Ein schmaler Grat

Der Tod von Osama Bin Laden, der am Montag von Spezialkräften der US-Armee in seinem Versteck in Pakistan getötet wurde, muss wohl von niemandem betrauert werden. Doch bieten die Umstände seines Todes auch Grund zur Sorge. Denn es ist, das haben diese gezeigt, ein schmaler Grat zwischen Selbstverteidigung gegen Terroristen und Lynchjustiz. Es stellen sich außerdem rund um die Ereignisse des Einsatzes einige Fragen: Was hat es mit den Umständen seines Todes und seiner Bestattung auf sich? Wie ist das Vorgehen der USA insgesamt zu bewerten? Darf man Terroristen töten – und das eventuell auch gezielt? Was bedeutet der Tod von Osama Bin Laden für den “Krieg gegen den Terror” und die internationale Sicherheit? Und was schließlich könnten die Auswirkungen auf Deutschland sein? Auf diese Fragen soll versucht werden, hier eine Antwort zu finden und der Anstoß zu weiteren Diskussionen geben werden.

Der Tod Bin Ladens: Noch viele offene Fragen

Die Umstände während und nach Bin Ladens Tod sind geradezu prädestiniert für Verschwörungstheorien. Einige Fragen drängen sich für Jedermann auf: Wieso wurde die Leiche nicht obduziert? Warum diese schnelle (und im islamischen Gebrauch unübliche) Seebestattung? Vor allem: Was genau ist während des Einsatzes passiert? Dieses und noch Weiteres ist bisher unklar – und könnte es weiter bleiben. Präsident Obama hat entschieden, dass die Fotos des toten Bin Laden nicht veröffentlicht werden sollen. Ein schwer nachvollziehbarer Schritt, hätte man hier doch die üblichen Verschwörungstheoretiker widerlegen können. Einige Angaben unmittelbar nach dem Tod Bin Ladens und spätere widersprachen sich außerdem in wichtigen Punkten. Hieß es etwa zunächst, Bin Laden sei bewaffnet gewesen und habe eine Frau als “menschliches Schutzschild” benutzt, wurde beides später revidiert. Zweifel am tatsächlichen Tod Bin Ladens scheinen jedoch wenig begründet. Vielmehr könnte es der Ablauf des Todes Bin Ladens sein (der eventuell niemals öffentlich ganz aufgeklärt werden wird), der die “weiße Weste” der USA beflecken könnte.

Bildnachweis: The White House/ Flickr

Der genaue Ablauf des Einsatzes, der zur Tötung Bin Ladens führte, ist entscheidend für eine rechtliche und moralische Beurteilung. Die entscheidende Frage für die Bewertung ist dabei für viele, ob es sich bei der Aktion um den Versuch einer Festnahme oder um eine gezielte Tötung handelte. Bisher werden beide Varianten gehandelt. So spricht ein Angehöriger des Büros für Nationale Sicherheit gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters von letzterem, Obamas Sprecher dagegen von ersterem. Der CIA-Chef und designierte künftige Verteidigungsminister Leon Panetta schließlich sagte in einem Interview, die am Einsatz beteiligten Soldaten hätten die Berechtigung gehabt, Bin Laden zu töten. Wenn sie aber die Möglichkeit zu einer Festnahme gehabt hätten, hätten sie diese wahrnehmen sollen. Dies wird sogar konkretisiert: Das wäre etwa der Fall gewesen, wenn er plötzlich die Hände hochgenommen und seine Gefangennahme angeboten hätte. Dies sei aber nicht geschehen, es habe, so Panetta, einige “bedrohliche Bewegungen” gegeben, weshalb die Soldaten feuerten. Der Sprecher des Weißen Hauses gibt inzwischen an, Bin Laden sei in einem “unberechenbaren Schusswechsel” getötet worden. Er sei zwar nicht bewaffnet gewesen, habe sich aber “auf andere Weise gewehrt”. Allerdings hieß es später von Regierungsbeamten dann, nur zu Beginn des Einsatzes habe einer von Bin Ladens Männern gefeuert. Als die Soldaten den Raum Bin Ladens betraten, seien aber Schusswaffen in dessen Reichweite gewesen. (more…)

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Keine Solidarität mit Diktatoren!

