Lieber Linke als gar nichts? – Das Landesprogramm der Linken in NRW

Ein Gastbeitrag von Matthias Bohlen vom sehr lesenswerten Blog Lowestfrequencys Blick nach draußen, auf dem man diesen Beitrag auch im Original lesen kann.

Das bevölkerungsreichste Bundesland NRW wählt am 9. Mai einen neuen Landtag. Problematisch sind aber nicht nur die prognostizierten Mehrheitsverhältnisse im neuen Landtag, sondern auch, und das selbst für politisch Interessierte und Versierte, die Wahl der Partei. Viele möchten Rüttgers lieber heute als morgen loswerden, ohnehin war sein Sieg anno 2005 eher der Tatsache zuzuschreiben, dass viele SPD-Stammwähler dieselbe für die miserable Bundespolitik abwatschen wollten. Doch während schwarz-gelb nach aktuellen Prognosen keine Mehrheit bekommen wird, sieht es auch für eine rot-grüne Neuauflage schlecht aus. Sofern die Linken in den Landtag einziehen, wovon gegenwärtig auszugehen ist (die Vorhersagen schwanken zwischen 5 und 7 %, ein Einzug gilt aber als sehr sicher), wäre keine der etablierten Koalitionen möglich. Doch selbst wenn sich viele enttäuschte SPD-Wähler mit dem Gedanken tragen, doch den Sozis ihre Stimme zu geben, ist die Enttäuschung und das Misstrauen groß. Die Linke gewinnt vor allem im SPD-Stammland NRW einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Stimmen aus dem Lager der enttäuschten SPDler. Grund genug, sich mit dem Programm auseinander zu setzen, besonders vor dem Hintergrund der lange ausgebreiteten Diskussionen um die die starke kommunistische Plattform in NRW um ihr Zugpferd Sarah Wagenknecht, gern auch zusammengefasst als „Spinner“, „Sektierer“, „Extremisten“ etc. pp.

Ganze 68 Seiten in gefühlter Reclam-Schriftgröße umfasst das Programm, und die meisten mittelmäßig Motivierten werden nach den ersten 2 Seiten aufgeben. Der Grund: Sehr viel Geschwafel, Geschwurbel, butterweiche Äußerungen und beliebig viele Abwandlungen bekannter Formeln, teilweise aus aktuellen Debatten, teilweise auch an klassenkämpferische Schriften erinnernd.

Die Kapitel des Programms im Einzelnen
(für die Ungeduldigen gibt’s hier das Fazit):

Umverteilen – Schutzschirm für Menschen

Es ist an der Zeit – linke Politik von und für Frauen

Sozialer und ökologischer Umbau

Alternativen von links – neue Umwelt-, Energie- und Verkehrspolitik

Öffentlich statt Privat – öffentliche Daseinsvorsorge stärken

Gesundheit ist keine Ware – für ein solidarisches Gesundheitswesen

Bildung ist keine Ware

Kultur für alle

Soziale und gleiche Rechte für alle – aktive Demokratie verwirklichen

Linke Politik für Seniorinnen und Senioren

NRW stellt sich quer: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen

Konsequent für Frieden und Entmilitarisierung

Was fällt auf? Genau: wenig, was für Landespolitik interessant ist. Gleich der erste Punkt „Umverteilen“ lässt vermuten, dass es doch eher um übergeordnete Positionen geht, die aber leider besser in der Bundespolitik aufgehoben sind. Allenfalls im Bundesrat könnten Initiativen unternommen werden, mit originärer Landespolitik haben aber Forderung nach Mindestlöhnen wenig zu tun. Nichtsdestotrotz gibt es einige Aspekte, welche auch landespolitische Relevanz haben.

