Der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit als Totschlagargument

In der Diskussion zum vorherigen Artikel zu den vergangenen Volksabstimmungen kamen Argumente auf, dass deren Ergebnisse verfassungswidrig seien. Das dreigliedrige Schulsystem sei etwa verfassungswidrig, da Kinder von der Bildung ausgeschlossen würden, das Nichtraucherschutzgesetz in Bayern, da die freie Entfaltung der Persönlichkeit eingeschränkt würde, ohne dass dies durch den Schutz von Anderen ausreichend begründet würde.

Ich halte diese Argumente für nicht sehr tragfähig, und v.a. unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten für nicht zielführend oder angemessen. Man kann Entscheidungen auch politisch ablehnen, ohne ihnen zwanghaft eine Verfassungswidrigkeit andichten zu müssen. Die politische Linke täte gut daran, den Vorwurf der Verfassungswidrgkeit nicht als allgegenwärtiges Totschlagargument zu benutzen – wie es von rechts häufig genug getan wird, wie heute mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, dass die Partei Die Linke weiter vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf.

Für die genannten Positionen gibt es zwar Argumente, aber ich glaube kaum, dass die Volksentscheidungen wirklich gegen die  Grundrechte und die elementaren Verfassungsgrundsätze verstoßen. Diese lassen mit guten Gründen einen Spielraum für demokratische Politik. Die Frage welches Schulsystem man will, ob Rauchverbot oder Religionsunterricht oder nicht, das sind in der Tat legitime politische Sachfragen. Wir können sagen, wir finden, dass ein anderes Bildungssystem besser wäre, dass das Rauchverbot gewisse Freiheiten einschränkt usw. Andererseits kann man aber auch bspw. fragen, was mit den Rechten der Angestellten der Kneipen sei usw., und auch die Befürworter des dreigliedrigen Schulsystems haben ihre Gründe. Diese mögen egoistisch und kurzsichtig sein – dass jedoch ist ein gesellschaftliches Problem. Denn nur weil dann eine vielleicht sachlich schlechte Entscheidung getroffen wurde, verstößt diese nicht unbedingt gleich automatisch gegen die Verfassung.

Wenn wir alle politischen Sachfragen auf Gerichtsentscheidungen reduzieren (die zudem auch nicht immer nachvollziehbar sind), engen wir den Spielraum politischer Gestaltung unnötig ein, kommen zu einer technokratischen, legalistischen Politik, die eher einer Bürokratie ähnelt, die die unangreifbare, politisch festgeschriebene und vorgegebene Politik nur noch ausführen muss– und verfahren dann fast schon wie die Neoliberalen nach einer Art Sachzwanglogik. Wenn wir dem Volk verbieten wollen, sich für ein dreigliedriges Schulsystem zu entscheiden oder für ein Rauchverbot, weil wir ja die einzige Wahrheit kennen, dass das alles ja eigentlich gegen die Verfassung verstößt, ist der Weg zu einer Art Gesinnungsdiktatur nicht mehr weit. Wenn eine von manchen vertretene Rechtsauffassung noch lange nicht von allen geteilt wird, wird sie zu einer politische Frage. Die Auslegung

Nehmen wir ein anderes Beispiel: Hartz IV. Natürlich ist diese Gesetgebung furchtbar. Die Argumente dazu, dass sie grundsätzlich verfassungswidrig sei, sind aber doch eher intuitiv und emotional aufgeladen. Hartz IV ist unsozial, wirtschaftlich sinnlos, das müssen unsere Argumente sein, und nicht pauschal: “das ist ja ehverfassungswidrig!” (gerade wenn diese Auffassung nur ein paar Leute einer politischen Richtung teilen). Oder der Afghanistan-Krieg: man kann ja durchaus gegen ihn sein, aber formal gegen das Völkerrecht hatt er nicht verstoßen. Aber dies alles muss die kritisierten Entscheidungen ja keinesfalls besser machen. Man muss nicht unbedingt versuchen, krampfhaft alles als verfassungswidrig zu deligitimieren, auf Teufel komm raus, auch wenn dies häufig auf tönernen Füßen steht. Diese Entscheidungen sind nichtsdestotrotz kurzsichtig, schlecht, falsch – auch wenn sie geltendem Recht folgen mögen.

