Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 3-7

Nach Tag 1 und Tag 2 ging die Meinungsmache in den Medien gegen eine rot-rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen auch in den darauffolgenden Tagen weiter. Hier die Beobachtungen von Tag 3 (Mittwoch, 12. Mai) bis 7 (Sonntag, 16. Mai):

Tag 3 (Mittwoch, 12. Mai):

Hart aber fair stellt sich ganz klar in die Reihe plumper Anti-Rot-Rot-Grün-Kampagnen. Natürlich war von jeder Partei ein Politiker zu Gast. Außer von der Linken. Naja, es ging ja nur in einem recht großen Teil der Sendung (um was ging es da eigentlich? Unklar. Von allem ein bisschen, kein klares Thema) auch um sie. Nein, dass bei solch einem Thema alle Parteien außer der, über die am meisen diskutiert und gegen die v.a. polemisiert wird, nicht eingeladen ist, halte ich für einen medienpolitischen Skandal.

V.a. Moderator Plasberg bediente sich aller Mittel der Meinungsmache gegen Rot-Rot-Grün, die schon zahlreiche Medien in den vergangenen Tagen verwendet hatten, sowie mehrerer direkter und auch persönlicher Angriffe (auf die Linke und auf Hannelore Kraft). Mittel waren z.B. der Vergleich mit Ypsilanti, die Bezeichnung von Krafts Äußerungen vor der Wahl als “Tarnfloskeln”, Sätze wie “Glauben Sie wirklich, dass die Wähler so dumm sind?”, Ausschnitte aus der Report Mainz-Sendung, die Rote Hilfe. Die einzigen inhaltlich angesprochenen Punkte waren die Frage des Verhältnisses der NRW-Linken zur DDR und zur RAF. Andere Theme, so Plassbeck, müssten da doch im Hintergrund stehen.

[Anmerkung: Ich habe nie verstanden, was Hart aber fair groß von anderen Sendungen wie Anne Will oder Maybrit Illner unterscheiden soll. Es ist doch auch meist die selbe einseitigen Systemmedien-Propaganda, auch wenn der Moderator nicht ganz der unkritische Stichwortgeber ist.]

Naja, weiter ging es im Internet im Hart aber fair Faktenchek:

Daniel Bahr, Mitglied im Bundesvorstand der FDP, sagt, in NRW wird die Linke nicht nur als Partei vom Verfassungsschutz beobachtet. Selbst einzelne Personen des Landesverbandes stünden unter Beobachtung. Stimmt das?

Andreas Blätte: Grundsätzlich beobachten die Verfassungsschutzämter gegen die politische Ordnung des Grundgesetzes gerichtete Bestrebungen bei politischen Organisationen. Ohne die Beobachtung der Aktivitäten von Einzelpersonen kann dies nicht erfolgen. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht (März 2010) werden extremistische Zusammenschlüsse als wichtiger Bestandteil der Partei “Die LINKE” gesehen. Dort heißt es unter anderem: “Bis heute hat sich der Landesverband NRW der Partei ‘DIE LINKE’ nicht von eindeutig linksextremistischen Zusammenschlüssen in seinen Reihen getrennt, sondern deren organisatorische Zulässigkeit sogar bestätigt. Dies gilt auch für die Mitglieder trotzkistischer Gruppen, die durch ihre Mitarbeit in der damaligen WASG in die ‘DIE LINKE’ gelangten. Durch die Mitgliedschaft von Sarah Wagenknecht im Landesverband wurden die extremistischen Bestrebungen, insbesondere die ‘Kommunistische Plattform’, weiter gestärkt.”

→ Das hier aus dem Verfassungsschutzbericht zitiert wird, ist ja legitim im Hinblick auf die Frage. Andererseits hätte man durchaus noch wenigstens den Hinweis bringen können, dass die Linke nur in Ländern mit schwarz-gelber Regierung beobachtet wird und dass ein Auftauchen in einem Verfassungsschutzbericht noch lange nicht Verfassungsfeindlichkeit beweist. Siehe auch: Ist die Linke verfassungsfeindlich?

Über die Sendung berichete auch noch die Springer-Presse: Late Night “Hart aber fair”: Hannelore Kraft sitzt in der Ypsilanti-Falle (Welt.de)

Die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft wirkte bei “Hart aber fair” tatsächlich so, als wolle sie mit den Linken eine Koalition anstreben. Ein Wortbruch, der schon Andrea Ypsilanti in Hessen das politische Genick brach. (…)

Der Eindruck verstärkte sich auch bei „Hart aber fair“, dort verliefen die Fronten klar zwischen den Bürgerlichen und den Linken. Eine Jamaika-Koalition oder die Ampel schienen praktisch ausgeschlossen und alles wirkte so, als ob die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft tatsächlich ein Bündnis mit den Erben der SED anstrebt. (…)

Mit wem sie sich da einzulassen gedenkt, führte Frank Plasberg Hannelore Kraft anschaulich vor. Sieben der elf Abgeordneten gehörten extremistischen Gruppen an, berichtete der Moderator (…) „Ausloten“, „sondieren“ und „erstmal abwarten“ wollte Kraft trotzdem und erinnerte mit ihrer wachsweichen Beliebigkeit ein wenig an ihre hessische Kollegin Andrea Ypsilanti. (…)

→ Wieder die üblichen Mittel: Vergleiche mit Andrea Ypsilanti, SED-Nachfolgepartei, einfach in den Raum geworfene Vorwürfe (“extremistische” Gruppen).

Jörges erinnerte daran, dass auch Joschka Fischer und Otto Schily als Straßenkämpfer beziehungsweise RAF-Anwalt begonnen und sich später zu respektierten Politikern gemausert hätten. Als Argument für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei taugt das jedoch nicht, denn regierungs- und koalitionsfähig wurden Fischer und Schily erst, nachdem sie sich glaubhaft von den Dummheiten ihrer Jugend verabschiedet hatten.

→ Als Anwalt zu arbeiten ist also eine Jugenddummheit? Und was sind denn die derzeitigen “Dummheiten” genau?


Außerdem in den Medien am Mittwoch:

Sondierungsgespräche in der kommenden Woche: Rot-Grün lädt zu Gesprächen (WDR.de)

Auch die Fraktionsvorsitzende der NRW-Grünen, Sylvia Löhrmann, wollte Gespräche mit der Linken nicht grundsätzlich ausschließen. Man müsse in den anstehenden Gesprächen herausfinden, ob die Linkspartei regierungs- und handlungsfähig sei. Dazu gehöre, ob sie von ihren Vorstellungen wie der Zerschlagung des Schulsystems in NRW, der Verstaatlichung von Energieunternehmen oder der Abschaffung des Verfassungsschutzes Abstand nehme, sagte Löhrmann im ARD-“Morgenmagazin”: “Wenn die Linkspartei nicht bereit ist, sich klar demokratisch aufzustellen, dann kommt sie als Partner nicht in Frage.”

(Inzwischen steht auf der Site ein anderer Text. Zuvor war dort jedoch das Zitierte zu lesen.)

→ Man muss viele Punkte wie Verstaatlichungen nicht gut finden und kann sie auch als alles mögliche bezeichnen – antidemokratisch sind sie gewiss nicht. Wie sieht es mit den Forderungen zum Schulsystem aus?  Ein Jahr länger oder kürzer gemeinsame Schulzei soll den entscheidenden Unterschied machen?


Sondierung in NRW: Kraft vergrault die FDP (Focus.de)

→ Angesichts der Erpressungsstrategie der FDP und ihrem selbst gewählten Ausstieg aus Gesprächen ist eine solche Überschrift an Dreistigkeit wohl kaum zu überbieten.



Tag 4 (Donnerstag, 13. Mai):

Grünen-Chef Özdemir zu NRW: “Das wird kein Zuckerschlecken” (Spon)

SPIEGEL ONLINE: Dennoch müssen Sie den Menschen in NRW erklären, dass die Grünen plötzlich mit einer Partei wie der Linken verhandeln, die man zuvor als nicht regierungsfähig definiert hatte.

Özdemir: Wir haben eigentlich zwei nicht regierungsfähige Parteien: Linkspartei und FDP. Eine Partei, die über die Kopfpauschale einen Spitzensteuersatz von über 70 Prozent nötig machen würde, aber gleichzeitig unbelehrbar weiter irgendwie die Steuern senken will – ist die ernsthaft regierungsfähig? (…) Beide – FDP und Linke – brauchen gute Aufpasser an ihrer Seite.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt nach großen Mühen. Ist die Opposition da nicht die bessere Alternative?

→ Özdemir versucht in dem Interview seinen NRW-Parteikollegen zu “erklären”, dass sie eine Koalition mit FDP oder linken gleich schlimm finden müssten. Der Fragesteller ergreift außerdem relativ eindeutig Partei. Bei Schwarz-Rot, so die intendierte Botschaft, gäbe es die “Probleme” nicht.

SPIEGEL ONLINE: Regieren die Grünen in Düsseldorf in NRW mit, heißt das für die CDU Opposition. Das Ende des schwarz-grünen Projekts?

→ Was für ein schwarz-grünes Projekt denn? Und wieso sollte es wegen einer Landesregierung das Aus bedeuten? Sollen hier bei Anhängern einer solchen Koalition Befürchtungen geweckt werden?


Koalitionscheck: Wer kann mit wem in NRW? (FR-online.de)

Rot-Rot-Grün

Doch nicht nur extreme Linken-Forderungen nach einer “Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien” und der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wären schwer mit den Partnern vereinbar. Auch wollen SPD und Grüne die Studiengebühren schrittweise, die Linkspartei aber sofort abschaffen.

→ Es dürfte relativ klar sein, dass die Linke nicht alle Forderungen würde umsetzen können, v.a. die beiden zuerst genannten Punkte. Beim dritten Punkt wäre es wohl angeraten, auf ihre Forderung einzugehen, auch damit SPD und Grüne eine Glaubwürdigkeit behalten.