Die bundesweit interessante Debatte um Beteiligungen des Staates an strauchelnden Unternehmen findet doch auch konkrete Fragen, die sich die Landesregierung stellen muss. Beispielsweise die Frage, welche Unternehmen unter welchen Bedingungen zu unterstützen seien. Hier natürlich die linke Forderung: Keine Beteiligung an den Schulden, keinerlei Mittel, ohne dass Mitbestimmung des Geldgebers gewährleistet ist. Eine Beteiligung des Landes am Unternehmen soll notwendige Voraussetzung sein. Ferner sollen die schwächsten Kommunen entschuldetet werden, eine Aufgabe, bei der das Land eine Mittlerrolle zwischen Bund und den Städten und Gemeinden einnimmt. Auch das Thema Arbeitslose, Arbeitsagenturen, Sanktionen der ARGE etc. werden mit bekannten Forderungen angesprochen, jedoch ist die direkte Landesverantwortung schlecht erkennbar. Auch die Forderung nach einer Reform des öffentlichen Dienstes birgt problematische Thesen. Wenngleich die Landesregierung über diverse Landesbeamte und Landesbedienstete zu verfügen hat, sind doch Forderungen nach dem Streikrecht für Beamte, zumal in genereller Forderung, sehr problematisch. Möchte man wirklich die Erlaubnis für Polizisten, komplett den Dienst zu verweigern? Was ist mit Feuerwehren? Was beim Straßenverkehrsamt nur unpraktisch und allenfalls nervig ist, wird bei der Streifenpolizei schon zum Problem. Die Privilegien, die Beamte genossen, waren ja erkauft mit dem besonderen Treueverhältnis zum Staat, welches wiederum einige Nachteile, wie etwa das Fehlen des Streikrechtes, nach sich zog. In dieser undifferenzierten Form kann diese Forderung jedenfalls nicht mein Wohlwollen finden.

Kritisch beäugt wird auch die häufig plakatierte Forderung nach einer „Entmachtung“ der Energieriesen EON und RWE. Was mit Verstaatlichung und Überführung in gelähmte Behörden gleichgesetzt wird, birgt in sich zunächst die Forderung nach einer Vergesellschaftung dieser Unternehmen als Schlüsselindustrie in monopolartiger Stellung. Dies ist nach der Landesverfassung, §27, zulässig. Auch der Zweck, die Sicherung der Energieversorgung, die allgemeinverträgliche Gestaltung der Preise sowie die Nutzung der Gewinne zu volkswirtschaftlich und ökologisch sinnvollem Ausbau alternativer Energienutzung statt Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, ist kaum als unsinnig zu bezeichnen. Was in den Niederlanden funktioniert, kann hier so weltfremd nicht sein. Leider sind die Forderungen diesbezüglich auch eher undifferenziert gehalten. Zum Thema Energie sollte noch die Rekommunalisierung insbesondere der Stadtwerke genannt sein, was mithilfe eines Landesfonds finanziert werden soll. Dieser Fonds soll die bestehenden Stadtwerke auch vor Privatisierungen schützen. (TOP)


Interessant auch das groß plakatierte Statement: Freche Frauen wählen die Linke. Eine gewagte These. Das Thema Frauen enthält erneut einige Forderungen, die eigentlich eher bundespolitische Wichtigkeit haben, wie etwa die Bemessung der Arbeitszeit für Gleichstellungsbeauftragte (mind. die Hälfte der regulären Wochenarbeitszeit) oder die Anwendung des Prinzips „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, der Ersatz von Minijobs durch reguläre Stellen etc. Wenn die Landesbehörden diese Richtlinien umsetzen würden, wäre es wohl zu begrüßen, dennoch sind die Themen doch eher für den Bund prädestiniert. Wie zu erwarten soll die Kinderbetreuung ausgebaut werden, um Frauen bessere berufliche Chancen einzuräumen, und es soll für Mädchen und Jungen Beratungsstellen zur Berufswahl geben. Dieser Punkt überraschte, nicht nur weil es eigentlich nicht um Bildung geht, ein eigener, umfangreicher Punkt im Programm, sondern, weil es explizit auch Jungen betreffen sollte. Ein lobenswerter Ansatz, auch jungen- bzw. männerspezifische Förderung und Beratung in den Fokus zu nehmen.

