Südkoreas entwicklungslenkender Staat: ein Erfolgsmodell?

Von den neoliberalen Ökonomie wird es oft als bewiesene Tatsache hingestellt, dass nur eine streng marktliberale Politik wirtschaftliche Erfolge zeigen kann. Belege werden meist nicht gegeben – kein Wunder, sind sie doch schwieriger zu finden als inhaltliche Aussagen auf einem FDP-Wahlplakat. Gegenbeispiele jedoch sind ungleich leichter zu finden. V.a. Staaten Ostasiens haben  enorme wirtschaftliche Erfolge durch Strategien vorweise können (wie auch immer man diese Strategien und die Staaten allgemein auch politisch beurteilen mag), bei denen der Staat sich keineswegs aus der Wirtschaft zurückhielt. Japan, Südkorea, Taiwan, in gewisser Weise auch China sind dafür die besten Beispiele.

Südkorea hat fast beispiellose wirtschaftliche Erfolge vorzuweisen. 1960 war es eines der ärmsten Länder der Welt, sein Bruttoinlandsprodukt war niedriger als das von Mosambik, Kongo oder dem Senegal, sein Anteil am Welthandel betrug 0,2%. 1996 hatte es das zwölftgrößte BIP der Welt, war Mitglied der OECD und sein Anteil am Welthandel betrug über 2%. Diese Erfolge sind nach Meinung der Wissenschaft v.a. auf einen entwicklungslenkenden Staat (developmental state) in Südkorea zurückzuführen. Allerdings hatte dieser auch beträchtliche Schattenseiten, die auch betrachtet werden sollen.

Der entwicklungslenkende Staat

Hinter der Idee des entwicklungslenkenden Staates steht die Ansicht, dass ökonomische Entwicklung einen Staat verlangt, der die ökonomischen und die politischen Rahmenbedingungen schaffen kann, die für eine nachhaltige Industrialisierung eines Landes nötig sind. Im Gegensatz dazu vertritt die neoliberale Wissenschaft die Annahme, angenommene egoistische Motive von Individuen müssten auch auf den Staat und die Wirtschaft übertragen werden; der Staat könne im Bereich der Wirtschaft keine positive Rolle spielen. Sie treten daher für eine Liberalisierung und Deregulierung der Wirtschaft ein, in der die unsichtbare Hand des Marktes durch Preismechanismen für die besten Ergebnisse für die Entwicklung eines Staates sorge.

Die Befürworter  aber wenden ein, man brauche einen entwicklungslenkenden Staat, der langfristiges Wachstum und strukturellen Wandel der Wirtschaft ernst nehme und die Wirtschaft politisch steuere. Es bestünde kein Grund von einer Überlegenheit der Marktlösungen über eine Steuerung der Wirtschaft, in der der Staat eine größere Rolle spielt, auszugehen. In der Empirie sei die Annahme widerlegt, dass Staaten mit einer liberalen Wirtschaft und einer minimalistischen Rolle des Staates ein hohes Wirtschaftswachstum hätten, vielmehr seien Staaten mit einer Kombination aus klugen und effektiven Staatsinterventionismus und wirtschaftlicher Offenheit als selektiver Integration in die Weltwirtschaft erfolgreicher. Auch in den internationalen Organisationen wie der Weltbank ist in den letzten Jahren die strikt neoliberale Sichtweise des Washington Consensus unter Beschuss geraten und positive Wirkungen von alternativen Formen der Wirtschaftssteuerung wurden erwähnt und es wurde anerkannt, dass verschiedene Politikform (abhängig von den Institutionen eines Landes) zu Erfolg führen können. Erfolg oder Versagen bei der wirtschaftlichen Entwicklung hänge mehr von der Art als vom Ausmaß der Interventionen des Staates in die Wirtschaft ab.

Südkorea als entwicklungslenkender Staat

Von 1962 bis 1997 war in Südkorea ein entwicklungslenkender Staat der entscheidende Faktor für das enorme Wirtschaftswachstum. Charakteristika wie eine hohe Spar- und Investitionsquote, niedrige Lohnkosten (auch wenn sich die Schwächen später drastisch zeigen sollten) und vielfältige Interventionen des Staates in die Wirtschaft führten neben dem Wirtschaftswachstum auch zu einer Vollbeschäftigung sowie einer relativ egalitären Einkommensverteilung. Der südkoreanische Staat spielte die zentrale Rolle, Ressourcen zu mobilisieren, um eine Industrialisierung und eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum zu erreichen. Man kann beim südkoreanischen entwicklungslenkenden Staat mehrere Phasen unterscheiden:

1962 bis 1979: Entstehung und Erfolge des entwicklungslenkenden Staates

Vor 1962 war die Wirtschaftspolitik Südkoreas die einer klassischen  Importsubstitutionspolitik. Voraussetzungen für den entwicklungslenkenden Staat waren die Möglichkeit einer autonomen Entscheidungsfindung des  Staates, ein wirtschaftlicher Nationalismus  sowie ein aus der konfuzianischen Tradition herrührendes Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung.  Die Machthaber wollten durch die Etablierung eines entwicklungslenkenden Staates die Legitimierung ihrer autoritären Politik durch schnelles Wirtschaftwachstum und schnelle Wohlstandsmehrung  erreichen. Um sich finanzielle Mittel angesichts der abnehmenden Unterstützung der USA nach dem Koreakrieg zu verschaffen und an Auslandsdevisen zu gelangen, verfolgte Südkorea  eine Strategie der exportgeleiteten Industrialisierung.

In den 1960er Jahren und auch in den 1970ern gab es einen klar entwicklungslenkenden Staates mit einer staatsdominierten Allianz mit den privaten Firmen – gegen die Arbeit. Kennzeichen waren ein vom Staat gelenktes wirtschaftliches Management bei Privatbesitz der Industrie. Es gab extensive Interventionen, um ein schnelles Wirtschaftswachstum durchzusetzen. Das Finanzsystems war verstaatlicht und stark reguliert. Ein Machtmittel des Staates war es, unbegrenzte langfristige internationale Kredite zu niedrigen Zinsen durch regierungskontrollierte Banken an die Firmen zu vergeben, außerdem garantierte er die Rückzahlung von Krediten, die ausländische Finanzinstitutionen an südkoreanische Unternehmen vergeben hatten. Es kam dadurch  zu einer starken Beschleunigung des Zuflusses von Auslandskrediten.  Ausländische Direktinvestitionen jedoch wurden durch den Staat vorsichtig begrenzt und reguliert, der Besitz der industriellen Basis sollte in koreanischer Hand bleiben. Insgesamt kann man von einer staatsgelenkten Allokation nationaler  finanzieller Ressourcen hin zu den privaten Firmen sprechen. Der Staat besaß durch die Kontrolle über die Finanzen die Möglichkeit, die Firmen zu disziplinieren, seinen Strategie zu folgen. Die größte Rolle spielten in Südkorea die chaebol, große, multidimensionale, hierarchisch organisierte, rechtlich unabhängige Unternehmen, deren Besitz jedoch faktisch hoch konzentriert in den Händen einer Familie (durch cross-shareholdings) konzentriert ist. Es handelt sich um die größte Form familien-kontrolierter Business-Gruppen der Welt. Ein wichtiger Faktor für das schnelle Wirtschaftswachstum und die Industrialisierung Südkoreas war die Konzentration auf den Export. Es gab zahlreiche Mitteln der gezielten staatlichen Exportförderung.  Im Zeitraum 1962 bis 2001 wuhsen die Exporte durchschnittlich jährlich um 22%. Zunächst konzentrierte sich der Staat auf die arbeitsintensive Leichtindustrie, die durch billige, aber relativ gut qualifizierte Arbeitskräfte sowie durch eine Unterdrückung von Gewerkschaften sowie eine niedrige soziale Sicherung (die nur 1% des GNP ausmachte) möglich war.

