Rüstungsindustrie!

Danke Euch, liebe Speerspitze der vaterländischen Wirtschaftskraft, dass weltweit deutsche Waffen gegen Terrorismus, Aufständische und die allgemeine Überbevölkerung kämpfen! Und lasst Euch nichts sagen: was mit Euren Waffen geschieht, das liegt doch gar nicht in Eurer Verantwortung! Wenn man einem Affen eine Pistole gibt, und er erschießt jemanden, schiebt man dann etwa die Schuld auf denjenigen, der ihm die Pistole gegeben habt? Na bitte! Denn wenn es eine ehrliche, anständige, moralische, kurz: eine gute Branche gibt, dann doch wohl die Rüstungswirtschaft!

(2)

Oh, und in noch einem ganz anderen Feld waren WIR erfolgreich: in Deutschland schätzt man die Meinungsfreiheits-Möglichkeiten im Internet weltweit am niedrigsten ein! Wozu auch, wer braucht die schon, diese “Meinungsfreiheit”? Sind doch eh alles linke Demagogen oder Bürgerrechts-Agitatoren und diese ganzen anderen ewigen Querulanten. Bild, Welt und Staatsfunk, was will man denn eigentlich noch mehr? Dem Satz “Das Internet ist ein sicherer Ort, um meine Meinung zu äußern” können bei UNS nur 26 % der Befragten ganz oder teilweise zustimmen. Nicht schlecht! In China liegt man da noch bei 42%. Die haben noch einen weiten Weg vor sich! Ok, zugegeben, ein großer Teil des Verdienstes liegt neben der försorglichen Gesetzgebung unserer obertsen Volksvertreter sicher auch bei der Abmahnindustrie und der Rechtssprechung. Aber eins steht fest: bei UNS ist das Netz sicher!!!1

Ja, WIR sehen es: es ist doch nicht alles schlecht! WIR können durchaus noch auf etwas stolz sein!

Bildquellen:

(1) Bearbeitung von  ProfessorMortis / http://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/deed.de

(2) Elias Schwerdtfeger / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

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Ohne Vorratsdatenspeicherung drohen uns ganz und gar unermessliche Gefahren!!!

Nach dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung beginnen die Medien bereits mit einer Kampagne, dass nun ohne eine Vorratsdatenspeicherung unermessliche Gefahren drohen könnten. Warum dies getan wird, liegt relativ nahe: man will unbedingt eine Neuauflage erreichen; und auch, dass dabei eher Panik geschürt statt sachlich berichtet wird, ist wenig überraschend.  Aber wie Politik, Sicherheitsbehörden und Medien dann genau vorgehen, ist dann doch relativ absurd.

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Am Tag der Entscheidung des BVerfG waren bereits kurz nach der Urteilsverkündung die ersten Medlungen in den Radio-Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass Sicherheitsbehörden, Innenminister, CDU o.ä. das Urteil heftig kritisierten (und das wurde verkündet, noch bevor das Urteil überhaupt erst mal erklärt wurde), dass nun zehntausende (sic!) Verbrechen nicht mehr aufgeklärt werden könnten und unglaublich viele furchtbare und ganz unmittelbare Gefahren lauerten. Selbstverständlich wurde das dann auch so berichtet, als wäre es die objektive Wahrheit.

Diese “Nachrichten” waren in keiner Weise um Neutralität oder Objektivität bemühte Meldungen, sondern ganz klare, überaus einseitige, aber in ihrer Plumpheit auch hoffentlich von vielen Zuhörern durchschaute Kampagnen. Im heute-journal kam nach einer anfangs sehr guten Einleitung dann aber in einem langen Interview ein Hardliner aus dem Bund der Kriminalbeamten (BdK) zu Wort. Ganz vorne bei der Propaganda mit dabei ist natürlich die Springer-Presse. Auch das ehemalige Nachrichtenmagazin schürt fleißig Panik, aber sogar die Süddeutsche beteiligt sich.

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Im ganzen Internet (oder, wie es meist heißt, „Cyberspace“) drohe, so der Tenor dieser “Berichte”, an allen Ecken und Enden Online-Betrug, Kinderpornografie oder Terrorismus, überall werden ständig Anschläge geplant oder – ich weiß leider nicht mehr, ob es ZDF oder Deutschlandradio war – es werden sogar Einbrüche geplant (das haben die wirklich so gesagt!)! Ja, wer kennt das nicht, ein paar Minuten nur in diesem komischen Internetz sind schlimmer als ein Leben in den härtesten Bezirken von Rio de Janeiro oder den schlimmsten Ecken Johannesburgs! Wenn man da nicht Acht gibt, kann einem ja so gut wie alles passieren! Das Web ist böse.

