Wohin marschieren die Piraten?

Zunächst einmal lässt sich diese Frage ganz einfach beantworten: zum Hambacher Schloss. Denn die Piratenpartei Rheinland-Pfalz ruft unter dem Motto “Freiheit und Demokratie” zu einem Marsch zum Hambacher Schloss  und einem  Hambacher Fest 2.0″ auf. Aber die eigentliche Frage lautet: Wohin führt der politische Weg der Piratenpartei? Und das wird durch diese Veranstaltung nicht unbedingt klarer. Nicht nur das Wort “Marsch” und die prangende Deutschland-Flagge im Aufruf könnten  hier manche Leute skeptisch machen. “Die Piraten marschieren für Deutschland”? Das Hambacher Fest war zweifelsohne ein für seine Zeit eindeutig fortschrittliches Ereignis mit progressiven Werten: Demokratie,  Bürgerrechte, religiöse Toleranz. Aber es war doch auch ein klar nationalistisches Ereignis. Man muss es aus seiner Zeit betrachten – eine Berufung darauf ist heute sicher nicht ganz unproblematisch.

Ginge es aber nur darum, dass einer noch jungen Partei mit meist politisch relativ unbeleckten Mitgliedern noch die gewisse politische Sensibilität fehlt, wäre dies noch nachzusehen.  Es ist jedoch um zwei grundsätzliche Probleme der Piraten: Einmal wird ihnen von manchen Seiten vorgeworfenen, dass es nicht immer eine klare und eindeutige Abgrenzung nach rechts gäbe. Dies wurde etwa dadurch verursacht, dass  in einigen Fällen in der Vergangenheit politisch mindestens rechtspopulistische Positionen einiger Mitglieder in der Partei relativ lange tolieriert wurden. Hier müsste man ganz klare Grenzen ziehen.

Das Hauptproblem aber ist, dass die Piratenpartei sich in absoluten Kernfragen politisch immer noch nicht festgelegt hat. Es gibt verschiedene Konzepte in der Politikwissenschaft, mit denen man politischen Spektren beschreiben kann. Eine eindimensionale Zuordnung (bspw. links – rechts) bringt dabei aber oft Probleme.  Sinnvoller sind hier Konzepte, die zwei politische Achsen  unterscheiden (Solche Konzepte sind etwa auch die Basis für den Political Compass, der sie relativ gut anschaulich macht. Sicher ist dies stark vereinfachend und nicht in allen Fragen praktikabel – hier soll es jedoch nicht um eine Kritik des Konzeptes an sich gehen.)

Einmal gibt es eine gesellschaftspolitische Achse, die zwischen den Extremen “autoritär/ faschistisch” und “libertär/ anarchistisch” verläuft – hier sind die Piraten eindeutig näher an der letzteren anzusiedeln (auch klare Positionierungen zu manchen Themen, wie zu Integration auch hier fehlen). Hier ist der Kern ihres Programmes mit Themen wie Bürgerrechten, persönlichen Freiheiten usw. Es gibt dann aber auch auch eine sozio-ökonomische Achse, auf der die Positionen zwischen den Polen “kommunistisch/ kollektivistisch” und “wirtschaftsliberal/ neoliberal” variieren. Hier hat die Piratenpartei nicht nur keine klare Position, sondern verweigert sich dieser auch – etwa mit der politisch völlig ahnungslosen Phrase von “Politik jenseits von links und rechts” (was, wenn schon, nur geht, wenn man eine Achse völlig ignoriert).