Ebenfalls ein wichtiger Punkt: Die Ausstattung der Frauenhäuser. Unter Rüttgers marginalisiert und mit einer Mittelkürzung von mehreren Zehnteln des Budgets überzogen, sollen die Mittel wieder aufgestockt werden, mindestens auf altes Niveau, teilweise sollen auch neue Angebote, die intensive Einzelbetreuung ermöglichen sollen, eingeführt werden. An dieser Stelle kann man nur bejahren. Eine Schande, dass diese Häuser überhaupt notwendig sind, aber eine noch größere, wollte man, wie man der Regierung Rüttgers vorhalten muss, das Problem unter den Tisch kehren.
(TOP)


Zum Thema Sozialer und Ökologischer Umbau gibt es einige gute Vorschläge. Der beste davon ist wohl, mehr Betriebsprüfer und Steuerfahnder einzustellen. Ein andere sinnvolle Idee ist die Tariftreueverpflichtung per Gesetz – Problem an der Sache ist aber ein entgegengerichtetes Urteil des EuGH (Europäischer Gerichtshof). Meines Wissens gibt es aber auch Juristen, die Möglichkeiten sehen, die öffentliche Hand von der reinen Kostenorientierung zu lösen und auch andere Aspekte wie Tariftreue, ökologische Unternehmensführung etc. als Kriterium für öffentliche Aufträge zu berücksichtigen, so dass nicht unbedingt Schmutzfinken und Ausbeuter die öffentlichen Aufträge bekommen müssen. Leider finden sich auch hier haufenweise Phrasen wie die Forderung nach einer Steuerreform zugunsten der Armen und zulasten der Reichen (allerdings ohne Konkretisierung und unter Ausblendung der Tatsache, dass das Aufgabe des Bundestages ist), ebenso wie die Schließung der Steuerschlupflöcher, die durch mangelhafte Bundesgesetze entstehen. Ebenso muten Vorschläge wie die Beendigung der Steuersenkungsspirale der Kommunen (Stichwort Grundsteuer) mehr wie „Wünsch dir was“ denn ernsthaftem Debattenbeitrag an. Das Ziel ist lobenswert, auch die Gründe für diese Position sind ausreichend dargelegt, es findet sich jedoch nicht ein einziger Absatz, der sich mit konkreten Lösungsansätzen befasst.

Unter diesem Ordnungspunkt widmet sich das Programm auch eher kommunalen Aufgaben wie der Förderung schwacher Bezirke, die Prestigeprojekten vorzuziehen seien, oder der Ausgleich von Qualitätsverlusten im Wohnungsangebot. Leider bleibt die genaue Ausgestaltung auch hier wieder im Unklaren, zudem muss bedacht werden, dass unter letzterer Forderung auch ziemlich teure Projekte herauskommen könnten, ohne echten Mehrwert. Wenn man neben ein Wohngebiet eine Bodenentgiftungsanlage baut, dann kann man noch so viel Qualität erhöhen, da will einfach niemand wohnen – es stinkt einfach. Dafür Geld rauszuschmeißen, wäre schlichtweg gröbster Unsinn und eine Verschwendung von Steuermitteln. Aber, wie bereits angemerkt, müsste hier im Einzelfall vor Ort entschieden werden; warum dieser Vorschlag im Landesprogramm steht, erschließt sich einfach nicht. Erwähnenswert ist meines Erachtens nach noch die Forderung nach einem Vorkaufsrecht der Kommunen für neu ausgewiesenes Bauland. Damit würden Bodenspekulationen verhindert, aber die Gewinne teilweise abgeschöpft; zwar wäre diese Maßnahme weniger gut, als Bodenspekulationen zu verhindern, aber bis geeignete Maßnahmen dazu gefunden sind, wäre den Kommunen mit Gewinnen aus Bodenverkäufen zumindest finanzell geholfen, vor allem, da einige der bundesweit ärmsten Kommunen im Ruhrgebiet befindlich sind.

Insgesamt finden sich unter diesem Abschnitt noch einige vernünftige Vorschläge, die ich hier nicht mehr einzeln aufführen will. Stattdessen möchte ich noch einige Worte zum ökologischen Umbau verlieren. Ein Verbot von Düngemitteln mit Glyphosat und Neonocitinoiden (zu diesem Thema und warum das Zeug verboten gehört, verweise ich auf das Buch von Marie-Monique Robin über Monsanto, siehe Buchempfehlungen) ist überfällig, auch das Verbot von Patenten auf Lebewesen findet meine uneingeschränkte Zustimmung, ebenso wie ein Verbot von Gen-Futtermitteln, Freilandversuchen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Bis die Auswirkungen von gentechnisch veränderten Lebensmitteln auch nur ansatzweise geklärt sind und die Unschädlichkeit dann gegebenenfalls festgestellt ist (was ich in vielen Fällen stark bezweifle), wäre ich auch für ein generelles Verbot von GVOs in Lebensmitteln zu haben. Auch die Förderung der ökologischen Landwirtschaft halte ich für unterstützenswert, wenngleich spezifizierte Pläne auch hier fehlen. Wie üblich: Gute Ziele, wenig Ansätze. (TOP)