Andhand der anderen politischen Seite sehen wir, dass das Argument, etwas verstoße gegen das Grundgesetz, meist benutzt wird, um eine Politik zu bekämpfen, die man ablehnt. Meist greift man auf den Vorwurf der Verfassungswidrgkeit zurück, da dieser einfach ist und man sich nicht mit Argumenten schäftigen muss – oder es nicht kann. Den Verlautbarungen des Verfassungsschutzes nach verstößt schon eine Vergesellschaftung gegen das Grundgesetz – auch wenn deren Argumente sfür diese Affassung sehr wenig fundiert sind und einer näheren Überprüfung nicht standhalten.  Und deshalb sagt die politische Linke ja auch, dass dies eine politisch Frage ist.Ebenso ist das Schulystem in Hamburg eine politische Frage – wo sich leider die anderen durchgesetzt haben. Und solche Fragen sollte und kann man auch nur politisch bekämpfen, indem man dafür sorgt, dass sich die Meinung der Bevölkerung ändert, und nicht rechtlich. Wenn ein Volksentscheid nicht so ausfällt, wi ees einem gefällt, ist er nicht durch dieses Ergebnis automatisch verfassungswidrig.

Mehr noch, die politische Rechte verwendet den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit exzessiv, um politisch linke Positionen und Gruppierungen zu bekämpfen. Heute hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Partei Die Linke weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf. Und selbst Bodo Ramelow darf bespitzelt werden, obwohl er selbst, wie offiziell festgestellt, nicht für verfassungsfeindliche Bestrebungen eintrete. Das  “Argument”: Er trete ihnen auch nicht besonders entgegen. Und nicht einmal einen besonderen Schutz für Abgeordnete will das Bundesverwaltungsgericht zulassen. Dass die Volksvertreter in einer parlamentarischen Demokratie vom eigenen Geheimdienst überwacht werden (und dies freilich von verschidensten Seiten immer wieder benutzt wird, um die politische Linke in ihrem Ansehen zu schädigen – so verglich der Anwalt des Verfassungsschutzes die Partei Die Linke mit den Nationalsozialisten) halte ich insgesamt für völlig untragbar und unseren freiheiltichen und demokratischen Grundsätzen zuwiderlaufen.

Aber ist unser Gegenmodell wirklich eine Justiz, die ähnlich einseitige und nicht nachvollziehbare Entschidungen trifft, nur in unsere Richtung? Sollten wir nicht vielmehr für eine unabhängige, objektive Justiz eintreten? und wollen wir wirklich einen Staat, in dem rechtlich quasi keine neoliberalen und konservativen Parteien existieren dürften, weil fast alle ihre Vorstellungen unserer Meinuung nach verfassungswidrig sind? Hat es nicht fast immer zur Tyrannei geführt, das Volk auf den einzig richtigen Weg zwingen zu wollen? Ist es nicht besser,  in einem freiheitlichen und pluralistischen Staat die demokratischen Entscheidungsstrukturen zu stärken – und in diesem Rahmen zu versuchen, die Bevölkerung aufzuklären, und wieder für linke Werte wie Gerechtigkeit und Solidarität einzutreten?

NACHTRAG:

Zur Entscheifung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass Die Linke weiter vom Verfassungsschuz beobachtet werden darf, gibt es in den Zeitungen und der Blogosphäre ein paar gute Kommentare:

Ein miserables Urteil (Frankfurter Rundschau)

Demokratiegefährder (Der Freitag)

Rechtsstaat gegen Links (Feynsinn)

Urteil zur Linken-Beobachtung: Sabotage der Demokratie (taz)

Urteil: Linke und Verfassungsschutz – Nicht nur rechtswidrig, sondern dumm (Süddeutsche)

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16 thoughts on “Der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit als Totschlagargument

  1. Achje, wahrscheinlich hast Du ja auf deiner Ebene recht.
    (Obwohl, wenn die bayerischen Raucher wie angekündigt beim Verfassungsgericht klagen, ich schon denke, daß sie damit Erfolg haben können. Ich finde es bezeichnend, daß sowohl die meisten Regierungsgesetze inzwischen verfassungsrechtlich problematisch sind als auch die paar Volksentscheide. Irgendwas stimmt hier nicht mehr.)