Bildquelle: Wikipedia / CC-BY-SA 3.0

Einige bei den Piraten sind aber sichtbar bemüht, diese politische und thematische Lücke zu füllen – ohne zu einer konsequenten Linie zu kommen. Schauen wir uns wir das Wahlprogramm der Piratenpartei Rheinland-Pfalz an:
Hier werden wirtschaftliche und soziale Themen durchaus angesprochen, sind jedoch im Vergleich zu den anderen ziemlich knapp gehalten. Zur Sozialpolitik etwa findet sich neben Phrasen lediglich die fixe Idee des Bürgergeldes (die an sich vielleicht richtige Ziele verfolgt, in den zur Zeit vorgeschlagenen Formen de facto  aber nur die Etablierung eines Niedriglohnsektors und andere unerwünschte  Folgen verursachen würde). Beim Thema Wirtschaft gibt es dagegen durchaus sinnvolle Ansätze: gegen Privatisierung der Infrastruktur, für Begrenzung der Leiharbeit und Regelungen für Praktika (aber auch nur diese drei Punkte). Hier scheint die Ausrichtung eher sozial/ links zu sein. Beim Punkt Landesfinanzen jedoch benutzt man das neoliberale Neusprech der “Steuervereinfachung” (und dies ist dort der einzige Punkt neben “Staatsleistungen an Kirchen beenden”). Manche Themen scheinen zudem eher als Vorwand dienen, um Technikthemen zu tranportieren (beim Punkt Infrastrukturmonopole etwa geht es vor allem um das Internet). Zur den Themen Umwelt- und Energiepolitik und Gesundheit gibt es wieder einige gute Punkte.
Es werden aber stets nur Einzelpunkte angesprochen, eine klare, durchdachte und in sich stimmige politische Linie, ein  wirkliches wirtschafts- und sozialpolitisches Programm ist nicht zu erkennen.

Die Interessenfelder der meisten Wähler – und die gesellschaftlichen Hauptprobleme – liegen jedoch in sozialen und wirtschaftlichen Themen. Ohne Positionen zur Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik, zum Sozialstaat, zu Arbeitslosigkeit und Hartz IV, zu Rente und Gesundheit oder zu den Steuern wird keine Partei in Deutschland größere und dauerhafte Erfolge haben können.
Werden die Piraten nicht Konzepte oder wenigstens Positionen zur sozioökonomischen Dimension der Politik bieten können, werden sie weiter nur das bleiben, was sie sind: Ein Korrekturfaktor, der die “etablierten” Parteien daran erinnert, dass es einen gesellschaftlichen Widerstand gegen die Aushöhlung der Grundrecht, die Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten und den Aufbau von Überwachungsinfrastrukturen und gibt, der diese Parteien wieder auf einen verfassungsgemäßen Kurs zurückbringt, und der Sachverstand bei technischen und Internetthemen in die Debatte einbringt.
Aber – vielleicht sind auch gerade dies die eigentlichen Aufgaben der Piraten.

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21 thoughts on “Wohin marschieren die Piraten?

  1. Piraten marschieren nicht, sie segeln!! [x] PIRATEN
    Die innovativste Partei Deutschlands ist ja noch nicht mal 5 Jahre alt,
    gebt ihr also noch Zeit, die sie zur Programmentwicklung braucht…

  2. Warum muss man eigentlich alles und jeden in ein Links-Rechts-Schema drücken? Gehts auch mal anders als schwarz-weiß? Hat die Welt noch Farben?

    Morgen auf zum Hambacher Schloß für Freiheit, Demokratie, Bürgerrechte und die wahrung unseres Grundgesetzes!

    Arrr!

  3. Zuerst: Das Wort “national” hat erst mit Hitler eine negative Färbung bekommen. Und an sich bedeutet es nichts anderes, als sich für den eigenen Staat einzusetzen. Das wiederum heißt weder, dass andere Staaten oder Völker diskriminiert werden müssen, noch, dass keine internationale Zusammenarbeit möglich ist.
    (Übrigens sind die Piratenparteien dieser Welt ausgesprochen international orientiert und arbeiten auch zusammen.)

    carina hat mehr als Recht: Die Piratenpartei ist eine sehr junge Partei, und es braucht Zeit und Wissen um Positionen zu beziehen. Zumindest für Piraten, denn die weigern sich, Stellung zu beziehen, solang sie keine Ahnung haben. Für 5 Jahre ist das Programm meiner Meinung nach schon umfangreich. Außerdem ist jedem Pirat klar, dass die Piratenpartei noch nicht regierungsfähig ist – es geht darum, überhaupt mitreden zu dürfen. In ihren Kernthemen (die bei anderen Parteien erst in den Kinderschuhen stecken) ist die Piratenpartei unschlagbar und kann sich einbringen. Bei anderen Themen gibt es die schöne Möglichkeit der Enthaltung oder der individuellen Entscheidung eines jeden Abgeordeneten.

