Abwahnrecht

Stefan Niggemeier zeigt an ein paar Beispielen den ganzen Wahnsinn der Praxis von Abmahnungen in Deutschland, die dem Prinzip der Meinungsfreiheit oft völlig zuwider läuft.

Woher kommt der Gedanke, dass man Dinge, die einem nicht gefallen, mit der Hilfe von Anwälten und Gerichten aus der Welt schaffen lassen kann? Wenn das nicht mit Meinungsfreiheit gemeint ist: dass Leute frei finden und sagen können, an wen ich sie erinnere, egal wie ungerecht mir das erscheinen oder wie unvorteilhaft das für mich sein mag — was denn dann? (…)

Für erstaunlich viele Menschen, Gruppen und Unternehmen scheint es ganz normaler Bestandteil des Repertoires einer Auseinandersetzung zu sein, anderen ihre Äußerungen zu verbieten. Das ist nicht nur ein juristisches Problem, sondern auch ein gesellschaftliches und kulturelles. (…)

Natürlich gibt es Fälle, in denen es legitim ist oder sogar notwendig sein kann, Veröffentlichungen verbieten zu lassen (und es haben nicht einmal alle dieser Fälle mit der „Bild”-Zeitung zu tun). Aber müsste das in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht das letzte Mittel sein? Eine drastische Maßnahme für besonders drastische Fälle — anstatt ein Routinewerkzeug in jeder Auseinandersetzung? Es ist völlig das Bewusstsein dafür abhanden gekommen, was für ein einschneidender Schritt das ist: jemandem zu verbieten, etwas zu sagen.

Das deutsche Abmahnrecht ist längst zu einem wirkungsvollen Zensurmittel verkommen, durch das mächtige und v.a. finanzstarke Unternehmen oder Organisationen alle ihnen unliebsamen Meinungsäußerungen und auch wahre Tatsachenbehaupungen zu unterlassen quasi erpressen können, will man nicht einen jahrelangen und extrem teuren Rechtsweg auf sich nehmen, zudem mit äußerst ungewissem Ausgang. Denn die Rechtssprechung, v.a. die eines Gericht in einer deutschen Hansestadt landet, ist inzwischen berüchtigt. Abmahnunrecht wäre wohl ein passenderes Wort. Auch gerne dabei mit Abmahnungen: die Katholische Kirche. Und sie geht sogar noch weiter als viele andere, auch das hat Stefan Niggemeier jetzt erfahren. Will sie nach Jahrhunderten endlich wieder zum Vorreiter der Verdunklung der Wahreheit auftreten? Erfahrung hat sie ja. Und das Abmahnunrecht bietet ihr jetzt quasi alle Mittel dazu.

Die Diözese Regensburg hat nun auch mich abgemahnt. Sie geht also nicht mehr nur gegen Artikel über ihr Verhalten im Zusammenhang mit dem Kindesmissbrauch eines Pfarrers vor elf Jahren vor. Sie geht auch gegen Artikel vor, die darüber berichten, wie sie gegen diese Artikel vorgeht. (…)

So umfassend ist also das Schweigen, das das Bistum Regenburg gerichtlich erzwingen will. Es geht ihr offenkundig nicht nur um eine (richtige oder falsche) Aufbereitung der Ereignisse von 1999. Es geht ihr offenkundig darum, das Thema insgesamt aus der Öffentlichkeit herauszuklagen.

Einzig das Bundesverfassungsgericht ist anscheinend regelmäßig die letzte Bastion der Vernunft im ausartenden Abm/wahnsinn. Und doch, wenn erst das BVerfG feststellen muss, dass das Persönlichkeitsrecht eines Menschen “seinem Träger keinen Anspruch darauf vermittelt, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm selbst genehm ist”, wie weit ist es dann mit der tatsächlichen Praxis eines formalen Rechtsstaats gekommen? Wie kann daran überhaupt jemand zweifeln?

Auch CARTA beschäftigt sich in einer Artikelserie mit anderen Aspekten der deutschen Abmahnpraxis. Bisher erschienen: Abmahnrepublik Deutschland (I), der die Auswüchse der Abmahnungen anschaulich darstellt und für eine Allianz gegen die Pervertierung des Abmahnrechts plädiert, und Wie man aus Schülern Geschäftsleute macht. Teil II der Serie „Abmahnrepublik“, der zeigt, wie sich die Politik  bei der Gesetzgebung zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums von Lobbys und Klientelgruppen beeinflussen ließ und wie aus diesem Gesetz eine vollkommen widersinnige Rechtssprechung resultierte.

Und der rauskucker demonstriert, wohin die ausartende Abmahnpraxis und freiheitsfeindliche Rechtsprechung noch führen könnte. Zwar als Satire, aber leider wohl gar nicht mehr so unrealistisch:

Der Moppedclub “Hells Angels” ließ ein Verbot des Begriffs “Rockerbande” verfügen.
Osama Bin Laden setzte durch, daß seine Al Kaida nicht mehr als “Terrornetzwerk” und ihre Arbeit nicht mehr als “Terroranschläge” bezeichnet werden durften.
Die NPD ließ (in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin der NSDAP) die Wörter “Holocaust”,”Shoah”, “Völkermord” und “Angriffskrieg” verbieten, ebenso alle Bezeichnungen für A. Hitler (wie z.B. “Diktator”), außer dem korrekten “Reichskanzler”, bzw. “Führer”.
Der Hamburger Zensurrichter Andreas Buske erreichte, daß der Ausdruck “Zensur” in allen Abwandlungen und Kombinationen nicht mehr verwendet werden durfte.

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Sensationelle Entwicklung oder simple Täuschung?

Die angeblichen Wunder um den Rückgang der Erwerbslosenzahlen in Deutschland im April 2010 sind relativ einfach zu entzaubern: es handelt sich um eine bloßen statistischen Trick. Statt durch eine Erholung ist der deutsche Arbeitsmarkt in Wirklichkeit durch mehr Prekarität gekennzeichnet.

Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt?

Die deutschen Medien jubeln, dass die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt sensationell sei. Eine Schlagzeile jagt die nächste. Staunen, Wunder, Euphorie. Alle scheinen völlig aus dem Häuschen zu sein. Und alles kam völlig überraschend! Ein unfassbar starker Rückgang der Arbeitslosigkeit wird verlautbart, die Wirtschaft kommt wieder in Schwung – und das haben wir alles nur unserer klugen und umsichtigen Regierung zu verdanken! Klingt ja erstmal ganz gut, könnte man denken. Macht die Regierung ja doch vielleicht mal was richtig. Doch wie sieht es wirklich aus?

178.000 Erwerbslose wurden diesen April weniger gezählt als im April 2009, so meldet man. Doch hinterfragt wird nicht. Wieso auch? Heißt das etwa nicht, 178.000 Erwerbslose weniger, fragt man sich jetzt zu Recht? Um die Pointe vorwegzunehmen: Nein, das heißt es nämlich nicht! Das Stichwort lautet: Schönrechnen. Dabei ist es hier noch einfacher als bei vielen anderen der üblichen Verdrehungnen und Verzerrungen, hinter den nackten Zahlen die tatsächliche Entwicklung zu erkennen. Eigentlich schon zu einfach, ist es doch nur ein wirklich ganz billiger Statistiktrick.

Ein simpler Rechentrick

Denn, tadaa!, alle Arbeitslosen, die bei privaten Arbeitsvermittlern gemeldet sind, zählt man 2010 einfach nicht mehr zu den Arbeitslosen! Laut Schätzungen sind dies etwa 200.000. Schauen wir noch mal auf den angeblichen Rükgang der Arbeitslosigkeit im Vergleich zum vergangenen Jahr. Wie hoch soll der noch mal gewesen sein? Ach ja, 178.000. Und schon hat man statt tatsächlich mehr Arbeitslosen sogar offiziell weniger! Und der angeblich so überraschende “Rückgang” im Vergleich zum Vorjahr ist dann keineswegs mehr überraschend (und ja noch nicht einmal ein Rückgang). So einfach kann man sich Erfolge stricken, so einfach kann man von katastrophalen Entscheidungen in der Wirtschaftspoliik ablenken.

Wenn diese Tatsache in den meisten Berichterstattungen mal gar nicht erwähnt wird, weiß man schon, was man hinsichlich journalistischer Qualität von diesen zu halten hat. Offenbar freut man sich in vielen Redaktionen so sehr, endlich mal wieder etwas Positives über die Regierung schreiben zu können, dass man alle Einwände, auch wenn sie noch so offensichtlich sind, schnell unter den Teppich kehrt. Hat ja hoffentlich keiner bemerkt. Ok, wäre diese Maßnahme wenigstens irgendwie statistisch sinnvoll, meinetwegen (trotzdem hätte man es erwähnen müssen). Aber wieso soll denn bitte ein Arbeitsloser, der bei einer privaten Job-Agentur nach einem Arbeitsplatz sucht, weniger arbeitslos sein als jemand, der bei der Bundesagentur gemeldet ist? Nein, so eine Zählweise ist nur verschleiernd und gar kontraproduktiv, erschwert sie doch eine für politische Progamme notwendige umfassende Bestandsaufnahme des Arbeitsmarktes.

Eher Wandlung statt Zunahme der Arbeitsplätze

Natürlich, bleiben wir fair, gab es dennoch einen relativ großen Rückgang im Vergleich zum Vormonat. Worauf ist dieser nun zurückzuführen? Das Kurzarbeitergeld war im Prinzip richtig und hat viele Jobs gerettet, keine Frage (aber natürlich hätten gößere Konjunkturprogramme auch mehr bewirken und die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt sich schneller erholen lassen). Aber: die Kurzarbeit, sowie die oft erfolgte Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitstellen (s.u.), hat dazu geführt, dass zwar vielleicht nicht die Zahl der Beschäfigten, aber die Arbeitsleistung insgesamt (in Stunden) zurückgegangen is, auch das muss man betrachten. Und andere Faktoren, die zu den Arbeitslosenwerten im April beigetragen haben, wie saisonale und demographische, darf man auch nicht vernachlässigen.

Andere wichige Eckpunkte des Arbeitsmarktes, die die Bundesagentur bekanntgab, werden in der medialen Berichterstattung meist einfach verschwiegen: Die Zahl der Unterbeschäftigten blieb im vergangenen Jahr weitgehend konstant (4,6 Millionen). Die gemeldeten offenen Stellen sind nicht viel mehr geworden. Es gibt deutlich mehr Hartz-IV-Bezieher (6,7 Millionen), darunter auch viele “Aufstocker”, die nur Niedriglöhne verdienen. Im letzten Jahr gab es 300.000 Vollzeitstellen weniger und 200.000 Teilzeitsarbeitsstellen mehr. Die Zeitarbeit hat deutlich zugenommen. Insgesamt gab es deutlich mehr prekäre Beschäftigungsformen und nur wenig tatsächliches Wachstum der Arbeitsplätze. Reguläre Beschäftigungsverhältnisse wurden durch prekäre ersetzt. Wahrlich kein Grund, in voreiligen Jubel auszubrechen.

[Quellen: Arbeitsmarkt: Wo das “deutsche Job-Wunder” herkommt (Frankfurter Rundschau), Arbeitsmarkt im April (NachDenkSeiten)]

Deutschland, Land der Niedriglöhne

Das Wachsen prekärer Arbeitsformen und die zunehmende Spaltung der deutschen Gesellschaft wird auch von ganz unerwarteter Seite bestätigt. Die Bertelsmann-Stiftung (!) stellt in einer neuen Studie (“Atypische Beschäftigung und Niedriglohnarbeit. Benchmarking Deutschland: Befristete und geringfügige Tätigkeiten, Zeitarbeit und Niedriglohnbeschäftigung”; Autoren: Werner Eichhorst, Paul Marx, Eric Thode; Zusammenfassungen: Taz, Bertelsmann, S. 5-7 der Studie) fest, dass in Deutschland zwischen 2000 und 2007 von 17 OECD-Ländern die Lohnungleichheit am meisten gewachsen ist. Untersucht wurden in der Studie die EU- und die OECD-Staaten. Auch im europäischen Vergleich gebe es in Deutschland eine “ausgeprägte Lohnspreizung”. Außerdem ist es hier sehr schwer, in jeweils höhere Lohngruppen aufzusteigen.