Anfang der 1970er Jahre wurden die (kapitalintensivere) Schwerindustrie und die chemische Industrie vom Staat als industriepolitisch bedeutsam erkannt und besonders gefördert. Man versprach sich ein höheres Wirtschaftswachstum und die bessere Ausnutzung von komparativen Kostenvorteilen. Die staatliche Kontrolle über die Finanzen wuchs weiter: in den 1970er Jahren waren 96,4% der finanziellen Assets des Landes unter staatlicher Kontrolle. In Folge der Weltwirtschaftskrise 1973 war eine extensive staatliche Intervention entscheidend für eine weitere schnelle Kapitalakkumulation und für eine sich auch in dieser Zeit erfolgende Fortsetzung des Wirtschaftswachstums. Von 1965 bis 1980 hatte Südkorea ein jährliches durchschnittliches Wachstum von 10%, was außer den OPEC und den Planwirtschaften in den 1970er und einigen Jahre der 1980er das höchstes BIP-Wachstum weltweit darstellte. Die Sozialausgaben wurden in dieser Zeit aber kaum erhöht. Der Aufbau der Schwerindustrie erfolgte durch die chaebol unter staatlichen Anweisungen. Die Motivation war für sie der Aufbau einer Allianz mit japanischen Firmen, die in Südkorea v. a. für den Exportmarkt produzierten, wodurch beide Länder Zugang zum lukrativen US-Markt erhielten. Vor allem die exportgeleitete Industrialisierung stellte also eine Art Pakt zwischen der Seite des Kapitals und dem Staat dar. Die südkoreanische Niedriglohnökonomie auch bei fortschreitendem Wirtschaftswachstum konnte durchgesetzt werden durch eine Unterdrückung der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung. Diese lief einher mit einer Unterdrückung fast aller Gesellschaftsbewegungen, z.B. Arbeiter-, Bauern-, Gläubigen-, Frauen-, Intellektuellen-, -Studentenbewegungen und einer umfassenden Disziplinierung der  Gesellschaft durch den autoritären Staat.

1979-1987: Einschränkung des entwicklungslenkenden Staates

Eine Umorientierung der Rolle des Staates und eine ökonomische Liberalisierung begann 1979/ 80. Es handelte sich dabei um eine graduelle Anpassung an neoliberale internationale Trends. Es kam zu einem relativ fundamentalen Wandel der Art wirtschaftlicher Steuerung des Staates. Seine direkten Interventionen, z.B. seine Rolle beim Identifizieren und Fördern profitabler Wirtschaftsbereiche sowie die Überwachung der privaten Firmen, bei der Festsetzung von Preisen und Mengen usw. wurde zurückgenommen, er legte eine größere Betonung auf die Stärkung marktwirtschaftlicher Mechanismen, auf ein marktorientierteres System der Ressourcenallokation und Ressourcenmobilisierung. Es gab Deregulierungen und Liberalisierungen, der Importschutz wurde liberalisiert und in der Folgezeit fast vollständig aufgehoben.

Der Staat nahm eine selektive Liberalisierung von Handels- und Finanzsektoren vor. Der Verkauf der Anteile an den Banken bedeutete einen Rückzug von der Steuerung des Finanzmarktes. Trotzdem blieben auch in diesem Bereich wichtige Entscheidungen beim Staat. Dieser übte zwar nicht mehr eine direkte, nun aber eine indirekte Einflussnahme auf die Vergabe günstigere Kredite für bevorzugte Betriebe aus und war weiterhin für die Festsetzung der Zinsen zuständig. In Folge der Liberalisierung erhielten aber die zehn größten chaebols 52 % aller Bankenanteile. Die Privatisierungspolitik des Staates führte also zu einer Expansion der chaobol in den Finanzsektor und dadurch zu einer stärkeren Kooperation zwischen Staates und chaebol bei wirtschaftlichen Entscheidungen. Durch den Bankenbesitz und durch ihre steigende Größe, Expansion und Diversifizierung kam es und mehr zu einer Machtverschiebung zu Gunsten der chaebol, von einer Dominanz des Staates zu einer Interdependenz. Seit den 1980er Jahren konnte keine südkoreanische Regierung die chaobol mehr wirklich disziplinieren. Es gab in der Folge immer mehr Konflikte, bei denen immer öfter kurzfristige Profitinteressen und Spekulationsaktivitäten der chaebol den langfristigen Industrialisierungszielen und der strategische Entwicklung, die der Staat verfolgte, gegenüberstanden. Ende der 80er war der entwicklungslenkende Staat als Folge eingeschränkt, aber auch nur und eher eingeschränkt als abgebaut.

1987-1993: Demokratisierung

1987 kam es in Südkorea schließlich zu einem Ende des autoritären Staates und zu einer Demokratisierung. In diesem Zeitraum gab es einen allmählicher Übergang, dessen Ergebnis ein viel schwächerer Staat, ein stärkeres Kapital, und eine unabhängige, relativ mächtige Arbeiterbewegung waren. Einer Anerkennung der Gewerkschaften folgten hohe Lohnzuwächse.  Seit 1988 gibt es in Südkorea zudem einen gering ausgebauten Sozialstaat (größere Sozialversicherungsprogramme waren vorher zuerst in den großen Firmen durch betriebliche Wohlfahrtsprogramme existent gewesen). Die chaebol wollten durch die Steigerung der Löhne und eine implizit lebenslange Beschäftigungsgarantie Frieden mit den Gewerkschaften schließen. 1989 kam es aufgrund ungünstiger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen zú einer Wiederbelebung einer stärker interventionistische Rolle des südkoreanischen Staates.

Ab dem Jahr 1987 gewann der Staat nicht immer die Konflikte mit den in Folge der Demokratisierung erstarkten und mächtiger werdenden privaten Unternehmen und mit den Gewerkschaften. Es kam zu einer Erosion der staatlichen Autonomie. Die seit 1987 demokratische Regierung Südkoreas war v.a. nicht mehr in der Lage, die chaebol zu kontrollieren (ein Grund war auch, dass die politische Elite auf Spenden der chaebol angewiesen war). Außerdem gingen von USA und GATT ein starker Druck zur Öffnung des südkoreanischen Marktes und ein Druck zur Reduktion oder Aufhebung von dessen Handelsschranken gegen US-Produkte und -Dienstleistungen aus. Hinzu kam ein stärkerer Protektionismus der USA und einiger EG-Länder gegen südkoreanische Produkte. Diese Faktoren hemmten den klassischen entwicklungslenkenden Staat Südkoreas und erzwangen Schritt für Schritt dessen Rückzug.

1993-1997 Erosion und Ende des entwicklungslenkenden Staates

1993 erlebte Südkorea die Transformation von einem sich neu industrialisierenden Staat zu einem fortgeschritten Industriestaat. Im Zeitraum 1993 bis 1997 kommt es aber zu einer Erosion – und mit der Asienkrise 1997 zum Untergang – des entwicklungslenkenden Staates in Südkorea. Für die 1993 neu gewählte Regierung fungierte eine sich wandelnde Rolle des Staates in der Wirtschaft unter dem Leitbild der Globalisierung als dominante Idee. An die Stelle der Förderung von wirtschaftlichem Wachstum trat die Förderung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit.  Es kam zu einem Aufschwung von Pro-Markt-Ideologien.  Der Staat verfolgte dabei jedoch eine Balance von Effizienz (durch die wirtschaftliche Liberalisierung) mit den traditionellen Zielen Südkoreas, nämlich Wirtschaftswachstum und sozialer Stabilität. Die neue Regierung unter Kim Young-sam nahm fundamentale Reformen vor. Sie legte, noch stärker als es Anfang der 80er Jahre geschah, Priorität auf eine Stärkung der Konkurrenzfähigkeit, Liberalisierungen, Deregulierungen und ein marktbasiertes Wirtschaftsystem . Der Staat nahm einen Abbau selektiver Industriepolitiken und direkter Interventionen vor. Die Sozialpolitik war unternehmerfreundlich ausgestaltet, die Steuern waren sehr niedrig. Es gab außerdem eine, wie sich nach der Asienkrise zeigte, übereifrige Liberalisierung der Finanzmärkte mit weniger Interventionen des Staates und der Möglichkeit von deutlich mehr ausländischer Teilhabe im südkoreanischen Finanz- und Kapitalmarkt. So betrugen die Portfolie-Investments in Südkorea 1991 noch 2,5 Milliarden Dollar, 1994 bereits 29,7 Milliarden; die Bankverbindlichkeiten im Ausland wuchsen von 1991 bis 1994 um 49%. Das Fehlen einer Aufsichtsregulation und einer Überwachung des Finanzsystems stellte dabei eine große Verwundbarkeit dar.

Bei aller Liberalisierung war die südkoreanische Regierung jedoch nie eine minimalistische, der Staat blieb immer noch ein wichtiger und signifikanter Akteur  in der Wirtschaft. Er fungierte als Marktteilnehmer, bestimmte die Weite und die Geschwindigkeit der Öffnung der südkoreanischen Volkswirtschaft und beeinflusste die Internationalisierungsstrategien der Firmen. Globalisierung bedeutete für Südkorea in diesem Zeitraum weniger Öffnung südkoreanischen Märkte für ausländische Unternehmen, sondern eher eine Expansion der chaebol auf den Weltmarkt. Deren Lobbying-Stärke und ihr Einfluss auf den Staat nahmen als Folge ihres wirtschaftlichen Erfolges und der Finanzierung von Parteien noch mehr zu. Ebenso wuchsen deren nichtproduktive Aktivitäten sowie Investitionen in riskante und spekulative Unternehmungen. Es gab eine exzessive Verschuldung der Privatkonzerne, die oft kurzfristig war (zu 67%), aber investiert war in langfristige Projekte. Das Verhältnis von Schulden zu Eigenkapital der Top 30 chabol betrug 1996 386,5%, im darauffolgenden Jahr waren es schon 519%.

