Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW: erfolgreich verlaufen

Bereits nach 11 Tagen sind also die Träume fast aller Mainstream-Medien, der Wirtschaft und gewiss auch des rechten Flügels der SPD wahr geworden: SPD und Grüne werden in Nordrhein-Westfalen keine Koalition mit der Linken bilden.

Aus der Schilderung der Themen des Treffens ist der Verdacht, dass es sich um Alibi-Gesprächen gehandelt habe, zumindest nicht einfach von der Hand zu weisen. Dass ausgerechnet das Verhältnis zur DDR als Hauptargument für ein Ausschlagen einer Zusammenarbeit genannt wurde, und dass dieses Thema v.a. seit letzter Woche Montag nach einer extrem polemisierenden Report Mainz-Sendung beständig durch alle Medien lief, macht die Tragweite der Medienkampagne gegen eine rot-rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen deutlich. Die Grundrichtung der allermeisten deutschen Medien war klar: Rot-Rot-Grün darf es in einem westdeutschen Bundesland nicht geben. Schwarz-Gelb hat aufgrund der unverantwortlichen und diletantischen Nepotismus-Politik der FDP an Attraktivität verloren, Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün (man beachte die massiven Kampagnen vor der NRW-Wahl!) heißt das Gebot der Stunde für die deutschen Journalisten.

Am engagiertesten gegen Rot-Rot-Grün in NRW traten die ARD und die Springer-Presse sowie Focus, Süddeutsche, FAZ, Zeit und Stern ein. Hier war ein geradezu missionarischer Eifer zu beobachten. Selbst für offene Beleidigungen war man sich nicht zu Schade. Berichterstattung und Meinung wurden dabei konsequent nicht getrennt. Weniger aggressiv, aber auch einseitig waren die Berichte und Kommentare von Tagesspiegel, WAZ und Financial Times Deutschland. Differenziertere Berichte und verschiedene Positionen waren bei Spiegel und Spiegel Online, der Frankfurter Rundschau und der Taz zu finden. Die Argumente gegen eine rot-rot-grüne Koalition waren aber auch dort die gleichen:

Zunächst standen Punkte aus dem Linken-Programm wie Verstaatlichungen von Energiekonzernen oder “Recht auf Rausch” sowie das “chaotische” und “als radikal geltende” Personal im Vordergrund. Letztere Argumentationslinie wurde nach der genannten Report Mainz-Sendung die dominante. Und sie lieferte dem rechten SPD-Flügel die Argumente, die er in der öffentlichen Debatte brauchte, um eine Koalition mir der Linken als unmöglich darzustellen, mit der als Tatsache dargestellten Behauptung, dass sich bei der Linken v.a. Extremisten, DDR- und Stasi-Anhänger und Verfassungsfeinde befänden.

Sollte es tatsächlich so sein, so wurden auf jeden Fall bisher, wenn man genau hinschaut, keine überzeugenden Argumente geliefert. Weder der verkürzt dargestellte Aufruf der Sozialistischen Linken, noch die Ablehnung des generellen Gebrauchs des rechtlich und historisch nicht klar definierten Begriffs “Unrechtsstaat” oder die Tatsache, dass der Verfassungsschutz schwarz-gelber Länder bestimmte Organisationen beobachtet (ohne Argumente für deren Verfassungsfeindlichkeit zu liefern, die einer genauen Betrachtung standhalten) können hier eine entsprechende Antwort liefern. Aber natürlich ist es auch verständlich, dass relativierende und ausweichende Statements etwa zur Stasi eine fahlen Eindruck hinterlassen, wenn nicht auch mehr. Zweifelsohne ist das Personal der Linken in NRW nicht das politisch oder rhetorisch geschickteste.