    Ich verstehe auch nicht, warum man Parteien immer irgendwo verorten muss. Diese Welt ist nicht schwarz-weiß und auch nicht links-rechts. Es gibt Kompromisse und uneindeutige Zuordnungen. Die CDU bezeichnet sich schließlich auch als “Partei der Mitte”, und wer in Sachen Zuwanderungspolitik links eingestellt ist, kann in Sachen Wirtschaft rechts sein. Genau das versuchen die Piraten: Unabhängig von diesem Schema, in das die etablierten Parteien gepresst wurden oder sich selbst gepresst haben, je nach Thematik die beste Lösung zu finden.
    Und wenn man die Piratenpartei nun noch so sieht, wie ich sie sehe – nämlich als offenes Forum und Gemeinschaft politisch Interessierter – wird klar, dass die Prognose, sie müssten sich verorten, nicht stimmen kann. In dieser Partei finden sich die unterschiedlichsten Leute zusammen, die alle einen gemeinsamen Grundkonsens haben: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

    PS: “Die Frage ist ja, ob die Piraten überhaupt ein umfassendes Programm wollen”
    Wenn sie es nicht wollten, würden sie nicht dran arbeiten.

  4. Dass das Hambacher Fest damals auch dazu diente die deutsche Vielstaaterei zu beenden soll also heute ein Grund sein, dieses Symbol nicht zu verwenden? Das ist doch höchst lächerlich. Hier geht es einzig um die Initialzündung zur Demokratisierung in Deutschland. Gerade weil dieses Fest seinen Ursprung in einem bayrischem Zensurgesetz hatte. Die Idee zur Neuauflage rührt von den Zensurbestrebungen in unserer heutigen Zeit.

    Nochmal zum Mitschreiben:
    Bayrisches Gesetz zur Zensur -> Hambacher Fest
    Zugangserschwerungsgesetz aka Internetzensur -> Hambacher Fest 2.0

    Es ist so einfach, man muss nicht immer alles überinterpretieren.

  5. @ 4 Leonie:

    Zuerst: Das Wort “national” hat erst mit Hitler eine negative Färbung bekommen.

    War klar, dass Godwin’s Law nicht lange auf sich warten lässt.

    Zumindest für Piraten, denn die weigern sich, Stellung zu beziehen, solang sie keine Ahnung haben.

    Ok, das ist wenigstens ehrlich.

    Die CDU bezeichnet sich schließlich auch als “Partei der Mitte”,

    Wie man sich bezeichnet und was man wirklich ist, sind ja zwei unterschiedliche Sachen.

    und wer in Sachen Zuwanderungspolitik links eingestellt ist, kann in Sachen Wirtschaft rechts sein.

    Sicher, und eben dabei hilft das zweidimensionale Political-Compass-Modell. Dies wäre dann bspw. eine gesellschaftsliberale und wirtschaftsliberale Position.

    Unabhängig von diesem Schema, in das die etablierten Parteien gepresst wurden oder sich selbst gepresst haben, je nach Thematik die beste Lösung zu finden.

    Ja, und genau das ist eben ziemlich naiv. Es gibt in der Politik so gut wie nie “beste Lösungen”. Ein Beispiel: Es gibt durchaus mehrere Wege, die zum wirtschaftlichen Erfolg eines Landes führen können, bspw. eine eher wirtschaftsliberale Variante, wie sie etwa die USA gewählt hat, oder ein eher wohlfahrtsstaatliches System mit einer größeren Rolle des Staates, wie sie die skandinavischen Länder verfolgen. Diese führen aber jeweils zu anderen weiteren Ergebnissen: in wirtschaftsliberalen Ländern gibt es meist eine größere Dynamik und Flexibilität, in wohlfahrtsstaatlichen eine eine höhere Stabilität und eine bessere soziale Absicherung. Hier abzuwägen, welchen Weg man beschreitet, ist eine Frage politischer Positionierungen. Und hier, wie in vielen anderen Fällen, gibt es keinen “one best way”, und vor allem kein “jenseits von links und rechts”.

    In dieser Partei finden sich die unterschiedlichsten Leute zusammen, die alle einen gemeinsamen Grundkonsens haben: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

    Haben den die anderen Parteien nicht?

    Wenn sie es nicht wollten, würden sie nicht dran arbeiten.

    Gibt es da nicht auch so eine Gruppe, die lieber nur bei den “Kernthemen” bleiben will?

  6. Ich glaube die Öffentlichkeit kann das Hambacher Fest sehr gut einordnen. Ich denke nicht, dass es viele gibt, die im Hambacher Fest irgendetwas Negatives erkennen. Aber manche erkennen sogar dann rechte Tendenzen, wenn man sich für die Rechte der Menschen einsetzt.

