Kampf und Krampf der Linken Liste

Ein Gastbeitrag von Simon Stratmann zur Wahl des Studierendenparlamentes an der Universität Trier. Simon Stratmann ist Doktorand an der Universität Trier, Mitglied der SPD sowie ehemaliger Senator und ehemaliger AStA-Referent für Hochschulpolitik.

Marx wurde 1818 in Trier geboren und starb 1883 im fernen London. Lang ist es her und vergessen allemal, so denkt wahrscheinlich die Mehrheit der hiesigen Studierenden. Weit gefehlt: Marx ist nicht tot – jedenfalls nicht in Trier. Dem Ziel, den Marxismus wenigstens organisatorisch am Leben zu erhalten (oder erneut zu gebären?), hat sich an der Uni Trier die Linke Liste (LiLi) verschrieben. Die Gralshüter der Orthodoxie haben auch in diesem Jahr ihre inhaltliche Ausrichtung in ein „Wahlkampfprogramm“ gegossen, wobei die Betonung nach der Lektüre eindeutig nicht auf „Wahl“ und „Programm“ liegen kann.

Man vermisst als geübter Leser der LiLi-Schriften direkt das eigentlich obligatorische Zitat geheiligter Männer zu Beginn (mal Hegel, mal Brecht, falls einem nix einfällt halt Marx; bloß nicht Bakunin oder Trotzki). Aber die ersten Absätze lassen einen dann beruhigt in den altbekannten Flausch des marxistischen Ohrensessels hinabsinken. Runde Tische, Konsensfindung, Interessensvertretung, Kapitalismus/Kapital: böse! Klassenauseinandersetzungen, Systemabschaffung, Arbeiterkinder: gut!

Nachdem die mit einer gehörigen Portion stringenter und nachvollziehbarer Gesellschaftsanalyse- und Kritik gestopfte Pfeife geraucht ist, kommt man zu den Forderungen der Linken Liste in diesem StuPa-Wahlkampf: Keine Studiengebühren, Unizugang unabhängig vom Elterngeldbeutel, Master für alle Bachelors und Bacheloretten, keine NCs und Auswahlgespräche, kostenfreies Orientierungssemester, ordentliche Finanzierung der Hochschulen, kritische Wissenschaft. Diese Forderungen findet man in jedem Juso-/Grünen-/Bildungsstreik-Programm, und sie zeigen, dass die LiLis den Konsens doch nicht so radikal ablehnen, wie sie immer gerne vorgeben. Geschenkt!

Hellhörig wird man bei folgender Passage: „Eine abgeschlossene betriebliche oder schulische Ausbildung muss zum Studieren an deutschen Hochschulen berechtigen.“ Interessanter Punkt, denn wenn man sich ein wenig mit der SPD-Hochschulpolitik in Rheinland-Pfalz beschäftigt (aber das machen ja nur die blöden Interessenvertreter …), dann kommt man zu dem Schluss: In Paragraph 65 des neuen Landeshochschulgesetzes (das in den meisten Passagen leider furchtbar ist) wurde diese Forderung in dem Sinne verwirklicht, dass nach zweijähriger Berufsphase ein Hochschulstudium möglich ist. Haben die LiLis wohl verschlafen. Auch geschenkt!

Die letzte Forderung – ein Arbeiterkinderreferat im AStA – scheint für sie der Höhepunkt marxistischer Hochschulpolitik zu sein. Dass die Juso-HSG Trier mit dieser Forderung ebenfalls in den Wahlkampf zieht, muss ein Schlag in das Gesicht jedes aufrechten Revolutionärs sein. Da geht sie hin, die radikale Verve des erleuchteten Einzelkämpfers gegen das kapitalistische System. Hättet ihr euch mal um so etwas marktwirtschaftliches wie Copyrights gekümmert. Naja, nun seid ihr Mainstream. Aber wieder: Geschenkt!