Sitzungssaal des UN-Sicherheitsrates (1)

Der UNO-Sicherheitsrat hat eine Resolution beschlossen, die die Mitgliedsstaaten beauftragt, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um Zivilisten in Libyen zu schützen. Er hat sie auch ermächtigt, notfalls auch mit militärischen Mitteln (außer dem Einsatz von Bodentruppen) eine Flugverbotszone über Libyen einzurichten. 10 Länder stimmten für die Resolution. Russland, China, Indien, Brasilien und Deutschland enthielten sich.

Die Positionen in Deutschland sind nun zweigeteilt – und auf beiden Seiten von ziemlich starken Emotionen geprägt: Die einen sprechen von kriegslüsternen Bellizisten, die anderen von realitätsfremden Radikalpazifisten. Dabei ist die Sache längst nicht so einfach: Weder scheint es angemessen, die Morde und Verbrechen von Gaddafi und seinen Schergen als “in der Souveränität eines Staates liegend” zu verharmlosen, noch ist jedes Vorgehen und jedes Opfer recht, um “den da endlich wegzukriegen”. Die beiden möglichen Vorgehensweisen – ein militärisches Eingreifen oder das Verbleiben bei anderen Sanktionsmöglichkeiten – beide bieten
Chancen und Risiken, beide haben moralische Rechtfertigungen. (more…)

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Quousque tandem, Herr Minister?

Zu Guttenberg oder die Verdunklung einer “Lichtgestalt”

Von Frank Benedikt

“Wie lange noch, Catilina, wirst du unsere Geduld missbrauchen?” Mit diesem berühmten Zitat begann im antiken Rom einst Marcus Tullius Cicero die erste seiner Reden gegen Catilina, und man ist versucht, dies in abgewandelter Form auch dem Verteidigungsminister zuzurufen, der immer mehr zu einem “Selbstverteidigungsminister” mutiert. Natürlich ist Karl-Theodor zu Guttenberg keinesfalls einem Hoch- und Landesverräter gleichzusetzen, aber er strapaziert zunehmend die Geduld des Publikums.

Zu häufig  hat der Herr der Hardthöhe durch Versäumnisse, unverständliche Personalentscheidungen und mangelnde Kommunikation geglänzt, zu häufig schien er weniger dem Amt und den ihm anvertrauten Soldatinnen und Soldaten die nötige Fürsorge angedeihen zu lassen, denn seiner eigenen Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit. Die jüngste Affäre um sein “Doktorspielchen” ist dabei nicht wirklich von Belang, denn für das Amt eines Ministers ist es unerheblich, ob dieser einen (Adels-) oder akademischen Titel führt, allerdings spielen zwei Aspekte doch eine nicht unwichtige Rolle: Hat der Minister mit Vorsatz gehandelt und sagt in der Folge bewußt die Unwahrheit? Und hat er sich zur Erlangung der Doktorwürde gar des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bedient, der nur dafür gedacht ist, die Abgeordneten bei ihrer offiziellen Tätigkeit zu unterstützen? Eine solche Selbstbedienung könnte sich schnell als “Amtsmissbrauch” gedeutet finden und sollten auch unehrliche Politiker in dieser Republik keinen Ausnahmefall darstellen – der Missbrauch des Amts jedoch wird in Deutschland auch weiterhin nicht vom Wähler goutiert. (more…)

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Guttenberg, Schäuble und die “vierte Gewalt”

Zwei aktuelle Beispiele verdeutlichen einmal mehr, wie es seit langem um die deutschen Medien, die sich gerne selbst als „vierte Gewalt im Staat“ sehen und bezeichnen, bestellt ist: Sie sind längst keine kritische Gegenmacht zur Staatsgewalt mehr, sind kein auch nur irgendwie neutraler oder objektiver Beobachter, sondern gezielte Stimmungsmacher für bestimmte Interessen. Für eine fast deckungsgleiche Auffassung, als deren Konsequenz Horst Köhler noch zurückgetreten war (die Befürwortung von Wirtschaftskriegen) erntet zu Guttenberg ausschließlich Lob. Wolfgang Schäuble jedoch wird ein eher lässlicher Aussetzer schwer angelastet.

Zu erklären ist dies wohl nicht nur durch persönliche Faktoren und einen unterwürfigen Personenkult der deutschen Presse, sondern auch durch politische Gründe: Während Schäuble Steuersenkungen im Weg steht, ist Guttenberg ganz auf wirtschaftsliberaler Linie.