Niedriglöhne haben sich hierzulande sehr stark verbreitet. Betroffen sind vor allem Geringqualifizierte, Frauen, junge Arbeitnehmer und Ausländer sowie der Bau- und der Dienstleistungssektor. Der Niedriglohnanteil unter den beschäftigen Frauen ist sogar der zweithöchse unter allen Industrieländern (nach Südkorea, noch vor den USA). Der deutsche Niedriglohnsektor hat außerdem am meisten zugenommen und lag 2007 bei einer Größe von 17,5% der Beschäftigten. Ursachen sind eine abnehmende Tarifbindung, mehr “Aktivierungsbemühungen von Transferbeziehern” und eine Zunahme von Mini-Jobs, Teilzeitarbeit und Aufstockern.

Wachsende Prekarität

Ein weiteres Ergebnisse der Studie: atypische Beschäftigungsformen wie Leiharbeit (auch Zeitarbeit genannt), befristete Beschäftigung und Mini-Jobs haben in diesem Zeitraum deutlich zugenommen, oft auf Kosten regulärer Beschäftigung. Zeitarbeit wird dabei nicht primär genutzt, um den Beschäftigungsstand der Auftragslage anzupassen, sondern als eigenständige prekäre Beschäftigungsform (vor allem in der Industrie). Sie führt – ähnlich bei befriseter Beschäftigung – außerdem nicht zu mehr Übergängen in reguläre Beschäftigung. Und: die Bertelsmann-Stiftung  empfiehlt eine Angleichung der Bezahlung und Arbeitsbedingungen von Zeitarbeit und regulärer Beschäftigung. Außerdem stellt sie fest, dass Minijobs zu niedrigeren Löhnen und mehr Belastung für die Sozialsysteme führen. Diese sowie andere Kombilohn-Modelle sollten nicht ausgeweitet werden. Der Kündigungsschutz solle bei unbefristeter wie bei befristeter Beschäftigung (und auch bei der Leiharbeit) von der Beschäftigungsdauer abhängig gemacht werden. Außerdem fordert sie eine Pflichtversicherung für Selbstständige und eine Verstärkung von qualifizierenden Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik.

Diese Ergebnisse sind zwar nicht neu, auch ich habe auf Guardian of the Blind schon auf entsprechende Untersuchungsergebnisse (z.B. zur Lohnungleichheit und zur Leiharbeit oder zu Kombilöhnen) hingewiesen. Jedoch ist es auch, so wenig man die Bertelsmann-Stiftung mögen muss, gut zu sehen, dass mal nicht alle Neoliberalen vor den ökonomischen Tatsachen die Augen verschließen – und vor allem, dass sie diesmal sogar bereit sind, wenigstens teilweise die Konsequenzen zu ziehen und den Befunden entsprechnde Forderungen zu stellen. Würden unsere Politiker wenigstens ab und zu mal zu solchen Einsichten fähig sein, wäre schon viel geholfen. Mit einer anderen Interpretation könnte man sagen: Die Wandlungen in der deutschen Gesellschaft sind so groß, dass sie nicht mehr geleugnet werden können, auch nicht von den neoliberalen Vordenkern. Auch wenn sie oft zögern, das Wort Prekarität in den Mund zu nehmen, sondern lieber von Strukturwandel oder ähnlichem sprechen. Irgendwie muss man wohl doch noch versuchen, Schlechtes schönzureden.

Aufkommende Krise und deutsche Verantwortung

Wie dem auch sei, die Fakten sprechen für sich, und sie zeigen wenig Erfreuliches. Statt einer Zunahme von regulären, sicheren, gut bezahlten Arbeitsplätzen wurden diese oft durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, durch Unsicherheit, schlechte Bezahlung und schlechtere Arbeitsbedingungen abgelöst. Die Kurzarbeit mag Schlimmeres verhindert haben, doch sie verschleiert auch teilweise das wahre Ausmaß der Wirtschaftskrise. Solche Tatsachen zu benennen wäre Aufgabe eines kritischen und sachgerechten Journalismus, und nicht das blinde Zujubeln zu Regierungsverlautbarungen. Doch das will man offenbar gar nicht, wie auch die Berichterstattung zu Griechenland zeigt.

Die aufkeimende Euro-Krise, für die Angela Merkel durch ihr verantwortungslose Handeln die Hauptverantwortliche ist, wird in Europa zu fatalen Folgen führen, und, das ist abzusehen, sie wird auch an der deutschen Wirtschaft und dem deutschen Arbeitsmarkt nicht spurlos vorbeiziehen. Doch sei es drum, hat man ein paar Wähler in Nordrhein-Westfalen durch die von den Mainstream-Medien bejubelte “harte Haltung” zu Griechenland und die “sensationellen Erfolg am Arbeitsmarkt” (die ja, wie gezeigt, nur sehr wenig sensationell sind), gewonnen, dann ist ja das Ziel erreicht. Auch wenn solche möglichen Wahlerfolge aufgrund der drohenden Krisen relativ klein und unbedeutend erscheinen könnten. Doch auch große Lawinen werden von kleinen Erschütterungen ausgelöst.

Bilder:

Eigene Screenshots; Merkel: http://www.flickr.com/photos/30698512@N04/4414905694/ / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

[Dieser Artikel wurde auch beim binsenbrenner.de und beim Oeffinger Freidenker veröffentlicht.]

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Wenn sich Inkompetenz und Wahlkampfmanöver paaren

Der durch einseitige Ausrichtung auf Wahlkampfinteressen bestimmte und von hetzerischen Kampagnen der Boulevardpresse begleitete zögerliche Schlingerkurs der deutschen Bundesregierung in der Griechenlandfrage hat schon jetzt zu erheblichen wirtschaftlichen und politischen Schäden geführt. Die weiteren Folgen könnten noch verheerender sein.

Die Berichterstattung der deutschen Medien zur Griechenland-Krise ist von einer selbst für diese fast beispiellosen Inkompetenz geprägt, oft besteht sie nur im Nachplappern der von Wahlkampfmanövern bestimmten Positionen der Bundesregierung bis zu offener Hetze, Diffamierungen und niederste Beleidigungen seitens des Rechts-Boulevards. Positiv ragen in der Berichterstattung fast nur Onlineveröffentlichungen, etwa bei Weissgarnix (z.B. “Drohendes Desaster”), beim Herdentrieb (Zeit Online), auf Telepolis oder vom Spiegelfechter hervor.

Statemens von (ernstzunehmenden) Ökonomen sind in den Mainstream-Medien zudem selten zu finden. Aus gutem Grund, denn deren Analysen unterscheiden sich stark von dem populistischen Griechen-Bashing des Politik-Medien-Konglomerats. Heiner Flassbeck bezeichnet in einem Interview mit tagesschau.de das Krisenmanagement der deutschen Bundesregierung zu Griechenland als katastrophal, u.a. da sie “dem Irrsinn, der im Moment an den Märkten herrscht, nicht Einhalt gebietet”, der “das Resultat von Zockerei und Panikmache” sei. Europa habe es leider versäumt, Maßnahmen zur Reform der Finanzmärkte wie die aktuell von Obama geplanten zu treffen. Finanzhilfen für Griechenland seien im Grunde richtig, aber in einer solchen Krise würden Sparmaßnahmen in Griechenland, die v.a. bei Löhnen und Sozialleistungen erfolgen, dessen wirtschaftliche und soziale Schieflage weiter verschärfen. Außerdem, so ein weiterer Punkt, solle die verzerrte Wettbewerbsfähigkeit in Europa aufhören: in Deutschland müssten höhere Löhne gezahlt werden.

tagesschau. de: Andere Stimmen sagen: Wir haben die Stabilitätskriterien eingehalten durch eine zurückhaltende Lohnpolitik und gut gewirtschaftet, und jetzt sollen wir für die einspringen, die das nicht getan haben. Ist das nicht ein berechtigter Einwand?

Flassbeck: Das ist vollkommen falsch. Man hat eine Währungsunion gemacht mit einem Inflationsziel von zwei Prozent. Das ist eine implizite Verpflichtung, die Löhne ungefähr zwei Prozent über der Produktivität zu halten. Deutschland ist massiv darunter geblieben und hat damit sozusagen eine Deflationspolitik betrieben, ohne es den anderen zu sagen. So wurde Deutschland fast zum alleinigen Gewinner, während fast alle anderen darunter leiden. Das hat nichts mit Sparen zu tun: Das war und ist ein klarer Verstoß gegen den Geist der Währungsunion.

Nein, das hört man nicht gerne. Schulden und Inflation vermeiden, das ist dem Deutschen noch heiliger als sein Bier und sein Auto. Dass Deutschland zumindest eine Mitschuld an den europäischen Ungleichgewichten tragen könnte will man nicht einmal in Erwägung ziehen. Und dass die jahrelange Lohndumping-Ökonomie schädlich sein könnte, nein, dass ist ja alles nur sozialromantischer Linksextremismus! In Deutschland lässt man sich von allem, was gegen die neoliberale Ideologie spricht, egal wie gut belegt, egal wie sinnvoll es ist, schon lange keine Ratschläge geben. Flatter von Feynsinn schreibt:

Seit 30 Jahren wird gebetet, Konsum sei schädlich, niedrige Löhne gut und die jährliche Exportweltmeisterschaft pure Glückseligkeit. (…)

Kein Wort war es den gefragten “Experten” wert, wie volkswirtschaftlich – und zwar global – vernünftige Politik gestaltet werden könnte. Im Gegenteil wurde das Wohl und Wehe der Menschen dem “Standortwettbewerb” überantwortet, was nichts anderes heißt, als den manischen Egoismus eines einäugigen Betriebswirtschaftsdenkens der politischen Ökonomie überzustülpen. Werden in der kruden Konkurrenz der Betriebe und Konzerne die Verlierer vom Markt radiert oder ausgeweidet, ist das unschön, aber in Grenzen praktikabel. Dieses Prinzip aber als alternativloses den Staatswirtschaften zu verschreiben, ist ökonomischer Völkermord. Es sollte keine Volkswirtschaft existieren dürfen, die sich nicht den Regeln der profitorientierten freien Märkte unterwarf. Alternativen wurden mit aller Macht unterdrückt.

Die ökonomische Uneinsichtigkeit paart sich zudem mit parteipolitischen Interessen im Vorfeld der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Wäre schnelle Handeln seitens der Bundesregierung erforderlich gewesen, gab es einen wochenlangen Schlingerkurs. Die Rettungsaktion für Griechenland nun dürfte als der unprofessionellste bailout aller Zeiten in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Angela Merkel hat durch ihr Wahlkampfgeschacher und -geplänkel nicht nur Griechenlands Krise verschlimmert und die Kosten in die Höhe getrieben, sondern könnte auch einen Flächenbrand in Europa ausgelöst haben, der bald auch Portugal und Spanien und dann Irland und Italien erfassen und die Eurozone in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte.