  7. @ 10 Andreas Blochberger:

    Es wird aber auch stark mit den Burschenschaften assoziiert. Und da ist es ja auch so: ihre damaligen Positionen waren für diese Zeit sicher fortschrittlich. Heute ist das wohl kaum so.

  8. Ich glaube, du hast nicht ganz verstanden, worauf ich hinauswollte.
    Die politische Meinung eines Menschen setzt sich aus vielen Aspekten zusammen. Das gilt umso mehr für die politische Identität einer Partei. Eine Verortung in diesem Kompass kann man für diese einzelnen Aspekte vornehmen, aber für die Gesamtheit der Aspekte geht das eben nicht so einfach. Dann wird man nicht mehr allen Aspekten gerecht. Und da die Bandbreite der Piratenpartei von linken bis rechten Einzelpersonen reicht, kann man allenfalls einen “Durchschnittswert” bilden, der dann aber nicht mehr repräsentativ ist. Das möchte die Piratenpartei verhindern. Das ist eine Bewahrung der Vielfalt. (Ich persönlich finde das sehr gut und habe Hoffnung dass es klappt, ein anderer mag es kritisieren.)

    Die Kategorisierung autoritär-liberal mag ja in Ordnung sein, weil hier zwei gegensätzliche Werte zugrunde liegen, die sich tatsächlich auf jede erdenkliche Entscheidung anwenden lassen. Hier kann auch ganz klar gesagt werden, dass die Piratenpartei eindeutig liberal ist.
    Links-rechts hingegen ist eine historisch begründete Begrifflichkeit – dass diese Bezeichnungen aus der Nationalversammlung 1848 stammen, dürfte klar sein. Unter “links” wurde die Summe aller Aspekte der links Sitzenden zusammengefasst und unter “rechts” eben der Rechtssitzenden. Wer in puncto Wirtschaft eine rechte Meinung hatte, hatte sie auch in puncto Verfassung, Querverbindungen gab es nicht wirklich.
    Eine Partei wie z. B. die SPD kann sich als links bezeichnen, weil sie sich bei der Gründung auf diese linke Aspekt-Summe festgelegt hat und dadurch durchgängig (bzw. in heutiger Zeit fast durchgängig) mit ihr übereinstimmt. (Was wiederum heißt, dass SPDler einen noch weiterreichenden Konsens haben als Piraten und ihre politische Position deshalb pauschaler angeben können. Wie gesagt, maßgeblich bei den Piraten ist der relativ kleine Konsens als Preis für die große Vielfalt.)

    Das geht bei der Piratenpartei nicht, weil sie etwas Neues schaffen will, das es damals noch nicht gab. Und ich finde es legitim, dass dazu die alte Begrifflichkeit nicht mehr zu Rate gezogen werden soll, sondern dass man sich von links und von rechts das nehmen will, was man für am besten hält. (Du hast übrigens Recht, viele Wege führen zum Ziel. Aber ich denke, manche sind konfliktfreier als andere und darum “besser”. Wobei das natürlich stark persönlich geprägt ist.)

    Außerdem finde ich es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass ein Modell – wie das oben – stark vereinfacht ist und in seiner Richtigkeit Grenzen hat. Die Realität ist immer um ein Vielfaches komplizierter (;

    Soviel von meiner Seite zur These, Parteien müssten politisch verortet sein.
    Ich selbst hab übrigens ein rotes Herz in der Brust, bin links. In der Piratenpartei fühl ich mich trotzdem gut aufgehoben. Und das Hambacher Fest 2.0 finde ich eine prima Idee – fühle mich von einer Deutschlandflagge und dem Wort “Marsch” in keinster Weise auf den Schlips getreten.

  9. @ 12 Leonie:

    Eine Partei bildet sich in der Regel ja deshalb, weil man sich auf gemeinsame, wenigstens irgendwie beeinander liegende Überzeugungen beruft. Und die betreffen bei den Piraten eben nur die gesellschaftspolitische Dimension. In anderen Fragen gibt es, wie du selbst sagst, eine relativ breite Bandbreite. Die Frage hier könnte dann etwa sein: Wieso bildet sich eine politische Partei, die Problemfelder in wirtschaftlichen und sozialen Gebieten einfach nicht behandelt? Warum gehen etwa nicht die eher wirtschaftsliberalen Piraten zu der FDP, die eher linken zu Grünen, SPD oder der LINKEN? Überschneidungen gibt es da sicher.