Prognose: Bei den SPD-Funktionären in Nordrhein-Westfalen gibt es zwar Sympathien für Rot-Rot-Grün. Im Berliner Willy-Brandt-Haus möchte man diese fragile Konstellation aber keinesfalls ausgerechnet mit den besonders radikalen NRW-Linken ausprobieren. Würde das Bündnis nämlich scheitern, wäre die Machtperspektive für 2013 im Bund verbaut.

→ In der Meinung mancher im Willy-Brandt-Haus sicher richtig, allerding würden Worte wie “in ihren Augen” das deutlich machen. So steht es da, als wäre es ein objektiver Fakt.


Leitartikel: Experiment mit Rot (FR-online.de)

In diesem Artikel wird zwar letztendlich für Rot-Rot-Grün argumentiert, allerdings werden auch ein paar Argumentsmuster der Gegner von Rot-Rot-Frün gebraucht. V.a. die Linke müsse sich ändern, so die Botschaft. Freilich kann man, wenn es keine rot-rot-grüne Koalition geben sollte, leicht auf die linken “Betonköpfe” als Rechtefrtigung zurückgreifen.

Nicht nur beim Cannabis, sondern auch in Sachen Berechenbarkeit steht die FDP in diesen hektischen Tagen dem linken Antipoden also nicht nach. Dieser verlegt sich darauf, in schönster Allgemeinheit einen “grundlegenden Politikwechsel” zur Bedingung einer rot-grün-roten Koalition zu erklären. Ob dafür die SPD gleich das ganze Linken-Programm übernehmen müsste, einschließlich “Vergesellschaftung” der Energiekonzerne, 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und Neubewertung der DDR-Vergangenheit, bleibt vorerst unklar. (…)

Die Landes-SPD muss schon sehr genau hinschauen, mit wem sie sich da einlässt. Und sie muss in Verhandlungen genau bestimmen, ob sie diesen Partner domestiziert bekäme.

→ Die häufig geäußerte Ansicht, dass die Forderungen radikal seien usw. ist ja aus mancher Position nachvollziehbar. Aber woher kommt eigentlich das mit der Unberechenbarkeit? Glaubt man wirklich, dass die Linke nicht auf eine Koalition eingehen würde, wenn nicht alle ihre Forderungen erfüllt werden (dann wären allerdings einige Vorwürfe berechtigt)? Und heißt domestizieren nur, die wirklich radikalsten Forderungen nicht umzusetzen und Einbindung in die Regierungsarbeit, oder heißt es Einbindung in die neoliberale “Neue Mitte”/ “Dritter Weg”-Politik?

Tag 5 (Freitag, 14. Mai):

Die Süddeutsche hat inzwischen offensichtlich auch die Report Mainz-Sendung gesehen:

Die neue Linke-Fraktion in NRW – Die Spitze des Wahnsinns

Beuermann rangiert auf Platz 22 der Erstunterzeichner des Gründungspapiers der sozialistischen Linken. Darin stehen auch diese Sätze. “Die DDR war ein legitimer Versuch, auf deutschem Boden eine Alternative zum Kapitalismus aufzubauen. Sie hat beachtliche Erfolge in der Herstellung sozialer Gerechtigkeit, im Bildungswesen und der Erwerbstätigkeit der Frauen erreicht.”

→ Dass die DDR ein Versuch war, eine Alternative zum Kapitalismus aufzubauen, kann ja nicht bestritten werden. Ob er legitim war, kommt darauf an, für wen, welche Kriterien man anlegt usw. Auf jeden Fall ist er gescheitert. Und auf manche Erfolge etwa in der Bildungspolitik oder bspw. bei Krippenplätzen wird heute von vielen Seiten, nicht nur von DDR-Nostalgikern, verwiesen. Dämonisierungen nützen genauso wenig wie Glorifizierungen.

Aber v.a., was die Süddeutsche nicht zitiert, der Text geht noch weiter:

Auf der anderen Seite stehen jedoch auch die Unterdrückung von Opposition und der Mangel an Rechtsstaatlichkeit. Gescheitert istdie DDR letztlich an mangelnder Demokratie und ineffizienter Ökonomie.”

Dies wirft ein vollkommen anderes Bild auf, als das, was die Süddeutsche zu zeichnen versucht. Weiter in ihrem Artikel:

Von den Reportern gefragt, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, antwortet Böth freimütig: “Insgesamt, in toto, kann man das, glaube ich, so nicht sagen. (…)

→ Hier gilt es aber ebenfalls zu differenzieren bei solch einem zutiefst unklaren Begiff. Meint man die formale Gültigkeit und Verfolgung von Rechtsnormen, kann man sicher nicht sagen, dass die DDR generell ein Unrechtsstaat war. Macht man aber die Gültigkeit von elementaren Menschen- und Bürgerrechten zum Maßstab, kann man da mit guten Gründen anderer Meinung sein. [Ich bin es auch. In der DDR wurde nach einem Rechtssystem gehandelt, aber dieses ist an sich – politisch und ethisch – zu kritisieren, stellte zwar vielleicht Recht, aber keine Gerechtigkeit dar.] Pauschale Antworten sind auf komplizierte Fragen nicht einfach zu geben (allerdings schadet sich die Linke mit solchen und ähnlichen Äußerungen immer wieder selbst, und die Einstellungen dahinter sind in manchen Fällen wohl durchaus höchst problematisch).

Weiterhin wird über von der Bundesregierung oder einer Verfassungsschutzbehörde des Bundes oder eines schwarz-gelben Landes als “linksextremistisch” bezeichneten Organisationen berichtet (Rote Hilfe, Antikapitalistische Linke). Und es gibt den Vorwurf, dass drei Abgeordnete der PKK nahestünden; dann relativiert sie, dass zumindest zwei die Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland “Ye-Kom” (eigentlich YEK-KOM) unterstützten, die laut Süddeutsche “als eine Art legaler Arm der PKK in Deutschland agiert” – und dass diese gar offen zur Wahl der drei Linken-Politiker aufgerufen habe! Sollen sie es ihr verbieten oder was? Weiter dann:

Ein solches Bündnis ließe sich ohnehin nur mir viel Mühe schmieden. Die Linke hat dafür hohe formale Hürden gesetzt. Bevor es zu Koalitionsgesprächen kommen kann, muss ein Sonderparteitag das Vorhaben absegnen. Später müsste ein Koalitionsvertrag erst einen Mitgliederentscheid überleben.

→ Oh nein, innerparteiliche Demokratie, so etwas mag die “Wir brauchen endlich wieder Führungsstärke!”-Presse gar nicht.

Sozialdemokraten und Grüne, denen noch immer nicht die Lust an einer Zusammenarbeit mit der Linken in NRW vergangen ist, sollten sich einige Wahlplakate der Linken aus dem Landtagswahlkampf in Erinnerung rufen. Was da stand, kann nicht gerade als Bewerbung für ein rot-rot-grünes Linksbündnis gewertet werden. “Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten”, heißt es auf einem Plakat. Auf einem anderen: “Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern.”

→ Hier zeigt sich der Artikel offen wie sonst kaum einer als reine Meinungsmache, als plumpe Agitation gegen Rot-Rot-Grün.

Antiferengi schreibt dazu:

Thorsten Denkler von der Süddeutschen, sieht in der LINKENspitze in NRW die Spitze des Wahnsinns und versucht diese nach Bildzeitungsmanier ins Lager der Extremisten und DDR-Gläubigen tot zu analysieren. Dabei knüpft er gängige und vom neoliberalen Lager seit Jahrzehnten gepflegte Volksängste an Allgemeinplätze wie SED, DDR und RAF, – die wie Stichworte dem unbewussten Automatismus dieser Ängste auf die Sprünge helfen sollen. Gekonnt konstruiert er Assoziationen, welche einem Guido Westerwelle alle Ehre des Demagogentums das Wasser hätte reichen können. Aber Denkler ist kein Demagoge. Er ist ein armer Kerl der nur noch das hören will, was ihn seit jahrzentelangem Meinungskonsum selber verführt hat. Zu armselig sind seine Platitüten, mit welchen er in Manier eines Hexenjägers Personen und Allgemeinplätze zu einem Schreckgespenst versucht zu konstruieren.



Und allerdings, es ist erstaunlich, aber die Bild tut sich fast schwer, die Süddeutsche noch zu überbieten: Verfassungsschutz: 7 Mitglieder der Linkspartei-Fraktion werden überwacht

Denn sieben der neuen Abgeordneten unterhalten intensive Kontakte zu eindeutig extremistischen und vefassungsfeindlichen Organisationen.

→ Wären sie wirklich eindeutig extremistisch und verfassungsfeindlich, würden sie verboten. Und würden tatsächlich alle Organisationen verboten, die eine Verfassungsschutzbehörde überwacht, gäb es in Deutschland einen massiven Shift nach rechts und in Richtung autoritärer Staat.

Michael Aggelidis (47, Jurist) aus Bonn, bekennt sich zur „Antikapitalistischen Linken“, einer ultralinken Strömung innerhalb der Partei. Sie stellt laut Verfassungschutz die Systemfrage.

→ Ok, schauen wir doch mal in den Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen (S. 61):

Die Forderung nach einer Überwindung des Kapitalismus zugunsten eines demokratischen Sozialismus‘allein ist noch nicht zwingend extremistisch. Das Grundgesetz sieht keine bestimmte Wirtschaftsordnung vor, solange die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), die freie Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte (Art. 12 GG), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) und die Eigentumsgarantie (Art. 14GG) gewährleistet sind.

Die Umsetzung der systemverändernden bzw. -überwindenden Ansätze in den Positionen der Bundes- und der Landespartei in Gänze ist aber ohne die Missachtung zumindest einzelner Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kaum vorstellbar. ‘DIE LINKE*‘ stellt jedenfalls programmatisch die „Systemfrage“, ohne ein alternatives System zu beschreiben, das mit dem Grundgesetz vereinbar wäre.

→ Solche Relativierungen liest man immer wieder beim Verfassungsschutz. Ich würde wirklich gerne wissen, wo denn die FDGO genau verletzt werden soll bzw. welche der im ersten zitierten Absatz dargestellten Grundsätze wie verletzt würden. Entweder kann man oder will man diese Frage nicht beantworten (denn dann gäbe es kaum eine Legitimierung mehr, die Linke zu überwachen).