Guttenberg und Wirtschaftskriege

Guttenberg hatte am 9. November Militäreinsätze zu Gunsten deutscher Wirtschaftsinteressen befürwortet. Er plädierte für einen “unverkrampften Umgang” mit wirtschaftlichen Interessen in der Sicherheitspolitik, mit denen man “offen und ohne Verklemmung” umgehen solle und sprach dabei von Sicherung der Handelswege und der Rohstoffquellen. Wir erinnern uns: Für seine Forderung, dass Deutschland zur Absicherung seiner wirtschaftlichen Interessen auch militärische Einsätze durchführen sollte, hatte der damalige Bundespräsident Köhler heftige Kritik geerntet, auch von breiten Teilen der deutschen Medien. Aufgrund dieser Kritik war er dann auch zurückgetreten. Guttenberg nun verteidigte dann auch ausdrücklich Köhlers Aussage, dieser habe “über etwas Selbstverständliches” gesprochen. Im Gegensatz zu Köhler gab es nun jedoch so gut wie kaum ein Echo in den deutschen Medien. Wenn es Kommentare gab, so wurden zu Guttenbergs Aussagen meist schöngeredet, und gar verteidigt. (more…)

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Vermischtes: 9. November, Wirtschaftskriege, Bürgergeld, Lobbyismus

Einige Hinweise und Kommentare zu aktuellen Artikeln: Heribert Prantl wirft der Politik zum 9. November Heuchelei vor, wenn sei von einer christlich-jüdischen Tradition  in Deutschland spricht. Guttenberg spricht sich für Militäreinstze zugunsten wirtschaftlicher Interessen aus und vertritt damit genau den selben Standpunkt, wegen welchem Horst Köhler zurückgetreten war. Die Einführung eines Bürgergeldes würde in Wirklichkeit vor allem den Wohlhabenden nützen und sogar negative soziale Auswirkungen haben. Und das neue Vdeo von Alexander Lehmann zeigt, wie Lobbyismus in Deutschland funktioniert. (more…)

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Ein Jahr Schwarz-Gelb – eine Bilanz

Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist heute auf den Tag ein Jahr im Amt. Wie fällt ihre Bilanz aus?  Hier sollen ein paar der wichtigsten Programme und Maßnahmen der letzten zwölf Monate, Positives und Negatives, zusammengestellt werden, geordnet nach dem Ressort (Ministerium).

Eine Benotung der Kabinettsmitglieder darf bei so etwas natürlich auch nicht fehlen. Einmal habe ich eine, natürlich rein subjektive, Bewertung abgegeben, in umgekehrter Schulnotenform (1 Punkt = Note 6, 6 Punkte = Note 1). Aber natürlich können auch die Leser ihre Stimme abgeben (auf die jeweilige Anzahl Sterne und dann noch auf “Submit” klicken!). Ich bin mal gespannt, wie ihr die Leistung der einzelnen Regierungsmitglieder seht!


Bundeskanzlerin

(1)

Negatives: Ideale, Ziele oder politische Ideen hatte  Angela Merkel sowieso noch nie. Ziel ist nur, so lange wie möglich an der Macht zu bleiben. Merkel turnte ein wenig auf internationalen, und vor allem auf europäischen Konferenzen rum. Dort hat sie aber, unter anderem durch ihr Zögern bei der Griechenlandkrise, riesigen Schaden angerichtet. Sie tut alles, damit sich Europa auf eine ausschließlich wirtschaftsliberale Linie festlegt. Im Innern bestimmen eh andere die Leitlinien der Politik. Worauf es ihr ankommt, ist ihre hierhin-dorthin-Politik irgendwie zu verkaufen. Doch auch das gelingt ihr immer weniger.

Positives: In vielen Bereichen ist es ihr gelungen, die völlig abwegigen Vorstellungen der FDP zu verhindern und mäßigend zu wirken. Auch die (rechts-, national-) konservativen Flügel der Unionsparteien konnte sie eindämmen.