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Und v.a.: so gut wie alle denkbaren Verbrechen werden ja dort, wenn nicht begangen, so doch geplant, und auch abseits dieses Cyberspace droht nun, da die Vorratsdatenspeicherung erst einmal gestoppt ist, überall alles. Der bayrische Innenminister warnt sogar, dass der “rechtlose Zustand” gar Menschenleben kosten könnte. Doch nicht nur mehr oder minder schwere Straftaten, die Latte wird gezielt immer weiter nach unten gesetzt. So beklagt der BdK (erwähnt in dem selben Spon-Artikel) , dass auch etwa Beleidigung im Internet nicht mehr aufgeklärt werden könnten. Und das, Zitat BdK, “können wir nicht hinnehmen”. Nein, das können wir nicht! Wo kämen wir denn da hin?Ganz Deutschland droht ja schon jetzt in Chaos und Verbrechen zu versinken! Alles ist jetzt möglich! Ob Einfuhrschmuggel von Waffen oder Betäubungsmitteln, oder angedrohte Amokläufe und Bombelegungen – überall sind nun der Polizei die Hände gebunden! Und man könnte nun selbst – und das wird tatsächlich von der Polizei so kommuniziert! – gegen Suizidankündigungen oder bei Vermisstenfällen nicht mehr vorgehen. Oder, ganz klar, man brauche die Vorratsdatenspeicherung, so der bayrische Innenminister, um “verunglückte Bergsteiger zu retten”. Die Grenzen zur Realsatire sind wirklich fließend.

Man muss es sich wirklich mal vor Augen führen: da werden wahllos auch noch so große Gefahren aufgebauscht, gar Gefahren für Menschenleben behauptet, von den gleichen Seiten dann aber auch direkt so etwas wie Betrug oder gar Beleidigungen quasi auf die selbe Stufe gestellt, und unsere Qualitätsmedien nehmen das alles völlig komentar- oder kritiklos hin. Und es stört auch nicht, dass dank dem BVerfG der Zugriff auf die Daten ja auch bisher auf schwere Straftaten beschränkt war und die Verfolgung oder Verhinderung der meisten genannten Delikte ja auch bisher gar nichts mit der Vorratsdatenspeicherung zu tun hatte (und es daher auch keine Veränderungen geben wird).

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Es muss nicht erwähnt werden, dass dieses Strategien höchst unseriös sind und natürlich in erster Linier dazu dienen, bei den nicht so sehr mit Technik und v.a. dem Internet vertrauten Bürgern Panik zu schüren (etwas komisch mutet es dennoch an, dass etwa die Telefonverbindungsdaten kaum angesprochen werden). Dass der Satz „das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“ nun mal wieder an allen Ecken und Enden zu hören ist, versteht sich von selbst. Auf tatsächliche Argumente, Beweise, dass die Vorratsdatenspeicherung wirklich so nützlich in Verbrechensaufklärung oder -verminderung ist, wie behauptet wird, wartet man natürlich vergebens.

Kein Beispiel scheint zu absurd, kein Zusammenhang zu konstruiert, um die angeblichen Gefahren, die ohne Vorratsdatenspeicherungen drohen, an die Wand zu malen. Jedes Verbrechen oder Vergehen, jede Ordnungswidrigkeit kann genannt werden, gegen die man dann keine Handhabe mehr hätte – man muss sich nicht wundern, wenn demnächst z.B. illegaler Handel mit Atomwaffen, Autodiebstahl oder Nichtentfernen von Hundekot auf Bürgersteigen nun ganz bedrohlich würden, weil es keine Vorratsdatenspeicherung mehr gibt.

Denn das ist klar: niemand ist mehr sicher!!!

Bildquellen:

(1) Dirk Adler / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

(2) Vaguely Artistic / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

(3) Bram  Opstaele / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

(4) Cole  Henley / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

[Diesen Beitrag kann man auch beim binsenbrenner.de lesen.]

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Das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: ein "Ja, aber …"

Das Bundesverfassungsgericht hat die derzeitige Praxis der Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Doch dies darf nicht täuschen: nur die Umsetzung wurde beanstandet (da sie unverhältnismäßig sei und  Sicherheits- und Datenschutzstandards verletze), eine Vorratsdatenspeicherung, so das Gericht, sei aber grundsätzlich zulässig. Konkret: eine anlasslose, vorsorgliche Speicherung von Daten sei “nicht schlechthin verfasungswidrig” – man könnte das Urteil auch als eine Aufforderung, als ein “so nicht, anders gerne!” auffassen. Es handelt sich also am Ende um einen Sieg für die Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung.