Diese und andere negative Seiten des entwicklungslenkenden Staates wirkten sich in diesem Zeitraum immer mehr aus. So waren dies etwa wirtschaftliche Nachteile durch Monopolstrukturen, Ineffizienzen durch die Staat-Wirtschafts-Kooperation, Korruption und moral hazard- Verhalten. Dazu kamen eine zu starke Exportlastigkeit (1996 von 26,9%) sowie Überinvestitionen in die Schwerindustrie und in die chemische Industrie. DIe Hauptschwäche aber lag im Fiannzbereich: 1997 betrug das Verhältnis von kurzfristigen Schulden zu den Devisenreserven 4:1. Von 1992 bis 1996 wuchsen die geliehenen ausländischne Mittel um 158%, die kurzfristige Verschuldung der chaebols  betrug 1996 63%. Es gab durch die hohe Auslandsverschuldung, die Abhängigkeit von Exporten und die Liberalisierung des südkoreanischen Finanzmarktes eine starke (und immer stärker werdende) Verwundbarkeit der südkoreanischen Wirtschaft gegenüber plötzlichen Marktveränderungen und externe Schocks. Der Staat trug mit seiner Garantie des Rückzahlens der Schulden an das Ausland und v. a. mit einer viel zu schnell erfolgten und zu weitreichenden Liberalisierung des südkoreanischen Finanzmarktes dazu bei. 1997 kam es durch diese Anfälligkeit dann zur Asienkrise, die Südkorea besonders hart traf.   In Folge der Konditionen des Internationalen Währungsfonds wurden in Südkorea schließlich die letzten Reste des entwicklungslenkenden Staates beseitigt und Südkorea zu einer wirtschaftsliberalen Marktwirtschaft umgewandelt.

Bewertung

Die Erfolge des südkoreanischen Modells des enwicklungslenkenden Staates wurden sehr deutlich: ein überaus hohes Wirtschaftswachstum, eine allgemeine Wohlstandssteigerung, Vollbeschäftigung und soziale Inklusion. Jedoch gab es auch zahlreiche Schwächen. Die Wirtschaft war zu sehr auf den Export konzentriert, später wurde der Finanzsektor viel zu schnell liberalisiert. Man kann in diesem Zeitraum von einer Partnerschaft zwischen dem (bis 1987 autoritären) Staat und dem Kapital gegen die Arbeit sprechen. Die Löhne waren niedrig, Sozialversicherungen kaum vorhanden. Militär, staatliche Bürokratie und Chaebol waren miteinander verwoben und voneinander abhängig.  Die großen, von Familien (auch in den seltensten Fällen von professionellen Managern geführten) chaebol erhielten eine extrem große Macht, in der Gesellschaft und über den Staat. Die Verbindung zwischen Staat und Privatwirtschaft führte zu Ineffizienzen und auch zu Korruption. Dieser Staat regierte autoritär, setzte seinen Willen notfalls auch mit Zwang durch. Andere gesellschaftlichen Kräfte wurden kaum zugelassen, Gewerkschaften wurden gewaltsamer unterdrückt. Der diktatorische Staat unterdrückte lange fast alle auf Demokratie gerichteten gesellschaftlichen Bewegungen, die südkoreanische Gesellschaft war eine zutiefst undemokratische und autoritäre. Bestimmt also kein Staat, in dem man gerne leben würde.

Jedoch liefert Südkorea auf wirtschaftspolitischer Seite auch ein Exempel, dass der Staat durchaus eine positive Rolle in der Wirtschaft spielen kann. Wenn er die nötigen Fähigkeiten besitzt und die gesellschaftlichen Institutionen bestehen, gesellschaftliche Ressourcen (Kapital und Arbeit) auf nationale Ziele zu mobilisieren, kann er große Erfolge erzielen. Diese werden jedoch um so mehr dem Wohle der Allgemeinheit dienen, je demokratischer das Land ist und je stärker die politische Elite dem Willen des Volkes verpflichtet ist.

Share

Keynesianismus versus Neoliberalismus – lassen wir doch einmal die Fakten sprechen

Albrecht Müller stellt auf den NachDenkSeiten (anhand Daten des Statistischen Taschenbuchs 2009 des BMAS und eigener Berechnungen) komprimiert und übersichtlich die wichtigsten wirtschaftlichen Kennzahlen der Jahre 1966-1982, in der eine nachfrageorientierte Politik betrieben wurde, und der Epoche 1992-2008, in der die Wirtschaftspolitik neoliberal ausgerichtet war (sie ist es seit 1982 bis heute), gegenüber:

1966-1982 1992-2008
Reales BIP ( JD) +2,7% +1,4%
Arbeitslosenquote 7,5% in 1982 8,7% in 2008
Preise BIP (JD) +4,7% +1,1%
Staatsschuld in % des BIP +19,1%-Punkte +23%-Punkte
Nettorealverdienste (JD) +2,1% -0,0%
Lohnquote +6,8%-Punkte -7,2%-Punkte
Kapitaleinkommensquote -3,8%-Punkte +6,2%-Punkte

Die Auswirkungen der neoliberalen Politik seien u.a. eine hohe Arbeitslosigkeit, eine dadurch (einnahme- und ausgabenbedingt) sinkende soziale Sicherung, hohe Staatsverschuldung, marode Infrastruktur, prekäre Arbeitsverhältnisse und niedrigere Löhne.

Müller analysiert dort auch, welche Erfolge die “unverwässerte” Globalsteuerung der Wirtschaft zur Ankurbelung der Nachfrage  im Jahre 1967 zeigen konnte: es gab ein starkes Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosigkeit wurde gesenkt, das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wurde bewahrt, die Inflation blieb im vernünftigen Rahmen und der Schuldenstand wurde reduziert. Diese Wirtschaftspolitik verhinderte eine „Reservearmee“ von Arbeitslosen und so die Lohndrückerei – ein Grund, so Albrecht Müller, warum sie von manchen Seiten abgelehnt wird.

U.a. wohl auch von Leuten, die für die deutschsprachige Wikipedia schreiben, wo im Artikel über die Globalsteuerung nach einer knappen Beschreibung ein Scheitern dieser behauptet wird und ausführlich die übliche neoliberale Kritik – hohe Staatsverschuldung und Inflation – unkommentiert geschildert wird (ohne Berücksichtigung der ökonomischen Kennzahlen). Auch wenn der Artikel seit gestern etwas verändert wurde: dass die Globalsteuerung “gescheitert” sei, wird dort als ein Faktum dargstellt. Die neoliberale Propaganda vermischt eben gerne Meinung und Tatsachen, wie es Propaganda so tut. Doch hier sollte man einmal die Daten und Fakten sprechen lassen. Und die sprechen eine andere Sprache.

Share

Die Finanzkrise und die VWL: ist die Ökonomie doch noch lernfähig?

Immer mehr Volkswirtschaftler kommen offenbar endlich zu der Erkenntnis, dass die Theorien und Modelle des bisherigen neoklassischen Mainstreams wenig mit der Realität zu tun haben. Auf der Jahrestagung der American Economic Association (AEA), der weltweit wichtigsten von Ökonomen, wurde deutlich wie nie eine grundsätzliche Neuorientierung der VWL gefordert: Fundamentalkritik: Wie die Finanzkrise die VWL auf den Kopf stellt (Handelsblatt) (via).

Die Finanzkrise etwa konnte mit den gängigen Theorien der Mainstream-Ökonomen nicht vorausgesagt und auch nicht erklärt werden. So wurde selbst für viele überzeugte Anhänger dieser Richtung innerhalb kurzer Zeit klar, wie eingeengt ihr Blick bisher war. Die Bedeutung der Kreditvergabe durch Banken für die Realwirtschaft wurde viel zu wenig untersucht. Die Theorien der rationalen Entscheidungen, der Homo oeconomicus und die effiziente Informationsverarbeitung durch die Finanzmärkte sind Modelle, die während der Finanzkrise, aber auch sonst nicht zutrafen. “Viele beschäftigen sich nicht mit der Welt, in der wir leben, sondern mit der Welt, in der sie gerne leben würden“, so der Harvard-Professor Benjamin Friedman. Die Irrationalität von vielen Entscheidungen oder die Instabilität und Krisenanfälligkeit völlig freier Märkte aber können nun kaum mehr bestritten werden.