    Darum wechsel ich mal ganz dreist die Ebene:
    eigentlich finde ich die Verfassung gar nicht so toll. Vielleicht war sie es mal, aber seit den Notstandsgesetzen ist daran soviel herumgedoktort worden, alles steht unter Vorbehalten, vieles ist dadurch (was ja eigentlich auch verboten ist) im “Wesensgehalt” verändert worden (man erinnert sich noch an die Aufhebung des Asylrechts).
    Ganz ähnlich geht es mir auch mit der Menschenrechtskonvention, auf die ich mich auch gerne berufen würde, wenn es da nicht auch ständig so alberne Einschränkungen und Relativierungen gäbe (z.B. die 3 letzten Wörter im Artikel 25.1.)

    Mit diesen Konventionen ist es doch so ähnlich wie mit der Bibel: jeder kann sich darauf berufen und damit völlig gegensätzliche Ziele verfolgen, jeder kann in die “heiligen Texte” hineininterpretieren, was er will. Und dann trotzdem der Meinung sein, man selber vertrete aber die wahre Botschaft, und die anderen seien Häretiker resp. Verfassungsfeinde.

    3. Ebene:

    Die Gesetze werden immer perfekter, trotzdem wird die Gesellschaft immer ungerechter, es wird für immer mehr Leute auch praktisch unmöglich, Zugang zum Rechtssystem zu bekommen. Mich erinnert das an die biblischen Pharisäer, die sich ständig über die kleinsten Details der Sabbat-Vorschriften gezankt haben und darüber jeden Bezug zu den Menschen verloren haben. Und Jesus dann, statt alles ins Letzte regeln zu wollen, auf ganz einfache Regeln zurückkam. Wer ohne Sünde ist werfe den ersten Stein. Und so.
    Diese ganz einfachen Regeln tauchen interessanterweise in jeder Kultur aufs Neue auf. Kants kategorischer Imperativ. Die goldene Regel.

    Ich weiß nicht, wie eine kapitalistische Gesellschaft besser geregelt werden könnte. Ich benutze GG und MRK, um sie bloßzustellen. Ich finde eigentlich viel spannender die Frage, wie die Regeln des Zusammenlebens in einer Gesellschaft ohne Eigentum aussehen könnten. Und neige dazu, mir vorzustellen, daß diese sehr einfach sein werden, nicht mehr als zwei, drei Sätze. Vielleicht wirklich nur diese zwei Sätze aus dem kommunistischen Manifest: Jeder nach seinen Fähigkeiten. Jedem nach seinen Bedürfnissen. (Wobei es ein Mißverständnis ist, den ersten als Pflichtsoll und den zweiten als Versprechen anzusehen. Der erste stellt das noch größere Versprechen dar.)
    Alles andere können die Menschen dann schon regeln.

  2. @guardian:

    1.: In den aktuellen Fällen besteht vielleicht kein Grund auf Verfassungsklage, da keine Grundrechte verletzt werden. Aber wie sieht es denn mit dem Grundrecht auf demokratische Vertretung jedes Einzelnen aus? -> Parteienstaat und parlamentarische Demokratie gewähren dieses Grundrecht schon mal nicht.
    Und wie gehen wir mit dem Problem der Wahlbeteiligung um? Durch die soziale Schieflage spalten sich kleine engagierte Enklaven vom Rest ab und beteiligen sich wirklich noch spürbar – die meisten Leute gehen zur Wahl wenn sie eben nicht über das nackte Überleben nachdenken müssen. Wie bereits zu lesen ist in der Blogosphäre sollte man mal nach jeder Wahl zwei Karten der Wahlbezirke übereinander blenden: Wahlbeteiligung und Lebensstandards.

    2.: Wieso sei der Afghanistan-Krieg nicht völkerrechtswidrig? Es war ein Angriffskrieg ohne Kriegserklärung. Ein Überfall. Es wird auch kein Krieg gegen ein Heer geführt, sondern gegen versprengte Gruppen, die angefangen sich zu organisieren, allerdings repräsentieren sie nicht die Nation Afghanistan. Wenn nicht gerade Zivilisten und eigene Truppen sterben, dann werden die Söldner der Widerstandsbewegung getötet. Wenn man sich die Zahlen ansieht ist das in Irak und Afghanistan eher ein Söldner-Krieg als ein Krieg im Sinne des Völkerrechts.