Ach ja, und der bei Report Mainz gezeigte DDR-Flagge-Hisser und “Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!”-Sänger war gar nicht von der Partei Die Linke, sondern von der Partei Die Partei (Die Partei, Neues Deutschland, junge Welt).

Tag 6 (Samstag, 15. Mai):

Heute gab es v.a. Berichte über den Parteitag der Linken, freilich auch oft undifferenziert und polemisierend BBotschaft meist: die Linke ist heillos zerstritten), aber NRW spielte in den Artikeln eher am Rande eine Rolle. Außerdem in der Presse:

Linkspartei in NRW: Scheitern soll es an den anderen (FAZ.net)

Die Linkspartei hat zwar verkündet, dass sie in NRW mitregieren will. In Wahrheit sind sich die Linken damit aber nicht ganz sicher. Ein Grund für das Zögern: Das Personal in Düsseldorf ist nicht ganz unproblematisch. (…)

Insgesamt aber überwiegt in der Bundesführung der Partei die Skepsis, dass ein solches Bündnis Heil brächte. Der bisherige Politikansatz „Wir und die anderen“, mit dem die Linkspartei gut gefahren ist, wäre endgültig dahin.

→ Aus der Partei selbst hört man ganz andere Stimmen. Wie kommt es, dass die Presse immer etwas anderes hört?

Doch das ist nichts Besonderes in der Linkspartei Nordrhein-Westfalens. Deren führende Politiker gehören zur „Antikapitalistischen Linken“ oder „Sozialistischen Linke“. Reformer, so heißt es in der Partei, schlössen sich wider ihrer Überzeugung einer dieser Strömungen an, weil sie sonst im Landesverband keine Karriere machen könnten.

→ Aber wenn das stimmt, hieße das nicht, dass vielleicht einige der Linken-Politiker gar nicht so radikal wären? Was denn nun?

Und dann kommen mal wieder Zitate aus der Report Mainz-Sendung. Außerdem geht es auch hier um die drei kurdischen Abgeordneten und die Yek-Kom.

Atalan sagt dazu, dass der Wahlaufruf von Yek-Kom nichts zu sagen habe; viele Migrantenorganisationen hätten zu seiner Wahl aufgerufen, weil er in der Flüchtlingshilfe aktiv sei.



Rot-grün-rote Gespräche: In NRW droht eine Koalition, die keiner will (Welt.de)

Die keiner will? Ganz sicher ist nur, dass die Springer-Presse sie nicht will, um keinen Preis. Ein paar Zitate aus dem Artikel: ” Hort des Wahnsinns” (wieder mal), “irrlichterndes Personal”,

Die meisten Mitglieder der elfköpfigen Fraktion im NRW-Landtag sind in den offen extremistischen Vereinigungen innerhalb der Partei wie der Sozialistischen Linken oder der Antikapitalistischen Linken organisiert und gehören zum „typischen Grauzonenfeld zwischen linken Bündnissen und Linksextremismus“, wie ein Verfassungsschützer meint.

→ Zuerst “offen extremistisch”, und dann sieht sie nicht mal der Verfassungsschutz als eindeutig extremistisch, sondern in einem mysteriösen “Grauzonenfeld”?

Außerdem, so die Welt, wollten die meisten der Abgeordenten der Linken angeblich nicht in die Regierung in NRW. Na dann muss sie sich ja keine Sorgen machen, oder?

Tag 7 (Sonntag, 16. Mai):

Sollte heute tatsächlich der erste Tag ohne Anti-Rot-Rot-Grün-Propaganda sein? Ich habe sicherlich nur etwas übersehen, oder es kommt noch was im Verlauf des Abends.

UPDATE:

Der Focus lässt seinem Hass mal richtig freien Lauf. Parteitag (danke an Recotard für den Hinweis!):

Linke in der Schwebe (Focus.de)

Wir sind die Guten

Ansonsten herrschte auf diesem Parteitag eine seltene Einmütigkeit in der Linken: Wir sind die Guten, weil wir die Einzigen sind, die raus wollen aus Afghanistan, weil wir schon immer gesagt haben, dass die Banken verstaatlicht und die Energiebetriebe “rekommunalisiert” werden müssen, dass Hartz IV ein Verbrechen und alle anderen Parteien ohnehin nur aus kaltherzigen Neoliberalen bestehen. Man kann das anmaßend und arrogant finden oder einfach auch nur dumm und lächerlich. Viele Konzepte der Linken sind schlicht realitätsuntauglich, da nützen auch die scharfen Worte Lafontaines in seiner Abschiedsrede nichts.

→ Fakten, Fakten, Fakten … Und dann wieder die Geschichte pragmatische Ost-Linke/ ideologische West-Linke, nur in Worten, die einen zweifeln lassen, ob es sich nicht doch um eine Satire handelt:

Man muss sich nur vor Augen führen, dass westliche Fundamentalisten bevorzugt gegen das “System” kämpfen und überall Kriegshetzer und Imperialisten sehen, während östliche Pragmatiker sich um Kita-Plätze kümmern und Stellen im öffentlichen Dienst abbauen



UPDATE:
Die Fernsehberichte über den Linken-Parteitag am Sonntag waren bei ARD und ZDF sogar noch relativ ausgewogen, im Deutschlandfunk/ Deutschlandradio Kultur allerdings extrem polemisch. Außerdem noch im Verlauf des Sonntags in den Medien:

Koalitionssuche in NRW: Zwischen Pest und Cholera (FAZ.net)

Auch wenn die Gegner eines Linksbündnisses in der SPD nicht in der Mehrheit sein dürften – ein Zusammengehen mit der Linkspartei würde die Sozialdemokraten vor eine Zerreißprobe stellen. Schon vor der Wahl haben konservative Sozialdemokraten wie der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende Friedhelm Farthmann eindringlich vor einem Linksbündnis gewarnt: „Mit diesen Chaoten kann man nicht 18 Millionen Menschen regieren.“ Keinesfalls sei ein Bündnis mit der CDU ein Unglück für die SPD.

Ein anderer erfahrener Sozialdemokrat ist sich nun sicher: „Wenn wir ernsthaft beginnen, über ein Bündnis mit den Linken zu verhandeln, wird der Druck aus der Wirtschaft und den Gewerkschaften enorm.“ Und in Anspielung darauf, dass nicht nur die Forderungen, sondern auch die Biographien und Äußerungen der elf Mitglieder der neuen „Linke“-Fraktion im Düsseldorfer Landtag wohl noch häufig Anlass für ein verheerendes Medienecho bieten werden, fügt der SPD-Genosse, der anonym bleiben will, hinzu: „Alle wissen, dass ein Linksbündnis eine Hatz und eine Quälerei würde.

→ Die Meinung des linken Parteiflügels wird freilich nicht dargestellt. Wenigstens wissen wir schon jetzt, dass die FAZ bei der Medienhatz auf jeden Fall mit dabei sein wird. Oh, und wir erfahren später dann noch, dass die Linke in Bielefeld nicht zuverlässig sei. Na dann.


Ganz sicher ist, dass die Kampagne in der nächsten Zeit weiter gehen wird. Und sie wird weiter beobachtet.


UPDATE:

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 8-11

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Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 2

Die Kampagne gegen Rot-Rot-Grün geht weiter. Zunächst sollen noch ein paar Beiträge von Montag Nachmittag/ Abend, dann von heute betrachtet werden.


Report Mainz (danke an die Hinweise in den Kommentaren!) brachte am Montag einen ebenso aggressiven wie dillettantischen Beitrag: “DDR-nostalgisch und linksextrem. Wofür die neuen Landtagsabgeordneten der Linken in NRW stehen” (Video, Schriftform). Isolierte Textpassagen aus Ausrufen, ein Ausweichen auf Suggestivfragen wie “War die DDR ein Unrechtsstaat?” eines aufdringlichen Reporters und Einschätzungen der derzeitigen Bundesregierung wurden dort als Beweis genommen, dass die Linken-Abgeordneten in NRW fast sämtlich Linksextremisten und Verfassungsfeinde seien. Besonders schön: die Linke in NRW sei ein “Hort des Wahnsinns”. Sie dazu auch: Kampagnen- und Indizienjournalismus pur (Freitag.de). NACHTRAG: Und auch Duckhome hat die Sendung analysiert.

Außerdem gab es gestern noch mehrere Beispiele einer unseriösen und v.a. einseitigen Berichterstattung, wie

Nach der Landtagswahl in NRW: Muss der Gegner deines Gegners dein Partner sein? (FAZ.net)

Bemerkenswert ist es allerdings auch aus einem anderen Grund, dass den Grünen der Hamburger Präzedenzfall (damals bildete Ole von Beusts CDU gemeinsam mit der FDP und der kurzlebigen Protestpartei von Ronald Schill eine Koalition) nun wieder einfällt. Denn das Risiko zahlte sich für Beust damals aus: Er entledigte sich bald per Neuwahl beider Juniorpartner, regierte erst allein und inzwischen mit – ausgerechnet – den Grünen. Ob die Grünen nun die SPD ermuntern wollen, ein ähnliches Risiko mit der nordrhein-westfälischen Linkspartei einzugehen, um notfalls den chaotischen Teil der Koalition irgendwann wieder loszuwerden, bleibt Spekulation.

→ Inhaltlich ist der Vergleich mit der mindestens rechtspopulistischen Schill-Partei natürlich hanebüchen bis diffamierend. Doch auch hinsichtlich der Organisation: die Linke in NRW ist, was auch immer man ihr vorwerfen mag, gewiss kein zusammengewürfelter Haufen von weitgehend persönlichen Bekannten mit einem chronischen Mangel an Kompetenz und Redlichkeit.