Zudem konnten die neoliberalen Talkshow-Ökonomen die Krise nicht nur nicht erklären, sondern haben mit ihren ständigen Deregulierungsforderungen auch maßgeblich zu dieser beigetragen, wie Joseph Stiglitz ausführt. Und noch ein sehr schönes Zitat von ihm: „Vielleicht ist die unsichtbare Hand auf vielen Märkten deshalb unsichtbar, weil sie gar nicht da ist.“

Ein gutes Zeichen jedenfalls, wenn bei vielen Ökonomen – wenn auch erst jetzt – endlich einmal etwas Umdenken einkehrt. Wenn die Neoklassik dann konsequent ihre Modelle und Theorien mit der Wirklichkeit abgleichen würde, müsste den meisten klar werden, als wie wenig aussagekräftig, ja wie schädlich diese Richtung der Ökonomie sich erwiesen hat – und dann könnte ihre in den letzten 30 Jahren erfolgte Ausbreitung vielleicht endlich mal umgekehrt werden – den Wirtschaftswissenschaften, der Wirtschaft und der Gesellschaft wäre damit viel geholfen. Und sinnvollere ökonomische Ansätze mit einem realistischen Menschenbild und der Einsicht, dass unbegrenzt freie Märkte nicht unbegrenzte Freiheit bedeuten,oder mit den Einsichten, dass ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung schädlich sindund  dass der Staat durchaus wohlfahrtsfördernd in die Wirtschaft eingreifen kann und auch sollte, gibt es genug.

Share

Deutschland nicht mehr Exportweltmeister? Katastrophe!!1!!

China hat Deutschland nach chinesischen Angaben als Exportweltmeister überholt. Nach jüngsten Handelszahlen der chinesischen Zollverwaltung erreichten die Ausfuhren Chinas trotz der weltweiten Wirtschaftskrise bis November ein Volumen von 1071 Milliarden Dollar (derzeit rund 746 Milliarden Euro). Damit dürfte China den Deutschen bereits im Oktober den prestigeträchtigen Rang des Exportweltmeisters abgelaufen haben, wie Experten berichteten. (Tagesschau.de)

“Katastrophe!” werden wohl bald wieder die üblichen Verdächtigen in den Wirtschaftsforschungsinstituten schreien. Doch was ist nun wirklich los? Was besagt der “prestigeträchtige Rang” des Exportweltmeisters denn überhaupt? Zunächst einmal ist es natürlich für ein bestimmtest Land völlig unerheblich, welchen “Rang” es nun einnimmt. Dass China mit seiner Milliardenbevölkerung Deutschland überholen wird, war vorherzusehen. Und selbst ein das wirtschaftlich wohlhabendste Land Luxemburg oder stark exportierende Länder wie Singapur werden nie “Exportweltmeister” werden können. Man muss die Größe der Volkswirtschaft beachten. Die Exportquote wäre dort ein interessanter Faktor. Oder wenigstens sollte man die absoluten Gesamteinnahmen durch Exporte betrachten, nicht die relative Position: schwächelt der gesamte Welthandel, kann ein Land relativ steigen, die Einnahmen aber tatsächlich fallen. Schauen wir uns die absoluten Zahlen also einmal an:

Einem Bericht des “Wall Street Journal” zufolge exportierte China in den ersten zehn Monaten des Jahres 2009 Waren im Wert von 957 Milliarden Dollar, während Deutschland auf 917 Milliarden Dollar kam. Das Blatt berief sich auf Angaben der Genfer Global Trade Information Services. In der Krise seien die chinesischen Exporte in den ersten zehn Monaten zwar um 20,4 Prozent gesunken, aber damit weniger stark als die deutschen Ausfuhren mit einem Minus von 27,4 Prozent. (Tagesschau.de)

Was sehen wir also? China hat Deutschland zwar überholt, aber insgesamt auch weniger exportiert, nur nicht so viel weniger wie Deutschland. Ok. Aber was sehen wir hier noch ganz exemplarisch? Dass der Welthandel extrem instabil ist. Globaler Ausstausch von Waren und Dienstleistungen ist eine tolle Sache, und kein Land, dass sich dem entzieht, ist auf die Dauer wirtschaftlich erfolgreich. Aber die starke Unstetigkeit dieser Handelsbeziehungen – der Wert von 27,4% ist ein Rekordeinbruch, der durch die starke Abhängigkeit von Exporten auf die deutsche Wirtschaft fatal wirkt – setzt einer sinvollen Exportquote für eine Volkswirtschaft, zumal eine, die wie Deutschland, über eine ausbaufähige Binnennachfrage verfügt, auch Grenzen.

Eine Wirtschaftspolitik, die für mehr Stabilität sorgt, ohne die Wirtschaft zu schwächen, sollte dabei natürlich nicht so verlaufen, dass man die Exporte gezielt vernachlässigt o. ä. – das wäre natürlich Unsinn. Vielmehr muss der Staat die  inländische Nachfrage gezielt stärken (etwa durch staatliche Beschäftigungsprogramme, hohe Sozialleistungen, Investitionsanreize für Unternehmen. Hohe Löhne tragen ebenfalls dazu bei; aber die Löhne in Deutschland in den letzten 20 Jahren real um nicht einmal 2 Prozent gestiegen, während sich die Einkommen aus Gewinnen und Vermögen vervielfachten – diese gehen jedoch, da sie v. a. den Beziehern hoher Einnahmen zu Gute kommen, nur zu einem kleinen Teil in den Kosum und damit in die Nachfrage, während sie etwa bei steigenden Arbeitslosenleistungen fast vollständig dorthin wandern würden)  Denn die inländische Konsumneigung ist bei weitem stabiler und weniger elastisch als die Einnahmen durch Exporte.

Share

Der freie Markt als Ideologie

[D]ie Gedanken der Ökonomen und Staatsphilosophen [sind aber], sowohl wenn sie im Recht, als auch wenn sie im Unrecht sind, einflußreicher, als gemeinhin angenommen wird. Die Welt wird in der Tat durch nicht viel anderes regiert. Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen. Verrückte in hoher Stellung, die Stimmen in der Luft hören, zapfen ihren wilden Irrsinn aus dem, was irgendein akademischer Scheiberling ein paar Jahre vorher verfaßte. Ich bin überzeugt, daß die Macht eworbener Rechte im Vergleich zum allmählichen Durchdringen von Ideen stark übertrieben wird. Diese wirken zwar nicht immer sofort, sondern nach einem gewissen Zeitraum; denn im Bereich der Wirtschaftslehre und der Staatsphilosophie gibt es nicht viele, die nach ihrem fünfundzwanzigsten oder dreißigsten Jahr durch neue Theorien beeinflußt werden, so daß die Ideen, die Staatsbeamte und Politiker und selbst Agitatoren auf die laufenden Ereignisse anwenden, wahrscheinlich nicht die neuesten sind. Aber früher oder später sind es Ideen, und nicht eigennützige (Gruppen-)Interessen, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen.

Noch einmal möchte ich diese Stelle aus der “Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes” von John Maynard Keynes zitieren. Keynes zeigte als bekanntester Ökonom seiner Zeit die Unzulänglichkeiten und Defizite der neoklassischen Wirtschaftstheorie auf, deren Anhänger er selber lange Zeit gewesen war. Bis gegen Ende der 70er Jahre spielten Ideen von Keynes eine bedeutende Rolle. Die Idee aber, die danach in der wirtschaftspolitischen und wirtschaftswissenschaftlichen Debatte und Praxis dominant wurden, mit denen die meisten der heutigen Entscheidungsträger sozusagen aufgewachsen sind und von denen sie sich kaum lösen können, auch wenn sie sich, auch für sie selbst erkennbar als falsch erwisen haben, haben in vielen Punkten den Charakter von “wildem Irrsinn”, von starren Ideologien.