Diese Regierung hat hier wie in wohl kaum einem anderen Feld gezeigt, dass sie keinerlei Verantwortung, Solidarität oder auch nur Einsicht besitzt. Für ein paar Wählerstimmen ist man bereit, Milliardenverluste in Kauf zu nehmen, ganze Ökonomien weiter zu destabilisieren und Zinssätze und Spekulationstätigkeiten anzuheizen. Die Kosten dafür wird die Bevölkerung in Europa tragen müssen, in den betroffenen Ländern und bei uns. Die Beteiligung des IWF an den Rettungsaktionen, auf denen Merkel so bestanden hat, wid noch größere soziale Schäden verursachen und mehr Armut schaffen. Und die Kosten für die Zukunft der europäischen Integration sind kaum absehbar. Aber immerhin kann sich jetzt der Stammtisch freuen, dass WIR es diesen faulen, streikenden, schuldenmachenden, nicht sparen wollenden, korrupten, lügenden, im Luxus prassenden Pleite-Griechen mal so richtig gezeigt haben!

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Wohin steuert Obama?

Die rechtskonservative “Tea-Party”-Bewegung will die USA vor dem Sozialismus retten, notfalls mit Gewalt. Sarah Palin heizt die Stimmung mit an. “Zieht Euch nicht zurück! Ladet nach!”, rief sie einer versammelten Party-Meute zu, nachdem Obama endlich eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung in den USA eingeführt hatte. Zudem kommt es in den USA immer mehr zu einer gefährlichen Vermischung von rechtsextremen Verschwörungstheoretikern und militanten Randgruppen mit dem republikanischen Mainstream. Man weiß dabei nie, wer gefährlich werden kann und den extremen Drohungen der Rechten vielleicht irgendwann entsprechende menschenverachtende Gewalttaten folgen lässt.

Am 15. Jahrestag des Oklahoma-Attentats, bei dem 168 Menschen durch einen Bombenanschlag einer rechtsextremen Miliz getötet worden waren, maschierten bei Washington schwer bewaffnete Männer auf. Ex-Präsident Bill Clintion warnte nach einer “überhitzten Rhetorik” mancher Wortführer der Tea-Party-Bewegung, dass sie damit Leute zu Taten anstiften könnten, “die sie sonst niemals begehen würden“. Auch die Mörder von Oklahoma City hätten sich von einer militanten Anti-Regierungs-Rhetorik anstecken lassen, und dies könne auch heute durch die Tea-Party-Bewegung wieder geschehen. Die Zahl von militanten und bewaffneten rechten, teilweise rassistischen, und christlichen Gruppen,  ist im letzten Jahr in der Tat sprunghaft gestiegen. Besonderen Aufschwung haben dabei die Patriot-Gruppen, zu denen auch der Drahtzieher der Oklahoma-Anschläge gehörte.

Die politische Rechte in den USA hat sich seit dem Wahlsieg Obamas noch mehr radikalisiert. Neben den Gruppen außerhalb der Parlamente wird auch die Republikanische Partei durch diese Bewegung weiter nach rechts gedrängt. Nicht eine Abkehr von der wenig ruhmhaften Bush-Ära, nein, eine Verteidigung von Krieg und Folter und eine vollständige Ablehnung sinnvoller sozial- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen der Regierung kennzeichnen die Positionen der amerikanischen Rechten. Wenn man überhaupt von Positionen sprechen kann angesichts einer offensichtlich großen Verwirrtheit:

24 Prozent der Anhänger der Republikaner sagen, US-Präsident Obama könne der Antichrist sein, 22 Prozent meinen, er stehe auf der Seite der Terroristen, für 76 Prozent ist er Sozialist, für 57 Prozent Muslim, 51 Prozent meinen, er wolle die Souveränität der USA opfern und die Macht an eine Weltregierung geben. Zudem glauben die Republikaner mehrheitlich, er habe gegen die Verfassung verstoßen und wolle den Amerikanern ihre geliebten Waffen nehmen. 45 Prozent sagen, er sei nicht in den USA geboren und sei daher nicht rechtmäßig Präsident, für 42 Prozent ist er ein Rassist, 40 glauben, er mache, was die Wall Street ihm sagt, und 38 Prozent sagen, er mache viele Dinge, die auch Hitler gemacht hat. (Telepolis)

Einen Eindruck von dem oft von unbändigem Hasst und einer, man muss es so sagen, fast unfassbaren Dummheit geprägten Atmosphäre in diesem Lager kann man sich auch bei der Wochenzeitung machen, die ein paar Tea-Party-Aktivisten begleitet hat:

Sie jubeln, wenn der reaktionäre Radio­talkmaster von einer apokalyptischen Katastrophe spricht und dabei US-Präsident Barack Obamas Gesundheitsreform meint. Sie jubeln, wenn er von der «bewussten Zerstörung» der USA – des «schönsten und wichtigsten Landes der Erde» – durch «üble Hippies» und deren Abrüstungsverträge spricht. Sie sind begeistert, wenn er das Ende des «Marxismus, Leninismus und Stalinismus light» fordert. Ihre Schilder schimpfen auf Liberale, Friedensdemonstrantinnen, Faulenzer und Sozialisten, die ihrer Meinung nach zu Unrecht in Washington an der Macht sind und ihre Steuergelder ergaunern. (…)

Die traurige Ironie ist: Gerade sie, die Arbeiter in den befleckten Hosen, die Rentnerinnen in ihren billigen Regenjacken und die kleinen Angestellten, die zwei zusätzliche Jobs und tiefe Ringe unter den Augen haben, verloren unter dem konservativen letzten US-Präsidenten George Bush jegliche Chance, an der Gesellschaft teilzuhaben. Doch ihre Wut darüber bekommt nun die neue US-Regierung zu spüren. Der Protest ist ein Ventil ihrer Angst: Sie brüllen den vorsichtig fragenden Reporter nieder, keifen drohend auf die Frage, was denn schlimm an einer rudimentären Gesundheitsversorgung sei. Der Staat ist in ihren Augen zum Tyrannen geworden, gegen den sie Verfassung und Fahne in den Himmel strecken. (…)

Die Tea-Party-Bewegung, das wird hier hoch über den weiten Feldern Wis­consins klar, ist der fleischgewordene Unmut, den allerlei konservative Organisationen für sich zu nutzen wissen. Ihr kommt die Aufgabe zu, den bitterbösen Kampagnen von Fox News gegen Staat, Steuern und den Präsidenten Street Credibility zu verleihen – Glaubwürdigkeit auf der Strasse. Dazu gehören die bigotten Behauptungen der Demonstrant­Innen, Obama tue nicht viel anderes, als das, «was Hitler in Deutschland gemacht hat», oder die Ankündigung, mit dem Blut des liberalen Establishments den Baum der Freiheit giessen zu wollen.

Wie kann Obama, wie können die Demokraten versuchen, diesem Einhalt zu gebieten, und wie können sie am besten eine gute Politik durchsetzen? Ich glaube, dass es falsch ist, dass Obama bisher so viele Zugeständnisse an die Rechte gemacht hat. Mag es in Einzelfällen notwendig gewesen sein, um seine Reformen durchzubringen, stellt sich für mich die Lage bspw. bei der Frage von Verfolgung von US-amerikanischen Kriegsverbrechen und -verbrechern anders da. Hier und in vielen anderen Bereichen sollte er deulich konsequenter gemäß seiner Linie vorgehen. Sicher würde dies ein weiteres Auseinanderdriften von Demokraten und Republikanern bedeuten. Für Obama bestand von Anfang an die Alternative, entweder eine Politik zu verfolgen, die auf die Vereinigung der unterschiedlichen politischen Lager zielt, oder einen wirklich neuen Politikstil und neue Politikinhalte zu verfolgen. Beides zusammen war nie wirklich möglich.

Eine wirkliche Hoffnung kann es für die USA nur geben, wenn eine für amerikanische Verhältnisse “linke” Politik betrieben wird, wenn endlich Sozialstaat und Bildung statt Militär und Banken gefördert werden, wenn Schluss ist mit allen katastrophalen Vermächtnissen der Vorgänger-Regierung. In einigen Bereichen ist viel geschehen. Eine Eindämmung des Lobbyismus, einige ziemlich gute Konzepte zur Lösung der Finanzkrise (und zur Verhinderung einer neuen), nicht zuletzt die Gesundheitsreform, u.a. Aber in den Bereichen, in denen Obama auf die Republikaner zugehen wollte, zeigten sich wenig Erfolge, im Gegenteil, wie wir sehen gibt es sogar eine Radikalisierung dieser. Bei den eigenen Anhängern und besonders dem “linken” Flügel der Demokraten verliert er an Unterstützung (sowohl an Wählerstimmen, besonders wegen einer niedrigeren Wahlbeteiligung, als auch an Akionsbereitschaft), da viele Wahlversprechen durch die Kompromisstaktik nicht eingehalten werden konnten, durch die er aber kaum Unterstützer aus dem Republikaner-Lager erhalten dürfte (viele Wechselwähler dürfte er zudem vor der Wahl für sich gewonnen haben und nun zu verlieren drohen).

Nein, das Land ist zu sehr gespalten, um fundamentale Differenzen in der Gesellschafts- und Sozialpolitik aufheben zu können.  Die zehn Kernforderungen der Tea-Party-Bewegung etwa, zusammengefasst in einem Kriterienkaalog für Kandidaten, die sie beim Wahlkampf unterstützt, sind: niedrige Steuern, weniger Schulden, kleinerer Staat, Fortsetzung der Kriege im Irak und in Afghanistan bis zum Sieg, sie sind gegen die Gesundheitsreform, gegen die Legalisierung der Homosexuellenehe, gegen Abtreibung und gegen eine Amnestie für illegale Einwanderer sowie für das Recht auf Tragen von Waffen und für eine entschiedene Politik gegenüber Iran und Nordkorea. Bis auf die Fordeung nach weniger Schulden (und diese ist in Zeiten einer Wirtschaftskrise alles andere als primär) erscheinen alle Punkte aus einer linken oder liberalen (im US-amerikanischen Sinne) Sicht ablehnenswert.

Viele Ansichten werden kaum zusammenfinden können, und das muss man so zugestehen. Die Konfliktlinien in der US-amerikanischen Politik und Gesellschaft sind oft relativ klar zu ziehen und die unterschiedlichen Positionen nicht graduell, sondern dichotom, Zwischenlösungen sind oft kaum möglich. Abtreibung erlauben oder generell verbieten? Staatliche verpflichtende Gesundheitsvorsorge oder freiwillige private? Menschen foltern dürfen oder nicht? Finanzmärkte regulieren oder vollkommen unangetastet lassen? Wenn die Regierung etwa Abtreibung unter bestimmten Bedingungen zulassen würde oder geringe Eingriffe des Staates in Wirtschaft und Soziales, haben sie sofort eine Fundamentalopposition der Republikaner gegen sich. Die Weltbilder der Anhänger der beiden großen Lager sind in sehr vielen Feldern nahezu gegensätzlich.

Verwaschene Kompromisse, die keine der beiden Seiten repräsentieren, können dem Land aber nicht weiterhelfen. Die Rechten werden ohnehin weiter protestieren, und sie radikaliieren sich trotz der bisherigen Kompromisspolitik. Warum also Kompromisse schließen, zudem mit denen, die überaus verwirrte bis zu gefährliche Ansichten vertreten? Warum nicht konsequent für eigene gute Ideen und eigene Ideale einstehen? Obama sollte spätestens jetzt klar die Schritte und Programme durchziehen, die er im Wahlkampf angekündigt hatte. Es ist noch nicht zu spät. Sein Kampf um eine Reform des Finanzsektors jedenfalls lässt schon einmal Positives erhoffen.