Un es kamen noch mehrere Vergleiche der NRW- und der Hessen-Wahl und von Hannelore Kraft mit Andrea Ypsilanti. Die Lieblingsfeindin der Systemmedien wird dabei immer noch mit fast grenzenloser Verachtung bedacht. Ein paar Beispiele:

Unklare Mehrheitsverhältnisse: Ist Nordrhein-Westfalen doch Hessen? (Fr-online.de)

Die neue Hoffnungsträgerin der SPD bemüht sich, die bösen Gespenster einer von Dilettantismus und Wortbruch geprägten Vergangenheit zu vertreiben: “Hessen ist nicht Nordrhein-Westfalen. Die Verhältnisse sind in keiner Weise zu vergleichen.” Das sind große Worte. Immerhin aber scheint Kraft aus den Fehlern der Andrea Ypsilanti zu lernen: Eine von der Linkspartei tolerierte Minderheitsregierung schließt sie von vornherein aus.

NRW-Wahl: Kraft in der Ypsilanti-Falle (FTD.de)

Die SPD steckt in NRW in dem gleichen Dilemma wie vor zwei Jahren in Hessen. Allerdings ist die Falle nicht so groß wie seinerzeit bei Andrea Ypsilanti. Anders als diese hat Kraft ein Linksbündnis nie ausgeschlossen, für sie führt der Weg zu Rot-Rot-Grün also nicht über einen Wortbruch. Aber sie weiß auch, dass es nicht leicht zu erklären wäre, würde man sich jetzt mit den Linken einlassen, nachdem man sie im Wahlkampf pausenlos als nicht regierungs- und koalitionsfähig abgetan hat.

Wahl in NRW – SPD im Rausch der Niederlage (Sueddeutsche.de)

Aber nach all dem Linken-Bashing kann sich Hannelore Kraft nicht einmal tolerieren lassen. Dann wäre sie in der Falle der Andrea Ypsilanti, die sich in Hessen vor der Wahl auch klar gegen die Linke abgrenzte und sie dann doch für die Übernahme der Macht nutzen wollte.

Die Ypsilanti-Frage lähmte die Partei monatelang. Sie trieb den damaligen Parteichef Kurt Beck ins Seitenaus. Sie machte die SPD zur Lachnummer. Eine Neuauflage dieser hessischen Verhältnisse kann in der SPD niemand wollen. Da kann Parteichef Sigmar Gabriel vor Selbstbewusstsein so sehr strotzen, dass die Knöpfe am Sakko platzen – die SPD ist nicht im Fahrersitz. Auch die aktuellen Philosophierereien der Generalsekretärin Andrea Nahles von einer “Regierungsbildungsmöglichkeit”, die man auch nutzen werde, helfen in der Sache nicht. (…)

Theoretisch bliebe ihr noch – wenn sie nicht Ypsilanti II. werden will – der Versuch einer Ampelkoalition mit den Grünen und der FDP. Aber das wäre ein bisschen viel verlangt von den Liberalen.



Am Dienstag geht es weiter, zunächst mit Ypsilanti-Vergleichen:

Patt in NRW: Die Büchse der Andrea (Focus.de)

So wie die Büchse der Pandora den Menschen Krankheiten, Missgunst und Elend brachte, so blieben nach Andrea Ypsilantis gescheitertem Griff nach der Macht 2008 für die Hessen Stillstand, Blockade und Wählerverdruss übrig. Erst Neuwahlen machten das Land nach quälend langen Monaten wieder regierbar. Jetzt hat jemand die Büchse der Andrea wieder geöffnet, und zwar in Düsseldorf.

→ Wow, der Focus bringt ganz schön harten Tobak. Ein heftigerer Vergleich ist schwer vorstellbar. Krankheiten, Missgunst, Elend, das Unheil an sich droht uns! Und an all dem ist Andrea Ypsilanti schuld bzw. wird Hannelore Kraft schuld sein, wenn sie mit der roten Pest koaliert! Oder hab ich das jetzt falsch verstanden? Zum Glück haben wir ja noch die Hoffnung, dass das (rot-rot-grüne) Übel uns verschont und die Große Koalition uns errettet!

Ypsilanti und Kraft – Ein Rat unter Frauen (Sueddeutsche.de)

Hannelore Kraft – eine zweite Andrea Ypsilanti? Die NRW-CDU mutmaßte schon vor der Wahl, dass die SPD-Spitzenkandidatin sich im Falle eines Falles auch mithilfe der Linken zur Ministerpräsidentin wählen lassen würde.

Meiner Meinung nach hätte sich Ypsilanti mit ihrem Ratschlag an Hannelore Kraft, über den in den meisten Medien berichtet wurde, zurückhalten sollen. Es war taktisch nicht besonders klug, man darf den Kampagnenjournalisten nicht so eine Steilvorlage liefern.. So drängen sich die Vergleiche ja geradezu auf, und der entscheidende Unterschied, dass Kraft und SPD und Grüne alle eben gerade eine Koalition mit der Linken nicht ausgeschlossen haben, wird von den Mainstream-Medien sowieso gerne verwischt. Es wird sogar wieder der “Wortbruch” herbefabuliert.


Und weiter geht es in der Kampagne …

Analyse: Was nun, Hannelore Kraft? (Fr-online.de)

Rot-Grün-Rot, wenn es denn am Ende dazu kommt, wird keine Frage politischer Überzeugungen von SPD oder Grünen sein. Rot-Grün-Rot kommt (hoffentlich) nicht als “Projekt” daher. Das Bündnis aus SPD, Grünen und Linken wird in erster Linie Ergebnis strategischer Zwänge von SPD und CDU sein. Möglicherweise ist diese Nüchternheit der beste Weg zur Stabilität.

→ Hier sollen beim Bürger in Hinblick auf ein rot-rot-grünes Bündnis unbequeme Assoziationen mit Parteiengeschacher, Machtpolitik und Zweckpartnerschaften abseits von inhaltlichen Überzeugungen und Verhaben geweckt werden. (Vergleich man jedoch die programmatischen Vorstellungen, stellt man fest, dass sich SPD, Grüne und Linke in Wahrheit viel näher stehen als SPD und CDU.)

Linke buhlt um SPD: Ruf! mich! an! (Spon)

→ Spiegel Online führt dort die Schlagrichtung der anfangs dargestellten Kampagne von Report Mainz fort. Die beiden Punkte “Recht auf Rausch” und Verstaatlichung der Energiekonzerne werden unreflektiert kritisiert, es gibt die Hinweise auf “radikale Gruppen”, in denen die küntige Parlamentarier der Linken Mitglied seien, und auf Streitereien innerhalb der Partei. Die NRW-Linke sei dogmatisch und fundamentalistisch. Zudem versucht der Artikel einen merkwürdigen Spagat aus die Linke “will um jeden Preis in die Regierung” und “will eigentlich gar nicht wirklich regieren.” Auf jeden Fall ist der Tenor des Artikels: “mit denen” kann man keine Koalition machen, auf keinen Fall.

Nach der NRW-Wahl: Mikado am Rhein (FAZ.net)

Die andere Möglichkeit ist, das wirtschaftlich bedeutsamste und überdies bevölkerungsreichste Land inmitten einer Wirtschafts- und Finanzkrise mit Antikapitalisten am Kabinettstisch zu regieren. Weil auch vielen in der SPD diese Vorstellung ein Graus ist, dürften sich Frau Krafts Versuche beim Koalitionsmikado so lange hinziehen, bis ihr die eigenen Genossen in den Arm fallen und es dann entweder doch zu einer großen Koalition oder zu einer Neuwahl kommt.

→ Dass es die neoliberale Variante des Kapitalismus war, die uns in gerade diese Finanz- und Wirtschaftskrise gebracht hat, das will man in der FAZ-Redaktion immer noch nicht wahrhaben. Und so werden alle, die gegen den Marktradikalismus eintreten, “Antikapitalisten” (oder woanders gerne “Linksextremisten”, “Chaoten”, “Spinner”, “Populisten”, “Demagogen” usw.)

NACHTRAG: ebenfalls aus diesem FAZ-Artikel:

Der FDP-Landesvorsitzende Pinkwart hat mit seinem Verzicht auf ein kategorisches Nein zu Verhandlungen über eine „Ampel“ taktisches Geschick bewiesen. Einerseits blieb er auf der Linie eines Beschlusses seiner Partei von Anfang Mai und legt den Finger tief in die Wunde. Schließlich ist die erstmals in den Landtag eingezogene Linke ein ausgewiesen linkssektiererischer Haufen.

→ Die Beleidigung übersehen wir jezt einfach mal. Interessant ist die, sagen wir, recht eigenwillige Interpretation des Parteitagsbeschlusses. Denn dieser ist doch recht eindeutig, und da helfen auch keine sophistischen Spielereien:

Die nordrhein-westfälische FDP will die erfolgreiche Koalition aus FDP und CDU weiter fortsetzen. Wir werdenkeine Koalition mit Parteien eingehen, die Bündnisse mit rechtsextremen oder linksextremen Parteiennicht eindeutig ausschließen. Daher kommen für uns Koalitionen mit Grünen oder SPD nicht in Frage. (Wahlaufruf auf dem Landesparteitag der FDP Nordrhein-Westfalen am 2. Mai 2010)


Außerdem gab es Berichte über weitere taktische Vorgehen der Parteien.

Ob an angeblichen Plänen zum “Überlaufen” eines Linkenabgeordneten tatsächlich etwas dran ist, kann ich nicht beurteilen (ich halte es für nicht sehr wahrscheinlich) – sie dürften sich aber spätestens jetzt erledigt haben. Parteichef Gabriel greift derweil weiterhin in die “autonome” Entscheidungsfindung der NRW-SPD ein (nebenbei: besonders bezeichnend, wie er “meinetwegen sozialistisch” benutzt, so richtig despektierlich, mit der Kneifzange, und dann meint, dass die SPD für das “Bürgertum” wieder anschlussfähig werden sollte – besser kann man eine Missachtung der sozialdemokratischen Tradition und Überzeugungen kaum darstellen).