Bewertung (Guardian of the Blind):

2 von 6

Bewertung (Leser):

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Nach Köhlers Rücktritt: Es ist noch nichts gewonnen

Die Äußerungen Horst Köhlers, die, indem sie ablehnende Reaktionen von vielen Seiten hervorriefen, zu seinem Rücktritt geführt haben, sollten, auch in der aktuellen Diskussion um den neuen Bundespräsidenten, nicht in Vergessenheit geraten. Der Focus einer linken Kritik sollte sich von diesem Punkt nicht abwenden (und sich nicht nur etwa auf Personalfragen richten). Derzeit stehen Räume für politische Deutungsmuster und Aktionen offen, die die politische Linke (ob in Parteien, der Zivilgesellschaft oder in den Medien) nicht ungenutzt lassen sollte.

Die Hauptkritik der veröffentlichten Meinung zielte eher auf die Art des plötzlichen Abtritts Köhlers. Wichtiger wäre jedoch, weiterhin klar zu machen, dass Köhler sich durch den Inhalt seiner Äußerungen selbst als Staatsoberhaupt disqualifiziert hat. Jemand, der für Kriege für freie Handelswege eintritt und damit so offen die Verfassung und das Völkerrecht in Frage stellt, kann für ein Staatsamt nicht in Frage kommen. Es gilt, klar zu machen, was damit (im Extremfall) gemeint ist: Menschen in ärmeren Ländern umzubringen für die Interessen deutscher Großkonzerne. Das ist in der Tat populistisch, aber es ist nun mal die Wahrheit, deutlich ausgesprochen.

Und so etwas wie “Ja, das ist nun mal so, er sagt nun mal die Wahrheit” ist nicht genug: “Es darf nicht so sein!” muss die Parole lauten. Und v.a. müssen all die Stimmen argumentativ bekämpft werden, die Kriege für die deutsche Wirtschaft auch noch gutheißen. Ich meine, so etwas ist noch gefährlicher, als nicht-ökonomische Gründe von Auslandseinsätzen überzubetonen. Solche Ansichten dürfen auch nicht noch legitimiert werden. Sie sind gegen das Recht, mehr noch, sie sind gegen Werte wie Frieden und Freiheit und Gleichheit aller Menschen.

Wie kann man dieses Thema konkret angehen? Afghanistan scheint in der Tat nicht unbedingt passend, da dort wirtschaftliche Interessen wohl höchstens als nebensächliche Faktoren gelten können. Stattdessen sollte man sich ruhig auf Somalia konzentrieren, da dort ganz offen für die Wirtschaft der Industriestaaten gekämpft wird, und es sollte klar gemacht werden, dass man auch mit anderen Mitteln die Instabilitäten vor Ort bekämpfen kann statt mit reiner Militärpolitik. Es darf nicht vergessen, das gerade “der Westen” eine große Schuld daran trägt, dass in Somalia quasi kein funktionierender Staatsapparat mehr vorhanden ist, und dass die massive Not dort der Antriebsfaktor der Piraterie ist, und nicht, die Wirtschaft des Nordens gezielt zu schwächen o.ä.

Bei der Frage der Nachfolge Köhlers sollte man betonen, dass Köhler eindeutig ein parteipolitischer Präsident der schwarz-gelben Koalition war. Er war tätig gewesen als Vorkämpfer des Neoliberalismus und Finanzmarktkapitalismus in der Bundesregierung und im IWF, und er ist nur durch dem Amte unwürdiges Postengeschacher von Union und FDP in dieses gekommen. Und dies gilt auch für seinen potentiellen Nachfolger Wulff: Er steht genauso für eine gescheiterte marktradikale Politik, seiner Nominierung ging ebenso ein Hinterzimmerklüngel voraus.

Mit dem Abgang Köhlers wäre nicht viel gewonnen, wenn sein Nachfolger seine Politik weiter fortführt und wenn seine Ansichten nicht fundamentale Ablehnung erfahren oder wenn sie gar populär werden würden. Zumindest gegen Letzteres kann man auch außerhalb der Machtzentralen des Parteienstaates vielleicht etwas beitragen.