Einziger Trost: das BVerfG hat recht hohe (inhaltliche wie technische und datenschutzrechtliche) Hürden für ein eventuelles  zukünftiges Gesetz gelegt. So müsse der Zugriff auf die Daten auf die Auklärung tatsächlich begangener schwere Straftaten und “zur Abwehr von Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr” zulässig sein. Die Träume von Sicherheitspolitikern oder Privatwirtschaft werden sich also nicht erfüllen, auch etwa zur Verfolgung von Raubkopien oder Beleidigungen usw.  auf die Daten zugreifen zu können. Auch die Gefahr, dass etwa politisch unliebsame Personen und Gruppierungen überwacht werden, ist damit gebannt – zumindest vorerst.

(1)

Dennoch muss man es klar sehen: lange Zeit war das BVerfG einer der letzten Hüter der Bürgerrechte gegen die Bemühungen, einen umfassenden Überwachungsstaat zu etablieren. Doch nun hat es sich offenbar dem Zeitgeist gebeugt. Das Vorgehen,  Sicherheits- (oder auch Privatisierunggesetze) über die EU umsetzen zu wollen (eine Praxis, der das Gericht in der Vergangenheit äußerst skeptisch gegenüberstand) ist dabei nun wohl wieder Tür und Tor geöffnet. Denn das BVerfG ist einer Auseinandersetzung mit dem freiheitsbeschneidenden EU-Recht aus dem Weg gegangen. Darüber, ob dies aus fehlendem Mut, wie viele meinen, oder aus politischen Gründen geschah kann, soll hier nicht spekuliert werden: die Konsequenzen jedenfalls sind klar.

Zwar müssen die bisher gespeicherten Daten in Folge des Urteils nun unverzüglich gelöscht werden, aber auch das ist nur ein vorrübergehender Erfolg, der schnell getrübt werden kann. Denn es ist, schon aufgrund der EU-Richtlinie (sollte diese nicht tatsächlich doch noch geändert werden) leider davon auszugehen, dass es demnächst eine Neuauflage der Vorratsdatenspeiherung geben wird, mit ein paar kleinen inhaltlichen Schönheitskorrekturen. Wie vom Gericht verlangt. Und ob man sich etwa auf die FDP wird verlassen können, ist doch mehr als fraglich.

(2)

Es kommt also gerade jetzt darauf an, klarzumachen, dass die bisherigen Sicherheitsgesetze für die Anforderungen der Verfolgung, Aufklärung und Vermeidung von Verbrechen völlig ausreichend sind und die Speicherung der Verbindungsdaten aller Bürger einen völlig unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit und die Bürgerrechte darstellt. Eine Datenspeicherung auf Vorrat, auch in einer etwas abgemilderten Form, darf es nicht geben. Man darf jetzt keine Ruhepause einlegen. Der Überwachungsstaat droht immer noch.

Weitere Kommentare zum Thema:

Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: Verfassungsrechtlicher Opportunismus (eine sehr detaillierte Analyse des Urteils durch Wolfgang Lieb auf den NachDenkSeiten)

Das vorläufige Stopp-Schild für die Vorratsdatenspeicherung (ebenfalls sehr weitreichende Analyse bei Ravenhorst, mit einer umfassenden Übersicht weiterer Stellungnahmen zum Thema)

Das Urteil aus Karlsruhe (F!XMBR)

Bildquellen:

(1) Wikipedia (Benutzer: Evilboy) / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/

(2) John-Paul Bader / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de

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Die größten Gefahren für Deutschland: Islamismus, Linksextremismus und Google

Wenn die Bundesregierung die Programme gegen Rechtsextremismus auf Linksextremismus und Islamismus ausweitet, geht sie dabei Hand in Hand mit den Vereinfachungen der Vertreter der kruden “Extremismustheorie”, und sie verharmlost nach Meinung der Opposition damit den Rechtsextremismus mit seiner Rekordzahl an Gewalttaten.

Manche Medien sind da aber schon deutlich weiter, etwa der Deutschlandfunk in einem Interview mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (ja, so wird er natürlich geschrieben, aber ich hab unten die falsche Schreibweise von der Homepage des DLF belassen, weil ich von dort zitiere). Nicht nur eine Gleichsetzung – der Linksextremismus und der Islamismus sind dort eine so große Gefahr, dass der Rechtsextremismus nicht mal einer Erwähnung bedarf:

Spengler: Jetzt sind wir schon bei der Bedrohungslage in der Bundesrepublik. Geht eigentlich noch die größte Gefahr von islamistischen Zirkeln aus, oder richten Sie Ihr Augenmerk nach vielen Anschlägen insbesondere in Berlin und Hamburg wieder verstärkt auf die linksextremistische Szene?