Beim Thema Energiepolitik kommt sicher eines der größten Streitthemen nochmals auf: Die Verstaatlichung von RWE und EON. Zu diesem Punkt habe ich bereits einige Worte verloren, ansonsten halte ich die Rekommunalisierung von Stadtwerken und die Vergesellschaftung von Stromnetzen einfach für geboten, damit auch kleinere Bewerber nicht an der Teilhabe am Wettbewerb gehindert werden können. Auch die Förderung von ressourcenschonender Bauweise mit Leuchtturmprojekten in öffentlicher Hand (Rathäuser mit Regenwasserspülung bei Toiletten etc.) ist mal wieder etwas, das man kaum ablehnen kann – und ausnahmsweise mal mit diversen konkreten Ausgestaltungsvorschlägen hinterlegt. Doch auch hier muss ich noch einmal meckern: Wenn man das Programm liest, drängt sich der Eindruck auf, die Schreiber des Programms hätten absolut keine Ahnung vom Thema. Das Wort „Atomtransport“ vermittelt zwar einen Eindruck des gemeinten Themas, aber darunter fiele strenggenommen auch der öffentliche Nahverkehr, sogar wenn ich mich morgens aus dem Bett quäle, transportiere ich meine Atome vom Bett ins Bad. Ein Verbot dessen wäre eher schwierig durchzusetzen, ich plädiere daher für eine vernünftige Formulierung, die zwar bei verständlichen Ausdrücken bleibt, aber noch halbwegs wissenschaftliche Termini berücksichtigt.
(TOP)


Die Punkte Daseinsfürsorge und Gesundheit halte ich an dieser Stelle ebenso kurz, wie im Parteiprogramm. Cross-Border-Leasing wird verboten, privatisierte Betriebe werden zurückvergesellschaftet, vor allem Strom- und Gasnetze. Der Preisaufsicht ist ebenfalls öffentlich. Nichts überraschendes. Ebenso wenig, wie es nennenswertes zum Thema Gesundheit gibt. Flachere Hierarchie in kommunalen Krankenhäusern. Ganz nett.
(TOP)


Kommen wir also zum wichtigsten Thema der Landespolitik, der Bildung. Auch hier erstmal ein wenig Dampf ablassen. Phrasen wie „Die Linke.NRW fordert: […] Die Abschaffung von Konkurrenz und Druck, einhergehend mit einer umfassenden Demokratisierung, denn nur so können ein solidarisches Miteinander und selbstbestimmtes Lernen ermöglicht werden.“ darf man sich auch getrost sparen. Mich überkommt ein Brechreiz, wenn ich solches Gelaber erstmal massenhaft aus dem Programm sortieren muss, um sinnvolle Vorschläge zu finden. Ein kürzeres Programm motiviert auch viel eher zum Durchlesen, wenn man sich mal auf die aktuell angebrachten Themen konzentriert.