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Zum Verfahren gegen Oberst Klein

Kurz noch ein paar Hinweise auf lesenwerte Artikel und Kommentare zum Verfahren gegen Oberst Klein und zum Afghanistan-Einsatz:

Informationen zur Einstellung des Ermittlungverfahrens durch die Bundesanwaltschaft (Telepolis pnews): Freibrief für Luftschlag in Afghanistan

Soweit die Getöteten zu den Aufständischen gehörten, war der Angriff auf sie nach Ansicht der Juristen berechtigt. Eine Bekämpfung durch Bodentruppen sei wegen der damit verbundenen Gefährdung der eigenen Truppen nicht zumutbar gewesen (…) Die Entscheidung der Bundesanwaltschaft dehnt in einem Zusatz die straflosen militärischen Angriffsmöglichkeiten noch weiter aus

Interview auf Spiegel online: Verfahren gegen Oberst Klein: Ex-Bundesrichter Neskovic wirft Bundesanwaltschaft mangelnde Distanz vor

Neskovic: Die veröffentlichte Begründung ist juristisch gesehen handwerklich so unbefriedigend und lückenhaft, dass es gar nicht möglich ist, die Entscheidung nachzuvollziehen. Die Argumentation ist nicht transparent, weil sie sich hinter der Geheimhaltung der zugrunde liegenden Dokumente verschanzt. Eins ist klar: Die Bundesanwaltschaft hat eine ihrer wichtigsten Pflichten vernachlässigt. Sie hätte die Vorgänge in Kunduz mit einer kritisch zivilen Distanz prüfen müssen. Stattdessen hat sie sich ausschließlich die militärische Sichtweise zu eigen macht.

Kommentar vom Spiegelfechter: Kriegsrecht

Je stärker der deutsche Kriegseinsatz in Afghanistan gesellschaftlich kritisiert wird, desto dichter rücken die staatlichen Organe zusammen, die diesen Krieg bis zum Endsieg von „Demokratie und Freiheit“ fortführen wollen. Ein deutscher Offizier befehligt im fernen Kunduz einen Bombenangriff auf eine Menschenmasse und nimmt dabei – zwar nicht vorsätzlich, aber dennoch fahrlässig – zivile Opfer in Kauf und die Bundesanwaltschaft stellt trotz überwältigender Indizien und Beweise, die zumindest eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung in 74 bis 83 Fällen rechtfertigen würden, das Verfahren gegen diesen Staatsbürger in Uniform ein. Mit Zivilrecht und Rechtsstaatlichkeit hat dies nur wenig zu tun – Deutschland ist im Krieg angekommen und wenn es um die Bundeswehr geht, herrscht offensichtlich Kriegsrecht. Ob die Verantwortlichen – und dies sind nicht nur Uniformträger – für das bisher schlimmste Kriegsverbrechen seit dem Untergang des Dritten Reiches je zur Verantwortung gezogen werden, darf bezweifelt werden. (…)

Es herrscht Krieg und im Krieg gilt Kriegsrecht. Kein Wunder, dass die Bundeswehr die Entscheidung der Bundesanwaltschaft bejubelt – nun darf sie endlich töten, ohne großartig Angst zu haben, in der Heimat für die rechtlichen Folgen geradestehen zu müssen. Oberst Klein mag formaljuristisch unschuldig sein – moralisch trägt er jedoch die volle Verantwortung für sein Handeln

Kommentar von SZenso: Hofberichtblogging (12): Über die Unbedenklichkeit des Kollaterierens

Weshalb wir als nichtafghanische Bürger bei diesem Krieg mittöten und -sterben, ist jedoch keine Frage, die wir uns in Kriegszeiten stellen sollten.Die in der Qualitätshofberichterstattung oftmals geforderte Rechtssicherheit für unsere im Krieg befindlichen Soldaten wurde endlich geschaffen. Die Soldaten brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie am Check Point afghanische Familien oder im friendly fire ihre afghanischen Kameraden kollaterieren. Was jedoch weiterhin nicht geht, ist zum Beispiel der Diebstahl von Kantinenbesteck oder nicht polierte Stiefel. Dann wird das ganze Arsenal an disziplinarischen Maßnahmen ausgepackt und der Soldat gemaßregelt, denn immerhin sind wir zivilisiert und das sind und bleiben wir natürlich auch im Krieg. Wir haben in Afghanistan in erstaunlich kurzer Zeit erfolgreich das Töten und Sterben gelernt, alte Kriegstraditionen wieder belebt und wir werden auch die kommenden Herausforderungen  meistern. Es gibt im Grunde nur noch eine Schwachstelle, die Heimatfront ist noch unterentwickelt. Das Kämpfen und Kollaterieren muss wieder als soldatisches Heldentum begriffen und in der Heimat entsprechend gewürdigt werden. Bei jedem toten deutschen Soldat muss der animalische Reflex der Rache und Vergeltung unverzüglich nach dem Blut des Feindes verlangen.