    Ja, die Begriffe “links” und “rechts” sind vielleicht nicht die besten. Solche wie “sozialistisch” und “wirtschaftsliberal”, oder meinetwegen vereinfacht auch der Gegensatz Staat – Markt wäre vielleicht ausdrucksstärker.

    Was ich den Piraten sicher zugute halte: sie betonen Themen, die die anderen Parteien absolut vernachlässigen. Aber sie vernachlässigen selbst eben auch die anderen Themen.

  10. Eine Partei ist immer nur ein Teil der Gesellschaft. Warum also sollte eine Partei das komplette Interessenspektrum einer Gesellschaft abbilden? Dass diese Illusion zunehmend nicht mehr funktioniert, sieht man an der Erosion der Volksparteien.
    Keine Partei hat Antworten auf alle gesellschaftlichen Fragen, bei denen alle Mitglieder derselben Meinung sind. Auch bei den Piraten gibt es bereits heute Beschlüsse, die nicht von allen geteilt werden. Das ist so normal, dass ich mich gerade wundern muss, so etwas banales aufschreiben zu müssen.

    Was ist also das neue an der Piratenpartei, das sie den anderen Parteien so überlegen macht? Eben genau die Tatsache, dass das Volk nicht mehr eine undefinierte Meinungswolke in die Regierungsverantwortung schicken möchte, sondern sich selbst als kompetent genug erachtet, Einzelfragen separat zu entscheiden.
    Kein Wähler der “beliebige Partei einsetzen” stimmt mit allen Forderungen der Partei überein. Ein Wähler der Union mag vielleicht deren Kruzifixverliebtheit, lehnt aber die Atompolitik ab. Was soll dieser Wähler denn nun machen? In den sauren Apfel beißen und das Atomkraftwerk vor der Haustür dulden, nur damit das Leid Jesu weiterhin im Klassenzimmer zelebriert werden kann?
    Könnte dieser Wähler jedoch in beiden Sachfragen unabhängig entscheiden, dann wäre viel gewonnen.
    Die Politik muss den Weg aus der Ideologie hin zu Sachfragen finden. Diesen Weg versuchen die Piraten zu beschreiten. Klar soweit?

  11. Diese “Erosion der Volksparteien” lässt sich auf alles mögliche zurückführen – aber nicht darauf, dass diese zu viele Themen behandeln. Die meisten ihrer ehemaligen Wähler werden aus unterschiedlichen Gründen zu Nichtwählern. Auch die Parteien, die von dem Verlust von Union und SPD profitieren, FDP, Grüne und LINKE, haben ein umfassendes politisches Programm.
    Und, um das schon mal vorwegzunehmen, weil oft die Grünen als Beispiel genommen werden. Diese hatten 1. schon am Anfang meherere Themen (Umwelt, Frieden, Bürgerrechte), und waren von Anfang an durchaus heterogen, aber eindeutig als sozialpolitisch links einzuordnen. (Gerne wird ja verwiesen, dass es auch mal ein paar eher “konservative” Grünbe gab. Diese waren aber immer nur eher Einzelfälle).
    Ich wüsste in der Tat keine deutsche Partei, in der das politische Spektrum (zur Erinnerung: auf der sozioökonomischen Achse) auch nur im Ansatz so weit ist, wie bei den Piraten. Sie müssen sicher nicht versuchen, das “komplette Interessenspektrum der Gesellschaft” abzudecken. Ist ja ok, ist auch sicher einfacher so. Dann werden sie aber weiter keine politisch bedeutende Rolle spielen.

    Was ist also das neue an der Piratenpartei, das sie den anderen Parteien so überlegen macht?

    Die Piratenpartei ist “überlegen”? Na hoffentlich verstehen das bald auch ein paar mehr Leute!

    Eben genau die Tatsache, dass das Volk nicht mehr eine undefinierte Meinungswolke in die Regierungsverantwortung schicken möchte,

    Aber bitte, dass widerspricht doch ganz genau dem vorher Gesagten. In Wahrheit weiß man bei fast allen anderen Parteien sozusagen vorher recht gut, was man bekommt, wenn man sie wählt (absgesehen von “gebrochenen Wahlversprechen” u.ä.). Bei den Piraten bekommt man doch, außer bei den “Kernthemen”, ein durchfuses Durcheinander, und wüsste nie, ob die Abgeordneten sich sagen wir einmal für Sparprogramme und einmal für Steuersenkungen entscheidet, weil man das ja “seperat entscheiden” muss.

    sondern sich selbst als kompetent genug erachtet, Einzelfragen separat zu entscheiden.