Bilder:

http://www.flickr.com/photos/pargon/ / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

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Zum Verfahren gegen Oberst Klein

Kurz noch ein paar Hinweise auf lesenwerte Artikel und Kommentare zum Verfahren gegen Oberst Klein und zum Afghanistan-Einsatz:

Informationen zur Einstellung des Ermittlungverfahrens durch die Bundesanwaltschaft (Telepolis pnews): Freibrief für Luftschlag in Afghanistan

Soweit die Getöteten zu den Aufständischen gehörten, war der Angriff auf sie nach Ansicht der Juristen berechtigt. Eine Bekämpfung durch Bodentruppen sei wegen der damit verbundenen Gefährdung der eigenen Truppen nicht zumutbar gewesen (…) Die Entscheidung der Bundesanwaltschaft dehnt in einem Zusatz die straflosen militärischen Angriffsmöglichkeiten noch weiter aus

Interview auf Spiegel online: Verfahren gegen Oberst Klein: Ex-Bundesrichter Neskovic wirft Bundesanwaltschaft mangelnde Distanz vor

Neskovic: Die veröffentlichte Begründung ist juristisch gesehen handwerklich so unbefriedigend und lückenhaft, dass es gar nicht möglich ist, die Entscheidung nachzuvollziehen. Die Argumentation ist nicht transparent, weil sie sich hinter der Geheimhaltung der zugrunde liegenden Dokumente verschanzt. Eins ist klar: Die Bundesanwaltschaft hat eine ihrer wichtigsten Pflichten vernachlässigt. Sie hätte die Vorgänge in Kunduz mit einer kritisch zivilen Distanz prüfen müssen. Stattdessen hat sie sich ausschließlich die militärische Sichtweise zu eigen macht.

Kommentar vom Spiegelfechter: Kriegsrecht

Je stärker der deutsche Kriegseinsatz in Afghanistan gesellschaftlich kritisiert wird, desto dichter rücken die staatlichen Organe zusammen, die diesen Krieg bis zum Endsieg von „Demokratie und Freiheit“ fortführen wollen. Ein deutscher Offizier befehligt im fernen Kunduz einen Bombenangriff auf eine Menschenmasse und nimmt dabei – zwar nicht vorsätzlich, aber dennoch fahrlässig – zivile Opfer in Kauf und die Bundesanwaltschaft stellt trotz überwältigender Indizien und Beweise, die zumindest eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung in 74 bis 83 Fällen rechtfertigen würden, das Verfahren gegen diesen Staatsbürger in Uniform ein. Mit Zivilrecht und Rechtsstaatlichkeit hat dies nur wenig zu tun – Deutschland ist im Krieg angekommen und wenn es um die Bundeswehr geht, herrscht offensichtlich Kriegsrecht. Ob die Verantwortlichen – und dies sind nicht nur Uniformträger – für das bisher schlimmste Kriegsverbrechen seit dem Untergang des Dritten Reiches je zur Verantwortung gezogen werden, darf bezweifelt werden. (…)

Es herrscht Krieg und im Krieg gilt Kriegsrecht. Kein Wunder, dass die Bundeswehr die Entscheidung der Bundesanwaltschaft bejubelt – nun darf sie endlich töten, ohne großartig Angst zu haben, in der Heimat für die rechtlichen Folgen geradestehen zu müssen. Oberst Klein mag formaljuristisch unschuldig sein – moralisch trägt er jedoch die volle Verantwortung für sein Handeln

Kommentar von SZenso: Hofberichtblogging (12): Über die Unbedenklichkeit des Kollaterierens

Weshalb wir als nichtafghanische Bürger bei diesem Krieg mittöten und -sterben, ist jedoch keine Frage, die wir uns in Kriegszeiten stellen sollten.Die in der Qualitätshofberichterstattung oftmals geforderte Rechtssicherheit für unsere im Krieg befindlichen Soldaten wurde endlich geschaffen. Die Soldaten brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie am Check Point afghanische Familien oder im friendly fire ihre afghanischen Kameraden kollaterieren. Was jedoch weiterhin nicht geht, ist zum Beispiel der Diebstahl von Kantinenbesteck oder nicht polierte Stiefel. Dann wird das ganze Arsenal an disziplinarischen Maßnahmen ausgepackt und der Soldat gemaßregelt, denn immerhin sind wir zivilisiert und das sind und bleiben wir natürlich auch im Krieg. Wir haben in Afghanistan in erstaunlich kurzer Zeit erfolgreich das Töten und Sterben gelernt, alte Kriegstraditionen wieder belebt und wir werden auch die kommenden Herausforderungen  meistern. Es gibt im Grunde nur noch eine Schwachstelle, die Heimatfront ist noch unterentwickelt. Das Kämpfen und Kollaterieren muss wieder als soldatisches Heldentum begriffen und in der Heimat entsprechend gewürdigt werden. Bei jedem toten deutschen Soldat muss der animalische Reflex der Rache und Vergeltung unverzüglich nach dem Blut des Feindes verlangen.

Kommentar von Andrian Kreye (Sueddeutsche.de): Völkerstrafrecht – Niederlage im Kampf um Herzen und Köpfe

Das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein wurde eingestellt. Damit stellt Deutschland seine Rolle als Speerspitze der Glaubwürdigkeit aufs Spiel.

NACHTRAG: Kommentar von Jakob Augstein (Der Freitag): Die Wahl der Waffen

(…) dieser Mann kann allen deutschen Soldaten künftig als Vorbild dienen: Die wahllose Tötung von Menschen, seien es Zivilisten oder Kämpfer, Männer oder Frauen, Greise oder Kinder, ist im Krieg Alltag und kein Vergehen, und die Justiz ist nicht zuständig. Man kann getrost damit rechnen, dass die eigene Gerichtsbarkeit der Bundeswehr sich des Falles, wenn überhaupt, dann gnädig annehmen wird.

Bundeswehr und Bundesregierung waren erfreut, dass Richter und Staatsanwälte sich nicht mit Oberst Klein befassen werden. Es hieß, diese Entscheidung gebe den Soldaten nun Rechtssicherheit. Die Soldaten können mit mehr Sicherheit töten. Es wird ihnen nichts geschehen. Wenn Oberst Klein davonkommt, wird jeder andere auch davonkommen. 91 Menschen verlieren ihr Leben, und es wird niemand zur Rechenschaft gezogen. Es geschieht einfach. Das ist die Wirklichkeit des Krieges. Diese Wirklichkeit greift die Moral der deutschen Gesellschaft an, so wie sie die Moral aller Gesellschaften auf Dauer angreift, die sich im Krieg befinden. Die Frage nach Schuld und Unschuld des Einzelnen, die in der Zivilgesellschaft Grundlage jeden staatlichen Eingriffs ist, spielt im Krieg keine Rolle mehr. Es dürfen alle sterben. Die Schuldigen und die Unschuldigen. Die Männer und die Kinder. Im Tode sind sie alle gleich.

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Vom Töten und vom Sterben

In Afghanistan haben tapfere US-amerikanische Soldaten acht Kinder und Jugendliche im Schlaf erschossen. Verneigen wir uns vor dem Mut und der Tapferkeit! Und da man in Deutschland ja heutzutage offenbar nicht für das Töten von Zivilisten belangt wird (zumindest, wenn es Afghanen sind), dürfen wir vielleicht auch bald auf ähnliche Heldentaten unserer Jungs hoffen! Für die Brunnen und die Schulen! Und die Frauenrechte!!

Warum wird man in Deutschland eigentlich freigesprochen, wenn man in Afghanistan “142 Menschen, darunter auch viele Zivilisten” tötet? Warum gibt es in Deutschland eigentlich keine Trauerfeiern für getötete afghanische Zivilisten? Warum soll ich diese ignorieren? Warum soll ich aber um gefallene Soldaten trauern? Warum soll ich Respekt haben vor Menschen, die sich freiwillig gemeldet haben, Menschen auf Befehl zu töten?

Roberto von ad sinistram hat ein paar sehr treffende Worte gefunden:

Mit Ihnen trauert ein ganzes Land! (…) Ich weiß nicht, wie andere das wahrnehmen, aber ich, in diesem Lande lebend, trauere nicht; ich will damit nichts zu tun haben. Man spreche nicht an meiner Statt! Das verbitte ich mir! Man verstehe mich bitte nicht falsch: ich freue mich auch nicht, dass Blut geflossen ist. Aber dieses Blut, es hat nichts mit mir zu tun. (…)

Deutschland verneigt sich vor Ihnen! (…) Ich aber nicht! Ich weiß, das mag für manchen starker Tobak sein. Zurückhaltung!, wollen sie mir belehrend zurufen. Über Tote nichts Schlechtes!, lehren sie mich. Ich weiß, ich weiß! Pietät und Ehrfurcht und so. Aber bitte, ich will doch den Toten gar nichts Böses nachsagen. Ich weigere mich ja auch ausdrücklich, sie zu verurteilen, weil sie Soldaten waren, weil sie an einem Angriffskrieg teilnahmen, der verfassungswidrig ist. Und dass es denen recht geschähe, wird man hier nicht lesen, wenngleich man natürlich festhalten muß, dass derjenige, der seiner Arbeit im Kriegsgebiet nachkommt, auch wissen muß, wie traurig das alles enden kann. Aber recht geschieht ihnen der Tod nicht! Gegen solche kraftmeierische Verächtlichkeiten wehre ich mich. Doch verneigen? Ich möchte doch sehr bitten!  (…) Aber einen Knicks für Fremde zu machen, die ihren besoldeten Dienst im eroberten Ausland getan, die einen Quisling des Westens zur Regierung verholfen haben, die im Zweifelsfall geschossen hätten oder sogar haben? (…)

Oh nein, ich bin wahrhaftig nicht stolz darauf, Hinterbliebene zu brüskieren – aber ich kann nicht damit leben, als Teil einer Trauergemeinde angesehen zu werden, der ich nicht angehöre. Ich kannte jene Toten nicht und ich will deren Engagement, das nun andere an ihrer Stelle weiterbetreiben, auch weiterhin nicht kennen – sie schießen dort nicht für mich, daher verneige ich mich nicht. (…) Ich trauere nicht mit einer Gesellschaft, die es als hinterhältige Morde ansieht, wenn Besatzungssoldaten erschossen werden, die sich aber beruhigt durchschnaufend zurücklehnt, wenn es nur Afghanen waren, die im Kugelhagel oder Bombenregen starben; ich trauere nicht um Soldaten, die vorher wußten, dass sie sich für ein Kriegsgebiet entschieden haben, in dem man auch zu Schaden kommen kann; ich trauere nicht an der Seite von Selbstdarstellern, die die Freiheit am Hindukusch verteidigen wollen, während sie zwischen Rhein und Oder selbige schrittweise beschneiden. Darauf muß ich nicht stolz sein – aber ich muß es loswerden dürfen!

Und auch Georg Schramm trifft es mal wieder:

http://www.youtube.com/watch?v=9YUDvAnoM7I

Ich finde dabei überhaupt nicht, dass man sich dafür schämen muss, wenn man für den Frieden und gegen sinnloses Töten und Sterben eintritt. Und ich finde, auch eines muss gesagt werden: sicherlich sind v.a. die verantwortlich, die die Soldaten in den Krieg schicken, sind es die Politiker in ihren bequemen Büros abseits des Geschehens. Aber ich kann auch vor Soldaten selbst, vor denen, die es zu ihrem Beruf gemacht haben, die Menschen, bei denen es ihnen befohlen wird, zu töten, keinen Respekt empfinden. Es sind nicht “meine Jungs”. Nein, ich kann dies nicht nachvollziehen, empfinde es nicht als “Dienst am Vaterland”. Ich kann dem Töten von Menschen auf Befehl nichts abgewinnen.

Und ich glaube auch nicht, dass diejenigen, die sich zur Armee melden, nur Deutschland vor bösen Angreifern verteidigen wollen o.ä. Nein, sie wissen, was auf sie zukommen kann. Sie wissen, was sie für ihren eventuell Sold tun müssen. Und, ich muss es so deutlich sagen, ich habe mehr Respekt vor einem Arbeitslosen als vor jemandem, der für Geld dazu bereit ist, Menschen zu töten, oder ihr Töten zu befehlen, oder Armeen von Tötenden auf der Landkarte zu verschieben. Nicht, weil er glaubt, dass dies richtig ist, nicht für ein höheres Ziel. Sondern, damit er sein Geld bekommt. Nein, davor habe ich keinen Respekt.