Ja, genau, das fragen wir uns doch alle täglich, ist denn nun die ganz konkrete, unmittelbare und allseitige Bedrohung durch den  Islamismus immer noch die größte Gefahr für unser aller Leib und Leben, oder brauchen wir etwas Neues, vor dem wir uns fürchten müssen, etwa den linken Linksextremismus von links? Man kann nirgends mehr um eine Straßenecke gehen, ohne dass einen ein Muslim oder ein Linksautonomer – ja was denn eigentlich? Der Rechtsextremismus mit mit seinen rassistischen, anti-semitischen, menschenverachtenden Ansichten, mit seinen Gewalttaten, mit seinen Morden? Ach was! Die Autos! Kann denn nicht einer mal an die Autos denken?! Auch wenn dabei nach Polizei-Angaben zu 50% gar kein politisches Motiv zu erkennen ist – egal! Die tatsächliche Bedrohung spielt keine Rolle. Wichtig ist die, die eingeredet und vielleicht irgendwann, wenn man Erfolg hat, dann auch empfunden wird.

Allem Anschein nach wurde dann aber die Richtung, in die dieser Qualitätsjournalist offensichtlich gehen wollte, selbst für unseren Innenminister etwas zu dubios, und er bringt wenigstens ein bisschen mehr Nüchternheit hinein:

Spengler: Der Verfassungsschutz sollte bis Mitte des Monats eine Bewertung des Linksextremismus vorlegen. Ist das geschehen und zu welchem Ergebnis ist er gekommen?

de Maiziére: Bis Februar, Herr Spengler, habe ich eine solche Analyse erbeten. Wir haben noch nicht Februar und dann werden wir die Konsequenzen ziehen. Wir haben es hier auch damit zu tun, dass wir es regional sehr unterschiedlich haben. Wir haben diese Phänomene insbesondere in Berlin und Hamburg. Deswegen wird mit den beiden Ländern natürlich dort in besonderer Weise zu untersuchen sein, was zu tun ist. Das ist ein langer Weg. Wir haben es auch gesehen bei der politischen Gewalt, die von Rechtsextremen ausgeht. Insgesamt ist die Anwendung von Gewalt nicht gestiegen, aber bei denen, die Gewalt anwenden, ist die Hemmschwelle, intensiv Gewalt auszuüben, gesunken und das macht mir Sorgen.

Und schließlich kommt noch eine dem kritischen Journalismus würdige Frage zur Netzpolitik:

Spengler: Herr de Maiziére, letztes Stichwort: das Internet, von dessen Sicherheit wir ja alle zunehmend abhängen. Die Regierung will eine eigene Kommission zur künftigen Netzpolitik berufen. Für wie groß halten Sie die Bedrohung durch die beherrschende Stellung von privaten Unternehmen, etwa von Google, die mehr über den Bürger wissen zu scheinen als die über sich selbst?

de Maiziére: (…)  Aber immer ist mit Freiheit auch Gefährdung verbunden und Verantwortung, und deswegen ist es wichtig und richtig, dass wir diejenigen, die große Datenbanken ansammeln – und das sind mehr die Privaten als der Staat -, auch in die Verantwortung nehmen, mit diesen Daten sorgsam umzugehen, und wir müssen erwarten, dass auch die Bürger mit ihren eigenen Daten vorsichtiger umgehen als in der Vergangenheit. (…)

Nun, das ist die bekannte Masche der Politik seit einiger Zeit: Google ist böse. Und die staatliche Vorratsdatenspeicherung, die Online-Durchsuchungen, die Internetzensur (die im Moment nur ausgesetzt ist), das alles wird verschwiegen. Aber dass nicht einmal dieser “Journalist” sie erwähnt und stattdessen so eine Frage stellt, zeugt einmal natürlich von kompletter Ahnungslosigkeit auf diesem Gebiet, aber auch wiedermal vom Niedergang der ehemaligen “vierten Gewalt”.

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Die Kompromisse von Union und FDP zur Innenpolitik sind mit Vorsicht zu genießen

Bei der “Innen- und Sicherheitspolitik”, oder eher bei der Frage, ob/ wie man beim Aufbau des Überwachungsstaates und bei der Einschränkung der Bürgerrechte weiter verfahren will, haben sich Union und FDP nun in den Koalitionsverhandlungen geeinigt.