Es sind dies die Ideen, Theorien und Modelle der Neoklassik und des Neoliberalismus, die die Wirklichkeit ignorieren. So dient das “erste Wohlfahrtstheorem” der Neoklassiker, das besagt,  dass jedes Tauschgleichgewicht bei freiem Wettbewerb pareto-effizient ist, diesen als “schlüssiger Beweis” für die Gültigkeit von Adam Smiths “unsichtbarer Hand des Marktes” (wobei diese Aussage nicht auf Smith zurückzuführen ist). Dieser “Beweis” jedoch ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine Ideologie: die fundamentalen Annahmen sind viel zu sehr an künstlich konstruierte, nicht in der Realität herstellbare Annahmen gebunden, um Gültigkeit oder Anwendbarkeit beanspruchen zu können. Der methodische Individualismus und das Bild des Menschen als Homo Oeconomicus sind wissenschaftlich nicht haltbar. Vielmehr ist es wohl so, dass die Anhänger der Neoklassik diesen ausschließlich egoistischen und in ihrem, im egosistischen, Sinne “rational” handelnden Menschen v. a. so haben wollen. Die von der Neoklassik vorausgesetzte Marktrationalität (Planübereinstimmung) der Wirtschaftssubjekte ist (als nachgeschoben unterstellte Rationalität)  problematisch, wenn sie in die Zukunft gerichtet ist (rationale Erwartung). Diese Vorstellung ist in der Realität nicht zutreffend. Warum wird sie dennoch von der neoklassischen Ökonomie vertreten? Auf ihr beruht ihr “Nachweis”, dass staaliches Eingreifen die Allokation nicht verbessern, sondern nur Störungen verursachen kann. Dieser “Nachweis” war die Intention des (nicht zutreffenden) Modells. Sich aber ein (nicht zuteffendes) Modell zu basteln, um einen politischen Zweck (kein Eingreifen des Staates in die Wirtschaft) scheinbar wissenschaftlich zu legitimieren, ist alles andere als ein wissenschaftliches Vorgehen.

Die Ansätze der Mainstream-Ökonomie können ideologisch gewendet werden. Möchte man nicht den Begriff der “Ideologie” verwenden, könnte man sagen, in ihnen herrscht eine wenig oder gar nicht reflektierte oder gar eine negierte Diskrepanz zwischen Vorstellung und Erfahrungswelt. Stimmen Theorie und Modelle nicht mit der Wirklichkeit überein, stört dies die überzeugten Verteter der orthodoxen Wirtschaftslehre nur in den seltensten Fällen. So wird etwa ein freier Wettbewerbsmarkt von ihnen als ein idealer Zustand angesehen, gleichzeitig aber propagieren sie die unveränderte Anwendung von Modellen, die für diesen (für sie) Idealzustand geschaffen wurden, für die Realität, in der dieser so, in reiner Form kaum existent ist (und dies oft auch nicht sein kann). Sie erleben die Diskrepanz zwischen Wunsch(vortellung) und Wirklichkeit nicht, da sie in einer, in ihrer Utopie leben, z.B. in der Utopie des freien Marktes, in einer konstruierten Wirklichkeit, die ihnen als Orientierungspunkt für Denken und Handeln dient.

Woher kommt dieser Mangel an Reflexion? Die Ideologiehaftigkeit der neoliberalen Lehre wird von ihren Anhängern zwar oft bestritten, die sich häufig auf angeblich “objektive Erkenntnisse” berufen und ihre Lehre oft als unwiderlegbar, als die eigentlich einzige überhaupt mögliche verstanden haben wollen. Ab er ab und zu gibt es Aussagen, die einigen Aufschluss erlauben. Alan Greenspan, bis Januar 2006 Vorsitzender der US-amerikanischen Notenbank, gab 2008 in einer Anhörung zur Finanzkrise vor dem US-Kongress zu, dass er, auch in seinen Entscheidungen als Notenbankchef, durchaus eine Ideologie vertreten habe, die Ideologie des freien Marktes. Er sei in Folge der Finanzkrise “geschockt” gewesen, dass die Voraussagen seiner Ideologie nicht zugetroffen habe. Er habe Probleme, die Finanzkrise wirklich zu verstehen (und kommt aber nicht etwa  auf die Idee, vielleicht einmal Minsky zu Rate zu ziehen – dieser würde nicht in seine Ideologie passen). Wohin diese Ideologie und ihr Versagen geführt hat, zeigte in aller Deutlichkeit die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise. Zur Verdeutlichung von Greenspans (ideologischen) Ansichten sollten wir einen Blick auf die Einflüsse, die auf ihn als junger Mann gewirkt haben, werfen. Grennspan war ein Schüler der US-amerikanischen Schriftstellerin ud Philosophin Ayn Rand. Diese und ihre zahlreichen Schüler forderten einen “rationalen Egoismus”. Sie vertaten einen radikalen Laissez-faire-Kapitalismus und wendeten sich gegen jegliche Sozialmaßnahmen. Doch am meisten Aufschluss über ihre Ideologie liefern die Romane Rands. In “Atlas wirft die Welt ab”  etwa gibt es am Ende den feierlichen Schwur “Ich schwöre, dass ich niemals zum Wohl eines Anderen leben werde und niemals von einem Anderen verlangen werde, für mein Wohl zu leben”. Am Ende erscheint, quasi als Zeichen der Erlösung und der zu erwartenden paradiesischen Zustände des grenzenlosen Egoismus, über den Menschen am Himmel ein $-Zeichen.

Von Ideen kommt Gefahr, zum Guten oder zum Bösen. Wenn dise Ideen Ideologien darstellen, die wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, wenn sie eine Ideologie produzieren, die dalle Menschen als ausschließlich egoistisches Wesen sehen will, in der Gerechtigkeit, Solidarität, Mitmenschlichkeit bloße Hindernisse für das Durchsetzen des Einzelnen darstellen, dann fällt es schwer zu erklären, was diese zum Guten verändern sollten.

Dieser Beitrag ist inspiriert  durch und greift Aussagen auf aus dem Vortrag “Die optimale Allokation durch den Markt als Ideologie?” von Prof. Dr. G. M. Ambrosi (VWL) im Rahmen der Vortragsreihe “Zur politischen Kritik der Ökonomie” an der Universität Trier.

NACHTRAG (Links):

Ein guter Beitrag, der zeigt, wie Keynes eine sinkende Kapitalrendite voraussagte und erklärte – eine Annahme, die auch empirisch beobachtbar ist: Der kollektive Wahn der Anleger-Gesellschaft oder der Wunschtraum ewiger risikoloser Rendite (Blog ohne Namen)

Die Talkshow-Ökonomen fordern mal wieder Lohnzurückhaltung, angeblich rein pragmatisch und völlig unideologisch: Frei von Gesinnung (ad sinistram)

Share

Für eine echte Rückkehr des Keynesianismus

Die IG Metall fordert ein Zukunftsinvestitionsprogramm in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Wirtschaftsankurbelung von der Bundesregierung. Damit sollen technologische Innovationen gefördert und krisengeschüttelte Unternehmen unterstützt werden.

Nun ist an sich ein staatliches Investitionsprogramm für uns Keynesianer erst einmal eine gute Idee. Einfach gesprochen: ein antizyklisches Verhalten, wobei der Staat in einer Konjunkturkrise seine Ausgaben hochfährt, um die Krise zu überwinden und die Konjunkturzyklen abzuflachen, anstatt die Schwankungen zu verstärken, indem er in Krisenzeiten spart (prozyklisch), ist durchaus als sinnvoll und als notwendig zu betrachten. Schade ist, dass die Neoliberalen mit dem üblichen Hinweis auf die “Staatsschulden” die veröffentlichte Meinung direkt wieder auf ihre Seite ziehen werden. Dabei gibt es in einer Konjunkturkrise deutlich dringlichere Probleme. Natürlich sollte der Staat bei einer Erholung und einem Wiederaufschwung der Wirtschaft die Ausgaben wieder hinunterfahren und die Staatsverschuldung abbauen. Dass dies in der Vergangenheit nicht immer passiert ist, ist ein politisch zu erklärendendes Problem und keine grundlegende Schwäche des Keynsianismus, wie die Neoklassiker es behaupten. (Natürlich soll das Problem nicht kleingeredet werden, aber schaut man sich einmal die Auslandsschulden an, so sieht man, dass Deutschland eine positive Bilanz hat. Die Inlandsschulden sind im internationalen Vergleich nicht beonders hoch und v. a. eine Verteilungsfrage).

Ein bisschen hat in Folge der Finanzkrise ja auch die letzte und sogar diese Bundesregierung eingesehen, dass der Staat zur Konjunkturentwicklung gegensteuern muss. Aber: natürlich sollte Geld sinnvoll ausgegeben werden – keine Schulden um der Schulden willen – und nicht für reine Klientelpolitik. Ein echtes “Wachstumsbeschleunigungsgesetz” wäre natürlich zur Zeit durchaus geboten, trotz des albernen Namens, und auch wenn natürlich Wirtschaftswachstum kein Allheilmittel an sich ist, und auch wenn das Wachstum seine Grenzen hat und möglichst nachhaltig vonstatten gehen solle. Romantisierende Vorstellungen mögen ja ganz nett sein bei einem Gespräch beim Bio-Latte im netten Café im Prenzlauer Berg – zur Verbesserung des weltweiten Wohlstandes ist Wirtschaftswachstum unerlässlich. Und dies kann durchaus auch nachhaltig geschehen. Umwelttechnologien sind zwar das gern bemühte, aber auch das beste Beispiel. Das derzeitige Wachstumsbeschleunigungsgesetz jedoch ist wie gesagt reine Klientelpolitik. Entlastungen für die Besserverdienenden, Subventionen für eine einzelne lobbystarke Dienstleistungssparte – dies wird kaum jemandem nützen außer den Privatkonten der Hoteliers, wo sie schon zugesichert haben, die Subventionen keinesfalls an die Kunden weitergeben zu wollen. Nicht mal aus neoliberaler, angebotsorientierter Sichtweise ist diese Maßnahme sinnvoll.