    – Ich persönlich sehe nicht ein, wieso ein Krieg rechtens sein soll, nur weil man vom UN-Sicherheitsrat (Neusprech? Euphemismus?) die Erlaubnis bekommen hat. Dieser Rat erfüllt nicht den Anspruch die Völker der Welt zu vertreten, wie dies bei der UNO vielleicht noch gegeben sein kann.
    So schlimm Kriege nunmal sind. Es gibt Regeln dafür. Und ein Krieg muss durch eine ordentliche Kriegserklärung begonnen und begründet werden, um dann von Armeen ausgetragen zu werden, wobei die Zivilbevölkerung rauszuhalten ist. –

    OffTopic: Ich weiß nicht was ich vom Urteil des Gerichts zur Ramelow-Sache halten soll. Also entweder ist nun auch die Justiz im neoliberal-rechten Mainstream angekommen (zu aller mindest an diesem Gericht), oder es gibt tatsächlich sachliche Gründe dafür, dass man einen bekannten Politiker aus der oberen Ebene der Partei “Die Linke” “offen beobachtet”.
    Das muss nochmal reflektiert werden….

  3. @ rauskucker:

    Zum Nichtraucherschutz:

    es ist halt eine Rechtsgüterabwägung zwischen einerseits v.a. Gewerbefreiheit (ich glaube, die Persönlichkeitsrechte der Raucher da anzuführen ist eher problematisch) und dem Gesundheitsschutz (der Gäse und Angestellten). Das kann man juristisch entscheiden. Aber was spricht dagegen, dass direkt vo eigentlichen Souverän entscheiden zu lassen?

    Mit diesen Konventionen ist es doch so ähnlich wie mit der Bibel: jeder kann sich darauf berufen und damit völlig gegensätzliche Ziele verfolgen, jeder kann in die “heiligen Texte” hineininterpretieren, was er will. Und dann trotzdem der Meinung sein, man selber vertrete aber die wahre Botschaft, und die anderen seien Häretiker resp. Verfassungsfeinde.

    Ja, eben, die Verfassungsgrundsätze sind auf die wirklich elementaren Bürger- und Menschenrechte und Staatsgrundsätze beschränkt. Alles, was darüber hinausgeht, soll dem demokratischen GEschehen überlassen werden. Und deshlab finde ich es ja nicht zielführend, sich immer wieder auf dias Grundgesetz zu berufen, auch wenn das zum jeweiligen Thema naturgemäß wenig Aussagen oder Vorgaben macht.

    Diese ganz einfachen Regeln tauchen interessanterweise in jeder Kultur aufs Neue auf. Kants kategorischer Imperativ. Die goldene Regel.

    http://guardianoftheblind.de/blog/2009/09/08/der-kategorische-imperativ-gemeinsamkeit-aller-weltreligionen/ 😉

    Jeder nach seinen Fähigkeiten. Jedem nach seinen Bedürfnissen.

    Das bezieht sich ja auf den Zustand des Sozialismus, wo noch gewisses Eigentum existiert und die Menschen nach ihren Fähigkeiten arbeiten und nach ihren Bedürfnissen Güter erhalten sollen. Wie es im Kommunismus aussehen könnte, ist schwerer vorstellbar 8und es gibt ja auch bei Marx und Engels kaum Aussagen dazu).

  4. @ m4rc:

    Aber wie sieht es denn mit dem Grundrecht auf demokratische Vertretung jedes Einzelnen aus? -> Parteienstaat und parlamentarische Demokratie gewähren dieses Grundrecht schon mal nicht.

    Welches Grundrecht meinst du? Und das Grundgesetz ist doch ganz explizit auf die parlamentarische Demokratie ausgelegt.

    Wieso sei der Afghanistan-Krieg nicht völkerrechtswidrig?

    Ihm ging eine Resolution des UN-Sicherheitsrates voraus, die ihn (als Selbstverteidigungskrieg) erlaubte. Wer da kämpft, ob Söldner oder Soldaten, spielt dabei keine Rolle. Rein völkerrechtlich war er legitim (der Irakkreg jedoch nicht).

    Ich persönlich sehe nicht ein, wieso ein Krieg rechtens sein soll, nur weil man vom UN-Sicherheitsrat (Neusprech? Euphemismus?) die Erlaubnis bekommen hat

    Ganz genau deshalb bin ich ja auch dagegen, sich auf legalistische Positionen zu beschränken. Tut man dies, und kommt zu dem Ergebnis: der Afghansitankrieg verstieß nicht gegen das Völkkerrecht, kann man in die Gefahr geraten, sich darauf auszuruhen und zu denken, dann ist ja alles ok. Auch wenn viele Gründe dagegen sprechen.