Falls jemand aus anderen Beweggründen beim Militär ist, falls er glaubt, dort etwa die Sicherheit Deutschlands gewährleisten zu können oder Sicherheit und Frieden weltweit auf diese Art schaffen zu können, dann teile ich diese Ansicht nicht unbedingt, aber dann respektiere ich diese. Doch dann frage ich diese, die etwa oft sagen, dass sie etwa den Afghanistan-Krieg nicht befürworten, auch: Warum kämpft ihr dann trotzdem dort? Warum tretet ihr nicht öffentlich gegen den Krieg ein. Und v.a.: Warum tretet ihr aus der Bundeswehr nicht aus?

Das mag hart klingen, und ich denke auch keineswegs etwas wie “das haben die Soldaten ja nicht anders verdient!”, und ich könnte es auch nicht verstehen, wenn man andererseits das Töten durch Afghanen zu legitimieren versucht. Sie sind gestorben, das bedaure ich. Aber sie sind nicht für mich gestorben.

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Lieber Linke als gar nichts? – Das Landesprogramm der Linken in NRW

Ein Gastbeitrag von Matthias Bohlen vom sehr lesenswerten Blog Lowestfrequencys Blick nach draußen, auf dem man diesen Beitrag auch im Original lesen kann.

Das bevölkerungsreichste Bundesland NRW wählt am 9. Mai einen neuen Landtag. Problematisch sind aber nicht nur die prognostizierten Mehrheitsverhältnisse im neuen Landtag, sondern auch, und das selbst für politisch Interessierte und Versierte, die Wahl der Partei. Viele möchten Rüttgers lieber heute als morgen loswerden, ohnehin war sein Sieg anno 2005 eher der Tatsache zuzuschreiben, dass viele SPD-Stammwähler dieselbe für die miserable Bundespolitik abwatschen wollten. Doch während schwarz-gelb nach aktuellen Prognosen keine Mehrheit bekommen wird, sieht es auch für eine rot-grüne Neuauflage schlecht aus. Sofern die Linken in den Landtag einziehen, wovon gegenwärtig auszugehen ist (die Vorhersagen schwanken zwischen 5 und 7 %, ein Einzug gilt aber als sehr sicher), wäre keine der etablierten Koalitionen möglich. Doch selbst wenn sich viele enttäuschte SPD-Wähler mit dem Gedanken tragen, doch den Sozis ihre Stimme zu geben, ist die Enttäuschung und das Misstrauen groß. Die Linke gewinnt vor allem im SPD-Stammland NRW einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Stimmen aus dem Lager der enttäuschten SPDler. Grund genug, sich mit dem Programm auseinander zu setzen, besonders vor dem Hintergrund der lange ausgebreiteten Diskussionen um die die starke kommunistische Plattform in NRW um ihr Zugpferd Sarah Wagenknecht, gern auch zusammengefasst als „Spinner“, „Sektierer“, „Extremisten“ etc. pp.

Ganze 68 Seiten in gefühlter Reclam-Schriftgröße umfasst das Programm, und die meisten mittelmäßig Motivierten werden nach den ersten 2 Seiten aufgeben. Der Grund: Sehr viel Geschwafel, Geschwurbel, butterweiche Äußerungen und beliebig viele Abwandlungen bekannter Formeln, teilweise aus aktuellen Debatten, teilweise auch an klassenkämpferische Schriften erinnernd.

Die Kapitel des Programms im Einzelnen
(für die Ungeduldigen gibt’s hier das Fazit):

Umverteilen – Schutzschirm für Menschen

Es ist an der Zeit – linke Politik von und für Frauen

Sozialer und ökologischer Umbau

Alternativen von links – neue Umwelt-, Energie- und Verkehrspolitik

Öffentlich statt Privat – öffentliche Daseinsvorsorge stärken

Gesundheit ist keine Ware – für ein solidarisches Gesundheitswesen

Bildung ist keine Ware

Kultur für alle

Soziale und gleiche Rechte für alle – aktive Demokratie verwirklichen

Linke Politik für Seniorinnen und Senioren

NRW stellt sich quer: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen

Konsequent für Frieden und Entmilitarisierung

Was fällt auf? Genau: wenig, was für Landespolitik interessant ist. Gleich der erste Punkt „Umverteilen“ lässt vermuten, dass es doch eher um übergeordnete Positionen geht, die aber leider besser in der Bundespolitik aufgehoben sind. Allenfalls im Bundesrat könnten Initiativen unternommen werden, mit originärer Landespolitik haben aber Forderung nach Mindestlöhnen wenig zu tun. Nichtsdestotrotz gibt es einige Aspekte, welche auch landespolitische Relevanz haben.

Die bundesweit interessante Debatte um Beteiligungen des Staates an strauchelnden Unternehmen findet doch auch konkrete Fragen, die sich die Landesregierung stellen muss. Beispielsweise die Frage, welche Unternehmen unter welchen Bedingungen zu unterstützen seien. Hier natürlich die linke Forderung: Keine Beteiligung an den Schulden, keinerlei Mittel, ohne dass Mitbestimmung des Geldgebers gewährleistet ist. Eine Beteiligung des Landes am Unternehmen soll notwendige Voraussetzung sein. Ferner sollen die schwächsten Kommunen entschuldetet werden, eine Aufgabe, bei der das Land eine Mittlerrolle zwischen Bund und den Städten und Gemeinden einnimmt. Auch das Thema Arbeitslose, Arbeitsagenturen, Sanktionen der ARGE etc. werden mit bekannten Forderungen angesprochen, jedoch ist die direkte Landesverantwortung schlecht erkennbar. Auch die Forderung nach einer Reform des öffentlichen Dienstes birgt problematische Thesen. Wenngleich die Landesregierung über diverse Landesbeamte und Landesbedienstete zu verfügen hat, sind doch Forderungen nach dem Streikrecht für Beamte, zumal in genereller Forderung, sehr problematisch. Möchte man wirklich die Erlaubnis für Polizisten, komplett den Dienst zu verweigern? Was ist mit Feuerwehren? Was beim Straßenverkehrsamt nur unpraktisch und allenfalls nervig ist, wird bei der Streifenpolizei schon zum Problem. Die Privilegien, die Beamte genossen, waren ja erkauft mit dem besonderen Treueverhältnis zum Staat, welches wiederum einige Nachteile, wie etwa das Fehlen des Streikrechtes, nach sich zog. In dieser undifferenzierten Form kann diese Forderung jedenfalls nicht mein Wohlwollen finden.

Kritisch beäugt wird auch die häufig plakatierte Forderung nach einer „Entmachtung“ der Energieriesen EON und RWE. Was mit Verstaatlichung und Überführung in gelähmte Behörden gleichgesetzt wird, birgt in sich zunächst die Forderung nach einer Vergesellschaftung dieser Unternehmen als Schlüsselindustrie in monopolartiger Stellung. Dies ist nach der Landesverfassung, §27, zulässig. Auch der Zweck, die Sicherung der Energieversorgung, die allgemeinverträgliche Gestaltung der Preise sowie die Nutzung der Gewinne zu volkswirtschaftlich und ökologisch sinnvollem Ausbau alternativer Energienutzung statt Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, ist kaum als unsinnig zu bezeichnen. Was in den Niederlanden funktioniert, kann hier so weltfremd nicht sein. Leider sind die Forderungen diesbezüglich auch eher undifferenziert gehalten. Zum Thema Energie sollte noch die Rekommunalisierung insbesondere der Stadtwerke genannt sein, was mithilfe eines Landesfonds finanziert werden soll. Dieser Fonds soll die bestehenden Stadtwerke auch vor Privatisierungen schützen. (TOP)


Interessant auch das groß plakatierte Statement: Freche Frauen wählen die Linke. Eine gewagte These. Das Thema Frauen enthält erneut einige Forderungen, die eigentlich eher bundespolitische Wichtigkeit haben, wie etwa die Bemessung der Arbeitszeit für Gleichstellungsbeauftragte (mind. die Hälfte der regulären Wochenarbeitszeit) oder die Anwendung des Prinzips „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, der Ersatz von Minijobs durch reguläre Stellen etc. Wenn die Landesbehörden diese Richtlinien umsetzen würden, wäre es wohl zu begrüßen, dennoch sind die Themen doch eher für den Bund prädestiniert. Wie zu erwarten soll die Kinderbetreuung ausgebaut werden, um Frauen bessere berufliche Chancen einzuräumen, und es soll für Mädchen und Jungen Beratungsstellen zur Berufswahl geben. Dieser Punkt überraschte, nicht nur weil es eigentlich nicht um Bildung geht, ein eigener, umfangreicher Punkt im Programm, sondern, weil es explizit auch Jungen betreffen sollte. Ein lobenswerter Ansatz, auch jungen- bzw. männerspezifische Förderung und Beratung in den Fokus zu nehmen.

Ebenfalls ein wichtiger Punkt: Die Ausstattung der Frauenhäuser. Unter Rüttgers marginalisiert und mit einer Mittelkürzung von mehreren Zehnteln des Budgets überzogen, sollen die Mittel wieder aufgestockt werden, mindestens auf altes Niveau, teilweise sollen auch neue Angebote, die intensive Einzelbetreuung ermöglichen sollen, eingeführt werden. An dieser Stelle kann man nur bejahren. Eine Schande, dass diese Häuser überhaupt notwendig sind, aber eine noch größere, wollte man, wie man der Regierung Rüttgers vorhalten muss, das Problem unter den Tisch kehren.
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Zum Thema Sozialer und Ökologischer Umbau gibt es einige gute Vorschläge. Der beste davon ist wohl, mehr Betriebsprüfer und Steuerfahnder einzustellen. Ein andere sinnvolle Idee ist die Tariftreueverpflichtung per Gesetz – Problem an der Sache ist aber ein entgegengerichtetes Urteil des EuGH (Europäischer Gerichtshof). Meines Wissens gibt es aber auch Juristen, die Möglichkeiten sehen, die öffentliche Hand von der reinen Kostenorientierung zu lösen und auch andere Aspekte wie Tariftreue, ökologische Unternehmensführung etc. als Kriterium für öffentliche Aufträge zu berücksichtigen, so dass nicht unbedingt Schmutzfinken und Ausbeuter die öffentlichen Aufträge bekommen müssen. Leider finden sich auch hier haufenweise Phrasen wie die Forderung nach einer Steuerreform zugunsten der Armen und zulasten der Reichen (allerdings ohne Konkretisierung und unter Ausblendung der Tatsache, dass das Aufgabe des Bundestages ist), ebenso wie die Schließung der Steuerschlupflöcher, die durch mangelhafte Bundesgesetze entstehen. Ebenso muten Vorschläge wie die Beendigung der Steuersenkungsspirale der Kommunen (Stichwort Grundsteuer) mehr wie „Wünsch dir was“ denn ernsthaftem Debattenbeitrag an. Das Ziel ist lobenswert, auch die Gründe für diese Position sind ausreichend dargelegt, es findet sich jedoch nicht ein einziger Absatz, der sich mit konkreten Lösungsansätzen befasst.