Nachfrageförderung wäre ja zur Abwechslung mal was. Was fordert aber die IG Metall? Innovationsförderung, sicherlich, das ist eine sinnvolle Maßnahme. Sie sollte es jedoch immer sein, als staatliche Aufgabe, und nicht nur in Krisenzeiten. Aber ansonsten?

Huber plädierte dafür, die Metall- und Elektrobranche als industrielle Kerne zu schützen, um nach der Krise wieder Wachstum und Beschäftigung voranzutreiben. Ein Investitionsprogramm sei dafür dringend nötig.

Wieder eine Subventionierung einzelner Zweige, diesmal der Industrie. Ein Schutz von Branchen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren, möglicherweise. Wie lange dies langfristig volkswirtschaftlich sinnvoll ist, erscheint nebensächlich. Werden nichtwettbewerbsfähige Industrien geschützt (auc wenn es geschieht, um Aebeitsplätze zu sihcern), folgen strukturelle Defizite – abnehmende Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft der Volkswirtschaft. Aber es komt noch was:

Huber kündigte zugleich für die im Frühjahr 2010 anstehenden Tarifverhandlungen mit den Metall-Arbeitgebern zurückhaltende Lohnforderungen an. Voraussetzung dafür seien aber verlässliche Vereinbarungen zur Sicherung der Arbeitsplätze. Sollte dies nicht gelingen, würden die Lohnforderungen deutlich höher ausfallen, sagte er.

In den letzten 20 Jahren gab es eine “Lohnzurückhaltung” der deutschen Gewerkschaften – was real ein Sinken der Löhne um knapp 2 Prozent bedeutete, während die Einnahmen aus Gewinnen und Vermögen sich in dieser Zeit verdreifachten. Deutschland hat eine extrem starke Exportwirtschaft, ja – die Inlandsnachfrage jedoch ist auf einem niedrigen Niveau. Zudem macht die Exportabhängigkeit anfällig für Schwankungen und Krisen.

Nein, eine echte Nachfrageförderung, Lohnsteigerungen, Entlastungen und Zuschüsse für untere Einkommensschichten, das ist notwenidig und sowohl wirtschaftlich und sozial sinnvoll. Denn, kurz gesagt, jeder Euro mehr in diesen Einkommensgruppen kommt unmittelbar dem Konsum und damit der Volkswirtschaft zugute. Die Angebotsseite wurde 27 Jahre lang entlastet, die Steueren für Unternehmen und Großverdiener wurden stets gesenkt, ebenso die Arbeitnehmerrechte. Gebracht hat es uns Arbeitslosigkeit, eine weitere Staatsverschuldung, eine Umverteilung von unten nach oben und einen verkrüppelten Sozialstaat. Und die Investitionsquote ist trotz alle gering geblieben.Einzig die Inflationsquote ist niedrig, und das ist für die neoliberalen Monetaristen das wichtigste. Dabei ist die Inflation wirklich das geringste, worum wir uns Sorgen machen müssen. Eine gewisse Inflation ist sogar durchaus nützlich für die Wirtschaft. Eine Deflation dagegen durchaus gefährlicher. Nein, es ist Zeit für die Nachfrageseite, für eine Umverteilung von oben nach unten. Es ist Zeit für eine echte Rückkehr des Keynesianismus.

Share

Neues über den Homo oeconomicus

Gerade, wo ich mich in den letzten zwei Artikeln mit dem Menschenbild des Homo oeconomicus befasst habe, stoße ich auf einen Artikel des Spiegel: “Wirtschaftsethik : Warum Egoismus im Geschäftsleben schadet”:

Den Beleg dafür, dass es mit Fairness und Vertrauen besser geht, glaubt Armin Falk liefern zu können. Ihm genügen ein paar einfache Experimente, um den Homo oeconomicus zu widerlegen – oder zumindest als nicht mehr konkurrenzfähig zu entlarven im Wettstreit mit dem modernen Wirtschaftsmenschen.emeinsam mit Psychologen, Genetikern und Neurowissenschaftlern entwickelte Falk Feld- und Laborexperimente, die das Bild des sozialignoranten Egoisten in Frage stellen. An seine Stelle tritt ein Mensch, der Fairness und Gerechtigkeit höher bewertet als die schlichte Maximierung des Eigennutzes – und dies auch von seinem Gegenüber verlangt.

Sehr passend fand ich aber auch den Kommentar dazu beim Erlkoenig (wo ich auch auf den Spiegel-Artikel gestoßen bin):

Das holzschnittartige Menschenbild ist ja nur ein Teil der grauenhaften Simplifizierungen, mit denen die derzeit gängige Wirtschaftswissenschaft arbeitet. Und wenn es der gemeinsamen Anstrengungen von Psychologen, Neurowisenschaftlern und Genetikern bedarf, um herauszufinden, dass der Mensch mehr ist als ein rein zweckrationales Wesen, das nur seinen eigenen Vorteil kennt, lässt das tief blicken und wirft die Frage auf, ob Wissenschaft und Fachidiotie noch zu unterscheiden sind. Ein kurzer Blick in die Geschichte der Religionen, der Philosophie oder auch der Kunst hätte  genügt, um die Frage zu beantworten, ob ein derart simples Menschenbild stimmen kann.

Share

Die Neoklassik und ihre Mythen

Die Neoklassik ist in Deutschland in den letzten 30 Jahren die dominierende Schule der Volkswirtschaftslehre. Auch wenn weltweit und gerade auch in den USA wieder keynesianische Ansätze deutlich mehr Beachtung erlangen, in Deutschland lässt man sich davon nicht beirren und bleibt weiterhin schön bei der reinen Lehre. Die Stärkung der Binnennachfrage ist vernachlässigbar, staatliche Konjunkturprogramme sind “konjunkturpolitische Strohfeuer” (auch wenn es bei diesem Punkt in Folge der Witschaftskrise dann doch selbst in Deutschland zu ein klein wenig Umdenken gekommen ist), der Staat soll sich aus allem außer vielleicht noch der inneren und äußeren Sicherheit heraushalten. Dies erzählen die neoklassischen Wirtschaftsprofessoren wie eh und je immer wieder tantramäßig in den Sendungen des Mainstream-Journalismus, ohne auch nur die geringste kritische Nachfrage zu erfahren.

Und es ist auch kein Wunder, dass das diesjährige Jahresgutachten des “Sachverständigenrates” mal wieder harte soziale Einschnitte, den weiteren Rückzug des Staates, Arbeitsmarktliberalisierungen und Senkungen der Unternehmenssteuern fordert und ganz in der Tradition ausschließlich den Haushalt saniert sehen will, wobei Konjunkturbelebung und Senkung der Arbeitslosigkeit demgegenüber höchstens sekundär sind. Hat man alles schon oft genug gehört. Wenigstens ist er so konsequent, ebenfalls die Steuersenkungspläne von Schwarz-Gelb zu kritisieren – hier herrscht als über alle Wirtschaftsschulen hinweg Einigkeit, dass diese Unsinn sind. Ebenso ist man sich einig, dass die Investitionen in Bildung und Forschung zu niedrig sind. Wäre die Parteipolitik so weit, wenigstens bei diesen Punkten einmal – ja tatsächlich von niemandem bestrittenen – Empfehlungen der Wissenschaft zu folgen, wäre schon einiges getan. Aber Bildungseinrichtungen haben nun mal keine politische Lobby und keine Lobbyorganisationen, die dermaßen unsere Demokratie und unsere Meinungsvielfalt beschützen (tut mir leid, dieser Seitenhieb musste sein),  wie sie andere haben.