Zudem mehren sich auffällig die Stimmen in den Medien, die betonen, dass eine (meist als einzige begrüßenswerte Möglichkeit dargestellte) Große Koalition auch nur unter einem CDU-Ministerpräsidenten möglich sei. Anderes sei mit dem Wahlausgang und “demokratischen Gepflogenheiten” nicht zu vereinbaren. Man will vollständig auf Nummer sicher gehen, dass die CDU-Politik in ihrem Kern fortgeführt wird. Die sogenannte “israelische Lösung”, bei der CDU und SPD je zwei Jahre die Ministerpräsidentin/ den Ministerpräsidenten stellen würden, wird kaum mehr diskutiert.

Zu dem vergifteten Gesprächsangebot der FDP an SPD und Grüne, unter der Bedingung, keine Gespräche mit der Linken zu führen (auf das aber auch in den Medienn nur wenige, wie das ZDF, angesprungen sind) kann ich mich Wolfgang Lieb von den NachDenkSeiten nur anschließen:

Wenn Grüne und SPD auf das Lockangebot der FDP eingingen, hätte Pinkwart (und Rüttgers) nach der Wahl erreicht, was sie vor der Wahl nicht geschafft haben, nämlich Hannelore Kraft eine mögliche Machtoption und damit eine starke Verhandlungsposition gegenüber allen im Landtag vertretenen Parteien aus der Hand zu schlagen.

Würden die Gremien der SPD – wie es die FDP verlangt – beschließen, keine Gespräche mit der Linkspartei zu führen, dann wäre Hannelore Kraft auf Gedeih und Verderb der FDP oder der CDU ausgeliefert. Sie hätte jede Verhandlungsmacht verloren, denn ein Zurück von einem solchen Beschluss der SPD gäbe es nicht mehr, ansonsten würde Hannelore Kraft fertig gemacht, wie ihre hessische Kollegin Andrea Ypsilanti.

Dann stellte entweder die CDU den Ministerpräsidenten oder die FDP bliebe in der Regierung und diese beiden Parteien könnten der SPD ihre Bedingungen diktieren und ihre politischen Positionen maximal durchsetzen.

Wieso wird eigentlich hier nicht das Wort “Wortbruch” gebraucht?

Mit ihrer Ankündigung, nun doch über eine Ampel-Koalition reden zu wollen, brechen die Liberalen einen Parteitagsbeschluss, den sie erst eine Woche vor der Landtagswahl gefasst hatten. Darin hieß es, die Liberalen sähen „keine Grundlagen für Koalitionsgespräche mit Parteien“, die sich Bündnisoptionen mit extremistischen Parteien offen hielten. Damit waren unmissverständlich SPD und Grüne gemeint. Einzig möglicher Koalitionspartner sei folglich die CDU.

Noch gestern hatten Pinkwart und sein Fraktionsvorsitzender Gerhard Papke Gespräche mit SPD und Grünen kategorisch abgelehnt. „Die FDP wird ihre Glaubwürdigkeit nicht für den reinen Machterhalt aufs Spiel setzen“, sagte Papke. Seit heute scheinen sie es mit der Glaubwürdigkeit anders zu sehen. (Welt.de)



Ich werde die Beobachtung der Kampagnen gegen Rot-Rot-Grün in der nächsten Zeit fortsetzen. Über entsprechende Hinweise bin ich weiterhin dankbar!

UPDATE:

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 3-7

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 8-11

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Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 1

Die erwartete Kampagne gegen eine rot-rot-grüne Regierung und für eine Große Koalition in Nordrhein-Westfalen ist bereits in einigen Medien angelaufen. Keine Frage, in den nächsten Tage, insbesondere, wenn SPD und Grüne Gespräche mit der Linken aufnehmen sollten, werden sich derartige Kommentare massiv häufen und verschärfen. Die bisherigen Kommentare zeichnen sich auf jeden Fall schon einmal nicht durch ein argumentativ hohes Niveau aus. Ein paar Beispiele:


SPD/CDU: NRW braucht eine Große Koalition (ZEIT ONLINE)

Wer eine Verstaatlichung der Energiekonzerne propagiert, wer für ein Recht auf Rausch wirbt und wer so viele Spinner und Extremisten in seinen Reihen hat, dass selbst Leute aus der eigenen Bundesführung vor dem jungen Landesverband warnen, der darf im wichtigsten Bundesland nicht an die Regierung kommen. Schon gar nicht in einer so schwierigen politischen und wirtschaftlichen Lage, inmitten der Finanz- und Euro-Krise, der längst noch nicht überwundenen Rezession und angesichts hoch verschuldeter Landes- und Kommunalhaushalte.

→ Wer keine Argumente hat, ergeht sich also in Beschimpfungen. Dieses “Recht auf Rausch” bedeutet die Forderung nach der Legalisierung weicher Drogen, ebenfalls etwa eine Forderung der Julis im Bund und in NRW. Aber die Aussage, dass man doch nicht mit Marktradikalen koalieren könnte, wird man in den Mainstream-Medien nie lesen.  Anzubringen, dass in so einer schweren Krise alle an der Heimatfront zusammenstehen müssen, war auch schon erwartbar gewesen.


NRW – der Tag nach der Wahl:  Macht es Hannelore Kraft mit den Linken? (Bild.de)

Die Linkspartei wird in NRW vom Verfassungsschutz beobachtet, gilt wegen ihrer Nähe zu verfassungsfeindlichen Organisationen als extremistisch. Galionsfiguren wie NRW-Spitzenkandidatin Bärbel Beuermann und die Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht sind von Verstaatlichungs- und Enteignungsphantasien durchtrieben. (…)

KRAFTILANTI

Die Machtoptionen der Hannelore Kraft – Erinnerungen an Andrea Ypsilanti werden wach...

→ Die Springer-Presse natürlich, keine Frage, unterbietet alles. Was für (von Verstaatlichungsplänen) durchtriebene Stücke! Die gelten aber sowas von als extremistisch! Und natürlich der obligatorische Vergleich mit Ypsilanti (obwohl selbst die Springer-Redakteure bemerkt haben, dass Kraft eine Koalition mit der Linken gerade nicht ausgeschlossen hat. Naja, egal!)


Landtagswahl in NRW:   Kraft steht vor der Ypsilanti-Falle (Stern.de)

Das Ypsilanti-Problem
Ein rot-rot-grünes Bündnis ist für Kraft eigentlich unmöglich, will sie nicht in die Ypsilanti-Falle laufen. Kraft hat diese Option zwar nie kategorisch ausgeschlossen, aber gebetsmühlenhaft gesagt, die Linke in NRW sei nicht koalitions- und regierungsfähig. Das war ein de-facto-Ausschluss, den sie nicht ohne einen dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust wieder kippen kann. Zudem ist offen, ob die Linke selbst überhaupt regieren will: Ihre Kandidaten sind ausnahmslos unerfahren, sie könnten sich in der Staatskanzlei bis auf die Knochen blamieren.

→ Wenigstens differenzierter als BILD, aber mit dem selben Tenor. Und blamieren? Was stellt man sich da bitte in den Redaktionen vor? Dass die Linke im Landtag plötzlich die DDR-Hymne anstimmt? Dass ein Linken-Minister fordert, ein Denkmal für Walter Ulbricht? Oder vielleicht die Minitserpräsidentin ausversehen als “Frau Staatsratsvorsitzende” bezeichnet?


Analyse: Hessische Verhältnisse in Düsseldorf  (Tagesspiegel.de)

Doch auch in Hessen lag am Ende die CDU knapp vorne, und die gefühlte Wahlsiegerin Andrea Ypsilanti versuchte anschließend, eine rot-grüne und von der Linken tolerierte Minderheitsregierung zu bilden. Sie löste damit heftige bundesweite Debatten aus, sah sich mit dem Vorwurf des Wahlbetruges konfrontiert und scheiterte schließlich an dem Widerstand in den eigenen Reihen. (…)

Die Linke fordert nun einen “Politikwechsel” in NRW. Die Partei ist aber mit einem sehr fundamentalistischen Programm in den Landtagswahlkampf gezogen und hat in dem Land keinerlei realpolitische Erfahrung. Für die SPD wäre eine Zusammenarbeit mit der Linken ein Abenteuer.

→ Und wieder der Ypsilanti-Vergleich, langsam wird es langweilig. Aber hier sind die Linken immerhin nur “Fundamentalisten” (das muss ja nicht einmal was Schlechtes sein”) statt “Extremisten”. Aber: sammelt man Erfahrung nicht am besten durch Praxis?


Wird vermutlich fortgesetzt …


NACHTRAG:

Weissgarnix schreibt über den Kommentar der Zeit


UPDATE:

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 2

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 3-7

Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW, Tag 8-11

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Ohne Vorratsdatenspeicherung drohen uns ganz und gar unermessliche Gefahren!!!

Nach dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung beginnen die Medien bereits mit einer Kampagne, dass nun ohne eine Vorratsdatenspeicherung unermessliche Gefahren drohen könnten. Warum dies getan wird, liegt relativ nahe: man will unbedingt eine Neuauflage erreichen; und auch, dass dabei eher Panik geschürt statt sachlich berichtet wird, ist wenig überraschend.  Aber wie Politik, Sicherheitsbehörden und Medien dann genau vorgehen, ist dann doch relativ absurd.

(1)

Am Tag der Entscheidung des BVerfG waren bereits kurz nach der Urteilsverkündung die ersten Medlungen in den Radio-Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass Sicherheitsbehörden, Innenminister, CDU o.ä. das Urteil heftig kritisierten (und das wurde verkündet, noch bevor das Urteil überhaupt erst mal erklärt wurde), dass nun zehntausende (sic!) Verbrechen nicht mehr aufgeklärt werden könnten und unglaublich viele furchtbare und ganz unmittelbare Gefahren lauerten. Selbstverständlich wurde das dann auch so berichtet, als wäre es die objektive Wahrheit.