Unter diesem Ordnungspunkt widmet sich das Programm auch eher kommunalen Aufgaben wie der Förderung schwacher Bezirke, die Prestigeprojekten vorzuziehen seien, oder der Ausgleich von Qualitätsverlusten im Wohnungsangebot. Leider bleibt die genaue Ausgestaltung auch hier wieder im Unklaren, zudem muss bedacht werden, dass unter letzterer Forderung auch ziemlich teure Projekte herauskommen könnten, ohne echten Mehrwert. Wenn man neben ein Wohngebiet eine Bodenentgiftungsanlage baut, dann kann man noch so viel Qualität erhöhen, da will einfach niemand wohnen – es stinkt einfach. Dafür Geld rauszuschmeißen, wäre schlichtweg gröbster Unsinn und eine Verschwendung von Steuermitteln. Aber, wie bereits angemerkt, müsste hier im Einzelfall vor Ort entschieden werden; warum dieser Vorschlag im Landesprogramm steht, erschließt sich einfach nicht. Erwähnenswert ist meines Erachtens nach noch die Forderung nach einem Vorkaufsrecht der Kommunen für neu ausgewiesenes Bauland. Damit würden Bodenspekulationen verhindert, aber die Gewinne teilweise abgeschöpft; zwar wäre diese Maßnahme weniger gut, als Bodenspekulationen zu verhindern, aber bis geeignete Maßnahmen dazu gefunden sind, wäre den Kommunen mit Gewinnen aus Bodenverkäufen zumindest finanzell geholfen, vor allem, da einige der bundesweit ärmsten Kommunen im Ruhrgebiet befindlich sind.

Insgesamt finden sich unter diesem Abschnitt noch einige vernünftige Vorschläge, die ich hier nicht mehr einzeln aufführen will. Stattdessen möchte ich noch einige Worte zum ökologischen Umbau verlieren. Ein Verbot von Düngemitteln mit Glyphosat und Neonocitinoiden (zu diesem Thema und warum das Zeug verboten gehört, verweise ich auf das Buch von Marie-Monique Robin über Monsanto, siehe Buchempfehlungen) ist überfällig, auch das Verbot von Patenten auf Lebewesen findet meine uneingeschränkte Zustimmung, ebenso wie ein Verbot von Gen-Futtermitteln, Freilandversuchen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Bis die Auswirkungen von gentechnisch veränderten Lebensmitteln auch nur ansatzweise geklärt sind und die Unschädlichkeit dann gegebenenfalls festgestellt ist (was ich in vielen Fällen stark bezweifle), wäre ich auch für ein generelles Verbot von GVOs in Lebensmitteln zu haben. Auch die Förderung der ökologischen Landwirtschaft halte ich für unterstützenswert, wenngleich spezifizierte Pläne auch hier fehlen. Wie üblich: Gute Ziele, wenig Ansätze. (TOP)


Beim Thema Energiepolitik kommt sicher eines der größten Streitthemen nochmals auf: Die Verstaatlichung von RWE und EON. Zu diesem Punkt habe ich bereits einige Worte verloren, ansonsten halte ich die Rekommunalisierung von Stadtwerken und die Vergesellschaftung von Stromnetzen einfach für geboten, damit auch kleinere Bewerber nicht an der Teilhabe am Wettbewerb gehindert werden können. Auch die Förderung von ressourcenschonender Bauweise mit Leuchtturmprojekten in öffentlicher Hand (Rathäuser mit Regenwasserspülung bei Toiletten etc.) ist mal wieder etwas, das man kaum ablehnen kann – und ausnahmsweise mal mit diversen konkreten Ausgestaltungsvorschlägen hinterlegt. Doch auch hier muss ich noch einmal meckern: Wenn man das Programm liest, drängt sich der Eindruck auf, die Schreiber des Programms hätten absolut keine Ahnung vom Thema. Das Wort „Atomtransport“ vermittelt zwar einen Eindruck des gemeinten Themas, aber darunter fiele strenggenommen auch der öffentliche Nahverkehr, sogar wenn ich mich morgens aus dem Bett quäle, transportiere ich meine Atome vom Bett ins Bad. Ein Verbot dessen wäre eher schwierig durchzusetzen, ich plädiere daher für eine vernünftige Formulierung, die zwar bei verständlichen Ausdrücken bleibt, aber noch halbwegs wissenschaftliche Termini berücksichtigt.
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Die Punkte Daseinsfürsorge und Gesundheit halte ich an dieser Stelle ebenso kurz, wie im Parteiprogramm. Cross-Border-Leasing wird verboten, privatisierte Betriebe werden zurückvergesellschaftet, vor allem Strom- und Gasnetze. Der Preisaufsicht ist ebenfalls öffentlich. Nichts überraschendes. Ebenso wenig, wie es nennenswertes zum Thema Gesundheit gibt. Flachere Hierarchie in kommunalen Krankenhäusern. Ganz nett.
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Kommen wir also zum wichtigsten Thema der Landespolitik, der Bildung. Auch hier erstmal ein wenig Dampf ablassen. Phrasen wie „Die Linke.NRW fordert: […] Die Abschaffung von Konkurrenz und Druck, einhergehend mit einer umfassenden Demokratisierung, denn nur so können ein solidarisches Miteinander und selbstbestimmtes Lernen ermöglicht werden.“ darf man sich auch getrost sparen. Mich überkommt ein Brechreiz, wenn ich solches Gelaber erstmal massenhaft aus dem Programm sortieren muss, um sinnvolle Vorschläge zu finden. Ein kürzeres Programm motiviert auch viel eher zum Durchlesen, wenn man sich mal auf die aktuell angebrachten Themen konzentriert.

Denn gerade bei der Bildung finden sich mehrere gute Ansätze. Die Erhöhung der Bildungsausgaben von 4,5 auf 7% des BIP hören sich zwar nur wie ein normal linker Vorschlag an, ist aber nicht, wie häufig in der Politik aus dem Bauch heraus geschätzt, sondern orientiert sich an den Bildungsausgaben von Schweden – und kein Mensch kann mir erzählen, dass Schweden so unfassbar reicher ist als Deutschland, dass sich dieses Land nicht mehr Bildungsausgaben leisten könnte, wenn es denn wollte. Auch die Forderung einer Klassenstärke von 15 Kindern ist lernpsychologisch sinnvoll, wenngleich sich Studien gern darum streiten, ob nun die besten Ergebnisse bei 12 oder 18 Schülern erreicht werden. Die dafür notwendigen Lehrerstellen wären auch bei ca. 70% mehr Geld für die Bildung insgesamt zumindest in Ansätzen zu schaffen, und selbst Klassen von 25 oder 20 Schülern wären ja schon ein deutlicher Fortschritt gegenüber den gegenwärtigen Zuständen. Bei einer Klassenstärke von 15 Kindern und Jugendlichen wäre auch eine Gemeinschaftsschule bis zur 10. Klasse nicht mehr so schwachsinnig, und auch die Rücknahme von G8 findet nicht nur bei mir Zustimmung. Leider gibt es auch hier unsinnige Vorschläge, wie die Abschaffung von Noten und Sitzenbleiben, im gegenwärtigen Regelschulmodell vollkommen illusorisch, und auch die Abschaffung der Förderung von Privatschulen ist vollkommener Humbug. Welchen Sinn macht es, einer beispielhaft herangezogenen katholischen Privatschule die Förderung von 94% der Kosten zu entziehen? Die Schule müsste zumachen und der Staat müsste 100 % bezahlen. Ergo sind nicht alle „Förderungen“ von Privatschulen sinnlos, sondern teilweise höchst nützlich für das Land, das sich 6 % der Kosten spart, die im Beispiel vom entsprechenden Bistum getragen werden.

Immerhin finden sich hier auch nicht alltäglich zu hörende Anregungen, wie das integrative Einbeziehen von Behinderten nach UN-Konvention und die geplante Abschaffung der Förderschulen (die beim gegenwärtigen Zustand der Schulen allerdings noch bei weitem nötig sind), oder die mehrsprachige Alphabetisierung, die bereits in einigen Modellversuchen Erfolge zeigt. Dafür ist es aber auch notwendig, die immer mehr zusammengestrichenen DaZ (Deutsch als Zweitsprache)- bzw. DaF (Deutsch als Fremdsprache)-Stunden wieder zu erhöhen und die Mittel dafür bereitzustellen. Ferner werden noch unzählige Kleinvorschläge gebracht, wie ökologisches Essen für Schulkinder, stets mit der Möglichkeit auf vegetarisches und veganes Essen (bei der gegenwärtigen Schulausstattung zwar ein schöner Traum, aber vollkommen unmöglich umzusetzen), einen Sitzplatz für jedes Schulkind im Bus (schon eher einfach herzustellen, wenngleich auch mit einigen Kosten verbunden) und die Einstellung des „bedarfsdeckenden Unterrichts“, was nichts anderes heißt, als Lehramtsanwärter im Studium ohne assistierenden Lehrer auf Schüler loszulassen.

An den Universitäten sollen natürlich die Studiengebühren abgeschafft werden (bitte schnell, bevor ich nichts mehr davon habe!), die Lehramtsanwärter sollen dauerhaft betreut werden (sehr sinnvoll, aber eben auch mit Mehraufwand für Schulen und Universitäten verbunden; dem müsste also Rechnung getragen werden, da die Betreuungspersonen von Lehramts-Studenten eh schon aus dem letzten Loch pfeifen), die staatlich geförderte Rüstungsforschung soll beendet werden (verständlich aus der pazifistischen Tradition), der NC (Numerus Clausus) soll fallen, ein Master-Platz für jeden Bachelor-Absolventen soll garantiert werden (uneingeschränkte Zustimmung, absolut notwendig!!!) und ein barrierefreier Zugang für behinderte Studenten soll an allen Hochschulen des Landes gewährleistet sein. So viele tolle Vorschläge auf einem Haufen, es war ein Genuss diesen Teil des Programms zu lesen. Doch auch hier gibt es einige Vorschläge, die nur mit Vorsicht zu genießen sind. Beispiel hierfür ist die angestrebte Viertelparität in den Uni-Senaten (d.h. je ein Viertel der Stimmmacht entfällt im Senat auf Professoren, Studenten, wissenschaftliche Mitarbeiter und nichtwissenschaftliche Mitarbeiter) – das Verfassungsgericht hat in den 70er Jahren entschieden, dass die Professoren mehr als die Hälfte der Stimmen halten müssen. Hier müsste also erstmal ein neues Urteil des BverfG angestrebt werden; eine Viertelparität wäre aber auch nicht unbedingt sinnvoll. Als Übergang wäre es als Versuch meines Erachtens sinnvoller, die Professoren mit der größten Macht auszustatten, aber nur soweit, dass sie nicht allein alle eigenen Vorschläge durchdrücken können. Mein Vorschlag wäre: 40 % für Professoren, je 20 % für die anderen Teile; das Verfassungsgericht müsste aber erstmal von bisheriger Rechtsprechung abweichen. Auch die Aussagen zur Kinderbetreuung sind lesenswert, nicht nur, um das gesteckte Ziel, Plätze für 30 % der Kinder bereit zu stellen, sondern auch, um Frauen bessere Berufschancen zu bieten; wichtig finde ich auch, den Wert der Arbeit von Erziehern neu in die Debatte zu bringen. Solange man mit der Haltung „Die tun ja nix, was ich nich auch könnte“, herangeht und diese Leute mit Löhnen knapp überm Minimum abspeist, zeigt es eine Geringschätzung. In vielen anderen Ländern sind Erzieher hoch angesehen und es handelt sich um eine akademische Ausbildung. Die Diskussion darüber ist überfällig. Problem: Es kostet wie üblich einen Haufen Geld, und solange nicht auch mehr Geld vom Bund kommt, ist das ein tolles Ziel, das niemals erreicht werden kann…