    Also entweder ist nun auch die Justiz im neoliberal-rechten Mainstream angekommen (zu aller mindest an diesem Gericht)

    Wenn man sich die Urteile des Budnesverwaltungsgerichts in den letzten Jahren so anschaut, ist dies gar nicht so abwegig. Interessant auch dieser Artikel: http://www.freitag.de/positionen/1029-demokratiegefaehrder
    Sachliche Gründe, dass jemand beobachtet wird, den selbst das Gericht nicht für extremistisch hält, weil in seiner Gruppe angeblich ein paar wenige angeblich verfassungsfeindliche Ziele verfolgten, sind wohl eher schwer konstruierbar. Naja, mal sehen, was sich das Gericht da zurecht gebogen hat. Bleibt dann immer noch das Bundesverfassungsgericht.

  5. Pingback: alexf10
  6. Lest mal bitte Artikel 146 des Grundgesetzes.

    Wir haben gar keine Verfassung! Sowas wie den Verfassungsschutz muss man gar nicht mal anerkennen!

    Schwarz auf Weiß steht es da, wer kein GG zu Hause hat (bei mir ist der Artikel 146 auf Seite 90) sollte online nachschlagen.

    Ich meine das völlig ernst. Wieso haben wir ein Verfassungsgericht und einen Verfassungsschutz, aber keine Verfassung? Darüber redet oder bloggt keiner…

  7. “Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.”
    bedeutet nicht, dass erst noch eine Verfassung in Kraft treten wird, als erste Verfassung dann, sondern es meint “an dem eine andere” oder “neue Verfassung in Kraft tritt”. Das Grundgesetz ist rechtlich die Verfassung Deutschlands, auch wenn es nicht so heißt.

  8. Ich finde es schauerlich, wie im Moment in Deutschland (oder Europa)
    Politik gemacht wird. Jeden Unsinn vor’s Verfassungsgericht zu zerren
    ist da nur der letzte Auswuchs eines total kruden Systems.
    Ein relativ heftiges Beispiel aus der deutschen Politik: Rössler mit
    seiner Kopfpauschale (halte ich nichts von, aber das tut nichts zur
    Sache, es geht um die Art und Weise, wie die Idee scheitert), die ist im
    Prinzip von der Koalition vereinbart worden und auch von FDP und CDU
    gewollt. Kann Rössler sie deshalb durchsetzen? Nein, ein paar wenige
    Politiker aus Bayern schießen solange quer, bis die Idee gestorben ist.
    Warum wählt das Volk ein Parlament, was dann eine Regierung mit
    dazugehörigem “Gesundheitsexperten” bestimmt, wenn der dann hinterher
    seine Arbeit nicht nach seinen Überzeugungen und seinem Wissen
    durchführen kann? Das ist nur ein Beispiel von vielen… Es wird solange
    innerhalb der “Regierung” gestritten und diskutiert, bis am Ende im
    Parlament werden die “kaputt diskutierten” Beschlüsse dann von den
    koalierenden Fraktionen einfach durchgewunken.

    Das schwierigste an der Demokratie ist doch: Verlieren gehört dazu. Es
    entscheidet die Mehrheit, und was die entscheidet, sollte auch der
    einzelne als Entscheidung annehmen.

    Daher denke ich auch, dass viel mehr Politik im Parlament gemacht werden
    sollte. Da sitzen immerhin die Volksvertreter, die gewählt wurden.
    Koalitionen? Gehören meiner Meinung nach verboten. Klar kann man sich,
    bevor man sich zur Wahl stellt oder über Thema XY abstimmt mal umhören,
    was die anderen so dazu sagen… aber einen verbindlichen Vertrag über
    das Abstimmverhalten für die nächsten 4-5 Jahre schließen??? Das ist
    doch grotesk!
    Dann könnte auch die “Opposition” sinnvoll beweisen, was an ihrer
    Ablehnung von Regierungsvorhaben so dran ist. Einfach selber mal den ein
    oder anderen Gesetzesvorschlag einbringen. Das wäre eine deutlich
    konstruktivere Diskussion, als wir sie im Moment haben. So macht doch
    Politik keinen Spaß… “fertige” Vorschläge der Regierung durchs
    Parlament winken und die dann von der Oppositions vor’s
    Verfassungsgericht zerren lassen.