Diese “Nachrichten” waren in keiner Weise um Neutralität oder Objektivität bemühte Meldungen, sondern ganz klare, überaus einseitige, aber in ihrer Plumpheit auch hoffentlich von vielen Zuhörern durchschaute Kampagnen. Im heute-journal kam nach einer anfangs sehr guten Einleitung dann aber in einem langen Interview ein Hardliner aus dem Bund der Kriminalbeamten (BdK) zu Wort. Ganz vorne bei der Propaganda mit dabei ist natürlich die Springer-Presse. Auch das ehemalige Nachrichtenmagazin schürt fleißig Panik, aber sogar die Süddeutsche beteiligt sich.

(2)

Im ganzen Internet (oder, wie es meist heißt, „Cyberspace“) drohe, so der Tenor dieser “Berichte”, an allen Ecken und Enden Online-Betrug, Kinderpornografie oder Terrorismus, überall werden ständig Anschläge geplant oder – ich weiß leider nicht mehr, ob es ZDF oder Deutschlandradio war – es werden sogar Einbrüche geplant (das haben die wirklich so gesagt!)! Ja, wer kennt das nicht, ein paar Minuten nur in diesem komischen Internetz sind schlimmer als ein Leben in den härtesten Bezirken von Rio de Janeiro oder den schlimmsten Ecken Johannesburgs! Wenn man da nicht Acht gibt, kann einem ja so gut wie alles passieren! Das Web ist böse.

(3)

Und v.a.: so gut wie alle denkbaren Verbrechen werden ja dort, wenn nicht begangen, so doch geplant, und auch abseits dieses Cyberspace droht nun, da die Vorratsdatenspeicherung erst einmal gestoppt ist, überall alles. Der bayrische Innenminister warnt sogar, dass der “rechtlose Zustand” gar Menschenleben kosten könnte. Doch nicht nur mehr oder minder schwere Straftaten, die Latte wird gezielt immer weiter nach unten gesetzt. So beklagt der BdK (erwähnt in dem selben Spon-Artikel) , dass auch etwa Beleidigung im Internet nicht mehr aufgeklärt werden könnten. Und das, Zitat BdK, “können wir nicht hinnehmen”. Nein, das können wir nicht! Wo kämen wir denn da hin?Ganz Deutschland droht ja schon jetzt in Chaos und Verbrechen zu versinken! Alles ist jetzt möglich! Ob Einfuhrschmuggel von Waffen oder Betäubungsmitteln, oder angedrohte Amokläufe und Bombelegungen – überall sind nun der Polizei die Hände gebunden! Und man könnte nun selbst – und das wird tatsächlich von der Polizei so kommuniziert! – gegen Suizidankündigungen oder bei Vermisstenfällen nicht mehr vorgehen. Oder, ganz klar, man brauche die Vorratsdatenspeicherung, so der bayrische Innenminister, um “verunglückte Bergsteiger zu retten”. Die Grenzen zur Realsatire sind wirklich fließend.

Man muss es sich wirklich mal vor Augen führen: da werden wahllos auch noch so große Gefahren aufgebauscht, gar Gefahren für Menschenleben behauptet, von den gleichen Seiten dann aber auch direkt so etwas wie Betrug oder gar Beleidigungen quasi auf die selbe Stufe gestellt, und unsere Qualitätsmedien nehmen das alles völlig komentar- oder kritiklos hin. Und es stört auch nicht, dass dank dem BVerfG der Zugriff auf die Daten ja auch bisher auf schwere Straftaten beschränkt war und die Verfolgung oder Verhinderung der meisten genannten Delikte ja auch bisher gar nichts mit der Vorratsdatenspeicherung zu tun hatte (und es daher auch keine Veränderungen geben wird).

(4)

Es muss nicht erwähnt werden, dass dieses Strategien höchst unseriös sind und natürlich in erster Linier dazu dienen, bei den nicht so sehr mit Technik und v.a. dem Internet vertrauten Bürgern Panik zu schüren (etwas komisch mutet es dennoch an, dass etwa die Telefonverbindungsdaten kaum angesprochen werden). Dass der Satz „das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“ nun mal wieder an allen Ecken und Enden zu hören ist, versteht sich von selbst. Auf tatsächliche Argumente, Beweise, dass die Vorratsdatenspeicherung wirklich so nützlich in Verbrechensaufklärung oder -verminderung ist, wie behauptet wird, wartet man natürlich vergebens.

Kein Beispiel scheint zu absurd, kein Zusammenhang zu konstruiert, um die angeblichen Gefahren, die ohne Vorratsdatenspeicherungen drohen, an die Wand zu malen. Jedes Verbrechen oder Vergehen, jede Ordnungswidrigkeit kann genannt werden, gegen die man dann keine Handhabe mehr hätte – man muss sich nicht wundern, wenn demnächst z.B. illegaler Handel mit Atomwaffen, Autodiebstahl oder Nichtentfernen von Hundekot auf Bürgersteigen nun ganz bedrohlich würden, weil es keine Vorratsdatenspeicherung mehr gibt.

Denn das ist klar: niemand ist mehr sicher!!!

Bildquellen:

(1) Dirk Adler / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

(2) Vaguely Artistic / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

(3) Bram  Opstaele / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

(4) Cole  Henley / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de

[Diesen Beitrag kann man auch beim binsenbrenner.de lesen.]

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Generalangriff auf den Sozialstaat – Guido an die Front!

George W. Westerwelle

Guido Westerwelle hat sich also, so formuliert es die Süddeutsche, vom diplomatischen Dienst ab- und zum Dienst an der “Heimatfront” angemeldet und überschwemmt die Medien, allen voran die Springer-Presse, mit Hartz-IV-Populismus.

(1)

Seine Angriffe klingen, so zeigt Spiegel Online, verblüffend ähnlich wie die perfekt einstudierten Hetztiraden der US-Republikaner. Er kupfere hemmungslos Sprüche und Ideen bei den Republikanern ab, mit dem Ziel einer Spaltung der Gesellschaft. Er beschwört wie die Republikaner eine “sozialistische Gefahr”. Die Methoden sind also ähnlich, aber sich ausgerechnet die diffamierenden und Hass schürenden aktuellen Strategien der rechtskonservativen und erzreaktionären Republikaner anzueignen, spricht nicht gerade für eine sich “liberal” nennende Partei. Und schon vor zwei Jahren meinte Westerwelle “Von George W. Bush lernen, heißt Steuern senken lernen”.

Aber wir wissen ja: in Westerwelles Weltbild ist schon alles, was zum Abbau von Armut, Ausbeutung und Ungleichheit führen könnte, von vornherein “Sozialismus”. Was würde Westerwelle eigentlich machen, wenn er vor “Sozialismus” warnt und man meinte, dass man das gar nicht schlecht finden würde? Ich glaube, er würde mit seinem Weltbild gar nicht mehr klarkommen. Und lustig ist ja auch, wie die FDP sich krampfhaft bemüht, “links” zu einem Quasi-Schimpfwort zu machen wie in den USA “liberal”. Bei solchen Aussagen oder wenn er etwa wütend auf den “linken Zeitgeist” ist, fragt man sich dann aber schon, ob er die Grenze vom blanken (aber kalkulierten?) Populismus zum völligen Realitätsverlust nicht doch überschritten hat.

Alles falsch

Wie fundiert sind dabei die Aussagen Westerwelles? Der Stern lässt auf Hartz IV: Wie viel Wahrheit steckt in Westerwelle? kompetente und renommierte Fachleute (und keineswegs alle aus dem “linken Lager”) wissenschaftlich darlegen, wieviel an Westerwelles Äußerungen der letzten Tage wirklich dran ist – und das Ergebnis ist verheerend.

(2)

Eine Umverteilung findet in Deutschland tatsächlich statt: aber von unten nach oben und von den Arbeits- hin zu den Kapitaleinkünften. Die Mittelschicht ist gerade durch eine neoliberale Arbeitsmark- und Sozialtpolitk geschrumpft, der Sozialstaat ist in Deutschland nicht zu groß (er könnte aber effizienter arbeiten). Das deutsche Bildungssystem zeichnet sich eher durch zu viel als zu wenig, wie Westerwelle meint, Leistungsdruck aus. Von der Familienpolitik von Schwarz-Gelb haben, anders als ihre Propaganda behauptet, fast nur die Spitzenverdiener profitiert. Und der fehlende Abstand zwischen Hartz IV und Löhnen liegt an der Ausbreitung des Niedriglohnsektors – eine Lösung wären eher Mindestlöhne denn eine Senkung von Hartz IV.

Die Zeit verdeutlicht unter Sozialstaat: Westerwelles schräges Zahlenspiel u.a., wie in den letzten Jahren Spitzenverdiener entlastet wurden und dies durch die FDP noch mehr würden, warum die FDP-Politik, etwa bei Gesundheit und Familien, unsozial ist, zu noch mehr Umverteilung von unten nach oben und gleichzeitig zu mehr Ausgaben führt. Und sie zeigt, dass Deutschland bei den Sozialausgaben international nur im Mittelfeld liegt.

Das Ziel: der Generalangriff auf den Sozialstaat

Sicherlich will Westerwelle auch ablenken von der Käuflichkeit der FDP. Wenn man in den letzten Wochen irgendwo etwas über die FDP lesen, hören, oder sehen konnte, war dies das große Thema. Und der Einfluss der Lobbys auf die Politik wird durch eine künftig deutlich schnellere Veröffentlichung von Großspenden noch offensichtlicher: Großspenden an die Parteien – Schwarz-Gelb heißt Schwarz-Geld (Süddeutsche). Westerwelle hat es jetzt geschafft, etwas davon abzulenken, keine Frage.

Aber was die FDP vor allen anderen Dingen will, ist eines: eine Demontage des Sozialstaates, eine Abschaffung des Modells des Wohlfahrtsstaates und eine Adaption des liberalen Systems nach dem Vorbild Großbritanniens und der USA. Statt sozialer Sicherheit soll es dann nur noch Nothilfe geben, angebliche (aber nie gewährleistete) Chancengleichheit (oder sogar nur Chancengerechtigkeit) in der Bildung soll an die Stelle der sozialen Gerechtigkeit treten, Hierarchisierung anhand von Marktleistungen an die der universellen  Gleichheit aller Menschen. Egoismus soll  Solidarität, Utilitarismus Ethik ablösen. Das wäre dann der “Neuanfang des Sozialstaates” – die Generaldebatte über den Sozialstaat, die Westerwelle fordert, wird so wohl eher Generalangriff auf den Sozialstaat. Und da, so zynisch es klingt, ist die Käuflichkeit einer Regierungspartei tatsächlich fast schon eine Nebensache.