Beim Thema Ausbildung gilt wieder einmal: Tolle Vorschläge, aber kein Plan. Klar sollen Unternehmen, möglichst ausbilden. Aber nach welchen Kriterien wird bewertet, welche Unternehmen das können? Klar kann man eine Kontrollstelle bilden, die die Qualität von Ausbildung bewerten und überprüfen soll, aber was macht eine gute Ausbildung aus und wer bildet nach welchen Maßstäben die Prüfer aus? Welche Auswirkungen haben diese Prüfungen? Fragen über Fragen. Der nächste Punkt zum Thema betriebliche Ausbildung gehört mal wieder überhaupt nicht in die Landespolitik, erst der vierte Punkt interessiert überhaupt irgendjemanden, der am 9. Mai den Landtag wählen will, und selbst dort mangelt es an Begründung. (TOP)


Es tut fast weh, deswegen weiter zur Kultur, da kann man nichts falsch machen, außer vielleicht die Finanzierung ansprechen. Denn wie üblich krankt es an zu wenig Geld. Die Reservierung von 10 % aller Plätze bei öffentlich geförderten Veranstaltungen für Erwerbslose (4 €), Kinder und Jugendliche (kostenlos) ist eine schöne Idee, was aber, wenn noch Plätze leer blieben? Prädikat: guter Ansatz, aber noch nicht spruchreif. Selbstverwaltete Kulturzentren, vor allem mit Fokus auf antirassistische und interkulturelle Angebote, schön, JeKI (Jedem Kind ein Instrument) weiterführen, auch gut, wenngleich die Folgen für die Musikschulen bedacht werden müssen. Um Kinder aus Familien ohne Tradition in der musikalischen Ausbildung überhaupt an ein Instrument heran zu führen aber sicher ein gutes Mittel. Auch bei Sportförderung kann man nichts falsch machen, sozialpädagogische Fanbetreuung ist dann doch ein interessanterer Punkt, ob es kostenloser Schwimmunterricht sein muss, darüber lässt sich streiten. Es dreht sich aber hier eigentlich um mehr Geld von bekannten Programmen. Und das ist, wie üblich, zu weiten Teilen vom Bund abhängig. (TOP)


Halbwegs interessant sind noch die geplanten Initiativen zum Thema Soziale Rechte. Das kommunale Wahlrecht sollen auch Nicht-Deutsche genießen, die medizinische Grundversorgung soll für jeden zugänglich sein (also auch für „Illegale“), das Thema Intersexualität soll einerseits in Schulen angesprochen werden, andererseits soll auch ein standesrechtlicher Stand dieser zwischengeschlechtlichen Menschen eingerichtet werden. Die Zeiten von geschlechtsdefinierenden Operationen (Entfernung von Penis, Gebärmutter etc. zur Festlegung eines Kindes auf ein Geschlecht) soll beendet werden. Zwar ein Thema, das nur relativ wenige Leute direkt betrifft, aber deshalb nicht weniger wichtig. Schön, dass auch das auf die Agenda gesetzt wird.

Kritisch sehe ich aber auch hier Vorschläge, die haftvermeidenden Maßnahmen auszubauen und die Zahl der Haftplätze zwingend nicht zu erhöhen. Wenn eine Haftvermeidung aus einem Sicherheitsinteresse nicht möglich ist und die Haftbedingungen aber verbessert werden sollen (dringend geboten), dann halte ich eine Erhöhung der Haftplätze zur Reduktion von Überbelegung für angezeigt. Also auch hier ein bisschen überidealistisch mit heißer Nadel gestrickt. Die Auflösung des Verfassungsschutzes halte ich sogar für absolut fatal. Zwar gibt es dort sicher auch Missbrauch der Macht, aber das gänzliche Fehlen eines Inlandsgeheimdienstes würde mir persönlich nicht so recht schmecken. Auch wenn man vielleicht ein paar Leute bei der NPD sparen könnte und den Laden endlich zumachen…
(TOP)


Zu den weiteren Punkten Senioren, Anti-Faschismus und Frieden/Entmilitarisierung spare ich mir nun auch die Ausführungen. Die Positionen sind bei 2 Minuten Nachdenken klar und passen ins Bild. Schöne Pläne, zu denen aber ohne entsprechende Bundesmittel einfach das Geld fehlt. (TOP)


Was bleibt also als Fazit? Die Landespolitik hat wenig zu sagen und ebenso sieht’s im Programm aus. Mindestens Drei Viertel von dem Geschwafel hätte man sich getrost sparen können, weil es entweder nur nette Vorschläge ohne irgendeinen konkreten Plan sind oder weil es einfach nicht in die Verantwortung der Landespolitik fällt. Trotzdem gibt es, wenn man diesen Teil streicht, einige gute Ansätze, die ich persönlich unterstützen kann. Wo die SPD eine Menge Vertrauen verspielt hat und die Grünen sich nicht gegen Schwarz-Grün bekannt haben, bieten die Linken eine Alternative. Freilich wird die Linke nicht mehr als ein Patt der klassischen Koalitionen bewirken können. Wenn man jedoch ur-linken Zielen den Vorzug geben will, ist eine Stimme für die Linken keine verlorene Stimme. Warum die Studiengebühren nur schrittweise abschaffen? Die Einführung passierte doch auch von 0 auf 500. Warum also, bei solch kruder Logik, SPD wählen und nicht Linke? Beispiel: Zumindest beim Bildungsthema halte ich viele Ideen für überdenkenswert, mehr noch, ich meine, man muss sich inhaltlich damit befassen, wenn man eine sachliche Debatte führen will. Die Linken könnte in NRW mitregieren, wenn die Bedingungen stimmen; ob sie es tun würden, ist die andere Sache. Die Linke wird nicht mitregieren, dafür hat sich die SPD zu sehr verlaufen in einem plumpen Populismus der Bundes-SPD gegen die Bundes-Linke (ursprünglich ja noch mit Oskar Lafontaine), gegen das bloße Nachdenken über neue Bündnisse, ohne die man nicht mehr auskommen wird. Doch die Spitzen weigern sich noch, diese Wahrheit anzuerkennen und deshalb wird die Linke für regierungsunfähig erklärt, wo eigentlich die SPD mit sich selbst beschäftigt sein sollte. Was das „bürgerliche Lager“ damit geschafft hat: Die (beiden) roten Parteien sind quasi aus dem Rennen und an die Grünen wanzt man sich an. Leichtes Spiel, in diesem Fall, für Rüttgers, der so oder so weiterregieren wird, wenn nicht Rot-Rot-Grün startet, und davon ist nicht auszugehen…

Bei vielen anderen Themen, nun ja, da hat die Landespolitik nicht viel zu melden. Da kann man sich bekannte bundespolitische Thesen ohne großartigen hintergründigen Mehrwert durchlesen.

Natürlich sind diverse Vorschläge der Linken blanker Unsinn. Aber das ist kein differenzierendes Kriterium. Ich kann keine deutliche Wahlempfehlung aussprechen für diese Linke in NRW. Ich kann auch nicht empfehlen, dieses Programm lesen zu wollen, wenn man nicht sehr viel Zeit hat und leidensfähig ist. Vielleicht lese ich auch noch andere Programme. Aber wahrscheinlich sind die genau so schlimm…

Siehe auch: Der Programmentwurf der Linken – eine kritische Betrachtung

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Brauchen wir ein Internet-Gesetzbuch?

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Die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries fordert ein Internet-Gesetzbuch. Freiheit im Internet bedeute für sie nicht Anarchie, so Zypries. Ok, sehen wir von dem wie fast immer völlig falschen Anarchie-Begriff einmal ab, der hier offenbar gemeint ist. Die “Regeln der analogen Welt müssten auch im Netz durchgesetzt werden”, heißt es weiter. Gerade Frau Zypries sollte als ehemalige Justizministerin doch am besten wissen, dass die “normalen” Gesetze genauso im Internet gelten. Zudem weiß auch sie, dass sie oft im Netz noch drastischer durchgesetzt werden können und durchgesetzt werden – oft in völlig absurdem Maße. Als ob das Internet in Deutschland nicht drastisch genug reglementiert wäre, als ob man nicht schon Angst haben müsste, wenn man schreibt “Firma A finde ich ja persönlich etwas besser als Firma B” sofort von Firma B wegen übler Nachrede oder Schmähkritik auf eine mindestens 5-stellige Summe verklagt zu werden und sie selbstverständlich Recht bekommt. Nicht zu vergessen natürlich die Hausdurchsuchungen oder Beschlagnahmungen, weil ein Jugendlicher eine Handvoll Lieder illegal heruntergeladen hat. Und natürlich das deutsche Abmahn”recht” als vielleicht der größte Hohn eines Rechtsstaates überhaupt. Gegenüber dieser Willkür wirkt selbst die Regentschaft Heinrichs des VII. wie eine Hochzeit der Vernunft.

Warum also ein eigenes Gesetzbuch für das Internet? Dort, wo die Regeln der “analogen Welt” nicht passten, müsse neues, netztaugliches Recht geschaffen werden, meint Zypries. Ein paar Punkte, die diesen Vorstellungen nach in dieses neue “NetGB” hineinsollten, klingen auf den ersten Blick auch ganz gut:  etwa ein Anspruch auf Internetzugang, Verankerung der Netzneutralität  oder Regelungen zum Daten- und zum Verbraucherschutz. Auch wenn diese Regelungen alle sehr sinnvoll (und oft längst überfällig) sein mögen, verstehe ich nicht, waum man dafür “eigenes Recht” schaffen sollte und dies nicht etwa als normale Gesetze beschließen kann . Oder übersehe ich da, als jurisischter Laie, etwas? Aber spätestens bei zwei Punkten, die genannt werden, wird meiner Einschätzung nach klar, worum es Zypries letztendlich vor allem geht, nämlich das Urheberrecht – und “nicht zuletzt” der Kinder- und Jugendschutz.

Auch als Ministerin kann man durchaus noch etwas Neues kennenlernen. (2)

Machen wir uns nichts vor: wenn man einen Blick auf die Vergangenheit von Brigitte Zypries wirft, dürften eine  erhebliche Verschärfung des Urheberrechts, für die sie schon als Justizministerin eingetreten war, und ein neuer Anlauf zu entweder Internetzensur oder ähnlichen drastischen Beschränkungen unter dem Deckmantel des “Kinder-und Jugendschutzes” im Vordergrund stehen. Damit hat sie sich ebenfalls häufig genug hervorgetan. Zypries’ Unterstützung der Netzsperren etwa dürfte ja bekannt sein (auch wenn sie jetzt auf einmal dann doch für die Variante des Löschens einzutreten scheint. Ein “Sinneswandel”, der nach ihrem energischen Eintreten gegen “Löschen statt sperren” nur zu durchsichtig ist). Will Zypries nun, da die SPD nach der Bundestagswahl plötzlich nicht mehr ihre Hardliner-Positionen in der Netzpolitik teilt, einen neuen Anlauf starten? Ich würde diese Möglichkeit als durchaus realistisch einschätzen. Gerade jetzt, wo die EU-Kommission einen neuen Anlauf zur Etablierung einer Zensurinfrastruktur im Internet startet, will sie das Feld wohl nicht der Union überlassen. Die SPD dann wäre sehr gut beraten, auf solche Vorschläge nicht einzugehen, sondern wirklich zu versuchen, dass damals (zurecht) verlorene Vertrauen auf dem Gebiet der Netzpolitik wieder zurückzugewinnen.

Zum Schluss noch ein lustiges Detail: Ausgerechnet Brigitte Zypries war ja – ungelogen! – zur “Internetpolitikerin des Jahres” (verliehen vom Verband der deutschen Internetwirtschaft) gekührt worden. Die einzige Auszeichnung, die das in letzter Zeit an Unangemessenheit noch toppte, war wohl der Bambi in der Kategorie “Courage” für Tom Cruise. Unvergessen bleibt wohl, wie Zypries nicht wusste, was ein Browser ist (siehe 1. Video). Und auch an die “Google SMS” kann ich mich noch gut erinnern. Ich war selbst im Publikum bei der Diskussion: der Saal dort war einigermaßen ratlos oder belustigt ob der Aussagen dieser “Internetexpertin” – wenn nicht (still) schockiert.

http://www.youtube.com/watch?v=X92GtG1G_hY

http://www.youtube.com/watch?v=m9lxt-w74uA

Bildquellen:

(1) Udo Springfeld / http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

(2) Mirko Lindner (Wikipedia) / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en

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Ganz lahme Aprilscherze

Heute, zum 1. April, warten wieder einige Medien mit mehr oder weniger lustigen Falschmeldungen auf. Aber manche dieser angeblichen Nachrichten sind schon so offensichtlich erfunden, dass es nicht schwer fällt, sie als Aprilscherze zu enttarnen.