    “Das Volk” ist nicht die Piratenpartei. Oder geht es um mehr direkte Demokratie?

    Die Politik muss den Weg aus der Ideologie hin zu Sachfragen finden. Diesen Weg versuchen die Piraten zu beschreiten.

    Übliche Phrasen. Alle Ideen- oder Theoriegebäude sind dann “Ideologien”, Ahnungslosigkeit ist dann Pragmatismus oder so. So etwas wie eine nur an Sachfragen orientierte, one-best-way-Wirtschaftspolitik etwa gibt es nicht. Das haben euch vielleicht die Agenda-2010-Leute (Schröder usw.) erzählt, das müsst ihr aber nicht glauben. Deren Konzepte bspw. waren klar neoliberale – ja, das kann man so kategorisieren, und das muss man auch: Abbau des Sozialstaates, Senkung der Belastungen der Wirtschaft, “Flexibilisierung” des Arbeitsmarktes usw. Dafür kann man sich entscheiden, muss man aber nicht, man kann auch andere Wege gehen. Es geht nicht um Ideologien, es geht um Konzepte. Und die Piratenpartei wird sicher nicht in der Lage sein, die gesamte Wirtschaftspolitik neu zu erfinden und grundsätzlich neue Konzepte erfinden, die nichts mit denen von bspw. Smith, Marx, Keynes oder Friedman zu tun haben.

  12. Zum Vergleich noch mal aufgelistet:

    In diesen politischen Bereichen habe ich schon mal Positionen der Piratenpartei gehört:
    Innenpolitik
    Justizpolitik
    Bildung und Forschung
    Technologie
    Kultur
    Netzpolitik

     

    In diesen politischen Bereichen habe ich noch nie Positionen der Piratenpartei gehört:
    Außenpolitik
    Verteidigung
    Entwicklungspolitik
    Finanzen
    Wirtschaft
    Arbeitsmarkpolitik
    Soziales
    Gesundheit
    Umwelt
    Ernährung und Landwirtschaft
    Verkehr
    Familienpolitik

  13. Dann bist du nicht gut informiert.
    Ich kopiere einfach mal das Inhaltsverzeichnis des Parteiprogramms:

    # 4.1 Abbau privater Monopole und offene Märkte (–> Wirtschaft)

    # 6.4 Digitale Gesellschaft weltweit (–> Entwicklungspolitik, Außenpolitik)

    # 12 Geschlechter- und Familienpolitik

    * 12.1 Freie Selbstbestimmung von geschlechtlicher und sexueller Identität bzw. Orientierung
    * 12.2 Weltweite Anerkennung und Schutz selbstbestimmter geschlechtlicher oder sexueller Identität bzw. Orientierung
    * 12.3 Freie Selbstbestimmung des Zusammenlebens
    * 12.4 Freie Selbstbestimmung und Familienförderung

    # 13 Umwelt

    * 13.1 Nachhaltigkeit (Freiheit für nachfolgende Generationen)
    * 13.2 Lebenswerte Umwelt (Lebensgrundlagen sichern)
    * 13.3 Umgang mit Ressourcen
    * 13.4 Energiepolitik

    Wie du siehst, gibt es in den Bereichen Außenpolitik, Entwicklungspolitik, Wirtschaft, Umwelt und Familienpolitik sehr wohl Statements, wenn sie auch noch nicht vollständig sein mögen. Die Partei- und Wahlprogramme auf Landesebene greifen teilweise noch weitere Bereiche auf.
    Du siehst also, es wird durchaus Neuland außerhalb der von dir genannten, bekannten Kernthemen betreten.
    Und jetzt wiederhol ich mich: Die deutschen Piraten gibt’s erst seit 5 Jahren, lass ihnen einfach noch ein bisschen Zeit. Entwicklung ist da.