Denn gerade bei der Bildung finden sich mehrere gute Ansätze. Die Erhöhung der Bildungsausgaben von 4,5 auf 7% des BIP hören sich zwar nur wie ein normal linker Vorschlag an, ist aber nicht, wie häufig in der Politik aus dem Bauch heraus geschätzt, sondern orientiert sich an den Bildungsausgaben von Schweden – und kein Mensch kann mir erzählen, dass Schweden so unfassbar reicher ist als Deutschland, dass sich dieses Land nicht mehr Bildungsausgaben leisten könnte, wenn es denn wollte. Auch die Forderung einer Klassenstärke von 15 Kindern ist lernpsychologisch sinnvoll, wenngleich sich Studien gern darum streiten, ob nun die besten Ergebnisse bei 12 oder 18 Schülern erreicht werden. Die dafür notwendigen Lehrerstellen wären auch bei ca. 70% mehr Geld für die Bildung insgesamt zumindest in Ansätzen zu schaffen, und selbst Klassen von 25 oder 20 Schülern wären ja schon ein deutlicher Fortschritt gegenüber den gegenwärtigen Zuständen. Bei einer Klassenstärke von 15 Kindern und Jugendlichen wäre auch eine Gemeinschaftsschule bis zur 10. Klasse nicht mehr so schwachsinnig, und auch die Rücknahme von G8 findet nicht nur bei mir Zustimmung. Leider gibt es auch hier unsinnige Vorschläge, wie die Abschaffung von Noten und Sitzenbleiben, im gegenwärtigen Regelschulmodell vollkommen illusorisch, und auch die Abschaffung der Förderung von Privatschulen ist vollkommener Humbug. Welchen Sinn macht es, einer beispielhaft herangezogenen katholischen Privatschule die Förderung von 94% der Kosten zu entziehen? Die Schule müsste zumachen und der Staat müsste 100 % bezahlen. Ergo sind nicht alle „Förderungen“ von Privatschulen sinnlos, sondern teilweise höchst nützlich für das Land, das sich 6 % der Kosten spart, die im Beispiel vom entsprechenden Bistum getragen werden.

Immerhin finden sich hier auch nicht alltäglich zu hörende Anregungen, wie das integrative Einbeziehen von Behinderten nach UN-Konvention und die geplante Abschaffung der Förderschulen (die beim gegenwärtigen Zustand der Schulen allerdings noch bei weitem nötig sind), oder die mehrsprachige Alphabetisierung, die bereits in einigen Modellversuchen Erfolge zeigt. Dafür ist es aber auch notwendig, die immer mehr zusammengestrichenen DaZ (Deutsch als Zweitsprache)- bzw. DaF (Deutsch als Fremdsprache)-Stunden wieder zu erhöhen und die Mittel dafür bereitzustellen. Ferner werden noch unzählige Kleinvorschläge gebracht, wie ökologisches Essen für Schulkinder, stets mit der Möglichkeit auf vegetarisches und veganes Essen (bei der gegenwärtigen Schulausstattung zwar ein schöner Traum, aber vollkommen unmöglich umzusetzen), einen Sitzplatz für jedes Schulkind im Bus (schon eher einfach herzustellen, wenngleich auch mit einigen Kosten verbunden) und die Einstellung des „bedarfsdeckenden Unterrichts“, was nichts anderes heißt, als Lehramtsanwärter im Studium ohne assistierenden Lehrer auf Schüler loszulassen.

An den Universitäten sollen natürlich die Studiengebühren abgeschafft werden (bitte schnell, bevor ich nichts mehr davon habe!), die Lehramtsanwärter sollen dauerhaft betreut werden (sehr sinnvoll, aber eben auch mit Mehraufwand für Schulen und Universitäten verbunden; dem müsste also Rechnung getragen werden, da die Betreuungspersonen von Lehramts-Studenten eh schon aus dem letzten Loch pfeifen), die staatlich geförderte Rüstungsforschung soll beendet werden (verständlich aus der pazifistischen Tradition), der NC (Numerus Clausus) soll fallen, ein Master-Platz für jeden Bachelor-Absolventen soll garantiert werden (uneingeschränkte Zustimmung, absolut notwendig!!!) und ein barrierefreier Zugang für behinderte Studenten soll an allen Hochschulen des Landes gewährleistet sein. So viele tolle Vorschläge auf einem Haufen, es war ein Genuss diesen Teil des Programms zu lesen. Doch auch hier gibt es einige Vorschläge, die nur mit Vorsicht zu genießen sind. Beispiel hierfür ist die angestrebte Viertelparität in den Uni-Senaten (d.h. je ein Viertel der Stimmmacht entfällt im Senat auf Professoren, Studenten, wissenschaftliche Mitarbeiter und nichtwissenschaftliche Mitarbeiter) – das Verfassungsgericht hat in den 70er Jahren entschieden, dass die Professoren mehr als die Hälfte der Stimmen halten müssen. Hier müsste also erstmal ein neues Urteil des BverfG angestrebt werden; eine Viertelparität wäre aber auch nicht unbedingt sinnvoll. Als Übergang wäre es als Versuch meines Erachtens sinnvoller, die Professoren mit der größten Macht auszustatten, aber nur soweit, dass sie nicht allein alle eigenen Vorschläge durchdrücken können. Mein Vorschlag wäre: 40 % für Professoren, je 20 % für die anderen Teile; das Verfassungsgericht müsste aber erstmal von bisheriger Rechtsprechung abweichen. Auch die Aussagen zur Kinderbetreuung sind lesenswert, nicht nur, um das gesteckte Ziel, Plätze für 30 % der Kinder bereit zu stellen, sondern auch, um Frauen bessere Berufschancen zu bieten; wichtig finde ich auch, den Wert der Arbeit von Erziehern neu in die Debatte zu bringen. Solange man mit der Haltung „Die tun ja nix, was ich nich auch könnte“, herangeht und diese Leute mit Löhnen knapp überm Minimum abspeist, zeigt es eine Geringschätzung. In vielen anderen Ländern sind Erzieher hoch angesehen und es handelt sich um eine akademische Ausbildung. Die Diskussion darüber ist überfällig. Problem: Es kostet wie üblich einen Haufen Geld, und solange nicht auch mehr Geld vom Bund kommt, ist das ein tolles Ziel, das niemals erreicht werden kann…