Da werden wirklich die abenteuerlichsten Geschichten aufgetischt. Angeblich gibt es z.B. einen neuen Verdacht auf illegale Parteifinanzierung – gegen die FDP!!! Mein Gott, jede Partei, aber doch nicht die FDP! Nein, ganz im Gegenteil, die FDP tut sogar etwas gegen Korruption in anderen Ländern: die afghanische Regierung soll die Korruption stärker bekämpfen, wenn sie mehr Hilfsgelder von Deutschland erhalten will (außerdem will Dirk Niebel die deutsche Hilfe nur noch dort leisten, wo auch die Bundeswehr – nun sagen wir tätig ist. Hilfsorganisationen sollen nur gefördert werden, wenn sie mit der Bundeswehr zusammenarbeiten. Aber das bedeutet natürlich nicht eine Militarisierung der Entwicklungshilfe! Nein!!). Wenn man da von jemandem lernen kann, dann von der FDP!!1! Und natürlich bei den Steuern:

Und weil es an Bord auch nicht ganz so ernst zu gehen soll, probiert Niebel noch den ein oder anderen Witz. “Wir zeigen denen noch wie sie Steuereinnahmen bekommen”, sagt Niebel und meint die afghanische Regierung. Und er rundet die Anspielung auf die deutsche Debatte um Steuersenkungen noch ab: “Wir sind ja nicht generell gegen Steuern.” Niebel grinst.

Ein wahrlich köstliches Bonmot! Beim Thema Steuern sind aber auch andere Parteien zu Scherzen aufgelegt: die CDU-Mittelstandsvereinigung sagt, sie wünsche sich beim Thema Steuersenkungen weiter klare Worte von der FDP. Diese müsse dabei “Treiber der schwarz-gelben Koalition sein” sein und auf ihrer Forderung nach schnellen Steuersenkungen beharren. Sehr lustig, CDU! Damit wollt ihr der FDP wohl den Rest geben. Mit Leuten (oder Parteien), die am Boden liegen, treibt man nicht solch üble Späße!

Oder noch einmal zurück zur Korruption: Man ist sich tatsächlich nicht für einen so billigen Scherz zu schade, zu behaupten, dass derzeit strafrechtliche Verfahren in über hundert Fällen gegen Mitarbeiter von verschiedenen Bundesministerien wegen Verdachtes auf Korruption laufen würden! Korruption!?! Bei unseren Ministerien!?!!So etwas von unglaubwürdiges habe ich ja selten gelesen (außer gerade die Sache zur FDP)!! Nein nein, liebe Presse, da müsst ihr schon etwas kreativer sein!

Oder der: der Heilige Vater muss sich angeblich billiger juristischer Tricks bedienen: seine diplomatische Immunität als Staatsoberhaupt des Vatikans müsse herhalten, damit er nicht vor einem US-amerikanischen Gericht erscheinen muss (dort gibt es eine Sammelklage, in der der katholischen Kirche vorgeworfen wird, sie habe Missbrauchsfälle toleriert). Als ob der Stellvertreter Gottes auf Erden so etwas nötig hätte!!1! Und als ob er als Verkünder der Botschaft Jesu Christi nicht für das Wahre und Gute stehen würde! Oder das: ausgerechnet DER Botschafter der Toleranz, Versöhnung und Nächstenliebe, Walter Mixa, soll Kinder geschlagen haben? Als ob das irgendjemand glaubt!!!1 Sehr souverän ist dagegen der Umgang der Kirche, die sich “ausdrücklich zivilrechtliche und strafrechtliche Schritte” vorbehält!

Nein, das ist doch alles viel zu offensichtlich!!1! Das hält doch niemand für bare Münze. Aprilscherze müssen subtiler sein! Bei diesen Meldungen muss man doch höchstens mal ganz kurz leise verstohlen schmunzeln.

http://www.youtube.com/watch?v=zj23pMdQBZ8

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Von Zensursula zu Cencilia

Netzsperren: Auf ein Neues!

EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat einen Richtlinienplan vorgestellt, in dem u.a. auch Internetsperren gegen Kinderpornografie vorgesehen sind. Die Rhetorik und die Unredlichkeit der Argumentation sind ähnlich wie bei der Zensursula-Debatte und auch längst widerlegte Argumente der Zensursbefürworter werden recycelt. Die Vorschläge gehen dabei noch weiter als die vor der Bundestagswahl von Zensursula von der Leyen.

Während aber hier Wolfgang Schäuble indirekt zugegeben hatte, dass es sich bei den damaligen Plänen von Zensursula von der Leyen auch um ein Wahlkampfmanöver handelte, können derartige Motive diesmal nicht angenommen werden. Vielmehr scheinen tatsächlich der Aufbau einer Zensurinfrastruktur im Vordergrund zu stehen – zur Linie der EU-Kommission, zumal seit dem Lissabonvertrag, passt dies allemal. In der EU herrschen schon länger neokonservative Parteien und Einstellungen vor. Liberale Positionen git es meist nur noch in der Wirtschaftspolitik, wo grenzenlose Privatisierungen wie ein Götze verehrt werden. Auf dem Gebiet der Bürgerrechte hingegen macht es keinen großen Unterschied, ob sich die Parteien konservativ oder liberal nennen (oder sich selbst einer “Sozialdemokratie ” der “neuen Mitte” zurechnen). Das gilt auch für Cecilia Malmström, auch bereits als “Cencilia” oder “Censilia” bezeichnet. Denn ein genauerer Blick auf ihre politischen Tätigkeiten lässt sie schnell als Schönwetterliberale erscheinen.

Foto: AK Zensur / Lizenz: CC-BY

Wer ist Cencilia?

Vor ihrer Tätigkeit in der EU-Kommission galt Cecilia Malmström durchaus als große EU-Befürworterin, fiel aber in Europa zunächst eher mit ein paar Aktiönchen wie einer Initiative für Brüssel als einzigen Sitz des Europa-Parlaments auf. Sie trieb dann aber mit der konservativ-liberalen schwedischen Regierung  den Lissabon-Vertrag voran, besonders nach dem ablehnenden ersten Votum der Iren. Sie tat dies in Schweden, wo sie für die Ratifizierung eintrat und für das sie auch den Beitritt zur Währungsunion anstrebt, und auch in anderen europäischen Ländern, wo etwa Druck auf die polnische und tschechische Regierung ausgeübt wurde. Angesichts der im Lissabon-Vertrag vorgesehenen Möglichkeiten etwa zur Einschränkung der Grundrechte schon mal ein schlechtes Zeichen.

War sie vor ihrer Tätigkeit in der EU-Kommission eine heftige Kritikerin der EU-Direktive zur Vorratsdatenspeicherung, will sie diese nun lediglich (im Zeitraum bis September) hinsichlich rechtlicher Aspekte überprüfen lassen. Sie sah aber in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland auch keinen Widerspruch zur EU-Richtlinie, die “großen Spielraum lasse” und eine Umsetzung erlaube, “die mit den Grundrechten der deutschen Verfassung konform geht”. Eine grundsätzliche Kritik sieht ander aus, wirklicher Liberalismus sieht anders aus. Das geplatzte SWIFT-Abkommen mit den USA verteidigte sie ebenfalls. Es sei zwar nicht ideal, beinhalte aber genügend Einschränkungen und Auflagen (“begründeter Verdacht” und ähnliches). Beim Vorgehen zu SWIFT wurden alle demokratishen Defizite der EU bis aufs Äußerste ausgereizt – und darüber hinaus.  Nach der Ablehnung durch das Parlament will sie nun eine neue Vereinbarung “mit ambitionierten Sicherheitsstandards für die Privatsphäre und den Datenschutz erreichen”. Wenn man solche Phrasen hört, wird es klar, wo bei der Frage vermeintliche Sicherheit versus Freiheit die Prioritäten liegen. Malmström trat zwar letztes Jahr für eine Erweiterung der Europäischen Union auf die Balkanstaaten und die Türkei ein, legte aber unlängst einen Vorschlag zur Neuorganisation der umstrittenen EU-Grenzschutzagentur Frontex vor, der “ein einheitliches und hohes Kontroll- und Überwachungsniveau” gewährleisten soll. Er sieht etwa neue Hubschraubern, Schiffen oder auch Drohnen zur “Migrationsabwehr” und auch das Sammeln und Prozessieren von Personendaten vor. Malmström treibt damit den Ausbau der Festung Europa voran.

Ein “liberales” Bild ergibt sich eher in einem anderen Blickwinkel, wenn man nämlich auf die wirtschaftspolitischen Positionen schaut. Auf die “Liberalen” kann man sich immer noch verlassen, solange e nicht um die Interessen der Bürger, sondern der Wirtschaftselite der Industrieländer geht. Der Vorschlag einer Finanztransaktionssteuer lehnte Malmström im November (in ihrer Zeit als schwedische Euopaministerin) ab. Sie sei global nicht einzuführen, auf EU-Ebene “eher kontraproduktiv” und schade der Wirtschaft. Kritik an ihr kam auch auf bei einem Angebot auf dem Klimagipfel in Kopenhagen, das Malmström als  Beweis der “Führungsrolle der EU” bezeichnete. Dabei hatten die EU-Regierungen den Entwicklungs- und Schwellenländern aber lediglich 6,7 Milliarden Euro zusagen wollten, was jedoch als viel zu gering eingeschätzt wurde. Malmström hatte dagegen immer wieder betont, wie wichtig ihr der Umweltschutz sei.

Die “liberalen” Positionen von Cenculia Malmsträm erscheinen also insgesamt gesehen ziemlich leicht wandelbar – wie die der “liberalen” Parteien in der EU. Das liberale Europa ist tot.

Wie geht es weiter?

Über die Richtlinie würde der EU-Ministerrat abstimmen, aber eine qualifizierte Mehrheit würde reichen. Die Maßnahmen wären dann verpflichtend. Im Europäischen Parlament signalisiert sich Ablehnung von weiteren Teilen, aber für ein genaues Stimmungsbild ist es noch zu früh. Die CDU-/CSU-Europagruppe will sich dem Vorschlag anschließen. Es könnte also zum Streit in der Koalition kommen, in dem bei einer FDP, die sich zur Zeit stark selbst geschwächt hat,  extrem fraglich, ob sie sich wird durchsetzen können. Und wie nicht anders zu erwarten, steigen auch die deutschen Medien wieder in die Kampagne ein, so unseriös, uninformiert und schlicht falsch wie letztes Jahr bereits (allen voran das neue CDU-Staatsfernsehen und Springer).

Zudem muss man auch betrachten, dass viele Staaten inzwischen Zensurgesetze eingeführt haben – und dort, genau wie die Gegner derartiger Gesetze warnen, nicht nur kinderpornografische Seiten gesperrt werden. Die demokratischen Möglichkeiten in der EU sind außerdem weniger weit als auf nationaler Ebene, die Politik, auch beim Entstehen dieses Entwurfs, findet meist hinter verschlossenen Türen statt. Neben dem Parlament wird viel davon abhängen, ob sich die Europäische Zivilgesellschaft zu vernetzen und Einfluss auszuüben vermag – die besseren Argumente sind auf ihrer Seite.

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