In der Tat sind also die Positionen mancher Linken-Politiker in NRW, auch jenseits der Verzerrungen und Falschdarstellungen der Medien, problematisch. Problematisch ist aber auch, wenn die DDR das Hauptthema bei diesen Koalitionsgesprächen darstellen soll. Doch keine Frage, diese Frage muss auch behandelt werden, und eine Koalition mit Leuten, die tatsächlich die DDR für einen Staat halten würden, den man sich wieder wünscht, kann nicht in Frage kommen. Die Darstellungen über die Gespräche zum Thema DDR unterscheiden sich derzeit zwischen SPD und Linken – war die Linke nun bereit, die DDR als Diktatur zu bezeichnen oder nicht? Worin bestanden genau die Probleme, die die SPD beim Verhältnis der Linken zur DDR, zur Demokratie oder zum Staat gesehen hat? Die nächsten Tage werden hoffentlich Klarheit bringen.

Zu deuten, die Gespräche seien so schnell beendet worden, da Kraft, “anders als die Hessin Andrea Ypsilanti, die Macht offenbar nicht um jeden Preis” wolle, wie Spon es tut, ist eine Möglichkeit – aber schon ziemlich naiv. Ein anderes Deutungsmuster wäre aber vielleicht, dass Teile der SPD gar nicht “den Preis hochtreiben” wollen für eine Große Koalition, sondern den linken Flügel und dessen Positionen gezielt kleinhalten wollen und mit einer Kompromisspolitik aus SPD- und CDU-Linie ganz zufrieden sind, soweit sie gesellschaftlich nicht zu verkrustet ist und wirtschafts- und sozialpolitisch der “Reformlinie” folgt. Auch die Möglichkeit einer gemeinsamen und wirksamen rot-rot-grünen Oppositionslinie und einer entsprechenden Koalitionsmöglichkeit im Bund ist somit freilich geschwächt, und eine Fortsetzung der SPD als Agenda-Partei und Anhängsel der CDU wird wahrscheinlicher. Und das wäre einigen in der SPD wohl nicht gerade Unrecht.

Landespolitische Inhalte waren bei den Sondierungsgesprächen indes nur Nebensache, wirklich wichtige Themen wie Studiengebühren und Schulpolitik wurden gar nicht besprochen. Da die zunächst im Zentrum der medialen Kritik stehenden Punkte Verstaatlichung von E.ON und RWE oder die Abschaffung von Hartz IV von der Linken ja nicht als zwingende Bedingung bezeichnet worden waren und sie nur noch forderte, keinen Sozial- und Stellenabbau und keine weiteren Privatisierungen vorzunehmen, wurden Sozialabbau und v.a. Stellenabbau im öffentlichen Dienst in den Medien konsequent als alternativlos dargestellt (keine Frage, wären es andere Punkte gewesen, hätte die Presse kein Problem gehabt, dann gerade diese als Forderungen darzustellen, die man “ja nun wirklich nicht” erfüllen könne). Dass gerade dieser Wegfall von öffentlichen Stellen, in einem ersten Sondierungsgespräch (!), für ein komplettes Scheitern der Gespräche verantwortlich sein soll, wie dies die Grünen schildern, ist natürlich nahezu grotesk.

Ernüchternd ist auch, dass offenbar selbst den Grünen eine Große Koaltion lieber ist als eine rot-rot-grüne Koalition. Die Grundfesten der derzeitigen wirtschaftsliberalen Politik dürfen offenbar um keinen Preis angetastet werden. Gerade in Zeiten, in denen erst die Finanz- und jetzt die Euro-Krise wirtschaftspolitische Grundfragen in den Vordergrund rücken, müssen alle klein gehalten werden, die für alternative Entwürfe eintreten würden, ob die Partei Die Linke oder die linken Flügel von SPD und Grünen, oder inzwischen selbst Teile der CDU. Zudem darf der als alternativlos dargestellte Sparkurs nicht gefährdet werden, für den die immer noch in der Angebotspolitik verhafteten Politiker eintreten. Die Krisen bieten dabei den gelungenen Vorwand für weiteren Sozialabbau. Einzig die Möglichkeit von Steuererhöhungen ist freilich so von dieser Welt, dass sie nicht ins Auge gefasst werden kann. Aber etwa Steuererhöhungen oder Belebung der Wirtschaft durch höhere Sozialleistungen und öffentliche Beschäftigung sollen gar nicht erst als politische Option in Frage kommen.