Dies alles fände ich noch nicht einmal so schlimm, dass sie sich als dominante wirtschaftspolitische Schule durchgesetzt haben, wenn ihre Ansichten nicht immer als allein gültige, wissenschaftlich objektive und nicht zu widerlegende Tatsachen verkauft würden, von den genannten Medien, aber auch von vielen  dieser Wissenschaftler selbst. Andere Positionen werden von ihnen oft gar nicht zugelassen, alles, was nicht in den derzeitigen Mainstream passt ist für sie entweder “widerlegt” oder “veraltet”. Man immunisiert sich nicht nur selbst gegen jede Kritik, man lässt diese gar nicht erst zu. Was nicht sein soll, darf auch nicht sein. Tatsächlich ist die Wirtschaftswissenschaft eine der wenigen im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich, in der andere Theorien oft gar nicht erst dargestellt oder auch nur erwähnt werden, die wie gesagt gerade nicht in den Mainstream passen, in denen die eine Richtung ihre Ansichten wie naturwissenschaftlich belegt und gültig verkauft.

Dass ihre Modelle und Theorien dabei oft aber eher mythologisch denn wissenschaftlich sind, zeigt sich aber immer wieder. Weissgarnix z.B. räumt diese Woche mal wieder mit ein paar “Märchen aus dem Gute-Nacht-Geschichtenbuch der Neoklassik” auf. Er schreibt, dass die “homo oeconomicus”-Phantasie die Grundlage der meisten Modellen der Neoklassik ist. Und denen, die von einem Menschenbild ausgehen, in dem jeder Mensch ausschließlich im wahrsten Sinne des Wortes “asozial” als Individuum und ausschließlich den eigenen Nutzen maximierend handelt und für den allein der Markt (wobei er natürlich immer über vollständige Informationen verfügt) noch eine Beziehung zu anderen Menschen generiert, denen sollen wir tatsächlich die alleinige Deutungshoheit überlassen? (Ich weiß nicht mehr genau, wo ich das gehört habe, aber es erscheint mir sehr sinnvoll: “Existierte der homo oeconomicus wirklich, er wäre wohl eher ein Fall für die Psychatrie”).

Und Weissgarnix verdeutlicht, wie die Gleichung “I(nvestitionen”=S(paren)” in der von den Neoklassikern behaupteten Kausalität, dass die Sparquote die Höhe der Investitionen beeinflusse, nicht zutrifft (dass es eine Illusion ist, dass der Konsument mit seiner Spartätigkeit tatsächlich über die Investitionen bestimmen könne) und warum hohe Sparquoten tatsächlich volkswirtschaftlich alles andere als nützlich sind. Ganz lustig dabei ist auch, wie die I=S- Gleichung auch nur mittels eines Kniffs (man könnte es auch als “Trick” bezeichnen) funktioniert und letztlich nur eine Tautologie darstellt.

Die Theoreme der Neoklassik sind also nicht unbedingt immer zutreffend, und v. a. sind sie nicht die allein seeligmachende Wahrheit, wie einem dies ihrer Vertreter oft genug weismachen wollen.

Share

Steuern runter? Lieber nicht!

Dass die Forderungen der FDP nach Steuersenkungen, insbesondere nach Senkung der Einkommenssteuer, wirtschaftlich nicht sinnvoll sind und dass Steuersenkungen auch nicht vollständig selbstfinanzierend sind, sondern der Staat Defizite macht, legt der Oxford-Finanzwissenschaftler Clemens Fuest im Deutschlandradio (MP3, 4:13 Minuten) dar. Statt Einkommenssteuersenkungen, die v.a. den reicheren Haushalten nützten, seien direkte Hilfen für ärmere Haushalte (bspw. durch eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze) bessere Mittel für die Förderung privaten Konsums. (Andere Ökonomen sehen Steuerentlastungen für Unternehmen, um Investitionen zu erleichtern, als sinnvoller an, aber auch sie sehen keinen großen Nutzen in der Senkung der Einkommenssteuern.)

Hier sei noch einmal auf das Interview der Taz mit Clemens Fuest verwiesen. Ein Auszug:

taz: Herr Fuest, Union und FDP begründen die geplanten Steuersenkungen damit, dass sie das Wirtschaftswachstum stimulieren müssten. Was halten Sie davon?
Clemens Fuest: Augenblicklich halte ich es für falsch, die Einkommensteuer zu senken. Denn ein großer Teil der Entlastung käme Privathaushalten zugute, die nicht unter Geldsorgen leiden. Diese würden die zusätzlichen Mittel überwiegend sparen, aber nicht in den Geschäften ausgeben. Wesentlich stärkere Nachfrage oder Impulse für das Wirtschaftswachstum kann die Bundesregierung so nicht auslösen.
(…)
taz: Union und FDP hoffen, dass niedrigere Steuern das Wachstum ankurbeln und später die Staatseinnahmen steigen. Darf man mit diesem Selbstfinanzierungseffekt rechnen?
Clemens Fuest: Die Auswirkungen niedrigerer Steuern auf das Wachstum sind schwer zu messen. Untersuchungen deuten aber darauf hin, dass der Staat nur darauf hoffen kann, maximal die Hälfte der Einnahmeverluste, die die Steuersenkung verursacht, durch höheres Wachstum und stärkere Einnahmen zu kompensieren.

Wie Steuersenkungsprogramme in der Vergangenheit eher wirtschaftlichen Schaden anrichteten, legt Zeit Online Herdentrieb dar. Auch der “falsche Charme” des neoliberalen Standard-Argumentes der Laffer-Kurve, die Arthur Laffer, Vetreter der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik und Berater von Ronald Reagan, einst  bei einem Abendessesn für Dick Cheney und Donald Rumsfeld auf eine Serviette kritzelte,  und die seither das Argument für eine Selbstfinanzierung von Steuersenkungen dartsellt, wird in dem Artikel behandelt.

Eine gute Betrachrung zu den Möglichkeiten von Steuersenkungen gibt es auch bei Telepolis: Wählerbetrug vorprogrammiert. Auch hier wird die Laffer-Kurve angesprochen, z.B.:

(…) Wenn die FDP mit ihren Behauptungen recht hätte, so befände sich das deutsche Steuersystem oberhalb des “Laffer-Maximums”, so dass jede Steuererhöhung die Einnahmen verringern und jede Steuersenkung die Einnahmen erhöhen würde. Dies trifft auf das deutsche Steuersystem allerdings nicht zu. Untersuchungen der Ökonomen Trabant und Uhlig legen vielmehr die Vermutung nahe, dass das “Laffer-Maximum” in Deutschland bei rund 64% Steuerlast liegt. (…)

Es wäre daher gut daran getan, wenn die Beteiligten bei den Koalitionsverhandlungen einmal auf unabhängigen Sachverstand hören würden und nicht weiterhin nur auf die durch die Mainstream-Medien hin- und hergereichten “Wirtschaftsexperten” im Dienste der Arbeitgeberverbände und Banken. Versprechungen wie “Steuern runter!” oder “Mehr Brutto vom Netto!” erweisen sich so eher als hohle Slogans denn als politisch und ökonomisch durchdachte Konzepte.

Share

Europäische Lehren für den deutschen Arbeitsmarkt: Flexibilität und Sicherheit sind vereinbar

Das Thema Kündigungsschutz steht seit einigen Jahren hoch in der Debatte um die richtige Arbeitsmarktpolitik. Laut einer Arbeitgeberbefragung der Europäischen Kommission seien in Deutschland der häufigste Grund für Nichtneueinstellungen prozeduale Vorschriften bei der Entlassung. Diese und ähnliche Fakten haben die Debatte um die Reform des Arbeitsrechtes zusätzlich angefacht, bei der der Kündigungsschutz nicht selten im Mittelpunkt steht. Kritiker werfen ihm vor, dass er, entgegen seinem Ziel, Arbeitsplätze zu schützen, insgesamt mehr Arbeitsplätze vernichte.

Bei den Vertretern der neoliberalen Ökonomie ist er gern der Prügelknabe für alle Defizite des deutschen Arbeitsmarktes. Dabei erscheint gerade die in Deutschland verfolgte neoliberale Politik, die statt auf Förderungsmaßnahmen einseitig auf den Abbau sozialer Leistungen und erhöhten Druck gesetzt hat, deutlich weniger erfolgversprechend, als eine Strategie, die Flexibilität des Arbeitsmarktes und eine hohe soziale Sicherheit sowie eine aktive Arbeitsmarktpolitik miteinander kombiniert.

 

Der Kündigungsschutz: Ausgleich zwischen Abeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen

 

Den Kündigungsschutz kann man verstehen als die Menge der rechtlichen Vorschriften, die die Entlassung von Arbeitnehmern regeln. Dies ist möglich durch die Arbeitsgesetzgebung und/ oder durch individuelle oder kollektive Vereinbarungen. Bestandteile des Kündigungsschutzes können etwa Abfindungszahlungen, Abgaben auf Entlassungen, Kündigungsfristen, die Notwendigkeit der Zustimmung zu einer Entlassung durch staatliche Stellen oder eine Pflicht zu vorherigen Verhandlungen mit den Gewerkschaften sein.