    PS: Ja, es geht um eine direktere Demokratie (obwohl auch ein repräsentativer Teil gewahrt bleiben soll). Das ist ein Kernthema und das solltest du sogar schon mitgekriegt haben (;

    Quelle: http://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm

  14. @Guardian of the Blind:
    Du hast natürlich Recht, dass die Piratenpartei kein Vollprogramm hat, aber daraus ableiten zu wollen, dass man deshalb die Piratenpartei nicht einorden kann ist ziemlich abwegig.
    Nimm nur mal das Beispiel der CDU. Die haben ein Vollprogramm, doch fällt es zunehmend schwer, die Partei einzuordnen. Galt früher doch, dass die Union die Partei der Wehrpflicht ist, so gilt dies heute nicht mehr. Einst stand die Union für Werte wie Anstand und Moral, auch das haben sie über Bord geworfen.
    Die Grünen galten mal als dogmatische Pazifisten, das sind sie heute nicht mehr. Die SPD war mal eine Arbeiterpartei, wie einige ältere Leser sich sicher erinnern 😉
    Der Vorwurf, dass die Piraten keine gemeinsame Wertegrundlage haben, stimmt zum Teil. Ich selbst habe dazu auch schon Vorschläge gemacht, die allerdings noch nicht diskutiert wurden.

    Aber, deine Eingangsthese, die Piratenpartei hätte eine rechte Gesinnung, weil das Hambacher Fest ein nationalistisches Ereignis war, kann so nicht stehen bleiben. Wenn du dieser Ansicht bist, dann bist du auch der Ansicht, alle Befürworter der europäischen Einigung hätten eine rechte Gesinnung. Die deutsche Einheit war damals eine Voraussetzung für die Demokratie, und es zieht sich ein roter Faden durch die Geschichte Deutschlands, der ausgehend vom Hambacher Fest über die Weimarer Republik bis hin zur Bundesrepublik Deutschland führt.

  15. @ Andreas Blochberger:

    Klar, die Parteien ändern auch schon mal manche ihrer Standpunkte. Die CDU etwa ist unter Merkel zwar nicht, wie dies die Neoliberalen meinen, sozialdemokratischer, aber sicher etwas gesellschaftsliberaler geworden. Das, was vor 30-40 Jahren die SPD vertreten hat, vertritt heute eher die LINKE usw.

    Dass die Piratenpartei eine rechte Gesinnung hat, habe ich ja nie gesagt. Was ich sagte, ist, dass eine gewisse politische Sensibilität fehlt, und dass einzelne Mitglieder mit rechten Ansichten ziemlich lange toleriert wurden.

    und es zieht sich ein roter Faden durch die Geschichte Deutschlands, der ausgehend vom Hambacher Fest über die Weimarer Republik bis hin zur Bundesrepublik Deutschland führt.

    Ach herrje, da sind wir ja bei einem viel weiteren Thema. Auch auf die Gefahr hin, selbst in Verdacht zu geraten, Godwins Law zu bedienen, aber es gibt ja auch gewisse rote Fäden, die sich durch die gesamte deutsche Geschichte ziehen. Natürlich ist der Nationalismus des 19. Jahrhunderts nicht die einzige und vielleicht nicht einmal die Hauptursache für den Nationalsozialismus, aber eben auch zumindest ein historischer Faktor.
    Und wie gesagt, ich werfe den Piraten überhaupt nicht vor, rechtsextrem oder auch nur rechts zu sein. Man sollte nur sehen, dass eine allzu positive Bezugnahme zur Nation (Maschieren unter schwarz-rot-goldener Flagge) oder auch nur ein gewisser “Patriotismus” auch manche Leute abschrecken könnte.

    Gibt es eigentlich Rückblicke/ Berichte von der Veranstaltung?

  16. Und wie gesagt, ich werfe den Piraten überhaupt nicht vor, rechtsextrem oder auch nur rechts zu sein. Man sollte nur sehen, dass eine allzu positive Bezugnahme zur Nation (Maschieren unter schwarz-rot-goldener Flagge) oder auch nur ein gewisser “Patriotismus” auch manche Leute abschrecken könnte

    Was du als “all zu positive Bezugnahme zur Nation” bezeichnest kann man auch auf der anderen Waagschale finden, nämlich als all zu negative Bezugnahme zur Nation. Im historischen Kontext sind die damaligen Bestrebungen doch eher mit der heutigen Bestrebung zur europäischen Einigung zu vergleichen.
    Aber solche Fehler werden jeden Tag begangen. Marx ist ja in den Augen vieler heute noch verantwortlich für die Millionen Opfer Stalins, usw. Das ist natürlich alles Blödsinn 😉
    Piraten sind Kosmopoliten, Piraten sind weltoffen und liberal, Piraten verteidigen die Meinungsfreiheit. Und wer das Hambacher Fest nicht vom Nationalismus heutiger Prägung zu unterscheiden weiß, der hat eh nichts verstanden.

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