Geistferne Zeiten?

Guttenbergs Plagiat und die kleinbürgerliche Intellektuellenfeindlichkeit

 

Der deutsche Michel (Eulenspiegel 1848)

Eine Überlegung: Ist eine Ursache dafür, dass Guttenberg trotz seines Plagiates bei der deutschen Bevölkerung nach wie vor so beliebt ist, vielleicht, dass die meisten Deutschen noch nie eine wissenschaftliche Arbeit, geschweige denn eine Promotionsarbeit gelesen haben? Für diese erscheint es als eine Lapalie, wie ein Abspicken bei einer Klausur, wenn Guttenberg große Teile seiner Doktorarbeit einfach von anderen übernommen hat, ohne dies kenntlich zu machen. Im Gegensatz dazu wird jeder Erstsemesterstudent bei einem kurzen Blick auf die Arbeit wissen, woran man ist: bei einer unglaublich dreisten wissenschaftlichen Schummelei (und das ist noch höflich ausgedrückt). Man kann es auch so sagen:

http://www.youtube.com/watch?v=6cDZuQBtpVA

Ich denke, es zeigt sich hier ein bestimmtes Problem: Es gibt eine, mindestens latente, Intellektuellenfeindlichkeit in großen Teilen des deutschen Kleinbürgertums – oder, man muss es wohl, auch auf die Gefahr arrogant zu erscheinen, so sagen – bei bestimmten, vielleicht sogar großen Teilen der wenig gebildeten Bevölkerung. Natürlich soll dies nicht generalisiert und auf alle verallgemeinert werden. Es ist aber auch nicht komplett zu leugnen. Es fehlt  dortjegliches Verständnis für die Prinzipien, das Vorgehen und die Inhalte von Wissenschaft und der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen. Oft dabei anzutreffen ist auch der Dunning-Kruger-Effekt, eine Form der kognitiven Verzerrung, die die Tendenz inkompetenter Menschen, das eigene Können zu überschätzen und die Leistungen kompetenterer Personen zu unterschätzen, beschreibt.

Indizien dafür wären auch etwa eine zunehmende Hinwendung zu Esoterik, Astrologie, Homöopathie usw.  Mit dem Satz “Ich war schon immer schlecht in Mathe” erntet man Applaus in jeder Talkshow. Mit “Ich war schon immer schlecht in Sport” wäre das wohl kaum der Fall. Gerne auch zu hören “Ach, mit Statistiken kann man doch alles beweisen!”, “Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde …” oder “Was wissen die schon?” (Ok, viele Intelektuelle bekleckern sich in einem Land, in dem Hans-Werner Sinn als dessen klügster Kopf bezeichnet wird oder Peter Sloterdijk als herausragender Philosoph gilt, freilich auch nicht mit Ruhm.)

Zum Thema Guttenberg und seine Beliebtheit gibt es auch einen guten Kommentar im Verfassungsblog: Es könnte die Gefahr bestehten, dass Guttenberg zu einem sich “anti-elitär” gebenden Populisten nach dem Sarah-Palin-Muster werden könnte, der, obwohl selbst zweifelsohne von elitärer Herkunft, “dem kleinen Mann von der Straße” als ein Gegenbeispiel zu “denen oben”, “den korrupten Politikern”, “den verrückten Wissenschaftlern”, “den Intellektuellen” usw. dienen könnte. Gewiss, um “als einer von uns” bei den Bild-Zeitung lesenden Stammtischen zu gelten, eignet sich eigentlich kaum jemand schlechter als Guttenberg – aber vor allem die Bild hat ihn augenfällig recht leicht dazu machen können. Bisher wird er ja auch schon als quasi “wahre Elite”, als “einer, der die Ideale des Adels verkörpert”, als “anständig”, “ehrlich”, als ideale Monarchenfigur, im Gegensatz zu den als durchweg korrupt, unehrlich usw. dargestellten “niederen”, eben “nicht edlen” Politikern charakterisiert.)

Eine linke Kritik an diesen Phänomenen darf sich aber nicht auf einen elitären Standpunkt stellen, sondern muss auf die Erweiterung und Verbesserung von Bildungsmöglichkeiten breiter Bevölkerungsschichten hinarbeiten – damit in Deutschland Populisten, die auf Emotionen zielen, die mit der Angst bestimmter Bevölkerungsgruppen spielen und bei ihnen Hass erzeugen wollen, keine Chance haben. Die Tea-Party in den USA ist ein warnendes Beispiel.

Links:

Guttenberg und das anti-elitäre Ticket (Verfassungsblog)

Guttenberg und die Plagiatsaffäre – Die verachtete Wissenschaft (sueddeutsche.de)

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8 thoughts on “Geistferne Zeiten?

  1. Pingback: znuznu
  2. Nu, eines der Merkmale von Intellekt ist ja geradezu, dass er unabhängig von Status und Akademikerwürden ist,und diese selber in Frage stellen kann. Einem Doktore wird es dagegen schwer fallen, den erreichten Status geistig in Frage zu stellen. Der gehobene Akademiker, – besitzt i.d.R. (wenn denn) lediglich den berüchtigten Fachintellekt. Mit der Zentrierung Intellekt=Akademiker hab ich, deshalb ehrlich gesagt ein wenig Schwierigkeiten. Der Statusgeilheit, vermischt mit einem sogar unglaublichen Mix mit Esoterik, kann man dafür mehr als zustimmen. Allerdings betrügt sich hier der Kleinbürger mit einer geradezu haarsträubenden Doppelmoral. Fliesenleger, die den Job jetzt studieren. Ergotherapeuten die viel Wert darauf legen als Lehrer angesehen zu werden, sprechen neben einer Viezahl ähnlicher Kleinbürgerlichkeiten eine ganz eigene Sprache. Die Intellektuellenfeindlichkeit kann ich mir dabei gut vorstellen. Intellekt hat etwas mit Wahrnehmung, Erkenntnis und deren Verdeutlichung zu tun. Er zeigt geradezu mit dem Finger auf diese Verlogenheit. Und die Wahl eines Guttenberg als Bürgerheld gegen ein elitäres Establishment, lässt ihm sogar noch die Finger ausgehen, mit denen man noch zeigen kann.

  3. Na gut, aber es ist ja schon so, dass in den meisten Fällen Akademiker auch Intellektuelle sind und Intellektuelle meist Akademiker, das kann man ja nicht leugnen. Zweifelos gibt es aber oft eine “Beschränktheit”, was sich aber für mich mehr noch als nur “Fachidiotentum” in einer politisch und gesellschaftlich abstinenten Haltung ausdrückt. Meine “Kollegen”, Politikwissenschaftler, Soziologien, Ökonomen, Philosophen und Historiker etwa wären ja prädestiniert, sich in die öffentlichen Debatten einzumischen – gerade weil sie dort zweifellos das beste Fachwissen haben. Stattdessen ziehen sie sich oft zurück in wenn überhaupt rein innerakademische Debatten (und wenn in den letzten Jahren mal welche eine große öffentliche Wirkung erzielen, dann ausgerechnet Sarrazin und Konsorten… )

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