Klassenkampf von oben

Ob Westerwelle sich hierbei geschickt anstellt ist eine andere Frage. Einerseits erntet er von so gut wie allen politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen, und selbst im größten Teil der Medien, Widerspruch und verprellt durch seine dumpfen Parolen möglicherweise einige klassische FDP-Anhänger.

Andererseits sind seine Aussagen auch Ausdruck einer verkommenen Mentalität derjenigen, die sich selbst als Leistungsträger betrachten, weil sie viel Geld verdienen. Sloterdijks Angriffe auf den Sozialsstaat oder Sarrazins sozialdarwinistische Äußerungen sind ebenfalls Audruck dieses Klassenkampfes von oben. Und Westerwelle erhofft er sich  (und findet ihn anscheinend auch teilweise) Zuspruch bei einem reaktionären springerlesenden Stammtisch-Publikum. Die neoliberale Politik hat es durch ihre Ausführer in der Journaille geschafft, frühere Unzufriedenheit mit dem politischen und wirtschaftlichen System in blinden Hass umzuwandeln, der sich gegen die richtet, die immer noch unter einem stehen (auch wenn ein großer Teil der Arbeitnehmer von Hartz IV bedroht ist, auch und vielleicht gerade die Springer-Leser, die so etwas schreiben).

Guido prescht vor, die anderen folgen

Die Taktik für grundlegende politische Veränderung ist oft, ersteinmal eine Rampensau vorzuschicken, um die Lage zu sondieren, auszuloten, wie weit man gehen kann (mit möglichst nicht nur direkten und undiplomatischen, sondern auch beleidigenden, diffamierenden und spaltenden Angriffen. Grenzen gibt es bei esolch einem Vorgehen kaum.). Politik und Medien werden dann meist ersteinmal den Tonfall missbilligen, der ja nicht ganz angemessen wär, um dann eine Kampagne anzustoßen nach dem Motto “aber vom Inhalt her hat er doch eigentlich schon irgendwie Recht”. Als Reaktion auf die öffentliche Empörung folgt dann ein Umdrehen des Spießes – man wird selber empört, gar höchst aggressiv: “man wird doch so etwas noch mal sagen dürfen!”. Man wird sich selbst als Opfer darstellen der “linken Meinungsdiktatur”, all dieser verblendeten Sozialromantiker und der so gehassten “Gutmenschen” (und ich betone es immer wieder: es ist schon bezeichnend, wenn man diesen Begriff mit negativer Intention benutzt und er als Kampfbegriff des rechten Randes verwendet wird) – und das um so mehr, je weniger sachliche Argumente man hat. Man wird aggressiv betonen, dass man sich vielleicht anfangs in der Wortwahl vergriffen habe, dass aber die Verkürzungen, Verdrehungen und schlichten Lügen “die Wahrheit” seien. Und wir können den Anfang jetzt beobachten:

(3)

Nachdem natürlich Spinger den Anfang gemacht hat, steigt die Tagesschau ein (und die Kommentatorin zeigt, welch Geistes Kind sie ist, wenn sie “Gutmenschen” und “political correctness” im negativ gemeinten Sinn benutzt). Auf jeden Fall ist es klar: sie wird nicht allein bleiben. Andere werden folgen, um ihre Kampagne fortzuführen, unterstützt von einflussreichen und finanzstarken Lobbys.

Das Ziel ist die Erfüllung des neoliberalen “Auftrags”: die vollständige Demontage des Sozialstaates, der Abbau sämtlicher Mechanismen, die zu einem sozialen Ausgleich führen, die die “Marktergebnisse verzerren” und der achso gegängelten “Elite” unseres Landes das Leben schwer machen. Die Feinde des Sozialstaates werden sich gruppieren. Sie wollen ihm den endgültigen Todesstoß verpassen. Pardon wird nicht gewährt.

Ob sie damit Erfolg haben werden, ist ebenso eine Frage davon, ob der kritische Journalismus, wie es derzeit teilweise wirkt, wieder eine Renaissance erlebt und ob die Oppositionsparteien stringent zusammenarbeiten werden, wie davon, welche Kräfte die Zivilgesellschaft zur Verteidigung des Sozialstaates in Deutschland mobilisieren kann.

(4)

Bildquellen:

(1) http://www.flickr.com/photos/jaumedurgell/ / CC BY-NC 2.0

(2) http://www.flickr.com/photos/46316635@N00/ / CC BY-NC-SA 2.0

(3) http://www.flickr.com/photos/f-hain_net/ / CC BY-NC 2.0

(4) http://www.flickr.com/photos/farbfilmvergesser/ / CC-BY-NC-SA

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Keynesianismus versus Neoliberalismus – lassen wir doch einmal die Fakten sprechen

Albrecht Müller stellt auf den NachDenkSeiten (anhand Daten des Statistischen Taschenbuchs 2009 des BMAS und eigener Berechnungen) komprimiert und übersichtlich die wichtigsten wirtschaftlichen Kennzahlen der Jahre 1966-1982, in der eine nachfrageorientierte Politik betrieben wurde, und der Epoche 1992-2008, in der die Wirtschaftspolitik neoliberal ausgerichtet war (sie ist es seit 1982 bis heute), gegenüber:

1966-1982 1992-2008
Reales BIP ( JD) +2,7% +1,4%
Arbeitslosenquote 7,5% in 1982 8,7% in 2008
Preise BIP (JD) +4,7% +1,1%
Staatsschuld in % des BIP +19,1%-Punkte +23%-Punkte
Nettorealverdienste (JD) +2,1% -0,0%
Lohnquote +6,8%-Punkte -7,2%-Punkte
Kapitaleinkommensquote -3,8%-Punkte +6,2%-Punkte

Die Auswirkungen der neoliberalen Politik seien u.a. eine hohe Arbeitslosigkeit, eine dadurch (einnahme- und ausgabenbedingt) sinkende soziale Sicherung, hohe Staatsverschuldung, marode Infrastruktur, prekäre Arbeitsverhältnisse und niedrigere Löhne.

Müller analysiert dort auch, welche Erfolge die “unverwässerte” Globalsteuerung der Wirtschaft zur Ankurbelung der Nachfrage  im Jahre 1967 zeigen konnte: es gab ein starkes Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosigkeit wurde gesenkt, das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wurde bewahrt, die Inflation blieb im vernünftigen Rahmen und der Schuldenstand wurde reduziert. Diese Wirtschaftspolitik verhinderte eine „Reservearmee“ von Arbeitslosen und so die Lohndrückerei – ein Grund, so Albrecht Müller, warum sie von manchen Seiten abgelehnt wird.

U.a. wohl auch von Leuten, die für die deutschsprachige Wikipedia schreiben, wo im Artikel über die Globalsteuerung nach einer knappen Beschreibung ein Scheitern dieser behauptet wird und ausführlich die übliche neoliberale Kritik – hohe Staatsverschuldung und Inflation – unkommentiert geschildert wird (ohne Berücksichtigung der ökonomischen Kennzahlen). Auch wenn der Artikel seit gestern etwas verändert wurde: dass die Globalsteuerung “gescheitert” sei, wird dort als ein Faktum dargstellt. Die neoliberale Propaganda vermischt eben gerne Meinung und Tatsachen, wie es Propaganda so tut. Doch hier sollte man einmal die Daten und Fakten sprechen lassen. Und die sprechen eine andere Sprache.

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Die "Weltklimakanzlerin", oder einfach "Mutti Erde" …

Aus der neuesten Ausgabe der immer sehenswerten Sendung “Neues aus der Anstalt”: Urban Priol über den Klimagipfel von Kopenhagen und Angela Merkel, die, ohne etwas für den Umweltschutz oder gegen den Klimawandel getan zu haben, von ihrer Jubelpresse schon als “Weltklimakanzlerin” oder gar – und das ist kein Witz – als “Mutti Erde” gefeiert wird:

http://www.youtube.com/watch?v=MTCNewYAf2o

http://www.youtube.com/watch?v=DNi60bp1ikI

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Die größten Gefahren für Deutschland: Islamismus, Linksextremismus und Google

Wenn die Bundesregierung die Programme gegen Rechtsextremismus auf Linksextremismus und Islamismus ausweitet, geht sie dabei Hand in Hand mit den Vereinfachungen der Vertreter der kruden “Extremismustheorie”, und sie verharmlost nach Meinung der Opposition damit den Rechtsextremismus mit seiner Rekordzahl an Gewalttaten.

Manche Medien sind da aber schon deutlich weiter, etwa der Deutschlandfunk in einem Interview mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (ja, so wird er natürlich geschrieben, aber ich hab unten die falsche Schreibweise von der Homepage des DLF belassen, weil ich von dort zitiere). Nicht nur eine Gleichsetzung – der Linksextremismus und der Islamismus sind dort eine so große Gefahr, dass der Rechtsextremismus nicht mal einer Erwähnung bedarf:

Spengler: Jetzt sind wir schon bei der Bedrohungslage in der Bundesrepublik. Geht eigentlich noch die größte Gefahr von islamistischen Zirkeln aus, oder richten Sie Ihr Augenmerk nach vielen Anschlägen insbesondere in Berlin und Hamburg wieder verstärkt auf die linksextremistische Szene?

Ja, genau, das fragen wir uns doch alle täglich, ist denn nun die ganz konkrete, unmittelbare und allseitige Bedrohung durch den  Islamismus immer noch die größte Gefahr für unser aller Leib und Leben, oder brauchen wir etwas Neues, vor dem wir uns fürchten müssen, etwa den linken Linksextremismus von links? Man kann nirgends mehr um eine Straßenecke gehen, ohne dass einen ein Muslim oder ein Linksautonomer – ja was denn eigentlich? Der Rechtsextremismus mit mit seinen rassistischen, anti-semitischen, menschenverachtenden Ansichten, mit seinen Gewalttaten, mit seinen Morden? Ach was! Die Autos! Kann denn nicht einer mal an die Autos denken?! Auch wenn dabei nach Polizei-Angaben zu 50% gar kein politisches Motiv zu erkennen ist – egal! Die tatsächliche Bedrohung spielt keine Rolle. Wichtig ist die, die eingeredet und vielleicht irgendwann, wenn man Erfolg hat, dann auch empfunden wird.