Beim Thema Ausbildung gilt wieder einmal: Tolle Vorschläge, aber kein Plan. Klar sollen Unternehmen, möglichst ausbilden. Aber nach welchen Kriterien wird bewertet, welche Unternehmen das können? Klar kann man eine Kontrollstelle bilden, die die Qualität von Ausbildung bewerten und überprüfen soll, aber was macht eine gute Ausbildung aus und wer bildet nach welchen Maßstäben die Prüfer aus? Welche Auswirkungen haben diese Prüfungen? Fragen über Fragen. Der nächste Punkt zum Thema betriebliche Ausbildung gehört mal wieder überhaupt nicht in die Landespolitik, erst der vierte Punkt interessiert überhaupt irgendjemanden, der am 9. Mai den Landtag wählen will, und selbst dort mangelt es an Begründung. (TOP)


Es tut fast weh, deswegen weiter zur Kultur, da kann man nichts falsch machen, außer vielleicht die Finanzierung ansprechen. Denn wie üblich krankt es an zu wenig Geld. Die Reservierung von 10 % aller Plätze bei öffentlich geförderten Veranstaltungen für Erwerbslose (4 €), Kinder und Jugendliche (kostenlos) ist eine schöne Idee, was aber, wenn noch Plätze leer blieben? Prädikat: guter Ansatz, aber noch nicht spruchreif. Selbstverwaltete Kulturzentren, vor allem mit Fokus auf antirassistische und interkulturelle Angebote, schön, JeKI (Jedem Kind ein Instrument) weiterführen, auch gut, wenngleich die Folgen für die Musikschulen bedacht werden müssen. Um Kinder aus Familien ohne Tradition in der musikalischen Ausbildung überhaupt an ein Instrument heran zu führen aber sicher ein gutes Mittel. Auch bei Sportförderung kann man nichts falsch machen, sozialpädagogische Fanbetreuung ist dann doch ein interessanterer Punkt, ob es kostenloser Schwimmunterricht sein muss, darüber lässt sich streiten. Es dreht sich aber hier eigentlich um mehr Geld von bekannten Programmen. Und das ist, wie üblich, zu weiten Teilen vom Bund abhängig. (TOP)


Halbwegs interessant sind noch die geplanten Initiativen zum Thema Soziale Rechte. Das kommunale Wahlrecht sollen auch Nicht-Deutsche genießen, die medizinische Grundversorgung soll für jeden zugänglich sein (also auch für „Illegale“), das Thema Intersexualität soll einerseits in Schulen angesprochen werden, andererseits soll auch ein standesrechtlicher Stand dieser zwischengeschlechtlichen Menschen eingerichtet werden. Die Zeiten von geschlechtsdefinierenden Operationen (Entfernung von Penis, Gebärmutter etc. zur Festlegung eines Kindes auf ein Geschlecht) soll beendet werden. Zwar ein Thema, das nur relativ wenige Leute direkt betrifft, aber deshalb nicht weniger wichtig. Schön, dass auch das auf die Agenda gesetzt wird.