Es erscheint, da Beziehungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern asymmetrischer Natur zuungunsten der Arbeitnehmer sind, notwendig, die Risiken weg von den Arbeitnehmerm zu verlagern. Kündigungsschutzregelungen sollen einen Ausgleich zwischen dem Bedürfnis der Firmen, sich sich verändernden Marktbedingungen anzupassen, und dem Interesse der Arbeitnehmer nach Sicherheit ihres Arbeitsplatzes darstellen. Der Kündigungsschutz fungiert in der Theorie wie in der Praxis v.a. als Schutz der Arbeitnehmer vor willkürlichen Entlassungen seitens der Arbeitgeber.

 

Kernpunkte des Kündigungsschutz in Deutschland und in Europa

 

In Deutschland ist der bestimmende Faktor des Arbeitsrechts die arbeitsgerichtliche Praxis der Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes, die teilweise schon eine Art Selbstständigkeit erreicht hat. Hier spielen v.a. die Abfindungen die entscheidende Rolle. Dies hat zu einer starken Ausweitungen von vor der Kündigung geregelten Abfindungsvereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern geführt. Bei befristeter Beschäftigung ist, v.a. seit 2004, ein Trend zu einer starken Flexibilisierung erkennbar.

Im europäischen Vergleich kann man folgende Gruppen zur Typisierung der Staaten hinsichtlich ihrer arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Regulierung unterscheiden:

  1. liberale, angelsächsische Länder zeichnen sich durch eine hohe Lohnspreizung, das Prinzip des workfare state, wenig soziale Sicherheit mit strenger Bedürftigkeitsprüfung bei Sozialleistungen, die sehr niedrig ausfallen, und die staatlichen Förderungen privater Versicherungen aus. Sie haben einen niedrigen Kündigungsschutz, es gelten keine Beschränkungen für Leiharbeit und diese macht einen hohen Anteil der Beschäftigten aus.
  2. Kontinentaleuropa: geprägt durch ein (konservatives) Bismarcksches Sozialversicherungsmodell, eine relativ hohe soziale Absicherung mit relativ hohen Arbeitslosengeldzahlungen und Renten. Bei ihnen kann man oft einen hohen Kündigungsschutz feststellen. All diese Punkte haben in Deutschland in den letzten Jahren freilich deutlich abgenommen.
  3. In Südeuropa gibt es meist nur eine rudimentäre soziale Sicherung. Die Arbeitsmarktpolitik konzentrierte sich stark auf Frühverrentungen. Quasi als Ersatz für die niedrige Sozialfürsorge wurden starke Arbeitnehmerschutzrechte etabliert. Außerdem herrscht ein hohe Arbeitsmarktsegmentation.
  4. Skandinavien/ Sozialdemokratisches Modell: Hier herrscht ein sehr hohes Maß an sozialer Sicherheit mit universalistischen Versicherungen (nach dem Beveridge-Modell) und hohen Sozialleistungen. Es gibt eine starke aktive Arbeitsmarktpolitik und einen hohen Anteil an staatlicher Beschäftigung. Es herrscht geringe Lohnspreizung. Der Arbeitsmarkt ist flexibel. Beim Kündigungsschutz jedoch ist das Bild nicht eindeutig. So haben Schweden und Norwegen einen hohen, Dänemark andererseits hat einen geringen Kündigungsschutz.
  5. Das dänische Modell und teilweise das niederländische (schwächer das schwedische) werden aufgrund ihrer Verbindung von Sicherheit (hohe Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit) und Flexibilität (hohe Arbeitsmarktdynamik) auch dem Flexicuritiy- Modell zugeordnet. Auch die Europäische Kommission tritt für eine Anwendung von Konzepten der Flexicurity ein.

 

Obwohl es in allen Ländern der OECD Kündigungsschutzregelungen gibt, unterscheiden diese sich, v.a. im Hinblick auf die Vorgaben zu befristeter Beschäftigung (bei dieser lassen sich in den letzten 20 Jahren Annäherungstendenzen nach unten hin feststellen).

 

Wirkungen des Kündigungsschutzes

Ein höherer Kündigungsschutz führt empirisch gesehen zu einer längeren Arbeitsdauer und sichert somit die bestehenden Arbeitsverhältnisse. Er kann jedoch auch zu einer steigenden Dauer der Arbeitslosigkeit und damit zu einem steigenden Anteil von Langzeitarbeitslosen beitragen. In Ländern mit niedrigem Kündigungsschutz gibt es in erster Linie Kurzzeitarbeitslosigkeit. Die Arbeitsmarktdynamik wird durch einen hohen Kündigungsschutz geschwächt und die Zugänge zur sowie die Abgänge aus der Arbeitslosigkeit gesenkt, die Beschäftigungsschwelle steigt. Ein hoher Kündigungsschutz (für reguläre Beschäftigung) kann in einer Segmentierung des Arbeitsmarktes und zur Verbreiterung prekärer Beschäftigungsformen zu Lasten schwacher Gruppen resultieren. Er begünstigt die insiders und schadet den outsiders des Arbeitsmarktes.

Es ist aber zu betonen, dass der Effekt des Kündigungsschutzes auf die Arbeitslosigkeit insgesamt nicht eindeutig festzustellen ist (der Effekt ist allenfalls schwach). Auch in der Theorie ist dieser umstritten.

 

Lehren aus anderen Ländern: Flexibilität UND Sicherheit sind möglich

 

Eine Reform des Kündigungsschutzes erscheint als ein notwendiger Schritt, er ist aber nicht als der alleinig ausreichende. Denn insgesamt spricht wenig dafür, dass mit einer weiteren Lockerung des Kündigungsschutzes in Deutschland unmittelbar ein Abbau der Arbeitslosigkeit einhergeht. Denn außerdem sind dazu v.a. aktive Beschäftigungspolitiken und eine effektive Aktivierungspolitik sowie eine bessere berufliche Weiterbildung notwendig. Diese Politiken können dabei auch als Ergänzung zur Sicherung der Arbeitnehmer gegen Arbeitsmarktrisiken gesehen werden. Auch der empirische Vergleich macht deutlich, dass niedrige Arbeitslosigkeit v.a. bei Ländern mit größeren Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitiken und mit weniger Rigidität bei der Arbeitsmarktregulierung vorhanden ist.

Die Balance zwischen den verschiedenen politischen Alternativen zur Regulierung des Arbeitsmarktes, die Elemente wie die Höhe des Kündigungsschutzes, die Höhe des Arbeitslosengeldes und die Art der Arbeitsmarktpolitiken beinhaltet, hängt eng mit den vorhandenen Institutionen, der Geschichte und der politischer Kultur der jeweiligen Länder zusammen. Reformen müssen diese immer berücksichtigen, wenn sie nicht auf den Widerstand der Bevölkerung stoßen und politisch erfolgreich sein wollen.

Neoliberale Reformen in der Richtung der angelsächsischen Staaten erscheinen wenig erfolgversprechend. Soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Fairness dürfen nicht unberücksichtigt bleiben. Und diese sind auch nicht, wie es uns die durch die Talkshows tingelden sich einen wissenschaftlichen Anstrich verpassenden Mietmäuler der Wirtschaftslobby verkaufen wollen, unvereinbar mit wirtschaftlicher Dynamik und Flexibilität.

Das Flexicurity-Modell mit seinen bemerkenswerten beschäftigungspolitischen Erfolgen etwa hat gezeigt, dass auch bei einem niedrigen Kündigungsschutz und einer hohen Arbeitsmarktdynamik eine hohe soziale Sicherheit der Arbeitnehmer gewährleistet sein kann. Sowohl eine hohe Beschäftigungsicherheit mit einer sehr niedrigen Arbeitslosenzahl und einer nur kurzen Dauer der Arbeitslosigkeit, als auch mit hohen Lohnersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit. Außerdem gibt es eine aktive Arbeitsmarktpolitik zur schnellen Wiedereingliederung von Arbeitslosen und äußerst umfangreiche Praktiken der Witerbildung, Qualifizierung und des lebenslangen Lernens zu übernehmen. Will man sich diesem Modell annähern, und vieles spricht dafür, sollte man dies nicht nur im Bereich der Flexibilität tun. Eine Einbeziehung der Dimension der sozialen Sicherheit , die zweifelsohne hohe staatliche (in Skandinavien Steuer-) Mittel erfordern würde, wäre in Deutschland zwar nicht ohne Widerstände durchzusetzen, würde aber wohl auch zu einer Abmilderung der sozialen Spaltung und einer stärkeren Solidarität in der Gesellschaft beitragen.

Share