Kommentar von Andrian Kreye (Sueddeutsche.de): Völkerstrafrecht – Niederlage im Kampf um Herzen und Köpfe

Das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein wurde eingestellt. Damit stellt Deutschland seine Rolle als Speerspitze der Glaubwürdigkeit aufs Spiel.

NACHTRAG: Kommentar von Jakob Augstein (Der Freitag): Die Wahl der Waffen

(…) dieser Mann kann allen deutschen Soldaten künftig als Vorbild dienen: Die wahllose Tötung von Menschen, seien es Zivilisten oder Kämpfer, Männer oder Frauen, Greise oder Kinder, ist im Krieg Alltag und kein Vergehen, und die Justiz ist nicht zuständig. Man kann getrost damit rechnen, dass die eigene Gerichtsbarkeit der Bundeswehr sich des Falles, wenn überhaupt, dann gnädig annehmen wird.

Bundeswehr und Bundesregierung waren erfreut, dass Richter und Staatsanwälte sich nicht mit Oberst Klein befassen werden. Es hieß, diese Entscheidung gebe den Soldaten nun Rechtssicherheit. Die Soldaten können mit mehr Sicherheit töten. Es wird ihnen nichts geschehen. Wenn Oberst Klein davonkommt, wird jeder andere auch davonkommen. 91 Menschen verlieren ihr Leben, und es wird niemand zur Rechenschaft gezogen. Es geschieht einfach. Das ist die Wirklichkeit des Krieges. Diese Wirklichkeit greift die Moral der deutschen Gesellschaft an, so wie sie die Moral aller Gesellschaften auf Dauer angreift, die sich im Krieg befinden. Die Frage nach Schuld und Unschuld des Einzelnen, die in der Zivilgesellschaft Grundlage jeden staatlichen Eingriffs ist, spielt im Krieg keine Rolle mehr. Es dürfen alle sterben. Die Schuldigen und die Unschuldigen. Die Männer und die Kinder. Im Tode sind sie alle gleich.

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Vom Töten und vom Sterben

In Afghanistan haben tapfere US-amerikanische Soldaten acht Kinder und Jugendliche im Schlaf erschossen. Verneigen wir uns vor dem Mut und der Tapferkeit! Und da man in Deutschland ja heutzutage offenbar nicht für das Töten von Zivilisten belangt wird (zumindest, wenn es Afghanen sind), dürfen wir vielleicht auch bald auf ähnliche Heldentaten unserer Jungs hoffen! Für die Brunnen und die Schulen! Und die Frauenrechte!!

Warum wird man in Deutschland eigentlich freigesprochen, wenn man in Afghanistan “142 Menschen, darunter auch viele Zivilisten” tötet? Warum gibt es in Deutschland eigentlich keine Trauerfeiern für getötete afghanische Zivilisten? Warum soll ich diese ignorieren? Warum soll ich aber um gefallene Soldaten trauern? Warum soll ich Respekt haben vor Menschen, die sich freiwillig gemeldet haben, Menschen auf Befehl zu töten?

Roberto von ad sinistram hat ein paar sehr treffende Worte gefunden:

Mit Ihnen trauert ein ganzes Land! (…) Ich weiß nicht, wie andere das wahrnehmen, aber ich, in diesem Lande lebend, trauere nicht; ich will damit nichts zu tun haben. Man spreche nicht an meiner Statt! Das verbitte ich mir! Man verstehe mich bitte nicht falsch: ich freue mich auch nicht, dass Blut geflossen ist. Aber dieses Blut, es hat nichts mit mir zu tun. (…)

Deutschland verneigt sich vor Ihnen! (…) Ich aber nicht! Ich weiß, das mag für manchen starker Tobak sein. Zurückhaltung!, wollen sie mir belehrend zurufen. Über Tote nichts Schlechtes!, lehren sie mich. Ich weiß, ich weiß! Pietät und Ehrfurcht und so. Aber bitte, ich will doch den Toten gar nichts Böses nachsagen. Ich weigere mich ja auch ausdrücklich, sie zu verurteilen, weil sie Soldaten waren, weil sie an einem Angriffskrieg teilnahmen, der verfassungswidrig ist. Und dass es denen recht geschähe, wird man hier nicht lesen, wenngleich man natürlich festhalten muß, dass derjenige, der seiner Arbeit im Kriegsgebiet nachkommt, auch wissen muß, wie traurig das alles enden kann. Aber recht geschieht ihnen der Tod nicht! Gegen solche kraftmeierische Verächtlichkeiten wehre ich mich. Doch verneigen? Ich möchte doch sehr bitten!  (…) Aber einen Knicks für Fremde zu machen, die ihren besoldeten Dienst im eroberten Ausland getan, die einen Quisling des Westens zur Regierung verholfen haben, die im Zweifelsfall geschossen hätten oder sogar haben? (…)