Zensursula: aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Bei den Internetsperren müsste das Motto nicht, wie die Medienstream-Medien (diesmal will ich ihnen mal mangelnde Fachkenntnis und nicht Böswilligkeit vorwerfen) titeln “Löschen statt sperren”, sondern wohl leider nur “Löschen vor sperren” heißen. Denn das BKA soll “zunächst versuchen”, Kinderpornoseiten zu löschen, nach einem Jahr sollen dann “die Erfahrungen ausgewertet werden”. Es soll dazu laut ODEM.blog einen “Anwendungserlass” der Bundesregierung geben, dass das BKA keine Sperrlisten erstellen darf (gültig für das Gesetz und für die Verträge mit den Betreibern; das Gesetz bleibt in Kraft, wird aber nicht angewendet). Der Rechtsanwalt Thomas Stadler weist aber darauf hin, dass die Internetsperren nun mal leider vom Bundestag als Gesetz beschlossen wurden, und eine Aussetzung der Anwendung durch das BKA (die Erstellung von Sperrlisten) mittels eines Regierungserlasses also “rechtsstaatlich äußerst fragwürdig” ist.

Eine Aufschiebung ist keine Aufhebung. Es geht darum, dass keine Infrastruktur installiert werden darf, die eine künftige Internetzensur ermöglichen könnte. Die Aussetzung des Netzsperren-Gesetzes ist sicher schon mal ein Erfolg und mit Sicherheit auch auf die enorme Aktivität der Netzcommunity zurückzuführen. Nur leider glaube ich, dass die FDP sich deren Ziele nicht wirklich zu eigen gemacht hat, sondern sich eher bei ihr anbiedern möchte. Falls das Gesetz nach dem einen Jahr dann doch aufgehoben werden sollte, wäre dies natürlich das beste, was wir uns erhoffen könnten. Ich hoffe also, dass ich mich hier in der FDP täusche.

Vorratsdatenspeicherung: alles wie gehabt

Die Nutzung der Daten aus der Vorratsdatenspeicherung solle künftig auf schwere Gefahrensituationen beschränkt, wird als Kompromiss der künftigen Koalitionäre gemeldet. Das Bundesverfassungsgericht hat aber bereits eine Beschränkung auf schwere Straftaten einstweilig angeordnet! Zudem lassen derartige Formulierungen wie “schwere” oder “konkrete” Gefahrensituationen immer viele Deutungen und Anwendungmöglichkeiten offen. Sie bilden nicht selten außerdem den Ausgangspunkt für eine schrittweise Ausweitung.

Hier ist also im Endeffekt gar kein Fortschritt erzielt worden. Der einzige Fortschritt ist dem Bundesverfassungsgericht zu verdanken. Die Kommunikationsdaten aller Bundesbürger werden also auch zukünftig ohne jeden Verdacht gesammelt. Wäre die FDP eine Bürgerrechtspartei, hätte sie hier handeln müssen.

Online-Durchsuchungen: vom BKA zur Bundesanwaltschaft

Bei den Online-Durchsuchungen muss die Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (statt das BKA beim Amtsgericht Wiesbaden) einen Antrag stellen, der Verfassungsschutz darf sie nicht vornehmen.

Fefe weißt zurecht darauf hin, dass die Bundesanwaltschaft, die ja nicht grade für einen besonderen Hang zu den Bürgerrechten bekannt ist (Heiligendamm), derartige Anträge voraussichtliche wohl auch nicht zurückhaltend stellen wird. Wenigstens hat das Bundesverfassungsgericht auch hier strenge Regeln vorgegeben.

Fortschritt für die Bürgerrechte oder bloß PR?

Insgesamt zeigen sich die gefundenen Kompromisse als weniger weitreichend, als es auf den ersten Blick scheinen könnte. Die Frage der Internetsperren wurde zunächst aufgeschoben, bei den Online-Durchsuchungen hat sich wenig, bei der Vorratsdatenspeicherung gar nicht verbessert. Es fanden geringe Verbesserungen statt, aber diese musste man von einer sich “liberal” nennenden Partei erwarten und sie sind für die Schäuble-Fraktion in der Union leider keine große Zumutung geworden. Die Mittel zur Etablierung des Zensur- und Überwachungsstaates stehen bereit, und dass das Innenministerium und das BKA bereit sind, sie zu nutzen, haben sie oft genug demonstriert.

Der Kompromiss und seine mediale Inszenierung stellt sich insgesamt eher als eine PR-Aktion der FDP dar. (Ein Hang zum Populismus zeigt sich auch etwa bei der Verlängerung der Jugendhöchststrafe von 10 auf 15 Jahren.) Euphorie wäre also trotz einiger Fortschritte nicht unbedingt angebracht, man sollte die Ergebnisse sehr viel vorsichtiger interpretieren.

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