    Zum Rauchverbot:
    der Nichtraucherschutz ist da auch so ein Problem. Die Frage nach der
    Rechtmäßigkeit der Rauchverbote stellt sich nur, weil die deutsche
    Politik wieder viel zu viel Angst hatte um eine vernünftige eindeutige
    Regelung umzusetzen. Nein, es musste für jeden ein Hintertürchen
    geöffnet werden, was dann nochmal durch den Länder-Irrsinn gedreht
    wurde… Irland und Italien haben es richtig gemacht, ein einfaches
    Gesetz: “Rauchen am Arbeitsplatz ist verboten”, einfach Begründung:
    Gesundheitsgefährdung der Angestellten. Zack, da Kneipen immer ein
    Arbeitsplatz sind, ist da rauchen auch passe und es gibt bei der
    Begründung auch keine Diskussion (dass die Studien der
    Zigarettenindustrie zu den Gesundheitsrisiken alle gefakt sind, muss man
    dabei natürlich einbeziehen ;)). Anders in Deutschland… Rauchverbot am
    Arbeitsplatz ja, aber Kneipen? Neeee… das trauen wir uns nicht. Dann
    noch hier nen Kompromiss und Raucherklubs als Schlupfloch da und hin und
    her und klar fühlt sich dann der Wirt, der das rauchen verbieten muss
    benachteiligt gegenüber dem, der es erlauben kann. Das tut er auch
    völlig zu recht und dann klagt er auch völlig zu recht, da so die
    Begründung hinfällig wird… Ist die Gesundheit des Kellners in der
    Kneipe mit zwei getrennten Räumen so viel weniger wert, als die des
    Kellners in der Kneipe mit nur einem Zimmer? Das kann doch niemandem
    einleuchten…

    Zur Beobachtung der Linken:
    Das Urteil ist sicherlich ärgerlich für die Linke und Ramelow. Es ist
    aber gefährlich zu fordern, dass Abgeordnete nicht vom Verfassungsschutz
    beobachtet werden sollten. Die NPD stellt auch Abgeordnete und wird
    vollkommen zu recht beobachtet! Auch muss ich sagen, dass viel der
    Aufregung übertrieben ist… Immerhin sammelt der Verfassungsschutz nur
    Daten aus “öffentlich zugänglichen Quellen” und darüber kann sich
    keiner
    beschweren, der in der Öffentlichkeit steht. Bei weiterführender
    Überwachung könnte ich die Aufregung ja nachvollziehen… aber so finde
    ich das doch schon etwas albern.

  9. Zu Rösler: ich glaube da doch, dass da der Unmut in der Union weiter verbreitet ist. Die Kopfpauschale ist zwar im Prinzip im Koalitionsvertrag festgeschrieben, ja. Aber man muss auch bedeneken, dass an dessen Zustandekommen nur ein paar ganz wenige Politiker beteiligt waren, die ganz überwiegende Mehrheit der Parteimitglieder überhaupt keinen Einfluss hatte – und sich etwa mit einer so drastischen Maßnahme wie der Kopfpauschale übergangen fühlte.
    Aber wenn es gar keine Koalitionsverträge geben würde, würde wohl bei fast jeder politischen Frage ein langwieriger Streit folgen.
    Über die Sache mit dem Verfassungsschutz, die du ansprichst, habe ich auch nachgedacht. Wenn es einen Verfassungsschutz gibt, der die freiheitliche demokratische Grundordnung schützen soll, dann muss er auf jeden Fall die NPD beobachten. Aber Abgeordnete zu beobachten, finde ich doch problematisch. Sie wurden vom Volk gewählt, sollten einen gewissen Schutz genießen und ihre Tätigkeit gewürdigt werden. Natürlich müsste man da eine Greneze ziehen. Ob das für jedes Ortsbeiratsmitglied gelen sollt, weiß ich nicht. Aber das ein Staatsorgan den Bundestag als das höchste Organ der Ordnung, die es eigentlich schützen sollte, ausspitzelt, eventuell drangsaliert, sehe ich mit dieser Grundordnung als nicht vereinbar an. Vielleicht wird ja aber auch das Verfassungsgeriht noch etwas zu dem Punkt sagen, vor das Ramelow jetzt auf jeden Fall gehen sollte.