Oh nein, ich bin wahrhaftig nicht stolz darauf, Hinterbliebene zu brüskieren – aber ich kann nicht damit leben, als Teil einer Trauergemeinde angesehen zu werden, der ich nicht angehöre. Ich kannte jene Toten nicht und ich will deren Engagement, das nun andere an ihrer Stelle weiterbetreiben, auch weiterhin nicht kennen – sie schießen dort nicht für mich, daher verneige ich mich nicht. (…) Ich trauere nicht mit einer Gesellschaft, die es als hinterhältige Morde ansieht, wenn Besatzungssoldaten erschossen werden, die sich aber beruhigt durchschnaufend zurücklehnt, wenn es nur Afghanen waren, die im Kugelhagel oder Bombenregen starben; ich trauere nicht um Soldaten, die vorher wußten, dass sie sich für ein Kriegsgebiet entschieden haben, in dem man auch zu Schaden kommen kann; ich trauere nicht an der Seite von Selbstdarstellern, die die Freiheit am Hindukusch verteidigen wollen, während sie zwischen Rhein und Oder selbige schrittweise beschneiden. Darauf muß ich nicht stolz sein – aber ich muß es loswerden dürfen!

Und auch Georg Schramm trifft es mal wieder:

http://www.youtube.com/watch?v=9YUDvAnoM7I

Ich finde dabei überhaupt nicht, dass man sich dafür schämen muss, wenn man für den Frieden und gegen sinnloses Töten und Sterben eintritt. Und ich finde, auch eines muss gesagt werden: sicherlich sind v.a. die verantwortlich, die die Soldaten in den Krieg schicken, sind es die Politiker in ihren bequemen Büros abseits des Geschehens. Aber ich kann auch vor Soldaten selbst, vor denen, die es zu ihrem Beruf gemacht haben, die Menschen, bei denen es ihnen befohlen wird, zu töten, keinen Respekt empfinden. Es sind nicht “meine Jungs”. Nein, ich kann dies nicht nachvollziehen, empfinde es nicht als “Dienst am Vaterland”. Ich kann dem Töten von Menschen auf Befehl nichts abgewinnen.

Und ich glaube auch nicht, dass diejenigen, die sich zur Armee melden, nur Deutschland vor bösen Angreifern verteidigen wollen o.ä. Nein, sie wissen, was auf sie zukommen kann. Sie wissen, was sie für ihren eventuell Sold tun müssen. Und, ich muss es so deutlich sagen, ich habe mehr Respekt vor einem Arbeitslosen als vor jemandem, der für Geld dazu bereit ist, Menschen zu töten, oder ihr Töten zu befehlen, oder Armeen von Tötenden auf der Landkarte zu verschieben. Nicht, weil er glaubt, dass dies richtig ist, nicht für ein höheres Ziel. Sondern, damit er sein Geld bekommt. Nein, davor habe ich keinen Respekt.

Falls jemand aus anderen Beweggründen beim Militär ist, falls er glaubt, dort etwa die Sicherheit Deutschlands gewährleisten zu können oder Sicherheit und Frieden weltweit auf diese Art schaffen zu können, dann teile ich diese Ansicht nicht unbedingt, aber dann respektiere ich diese. Doch dann frage ich diese, die etwa oft sagen, dass sie etwa den Afghanistan-Krieg nicht befürworten, auch: Warum kämpft ihr dann trotzdem dort? Warum tretet ihr nicht öffentlich gegen den Krieg ein. Und v.a.: Warum tretet ihr aus der Bundeswehr nicht aus?

Das mag hart klingen, und ich denke auch keineswegs etwas wie “das haben die Soldaten ja nicht anders verdient!”, und ich könnte es auch nicht verstehen, wenn man andererseits das Töten durch Afghanen zu legitimieren versucht. Sie sind gestorben, das bedaure ich. Aber sie sind nicht für mich gestorben.

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