Keine Frage, die Medien werden in den nächsten Tagen helfen, der Öffentlichkeit zu versichern, dass der Abbruch der Gespräche die einzige verantwortungsvolle Lösung für unser Land war. Bei den kommenden Koalitionsgesprächen der SPD mit der CDU werden die enormen inhaltlichen Unterschiede kleingeredet werden, womöglich wird ein Amtsverzicht von Rüttgers als das entscheidende Zugeständnis der CDU dienen. Mit Neuwahlen wäre der SPD wohl kaum geholfen, sie wird einer Großen Koalition zustimmen. In einer Großen Koalition wird es in Nordrhein-Westfalen freilich leichter sein, die Interessen der großen Player durchzusetzen: Kohlesubventionen, Sozialabbau, Beibehaltung des sozial selektiven Schulsystems und vielleicht auch der Studiengebühren, das sind die zentralen Punkte, warum in NRW keine rot-rot-grüne Koalition entstehen durfte. Und nicht ein paar versprengte DDR-Nostalgiker.

Link zum Thema:

SPD sieht “keinen Sinn”: Rot-rot-grüne Sondierung gescheitert (Der Freitag)

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One thought on “Kampagne gegen Rot-Rot-Grün in NRW: erfolgreich verlaufen

  1. Von den NachDenkSeiten (http://www.nachdenkseiten.de/?p=5611):

    Angeblich soll das zeitgeschichtliche „Seminar“ auf der Basis einer von den Grünen im letzten Jahr zu den dortigen Landtagswahlen entwickelten „Thüringer Erklärung“ abgearbeitet worden sein. Dort heißt es bezogen auf Ostdeutschland: „Vor einer Aufarbeitung in die Gesellschaft hinein muss das Bekenntnis zur DDR als einem Staat stehen, der eine Diktatur war, der nicht nur kein Rechtsstaat war, sondern ein Willkürstaat, der in der Konsequenz Unrechtsstaat genannt werden muss.
    Bis zur Verurteilung der DDR als „Diktatur“ sollen die Verhandlungspartner der Linken nach eigenem bekunden noch mitgegangen sein, auch dabei dass die DDR „kein Rechtsstaat“ war, haben sie wohl noch mitgezogen. Bei der durchaus subtilen Frage, ob die DDR nun ein „Unrechtsstaat“ war, habe es laut Kraft „relativierende Äußerungen“ gegeben.

    Das wäre allerdings ein sehr merkwürdiger Vorgang. Wie ich schon einmal geschrieben hatte zum Thema Unrechtsstaat:

    Hier gilt es aber ebenfalls zu differenzieren bei solch einem zutiefst unklaren Begiff. Meint man die formale Gültigkeit und Verfolgung von Rechtsnormen, kann man sicher nicht sagen, dass die DDR generell ein Unrechtsstaat war. Macht man aber die Gültigkeit von elementaren Menschen- und Bürgerrechten zum Maßstab, kann man da mit guten Gründen anderer Meinung sein. [Ich bin es auch. In der DDR wurde nach einem Rechtssystem gehandelt, aber dieses ist an sich – politisch und ethisch – zu kritisieren, stellte zwar vielleicht Recht, aber keine Gerechtigkeit dar.]

    Das Recht, dass in der DDR gegolten hat, war sicher in Wirklichkeit ein Unrecht. Aber der Begriff Willkürstaat ist historisch einfach nicht zutreffend. Da hat man sich gerade genau die falsche Deutungsweise rausgesucht.

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