  10. Ich nochmal. Da stehen in der Verfassung (und das ist bei allen Verfassungen wohl so) am Anfang einige Sätze, die eigentlich ausgereicht hätten. Würden die ernstgenommen, bräuchte über Vieles nicht mehr diskutiert werden. (Grundeinkommen, z.B. Also es müßte natürlich diskutiert werden WIE das genau geht. Aber DASS dieses jedem Menschen zusteht sollte erstmal klar sein.)
    Ein Satz, der da so drinsteht, aber behandelt wird, als stünde er nicht in der Verfassung, und der, würde man ihn lauthals propagieren und umsetzen, zur sofortigen Einordnung als Terrorist, Verfassungsfeind oder Geisteskranker führen würde, lautet:
    “Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.”
    Erklär das mal deinem Nachbarn mit Swimmingpool. Oder einem Autofahrer.

  11. achje, au weia. Hab ich auch irgendwann schon mal gelesen. Der argumentiert aber völlig innerhalb des Systems. Das will ich ja gerade überwinden, und zwar mit der Verfassung in der Hand.

    Ich stelle mir die Einführung übrigens ganz einfach vor 🙂

    allerdings nicht als Einkommen, sondern durch Zahlungsboykott.
    Für Dinge, auf die wir einen grundgesetzlich garantierten Anspruch haben, bezahlen wir nicht mehr.
    Als erstes Testobjekt schlage ich die Bundesbahn vor. Ab dem x.x. fahren 1 Million Leute schwarz. Und einen Tag später machen die anderen mit. Wenn das geklappt, hat, gehts mit Wohnungen, Lebensmitteln und Kleidung weiter. Und Medizin und Bildung werden dann auch wieder kostenfrei und für jeden frei zugänglich.
    Einiges an Gesetzen und Behörden, was dann überflüssig wird.

  12. Noch etwas, das ich glaube: Revolutionen können auch heutzutage genauso schnell und überraschend “passieren” wie 1789.
    Irgendwann beschließen “wir”, das reicht jetzt, heute tun wir’s!
    Und dann wissen auch alle, was zu tun ist.
    Halt mich für einen Träumer, aber die Frage wird nicht sein, OB, sondern WIE machen wirs. Und ich hoffe, ich erlebe das noch.

    Und für heute geh ich jetzt ins Bett, ich muß früh wieder raus…

  13. Zu Rösler: ich glaube da doch, dass da der Unmut in der Union weiter verbreitet ist. Die Kopfpauschale ist zwar im Prinzip im Koalitionsvertrag festgeschrieben, ja. Aber man muss auch bedeneken, dass an dessen Zustandekommen nur ein paar ganz wenige Politiker beteiligt waren, die ganz überwiegende Mehrheit der Parteimitglieder überhaupt keinen Einfluss hatte – und sich etwa mit einer so drastischen Maßnahme wie der Kopfpauschale übergangen fühlte.

    Das ist ja genau das, was ich meine. Einzelne Politiker/Ministerien entwickeln ganze Gesetzespakete oder verhindern sie. Das hat meiner Meinung nach nicht viel mit Demokratie zu tun. Denn die demokratisch gewählte Vertretung ist das Parlament und nicht die Minister oder der Kanzler.

    Wenn lange über Gesetzesvorhaben öffentlich diskutiert wird, halte ich das für positiv. Es wird ja so auch lange diskutiert, nur eben meist hinter verschlossenen Türen in “Führungszirkeln”. Wenn man das ganze Parlament in die Diskussion einbinden müsste, müssten auch die Argumente viel klarer rüber gebracht werden. Das ist eins der größten Probleme: Die Politik versagt im Moment dabei klar zu machen, warum sie tut, was sie tut. Für einiges gibt es ja durchaus plausible Gründe, aber die Politik spricht nicht mit ihrem Volk, das ist zumindest mein Gefühl.

  14. Ja, und deshalb muss sich ja das Parlament nicht unbedingt an Koalitionsverträge, die nur von ein paar Leuten aus der Parteispitze beschlossen wurden und auf die sie keinen Einfluss hatten, halten. Gerade hier kann es ja zeigen, dass die Budnesregierung nicht machen kann, was sie will.

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