Allem Anschein nach wurde dann aber die Richtung, in die dieser Qualitätsjournalist offensichtlich gehen wollte, selbst für unseren Innenminister etwas zu dubios, und er bringt wenigstens ein bisschen mehr Nüchternheit hinein:

Spengler: Der Verfassungsschutz sollte bis Mitte des Monats eine Bewertung des Linksextremismus vorlegen. Ist das geschehen und zu welchem Ergebnis ist er gekommen?

de Maiziére: Bis Februar, Herr Spengler, habe ich eine solche Analyse erbeten. Wir haben noch nicht Februar und dann werden wir die Konsequenzen ziehen. Wir haben es hier auch damit zu tun, dass wir es regional sehr unterschiedlich haben. Wir haben diese Phänomene insbesondere in Berlin und Hamburg. Deswegen wird mit den beiden Ländern natürlich dort in besonderer Weise zu untersuchen sein, was zu tun ist. Das ist ein langer Weg. Wir haben es auch gesehen bei der politischen Gewalt, die von Rechtsextremen ausgeht. Insgesamt ist die Anwendung von Gewalt nicht gestiegen, aber bei denen, die Gewalt anwenden, ist die Hemmschwelle, intensiv Gewalt auszuüben, gesunken und das macht mir Sorgen.

Und schließlich kommt noch eine dem kritischen Journalismus würdige Frage zur Netzpolitik:

Spengler: Herr de Maiziére, letztes Stichwort: das Internet, von dessen Sicherheit wir ja alle zunehmend abhängen. Die Regierung will eine eigene Kommission zur künftigen Netzpolitik berufen. Für wie groß halten Sie die Bedrohung durch die beherrschende Stellung von privaten Unternehmen, etwa von Google, die mehr über den Bürger wissen zu scheinen als die über sich selbst?

de Maiziére: (…)  Aber immer ist mit Freiheit auch Gefährdung verbunden und Verantwortung, und deswegen ist es wichtig und richtig, dass wir diejenigen, die große Datenbanken ansammeln – und das sind mehr die Privaten als der Staat -, auch in die Verantwortung nehmen, mit diesen Daten sorgsam umzugehen, und wir müssen erwarten, dass auch die Bürger mit ihren eigenen Daten vorsichtiger umgehen als in der Vergangenheit. (…)

Nun, das ist die bekannte Masche der Politik seit einiger Zeit: Google ist böse. Und die staatliche Vorratsdatenspeicherung, die Online-Durchsuchungen, die Internetzensur (die im Moment nur ausgesetzt ist), das alles wird verschwiegen. Aber dass nicht einmal dieser “Journalist” sie erwähnt und stattdessen so eine Frage stellt, zeugt einmal natürlich von kompletter Ahnungslosigkeit auf diesem Gebiet, aber auch wiedermal vom Niedergang der ehemaligen “vierten Gewalt”.

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Auf dem rechten Auge blind

Die BILD behauptet, dass die Zahl der Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund im Jahr 2009 deutlich zurückgegangen sei. Und diese Meldung wurde natürlich mal wieder von mehreren Nachrichtenagenturen übernommen, ohne sie zu überprüfen. Sie beruft sich dabei auf das BKA – in Wirklichkeit stammen die angeblichen Zahlen gar nicht von diesem. Die endgültigen Zahlen über rechtsextreme Gewalttaten liegen tatsächlich noch gar nicht vor, sind aber nach vorläufigen BKA-Schätzungen nahezu ebenso hoch wie 2008 – die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten insgesamt lag nach diesen Schätzungen mit 20.000 im Jahr 2009 auf Rekordniveau (Quelle). Doch das stört BILD-Chefkorrespondent Einar Koch nicht besonders, der die Zahlen wieder einmal – nach 2006, wo sie im Gegensatz zur BILD-Berichterstattung (deutlicher Rückgang) drastisch gewachsen waren – systematisch kleinrechnet: Einar hat aufm rechten Auge ein Milchmädchen (BILDBlog). Vergleicht man dies einmal mit der “Berichterstattung” der BILD über “Linksextremisten” (siehe z.B. hier oder hier), kann einem wirklich schlecht werden.

Wer versucht, rechte Gewalt – also regelmäßig beschädigte Menschen – durch den Verweis auf linke Gewalt – also regelmäßig beschädigte Sachen – zu relativieren, muss sich der Prämisse bedienen, dass der Wert beispielsweise eines totgeschlagenen Menschen dem Wert beispielsweise eines abgebrannten PKW entspricht, dass Opfer rechter Gewalt also eher Sachen sind und nicht Menschen. Wie kann man sich denn bitteschön ernsthaft eine solche Denkweise zueigen machen? (Holgi)

NACHTRAG: Lesenswert dazu ist auch der Kommentar von Stefan Niggemeier: Malen nach Zahlen.

Man kann natürlich fragen, welches Interesse die „Bild”-Zeitung und ihr Chefkorrespondent Einar Koch daran haben, das Ausmaß rechtsextremistischer Gewalt in diesem Land kleinzureden. Ich vermute, es ist ein alter, aus ideologischeren Zeiten übrig gebliebener, rechter Reflex, der in doppelter Hinsicht gegen die Linke zielt: Man versucht ihren Generalverdacht, dass Deutschland immer noch und wieder voller Nazis sei, zu widerlegen. Und man behauptet, dass die Gewalt von links ohnehin das viel drängendere Problem ist. (Die mutmaßlich linken Brandstifter, die in Hamburg und Berlin seit Monaten Autos anzünden, nennt „Bild” nicht zufällig „Terroristen”.)

Aber der Grund, warum ich mich über die Falschmeldung über den Rückgang rechter Gewalt besonders geärgert habe, hat weniger mit „Bild” zu tun. Sondern mit allen anderen. In dieser Geschichte steckt fast das ganze Elend des Journalismus von heute.  (…)

Währenddessen behält sich die Springer AG das Recht vor, im Wahlkampf einseitig und irreführend über die Parteien und ihre Programme zu berichten, wie es BILDBlog ausdrückt: Linke Wahlkampf-Berichterstattung. Die BILD am Sonntag hatte im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 bei einer Übersicht über die Steuerpläne der Parteien bei der Partei Die Linke ausschließlich Vorhaben für Steuererhöhungen aufgeführt, versehen mit dem Kommentar “Die Linkspartei denkt nur ans Erhöhen”. In Wirklichkeit fanden sich in den Forderungen der Linken Steuersenkungen für viele gesellschaftliche Gruppen – doch diese waren v. a. Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen. Auch der Presserat erkannte dies und erteilte der BILD einen “Hinweis”. Na dann.

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Haben die Mainstream-Medien Angst vor einer linken SPD?

Teile des Mainstream-Journalismus machen tatsächlich auch jetzt noch weiter mit ihren Kampagnen für ein wirtschaftsliberales Land und dafür, dass möglichst alle Parteien wirtschaftsliberal sein sollten.

Tagesschau.de propagiert TINA („There is no alternative“) zur Agenda-Politik:

tagesschau.de: Wofür ist die SPD bestraft worden?

Niedermayer: Sie hat seit längerer Zeit ein inhaltliches Glaubwürdigkeitsproblem. Das Stichwort in dieser Debatte lautet ja immer “Agenda 2010”. Aber meiner Ansicht nach hat das schon sehr viel früher angefangen, nämlich 1998: Damals hat die SPD den Leuten versprochen, den Sozialstaat umzubauen, ohne dass es den Bürgern wirklich weh tut. Das Versprechen konnte man in der Regierung nicht halten. Die SPD hat durch die Veränderung ihrer Position im Konflikt um den Sozialstaat einen Teil ihrer traditionellen Wähler verloren, ohne dass sie neue Wählerschichten dauerhaft an sich binden konnte.

Die Zeit redet wieder von einer „sozialdemokratischen CDU“ und identifiziert als Hauptursachen der Wahlniederlage der SPD, dass diese „programmatisch und personell ausgelaugt“, überaltert und zerstritten sei. Agenda 2010 oder Hartz IV werden nur am Rande erwähnt. Sie  singt gar einen Abgesang auf sozialdemokratische Politik per se, die durch die Globalisierung obsolet geworden sei. Außerdem finden sich klare Wertungen der Stömungen in der Partei: „moderne Reformpartei“ versus „alte Umverteilungs-SPD“.

„Will die SPD nicht noch tiefer in den Abwärtsstrudel hineingezogen werden, dann muss sie sich einerseits programmatisch von der Linken abgrenzen und andererseits machtstrategisch auf sie zugehen.“

ist schließlich einer der zynischsten Kommentare, die ich zu dem Thema gelesen habe. Eine Agenda-SPD, die nur aus Machgründen mit der Linken zusammenarbeitet, wäre sicher der Gipfel der Verlogenheit und des Verlustes von politischen Werten. Und wem noch nicht klar sein sollte, wo der Zeit-Artikel steht, dem sollte das folgende Zitat hilfreich sein:

„Wenn die SPD hingegen nun versucht, auf den Oppositionsbänken im Bundestag der Linkspartei in Sachen Populismus und haltlose Versprechen Konkurrenz zu machen, könnte sie am Ende endgültig in den Abgrund stürzen. Denn das können Lafontaine und Gysi allemal besser.“

Eine schwache, wirtschaftsliberale Neue Mitte – SPD ist vielen offensichtlich deutlich lieber als eine wirklich linke SPD, die sich auf sozialdemokratische Werte und Wurzeln besinnen und eine Gefahr für den wirtschaftsliberalen Sozialabbau-Einheitskonsens werden könnte.

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