Kritisch sehe ich aber auch hier Vorschläge, die haftvermeidenden Maßnahmen auszubauen und die Zahl der Haftplätze zwingend nicht zu erhöhen. Wenn eine Haftvermeidung aus einem Sicherheitsinteresse nicht möglich ist und die Haftbedingungen aber verbessert werden sollen (dringend geboten), dann halte ich eine Erhöhung der Haftplätze zur Reduktion von Überbelegung für angezeigt. Also auch hier ein bisschen überidealistisch mit heißer Nadel gestrickt. Die Auflösung des Verfassungsschutzes halte ich sogar für absolut fatal. Zwar gibt es dort sicher auch Missbrauch der Macht, aber das gänzliche Fehlen eines Inlandsgeheimdienstes würde mir persönlich nicht so recht schmecken. Auch wenn man vielleicht ein paar Leute bei der NPD sparen könnte und den Laden endlich zumachen…
(TOP)


Zu den weiteren Punkten Senioren, Anti-Faschismus und Frieden/Entmilitarisierung spare ich mir nun auch die Ausführungen. Die Positionen sind bei 2 Minuten Nachdenken klar und passen ins Bild. Schöne Pläne, zu denen aber ohne entsprechende Bundesmittel einfach das Geld fehlt. (TOP)


Was bleibt also als Fazit? Die Landespolitik hat wenig zu sagen und ebenso sieht’s im Programm aus. Mindestens Drei Viertel von dem Geschwafel hätte man sich getrost sparen können, weil es entweder nur nette Vorschläge ohne irgendeinen konkreten Plan sind oder weil es einfach nicht in die Verantwortung der Landespolitik fällt. Trotzdem gibt es, wenn man diesen Teil streicht, einige gute Ansätze, die ich persönlich unterstützen kann. Wo die SPD eine Menge Vertrauen verspielt hat und die Grünen sich nicht gegen Schwarz-Grün bekannt haben, bieten die Linken eine Alternative. Freilich wird die Linke nicht mehr als ein Patt der klassischen Koalitionen bewirken können. Wenn man jedoch ur-linken Zielen den Vorzug geben will, ist eine Stimme für die Linken keine verlorene Stimme. Warum die Studiengebühren nur schrittweise abschaffen? Die Einführung passierte doch auch von 0 auf 500. Warum also, bei solch kruder Logik, SPD wählen und nicht Linke? Beispiel: Zumindest beim Bildungsthema halte ich viele Ideen für überdenkenswert, mehr noch, ich meine, man muss sich inhaltlich damit befassen, wenn man eine sachliche Debatte führen will. Die Linken könnte in NRW mitregieren, wenn die Bedingungen stimmen; ob sie es tun würden, ist die andere Sache. Die Linke wird nicht mitregieren, dafür hat sich die SPD zu sehr verlaufen in einem plumpen Populismus der Bundes-SPD gegen die Bundes-Linke (ursprünglich ja noch mit Oskar Lafontaine), gegen das bloße Nachdenken über neue Bündnisse, ohne die man nicht mehr auskommen wird. Doch die Spitzen weigern sich noch, diese Wahrheit anzuerkennen und deshalb wird die Linke für regierungsunfähig erklärt, wo eigentlich die SPD mit sich selbst beschäftigt sein sollte. Was das „bürgerliche Lager“ damit geschafft hat: Die (beiden) roten Parteien sind quasi aus dem Rennen und an die Grünen wanzt man sich an. Leichtes Spiel, in diesem Fall, für Rüttgers, der so oder so weiterregieren wird, wenn nicht Rot-Rot-Grün startet, und davon ist nicht auszugehen…

Bei vielen anderen Themen, nun ja, da hat die Landespolitik nicht viel zu melden. Da kann man sich bekannte bundespolitische Thesen ohne großartigen hintergründigen Mehrwert durchlesen.

Natürlich sind diverse Vorschläge der Linken blanker Unsinn. Aber das ist kein differenzierendes Kriterium. Ich kann keine deutliche Wahlempfehlung aussprechen für diese Linke in NRW. Ich kann auch nicht empfehlen, dieses Programm lesen zu wollen, wenn man nicht sehr viel Zeit hat und leidensfähig ist. Vielleicht lese ich auch noch andere Programme. Aber wahrscheinlich sind die genau so schlimm…

Siehe auch: Der Programmentwurf der Linken – eine kritische Betrachtung

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