Das Wahlkampfprogramm der Linken Liste ist angesichts der dort versammelten Intelligenz (und das meine ich ohne ironischen Unterton!) eine traurige Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen, die hinter jedem Anspruch und jeder Komplexitätskenntnis hochschul- und allgemeinpolitischer Zusammenhänge zurückbleibt. Fundamentalopposition muss klüger sein, als sich in die Nische verstaubter Versatzstücke marxistischer Mantras zurückzuziehen. Leider hält dieser Zustand bei den Lilis mittlerweile länger an, als es der hochschulpolitischen Landschaft gut tut. Sie war mal eine Hochschulgruppe, die intelligente Opposition betrieb, weil sie den Finger in die Wunde des krisenhaften Systems Universität (und ihrer Repräsentanten) gelegt hat. Mittlerweile weiß sie nicht mal mehr, wo die Wunden sind, weil dies eine inhaltliche Beschäftigung mit den tatsächlichen Fragen der (Hochschul-)Politik erfordert und nicht die Organisation einer hundertsten Veranstaltung zu Antonio Gramsci oder eine verzweifelte Polemik gegen die Piraten-HSG (wie in der aktuellen Aurora).

Alternativen von Seiten der Lili’s: Das „Ganze“ ganz anders machen. „Bin ich dabei, wo kann ich unterschreiben?“ So oder so ähnlich ist die momentane Geisteshaltung der Studi-Mehrheit, und die LiLis werden sich nicht erwehren können, dass sie mit der Kritik an solchen Verhaltensweisen eine Gemeinsamkeit mit dem Autor haben. Aber da hört der gemeinsame Weg auch schon auf. Das gilt auch für das Wahlkampfprogramm.

Wie hat der DDR-affine Franz-Josef Degenhardt mal gesungen: „Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf“. Nix da, alter Recke, Leonard Cohen hat da viel mehr Recht: “There’s a crack in everything, that’s how the light gets in”. Arbeitet wieder dafür, diese Zwischentöne, diese Brüche zu finden und zu konkretisieren, -nur dann ist Hochschulpolitik weder eine Sache von verstaubten Worthülsen auf der einen noch angepasster Karrierefixierung auf der anderen Seite.

Momentan haben da der linke und der rechte Rand eine gefährliche Gemeinsamkeit: Die Faulheit und Unkenntnis, die dazu führt, lediglich Plattitüden absondern zu können. An diesem Punkt niemals: Geschenkt!

Share

14 thoughts on “Kampf und Krampf der Linken Liste

  1. Ach ja, wundert mich, dass die Gralshüter der reinen marxistisch-leninistischen Lehre sich überhaupt mal wieder in die Niederungen der “Realpolitik” hinablassen.
    Die Forderungen klingen ja sogar größtenteils recht vernünftig – erwecken aber den Verdacht, bloß geschrieben zu sein, damit man wenigstens ein paar konkrete Punkte hat. Die vulgärmarxistischen Diagnostiken vorher überzeugen mich aber nicht wirklich.

    P.S.: Das Brecht-Zitat hab ich aber auch “vermisst” 😉

  2. Hallo Guardian of the Blind

    Ich habe vor 8 Jahren das Referat für Arbeiterkinder in Münster gegründet. Es ist bislang das einzige in Deutschland, in Österreich gibt es in Wien in der ÖH ein weiteres Referat.

    Es geht in unserem Referat nicht einfach um “Hilfe” für Arbeiterkinder. Diese Aufgabe verfolgt Arbeiterkind.de. Sie machen die Sache sehr gut und werden entsprechend mit Preisen und medialem Wohlwollen anerkannt.

    Wir in Münster verstehen uns als politische Selbstvertretung. Uns geht es um politische Veränderungen. Dieses Jahr haben bspw. sowohl die Hans-Böckler-Stiftung (gewerkschaftsnah) als auch die Heinrich-Böll-Stiftung (grünnen-nah) Expertisen in Auftrag gegeben, die in ihren Resultaten eine Diskriminierung von Arbeiterkindern auch an Hochschulen darlegen.

    Wir haben auf europäischer Ebene Antidiskriminierungsrichtlinien, nach denen auch das deutsche AGG gestrickt wurde, die die soziale Herkunft als Diskriminierungsgrund nicht anerkennen. Dieser potentielle Diskriminierungsgrund wurde während des Festzurrens des Amsterdamer Vertrages mit drei anderen Diskriminierungsgründen aus dem Richtlinien-Katalog rausgekickt. Aufgrund der Lobby-Arbeit der Betroffenengruppen wurden aber die anderen drei Gründe wieder in den Katalog aufgenommen. Für “soziale Herkunft” als zu verbietende Diskriminierung machte sich niemand stark, weil es keine entsprechende Betroffenengruppe gab. Arbeiterkinder sind im Bildungssystem nicht als benachteiligte Gruppe organisiert. Dies hat aktuell den Effekt, dass die Antidiskriminierungsgruppe jetzt aktuell zu Diskriminierung an Hochschulen forschen lässt, aber eben nur zu Diskriminierungen, die im AGG festgehalten sind. Es wird also von vornherein nicht zu Diskriminierung von Arbeiterkindern an Hochschulen geforscht. Den Mitarbeiterinnen in der ADS ist diese Absurdität klar, aber ihnen sind weitgehend die Hände gebunden, sie können nur reagieren, wenn von Außen Druck gemacht wird. Und hier kommen dann die Arbeiterkinderreferate ins Spiel, von denen es hoffentlich bald mehr geben wird.

