Mietmäuler, BWLer und andere Defizite des heutigen “Qualitätsjournalismus”

In einem Interview von Deutschlandradio Kultur spricht der SWR-Chefreporter und Vorsitzende des Vereins netzwerk recherche Thomas Leif über Probleme des deutschen Journalismus. Von den Medien immer wieder als angebliche “Experten” präsentierte Wissenschaftler o.ä. sind nicht selten Mietmäuler einer bestimmten Klientel, trotzdem werden sie von den Medien immer wieder befragt. Prominenz ist dabei meist wichtiger als Kompetenz, und v.a. als Unabhängigkeit.

Er beschreibt damit ein nur zu bekanntes Problem. Ein Blick in irgendeine der Polit-Talkshows genügt ja schon: So sicher wie das Amen in der Kirche wird man dort irgendeinen Lobbyisten der Arbeitgebern, der Versicherungswirtschaft, einer bestimmten Branche usw. als “unabhängigen Experten” präsentiert bekommen. Professor Raffelhüschen ist da wohl das augenfälligste Beispiel von geradezu unzähligen.

Ein weiteres Problem laut Leif: Für investigativen Journalismus stünden heute kaum mehr Mittel bereit, der Zeitdruck in den Redaktionen wachse. Und schließlich habe gerade die junge Journalistengeneration oft überhaupt keine Skrupel, Journalismus und PR zu vermischen.


Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk können wir derweil sehen, wie dessen Unabhängigkeit von der Bundesregierung schwindet. Seit dem Coup von Roland Koch im Fall Brender kann man auf jeden Fall das ZDF nicht mehr unabhängig nennen. (Und nicht umsonst rangen sich ja auch etwa um den Abgang von Georg Schramm immer noch Spekulationen. Mal sehen, wie lange die letzten regierungskritischen Sendungen im ZDF, ihres Zeichens die Satiresendungen Neues aus der Anstalt und die heute-show, noch laufen dürfen.)

Jetzt wird der ehemalige Regierungssprecher Intendant des Bayrischen Rundfunks und einer der bekanntesten Nachrichtenmoderatoren des ZDF wird Regierungssprecher. Die verdi-Mitglieder vom ZDF haben dazu Steffen Seibert  einen wundervoll bitterbös-sarkastischen Abschiedsbrief geschrieben.


Tom Schimmeck, einer der letzten investigativen Journalisten in Deutschland, schildert in einem längeren Interview mit Telepolis (Teil 1, Teil 2) einige der wichtigsten Veränderungen der letzten Jahrzehnte im deutschen Journalismus und prangert aktuelle Probleme an.

So gab es neben einer Boulevardisierung der deutschen Medien v.a. seit der Schröder-Ära immer mehr Berichterstattung nach dem TINA (There is no alternative)-Prinzip, Sachzwanglogik (in Richtung einer neoliberalen Politik) wurde zur herrschenden Einstellung.  Zuviele BWLer und Marketing-Leute sitzen heute in den Chefetagen der Medien, die  einzig und alleine auf Profitmaximierung aus sind. Es gäbe heute genauso viele PR-Berater wie Journalisten. Erstere sind finanziell besser ausgestattet und arbeiten auch oft mit der Presse zusammen (Beispiel: die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft”), wodurch immer wieder Lobbyismus und Journalismus vermengt werden. Und sie gehen gegen kritischen Journalismus nicht selten mit Hilfe des Justizapparates vor. Qualitative Recherche wird heute insgesamt eher noch bestraft. Außerdem schildert Schimmeck die Wirksamkeit von Medienkampagnen, etwa bei Andrea Ypsilanti oder der Griechenlandkrise.


Der Oeffinger Freidenker zeigt am Beispiel der Berichterstattung über Gauck und Wulff, wie sehr wir ein neues, kritischeres Medienbewusstsein brauchen.

Lief vor der Wahl eine massive Kampagne für den Kandidaten von SPD und Grünen, der politisch in Wahrheit ein bürgerlicher Kandidat war, so wurde Wulff schon unmittelbar nach seiner Wahl konsequent als mindestens genauso guter Präsident dargestellt. Die Redaktionen werden immer mehr ausgedünnt,  wodurch die Qualität immer mehr nachlässt; kritische Journalisten sind kaum mehr zu finden. Die großen Verlage erlangen immer mehr Einfluss auf die Politik.


Das sind nur einige Beispiele, wo derzeit massive Defizite im deustchen Journalismus zu finden sind. Ohne die kritische Beobachtung, v.a. seitens einiger Weblogs, die diese Defizite aufzeigen, und die auch manchmal zeigen, wie es besser geht, sähe das ganze wohl noch schlechter aus.


NACHTRAG: Die internationale Zeitschrift für Journalismus message berichtet über eine französische Studie. Diese besagt, dass, da der klassische Journalismus immer mehr bei der Recherche einspare, investigativer Journalismus  zunehmend durch NGOs, Vereine und Stiftungen sowie Webradion, Onlineforen und Blogs geleistet werde. Diese sind oft spezialisiert, handeln meist parteiisch, legen aber ihre Motive offen, und ermöglichen Kontakte mit den Nutzern. (via Netzpolitik)

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9 thoughts on “Mietmäuler, BWLer und andere Defizite des heutigen “Qualitätsjournalismus”

  1. Pingback: politikblog.org
  2. @Schramm und ZDF: Also natürlich war meine erste Reaktion, dass er es dort einfach nicht mehr aushielt, weil ihm vielleicht dauernd reingeredet würde. Aber dann hab ich versucht an nähere Informationen zu kommen und habe nun den Eindruck, dass Schramm sehr wohl sich selbst lieber auf einer Theaterbühne / Kleinkunstbühne sieht, als im TV dauernd das zu sagen, was er schon immer gesagt hat. Ich bin dann zu dem Schluss gekommen, dass er die “Enge” beim ZDF hinter sich lassen wollte und nun vorwärts schreitet und wieder durch das Land reist.

    Dein Blog-Post fast alles noch einmal wunderbar zusammen, auch wenn dies alles für Blog-versierte Leser (NDS, Öffinger, usw) alles altbekannte Probleme sind.

    Der Artikel in der ZEIT über “Watchblogs” ist wohl auch ein eher unfreiwilliges Eingeständnis der Lage des deutschen Journalismus, wenn ein großes Blatt die Blogs als Wachhunde der eigentlichen Wächter ehrt. Auch hier wird wie so oft das wahre Problem verlagert. Anstatt zusammen mit den Bloggern sich zu überlegen, wie man Journalismus wieder auf ein gutes Fundament setzt, ehrt man sie und lobt, dass sie immer aufpassen, was die Medien schreiben, ohne aber sich selbst in irgendeiner Pflicht zu sehen.

  3. Naja, ich weiß nicht, auf der Kaberettbühne sag er ja auch das, was er schon immer gesagt hat. 😉 Und dort erreicht er deutlich weniger Leute als über’s Fernsehen.

    Watchblogs sind wichtig. Aber ich muss auch sagen, dass ich persönlich finde, dass sie sich etwas zu sehr mit ich sage mal technischen Fehlern aufhalten (falscher Name, retuschierte Bilder o.ä.) oder gar nur mit reinen Medieninterna beschäftigen (die im Zeit-Artikel genannten CARTA, Indiskretion Ehrensache) und die politischen Hintergründe und Interessen oft vernachlässigen (gut, dass wir z.B. noch die NachDenkSeiten u.a.haben …)

    Anstatt zusammen mit den Bloggern sich zu überlegen, wie man Journalismus wieder auf ein gutes Fundament setzt, ehrt man sie und lobt, dass sie immer aufpassen, was die Medien schreiben, ohne aber sich selbst in irgendeiner Pflicht zu sehen.

    Stimmt. Und wenn die Journalisten sauber arbeiten würden, bräuchte man viele Watchblogs nicht mal mehr.

  4. Bei Schramm weiß natürlich keiner von uns so genau, wie seine Arbeitsbedingungen einmal beim ZDF und dann auf Tour aussehen. Jedenfalls hat er den Abgang gut verpackt als Ausbruch seiner Figur des Rentners Dombrowski. Dass er aber weniger Leute über die Bühnen erreicht stimmt genau. Aber er ist Künstler und da muss er wissen, wo er am besten arbeiten kann.

    Dass sich die “Wächter 2. Ordnung”, wie ich sie mal nennen möchte, oftmals an Formalien festklammern mag sehr wohl stimmen. Zum Beispiel schreibt Bildblog.de viel über Falschmeldungen und Verletzungen des Pressecodex. Aber auch dort werden die Medienkampagnen kritisch kommentiert. Ich finde es jedoch persönlich sehr schwierig auszumachen wie nun die Verteilung von “NDS-like” Blogs in der Sphäre ist, denn wer kann schon das Netz in Gänze betrachten?

    Wenn der Journalismus wieder so wäre, wie wir es uns wünschen, dann müssten wir uns daran machen die Wissenschafts- und Wirtschafts-Watchblogs unnötig zu machen 😉

    Die Watchblogs sollte man nicht als die braven Wachhunde sehen, sondern vielmehr als den unheimlichen Typ in der Kutte (Guardian of the Blind -> siehe Plattencover von Blind Guardian), der einen ins Schaudern versetzt, so dass man schnell sich verbessern will angesichts der mahnenden Gestalt.

  5. Immerhin: Heute (Di. 13. 7. 2010) lief im ZDF eine durchweg atomkritische Sendung. Darin kam auch ein atomkritischer CSU-MdB zu Wort.
    Das gibt es also noch, trotz Frey.
    Aber ich frage mich auch: Wie lange noch?

  6. @ m4rc
    Ich veruch mal an nem Beispiel zu zeigen ,was ich meine: BILDBlog hat durchaus sehr gut darüber berichtet, dass es eine Kampagne der Bild gegen die Griechenlandrettung gab und wie diese verlaufen ist. Sie haben aber keine Erklärungen geboten oder vrsucht zu bieten, die Frage nach dem Warum sind sie nicht angegangen, welche wirtschaftlichen Interessen z.B. dahinter stehen. Ok, aber dafür gibt es ja auch noch andere Blogs 😉 Sie sind alle notwendig, keine Frage.

    @ Peleo
    Klar, es gibt auch noch gute Sendungen. Aber das Hauptproblem sehe ich bei den Sendungen , die sehr viele Zuschauer haben, v.a. die Nachrichten. Die Tagesschau- und heute-Sendungen (und die Internetseiten davon) würde ich, wenn man sie mal mit der politischen Ausrichungen der Tageszeitungen vergleicht, am ehesten bei der Welt verorten, und sie sind extrem einseitig (ich habe auch den Eindruck, dass das in den letzten Jahren schlimmer geworden ist). Ähnlich bei den Polit-Talkshows.
    Andererseits ist auch klar, dass es ohne die öffentlich-rechtlichen Medien im deutschen TV und Radio überhaupt keine kritischen, aufklärerischen oder auch nur seriösen Politik-Sendungen oder Magazine geben würde.

  7. @ 7 Guardian

    Du hast wohl recht, leider. Diese anderen Sendungen sehe ich selten und habe deshalb wohl keine gute Vergleichsmöglichkeit. Mein Eindruck ist allerdings, dass das ZDF sich noch mehr als die ARD-Sender den Kommerzsendern angepasst hat.
    Ob die kritischen Beiträge nur eine Alibifunktion haben oder doch aus einem Rest an journalistischer Verantwortung kommen?

    Aber noch ein etwas anderer Punkt: Was heißt eigentlich “Wirtschaftskompetenz” bei Politikern? Fast alle Medien landauf, landab schreiben sie Leuten zu wie Merz, Koch, Oettinger (und klagen über deren Weggang) und jetzt Mappus. Alles CDU-Rechtsaußen und Atomlobbyisten also, ohne wirkliche Erfahrung in der “Wirtschaft”.
    Ich frage mich: Ist das pure Gedankenlosigkeit, Dummheit oder doch Kalkül, weil ja “Wirtschaftskompetenz” bei den Wählern gut ankommt?

  8. Wirschaftsexperte ist man in den Medien meist, wenn man wirtschaftspolitisch neoliberale Positionen vertritt, und das am besten lautstark und rücksichtslos. Die meisten “Wirtschaftsexperten” von Union und FDP sind außerdem Juristen.
    Wenn mal in den Medien ein Ökonom befragt wird, sind das meist (INSM-)Lobbyisten und äußerst markradikale (Sinn, Raffelhüschen, Hüther usw.) Keynesianer kommen fast nie zu Wort), seriösere und angesehenere Wirstchaftsliberale auch nicht, wenn sie nicht mal medientauglich die Sau raus lassen können.

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