    Liebe Grüße,
    Andreas

  3. Weil ein Arbeiterkinderreferat auch eine symbolische Funktion hat und so darauf aufmerksam gemacht werden kann, dass Kinder aus nicht-akademischen Elternhäusern, wenn sie es denn überhaupt bis an die Uni schaffen, benachteiligt sind.

  4. Korrektur: “Antidiskriminierungsgruppe” muss “Antidiskriminierungsstelle” heißen, also ich meine damit die “Antidiskriminierungsstelle des Bundes”, die zu “Diskriminierung an Hochschulen” forschen lässt, aber aufgrund der Vorgaben durch das “Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG)” eine Diskriminierung von Arbeiterkindern gar nicht ins Auge fassen kann, weil diese Diskriminierung “nicht vorgesehen” ist. FR: Arbeiterkind muss draussen bleiben Unsere Aufgabe sehen wir unter anderem darin, über diese Diskriminierungshierarchie aufzuklären. Es gibt aber zig weitere denkbare Aktionsfelder.

  5. Ich sehe da aber Unterschiede zu anderen diskriminierten Gruppen, für die es in ASten oft eigene Referate gibt: Bei Frauen, Homosexuellen oder Ausländern erfolgt Diskriminierung, dann wenn sie erfolgt, meist ganz bewusst, direkt. Kinder aus nicht-akademischen Familien (ich übergehe mal, dass ich die, zumindest im “Titel” enthaltene Beschränkung auf Arbeiterkinder dann doch für etwas anachronistisch halte) erfolgt die Diskriminierung über das System, das eben keine Chancengleichheit herstellt. Das Problem ist das der sozialen Ungleichheit in einer neoliberalen Ökonomie. Das sollte man von den Ursachen aus bekämpfen, nicht an einzelnen Symptomen.

  6. Naja, der Hamburger Schulkampf hat doch gezeigt, dass es um Privilegierung geht und um die massive Abwertung von Menschen aus unteren Schichten. Sarrazin steht ja mit seiner Biologisierung von Kindern aus der Unterschicht nicht allein.
    Es gibt zum einen institutionalisierte Diskriminierung (hochselektives Bildungssystem mit den ganzen unnötigen Bildungsschwellen);
    und es gibt an diesen Bildungsschwellen, Bildungsweichen die sogenannten “Gatekeeper”, “Torwächter”. Zu diesen Gatekeepern gehören GrundschullehrerInnen, die Arbeiterkindern trotz gleicher Leistung schlechter einstufen genauso wie die Leute in Kommissionen, die in Auswahlgesprächen Stipendien vergeben. Subtile Vorurteilsstrukturen und institutionalisierte Diskriminierungen entfalten erst durch das Ineineinandergreifen ihre Wirkung. Das ist nicht anders als beim Sexismus. Mit dem Unterschied, dass im akademischen Feld die Klaasendiskriminierung inzwischen wirkmächtiger ist als die Geschlechterdiskriminierung.
    Mit neoliberaler Ökonomie hat das nur am Rande zu tun.

  7. Aber vergleiche doch mal, wann an der Uni einerseits direkte Diskriminierung von Arbeiterkindern stattfindet (wann ist das denn der Fall? Von meinen Professoren weiß zumindest keiner, was meine Eltern machen), und wie hoch andererseits die Hürden aufgrund sozialer Ungleichheiten sind (allein bspw., neben dem Studium arbeiten zu müssen).

  8. Hallo Guardian,
    das lässt sich ja nicht trennen. Der Prof macht halt nicht eine herabwürdigende Bemerkung gegenüber einem Arbeiterkind, weil es ein Arbeiterkind ist (obwohl es auch das gibt), sondern gegenüber einer Studentin, die zu spät gekommen ist und der dann auch noch im Seminar die Augen zufallen – weil sie als Arbeiterkind nachts oder früh morgens jobben musste.

Leave a Reply to Andreas Kemper Cancel reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *